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Konservatives Kalifornien – Ja zu Todesstrafe, Nein zu Kennzeichnung von Gen-Food

Kalifornien hat Barack Obama eine deutliche Mehrheit beschert – alles andere wäre eine Riesenüberraschung gewesen. Die Bewohner des Westküstenstaats gelten als zuverlässige Stimmen-Geber für Demokraten. Deshalb bleiben wir hier auch weitgehend verschont von bösartigen Werbekampagnen der Kandidaten. Die kommen eigentlich nur vorbei, um Spenden einzusammeln. Kalifornien hat sich zur Geldmaschine für Demokraten und Republikaner entwickelt. Nicht nur Barack Obama füllte seine Wahlkampfkasse bei Abendessen mit illustren Gästen in Hollywood und Silicon Valley. Auch Mitt Romney besuchte finanzkräftige Unterstützer am Pazifik. Kalifornien ist nämlich gar nicht so links wie viele glauben. Im Westküstenstaat gibt es reichlich konservative Bezirke außerhalb der Großstädte. Wähler haben vor vier Jahren die Legalisierung von Marijuana und die Homo-Ehe abgelehnt. Auch dieses Jahr zeigten sie bei Volksabstimmungen wieder eine konservative Seite: die Todesstrafe bleibt dem Westküstenstaat erhalten und das obwohl sich auch der neue Gouverneur für die Initiative eingesetzt hat, die sie gegen lebenslänglich ohne Bewährung getauscht hätte. Vorgänger Schwarzenegger hatte noch seine Muskeln für die Todesstrafe spielen lassen.

Außerdem verpasste Kalifornien die Chance, landesweit die Vorreiter-Rolle bei der Kennzeichnung von genmanipulierten Lebensmitteln zu übernehmen. Alle möglichen anderen Angaben müssen auf Lebensmittel gedruckt werden – Kalorien, Zucker und andere Zutaten zum Beispiel – aber niemand erfährt, ob irgendwas am Essen genetisch bearbeitet wurde. Im September sah es noch so aus, als ob die kalifornische Initiative für Kennzeichnung problemlos gewinnen würde. Dann startete die 45-Millionen-Gegenkampagne. Pharma- , Chemie- und Lebensmittelunternehmen, die fürchteten das Beispiel Kalifornien könnte überall in den USA Schule machen, überfluteten die Fernsehprogramme mit Anzeigen. Die meisten kalifornischen Tageszeitungen schlossen sich der Kritik an rechtlichen Mängeln des Entwurfs an. Das war’s.

Kandidat Barack Obama hat 2004 versprochen, eine landesweite Regelung zur Kennzeichnung von Gen-Food einzuführen. Eines der Versprechen, das er nicht eingehalten hat. Seine Position zur Todesstrafe ist nicht eindeutig. Mit all den Problemen, die auf ihn warten dürften beide Themen auf der Prioritätenliste des US-Präsidenten sehr weit unten stehen.

Die Kalifornier haben ihm einen unumstrittenen Sieg garantiert und gleichzeitig mal wieder bewiesen, dass sie weitaus konservativer sind, als die Welt im allgemeinen glauben möchte.

 

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Organspende auf Norwegisch

Es gibt wenige Länder in Europa, wo es fast genügend Spenderorgane gibt. Norwegen gehört – neben Spanien und Belgien – dazu.

“Zwei entscheidende Dinge prägen das norwegische System: Wir verbinden Organspende weniger mit dem Tod als vielmehr mit der Möglichkeit, Leben zu spenden, und prinzipiell wird angenommen, dass mögliche Spender der Entnahme positiv gegenüberstehen”, sagt Troels Normann Mathisen, Pressesprecher von Stiftelsen Organdonasjon (Stiftung Organspende). Er hat vor 14 Jahren selbst Herz, Lunge und Leber erhalten. Anders als in Deutschland werden die Angehörigen in dem nordeuropäischen Land nicht gefragt, ob der oder die Tote Spender werden soll. Die Familie soll nur sagen, ob irgendetwas darauf hindeute, dass der oder die Verstorbene gegen eine Spende gewesen ist.

Das Gesetz sieht sogar vor, die Hinterbliebenen suggestiv schon mit der Absicht zu befragen, einen positiven Bescheid zu erhalten. Als Ärzte in Deutschland ähnlich vorgegangen sind, hat das zu Beschwerden geführt. Denn anders als in Norwegen sollen die fragenden Ärzte in Deutschland neutral bleiben. “Die Organspende ist eine altruistische Leistung – und ein Recht. Der Staat arbeitet daran, dass dieses Recht der Spende auch ausgeübt werden kann”, sagt Pål-Dag Line, Leiter der Transplantationsabteilung im Osloer Rikshospital.

Man mag vom norwegischen Modell halten, was man will, einen genauen Blick ist es in jedem Fall wert. Einen guten Einstieg bietet hoffentlich mein Artikel in Die Welt.

 

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Wahltag in den USA trifft auf Machtwechsel in China

Alle wissen ja, dass in Amerika heute gewählt wird. Aber fast genau zeitgleich findet auch in China ein Machtwechsel statt. Von Wahl kann man hier zwar nicht sprechen. Ausgekungelt wurden die neuen Parteichefs in den Hinterzimmern der Kommunistischen Partei. Verkündet werden die neuen Miltglieder des engsten Machtzirkels – dem Ständigen Ausschuss des Politbüros der KPCh – auf dem am Donnerstag beginnenden Parteitag. Der findet nur alle fünf Jahre statt. Und deshalb ist es auch etwas Besonderes, dass die Großmacht USA und die Vielleicht-Bald-Großmacht China mit nur wenigen Tagen Abstand beide ihre politische Spitze zur Disposition stellen oder austauschen. Zum letzten Mal fanden US-Präsidentenwahl und KPCh-Parteitag im Jahr 1992 zeitgleich statt. Damals siegte in den USA Bill Clinton. In China war aber – drei Jahre nach der Niederschlagung der Tiananmen-Proteste – an einen Stabswechsel garnicht zu denken. Der damalige Parteichef und Präsident Jiang Zemin war gerade erst drei Jahre an der Macht und auf dem Parteitreffen eher dabei, diese zu konsolidieren. In den achtziger Jahren wechselten sich zwar einige Parteichefs ab, doch der starke Mann war der alte Reformpatriarch Deng Xiaoping. Und davor herrschten Mao und zumeist auch das Chaos.

Klar, der Spaß an einem solchen zeitlichen Zusammentreffen ist vor allem was für eingefleischte Politjunkies. Denn wahrscheinlich wird sich zwischen beiden Staaten gar nicht viel ändern – auch wenn der voraussichtliche neue KP-Chef und Präsident Xi Jinping am Ruder ist, und dann beim nächsten Gipfel entweder Obama oder Romney die Hand schüttelt. Die bilateralen Beziehungen der beiden Staaten gelten als die wichtigsten der Welt, und sie sind trotz regelmäßiger Spannungen und gelegentlichem Misstrauen eigentlich stabil.

Wie sehr die Amerikaner den chinesischen Stabwechsel in der Partei beobachten, ist von Peking aus schwer zu sagen. Aber die Chinesen schauen genau auf die USA. Die Debatten standen auf chinesischen Video-Plattformen. Obama sorgte auch hier 2008 für eine gewisse Aufregung. Seit damals gibt es auf Klamottenmärkten T-Shirts mit Obama im Mao-Käppi. Oder Autoaufkleber wie diesen hier:

Schickaniere mich nicht, steht da drauf: Mein Großer Bruder ist OBAMA.

Viele Chinese interessieren sich gar mehr für die US-Wahl als für den Generationswechsel daheim. Mehr Farbe, es fliegen die Fetzen in einem öffentlichen Wahlkampf, und ja überhaupt, man kann eben etwas auswählen. Zumindest Chinas Netizens haben dabei ähnliche Vorlieben wie die meisten Europäer Bei einer Umfrage des Microblogs Weibo führte Obama innerhalb von zwei Tagen mit 7:1.

Chinas Staatsmedien meckern derweil, denn beide Kandidaten prügeln auf China ein – das so genannte China-Bashing hat im US-Wahlkampf Tradition. Besonders kernig gibt sich Mitt Romney, der China gleich am ersten Amtstag als Präsident zum Währungsmanipulator abstempeln will. Angst vor Romney? Ach wo. Man müsse Romneys Parolen nicht beim Wort nehmen, glaubt Shen Dingli, Direktor des Zentrums für Amerikastudien an der Shanghaier Fudan-Universität. „Romney wird das gleiche tun wie Clinton, Bush oder Obama“, so Shen. Sprich: Nach dem Wahlkampfgetöse die Politik auf das übliche Lautstärke herunterfahren.

In den USA laufen jetzt die letzen Stunden vor der Wahl. In Peking ist die Stadt noch zwei Tage im Warte- und Ausnahmezustand. Patrouillen suchen die Stadt ab nach reaktionären Slogans, die Polizei lässt stadtbekannte Dissidenten nicht aus den Augen. Überhaupt stehen überall Polizisten. Und selbst Taxifahrer haben genaue Anweisungen: Weiträumig umfahren sollten sie den Tagungsort am Platz des Himmlischen Friedens, und darauf achten, dass Fahrgäste keine Anti-KP-Parolen an ihrem Auto befestigen. Auch dürfen sie niemanden mitnehmen, der irgendeine Art von Ball transportiert. Es könnte ja sein, dass der Fahrgast Tischtennisbälle mit subversiven Botschaften aus dem Auto wirft. Daher müssen die Fahrer die Fensterscheiben auf den Rücksitzen blockieren. In China wird eben nichts dem Zufall überlassen.

 

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Die sechstgeilste Stadt der Welt

Mit den Einwohnern von Hyderabad und Londonderry habe ich neuerdings etwas gemeinsam: Wir leben dort, wo andere Urlaub machen sollten. Neben den ebenfalls nicht allzu nahe liegenden Orten hat es ausgerechnet Christchurch in die Liste der ‚Top-Ten‘-Städte der Welt verschlagen, die es laut Lonely Planet 2013 anzusteuern gilt, weil sie so spannend sind. Die kaputte und halb abgerissene ‚Garden City‘, der Horror aller Reiseveranstalter und Tourismus-Strategen, steht auf dem sechsten Platz. Das glaubt mir doch niemand!

Da staunen nicht nur die, die von Christchurch zum letzten Mal in den Nachrichten hörten und die Stadt seitdem für ein Katastrophengebiet halten, um das man lieber einen weiträumigen Bogen macht. Ja, da staunen auch die, die noch immer darauf warten, dass die seit anderthalb Jahren anstehende Renovierung ihrer rissigen Bude endlich von der Versicherung bezahlt wird und sie woanders hinziehen können, wo das tägliche Leben nicht durch Erdbebenschäden, Dauerbaustellen und Bürokratenschwachsinn gelähmt wird.

Aber mit Letzteren, es sind ja auch nur ein paar Tausend, haben die Lonely-Planet-Tester sicher nicht gesprochen. Wer will sich das Gejammer schon anhören? Also, ich nicht. Ich glaube lieber dem welterprobten Reiseführer und schaue, was sich die emsigen Bienen bei ‚Gap Filler‘ wieder Originelles einfallen lassen, um uns das Leben zwischen Ruinen zu verschönern. Alles super hier, voll die Zukunft, und so funky!

Dringend nötig, dass das mal aufgezählt wird: Eine Ausstellung der liebevollst dekorierten Dixie-Klos, ein Freiluftkino mit Pedalbetrieb, ein Kühlschrank an der Straßenecke als Buchtauschbörse, eine Kathedrale aus Pappe und noch andere Aktionen, die viel Pioniergeist, Design, Schweißarbeit und Sperrmüll voraussetzen. Klasse Sache, ich bin dabei, auch jetzt am Wochenende, wenn der rekordverdächtige ‚Drillathon‘ stattfindet und jeder, der mag, mindestens zwei Stunden lang Löcher in Paletten bohren darf. Aus denen entsteht ein improvisierter Musikpalast.

Wer dann noch Energie hat, kann zum “Dance-O-Mat” gehen. Das ist ein münzbetriebener Tanzboden im Freien, gleich hinter der Shopping-Mall aus Schiffscontainern, und unsere Antwort auf eine Disco. Sowas denken sich keine Stadtoberen und Erdbebenminister aus, sondern Architekturstudenten, Künstler, Freiwillige aller Art. Und die, da gebe ich dem Lonely Planet völlig recht, hauchen dieser Trümmerstadt wieder Leben ein, das einen Anstrich von urbanem Utopia hat: Alles darf ersponnen werden, jeder macht mit.

Jetzt müssen sich nur noch die Besucher trauen. Bloss keine Hemmungen, Erdbebentouristen, Ihr seid willkommen! Ihr dürft euch auch gerne gruseln: Für 15 Dollar kann man die abgeriegelte ‚Rote Zone‘ besichtigen. Das ist jetzt die größte Baustelle der Südhalbkugel, was nicht so spannend klingt wie ‚Todeszone‘. Aber daran kann man arbeiten. Hauptsache, die halb durchgebrochenen Häuser auf den Klippen oberhalb des Strandes bleiben noch lange dort hängen. Super-Attraktion, klasse Fotos.

 

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The Day After

Am Tag nach dem Sturm ist New York eine geteilte Stadt. Die eine ist von Sandy hart getroffen – mit Überschwemmung, Stromausfall und dem Schock, trotz  High-Tech so verwundbar zu sein. Die andere hat gewaltigen Böen erlebt, aber sonst kaum unter dem Monstersturm gelitten – und probt Business as Usual.

Glücklicherweise wohne ich in einem wettertechnisch privilegierten Viertel an einem Hang in Brooklyn, Park Slope. Oder vielleicht sollte ich schreiben “sandy-privilegierten Viertel”. Denn Park Slope wurde im vergangenen Frühjahr von einem lokalen Tornado heimgesucht, der dutzende Bäume zu Fall brachte. Womöglich ist dies einer der Gründe, weshalb Sandy den Bäumen in unserer Nachbarschaft vergleichsweise wenig zusetzte. Ja, einige sind gefallen, aber doch viel weniger als wir erwartet hatten.

Insgesamt war die Stimmung in Park Slope heute geradezu fröhlich. Brooklyns Stadtteilpräsident Marty Markowitz hatte schon morgens kämpferisch die Parole ausgegeben: “Der Sturm hat sich die falsche Stadt ausgesucht, wir geben nicht auf!” Viele Leute gingen einkaufen – zwei von drei Läden hatten geöffnet -, und vor allem waren Restaurants und Kneipen dicht besetzt. Die Menschen feierten den zusätzlichen Feiertag – kaum einer konnte wegen U-Bahn-Ausfalls und gesperrter Tunnels zur Arbeit – und die Erleichterung, eine Katastrophe unvermutet gut überstanden zu haben.

Aber auch in Red Hook, einem Viertel in der Evakuierungs-Zone am East River, bewiesen die Leute Standfestigkeit und Humor.

Das zeigten nicht nur solche Graffitis, sondern auch die Atmosphäre in dem Viertel. Während die Keller ausgepumpt wurden, standen die Leute in Grüppchen zusammen, tauschten Tipps aus und Neuigkeiten. Und selbst in Downtown Manhattan ist die Lage weniger dramatisch als viele Fernsehbilder vermitteln. Wir mieteten heute nachmittag einen Wagen und fuhren durchs Börsenviertel. Das Wasser ist längst abgeflossen; der spärliche Verkehr läuft trotz ausgefallener Ampeln reibungslos. Während die Subway nach wie vor still steht, fahren schon wieder Busse – kostenlos. Sandsack-Barrieren wie hier vor Goldman Sachs werden abgebaut.

In den deutschen Medien ist das Unspektakuläre verständlicherweise nicht so interessant. Doch es entsteht auf diese Weise ein schiefes Bild. Wir erhielten viele Mails von Angehörigen und Freunden, die Angst hatten, dass wir einem kompletten Chaos zum Opfer gefallen wären. Manche mochten unsere beruhigenden Antworten kaum glauben. Es war ihnen nicht bewusst, dass zwar in 600 000 Haushalten der Strom ausgefallen ist – aber rund vier Millionen keine Probleme haben.

Fotos: Christine Mattauch

 

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Der “Monstersturm” ist da

Der Sturm ist da. Einmal mehr liegt New York in Agonie. Die Küstengebiete sind evakuiert worden, U-Bahnen und Busse fahren seit gestern abend nicht mehr. In vielen Supermärkten sind die Lebensmittelregale leergekauft und Batterien ausgegangen. Schulen und Universitäten sind geschlossen und auch der Parketthandel der Börse – gemeinhin ein sicheres Zeichen dafür, dass die Sache ernst ist.

Das alles stimmt und vermittelt doch ein falsches Bild. Die Windböen, die bei uns in Brooklyn ums Haus heulen, sind bisher kaum stärker als bei manchen Gewittern. Und als ich gerade einen Spaziergang auf unsere Viertels-Einkaufsstraße 7th Avenue wagte, war ich überrascht, wie viele Menschen unterwegs sind.

Einige führen ihre Hunde aus, andere gehen ganz normal einkaufen oder essen – denn tatsächlich haben diverse Läden und Restaurants geöffnet, von der Drogerie Rite Aid über den Billigjapaner Shinju bis zur Hamburgerkette Cheeburger, wo sich ein paar Jugendliche über Fritten hermachten. Die Post allerdings hat zu. Auch unser Hardwarestore Tarzian samt angrenzender Drogerie, der sonst keine Gelegenheit zum Geschäft auslässt, ist so kunstfertig verrammelt, als wolle der Inhaber Reklame für Klebstreifen machen. Vielleicht will er das ja auch.

 

An den Küsten Staten Islands und Brooklyns ist die Lage ebenfalls durchwachsen, wie klatschnasse Reporter im Lokalfernsehen NY1 berichten. Riesige Brecher arbeiten sich an den Stränden empor, und heute nacht wird das noch schlimmer werden, wenn die Flut ihren Höchststand erreicht. Vorerst aber laufen auch dort noch viele Anwohner über die Promenaden und sagen den Reportern ins Mikrofon, dass sie überhaupt nicht daran denken, ihre Wohnungen zu verlassen – obwohl die Stadt in den großen Sozialsiedlungen jenseits der Promenade schon gestern Aufzüge, Heizungen und Warmwasser abstellen ließ, um die Evakuierung zu beschleunigen. In New York wird nicht gerade sanft mit Almosenempfängern umgegangen. Busse mit Polizisten fahren durch die Straßen, um evakuierungswillige Mitbürger einzuladen.

Hat das Hurrican Center Sandy – in der Boulevardpresse auch „Frankenstorm“ genannt, in Anspielung auf Frankenstein, schließlich ist übermorgen Halloween – etwa überschätzt? Die Prognosen der Wetterstationen sind erstaunlich unterschiedlich. Einige sagen, dass der Höhepunkt des Sturms heute abend gegen 18 oder 20 Uhr lokaler Zeit zu erwarten sei, andere meinen, das Schlimmste sei bereits vorbei. Unser Vollkornbrot und die Thunfischdosen jedenfalls liegen noch ungeöffnet im Schrank. So langsam beginne ich mich mit dem Gedanken zu befassen, wer das eigentlich alles essen soll, wenn der Sturm vorüber ist.

Fotos: Christine Mattauch

 

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Warten auf Wirbelsturm Sandy

An diesem Sonntag vormittag ist es in New York ganz schön windig – Laub wirbelt durch die Luft, und auf der Straße haben viele eine Kapuze über den Kopf gezogen. Aber das ist nichts im Vergleich zu dem, was uns offenbar bevor steht: Im Laufe der kommenden Nacht, spätestens am Montag wird Hurrikan Sandy an der Ostküste eintreffen.  Mit bis zu 120 Stundenkilometern und heftigem Regen. „Ein solcher Sturm ist noch nie da gewesen“, warnte Rick Knabb, vom National Hurricane Center. Das Besondere ist vor allem die Ausdehnung von Sandy – der Sturm ist so groß, dass er die Küste von North Carolina bis hoch nach Maine schädigen und, wenn er wie vorhergesagt nach Westen zieht, den gesamten Bundesstaat Pennsylvania erfassen wird. Der Meeresspiegel an der Küste soll um bis zu zweieinhalb Meter ansteigen, da zufällig auch noch gerade Vollmond ist mit ohnehin höherem Wasserstand. Andrew Cuomo, Gouverneur des Staates New York, hat den Notstand ausgerufen.

„Heute ist der Tag, um sich vorzubereiten, morgen ist es zu spät“, warnt das Wetterfernsehen. Aber eigentlich ist es heute schon zu spät. Als ich gerade noch ein paar Wassercontainer im Supermarkt kaufen wollte, waren die Regale schon ziemlich leer.

Hätte ich nur auf die Drogeriekette CVS gehört. Die schickte schon am Samstag eine Mail mit der Überschrift „Christine, be hurrican-prepared“! Genau 20 Sachen waren aufgeführt, die man für den Fall der Fälle unbedingt im  Haus haben müsse, darunter Pflaster, Windeln, Kerzen und Taschenlampen. Zufälligerweise alles Dinge, die CVS im Sortiment hat.

Auch ein „handbetriebener Dosenöffner“ gehört laut Drogerie zur Notfallausstattung. Tatsächlich besteht für die Menschen außerhalb der küstennahen Gebiete das größte Risiko des Wirbelsturms darin, dass der Strom ausfällt. Und damit möglicherweise auch Gas- und Wasserwerke den Betrieb einstellen. Es ist fast unheimlich, mit welcher Geschwindigkeit einschlägige Unternehmen reagieren. Auf der Website weather.com waren gestern große Banner des Batterieherstellers Duracell geschaltet, und im Fernsehen gibt es Werbung für den dezentralen Stromgenerator „Generac“: „Never feel powerless“.

Gerade trat Gouverneur Cuomo, im Fernsehen auf und stahl damit dem New Yorker Bürgermeister Bloomberg die Show – die beiden Männer befinden sich in einer Dauerkonkurrenz, die offenbar auch in Notzeiten keine gemeinsame Pressekonferenz zulässt. Jedenfalls wissen wir jetzt, dass U-Bahnen ab 19 Uhr und Busse ab 21 Uhr nicht mehr fahren. Ob morgen die Schulen geschlossen bleiben, wird später entschieden.

Wir stellen uns jedenfalls auf einen gemütlichen Montag ein, an dem wir  uns von Vollkornbrot und Thunfisch ernähren und die Körperreinigung mit kaltem Wasser aus der Waschschüssel vornehmen. Notfalls bei Kerzenlicht. Arbeiten können wir spätestens dann nicht mehr, wenn die Akkus leer sind. Stromausfall hat auch seine guten Seiten.

Foto: Christine Mattauch

 

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Gangnam Style für China und Nordkorea

Zensoren verstehen keinen Spaß. Oder lassen sich nicht vergackeiern. Was letztlich aufs Gleiche hinausläuft. Als jedenfalls der Künstler Ai Weiwei, derzeit Chinas bekanntester Regimekritiker, eine selbst gedrehte Persiflage des koreanischen Superhits Gangnam Style (link hier) ins Netz stellte, reagierten sie prompt. Binnen Stunden war das Video des Pferdetanzes a la Ai von der lokalen Filmwebsite Tudou verschwunden. Auf Youtube steht es noch (link hier), die Seite ist in China allerdings seit Jahren ohnehin blockiert.

Der Nachrichtenagentur AP sagte Ai, er habe das Video doch nur gemacht um einen Rockstar-Freund aufzuheitern, dessen Wohnhaus abgerissen werde um Platz für ein Naubaugebiet zu machen. Humor helfe gegen die Frustration der Menschen: “Ständig wird uns unsere Fröhlichkeit genommen, unsere Häuser abgerissen, wir werden dauernd kontrolliert, und all das hat Einfluss auf unsere Fröhlichkeit.” Im pinken T-Shirt reitet der vollschlanke Ai also mit Freunden durch seinen Hof, zwischen eingeblendeten Teilen aus dem Original des Südkoreaners PSY. Aber dann holt er während des Pferdetanzes irgendwann eine Handschelle aus der schwarzen Jacke und im Gangnam Style schwingt sie wie ein Lasso.

Klar, das ist mehr als nur Happiness. Das haben die Zensoren blitzschnell durchschaut. Wenn Ai Weiwei etwas macht, dann wittern sie ohnehin sofort Unbill.

Aber vielleicht sollten sie sich freuen, dass weder Ai noch andere bisher über ihren Präsidenten Hu Jintao etwas produzierten wie Kim Jong Style (link hier) – eine Gangnam-Parodie auf den jungen Diktator Nordkoreas: Darin tanzt ein Kim Jong Un-Impersonator mit Haarteil und Kommunistenanzug zwischen Pferden oder uniformierten Schönheiten herum, und hängt an einer gerade abgeschossenen Rakete: “Hey, unser einziger Export sind Atomtests”. Später sitzt “Kim” nackt mit Sonnenbrille in der Badewanne und lässt sich eine Dame bringen, die seine Zehen ablutschen soll.

 

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„Verkauf die Datscha, Flegel Gouverneur!“

Russlands Kulturhauptstadt droht in Unverschämtheiten zu versinken
Sankt Petersburg ist voller Flegel. Seit mehreren Tagen tobt in der Stadt ein heftiger Streit, ob Gouverneur Georgi Poltawtschenko ein Flegel ist, die Petersburger Kraftfahrer, die Fußballfans oder gar alle Bürger. Vom Zaun gebrochen hat den Streit der Gouverneur. Für eine Wagenkolonne des Premierministers Dmitri Medwedew waren Anfang Oktober die Straßen im Stadtzentrum gesperrt worden, die im Stau stehenden Autofahrer meuterten. „Wer nicht zu faul war, hupte, die Leute streckten alle möglichen Finger in die Höhe“, schimpfte Poltawtschenko hinterher in einem TV-Interview. „So was passiert auch in anderen Städten. Aber so offene Flegelei habe ich nie gesehen.“

Das wiederum erboste nicht nur die Pkw fahrende Bürgerschaft. Als Poltawtschenko vergangenen Samstag beim Erstligaspiel von Senit Sankt Petersburg gegen Kuban Krasnodar auftauchte, empfingen ihn die Fans mit donnernden Sprechchören: „Gouverneur – Flegel!“ Später skandierten beide Stadionhälften im Wechsel: „Verkauf die Datscha, bau das Stadion!“, eine Anspielung auf den stockenden Bau des neuen Stadions für den Gasprom-Klub. Poltawtschenko hatte dazu erklärt, die Einwohner, vor allem die Fußballfreunde könnten ja ehrenamtlich auf der Baustelle mitarbeiten, die mindestens 800% der ursprünglich geplanten Kosten schlucken soll und mit umgerechnet fast 1,1 Milliarden Euro (1,3 Milliarden Franken) teurer als der Wembley-Neubau sein wird.
Eigentlich gilt Senit als Lieblingsverein der Staatsmacht, und Fußballfans allgemein als favorisierte Klientel Wladimir Putins, im Zweifelsfall auch geeignet, Oppositionelle zu verprügeln. Jetzt aber flegeln die Senit-Fans gegen ihr Stadtoberhaupt und amüsieren sich dabei auch noch glänzend.

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Es gehen Gerüchte, die Sicherheitsorgane fahndeten nach den Vorschreiern, die Organe dementieren, die Gesellschaftswissenschaftler Petersburgs streiten, ob Russlands Kulturhauptstadt tatsächlich in Flegelei versinke, ob die Revolution doch nahe oder nur Poltawtschenko entgleist sei. „Das war sein Missgeschick“, sagt der Petersburger Politologe Michail Winogradow unserer Zeitung, „noch kein Grund ihn abzusetzen, aber eine Episode, an die sich der Kreml erinnern wird, wenn in Petersburg wieder etwas eskaliert.“ Auch staatstragende Figuren wie der Petersburger Senator Wadim Tjulpanow raten Poltawtschenko, sich zu entschuldigen. Der immerhin versichert, er habe sich nur über die „Flegelei“ konkreter Personen und nicht aller Petersburger beschwert. Beamte des städtischen Sportkomitees aber kündigen „Erziehungsgespräche“ mit Vertretern der flegelhaften Fanklubs an.

 

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Scheidung noch mal verschoben?

Viele Journalisten lieben markige Statements oder eine holzschnittartige Darstellung der Welt. Schwarz und Weiß. Als wären Grautöne unverdaulich. Da Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Hollande nicht als politisches Liebespaar bekannt sind, ist dann schon mal schnell von einer bevorstehenden Scheidung die Rede. So auch gestern wieder in den Hauptnachrichten des französischen Fernsehsenders France 2. Da wurden ernste Gesichter aus Brüssel gezeigt, Merkel und Hollande hätten nicht einmal ein höfliches Lächeln füreinander übrig gehabt. „Steht nun die Scheidung bevor“, fragte daraufhin der Moderator den Brüssel-Korrespondenten.

Die Überzeichnung der inhaltlichen sowie der persönlichen Differenzen zwischen Hollande und Merkel sind in Deutschland wie in Frankreich bei einigen Medien besonders beliebt. Von einem tiefen Einblick in die deutsch-französischen Beziehungen zeugt das nicht. Denn die vor knapp 50 Jahren von Konrad Adenauer und Charles de Gaulle formal besiegelte deutsch-französische Freundschaft hat inzwischen eine Tiefe und institutionelle Verwebung auf ganz unterschiedlichen Ebenen erreicht, sie würde überleben auch wenn Merkel und Hollande sich abgrundtief hassten und sich politisch überwärfen. Für letzteres sind beide viel zu klug und viel zu diplomatisch.

Dass Berlin und Paris immer mal wieder in politischen Fragen ganz unterschiedlicher Meinung sein werden, tut beiden Seiten und Europa gut. Denn es trägt zu einer fruchtbaren Kompromisskultur bei. Auch zum Innehalten und Überdenken der eigenen Position – falls man dazu Zeit findet. Dass die politischen Überzeugungen selbst bei einer diplomatischen Annäherung der Positionen in Brüssel im Grunde mitunter sehr weit von einander entfernt bleiben, ist schon aus historischen Gründen nicht überraschend. Das staatliche Selbstverständnis und damit auch die Staatsräson Deutschlands und Frankreichs sind keineswegs identisch. Das gilt sowohl für innen- wie außenpolitische Aspekte. Aber es gibt genügend gemeinsam Interessen, die eine Annäherung in der Politik immer wieder lohnend machen.

Bei jedem politischen Schlagabtausch oder jeder Missstimmung zwischen Kanzler(in) und Präsidenten (auf eine französische Präsidentin brauchen wir leider in absehbarer Zeit noch nicht zu hoffen) die „Scheidung“ heraufzubeschwören, ist deshalb reine Effekthascherei, dumm und ermüdend.

 

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Rap und Kürbis-Eis – schöne Überraschungen zwischen US-Nichtwählern

Über 40 Grad, kläffende und knurrende hyper-muskulöse Wachhunde, kritische Blicke durch verschlossene Stahltüren und vergitterte Fenster – nicht die besten Bedingungen für eine Tour mit Obama-Anhängern auf Wählermobilisierung. Sie verteilen Registrierungs-Formulare und fragen, ob ihnen jemand beim Kampf für die Wiederwahl des US-Präsidenten helfen möchte. Ehrenamtlich natürlich. Im Viertel leben vor allem Latinos und Schwarze. Arbeitslosigkeit und Kriminalität sind hoch, Einkommen niedrig. Interesse an der Wahl zwischen Obama und Romney zeigen wenig. “Ich hab zu viele andere Sorgen, um mich um den Zirkus auch noch zu kümmern.” “Macht haben sowieso nur die, die auch Geld haben!” “Ob ich wähle oder nicht ändert auch nichts an der Lage.” So oder ähnlich reagieren die meisten auf die Aufforderung, am sechsten November ihre Stimme abzugeben. Wenn sie überhaupt die Tür aufmachen.

Mehr als 200 Millionen Bürger der USA sind alt genug um zu wählen. Achtzig Millionen davon haben vor vier Jahren nicht gewählt und dieses Jahr sollen es noch mehr werden. Beide Parteien verstärken ihre Bemühungen, die Basis zu mobilisieren.

Ich mache mich nach dem Gang durchs Viertel mit den ehrenamtlichen Helfern alleine auf den Weg und frage genauer nach. Dabei erlebe ich mehr Frustration aber auch zwei wunderbare Überraschungen: Im Friseursalon will ein 18 jähriger deutsch lernen und spendiert mir für die Übersetzung von “Ich heiße Terry” und “Du hast einen schönen Ausschnitt” einen Freestyle-Rap über das Ghetto, die Wahl und deutsches Radio.

Durchgeschwitzt und erschöpft raffe ich mich zu einem letzten Interview mit einer Frau um die 40 auf, die an einer Ampel steht. Sie ist auf dem Weg zur Arbeit, macht Nachspeisen in einem Restaurant. Ihre neuste Erfindung: Kürbis-Schwarzbier-Eis. Das Restaurant ist geschlossen. Sie lässt mich durch die Hintertür in die Küche und reicht mir eine riesige Kugel Eis im Becher zum Mitnehmen. Super-lecker und das perfekte Ende für diesen Tag.

Beide – der rappende Friseur und die großzügige Nachspeisen-Expertin wollen übrigens im November wählen.

 

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Dänemark wird weiblich

Selbst ohne Frauenquote ist Dänemark auf dem Weg zu Frauen dominierten Regierungsparteien. Vergangenes Jahr wurde mit der Sozialdemokratin Helle Thorning-Schmidt erstmals eine Frau an die Spitze der Regierung gewählt (als Dänemark zum 1.1.2012 die EU-Ratspräsdentschaft übernahm, erschien von mir ein Porträt in Die Welt). Sie ist außerdem Parteichefin. Der sozial-liberale Koalitionspartner RV hat schon lange eine Frau als Vorsitzende. Nun hat Außenminister Villy Sovndal seinen Rückzug als Chef der Linkspartei angekündigt. Nachfolgen wird ihm am 13.10. in jedem Fall eine Frau: es kandidiert die erst 29-jährige Sozialministerin Astrid Krag und die einfache Abgeordnete Annette Vilhelmsen, 52.
Im Vergleich zu Norwegen und Schweden hinkt Dänemark beim Anteil von Frauen in der Spitze von Wirtschaft und Politik bisher hinterher. Zumindest in der Politik wird das ab Mitte Oktober anders aussehen.
Die rechtspopulistische DF allerdings hat gerade die weibliche Vorsitzende durch einen Mann ersetzt.

 

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Thailands Hautaufhellungswahn

In Thailand ist es für einen europäischen Besucher gar nicht so einfach, die richtigen Sonnencremes, Shampoos oder Hautcremes zu kaufen. Wenn man nicht genau hinschaut, kauft man schnell ein “Whitening”-Produkt, das mit Hautaufhellungs-Wirkstoffen versehen ist. Die Produktpalette ist riesig: Es gibt hautaufhellende Duschgels, Gesichtscremes, Waschlotionen und auch Salben, die bei angeblich zu dunklen Achselhöhlen helfen sollen. Hinzu kommen Pülverchen und Tabletten, die zusätzlich hautaufhellend wirken sollen.

Die Nachfrage ist leider enorm. Denn wer in Thailand eine helle Haut hat, steht schon einmal nicht im Verdacht, auf einem Reisfeld zu arbeiten. Der Großteil von Thailands Oberschicht hat eine helle Haut. Die “richtige” Hautfarbe ist somit auch ein Statussymbol. Fast alle diese fragwürdigen Präparate werden von westlichen Großkonzernen produziert.

Auf die Spitze getrieben hat diesen Irrsinn jetzt die französische Firma Sanofi Aventis. Sie hat ein Produkt auf den thailändischen Markt geworfen, das angeblich den weiblichen Intimbereich aufhellt. Eine 26 Millionen Dollar teure Werbekampagne soll dabei helfen, die Creme mit dem Namen “Lactacyd White Intimate” an die Frau zu bringen.

Auf der Webseite des Herstellers heißt es dazu: “Schweiß und übermäßige Reibung durch zu enge Kleidung können die Haut um den Intimbereich dunkler machen, was zu Unsicherheit und einem gesunkenen Selbstvertrauen führt oder Intimitäten verhindern kann.”

Was wird den Herstellern noch alles einfallen? Cremes, die innere Organe aufhellen vielleicht?

 

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Das Gold liegt im Maori-Schinken

Als mein Buch über eine Korrespondentin erschien, die am schönsten Arsch der Welt an Immigrantenparanoia leidet, da wollte ich ganz schlau sei. Ich bezeichnete mein Werk als Realsatire oder Doku-Roman. Es war ein verzweifelter Versuch, mich abzuheben. Reine Selbsttäuschung. Denn der Buchhandel hatte längst beschlossen, wohin die Saga über die Verwandlung vom Kraut zur Kiwi gehört: In die Regalecke mit den Culture-Clash-Büchern. Okay, ich hatte jetzt nicht erwartet, dass man für „Was scheren mich die Schafe“ einen Stapel Houellebecq zur Seite schiebt, und ich war schon dankbar, wenn man’s nicht für „noch so einen Schafe-Krimi“ hielt – aber ein kleines Imageproblem hatte ich doch zu überwinden.

Culture Clash steht auf dem Buchmarkt für „Leben in einem lustigen Land“. Dieses Genre beobachte ich genau. Es existiert seit „Noch ein verdammter Tag im Paradies“, einer Auswanderersatire aus La Palma, und schwang sich mit „Maria, ihm schmeckt’s nicht“ zu neuen Höhen auf. Lustig kann demnach jedes Land sein, solange dem dort lebenden Deutschen genug Stereotypisches vor die Füße fällt, er darüber stolpert, im Fettnapf landet und das alles flott erzählen kann. Daraus wird dann „Mein Leben in Bullerbü“ aus Schweden oder „Fisch und Fritz“ über England.

Zwingend notwendig für den Erfolg ist ein möglichst beknackter Titel, der Klischees, Kulinarisches und Kulturschock im Turbohumormixer verquirlt, bis dass die Auflage schäumt. Mein Favorit, ungelesen: „Ich trink Ouzo, was trinkst Du so“ (diese Gyrosfresser!), jetzt noch getoppt durch den Käskopp-Knaller „Auf Heineken könn wir uns eineken“. Prost, armes Holland – dabei ist das Buch richtig gut.

Falls China irgendwann in dem Programm auftaucht, wie wär‘s dann mit „Ich ess Eisbein, du tlinkst Leiswein“? Mein Vorschlag für Tibet: „Alles in Yak-Butter“. Die Palette ist weltweit noch nicht ausgeschöpft. Zum Beispiel über Abenteuer im Vatikan, frei von Talar und Tabus: „Junge, komm bald wieder“.  Hergehört, Verlage! Es gibt so viele Länder, da geht doch noch was. Die Mongolei, wo es zur guten Sitte gehört, dem Gast nachts eine Frau ins Zelt zu legen? „Als ich in der Jurte schnurrte“. Tantiemen bitte an mich.

Jetzt, wo die Aotearoa-Welle auf die Buchmesse zurollt, fällt mir mein taktischer Fehler auf. Wäre meine Anti-Schafsaga romantischer, könnte sie als „Neuseeland-Roman“ durchgehen und sich wie geschnitten Vampir-Bestseller verkaufen. Der Neuseeland-Roman ist dem heutigen Goretex-Germanen im Wohnmobil, was unseren Großmüttern der Lore-Roman in der Gartenlaube war. Darin geht es meist um Pionierschicksale im Land der langen weißen Wolke. Ein mystischer Maori darf niemals fehlen. Die deutschen Autorinnen haben weltläufige Pseudonyme wie Sarah Lark, Emma Temple oder Julie Peters. Wenn ich endlich richtig schlau bin und der ganze Rummel vorbei, taufe ich mich in Emily Belle um. Mein nächstes Buch nenne ich dann „Heiße Wolle unterm Kreuz des Südens“. Es wird ein genreübergreifender historischer Schaf-Krimi-Porno.

 

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Bayrische Busenschau – Sexismus down under

Manchmal ist wirklich kein Wunder, wenn Deutsches im Ausland klischeebeladen ist. In Sydney verdanken wir einen neuen Schub berechtigten Grusels einer bayrischen Biermarke, die mit prallen Brüsten zum Bierkonsum lockt. von jeder zweiten Litfassäule grinsen einem die Dirndl-Inhalte entgegen. Auf vielen Plakaten hat das Mädchen nicht mal mehr einen ganzen Kopf – Wozu auch, hat ja ordentlich was in der Bluse… Das Wort sexistisch hab ich seit Jahren nicht mehr benutzt, seit ich eben diese neuen Werbekampagne gesehen habe, geht es mir nicht mehr aus dem Kopf. Was das Laauenbraauuu (so heisst das auf gut australisch) da macht, finde ich leider nix anderes als hochgradig sexistisch.  Wahrscheinlich stösst es mir u.a. deshalb besonders auf, weil ich weiss, dass die Mädels die in deren Biercafé in Bondi arbeiten, die obersten Knöpfe der Blusen aufhaben müssen (kein Quatsch, hat mir eine Kellnerin bestätigt). Wer das nicht wolle meinte sie nur achselzuckend, müsse ja nicht da jobben. Tut mir leid, aber Ich find’s eklig. Ihr Bier können sich Löwenbräus sowieso sonstwohin stecken. Aber dafür, dass zu Deutschland in meiner derzeitigen Wahlheimat jetzt wieder allen spontan die Assoziationskette: “Bier, Bayrisch, ordinär plus  sexistisch” einfällt, kann sich jeder an diesem Weltende bei den eigenen Landsleuten bedanken: genauer bei den geschmackbefreiten Bierfritzen und ihrer eindimensionalen Werbeagentur. Brrrrrr.  Thankyouverymuch indeed.

 

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Große Politik aus der Provinz

Einer zog aus, um die Welt zu verändern – und die Welt hilft ihm dabei: Die Geschichte des Joko Widodo, genannt Jokowi, klingt tatsächlich ein bisschen wie im Märchen. Als Möbelhändler kandidierte der heute 51-Jährige in seiner zentraljavanischen Heimatstadt Surakarta 2005 für den Bürgermeisterposten und wurde trotz aller Zweifel an seinen politischen Fähigkeiten gewählt. Die Zweifler verstummten bald: Der Forstingenieur erregte national wie international Aufmerksamkeit für seine volksnahe Politik und die unkonventionellen Methoden, mit denen er gegen korrupte Bürokraten, Umweltverschmutzung und soziale Ungerechtigkeit in seiner Stadt vorging – nicht gerade eine Selbstverständlichkeit in Indonesien. Nach fünf Jahren im Amt wurde Jokowi mit überwältigender Mehrheit wiedergewählt. Allerdings nicht für lange: Auf der Suche nach Kandidaten für die Gouverneurswahl in der problembeladenen Landeshauptstadt Jakarta richteten sich die Augen schnell auf den Politaufsteiger aus der Provinz. Er ließ sich überzeugen, kandidierte und gewann: Statt Batik oder Anzug in ein schlichtes kariertes Hemd gekleidet – sein zum Kult gewordenen Markenzeichen – gewann der Außenseiter am 20. September 2012 in sämtlichen Wahlbezirken der Zwölfmillionenstadt gegen den als arrogant und korrupt geltenden, amtierenden Gouverneur. Nur die vorgelagerten Inseln blieben ihrem alten Regenten treu. Auf die Frage, ob sie wirklich glauben, dass Jokowi Jakartas scheinbar unlösbare Probleme wie Verkehrskollaps, Überflutungen und Armut in den Griff bekommen könne, antworten die meisten Wähler: keine Ahnung, ob er sich gegen das bestehende System durchsetzen könne oder darin untergehen werde. Aber wenn es einer schaffen könne, dann er. Das Wichtigste sei die Hoffnung auf eine radikale Veränderung. Und die Bewohner von Surakarta? Anstatt ihrem scheidenden Bürgermeister den Umzug in die Hauptstadt übel zu nehmen, feiern sie ihn – in der Hoffnung, dass er sie irgendwann als Präsident Indonesiens vertreten werde.

 

 

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Glück am Washington Square

Heute, in Manhattan, beim Überqueren des Washington Square. Manchmal hasse ich diese Stadt – aber in solchen Momenten liebe ich sie.

Fotos: Christine Mattauch

 

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Hänsel, Gretel und Venus

An Zufälle glaube ich nicht mehr, denn ich lebe in einem spirituell unterwanderten Land. In Aotearoa steht alles in einem kosmischen Zusammenhang. Matariki heißt unser Neujahr in der Jahresmitte – statt durch Böller eingeleitet durch die Plejaden am Firmament. Nicht nur das schnöde Weltliche zählt. Das liegt an der Maori-Mythologie und an der sauberen Luft, denn unser Sternenhimmel wird nicht durch Raffinerieschwaden vernebelt wie in der Kulturbegegnungsstätte Baku. Tief einatmen und Blick nach oben!

Kein Wunder – oder Zufall – also, dass das Goethe-Institut drei deutsche Lyriker nach Neuseeland verschiffte, die sich dort den ‚Transit der Venus‘ anschauen sollten. Nur auf der Südhalbkugel war zu sehen, wie der Planet im Halbkreis vor der Sonne wanderte. Das kommt nur rund alle hundert Jahre vor. Eigentlich konnten Uwe Kolbe, Brigitte Oleschinski und Ulrike Almut Sandig durch ihre dunklen Solarbrillen am 6. Juni nicht viel erkennen. Und dann war es auch noch meist bewölkt in Tolaga Bay, wo sich das Sternenguckerspektakel abspielte.

Umso beeindruckender aber, erfuhr man unisono von den Berliner Abgesandten, sei der Erstkontakt mit den Eingeborenen gewesen. Die Venus-Festivitäten in Tolaga Bay, wo einst Südseeentdecker Captain James Cook anlegte, wurden vom dortigen Maori-Stamm ausgerichtet. Sie stellten jede indische Großhochzeit an Herz, Tanz und Trubel in den Schatten.

Die drei Deutschen müssen nun zusammen mit ihren neuseeländischen Pendants eine transpazifische Himmelsbrücke bauen. Nächsten Monat werden die Verse in der Literaturwerktstatt Berlin geschmiedet und auf Überseequalität getestet. Das Finale wird in Frankfurt auf der Buchmesse präsentiert. Kein leichter Auftrag: kosmische Inspiriation auf Kommando. Das wurde in Wellington deutlich, wo das multikulturelle Sextett das Ergebnis seines ersten Workshops in einer Galerie vorstellte. An den Wänden hingen Planeten-Fotos, die Ausstellung hieß ‚Dark Sky‘. Es gab rundum kein Entkommen vor Ranginui, dem Himmelsvater.

Ein Kniff der Dichtkunst wurde mir an dem Abend klar: Man muss nur irgendwie einen Bezug herstellen, dann klappt es mit der Bedeutungsschwangerschaft. Die Einheimischen lagen dabei deutlich vorne. Chris Price erzählte von der Theateraufführung in Tolaga Bay, wo das überdimensionale Bild einer der blauen Glasperlen gezeigt wurde, die einst Captain Cook verteilt hatte. „Wie das Bild der Erde aus dem All“ habe das ausgesehen. Ha! Neuseeland – douze points.

Brigitte Oleschinski hat immerhin einen „Alien“ im Repertoire : So nennt sie den Schutzengel, der über ihrem Kinderbett hing und nun literarisch verarbeitet wird. Wenn den deutschen Dichtern so gar nichts Symbolträchtiges einfällt, hätte ich auch noch was anzubieten. Am gleichen Abend trat in Wellington die martialische Metal-Band ‚Hanzel und Gretyl‘ auf. Deren anglogermanischer Schlachtruf ist „Total shiza!“ (liebe Literaturwerkstatt: keine Übersetzung nötig), und ihr Sound nennt sich „intergalaktisch“. Alles kein Zufall.

 

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Keine Angst vorm Umlaut

Natürlich herrscht Angst und Schrecken in Australiens Magazinwelt, Die Deutschen – Raus Rums Bratwurst – kommen, bzw. sie haben einen Großteil des hiesigen Glanzblattmarktes gekauft. Genauer: der Hamburger Bauer Verlag hat Australian Consolidated Press (ACP) erworben, die die meisten Regalflächen in australischen Kiosken füllen (siehe Ausschnitt). Überschriften üben sich im Umlaut, Reporter fragen, ob Leberwurst wirklich Pflicht in der Kantine wird, diverse andere altbewährte Vorurteile flattern und rauschen im Blätterwald. Ist doch immer schön, wenn ein paar Klischees gelüftet werden. Ich beobachte still, ich hab früher auch mal zwei Jahre bei Bauer gearbeitet und fand es – interessant. Zum Fürchten? Sicher nicht. Sprach-Angst, soviel weiß ich seit heute, muss sich jedenfalls in Australiens Redaktionen nicht breitmachen. Eine Freundin hat eben ein neues Magazin aus Deutschland mitgebracht. Anderer Verlag, aber egal: Es heisst Sofa auf englisch und auf der seltsam geschrumpften Titelseite stehen außer einigen deutschen Zeilen insgesamt 21 Worte in englischer Sprache: Fashion, plus, best, buy, budget, do it yourself, home office, cool, living, fashion, beauty, I my home, trends, runway looks. Kein Quatsch. Relax guys, take it easy! Wenn d a s deutsches Verlagsgut ist, brauchen sich die Kollegen von ACP wirklich nicht groß umzustellen.

 

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DDR-Sexualkunde im L.A.-Wende Museum

Ein wenig seltsam war mir schon zu Mute als ich mit Justin Jampol, Direktor des Wende Museums, auf den Computerbildschirm starrte, wo sich ein nacktes Paar begleitet von erotischer Musik sinnlich abtastete, näher und näher kam. Der Historiker hatte mir begeistert von Filmen aus der DDR erzählt, die sein Museum dank einer Finanzspritze des Institutes of Museum and Library nun katalogisieren, digitalisieren und im Internet veröffentlichen kann. Er führte mich in die Lagerhalle seines Museums, in dem über 70 tausend Gegenstände und Zeugnissen aus dem ehemaligen Ostblock lagern und schaltete den Computer ein. Die lasziven Szenen auf dem Bildschirm sind das Intro eines Films über Aids aus dem Jahr 1989, produziert im Auftrag des Hygienemuseums von Dresden. Bevor es peinlich werden konnte, kam zum Glück ein Filmschnitt: in einen Tanzclub zur Umfrage über Aids – was wissen die Clubgänger, benutzen sie Kondome, gehen sie fremd, denken sie nach über den Virus? “Das meine ich!” rief Jampol. “Das ist doch unglaublich! Während wir in den USA heute noch diskutieren, ob Sexualkunde in Klassenzimmer gehört, gab es in der DDR vor über zwanzig Jahren schon diese Aufklärungsfilme! Das müssen die Leute doch wissen: der Staat war politisch repressiv aber auf anderen Ebenen sehr progressiv!”

Dieser Film gehört zur audiovisuellen Sammlung des Wende Museums mit über 6500 Filmen, zehn tausend Dias und Höraufnahmen. Sie wiederum ist nur ein kleiner Teil des Archivs, in dem Wissenschaftler, Studenten, Küntler und andere Besucher Zeugnisse der Alltagskultur wie Teegeschirr, Kinderspielzeug, Speisekarten und Sportklamotten genauso wie Propagandamaterial, Lenin-Büsten, Straßenschilder, Flaggen, Uniformen, Handwerkszeug der Spione und Brigadebücher finden.

Jampol hat das Museum vor zehn Jahren gegründet. Der in Los Angeles geborene Historiker studierte in Oxford als er bei Besuchen in Berlin mit wachsendem Entsetzen beobachtete, wie Dokumente, Gegenstände und andere Zeugnisse des Kalten Krieges zerstört, weggeworfen oder verramscht wurden. Für den Historiker können Alltagsgegenstände genausoviel Geschichte vermitteln wie Statistiken und Jahreszahlen. Also begann Jmpol zu sammeln. Seine Sammlung wurde bald zu groß für seine Wohnung, Garagen, Speicher und Container von Familie und Freunden. Kein deutsches Museum interessierte sich für die Kollektion, also wandte er sich an Freunde, ehemalige Lehrer und Professoren in Los Angeles. Dort stieß er auf großes Interesse, fand einen Raum für seine Sammlung und die Finanzierung für ihren Transport nach Kalifornien.

Zuerst schien es eine Notlösung zu sein, so weit entfernt vom ursprünglichen Geschehen das Wende Museum zu eröffnen. Die Distanz zum ehemaligen Ostblock erweist sich aber inzwischen als perfekte Grundlage für Forschung unabhängig von aktuellen Diskussionen um Ost und West. Manche Spender überlassen ihre Materialien interessanterweise außerdem lieber einer Institution in den USA als Museen in Europa. Deshalb wächst der Bestand des Wende Museums weiterhin an. Justin Jampol hat inzwischen mehr mit Verwaltung und Leitung des Museums zu tun als mit den Gegenständen im Archiv. Seine Mitarbeiter wissen aber – wenn wieder neue Spenden oder Ankäufe aus dem Osten Europas ankommen, müssen sie dem Historiker Bescheid sagen. Er ist heute noch genauso neugierig, was in den  Kisten steckt wie vor fünfzehn Jahren bei seinen Schatzsuchen in und um Berlin.

 

 

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Die verflixten Monate auf -ber

  1. Als ich vor einigen Tagen die Titelseite des „Philippine Star“ aufschlug, ist mir fast die Espressotasse aus der Hand gefallen. Das Riesenfoto am Kopf der Seite zeigte eine Verkäuferin, die seelig lächelnd ein Schaufenster dekoriert – mit Weihnachtsschmuck. Kurz hatte ich die Hoffnung, im Coffeeshop ein uraltes Zeitungsexemplar erwischt zu haben…aber nee, das Datum stimmte, 2. September. Genau, Septem-ber. Ein Monat, der auf –ber endet, genau wie der Okto-ber, der Novem-ber und der Dezem-ber. Und mit dem erster –ber-Monat beginnt auf den christlichen Philippinen offiziell der fast viermonatige Weihnachts-Wahnsinn. Das Tropenländle verwandelt sich dann in ein künstliches Winter Wonderland, in den Shopping Malls stehen Einheimische mit staunendem Blick vor echten Lebkuchenhäusern oder brummenden Eisbär-Attrapen.

Meine Taktik ist seit Jahren unverändert: mit grimmiger Sturheit versuche ich zu ignorieren, dass ich in Manila, der selbsternannten Christmas Capitol lebe. Für mich beginnt die Weihnachtszeit am 1. Advent und damit Basta. Aber so einfach ist das gar nicht mit dem Ignorieren.

Vorgestern lag eine Einladung im Briefkasten – zum Christmas Bazaar am 28. September! Und wetten, dass dieser erste große Weihnachtsmarkt der Saison aus allen Nähten platzen wird? Das größte Christenfest ist auf den streng katholischen Philippinen in erster Linie eine Schlacht um die meisten, besten, buntesten Gaben. Kollegen, Lehrer, Klassenkameraden, Nachbarn, die Leutchen vom Sportstudio, der Wasserlieferant, der Postbote, und was weiß ich noch wer alles müssen mit etwas beglückt werden. Was, ist egal. Nur vergessen sollte man es nicht, sonst braucht die Post noch länger als sonst und die Wasserlieferung wird leider ab und zu vergessen. Ich bin noch fein raus, unser Empfängerkreis ist immerhin überschaubar. Ich kenne aber einheimische Familien, die müssen gleich mal ein paar hundert Geschenke auftreiben. Von Vorfreude aufs Fest keine Spur, Christmas Shopping ist eine gesellschaftliche Verpflichtung und Stress ohne Ende.

Ehrlich gesagt, hab‘ ich mich schon bei dem Gedanken ertappt, zu diesem Weihnachtsmarkt am 28. September zu gehen. Dann hätt‘ ich den lästigen Teil abgehakt und könnte bis zum 1. Advent wieder auf ignorante Ausländerin umstellen. Nun müsste ich nur noch meiner in Manila geborenen Jüngsten beibringen, dass die Mami beim Autofahren momentan noch nicht so gerne Jingle Bells hört…

 

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Keine Knete im Kindergarten

Es gibt Momente, da bin ich stolz, Neuseeländerin zu sein. Doch, das kann ich tief aus patriotisch geschwellter Kiwi-Brust sagen. Klingt auch gar nicht rechts, ganz im Gegenteil. Denn meine kleine, feine Zweitnation beweist mir immer wieder, wie ernst sie es mit dem Schutz ihrer indigenen Minderheit nimmt. Dafür liebe ich sie. Dafür bringe ich auch Opfer. Ich spiele fortan nicht mehr mit Knete.

Eine kurze Einführung für die ethnisch unterentwickelten Europäer: Bikultur ist in Aotearoa kein leeres Wort, sondern täglich gelebte Praxis. Öffentliche Gebäude sind zweisprachig beschildert und selbst hohe Politiker beherrschen komplizierte Begrüßungszeremonien aus Kriegerzeiten. Dank des historischen Vertrags von Waitangi, der die Rechte der Ureinwohner gegenüber der britischen Kolonialmacht sicherte, wird das Kulturgut der Maori bis heute bewahrt und geschützt.

Das heißt, dass keine Schnellstraße gebaut werden darf, wo vielleicht ein Naturgeist namens Taniwha sein Zuhause hat. Und wer gerade menstruiert, besichtigt lieber nicht die heiligen Schnitzereien im hochmodernen Museum ‚Te Papa‘ in Wellington. Blutende Frauen verletzen dort ein altes polynesisches Tabu. Da müssen Feministinnen halt mal zugunsten heherer Werte zurückstecken, so wie ihre beschnittenen Schwestern in Somalia. Frau kann ja draußen bleiben und auf die Wechseljahre warten.

Konsequent pflanzt sich dieser Respekt vor den Sitten und Bräuchen einer Stammeskultur bis ins kleinste Glied fort. Nämlich bis in die Kindergärten. Dort hängt nicht nur der Vertrag von Waitangi als Kopie an der Wand. In den meisten öffentlichen Krabbelstuben wird verstärkt darauf geachtet, keine Nahrungsmittel zweckzuentfremden. Halsketten aus aufgefädelten trockenen Makkaroni oder bunte Bilder aus Kartoffeldruck sind Relikte der dunklen, kolonialistischen Vergangenheit – Ausdruck von bikultureller Unsensibilität und so verpönt wie in Ankara ein Schweineschnitzel zu Ramadan.

Die Mahnung „Mit Essen spielt man nicht“ hat auch so mancher noch lebende Germane in die Wiege gelegt bekommen und sie sich dorthin gesteckt, wo Elternsprüche hingehören. In Aotearoa jedoch wird sie zum politischen korrekten Dogma. Denn der Respekt vor allem Verzehbaren hat Maori-Tradition. Was bedeutet, dass auch selbstgemachtes Knetgummi auf dem Index steht: Es wird aus Mehl, Lebensmittelfarbe, Weinstein und Wasser gemixt. Jedes Kind kennt das Rezept für „playdough“ – nicht wissend, dass „Spielteig“ an sich schon ein Unwort ist. Ein kultureller Affront.

Das bekam Amy Clark von „My Child New Zealand“ zu spüren. Auf ihrer Webseite über Frühkinderziehung demonstrierte sie anschaulich, wie sich mit einem fransigen Selleriestengel eine Rose malen lässt. Sehr hübsch, aber leider voll daneben. Womöglich rassistisch. Damit begann die Debatte, die sich gerade durch alle Kindergärten zieht. Meine Kinder gehen längst zur Schule, daher streite ich nicht mit. Aber zum Abendessen setze ich ihnen eine schön geformte Mahlzeit aus bunter Knete vor. Respekt muss sein.

 

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Tipps für ein glücklicheres Fahren

Bangkoks Verkehrschaos ist legendär. Fast den ganzen Tag über steht man hier beinahe überall im Stau. Wenn sich der Verkehr einmal lichtet, versuchen viele Fahrer, die verlorene Zeit wieder wettzumachen und rasen im Zickzackkurs über die holprigen Straßen. Die Folge: Unzählige Unfälle und Streitereien, die häufig gewaltsam ausgetragen werden.

Das hat Weerawit Wajjanapukka von der Verkehrspolizei dazu veranlasst, Bangkoks Autofahrern ins Gewissen zu reden. In der Tageszeitung Bangkok Post schreibt er unter der Überschrift “Acht Tipps für ein glücklicheres Autofahren” unter anderem:

“Lichthupen können dazu führen, erschossen zu werden.” Immer wieder rasteten Autofahrer aus, wenn man ihnen Lichthupen gibt. Als Beispiel nennt er einen Vorfall, bei dem ein junger Thai einen Armeeoffizier erschossen hat, weil dieser ihm wiederholt Lichthupen gegeben hat.

“Jemand zu schneiden verkürzt das Leben.” Autofahrer ärgerten sich über rasche Spurwechsel anderer Autofahrer und versuchten, diese dann zu überholen, um es ihnen heimzuzahlen, schreibt Weerawit. Das könne zu Unfällen und Prügeleien führen.

“Ärgeren sie Motorradgangs nicht, wenn sie ihnen im Weg stehen.” Vor allem nachts treffen sich häufig Jugendliche mit ihren frisierten Mopeds auf Hauptverkehrsstraßen und fahren Rennen gegeneinander. Der Rat des Verkehrspolizisten: “Schreien sie die nicht an, sie könnten verprügelt werden.”

“Xenon-Scheinwerfer sind nicht cool, sie können dazu führen, dass sie verprügeln werden.” Dieser Hinweis ähnelt dem ersten Tipp. Autofahrer könnten sich durch die sehr hellen Scheinwerfer dazu veranlasst fühlen, gewalttätig zu werden.

“Reißen sie sich zusammen.” Autofahrer sollten im Straßenverkehr einen kühlen Kopf bewahren und höflich bleiben. Ansonsten könne es zu Schlägereien oder Morden kommen.

Na dann, gute Fahrt!

 

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Zurück zur Monarchie

Bedienstete am Sultanspalast

Die indonesische Stadt Yogyakarta gilt als Zentrum der freien Künste und der modernen Erziehung, als globaler Schmelztiegel verschiedenster indonesischer und internationaler Kulturen. Die Sultansstadt war außerdem ein entscheidender Schauplatz des Unabhängigkeitskriegs gegen die Holländer und vorübergehend Hauptstadt der jungen Republik Indonesien.
Und nun das: Die Bevölkerung hat den Weg zurück zur Monarchie gewählt. Nach jahrelangem Ringen mit dem indonesischen Nationalparlament in Jakarta hat die Stadtprovinz einen Sonderautonomiestatus zugebilligt bekommen, der den amtierenden Sultan automatisch als Gouverneur vorsieht. Der größte Teil der Einwohner steht hinter der Entscheidung, die der Sultansfamilie weitgehende Bestimmungsrechte über öffentliche Gelder und Ländereien verschafft. Offensichtlich ist das Vertrauen in den alternden Monarchen größer als in die von Korruption und Chaos geprägte demokratische Regierung in Jakarta.
Ein Problem allerdings regelt das neue Autonomiegesetz nicht: die Nachfolge. Die fünf Töchter des 66-jährigen Sultans Hamengkubuwono X sind nicht zur Thronfolge berechtigt.

 

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Raubkopien als Statussymbol

Spanien ist das Paradies für Schnäppchenjäger. Nein, nicht etwa weil die Preise in den Geschäften günstiger wären als in Deutschland. Die Spanier kaufen gerne Raubkopien. Egal ob CDs, DVDs oder Modeaccessoires, alles lässt sich bei Straßenhändlern finden. Spanien ist westeuropäischer Marktführer, wenn es um Produktpiraterie geht.

Top Manta – Deckenhitparade – nennt der Volksmund das illegale Geschäft mit der Musik: 25 Prozent aller in Spanien verkaufter Platten gehen nicht über den Ladentisch, sondern werden von einer auf der Straße ausgebreiteten Decke aus verkauft. Sie stammen aus den illegalen Kopierwerken asiatischer Mafiosi in irgendeiner Altbauwohnung. Für einen Euro pro Stück gehen die CDs meist an Immigranten. Diese verkaufen sie dann für 1,50 bis 2 Euro weiter, ständig auf der Hut vor der Polizei.

Bei den DVDs sieht es nicht anders aus. Keine Kneipe, keine Fußgängerzone, durch die die Verkäufer von raubkopierten Kinohits nicht kommen. Anders als ihre Kollegen aus der Musikbranche sprechen sie ihre Kunden meist direkt an. Für 2,50 Euro gibt es selbst allerneueste Filme. Sie werden einfach im Kino von der Leinwand abgefilmt.

Geistiges Eigentum? Da lachen die Konsumenten. “Top Manta ist billig – legal kaufen teuer”, bekommt zu hören, wer die Rechte der Künstler verteidigt. Mit der illegalen CD oder DVD unterm Arm wird dann der nächste Longdrink geschlürft. Acht Euro, 10 Euro – hier wird nicht auf den Cent geschaut.

So mancher Konsument von Raubkopien fühlt sich gar als Gutmensch. “Die armen Immigranten müssen ja auch von was leben”, lautet ihr Argument. Dass mittlerweile im ganzen Land rund 100 Plattengeschäfte für immer geschlossen haben, große Plattenfirmen die Belegschaft reduzieren und so manche Band ganz aufgehört hat, Platten einzuspielen, wird dabei übersehen.

Doch nicht nur bei der Unterhaltung greifen immer mehr Spanier gern zur billigen Kopie. Auch Parfums und Modeaccessoires lassen sich auf vielbesuchten Plätzen und Straßen finden. Die Duftwässerchen in täuschend echter Markenverpackung finden vor allem vor Weihnachten großen Absatz. Zehn Euro kostet die Flasche. Meist kommt die Ware aus Marokko. Wer zum falschen Duft einen falschen Kaschmirschal einer bekannten britischen Marke will, findet ihn ein paar Meter weiter, täuschend echt, solange er keine Anfassprobe bestehen muss. Das Gleiche gilt für Handtaschen, Uhren und sonstige Statussymbole.

Wer glaubt, nur der Normalverbraucher kauft Kopiertes, irrt. In den noblen Villenvierteln vor den Toren Madrids halten Hausfrauen Treffen ab. Ähnlich wie bei Tupperpartys werden hierbei Kopien von Markenartikeln angeboten. Die Qualität der Fälschung ist natürlich besser als in der City – und etwas teurer. Sozialer Status verpflichtet selbst bei Piraterie. Aber die Ware ist immer noch ein Schnäppchen, verglichen mit dem Original.

Immer öfter können auch Ladenbesitzer der Versuchung der Raubkopien nicht widerstehen. Einer davon war ausgerechnet der Inhaber des Herrenbekleidungsgeschäfts, das die Zivilbeamten der Madrider Gemeindepolizei einkleidet. Seine Levis kamen aus Kopierwerkstätten in Fernost und lagen zum Originalpreis im Regal. Das Geschäft florierte. Doch was der schlaue Geschäftsmann nicht bedachte: Auch die Gemeindepolizei hat Spezialisten für den Kampf gegen Markenpiraterie. Einer von ihnen staunte nicht schlecht, als er eine Levis anprobierte. Der Betrug flog auf. Künftig wird die Polizei wohl anderswo einkaufen müssen.

 

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Deutsches Erbe

Viele Amerikaner haben deutsche Vorfahren: Über 20 Millionen Haushalte gaben bei der letzten Volkszählung an, deutsche Wurzeln zu haben. Im Alltag ist von diesem Erbe wenig zu spüren, sieht man einmal von den zahlreichen, oft grotesk klischeehaften “Oktoberfests” ab, die durchaus auch außerhalb des Oktober veranstaltet werden. Doch die Namen haben sich erhalten. Die Sprechstundenhilfe unseres Zahnarztes etwa heißt mit Nachnamen “Wolke” (wir brachten ihr aus Deutschland Reinhards Meys Hit “Über den Wolken” mit). Ein besonders schönes Beispiel begegnete uns vor drei Wochen am Keuka-Lake im Staat New York:

Ich machte das Foto nur kurz im Vorbeifahren. Hinterher dachte ich, dass wir doch in den Laden hätten reingehen sollen. Denn es hätte mich schon interessieren, wie die Amerikaner das aussprechen: “Knäpp änd Schläppi”?

Foto: Christine Mattauch

 

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Rechtschreibnazis

Als Deutsche tue ich mich in meiner neuen Heimat oft schwer. Was vielleicht auch daran liegt, dass ich mich so oft an schlechter Rechtschreibung störe. Die gehört in diesen Breitengraden zum öffentlichen Erscheinungsbild wie Flip-Flops mit Socken im Winter. Was in meinen Augen ein krasses orthographisches Vergehen ist, sehen die meisten Kiwis jedoch als Kavaliersdelikt: Who (oder hoo) cares?  Dank dieser laxen Haltung wimmelt es mich herum nur so von falschen Apostrophen, von „your“ statt „you’re“. Damit muss ich leben. Assimiliation nennt man das. 

In der Schul-Cafeteria habe ich mich bereits unbeliebt gemacht. Wochenlang las ich auf dem Lunch-Bestellzettel meines Sohnes, dass es „Squizzeed Orange Juice“ zu kaufen gäbe, obwohl der gepresste Saft doch laut Wörterbuch „squeezed“ heißen sollte. Irgenwann zuckte es mir in den Fingern. Ich strich das falsche Wort durch und schrieb das neue darüber. Prompt kam eine Antwort der Küchenkraft, was meinem Sohn besonders peinlich war: „Squizzeed“ sei der Markenname. Der Saft ist nämlich gar nicht gepresst. Reingefallen, Besserwisserin!

Immerhin habe ich mich letztens zurückgehalten, als ich ein Auto den beeindruckensten Aufkleber spazierenfahren sah, der mir je in Aotearoa unterkam. I love Mell’s titty’s. Das Herz-Symbol, das für das Wort „love“ stand, sah korrekt aus, auch am„I“ gab’s nichts zu meckern, aber ab dann muss der Verehrer der offensichtlich mit Doppel-L gesegneten Mellanie ins Schleudern gekommen sein. Den sicher bewundernswerten „titties“ tut das keinen Abbruch. Der Außenwirkung des Autofahrers jedoch schon.

Ich bin dankbar, dass ich mit meiner Fixierung auf das falsch geschriebene Wort nicht alleine dastehe. Autor Jon Bridges hat sich unter dem Pseudonym ‚spellnazi‘ bei TradeMe angemeldet, was unser Ebay ist, und jede Online-Versteigerung nach Rechtschreibfehlern durchkämmt.  Wann immer etwas nicht stimmte, schickte er dem Anbieter eine nette Nachricht und lieferte die Korrektur gleich mit: „Hi. Nur ein paar Fehler in Ihrer Beschreibung, aber sonst alles gut. Sie haben ‚riffle‘ statt ‚rifle‘ geschrieben und ‚orsome‘ statt ‚awesome‘. Viel Glück mit der Auktion. Sieht nach einem schönen Gewehr aus.“

Das Feedback war gemischt. Die Beschimpfungen, die Bridges sich einhandelte, waren nicht ohne, und auch nicht ohne Fehler. Seine private Erhebung ergab ein erschreckendes Bild: Die Worte, an denen fast die Hälfte der Kiwis bei TradeMe orthographisch scheiterten – wie „definately“ statt „definitely“ oder „recieve“ statt „receive“ – bekommen in den USA, England und selbst im angeblich so barbarisch unkultivierten Australien über 80 Prozent der Online-Anbieter problemlos hin.

Am Ende startete der Rechtschreibnazi seine eigene Auktion. Er bot ein fast unbenutztes Apostroph an (schwarz, 12 Punkt, Times New Roman). Es ging für hundert Dollar an einen Joe aus Whakatane. Vielleicht liebt auch der ein paar Brüste, die mit einem falschen Apostroph mehr erst richtig zu Ehren kommen.

 

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“Canicule” auf dem Dorf

Der Aufmacher der Abendnachrichten im französischen Fernsehen ist seit Tagen „la canicule“ – die Hitzewelle. Sie ist selbst in den „Kleinen Pyrenäen“ – einem Vorgebirge der richtigen Pyrenäen – kaum zu ertragen. Nicht einmal die Vögel singen mehr tagsüber. Nur die Eidechsen sonnen sich noch auf heißen Steinen. Die Menschen hingegen haben sich in ihre Häuser zurückgezogen, Türen und Fenster fest verschlossen, auf der Südseite sogar die hölzernen Fensterläden. Die etwa 60 Zentimeter dicken Wände der alten Steinhäuser sorgen dafür, dass es drinnen mit 23 Grad noch angenehm kühl bleibt. Um die 38 Grad selbst auf 4 – 500 Metern Höhe sind draußen keine Seltenheit. Da kommt dann wirklich jegliche Aktivität zum Erliegen. Das will was heißen, wo doch im Hochsommer ohnehin das sprichwörtliche Schneckentempo, in dem die Dinge hier normalerweise vor sich gehen, bis zu einem Punkt reduziert wird, an dem für Außenstehende Bewegung eigentlich gar nicht mehr erkennbar ist.

So wurde beispielsweise das Tempo des Verlegens neuer Wasserrohre im Unterdorf von Belloc Anfang August einen Gang runter geschaltet. Das bedeutet, die Baugruben am Rande der Straße sind weiterhin offen und mit Warnschildern markiert, die neuen Wasserrohre liegen Krokodilen auf der Lauer gleich, erwartungsvoll in den benachbarten Feldern, aber die Bauarbeiter des „Syndicat des Eaux“ wurden seither nicht mehr gesehen. Ich bin sicher, hinter den Kulissen gibt es noch großartige Pläne und sehr viel guten Willen. Auch wenn sich die Mitarbeiter der lokalen Wasserbehörde in ihrem wohlverdienten Urlaub befinden sollten, denken sie sicher manches Mal wehmütig an die offenen Erdgruben in Belloc. Insofern ist das Projekt nicht tot. Aber erkennbar passiert gerade sehr wenig. Bis gar nichts. Doch regt sich auch kein Protest in Belloc angesichts des unvollendeten Werks. Die Zuversicht ist groß, dass die Arbeit irgendwann wieder aufgenommen wird und wir dann endlich neue Wasserrohre bekommen, so dass die leidigen und häufigen Rohrbrüche eines schönen Tages ein Ende haben werden.

Diese Hoffnung jedenfalls teilen die Belloquois miteinander, wenn die Zeit des intensiven Austausches kommt. Das ist in diesen Tagen in der Regel zwischen 21 und 23 Uhr. Wenn die Sonne rot hinter den Pyrenäen versinkt und den Himmel in die kitschigsten Farben kleidet, vor dem sich dann nur noch die Berggipfel dunkel abheben. Wenn die Bäume und Felder tief durchatmen, die Kühe und Schafe die Energie zum Grasfressen wiederentdecken. Wenn die Vögel beginnen zu zwitschern und die Fledermäuse ihren hektischen Abendtanz aufnehmen. Dann kommen die Bürger von Belloc aus ihren Häusern und flanieren auf der einzigen einspurigen Straße, die durch das Dorf führt vom Unterdorf ins Oberdorf und umgekehrt. Denn die lockere Ansammlung von Häusern dieses „Lieu dit Belloc“ (wörtlich übersetzt heißt das so viel wie „der Ort, den man Belloc nennt” und bezeichnet in Frankreich einen Weiler) zieht sich über gut 2 Kilometer Länge, auch wenn hier statistisch gesehen nur 36 Leute permanent leben.

Wir reihen uns ein in diese lockere Abfolge langsam vorwärts strebender Gestalten, die immer wieder zu einem Schwätzchen im Halbdunkel stehen bleiben. Marion kommt uns mit ihrem Enkel aus Toulouse auf dem Fahrrad entgegen. „Den Jungen muss man ein wenig trainieren“, sagt sie lachend. „In Toulouse gibt es ja keine Berge.“ Im Trainingscamp bei der Oma. Als Belohnung wird der kleine Marc ausgezeichnet bekocht. Denn die Oma pflegt nicht nur einen beeindruckenden Gemüsegarten, sie stellt auch ihre Rezepte ins Internet. Traditionelle regionale Küche, häufig mit raffiniertem armenischen Akzent, denn Marion hat armenische Wurzeln. Ein Familienprojekt, erläutert sie, „Ich serviere das Gericht schön dekoriert auf dem Tisch. Aber mein Mann darf erst essen, nachdem er es fotografiert hat und verspricht, das Bild hinterher ins Netz zu stellen.“ Emanzipation auf Belloquois. Marion grinst. „Ich sollte wohl lernen, das selber zu tun, um unabhängiger zu sein. Kann eigentlich so schwer nicht sein, oder?“

Inzwischen sind Marianne und Jean zu uns gestoßen. Jean trägt einen abgegriffenen, hölzernen Wanderstock in der Hand, auf den er sich stützt. Nicht weil er besonders gebrechlich wäre, mehr aus Gewohnheit. Die beiden ausgesprochen fitten Rentner machen sich fast jeden Abend auf den Weg zu einer verwitterten Holzbank unter einem alten Baum im Oberdorf, dem Treffpunkt einer Gruppe Alteingesessener. Doch heute sind sie ziellos. Denn den Kontakt mit den Freunden aus Haut-Belloc scheuen sie in diesen Tagen. „Einige haben Flöhe als Andenken von einer Reise zu Verwandten am Mittelmeer mitgebracht. Die sollen sie mal schön für sich behalten“, sagt Jean. Die Flohbank wird seither gemieden.

Früher gehörten Flöhe zum Alltag in Belloc. Die Tierzucht habe das mit sich gebracht und überhaupt seien die hygienischen Verhältnisse nicht vergleichbar gewesen. Wir lernen, dass es Flöhe gibt, die auf Tiere und Menschen spezialisiert sind, aber auch solche, die sich im Parkett und in den Dachstühlen einnisten. Letztere sind angeblich die harmlosesten. Wie beruhigend.

Nach einigen netten Flohgeschichten aus der guten alten Zeit wechselt das Gespräch nahtlos zu einem bedeutenderen, aktuellen Problem: den Aoȗtats. Zu deutsch: Herbstgrasmilben. Dazu kann jeder eine Geschichte beitragen, denn mit denen haben hier im Spätsommer alle zu kämpfen. Die gemeinen, winzigen Aoȗtats sitzen im feuchten Gras und warten nur darauf, dass ein Tier oder ein Mensch mit nackten Beinen vorbeikommt, um sich auf deren Haut vorübergehend einzunisten. Es sind die  Larven, die sich in die Haut reinbeissen und von ihr ernähren, bis sie nach einigen Tagen wieder abfallen. Und das juckt wie verrückt. Was tun? Marianne, eine ehemalige Apothekerin, winkt ab: „All die tollen Salben, die man in der Pharmacie bekommt, nutzen nicht viel. Das ist Unsinn.“ Man müsse sich einfach beherrschen und sich die Haut nicht auch noch aufkratzen. Voilà. Erstaunliche Worte. Wo die Franzosen doch bekanntlich für alles und jedes in die Pharmacie pilgern, um ein kleines Mittelchen zu erstehen, das ihre Beschwerden lindern könnte. Ich kenne kaum ein Land, das eine ähnliche Apothekendichte aufweist wie Frankreich. Aber das ist ein anderes Thema.

Denn nun kommt mein großer Auftritt an diesem Abend: „Geschwefelte Seife hilf”, werfe ich ein. “Schreckt die Milben ab, lindert aber auch den Juckreiz.“ Von diesem Hausmittel haben die Belloquois noch nicht gehört. Sie sind beeindruckt. Dass ausgerechnet eine Deutsche mit diesem Tipp aufwarten kann! Ich verschweige nicht, dass dieser Hinweis von einer französischen Freundin aus dem Béarn, weiter westlich in den Pyrenäen, stammt. Ein Hauch von Erleichterung huscht über die Gesichter: Na dann wird es wahrscheinlich stimmen! Da ich nun schon mal das Wort ergriffen habe, nutze ich die Gelegenheit, mich nach dem Schicksal der neuen Wasserrohre für Belloc zu erkundigen. Denn diese abendlichen Spaziergänge sind eine wichtige Informationsbörse. „Keine Sorge“, beruhigt mich Jean. „Zu gegebener Zeit kommen die Wasserarbeiter sicher wieder und setzen ihre Arbeit fort. Im Augenblick ist es doch ohnehin für alles zu heiß!“ Das leuchtet natürlich ein.

 

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Warnung mit Stachel, geschenkt!

Für Hobby-Linguisten auf Reisen immer unterhaltsam: wenn sich der ländliche Australier international gibt. Meist sind es Warnschilder rund ums Thema Krokodil, die die Fantasie in Schwung bringen. In diesem Fall (im Ort Agnes Water in Queensland) ging’s um bissige Quallentiere. Ich stell mir dann gern vor, wie eifrige Gemeindemitarbeiter über babelfish brüten und derlei herrliche Wortsalate zusammen rühren. Es ist rührend, zugleich irgendwie schade, dass ihnen die humorige Seite der interessanten Sprachschöpfungen komplett verborgen bleibt.

 

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Agit Prop auf Spanisch

Mit leerem Einkaufswagen in den Supermarkt rein, den Karren mit Nudeln, Reis, Bohnen, Speiseöl vollgepackt, und dann wieder raus – ohne an der Kasse halt zu machen, versteht sich und natürlich begleitet von diversen Kameras.In den andalusischen Städtchen Ecija und Arcos de la Frontera haben zwei Dutzend Aktivisten im mittelgroßem Stil Nahrungsmittel entwendet, um sie dann an bedürftige Familien bzw. das Rote Kreuz und andere Sozialeinrichtungen zu verteilen. An vorderster Stelle dabei: der Bürgermeister von Marinaleda und Abgeordnete der Linkspartei IU Juan Manuel Sánchez Gordillo.

In einem Land, in dem laut einer Studie der Caritas-Stiftung FOESSA inzwischen 22 Prozent der Familien unterhalb der Armutsgrenze leben, sorgt eine solche Aktion natürlich für Aufsehen: Politiker jeder Couleur fordern strafrechtliche Konsequenzen, die Kommentare in den Internetforen sind überwiegend positiv – und zwar in Medien der Rechten und Linken.

El País sieht eine neue Ära des künstlerischen Protests heraufziehen und verglich die Aktion mit Performances der Flamencogruppe Flo6x8, die flashmobartig Bankfilialen überfallen und dort den Betrieb mit Gesang- und Tanzeinlagen durcheinander wirbeln (zum Beispiel so). Tatsächlich gibt es (nicht erst seit den Protesten der „Empörten“) inzwischen eine ganze Menge Kunstinitiativen, die Gesellschaftskritik mit Revolte-Chic und kunsttheoretisch fundiertem Aktionismus kombinieren, unter anderem das barcelonesische Kollektiv Enmedio (ein Bericht von mir dazu hier).
Doch die Supermarktplünderungen haben eine andere Qualität, finde ich. Die Gewerkschafter haben vor dem Ausflug zum Supermarkt vermutlich keine Kunsttheorie gebüffelt, sondern haben etwas Naheliegendes getan: Natürlich ist im Krisenspanien noch niemand verhungert, aber die Schlangen vor den Suppenküchen haben sich verdoppelt; „Mülltaucher“, die die Tonnen vor den Supermärkten auf Essbares durchsuchen, sind in vielen spanischen Städten ein Alltagsphänomen. Man mag Aktionen wie die Supermarktplünderungen populistisch und politisch kurzatmig finden oder sie auch als organisierten Diebstahl kritisieren, aber das Ganze als Performance abzutun,damit macht man es sich etwas zu einfach…

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