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“Was wollen Sie mit dem Nagel?”

Wenn Sie manchmal denken, keiner Ihrer Freunde, keiner aus der Familie interessiert sich mehr für Ihr Leben, dann buchen Sie einen Flug nach Israel und sagen Sie bei der Passkontrolle, Sie seien Journalist und würden jetzt einige Tage das Land bereisen wollen. Sie können sich sicher sein, man wird sich für Sie interessieren. Und mehr, als Ihnen lieb ist.

Es war in der vergangenen Woche, als ich als Journalist eine kleine Gruppe einer Hilfsorganisation durch Israel begleiten konnte. Ich gebe zu, ich hatte es versäumt, mich zuvor, wie es wohl Journalisten tun müssen, beim israelischen Innenministerium als Journalist anzumelden. Deshalb hatte ich mich auch darauf eingestellt, vielleicht noch ein bisschen genauer erklären zu müssen, warum ich Tel Aviv, Jerusalem, Bethlehem und Ramallah besuchen wollte. Doch ich hatte nicht damit gerechnet, dass sich am Ende der Reise acht junge Sicherheitsleute mit mir beschäftigen würden und mir einer mit Tricks aus der psychologischen Giftküche unterstellen würde, ich wollte eine Waffe mit ins Flugzeug schmuggeln.

Im Flughafenbus hatte ich noch Postkarten geschrieben, die ich noch einwerfen wollte. Habe ja genug Zeit, dachte ich, drei Stunden, das muss selbst für das intensivste Verhör ausreichen. So war ich eher dankbar für die Ablenkung, als eine junge israelische Sicherheitsfrau nach meinem Pass fragte und sich für mich zu interessieren begann, zumal ich soeben gesehen hatte, dass mein Flug auch noch eine Stunde Verspätung haben sollte. Vier Stunden bis zum Flug. Na dann machen wir doch mal diesen besonderen israelischen Sicherheitscheck mit. Habe ja schon viel davon gehört.

Die junge Frau führte mich zu einer Art Tresen, auf die ich mein Gepäck legen sollte. "Die Jacke können Sie ruhig ablegen, das wird dauern", sagte sie. Dann begann sie ihre Fragen, während ein Kollege sie und mich beobachtete. Wo ich denn gewesen sei? Warum ich dort gewesen sei? Wann ich meinen Flug gebucht hätte? Warum ich in Rom arbeitete? Warum ich zu dieser Reise eingeladen worden sei? Warum ich, bevor ich nach Rom ging, in Indien gewesen sei? Fragen über Fragen. Der jungen Dame wurde nicht langweilig, ab und zu besprach sie sich mit dem Sicherheitsmann. Dann ging es wieder los: Warum ich dies? Warum ich das? Und überhaupt. Irgendwann: "It´s okay." Noch zwei Stunden bis zum Flug.

Nix okay. Jetzt wurde mein Gepäck geröngt, in Maschinen, in der ein junger Elefant geröngt werden könnte. Dann wurde ich in in einen besonderen Raum in der Abflughalle gerufen, der aussah wie eine Arztpraxis, alles weiß. Dass ich doch bitte mein Gepäck dorthin legen und alles öffnen solle. Und dass ich mich dort auf den Stuhl hinter dem Vorhang setzen solle. Einen Vorhang weiter saß eine Frau, die befragt wurde und irgendwann zu weinen anfing. Ihre Befragerin darauf, nicht sehr einfühlsam:"Why do you cry?", "Why do you cry?" Sie hörte nicht auf. Na das kann ja heiter werden, dachte ich.

Immer wieder öffnete sich der Vorhang und ein junger Mann kam herein um mir einen – aus meiner Sicht – völlig trivialen Gegenstand zu zeigen: Ein Ladegerät meines Computers. Ein Ladegerät meines Fotoapparates. Ich antwortete geduldig und belustigt. Besonderes Interesse weckten, verständlicherweise, die Visitenkarten von Palästinensern, die ich auf meiner Reise getroffen hatte.

Nach etwa einer Stunde kam dann wohl der Chef, blaues Sacko, zog den Vorhang zu, setzte sich mir gegenüber und sagte mit ernster Miene: "We found something very serious". Ich grinste, und: ob das ein Witz sei; nein, kein Witz. Und Sicherheitsmann machte die Hand auf. Darin: Ein fingerlanger Nagel. Die Spitze flach geschlagen, hinten um 90 Grad gebogen, gerade so, dass man den, meiner Phantasie nach, zwischen die Finger stecken, eine Stewardess bedrohen und ein Flugzeug entführen kann. Ich fragte nochmal: Ein Witz? "No, it´s not a joke". Und dann erlebte ich wirklich fünf sehr sehr unangenehme Minuten, in denen mich der Sicherheitsmann löcherte, was ich mit dem Nagel wolle und woher ich ihn hätte. Ich sagte: Keine Ahnung. Er: Woher hast Du den Nagel? Ich sagte: Keine Ahnung. Er: Woher hast Du den Nagel? Um diesem Auftritt einen Sinn zu geben, dachte ich schon wirklich nach, woher ich den Nagel hätte: Hatte ich diese Jacke mal bei irgendeiner handwerklichen Tätigkeit an? Habe ich sie jemandem geliehen? Mir fiel nichts ein. Aber wenn er sagt, der Nagel war in meiner Jacke, dann muss er doch…kurz bevor ich dachte, nur noch die Deutsche Botschaft könne mich vor zwei Jahren Haft in Israel retten, sagte er. "It´s okay". Und der Mann mit dem blauen Sakko war weg.

Es ging wohl um meine Reaktion. Wer weiß, wievielen Leuten dieser Nagel schon hingehalten wurde. Aber ich hatte wirklich einen kleinen Schock weg: Alleine mit acht Sicherheitsleuten und einer unterstellt, Du wolltest eine Waffe mit ins Flugzeug schmuggeln. Der Inhalt meines Koffers, der Fototasche und des Rucksacks war mittlerweile über mehrere hüfthohe Tresen verteilt. Zwei Sicherheitsleute kamen: Das Olivenöl würde in einem extra Pappkarton mitfliegen. Und das Netzteil meines Laptops – ungefähr 23489 Millionen Mal hergestellt – würde wegen weiterer Untersuchungen erst mit der nächsten Maschine fliegen. Ich könne es dann beim "Lost&Found"-Schalter an meinem Zielflughafen abholen. Ich nickte nur noch. Yes Yes. Nur noch hier raus.

 Ein Sicherheitsmann begleitete mich jetzt zur finalen Passkontrolle. Auf dem Weg fragte ich ihn: Was war das denn mit dem Nagel? Er: "What did you want with the nail?". Ich lachte nur und meinte sowas wie: "Ach, forget it". Soll er sein eigenes Märchen glauben, dachte ich mir. Soll er halt glauben, dass ich einen Nagel flachgeschlagen und umgebogen hatte, um was auch immer in diesem Flugzeug anzustellen.

 Die Postkarten, in denen in begeistert von seinem Land erzählte, konnte ich leider nicht mehr einwerfen.

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