Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Wir Journalisten in Brüssel treffen uns jeden Tag im Pressesaal der EU-Kommission, zum “Midday Briefing” um 12 Uhr. Oder auf der Seite von “Presseurop” – einem Internet-Portal mit den besten Artikeln aus der europäischen Presse.
Doch damit dürfte es bald vorbei sein. Denn die Kommission dreht den Geldhahn für “Presseurop” zu. Schon am 22. Dezember läuft die Finanzierung aus, kurz vor Weihnachten wäre dann Schluss.
Das wäre nicht nur schade für die EU-Korrespondenten, die “Presseurop” für ihre tägliche Arbeit nutzen. Ich habe es sogar auf meinem eigenen Blog “Lost in EUrope” integriert, und zwar hier (Seite 2)
Es wäre vor allem schlecht für die vielen Leser außerhalb des “Raumschiffs Brüssel”, die da draußen im wirklichen Leben. Denn nur auf “Presseurop” können sie sich einen Überblick über die wichtigsten Presseartikel verschaffen – in ihrer eigenen Sprache.
Besonders empörend ist, dass dieser wichtige Dienst ausgerechnet jetzt platt gemacht wird, kurz vor der Europawahl im Mai. Die Redaktion hat daher einen Aufruf zur Rettung gestartet. Wer mithelfen will, findet ihn hier
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
„How bizarre“, dachte sich Kristine Fuemana, als sie nichtsahnend den Fernseher einschaltete. Aber sie meinte nicht den gleichnamigen Hit ihres verstorbenen Gatten. Zu sehen war der neueste Werbespot von Audi: „Land of Plenty. Land of Quattro“. Ein schnittiger Wagen, der durch die schönsten Landschaften Aotearoas saust, dazu eine poppige Melodie, die irgendwie vertraut klingt – ein Akt geschäftstüchtiger Leichenfledderei des deutschen Auto-Konzerns?
Auch Fuemanas Kinder vor der Glotze waren baff. „Hey, Mum, sie spielen Papas Lied!“, riefen sie aus, sechs Stück an der Zahl. Die füttert die Witwe alleine durch, seit OMC-Sänger Pauly Fuemana vor drei Jahren plötzlich starb. Der polynesische Rapper war schwer krank, hatte Schulden und Drogenprobleme. Vom plötzlichen Ruhm hatte er sich nie erholt. „How Bizarre“ war 1995 ein Riesenhit und ist bis heute der meistverkaufte neuseeländische Tonträger aller Zeiten. Ein Jahr später folgte die Single „Land of Plenty“. Und die soll Audi angeblich im neuen TV-Spot verwurstet haben, behaupten Kristine Fuemanas Anwälte und die Plattenfirma Universal Music.
Auch dem Co-Autoren des OMC-Songs wurde „übel“, sagt er, als er das hörte, was er für ein klares Plagiat hielt. Denn Audi hatte weder die Rechte für „Land of Plenty“ gekauft noch das Original verwendet, sondern einen ausgewanderten neuseeländischen Musiker in Kalifornien beauftragt, den Soundtrack beizusteuern. Dass der erstaunlich ähnlich klänge, streiten Komponist und Audi New Zealand kategorisch ab. Man darf auf den Prozess gespannt sein. 2006 gewann Sänger Tom Waits eine Klage gegen Audi in Spanien, weil man seinen Sound treffend imitiert hatte.
In Fuemanas Fall ist es jedoch nicht so, dass die Hinterbliebenen was gegen Werbung hätten – nur gegen’s Bescheißen. Denn zum TV-Spot des Müsli-Riegel „Tasti“ läuft munter „How Bizarre“. Aber dafür floß eine sechsstellige Summe. Einen kleinen Obolus würden sich auch die Südseeinsulaner wünschen, deren traditionellen Designs auf den Kleidern der New Yorker Designerin Nanette Lepore auftauchen. Die Promi-Schneiderin, die Michelle Obama und Scarlett Johansson zu ihren Kundinnen zählt, hatte die Motive als „aztekisch“ verkauft, was geschickt ist, denn die Azteken können nicht mehr klagen. Samoaner, Tonganer und Fidschianer sehr wohl.
„Passport to Style“ hatte die Modeschöpferin als Slogan über ihre Kleider geschrieben. „Passport to stealing“ nannte dagegen Künstlerin Vaimoana Niumeitolu aus den USA die Werke. Immerhin erklärte Nanette Lepore: „Es tut mir sehr leid, das Azteken-Kleid falsch benannt zu haben. Ich respektiere örtliche Künstler.“ Damit ist sie in guter bis schlechter Gesellschaft. Ein neues Sport-Trikot von Nike für Frauen sieht genauso aus wie ein Pe’a – die traditionelle Halbkörper-Tätowierung samoanischer Männer. Der kulturelle Fauxpas sorgte für Ärger von Auckland bis Apia, Nike hat sich entschuldigt. Damit dürfte die Botschaft auch für Audi klar sein: Nicht mit Polynesiern anlegen!
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Die Propagandaschlacht um die erweiterte chinesische Luftraumüberwachungszone ADIZ (Air Defence Identification Zone) haben letzte Woche Japan und die USA gewonnen. Die Entrüstung hätten sie sich aber sparen können. Denn die ADIZ kann als Frühwarnzone von jedem Staat individuell festgelegt werden und darf sich mit Frühwarnzonen anderer Länder sehr wohl überschneiden.
Katz und Maus im Gelben Meer: Wie lange kann Amerika mithalten?
Gelungen ist Amerika und seinem Protektorat Japan der Mediencoup deshalb, weil beide bewusst den Unterschied zwischen Warnzone und Hoheitsgebiet heruntergespielt haben. Auch in deutschen Berichterstattungen wirkte der chinesische Beschluss eher wie ein unverschämter Territorialraub als eine legale Vorgehensweise. Wie gesagt, die ADIZ ist kein Luftverteidigungsraum. Der darf nur 22 Kilometer über die Küste hinaus reichen. Und hier dürfen Unangemeldete, jene, die sich nicht zu erkennen gegeben haben, abgeschossen werden.
Genau das soll eine ADIZ verhindern: Zeit geben, um Missverständnisse aufzuklären.
Die Proteste Japans sind auch deshalb unangebracht, da das Kaiserreich über Jahrzehnte unilateral Schritt für Schritt seine eigene ADIZ erweitert hat. Der Abstand zum chinesischen Festland beträgt bisweilen nur noch 130 Kilometer. In diesem lautstarken Streit um Luftraum und verlassene Felseninseln (deren Besitzverhältnisse Japan als moralisch vorbelasteter Weltkriegsverlierer ebenfalls unilateral festnageln will), da kann die geopolitische Langfrist-Perspektive schnell aus dem Blickfeld geraten. Hier eine spekulative Einschätzung zum Thema China-Japan-USA:
1. In zwanzig, dreissig Jahren werden wir auf 2013 zurückblicken und sagen: „Damals hat offiziell das pazifische Jahrhundert der Chinesen begonnen“. Amerika kann sein Weltimperium nicht mehr finanzieren, beherrscht den Pazifik bis Hawaii – aber nicht darüber hinaus.
2. Die Erweiterung der ADIZ ist für China einer von vielen legalen Schachzügen, die nun folgen werden, um die USA-Japan Allianz zu testen und den Zugang vom Ostchinesischen Meer zum Pazifik zu sichern.
3. Der Masse China ist kein Staat gewachsen, und schon gar nicht, wenn Peking im Techno-Militärbereich aufgeholt hat. Japan bleiben dann nur zwei Optionen: Es wird die Schweiz Asiens – eine eigenwillige, kuriose und neutrale Insel im chinesischen Machtbereich. Oder ein Protektorat Chinas. In beiden Fällen ist es nicht ausgeschlossen, dass in Japan das demokratische System kippt und einem Überwachungsstaat weicht, der sich auf Notstandsgesetze beruft.
4. China und Japan sind nationalistisch gestimmt und versuchen Reformen durchzuboxen, von denen das wirtschaftliche Wohlergehen der kommenden Jahrzehnte abhängt. In China heissen die heissen Eisen „Korruption, Umweltvergiftung und Einkommensungleichheit“. In Japan sind es „Korruption, Atomverschmutzung, Altersversorgung und allgemeiner Wirtschaftsstillstand“. Laufen Reformen schief, könnten die Rivalen mit den alten Territorialansprüche ablenken, die Bevölkerung aufhetzen. Ein Kleingefecht würde dann China (vor)schneller riskieren als Japan – auch hier, um die Allianz zu testen.
5. Das Katz- und Mausspiel zwischen amerikanischen und chinesischen Kampffliegern findet schon seit Jahrzehnten statt – wobei sich amerikanische Piloten (in der chinesichen ADIZ) beschweren, dass sich die Konkurrenten bis auf drei Meter Flügelabstand nähern. Mit der erweiterten chinesischen ADIZ wird sich das nicht ändern. Unfälle gab es bisher fast keine – anzunehmen, dass es so bleibt. Ausser, man will bewusst eskalieren. Umgekehrte Frage: Wie nahe würden amerikanische Jets in der eigenen ADIZ, sagen wir vor der Küste Kaliforniens, an chinesische Shenyang Fighters heranfliegen, bzw. diese heranlassen?
6. Ein katastrophales Beben in Japan – wie zum Beispiel entlang des Nankai-Grabens (Wahrscheinlichkeit 70% in den nächsten dreissig Jahren mit 330,000 Toten) kann Abläufe in den Punkten 1 bis 5 beschleunigen oder verzögern. Vorab wird jedoch eine Propagandaschlacht einsetzen. Wer ist die bessere Weltmacht, die gute, die helfende? China oder Amerika?
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Im Supermarkt habe ich neulich eine spanische Adaption des Adventskalender entdeckt. Der hilft wie das deutsche Pendant beim Überbrücken der Wartezeit, allerdings nicht auf Christkind respektive Weihnachtsmann, sondern auf die heiligen drei Könige, die in Spanien traditionell die Geschenke bringen – und hat folgedessen nur 12 Türchen: von Heiligabend bis zum 6. Januar.
Gefüllt ist er nicht mit Süssigkeiten, sondern – thematisch zu den morgenländischen Weihrauch- und Myrrhe-Überbringern passend – mit Parfümproben und “andere Überraschungen”. Jede Wette, dass die auch so augenschmerzend genderspezifisch ausfallen wie die Verpackungen. A propos: Nach was duftet eigentlich Hulk?
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Auch deshalb liebe ich Tokio: Begehbare Dächer im zehnten, zwölften oder fünfzehnten Stock. Umgeben von Wolkenkratzern, Himmelsfetzen, Neonblitzen. Mit einem Horizont, wie er sonst in überregulierten, zivilisierten Metropolen unerlebbar ist: Mittendrin im Lebens-Canyon einer wuchernden Stadt.
Stadterlebnis auf halber Höhe: Privater Wohnbau “Garden and House” von Ryue Nishizawa.
Aus Platzmangel sind Treppenaufgänge oft seitlich an Gebäuden montiert – führen von der Strasse direkt zum Rooftop. Ohne Tür und Gitter dient der Zugang auch als Fluchtweg bei Feuer und Beben. Das Betreten ist nur Bewohnern gestattet, aber man kann sich ja auch verlaufen haben. Und so entdecke ich Tokio von oben immer wieder aufs Neue, wie es sich – trotz widersprüchlicher Unordnung, als Einheit präsentiert. In Ritzen und Nischen jedoch blüht die Rebellion der Details.
Schwindelerregender Treppenaufgang vor der Azabu Kreuzung. “Garden and House” eingezwängt zwischen Büro- und Wohntürmen. Im Hintergrund ein Ausläufer vom Sumida Fluss.
Mein Aussichtsposten gegenüber „Garden and House“ in Hachobori.
Vom eleganten Ginza Viertel spazierte ich letzte Woche hinüber zur Hachobori Station, wollte mir immer schon „Garden and House“ von Pritzker Preisträger Ryue Nishizawa ansehen, vor allem das Umfeld. Angrenzendes Chaos filtern Magazine bei Architekturfotos ja meistens raus. Gegenüber dem weltbekannten Kleinbau finde ich einen Treppenaufgang. Der Rooftop im zehnten Stock ist abgesperrt, doch der Ausblick auf der Treppenplattform reicht aus – und reicht bis zu einem Seitenkanal vom Sumida Fluss.
Versteckte Rückenansicht von “Garden and House”.
Den Drink auf der Kühlanlage abstellen: Tokio Rooftops bieten ungewöhnliche Settings für Spontanparties und Stelldicheins – zum Beispiel vor Kisho Kurokawas legendärem Nakagin Capsule Tower. Jean Nouvels Dentsu Wolkenkratzer zwischen den Rostfassaden zählt 48 Stockwerke.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Als Taifun Haiyan vor zwei Wochen mit Windgeschwindigkeiten von mehr als 300km/h auf die Philippinen zuraste, war ich für Recherchen in Japan. Weit weg vom Geschehen und von meinem Arbeitsplatz in Peking. Fast zehn Jahre habe ich auf den Philippinen gelebt und über das Land berichtet. Abnehmer für Geschichten zu finden war oft schwierig. Die Philippinen sind kein Touristenziel für Deutsche wie Thailand, sie haben wirtschaftlich nicht das Potenzial wie Japan oder China und überhaupt, da gibt’s doch dauernd Ärger. Kriminalität, islamistische Terroristen, Naturkatastrophen. Genau, Naturkatastrophen. So wie jetzt Haiyan, der auf einigen Inseln der Visayas-Gruppe alles umsäbelte, was sich ihm in den Weg stellte. Den Rest erledigte die Sturmflut.
Und nach dem Sturm und der Flut kamen sie in Scharen, die Fallschirm-Journalisten. Rasch eingeflogen aus New York, Singapur oder London. Auf dem Weg zum Unglücksort noch schnell einige Länderinformationen studieren und dann geht’s los mit der Berichterstattung, als hätte man schon immer auf einer philippinischen Insel gelebt. So wie im März 2011 in Japan, als der CNN-Korrespondent Anderson Cooper nach dem großen Erdbeben gemeinsam mit meinem Mann in der ersten Maschine aus New York saß, die den vorübergehen gesperrten Flughafen in Tokio anfliegen konnte. Kaum gelandet, erzählte er Millionen Zuschauern, wie katastrophal die Situation in Japan war und wie eigenartig ruhig die Japaner damit umgingen.
Die Großen der Branche können es sich leisten, jeweils einen ganzen Tross aus Journalisten, Fotografen, Kameraleuten und Technikern zu den Brennpunkten der Erde zu schicken. Über Nacht war Tacloban, die Hauptstadt der Insel Leyte, ein solcher Brennpunkt geworden. Cooper & Co. machten sich hastig auf ins Epizentrum der Zerstörung. Eine Woche lang gehörten die Schlagzeilen den philippinischen Taifunopfern und ihrem verzweifelten Warten auf Hilfslieferungen. Auch bei mir fragten Zeitungen und Sender an, ob ich nicht rasch nach Tacloban fliegen könnte.
Nein, ich konnte nicht, mit zwei Kindern ist man nicht super-flexibel. Aber ich wollte auch nicht. Ich sah‘ keinen Sinn darin, mich diesem Medienhype anzuschließen. Auf allen Kanälen, in sämtlichen Zeitungen wurde berichtet, was die Leitungen hergaben. Welchen wichtigen Beitrag kann man in einer solchen Situation noch beisteuern? Muss man wichtige Ressourcen (Lebensmittel, Wasser, Helikopter, Ansprechpartner vor Ort) verbrauchen, nur um eine Geschichte zu schreiben, die so wie alle anderen das Grauen der Zerstörung und das Elend der Überlebenden ausleuchtet?
Ich will lieber nachschauen, wie es in Tacloban ausschaut, wenn der Medientross weitergezogen ist. Wenn die Welt nicht mehr auf die zertrümmerten Orte schaut, weil niemand mehr von dort berichtet. Es ist keine Überraschung, dass diese Idee auf wenig Resonanz bei den Redaktionen stößt. Ein netter Kollege vom Nachrichtensender N24 sagte ganz offen: „Die Leute wollen das doch nicht mehr sehen.“
So ist das. Eine Woche hieß es „Spot on“. Nun liegen die Taifungebiete wieder im tiefen Dunkel (buchstäblich, denn Strom soll es erst um Weihnachten wieder geben). Wie es dort weitergeht, ob die von der Regierung versprochenen neuen Behausungen gebaut werden, was mit den vielen Millionen Spenden passiert, wie die Menschen ihr Leben wieder in den Griff bekommen – wer will das wissen? Die Fallschirm-Journalisten jedenfalls nicht. Sie sitzen bereits wieder im Flieger zum nächsten Krisengebiet und lesen sich rasch an, worüber sie eigentlich berichten sollen.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Täglich verschwinden viele Dinge auf mysteriöse Weise. Ist es ein Socken, kann man sich damit abfinden. Ist es das Auto, dann nicht.
Es ist ein seltsamer Moment, wenn man an die Stelle kommt, wo man das Auto geparkt hat. Ist der Platz leer, erfasst einen selbst eine unheimliche Leere. Irre ich mich? Stand das Auto vielleicht doch in der Parallelstraße? Weiter unten? Weiter oben? Filmt hier gerade eine versteckte Kamera mein Erschrecken für eine Ulksendung? Nein, der Wagen ist weg.
Gestern noch kam im Fernsehen, dass die Zahl der Autodiebstähle um zwei Prozent zugenommen hat. Favoriten der in Frankreich geklauten Wagen: Renault Twingo, Smart Fortwo, BMW X6. Meine Marke ist eine andere.
Ich muss die Police municipale anrufen, laufe weiter und stehe plötzlich vor einem Schild. Es ist das Schild, das einem in Frankreich immer wieder begegnet. Es ist ein Schild, das man beachten sollte. Aufschrift: Stationnement unilatéral alterné.
Langer Begriff, der der Welt sagen will: Hier in der Straße darf nur auf einer Straßenseite geparkt werden – und das im halbmonatlichen Wechsel. Etwas versetzt steht ein weiteres Schild, ein eingeschränktes Halteverbotsschild mit kleinen weißen Zahlen darauf: 16-31.
Na klar, Paragraph 37-3 der Straßenverkehrsordnung. Vom 1. bis zum 15. des Monats wird auf der Seite mit den ungeraden Hausnummern geparkt. Ab dem 16. des Monats bis zum 31. auf der Seite mit den geraden Nummern. Am letzten Tag der jeweiligen Zeitspanne muss zwischen 20.30 und 21 Uhr umgeparkt werden. Heute ist schon der 18. November. Mein Auto hat also den Seitenwechsel verpennt und den Verkehr behindert.
Der Polizist von der Police municipale ist freundlich. Er habe mein Kennzeichen im Rechner, sagt er am Telefon. „Ihr Auto wurde heute Morgen abgeschleppt.” Ich solle mit Fahrzeugschein und Personalausweis vorbeikommen, einen Bon de sortie abholen und dann könne ich in der Fourrière intercommunale den Wagen abholen, das ist der Abstellplatz für die abgeschleppten Autos. „Viel Glück“, wünscht er noch.
Bei der Polizei sitzen Leute und warten. Eine Oma ist eingenickt, Kopf zur Seite. Was ihr wohl passiert ist? Die Handtasche geraubt? Auf dem Zebrastreifen eingeschlafen und den Verkehr behindert? Sie schläft weiter, während der Beamte mir den Abholschein ausstellt.
Der Abschleppplatz für die Fahrzeuge befindet sich am Ende der Welt. Ich klage dem Taxifahrer mein Leid. „Seien Sie doch froh, dass der Wagen nicht gestohlen wurde“, sagt er. Oder angezündet, was einem in Frankreich ja auch passieren kann. Der Taxifahrer ist ein Mensch, bei dem das Glas immer halb voll, nie halb leer ist. Und dann erklärt er mir, warum es dieses Stationnement unilateral alterné gibt: Man wolle damit gegen die Dauerparker vorgehen.
Bei der Fourrière sieht es trostlos aus. Ein Platz voller kaputter Autos. Mit kaputten Reifen, zerbeulten Türen, zersplitterten Fensterscheiben. Viele Campingautos. Ein Ort trauriger Fahrzeuge. Und ganz vorne steht mein Auto.
Ich werde begrüßt von Hundegebell. Denn fourrière ist im Französischen nicht nur das Wort für den Platz, auf dem die amtlich abgeschleppten Autos auf ihre Besitzer warten. Fourrière heißt auch Tierheim. In vergitterten Boxen stehen Hunde und schauen mich an. Sie hoffen, dass ich ihr neues Herrchen werde.
Es gibt ein Büro. Ich fürchte, dass man mir nur das Auto zurückgibt, wenn ich einen Hund mitnehme oder zwei Katzen. Der Mann hinter der Scheibe spricht nicht viel. Gibt mir eine Abschlepprechnung von 115 Euro. Ich muss Gott sei Dank keine Tiere mitnehmen. Ich wünsche aber insgeheim den französischen Bellos alles Gute. Am Wochenende ist in Paris zum 50. Mal eine Veranstaltung, bei der man Tiere adoptieren kann: „Weihnachten für ausgesetze Tiere“ heißt es in den Anzeigen. Hoffentlich habt ihr Glück und seid dabei und findet ein Frauchen oder Herrchen.
„Sie dürfen Ihr Fahrzeug jetzt mitnehmen“, sagt der Mann. Hallo Auto. An der Scheibe hängen noch mal zwei Strafzettel, Kategorie 2 zu je 35 Euro. Wenn doch heute Morgen nur einfach ein Socken verschwunden gewesen wäre. Andererseits: Frankreich ist in der Krise. Ich habe dem Land Geld gespendet. Und das Glas ist halb voll.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
New York kennt in diesen Wochen vor allem ein Thema: den Wechsel im Bürgermeisteramt, der am 1. Januar stattfinden wird. Nach zwölf Jahren tritt der konservative, parteilose Milliardär Michael Bloomberg ab, der für einen Dollar Jahreslohn arbeitete. Sein Nachfolger ist der linke Demokrat Bill de Blasio, der noch im Sommer als chancenloser Außenseiter galt. Vor zwei Wochen aber wurde der 52jährige, fast zwei Meter große Weiße mit einer spektakulären Mehrheit von 73 Prozent der Stimmen gewählt. Das lag nicht zuletzt daran, dass de Blasio seine ungewöhnliche Familie – Ehefrau Chirlane McCray trat in jungen Jahren öffentlich als schwarze Lesbe auf – in genialen Fernsehspots vermarktete. Besonders populär war ein Spot mit Sohn Dante, der einen riesigen Afro trägt.
Anders als Bürgermeister-Milliardär Bloomberg, der an der vornehmen Upper East Side zuhause ist, lebt de Blasio in Brooklyn. Genauer gesagt, fünf Blocks von uns entfernt, im Stadtteil Park Slope. Mein Mann traf ihn mal im Weinladen, vor einigen Jahren. Da musste Bill noch persönlich Geschäfte abklappern, um für seine Wahl zum Bürgerbeauftragten („Public Advocate“) zu werben. Heute hat fast jeder Laden ein rotes „Bill de Blasio“-Schild unübersehbar aufgehängt – klar doch, wenn „einer von uns“ Bürgermeister wird. Atemberaubende 89 Prozent der Wähler von Park Slope haben für Bill gestimmt. Bei der Viertels-Halloween-Parade schritten er und Chirlane dem Zug voran und wurden mit Applaus und Jubelrufen begrüßt, als seien sie König und Königin.
Dabei weiß eigentlich keiner so recht, was Bill in seinem Amt als Bürgerbeauftragter bewegt hat. Davor saß er im Stadtrat. Das ist in seinem Heimatviertel schon deshalb unvergessen, weil er dafür sorgte, dass an einigen Straßenecken öffentliche Mülltonnen aufgestellt wurden.
Er führte auch einmal einen Wahlkampf für Hillary Clinton. Dabei scheint er eine Menge gelernt zu haben. Trotzdem fragen sich viele, wie dieser Mann es schaffen soll, die schwierige Acht-Millionen-Metropole New York in den Griff zu bekommen. Seine Wahl erinnert an die von Obama, der ebenfalls von einer Woge persönlicher Sympathie ins Amt katapultiert wurde und dem sein Mangel an Erfahrung bis heute zu schaffen macht.
Einige unserer alteingesessene New Yorker Freunde befürchten eine Wiederkehr der Zustände in den berüchtigten 70er und 80er Jahren, als Korruption und Drogenkriminalität die Stadt fast lahmlegte. Andere prophezeien einen Auszug der Wohlhabenden, weil de Blasio New Yorkern mit einem Jahreseinkommen von mehr als 500 000 Dollar eine Zusatzsteuer abknöpfen möchte (bezeichnenderweise kann er das gar nicht selbst beschließen, sondern ist auf das Parlament des Bundesstaates New York angewiesen). Solche Ängste sind wahrscheinlich übertrieben. Klar ist indes, dass eine neue Ära in der Stadt anbrechen wird; es wird spannend sein zu sehen, wie „unser“ Bill sich schlägt. Vielleicht sorgt er ja dafür, dass auch der Hausmüll in ordentlichen Tonnen gesammelt wird anstatt in schwarzen Plastiksäcken, die über Nacht auf den Gehwegen gammeln und von Ratten angefressen werden. Das wäre ein echter Gewinn.
Foto: Christine Mattauch
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Ich weiss, es kommt mit dem Beruf: Bücher schleppen, Kataloge schmuggeln und in die Seitenfächer vom Koffer Magazine schieben – bis zum Gehtnichtmehr. Den Wintermantel beulen Kamera, iPad, Batterien und Kabel aus. Den Reissverschluss vom Handgepäck strapazieren Belegexemplare. Noch bin ich ruhig, kurz vor dem Check-in. Aber dann. „Vier Kilo Übergewicht“, sagt die uniformierte Frau. „Macht 80 Euro. Bar oder Karte?“
Ich bin ein leichter, ausgebeuteter Flieger: Penny Modra fotografierte mich in Melbourne von der Flanders Lane aus im Adelphi Hotel Pool. Aeroflot Anflug über dem Burgenland.
Hinter mir steht ein Deutscher, sicher über 100 kg, wenn nicht 120. Und der Ami vor mir bestimmt nicht unter 90. Und das Mädchen, gross, sportlich, mehr als ich, mehr als 67 Kilo. Und ich, mit meinen 178cm muss für 4000 Gramm extra zahlen? Normalgewichtige aller Länder vereinigt Euch! Kampf der Ausbeutung durch die Diktatur der Mega-Esser, die auf unsere Kosten billiger fliegen. Wehrt Euch gegen die unverantwortlichen Carbon-Footprint-Hinterlasser, die bei jedem Check-in ungeschoren davon kommen. Besteht auf Eure Bonuspunkte, wenn ein Bayer samt Gepäck 130 Kilo wiegt und Ihr nur 87!
Belegexemplare als Übergewicht: A&W Ausgabe Dezember 2013 mit Bericht über mein Architekturprojekt in Raiding, Burgenland.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Sich lächerlich machen können brasilianische Abgeordnete gut. Sei es, indem sie sich mit Geldschein-Päckchen in der Unterhose erwischen lassen, oder indem sie niedliche Freudentänze in der Parlamentssitzung aufführen, wenn ihnen wieder ein Korruptionsstück gut gelungen ist.
Als allerdings 1,3 Millionen einen echten Clown ins Parlament wählten, dessen Wahlversprechen hieß: “Wählt Tiririca, schlimmer als es ist, kann es nicht mehr werden!”, da wollten sich die Abgeordneten doch dringend abgrenzen. Politik sollte Politik und Clown sollte Clown bleiben. Sie suchten nach einem Weg, um ihn loszuwerden und fanden ein Gesetz, das Analphabeten verbietet, Politiker zu werden. Lesen und Schreiben sind in Brasilien so unwichtig, dass heute noch fast ein Drittel der Bevölkerung ohne auskommt.
Tiririca, erfolgreicher Geschäftsmann, verdiente als Clown besser als die meisten Abgeordneten, beschäftigte seine Ehefrau als Assistentin und diktierte ihr alles Wesentliche. Es wird gemunkelt, dass auch die krakeligen Zeilen zu Tiriricas Ehrenrettung aus ihrer Hand stammen sollen. Jedenfalls: der Clown blieb im Amt. Und die anderen Parteien wurden neidisch – weil die Wähler neben Tiririca drei weitere Parteigenossen ins Parlament hievten. “Tiririca-Effekt” heißt das inzwischen. Den hätten jetzt alle gerne. Aber weil es nicht genug gute Clowns im Land gibt treten nun reihenweise Schönheitschirurgen, Sänger, Schwimmer, Ex-Fußballtrainer oder Ex-Big-Brother-Teilnehmer politischen Parteien bei.
Klare Favoriten unter den neuen Promi-Kandidaten sind: Sula, Ex-Sängerin und Muse der Brummi-Fahrer, Bambam-Kleber, Muskelmann und Ex-Big-Brother-Sieger sowie Narcisa, Ex-Ex-Millionärsgattin. Mit Sula hat eine Partei in einem Land ohne nennenswerten Schienenverkehr Zigtausende Brummi-Fahrer auf ihrer Seite. Und seit die Frau im Cowboyhut sich zum Glauben bekannt hat, können die harten Jungs ihre CDs sogar zuhause bei Mama hören. Vielleicht wählt die gleich mit.
Bambam überzeugt mit Muskeln – und die Politik braucht starke Männer. Die Wirtschaft hingegen braucht Bambams inniges Verhältnis zum Konsum: diese Woche kauft er einen Mercedes, nächste Woche eine Honda – wenn sich genug Leute daran ein Beispiel nehmen, wird Brasilien zum Top-Standort für die Automobilindustrie.
Narcisa Tamborindeguy ist reich geboren, zweimal reich geschieden und erzählt gern von sich: etwa wie sie sich früher Drogen frei Haus liefern ließ oder sich heute mit ihrem neuen Lover vergnügt. Oder davon, dass sie in ihrer Freizeit Eier aus ihrem Wohnzimmerfenster wirft und Wasser auf Passanten an der Copacabana gießt.
Wahlprogramme haben solche Kandidaten nicht nötig. Slogans auch nicht. Narcisa hatte zwischendrin sogar vergessen, welcher Partei sie beitreten wollte. Hochoffiziell war sie Mitglied der PSD geworden. Bis man sie daran erinnerte, dass sie ursprünglich der PSDB zugesagt hatte. Kein Problem: Schnell wieder aus- und der anderen beigetreten. Es gibt schließlich kein Gesetz, dass Politiker denken müssen. Hauptsache, sie können lesen und schreiben.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Die Sieger schreiben die Geschichte. Dieser Satz gilt in Spaniens Hauptstadt Madrid mehr denn je. Die in Stadt und Region regierenden Konservativen vom Partido Popular (PP) von Premier Mariano Rajoy versuchen, ein Denkmal zu Ehren der Internationalen Brigaden, die im Spanischen Bürgerkrieg (1936–1939) halfen, die verfassungsmässige Ordnung gegen den Putsch der faschistischen Militärs von General Francisco Franco zu verteidigen, entfernen zu lassen. Die schlichte Säule aus Metall steht in der Universität Complutense, und damit am Schauplatz der härtesten Schlachten um die Hauptstadt.
Das von Bürgern und der Vereinigung der Freunde der Internationalen Brigaden finanzierte und von Studenten der Complutense entworfene Denkmal, habe «keine Baugenehmigung» und störe «das kulturell wertvolle Umfeld des Universitätsgeländes», befand das Madrider Landesgericht vor der Sommerpause. Die Säule müsse deshalb binnen zweier Monate abgerissen werden. Das Verfahren geht auf eine Anzeige eines Anwaltes aus dem Umfeld der ultrarechten Franco-Stiftung zurück. Konservative Presse und Politiker nutzen das Urteil, um ebenfalls den Abriss der Gedenkstätte zu fordern. «In diesem Land gibt es Leute, die noch nicht einmal im 20., geschweige denn im 21. Jahrhundert angekommen sind», erklärt der Rektor der Universität Complutense, José Carrillo. Er hat, wie bei anderen Denkmälern auf dem Universitätsgelände ebenfalls üblich, den Antrag auf eine Baugenehmigung erst eingereicht, nachdem die Gedenksäule errichtet und eingeweiht worden war. So verfuhren etwa auch die Initiatoren eines Denkmals für die Opfer der islamistischen Bombenanschläge auf die Pendlerzüge in Madrid am 11. März 2004.
Doch dieses Mal soll alles anders sein. Die Baubehörde der konservativen Stadtverwaltung von Bürgermeisterin Ana Botella, der Ehefrau des ehemaligen spanischen Premiers José María Aznar, antwortete auf das Gesuch ganz einfach nicht. Das Gericht nutze diese Lücke, um den Abriss anzuordnen. Stadt- und Landesregierung nahmen dies wohlwollend zur Kenntnis. Denn ihnen sind die als fortschrittlich verschriene Complutense und ihr Rektor Carrillo ein Dorn im Auge. Der vor zwei Jahren ins Amt gewählte Mathematikprofessor ist der Sohn des historischen Führers der spanischen Kommunisten in den Jahren des Widerstands gegen die 40-jährige Franco-Diktatur, die dem Bürgerkrieg folgte, Santiago Carrillo.
«Die Rechte in diesem Land ist starrsinnig. Sie will die klaren Tatsachen nicht anerkennen. Die Internationalen Brigaden kamen, um die Freiheit zu verteidigen», sagt Rektor Carrillo. Das Thälmann-Bataillon aus Deutschland, das Bataillon 12. Februar aus Österreich, das André-Marty-Bataillon und Commune-de-Paris-Bataillon aus Frankreich, das Lincoln Bataillon aus den USA oder auch das jüdische Palafox-Bataillon aus Palästina – insgesamt unterstützten knapp 60 000 Antifaschisten aus aller Welt die Verteidigung der spanischen Republik.
«Wir werden das Denkmal verteidigen. Es bleibt hier», erklärt der Rektor und legte Widerspruch vor Gericht ein. José Carrillo findet breite Unterstützung. «Wir protestieren gegen die Ungleichbehandlung, die in Madrid stattfindet», heisst es in einem Manifest eines Bündnisses aus Künstlern und Intellektuellen.
Fünf Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Bewahrung historischer Erinnerung des früheren sozialistischen Premiers José Luis Rodríguez Zapatero, das spanienweit faschistische Namen und Denkmäler aus dem Stadtbild verbannen soll, sei der Stadtplan in Madrid noch immer voller Strassen und Plätze im Gedenken an Francos Diktatur, während das Denkmal an die Verteidiger der verfassungsmässigen Ordnung abgerissen werden solle. Unter dem Manifest für den Erhalt des Denkmals der Internationalen Brigaden finden sich Namen wie der des wegen Ermittlungen zu Verbrechen der Franco-Diktatur aus dem Amt entfernte Richter Baltasar Garzón, der Schauspieler Juan Diego Botto sowie Pilar und Carlos Bardem – Mutter und Bruder von Javier Bardem. Selbst aus dem Ausland kommt Unterstützung, etwa von Abgeordneten der britischen Labour Party und von der spanischstämmigen stellvertretenden Bürgermeisterin von Paris.
Eines der bekanntesten faschistischen Denkmäler steht nur unweit von Carrillos Rektorat: Der Triumphbogen. Dem berühmten Pariser Denkmal nachempfunden, steht er an der Strasse, auf der die siegreichen Truppen Francos im April 1939 in die Hauptstadt einzogen. Der Bürgerkrieg kostete mehr als 500000 Menschen das Leben, unter ihnen waren 15 000 Kämpfer der Internationalen Brigaden. In den Jahren nach dem Sieg der Putschisten fielen mindestens 400 000 Menschen der willkürlichen Repression zum Opfer, rund eine Million der damals 23 Millionen Spanier floh ins Ausland.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Die vorolympische Idee, in der Metro Fahrscheine gegen Kniebeugen auszugeben, wird die Fitness der Moskauer nicht nachhaltig steigern.
Sotschi wirft seine Schatten voraus. Keine 3 Monate vor dem Beginn der Winterspiele bietet die Moskauer U-Bahn ihren Fahrgästen neue sportliche Perspektiven. Gemeinsam mit dem Nationalen Olympischen Komitee stellte sie den ersten Zahlautomaten der Welt auf, an dem man sein Ticket mit Leibesübungen erwerben kann. Statt 30 Rubel (knapp 70 Cent) einzuwerfen, muss man vor einem Sichtfenster mit automatischer Kamera 30 Kniebeugen absolvieren, damit der Apparat einen Einzelfahrschein herausgibt. „Eine Geste der Gesundheit, die jeder Passagier vor der Olympiade in Sotschi zeigen kann“, sagt Jekaterina Beljajewa, die Pressesprecherin der Moskauer Metro. Die Kniebeugen-Tickets gehören zum Projekt „Olympische Veränderungen“, das den Alltag der Russen durch neue sportliche Elemente bereichern soll.
Kunstturnolympiasiegerin Jelena Samolodtschikowa weihte die unterirdische Trimm-Dich-Station am 8. November ein, danach standen vor allem Mädchen und junge Frauen Schlange, um in maximal 2 Minuten ihre Kniegelenke 30 mal zu beugen und zu strecken. Auch die Partielöwin und Ex-Primaballerina des Bolschoi Theaters Anastasija Wolotschkowa tauchte auf, legte vor laufenden TV-Kameras 30 saubere Grand Plie hin, verschwand danach freilich nicht in der U-Bahn, sondern im eigenem Lexus.
Der kritische Radiosender Echo Moskwy aber veranstaltete eine Zuhörerdebatte, ob 30 Kniebeugen für ein U-Bahnticket keine menschenrechtswidrige Demütigung darstelle. Vor allem für arme Moskauer, die aus Sparsamkeit öffentlich in die Hocke gehen müssen.
Solche Befürchtungen bewahrheiteten sich nicht. Denn es wurde nur ein einziger „olympischer“ Zahlautomat aufgestellt, in der Station „Wystawotschnaja“. Die liegt unweit des neuen Wolkenkratzerviertels Moskwa-City, wird von vergleichsweise wenigen Fahrgästen frequentiert, meist gut betuchten Yuppies, die den Apparat glatt ignorieren. „Wozu soll ich Kniebeugen machen?“, fragt die Personalmanagerin Olga Kriwoschlykowa, 29, unsere Zeitung. „Das ist eher was für Schulmädchen.“
Zudem soll der Automat, der von 9 bis 20 Uhr arbeitet, und neben dem ständig Wachmänner und ein Sanitäter Dienst tun, am 4 Dezember wieder abgebaut werden. Dann bleibt Moskauern, die sich das U-Bahn-Ticket sparen wollen, nur altbewährte sportliche Frechheit: Mit einer sauberen Flanke über die Drehkreuze an den U-Bahn-Eingängen springen und das ohnmächtige Trillergepfeife der betagten Wächterinnen ignorieren.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Vor einem Monat hatten wir Aucklands Bürgermeister mit heruntergelassenenHosen – gesegnete Zeiten! Die haben sich rasant geändert. Keiner spricht mehr von Len Browns Affäre. Alle reden von den „Roast Busters“. Ja, die klingen lustig, wie ein Filmtitel. Zeigen sich auch in spaßigen Posen, samt Basecaps und Pickeln. Sie sind aber Vergewaltiger.
Immer öfter tauchen in Neuseeland Facebook-Seiten auf, die „root and rate“ oder „Goon Rigs and Scrags“ heißen: Junge Männer bewerten aufs Übelste Frauen, mit denen sie Sex hatten – mit Namen und Fotos. Dafür gibt es dann schon mal tausend „Likes“– und etliche zutiefst gedemütigte Internet-Opfer. Doch das ist alles Kinderkram im Vergleich zu den „Roast Busters“. Ein „roast“ ist laut „Urban Dictionary“ eine Frau, die von zwei Männern penetriert wird und damit einem Braten am Spieß ähnelt. Weiß ich auch erst seit kurzem und würde es gerne wieder vergessen. Soviel zur Linguistik.
Die „Roast Buster“ sind eine Gruppe 17- bis 18jähriger aus Auckland, zwei davon mittlerweile namentlich bekannt. Sie prahlten auf Facebook mit ihren „Eroberungen“. In Wirklichkeit waren das Gruppenvergewaltigungen von jungen Mädchen, die auf Parties schwerst betrunken waren. Sie wurden gefilmt, die Videos ins Netz gestellt. Eines ihrer Opfer, eine 13jährige, ging danach zur Polizei. Ihre Anzeige vor zwei Jahren, sagte sie jetzt, sei jedoch schlimmer gewesen, als von den „Roast Busters“ entjungfert worden zu sein. Seitdem dümpelte der Fall vor sich hin. Was vielleicht daran liegt, dass einer der Täter der Sohn eines Polizisten ist.
Nur zögerlich melden sich jetzt weitere Opfer. Eine Freundin von ihnen wurde von zwei Radiomoderatoren so sexistisch befragt, dass die anschließenden Proteste die Herren bis auf Weiteres vom Sender vertrieben. Gut so. Aotearoa – Speerspitze der Frauenrechte und angeblich heile Welt – hat damit nicht nur einen Skandal, sondern ein Problem. Gewalt gegen Frauen ist das eine, das Internet das andere, Porno sowieso. Das ganze Land sorgt sich um die Moral seiner Teenager. Vielleicht sollte es sich parallel auch über seine Polizei Gedanken machen.
1954 gab es einen ähnlichen Aufschrei. Damals waren es die „Milk Bar Cowboys“, die sich in einer Milchbar in Lower Hutt mit Gleichaltrigen trafen, um sich in die Büsche zu schlagen. Es folte eine offizielle Untersuchung. Sie enthüllte „einen schockierender Grad unmoralischen Betragens, das sich zu sexuellen Orgien ausweitet“. Verrottete Jugend, schon damals – oh heilige Unschuld.
Dass die Welt hier unten doch noch in Ordnung ist, haben uns dann am Samstag Jill Jeffries und James Dobinson gezeigt. Das junge Paar aus Lyttelton, beide mit Down-Syndrom und seit fünf Jahren liiert, haben als erste in der neuen Papp-Kathedrale von Christchurch geheiratet. Der ganze Hafenort half bei der Hochzeit, brachte Essen und Blumen, lieh einen Bentley, vergoss Freudentränen. Monatelang hatten Jill und James auf dem Wochenmarkt getanzt, um Geld für ihr Fest zu sammeln. Es lebe die Liebe.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Seit der NSA-Snowden Affaire denke ich oft an meinen Vater. Er ist vor ein paar Jahren verstorben, hatte ein abenteuerliches Leben hinter sich – zumindest in seinen jungen Jahren als Fremdenlegionär in Afrika und Vietnam, zumindest, wenn ich ihm Glauben schenken darf, was er erzählte (als Beamter im österreichischen Innenministerium).
Mein Vater liest uns vor: Zumindest könnten die Geschichten wahr sein
„Zumindest“ begleitet alle Erinnerungen an ihn. Es ist ein Schlüsselwort, auch von Geheimdiensten, wenn sie Zweifel sähen wollen, wenn Tatsachen ans Licht kommen, die angeblich nicht für uns, die Öffentlichkeit, bestimmt sind. Wir haben ja gewusst, dass unsere E-Mails gelesen und Telefonate abgehört werden – zumindest, so dachten wir, besteht die Möglichkeit dazu. Und wenn Julian Assange als Sexverbrecher dargestellt wird, könnte das eine Rache der NSA an Wikileaks sein – aber andererseits und zumindest könnte sich Julian auch wirklich vergangen haben. Rufmord im gleichen Stil funktioniert nicht zwei mal hintereinander. Aber hey, der Snowden-Affairen-Aufdecker Journalist Glenn Greenwald hat doch einen schwulen Partner. Präsentieren wir doch den der breiten Öffentlichkeit – zumindest könnte mit ihm was faul sein.
Algerien, 1946: Mein Vater in der Fremdenlegion
Erzählungen von meinem Vater damals erklären heute, warum kein Politiker gegen Praktiken wie die der NSA vorgeht. („Nicht einmal faule Eier fliegen“ kommentiert ein Leser vom österreichischen Der Standard.)
„Alle Volksvertreter sind von diesen zwielichtigen Institutionen erpressbar,“ sagte mein Vater. „Die Agenten bezahlt das Volk, aber kontrollieren, zur Rechenschaft ziehen, kann es sie nicht. Im Innenministerium liegen von allen Politikern Geheimakte auf. Die Staatspolizei (Anmerkung: heute heisst dieser Geheimdienst Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung) lanziert Informationen nach Gutdünken und politischer Gesonnenheit. Sie sind nur einem kleinen, inneren Kreis vorbehalten, der keiner Aufsichtsbehörde untersteht. Sie dienen zum Selbstschutz der Geheimdienstler, zur Erpressung und für Geschäfte. Gibst du zum Beispiel den Israelis eine Information, bekommst du zwei gute zurück. Deshalb wird der Mossad geschätzt.“
Pensioniert und vom Staat ausgezeichnet: Mein Vater beim Kasernenbesuch in den 90er Jahren
Ich weiss bis heute nicht, welche Funktion mein Vater im Innenministerium wirklich einnahm. Er tat geheimnisvoll, wissend, gewichtig und immer so, dass er zumindest auch ein Wichtigmacher hätte sein können, was wiederum auch nicht Sinn machte, da er ja zumindest einen der höchsten Orden der Republik erhalten hatte. Kurz vor seinem Tod erwähnte er, dass er aus seiner umfangreichen Büchersammlung noch ein paar Dokumente entfernen wollte, die er dort “zur Sicherheit” versteckt hatte. “Es wäre besser, wenn ich sie nicht finde.” Er kam nicht mehr dazu – und ich auch nicht, das heisst, tausende Seiten durchblättern, denn, zumindest könnte zwischen den Buchdeckeln ja wirklich etwas Interessantes zum Vorschein kommen.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Es wartete eine große Überraschung auf mich in der Los Angeles Sports Arena. Diese war für ein paar Tage verwandelt in ein improvisiertes Krankenhaus mit Zahnarzttischen auf dem Basketballfeld und Augentests in den Katakomben. Die Ärzte behandelten mehr als 4000 Patienten innerhalb von vier Tagen. Ich wollte herausfinden, warum sie mehrere Stunden – oft über Nacht – Schlange gestanden hatten, um Zahnfüllungen zu bekommen oder eine Brille. Für mich schien das Prozedere entwürdigend und ich war sicher: die Mehrheit dieser Patienten konnte es nicht erwarten, sich für ‘Obamacare’ einzuschreiben.
Weit gefehlt! Die meisten, mit denen ich sprach hatten noch nicht einmal angefangen, sich über das neue Gesundheitsgesetz zu informieren. Sie trauen dem System aus improvisierten kostenlosen Behandlungen und Notaufnahmen mehr als Regierungsprogrammen. Eine alleinerziehende Mutter, die mit Zug und Bus zur Klinik gekommen war, erzählte: die staatliche Krankenversicherung habe ihrem asthmakranken Sohn jahrelang nicht die richtige Behandlung gegeben und sie endlos für ein Inhalationsgerät kämpfen lassen. Außerdem: “Präsident Obama hat doch nicht alles unter Kontrolle, mal ehrlich! Das hier ist besser als Obamacare!”
Kriegsveteran Cornel berichtete von schlechten Erfahrungen mit seiner staatlichen Krankenversicherung nach Ausscheiden aus dem Militärdienst: “Ewiges Warten, Tonnen Papierkram und endlose Hürden bevor es Service gibt”
Cornel spricht über Regierungsprogramme
Der Hausmeister bekommt Basis-Versorgung vom Staat, dazu gehören aber weder Zahnbehandlungen noch Augenuntersuchungen. Er war in die Sporthalle gekommen, weil ihm beim Basketballspielen zwei Backenzähne ausgeschlagen wurden. Der Zahnarzt wollte 5000 Dollar für eine Brücke. Cornel zahlt jetzt noch an den 1200 Dollar dafür, dass er ihm die abgebrochenen Zähne zog. In der kostenlosen Klinik bekam er nicht die erhoffte Brücke. Der Zahnarzt versorgte ihn stattdessen mit Füllungen, Zahnreinigung und einer Liste von Ärzten, die Zahnersatz zu niedrigen Kosten anbieten. Cornel wird auch für die nächste kostenlose Behandlung wieder über Nacht Schlange stehen. Er braucht eine Brille. Den Klapptisch mit Informationen über Gesundheitsreform würdigte er keines Blickes.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Japaner sind schlank, sehen fünfzehn Jahre jünger aus und werden älter als alle anderen Erdbewohner. Nicht Fisch, Reis und Gene allein sind das Geheimnis ihrer Langlebigkeit, sondern Wasser. 43 Grad. Täglich. Mittlerweile hat es sich auch im Westen herumgesprochen, dass die Badewanne in Japan nicht zum Einseifen und Shampoonieren da ist, sondern zur Entspannung. Waschen tut man sich auf dem Schemel vor der Wanne. Erst danach taucht die ganze Familie ein, ins selbe Wasser, einer nach dem anderen.
Gedanken gedämpft im Dampf: Ferne Erinnerung an mein Embryonaldasein
Zurück zum langen Leben: Jedes Strassenviertel in Japans Metropolen hat heute noch ein Sento, ein öffentliches Bad, geöffnet bis Mitternacht oder länger. Suchte man es in alten Zeiten auf, fehlte zu Hause die Waschgelegenheit. Geht man heute hin, will man sich entspannen, praktiziert Hausputz im Kopf (bei mir drei, vier mal die Woche). Der Eintritt kostet 450 Yen (3.50 Euro). Den kassiert die „Sento-Mama“. Sie sitzt auf einem überhöhten Stuhl und hat Einblick sowohl in die Männer- als auch Frauenabteilung. (Getrenntes Baden hatten die Amerikaner nach dem zweiten Weltkrieg verordnet.)
Im Blickfang der Sento-Mama: Umkleiden mit klassischer Musik
Mitunter ruft die Chefin des Familienbetriebs zu den Frauen rüber: „Nakamura-san, der werte Ehemann ist bereits angezogen!“ Oder umgekehrt. „Nakamura-san, lassen Sie doch die werte Ehefrau nicht warten!“ Meine Sento-Mama kennt die Familien der Umgebung, hört alles, weiss alles. Sie liebt klassische Musik und manchmal fragt sie mich nach einer Melodie, während ich mich vor ihr ausziehe. Ich lege die Kleidung in eine Box und gehe mit Seife, Zahnbürste und Handtuch in die Badehalle. Ich schnappe mir einen Plastikschemel und setze mich vor einen der dutzenden Wandspiegel. Und dann beginnt mein Ritual, mit dem ich seit zwanzig Jahren in der 35-Millionen-Metropole Tokio den Stress loswerde – und mein Leben um 15 Jahre verlängere.
Schuhbox mit Holzschlüssel
Ich fülle einen Kübel mit Wasser, übergiesse meinen Kopf, seife mich ein. Ringsum Plätschern und Glucksen, gedämpft vom Dampf – wie eine ferne Erinnerung an mein Embryonaldasein. Ich werde langsamer. Ich stehe auf, steige in eines der Becken mit Digitalanzeige: 39 Grad. Ich seufze, wie alle Japaner, wenn sie ins heisse Wasser steigen mit diesem langgezogenen, kehlige „Ahhhhhh“. Dabei öffnet sich der Mund wie beim Gähnen. Nun wissen die anderen Sento-Mitverschworenen, dass man „heimgekommen“ ist und mit der Welt draussen nichts mehr zu tun hat. Sie nicken zustimmend und sagen „Ii neeee! Wunderbar!“ Ich setze mich zu ihnen. Meine Füsse schwimmen oben und mein Nacken ruht auf einer eisgekühlten Röhre. Dann das zweite Einseifen. Die Haut ist nun aufgewärmt und die alte Schicht lässt sich leicht mit einem Tuch abreiben. Rauh ist es wie Sandpapier. Väter, Kinder, Brüder, Freunde schrubben sich abwechselnd den Rücken.
Füsse schwimmen oben. Der Nacken ruht auf einer eisgekühlten Röhre
Anschliessend ins Becken mit 43 Grad. Sollten noch Restbestände der Aussenwelt im Kopf herumschwirren – nun werden auch die eliminiert, wobei das kehlige „Ahhhhhh!“ diesmal Ausdruck des Schmerzes ist. Ich halte es im Becken länger aus, als die meisten Japaner. Dabei hilft mir ein Trick, den ich durch Zufall vor Jahren entdeckt hatte: Ich lege die flachen Hände auf die Nierenseiten. Damit sinkt die Temperaturempfindlichkeit. Zumindest bilde ich mir das ein. Danach sitze ich – der Körper krebsrot – wieder auf dem Hocker vor dem Spiegel. Diesmal sind die Augen geschlossen und ich wasche mir den Kopf innen, das heisst, ich tauche in ein Gedanken- und Bildernichts ein und verliere das Zeitgefühl. Abschliessend probiere ich es mit einer alten Übung, die mir noch nie gelungen ist: in Gedanken einen Salto schlagen. Es klappt einfach nicht, aber ich bin nicht enttäuscht. Ich bin über alles erhaben. Ich habe die Ärgernisse des Tages vergessen und bin mit dem Leben im Reinen. Die Sento-Mama hat Schubert aufgelegt. Ich trete hinaus in die Nacht und finde die hässliche, fünfstöckige Strassenkreuzung eigentlich recht interessant.
Meine Kreuzung nebenan
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Kiwis haben gerade den totalen Sex-Flash, und das ganz ohne Schafe. Die 17jährige Lorde ist mit „Royal“ an der Spitze der YouTube-Charts; nicht lange davor war die wunderhübsche Kimbra schwer im Rennen. Musikalisch was drauf, genug Sex-Appeal, um Miley Cyrus locker von ihrer Kanonenkugel zu schubsen UND aus Neuseeland – wann gab’s jemals sowas? Wir können es selber noch nicht ganz fassen. Wir haben Hormonschübe, wir reißen uns vor Exstase fast die Kleider vom Leibe, und als größtes Aphrodisiakum haben wir jetzt auch noch ein waschechtes Polit-Luder, das Aucklands Bürgermeister zu Fall brachte. Voll Hollwyood!
Aber erst mal Kiwis und Stars: Einen Russell Brand können wir nicht bieten, nicht mal eine Fehlpressung von One Direction oder Justin Bieber. Okay, Fat Freddie’s Drop touren gerade durch Deutschland, und ihr Sound ist vom Feinsten. Aber sexy? Nee, sorry, abwink, so sind wir nicht. Aber dann plötzlich: Lorde! Oh my fucking god.
Das gleiche Phänomen bei den Dichtern und Denkern. Wer gewinnt den elitären Man-Booker-Preis? Eleanor Catton. Nicht nur 26 und hochbegabt, sondern auch noch so hübsch, was natürlich gar keine Rolle zu spielen hat, aber natürlich bemerkt wird. Das kannten wir bislang nicht. Denn Kerri Hulme, die bis dato einzige Booker-Preisträgerin aus dem literarischen Kiwi-Kanon, ist eine sperrige Gestalt. Nicht nur charakterlich, auch leiblich. Ihr öffentliches Auftreten jenseits von Angelstellen ist eher deftig: Saufen, fluchen, Pfeife rauchen. So gar nicht Pin-Up.
Auch unsere Politiker, mal abgesehen von der transsexuellen Schönheit Georgina Beyer, sind eher von der unglamourösen Sorte. Ganz besonders Len Brown, Bürgermeister von Auckland. Wer hätte daher gedacht, dass ausgerechnet dieser brave Schlipssträger mit Halbglatze in den größten Schmuddelskandal gerät, den das Land je gesehen hat. Man müsste sich mit ihm schämen, wenn man sich nicht so wunderbar daran aufgeilen könnte.
Brown, verheiratet mit drei Töchtern , hat zwei Jahre lang eine Affäre mit einer jungen Chinesin gehabt, die angeblich auf einen Posten im Stadtrat scharf war. Heiß für ihn, lauwarm für sie, denn der schnelle Len – das wissen wir jetzt alles im Detail – kam immer schon nach wenigen Minuten. Bevan Chuang, nur halb so alt und nebenbei mit einem Mitarbeiter von Browns politischem Gegner liiert, wurde von ihrem Sugardaddy wie eine Prostituierte behandelt, „nur ohne Bezahlung“. Telefonsex im Amtszimmer – ja, mit Hose runter – und Wham-Bam-Thank-You-Ma‘am in den würdigen Hallen, wo die Maori-Ältesten tagten. Ein Pförtner überraschte sie dort in flagranti. Der schwieg, Miss Chuang jedoch nicht, und so kommt es, das wir jetzt ihre intimen SMS-Nachrichten kennen und man ihr Rollen in Pornos anbietet, weil ihre Karriere vorerst zuende ist. Len Browns noch nicht, denn Bill Clinton hat das mit Monica Lewinsky damals ja auch hingebogen. Ausdenken kann man sich das alles nicht. Nur wundern, wohin es noch führen soll. Sodom und Aotearorrha! Und jetzt: kalt duschen.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Am 26. Oktober war ich nicht in Japan, besuchte mit Architekt Terunobu Fujimori Raiding. Der Geburtsort von Franz Liszt befindet sich im Burgenland – unweit vom ehemaligen Eisernen Vorhang. Die Vortragsscheune war alt, das Architekturthema modern. Zur gleichen Zeit feierte Österreich – wie jedes Jahr, seine wiederhergestellte Souverenität: mit Panzerparaden und Rekruten auf der Wiener Ringstrasse. Und deshalb fiel mir folgende Geschichte mit meinem Armeepullover ein.
Sturmgewehr vorn. Pullover nach hinten: Auch ich war einmal Rekrut.
1973 diente ich meiner Heimat, wie man so schön sagt. Während der sechs Monate als Wehrpflichtiger in der Kaserne Leobersdorf bei Wien lernte ich, dass eine Handgranate aus 3000 Splittern besteht und über den Kopf geworfen werden muss – damit sie nicht in den eigenen Reihen explodiert. Das Sturmgewehr konnte ich in stockdunkler Nacht zerlegen, putzen und wieder zusammenbauen. Panzer eleminierte ich mit einem langen Brett, einer Schnur und einer Mine. Kurz vor Eintreffen des „Russen“ zog ich das Brett vom Versteck aus über die Fahrbahn. Bummmm! Heute heisst sowas IED – Improvised Explosive Devise, und die Taliban verwenden statt der Schnur ein Handy. Ausserdem lernte ich, dass es besser ist, den olivgrünen Pullover mit dem V-Ausschnitt nach hinten zu tragen. Das schützt den Hals besser vor Gegenwind. Nach dem Abrüsten durfte ich diesen Pullover, sowie eine Hose – und ich glaube, auch eine lange Unterhose in Tarnfarbe, behalten – für den Ernstfall, sollte der Russe doch noch kommen. Ich nehme an, dass es bei einer Mobilisierung Zeit spart: Kein Armeeunterhosenanziehen in der Kaserne, sondern schon auf dem Weg dorthin. Der Schnitt und die Farbe des Pullovers passte perfekt zu meinen Jeans, und so war er noch Jahre nach meinem aktiven Heimatdienst fester Bestandteil von Disko- und Ausstellungseröffnungsbesuchen – bis er sich irgendwann von selber auflöste.
Pullover und Unterhose, 30 Jahre alt, für €36.34
Wie gross meine Überraschung, als ich dreissig Jahre später vom Militärkommando eine eingeschriebene Drohung erhalte – getarnt als Grosszügigkeit. Wird der Pullover samt Unterhose nicht retourniert, geht’s vor’s Gericht. Die Grosszügigkeit bestand darin, dass „in Anerkennung meiner geleisteten Dienste“ die Möglichkeit besteht, den dreissigjährigen Pullover und die Unterhose für €36.34 zu erwerben.
Dank an die Sovietunion für die Befreiung von der Naziherrschaft: Das „Russendenkmal“ auf dem Schwarzenbergplatz in Wien. Heute dient es als Kulisse für russische Musikvideos.
Ob die Betriebsversorgungsstelle des österreichischen Militärkommandos mit der Armeebekleidung immer noch so umgeht, das heisst, im Jahr 2043 zurückverlangt? Wer ist heute der imaginäre Feind? Es muss ihn geben, denn sonst würden am Nationalfeiertag in Wien keine Panzer rollen. Oder ist der Feind unsichtbar, die Militärparade ein Ausdruck der Hilf- und Nutzlosigkeit? Ist der Feind vielleicht sogar einer, der aus meinem Blog Schlüsselwörter wie IDE, Taliban und Handgranate filtert?
Verfallener Schweinestall im Burgenland: Bauern versteckten hier ihre Frauen während der zehnjährigen russischen Besatzungszeit.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Unterirdische Gänge führen vom japanischen Parlament zu den Büros der 480 Abgeordneten . Einer von ihnen ist Hideki Miyauchi (52). Er vertritt die Anliegen von 350,000 Einwohnern und ist Mitglied der Liberal Democratic Party (LPD). Ich besuche den konservativen Politiker, passiere dabei unbedrohlich wirkende Sicherheitszonen.
Anzug zurechtrücken im Granittunnel: Sauber und steril ist der Zugang und unscheinbar die Videoüberwachung.
Unterstützung vom Boss: Mit dem Wahlsieg von Premierminister Shinzo Abe (rechts) ist Hideki Miyauchi im Dezember 2012 zum ersten Mal ins Parlament eingezogen. 25 Jahre hat er sich darauf vorbereitet – als Mitarbeiter von einem Abgeordneten. „Ich fliege jedes Wochenende in meine Heimatstadt Fukuoka, besuche Bauern und Geschäftsleute. Wir müssen auf Biegen und Brechen die japanische Wirtschaft ankurbeln!“ sagt Miyauchi.
Bürogebäude der Abgeordneten: Ich passiere einen Metalldetektor. Die Wachen tragen hellblaue Uniformen, sind zuvorkommend, Waffen erkenne ich auf den ersten Blick nicht. Die Atmosphäre ist kühl, geschäftsmässig. Keine Spur von Überheblickeit, wie ich sie sonst bei Sicherheitskontrollen an deutschen oder österreichischen Flughäfen erlebe. Eine uniformierte Dame kontrolliert hinter Panzerglas meinen Ausweis. Vor mir ist eine kleine Kamerakugel aufgebaut, davor das Schild: „Sie werden nun im Büro, das Sie besuchen wollen, identifiziert“.
Nach dem Security Check Hände desinfizieren: Ich besprühe meine Hände mit antiseptischer Flüssigkeit, hänge mir eine Magnetkarte um den Hals, passiere die zweite Absperrung. Sie sieht aus wie eine Fahrkartenschranke.
Delegationen in Schwarz: Ich folge dunklen Anzügen zum Aufzug. Miyauchis Büro hat die Nummer 604 und liegt gleich neben dem des LDP-Granden Ichiro Ozawa.
Abenomics: Mit Deficit spending und strukturpolitischen Reformen will Premierminister Abe dem Land auf die Beine Helfen. Seine LDP hat die absolute Mehrheit. Gefolgsleute wie Miyauchi predigen Verzicht (niedrigere Renten), Zusammenarbeit (Freiwilligenarbeit unterJugendlichen im Sozialbereich) und Mut (mehr Investitionen für Forschung und Ausbildung). Kritiker bezeichen den Abenomics-Kurs als leichtsinnig. Der Geldumlauf soll sich innerhalb von zwei Jahren verdoppeln.
Marmelade und Nudeln: In seinem Büro hat Miyauchi Produkte aus seiner Heimat ausgelegt. „Die Leute aus meinem Wahlkreis sagen nicht direkt ‚wir wollen höhere Löhne‘. Sie sprechen indirekt, sagen zum Beispiel ‚Die Wirtschaft soll besser werden!‘ Als Abgeordneter muss ich die Wünsche herausfiltern, interpretieren. Meine Heimatstadt Fukuoka war immer schon Japans Tor zu Asien. Diesen Standortsvorteil sollten wir nützen.“
Kühlen Kopf bewahren: „Militärisch gesehen bereitet uns die Nähe zu China keine Sorge,“ sagt Miyauchi. „Was immer in Zukunft passiert, Amerika bleibt unser Partner. Wir wollen einen sachlichen, konstruktiven Dialog mit unseren Nachbarländern.“
Room with a view: Die Begrünung rund um das Abgeordentenhaus gleicht Wehranlagen aus alten Samurai-Zeiten.
Auf Wiedersehen und alles Gute! Miyauchi empfängt Besucher und Delegationen im 30-Minuten-Rhythmus.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Seit wir vor ziemlich genau zwei Monaten nach Peking gezogen sind, ist ein ruhiges Plätzchen schwer zu finden. Das liegt zum einen an den großen Baustellen neben und hinter unserem Haus. Doch das Problem ist temporär und wird irgendwann verschwinden. Etwas anderes aber wird uns während unserer Zeit im Reich der Mitte begleiten: Die Freude der Chinesen am Lärmen, am geselligen und kakophonischen Beisammensein.
Was den normalen Mitteleuropäer zurückprallen lässt, ist für die Einheimischen normale Härte. Knallvolle Restaurants, dichtes Treiben vor Sehenswürdigkeiten, Schieben und Drängen an Bushaltestellen, und das alles mit möglichst lautstarker Untermalung (Nein, ich fange jetzt nicht an, mich über das deutlich hörbare, röchelnde Spucken auszulassen). Hier ist das Alltag und deswegen gibt es auch ein Wort dafür: Rè Nào nennen die Chinesen den Zustand der lärmenden Enge. Laut meiner Chinesischlehrerin ist der Begriff eine Zusammensetzung der Worte „heiß“ und „laut“. Das trifft’s genau.
Bei unserem ersten Trip in den Süden Chinas vor drei Wochen sammelten wir intensiv Erfahrung mit Rè Nào. Es war während der so genannten Golden Week, wenn sich ganz China und wenige, unerfahrene Ausländer (also wir) auf Reisen begeben. Egal, zu welcher Sehenswürdigkeit wir kamen, durch welche Gassen wir gingen, auf welchem Ausflugsdampfer wir fuhren – es gab kein Entkommen von den Massen, die sich freudig ihre Urlaubs-Eindrücke zubrüllten.
Inzwischen kann ich verstehen, dass eine chinesische Freundin, die vor Jahren als Krankenschwester nach Österreich ging, bei ihrer Ankunft in Wien dachte, es sei etwas Furchtbares geschehen. Ganz still und menschenleer wären die Straßen der Hauptstadt an jenem Sonntagmorgen gewesen. Das hätte ihr richtig Angst gemacht, und sie hätte gedacht, dass vielleicht ein Krieg bevorstünde und deswegen alle Menschen in ihren Häusern wären. Damals hatte ich diese Geschichte nicht verstanden, als eine übertriebene Anekdote abgehakt. Doch aus hiesiger Perspektive wird der Kulturschock begreifbar, den meine an Rè Nào gewöhnte Freundin erlitten hatte. So wie ich jetzt (eigentlich wollte ich immer im dünn besiedelten Schweden leben, aber das ist eine andere Geschichte). Egal, meine Freundin hat sich bestens mit ihrem ruhigeren Leben in Wien arrangiert. Das wird mir mit dem kakophonischen Alltag in China sicher auch gelingen. Irgendwann jedenfalls.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Als ich gestern begann, diese trauerumflorten Zeilen zu schreiben, gewann doch glatt Eleonar Catton den Man-Booker-Preis. Ja, eine Neuseeländerin sackte den begehrtesten Literaturpokal ein. Als Jüngste überhaupt, und für den dicksten Booker-Schmöker aller Zeiten: „The Luminaries“ hat 832 Seiten. So viele Superlative, so toll! Das erinnert mich ans letzte Jahr, als ich von der Buchmesse wiederkam und jeder fragte, wie wir waren. Denn Neuseeland, das ja alle so schätzen, sich nach ihm sehnen, aber selten was von ihm lesen, war damals Ehrengast gewesen. Ein Riesen-Tamtam.
Die gefühlte Häfte aller einheimischen Autoren wurde nach Frankfurt verschifft, wo sie etwas ratlos rumstand. Es war wie auf Klassenfahrt. Radio New Zealand machte eine Live-Schaltung, man feierte sich ab, dazu Pinot Noir aus Central Otago – wer kann da meckern? Ich hielt mich eher an die Freigetränke meines Verlages als bei Maori-Tänzen auf und konnte die ganze Pazifik-Pracht kaum aufnehmen. Aber eines war klar: So viel Beachtung wie in jener Woche hat die kleine, feine Verlagszene Aotearoas noch nie bekommen. Und ein Jahr später ist klar: So beschissen wie jetzt ist es ihr auch noch nie ergangen. Während die Frankfurter letzte Woche mit Brasilien anstießen und unsere neue Star-Autorin in London geehrt wurde, herrscht daheim beim ehemaligen Ehrengast Krise.
Kevin Chapman lief damals als kiwianischer Wichtigmann von Halle zu Halle. Das deutsche Messe-Essen war ihm suspekt, er hielt sich an Hot Dogs. Im Mai diesen Jahres tönte er als Präsident der Verlegervereinigung Neuseelands noch: „Dies ist eine Branche, die über ein Jahrhundert lang bemerkenswerte Widerstandskraft bewiesen hat.“ Zwei Monate später war er seinen Posten los. Der Verlag Hachette, dessen neuseeländischer Direktor er war, machte sein Auckland-Büro dicht und strich 15 Stellen, auch seine.
Zuvor hatte sich bereits HarperCollins aus Neuseeland zurückgezogen – die Geschäfte werden jetzt von Sydney aus geregelt. Random House und Penguin haben sich im Juli global vereinigt, was ein paar Druckmöglichkeiten weniger für Kiwi-Autoren bedeutet. Und dann schloss noch Pearson seine Tore, der größte Schulbuchverleger. Von den 2000 Büchern, die pro Jahr in Neuseeland erschienen, waren allein 1200 Lese-Heftchen für Grundschüler.
Was in den letzten fünf Jahren weltweit den Buchmarkt umkrempelte, erlebten die Kiwis in nur 12 Monaten: Mehr selbstverlegte E-Books im Netz, weniger echte Verlage. Es ist in Aotearoa billiger, sich was von Amazon schicken zu lassen, als es im Buchladen zu kaufen. „Book shop“ bedeutet in vielen Fällen Schreibwarenladen mit Sportzeitschriften, in dem als literarisches Beiwerk Dan Browns Schinken und ‚Fifty Shades of Grey‘ stehen, aber selten ein im Lande produziertes Buch. Zum Beispiel von Awa Press. Mary Varnham ist dort Verlegerin und sagt: „Wer weiß, ob es uns in fünf Jahren noch geben wird.“ Mit einem Caipirinha allein lässt sich das nicht runterspülen. Prost, Eleanor!
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
weltreporter.net ist der größte Zusammenschluss freier deutscher Auslandskorrespondenten. Da ist es wenig überraschend, dass wir meinen, dass unser Berufsstand dringend gebraucht wird. Das gleiche sollte man von den Herausgebern deutscher Tageszeitungen denken, die ihr Geld damit verdienen, eine möglichst gute Zeitung zu machen, die den Leser täglich aufs Neue begeistert. Doch das Gegenteil ist der Fall.
Ein Medienkonzern wie Madsack (HAZ, Lübecker Nachrichten, OZ, LVZ) hat bisher über 18 überregional arbeitende Redaktionen – bald soll es nur noch eine sein. Mit der hochwertigen Berichterstattung, für die wir Weltreporter uns mit unserer täglichen Arbeit einsetzen, ist das kaum vereinbar. Deshalb betonen wir das Selbstverständliche: die Notwendigkeit einer publizistischen Vielfalt, zu der ortskundige Korrespondenten kritisch und kompetent mit Inhalten und Hintergründen beitragen.
Madsack ist kein Einzelfall. Die jüngsten Spardiktate etwa bei DuMont (Kölner Stadtanzeiger, Berliner Zeitung) lassen Schlimmes befürchten. Wir sehen, wie ganze Weltregionen ausgeblendet werden – auf Kosten der Korrespondenten, deren Rahmenverträge gekündigt werden, aber auch der Leser, die immer oberflächlicher informiert werden.
Tageszeitungen können nur überleben, wenn sie sich durch tiefergehende, überraschende und spannende Geschichten vom bunten Allerlei im Internet absetzten. Dafür braucht man Journalisten, die in ihrem Berichtsgebiet leben – keine Fallschirmreporter, die zu Krisenzeiten für ein paar Tage eingeflogen werden und dann voneinander abschreiben.
Guter Journalismus muss außerdem auch in Zukunft bezahlt werden. Ausbeutungsportale wie die Huffington Post, die ihre Autoren nicht bezahlen, nutzen letztlich nur einem: dem Herausgeber, der mit den unbezahlten Leistungen anderer Profit macht.
Weltreporter.net gehören derzeit 66 Mitglieder an, die aus 160 Ländern für ebenso viele verschiedene deutschsprachige Medien berichten. Ziel unseres eingetragenen Vereins ist die Förderung eines hochwertigen Auslandsjournalismus, zu dem sich alle Mitglieder bekennen.
Im kommenden Jahr feiern wir unseren zehnten Geburtstag. Diesen Anlass werden wir nutzen, um besonders engagiert und lautstark für guten Auslandsjournalismus auch in den Tageszeitungen zu streiten!
Dafür haben die Weltreporter einen neuen Vorstand gewählt. Neue zweite Vorsitzende ist die ehemalige ARD-Nahost-Korrespondentin Birgit Kaspar, die nach langer Zeit als Freie in Beirut nun für Hörfunk und Print aus Toulouse berichtet. Das globale Vorstandsteam vervollständigen Schatzmeisterin Julica Jungehülsing (Sydney), Klaus Bardenhagen (Taipei) und Kerstin Zilm (Los Angeles). Geschäftsführerin Barbara Heine leitet die Hamburger Geschäftsstelle von weltreporter.net.
Ich – Marc Engelhardt, nach sieben Jahren in Afrika inzwischen UN- und Schweiz-Korrespondent in Genf – darf in den kommenden zwei Jahren als erster Vorsitzender unser streitbares und kompetentes Netzwerk vertreten. Darauf freue ich mich – wie über jeden Tag, an dem Leserinnen und Leser in ihrer Tageszeitung noch lesenswerte Geschichten aus dem Ausland finden.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Hammel, überall blöken die Hammel. Die Autobahnen und Landstraßen sind voller Pick Up Trucks auf deren Ladenflächen sich Dutzende Tiere quetschen. Auf den Plätzen vor den Städten sind sie zu Hunderten zu sehen. Männer laufen herum und suchen sich ein Tier aus. Bündel von Geldscheinen wechseln den Besitzer. Der Grund: Das Islamische Opferfest steht bevor. Am heutigen 15. Oktober feiern die Muslime überall auf der Welt Aid al Adha oder Aid el Kebir, wie der Tag im Maghreb genannt wird. Jedes Familienoberhaupt ist angehalten ein Tier zu schlachten. In den meisten Länder sind es Hammel.
Das Tier wird einige Tage zuvor gekauf, denn Last-Minute ist teuerer. Stellt sich vor allem in der Stadt die Frage: Wohin mit dem Vieh? In Algerien erlebte ich das Opferfest vor einigen Jahren mit und konnte mir vom Einfallsreichtum der Städter selbst ein Bild machen. Wer zu den wenigen gehört, die in einem Ein- oder Zweifamilienhaus leben, hält das Tier in der Garage oder im Innenhof. Wer unweit eines Parks lebt, markiert seinen Hammel und lagert ihn dort zwischen. Die Tiere fressen die Parkvegetation, während ein Wächter aufpasst, dass sie nicht gestohlen werden. Schwieriger wird es da schon in den monotonen Wohnblocks der Vororte mit ihren viel zu engen Wohnungen. Hier bevölkern die Hammel die Balkone und selbst die Absätze im Treppenhaus. Es riecht entsprechend.
Am Opferfest dann, werden die Tiere auf die Straße geführt, um ihnen – den Blick gen Mekka gerichtet – mit einem Messer die Gurgel durchzuschneiden. Überall in der Stadt fließt das Blut. Nicht jeder Mann in der Familie ist geeignet das Opfer darzubringen. Er muss ein guter Muslim sein. Viele meiner Freunde haben deshalb noch nie das Messer geführt und wollen das auch nicht. “Ich trinke doch Bier”, heißt die Entschuldigung, um sich vor dieser Aufgabe zu drücken.
Es ist kein billiges Fest. Dieses Jahr kosten die Tiere in Algerien um die 450 Euro. Das ist das dreifache des Mindestlohnes. Viele Tiere müssen importiert werden, da Algeriens Viehwirtschaft nicht ausreicht, das gesamte Land zu versorgen. Wer sich einen Hammel leisten kann, und einem Armen Nachbarn hat, ist angehalten, ein Stück Fleisch abzugeben.
Das Opferfest geht übrigens auf das Alte Testament zurück. Der Koran hat die Geschichte des Propheten Ibrahim (Abraham) übernommen. Das Hammelopfer gedenkt der Bereitschaft Ibrahims seinen Sohn Ismael (Isaak) aus Furcht vor Gott, soll heißen Allah, zu opfern. Als Allah – Gott – seine Bereitschaft und sein Gottvertrauen sah, gebot er ihm Einhalt und Ibrahim und Ismail opferten daraufhin voller Dankbarkeit im Kreis von Freunden und Bedürftigen einen Widder. Die Geschichte wird im Koran in Sure 37,99-113 erzählt. Ihr biblisches Pendant ist die Erzählung von der Opferung Isaaks (Gen 22,1-19 EU).
Am Festtag selbst, werden die Innereien zubereitet. Sie verderben am schnellsten und das Hammelfleisch an sich muss einige Zeit abhängen, um genießbar zu sein. Wer an so einem Opfertag eingeladen wird, bekommt das beste Stück aufgetischt. In meinem Falle waren es die Hoden. Unter dem aufmerksamen Blicken meiner Gastfamilie verzehrte ich den Leckerbissen und spülte mit amerikanischer Brause nach. Probe bestanden!
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Gerade habe ich im Radio gehört, dass weltweit kein großes Interesse am schlechten Schauspiel der Haushaltsblockade von Washington besteht. Kein Wunder. Ich kann auch kaum noch die Stimmen der üblichen Verdächtigen ertragen, die sich gegenseitig die Schuld zu schieben. Die müssen doch mindestens genausoviele Geschichten von Betroffenen gehört haben wie ich!
Ich habe Touristen am Flughafen von Los Angeles getroffen, die ihren gesamten Ferienplan umstellen mussten weil sie nicht in Nationalparks kommen. Eine Rentnerin war auf dem Weg zum Trip ihres Lebens mit Schulfreundinnen – Wildwasserrafting im Grand Canyon. Aus der Traum!
Ich traf einen Vater, der die Hypothek für sein Haus und Studiengebühren für seine Töchter nicht bezahlen kann, weil er im Zwangsurlaub ist. Irgendwann soll er sein Gehalt bekommen. Bis dahin stapeln sich unbezahlte Rechnungen und Verzugsgebühren. Er schläft nicht gut.
Am meisten beeindruckt aber hat mich die Geschichte von Shanice, einer Studentin aus dem nicht gerade idyllischen Viertel Watts in Los Angeles. Das ist berühmt vor allem für Rassenunruhen in den 60ern und für die Türme aus Recycle-Material. “Ich weiss nicht, was derzeit unser größtes Problem ist – Gangs oder Teen-Mütter,” erzählte sie mir. Shanice will den Kreislauf durchbrechen und hat ein Studium angefangen. Sie schrieb sich ein für Soziologie und Kommunikation an einem relativ preiswerten College. 1000 Dollar zahlt sie im Jahr für Studium und Studienmaterial. Das stieß bei Freundinnen auf großes Unverständnis. “Warum wirst du nicht einfach schwanger, dann bekommst Du Geld für Essen und Wohnung?” haben die gefragt.
Die 21 jährige lebt bei ihrer Großmutter. Sie hat sechs Geschwister. Die leben bei der Mutter. Der Vater hat sich nie um sie gekümmert. Shanice bekommt etwa 10 tausend Dollar im Jahr aus verschiedenen Töpfen des Bundeshaushalts. Mir ist es ein Rätsel, wie man mit so wenig Geld in Los Angeles leben und studieren kann! “Ich bin total von finanzieller Hilfe abhängig. Ich zahle alles davon – das Busticket, die Bücher, mein Essen, die Gebühren, meine Kleidung, Zuschuss zur Miete.” erzählte sie mir. Und das ist die Verbindung zur Haushaltsblockade.
Vor gut acht Wochen wäre eine Zahlung an Shanice fällig gewesen, etwa 1500 Dollar. Wegen Kürzungen an den Unis noch vor der Blockade hat sich die Zahlung verzögert. Wegen der Streits in Washington wurden nun zusätzlich Stellen am College gestrichen und Shanice fürchtet, dass sie das Geld gar nicht mehr bekommt. Bei der Beratungsstelle sind die Schlangen endlos. Dort arbeiteten einmal drei Angestellte, nur eine Stelle ist geblieben. “Wenn ich am Ende des Monats keine Überweisung bekomme, kann ich mir den Bus nicht mehr leisten. Wenn ich nicht zur Schule komme, kriege ich schlechte Noten. Mit schlechten Noten bekomme ich keine finanzielle Förderung mehr.” Shanice will ein Vorbild sein, ihren Geschwistern zeigen, dass auch Kinder aus Watts einen Collegeabschluss machen können. Momentan fürchtet sie, dass die Schulfreundinnen recht behalten und es einfacher ist, eine Teen-Mutter zu sein als zu studieren.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Schon jetzt fliegen die Fetzen. Zwar bekrittelt niemand öffentlich (noch nicht), dass die gebürtige Irakerin „Dame“ Zaha Hadid das Stadion in Tokio bauen wird (siehe Blog 9. September 2013), doch Unmut über Grösse und Location wird lauter.
Befürworter des protzigen Projekts ist der ehemalige Boxer, Pritzker Preisträger und Beton-Purist Tadao Ando,72. Er hat als Jurymitglied die Entscheidung massgeblich beeinflusst und letzten November Hadids Sieg verkündet. Sein Gegenspieler, Fumihiko Maki, 85, sieht in dem Projekt Geldverschwendung und Umweltzerstörung. Deshalb schart der suave Harvard Absolvent – ebenfalls ein Pritzker Preisträger – eine Protestgruppe japanischer Architekten um sich. Unter anderem gehören ihr Toyo Ito, Kengo Kuma, Taro Igarashi und Sou Fujimoto an.
Am Wochenende bin ich durch das zuküftige Olympia-Viertel spaziert.
Last Tange: Für die olympischen Spiele 1964 baute Kenzo Tange (1913-2005) zwei Stadien im Yoyogi Park. Auch 2020 sollen sie zum Einsatz kommen. Doch der Hadid Bau wird sie erdrücken.
Lachend in die Zukunft? Yoyogi ist eine der wenigen grünen Lungen Tokios und mit seinen angrenzenden Vierteln Harajuku, Aoyama und Shibuya Freizeitspielplatz der Jugend. Grünanlagen werden dem Hadid-Bau zum Opfer fallen. Die Skyline hinter den beiden Gebäudespitzen von Kenzo Tange dominiert dann das neue Stadion.
Der Kritiker: Fumihiko Maki will retten was zu retten ist. Er prangert Grösse, Umweltbelastung und fehlendes Einfühlungsvermögen an. Hadids Stadion wird ca. eine Milliarde Euro kosten (Umrechnungskurs 130 Yen) und drei mal so gross werden, wie das Hauptstadion bei den Spielen in Londen. „Viel können wir nicht mehr ändern“, gesteht Maki, „aber zumindest verkleinern. 85,000 Sitzplätze sind nicht notwendig.“ In der Yomiuri Shinbun warnt ein Beamter davor, dass die Kosten explodieren würden. Korruption ist aber nicht auf Japan beschränkt, wie wir das bei den Flughäfen Berlin und Wien gesehen haben.
Fahrradhelm im CG-Grün: Hadids Olympia Stadion täuscht vor, friedlich in der Natur eingebettet zu sein. Zu sehen sind aber weder die geopferten Grünflächen, noch die breitspurigen Auswirkungen auf das Gesamtstadtbild. Hadid hat 400 Angestellte und Projekte in 55 Ländern, einige davon Diktaturen. (Einen interessanten Fotobericht von Hadids Heydar Aliyev Center in Baku, Aserbaidschan, gab es am 11. Oktober 2013 in der New York Times. Heydar Aliyev war der ehemalige KGB-Chef des Landes. Am Ende des Artikels betont die Times, dass die Fotos von Hadid zwar beauftragt, aber nicht von ihr vor Veröffentlichung abgesegnet wurden.)
Habt acht beim Strippenzieher: Tadao Ando findet, dass Hadids Design Japans Zukunft interpretiert. Er war in Osaka immer schon ein kompromissloser Einzelkämpfer gewesen, dem die Elite in Tokio suspekt erschien. Die internationale Olympia-Ausschreibung für 2020, wo hochkarätige japanische Architekten aus Tokio teilgenommen haben (Toyo Ito und das SANAA Team), wirkt unter diesem Blickwinkel unglaubwürdig. Zudem hätte der Wettbewerb – meiner Meinung nach, ohnehin nur unter japanischen Architekten stattfinden sollen. Japan ist nicht China, dass mit Leuten wie Koolhaas und Co. Anerkennung im Ausland erheischen muss.
Obdachlosen-Architektur: Die bisher stillschweigend geduldeten Zeltlager im Yoyogi Park werden ebenfalls dem Hadid Stadion weichen müssen.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
In Spanien über Handwerker zu schimpfen ist ungefähr so originell wie sich in Deutschland über die Verspätungen der Bahn zu echauffieren. Zeit also für eine Ehrenrettung: Spanischen Handwerkern verdanke ich wesentliche Erkenntnisse über Sprache und Weltanschauung.
Die Sachlage: Wir haben seit einem Jahr ein Zimmer mit einer feuchten Wand. Seit genau so langer Zeit bemühen wir uns, unsere Vermieterin zur Lösung dieses Problems zu bewegen. Neulich tropfte es auch im Supermarkt unter uns auf die Kasse. Und so hatten wir innerhalb weniger Wochen das Vergnügen mit gleich vier (4!) Handwerkern.
Die ersten schickte die Vermieterin. “Son de confianza”, Vertrauensleute also. Ich interpretierte das als “Denen kannst du vertrauen”. Meine Vermieterin wollte damit aber lediglich zu erkennen geben, dass es ihre Vertrauten waren: vermutlich Kumpel ihres erwachsenen Sohnes, die sich ein Zubrot verdienen wollten. Hochmotiviert klopften die beiden im Bad Kacheln ab, wickelten etwas um die tropfende Kupferleitung und begannen am gleichen Nachmittag im Nebenzimmer Gips auf die feuchte Wand zu spachteln und dann darüber zu pinseln.
Auf mein schüchtern hervorgebrachtes “Sollte das nicht zuerst trocknen? Und was ist mit der Grundierung?” entgegnete man mir, die “Señora” solle sich keine Sorgen machen, man werde das Zimmer “to’ guapo, to’ guapo” hinterlassen (was mit “tip-top” nur unzureichend übersetzt ist). Tatsächlich hatte ich am nächsten Tag eine originell gestaltete Wand, reliefartig weissgelb, hellbraun gesprengelt. Glatt weiss ist für Spiesser!
Da das Wandrelief in den nächsten Wochen wieder in Bewegung geriet und sich schliesslich auf Rohrhöhe auflöste, riefen wir wieder an, diesmal nicht bei der Vermieterin, sondern bei der Hausverwaltung, die uns den “offiziellen Handwerker des Gebäudes” schickte. Der machte uns mit einem der schönsten Worte der spanischen Sprache bekannt: “Esto es una chapuza”. Das heisst so viel Schlamperei, Murks, Pfusch, ist aber weniger negativ behaftet, da “chapuza” streng genommen nichts weiter ist als eine zwangsläufige Transformation von “arreglo” (so viel wie “schnelle Reparatur”), und einen “arreglo” hatte der erste Handwerker gemacht. Da half jetzt nur eine gründliche Reparatur, und die kostete ihre Zeit. Wir lebten tagelang in einer offenen WG mit Handwerkern, die Farbe abspachtelten, Kacheln abklopfen, Rohre verschweissten. Manchmal sang ich leise “cha-pu-za, cha-pu-za” vor mich hin – das Wort tröstete mich als melodiöser Ohrenschmeichler über den Dreck und das zu Unzeiten abgestellte Wasser hinweg.
Diesmal wurde auch nicht sofort gestrichen, da aber auch nichts trocknete, kam drei Wochen später ein anderer, von Hausverwaltung und Vermieterin gemeinsam bestellter Handwerker vorbei. Er sei der Chef, wurde uns gesagt. Der Chef ging ins Bad, klopfte drei Mal melancholisch gegen die Kacheln, ging in das Zimmer mit der feuchten Wand, seufzte tief, ging dann in den Innenhof, wo er den Kopf in den Nacken legte und den Blick das Rohrgewirr im Lichschacht emporwandern liess. Dann schüttelte er den Kopf und sagte: “Esto es un universo” – “Das ist ein Universum!”. Er packte seinen Werkzeugkoffer zusammen, drückte uns die Hand und ging. Für immer.
Ich war erschüttert: Ein Universum im Abflussrohr! Die Welt als Rohrsystem! Auf so eine Metapher muss man erst einmal kommen. Und dann dieser Abgang! Würdevoller kann man vor der Ausweglosigkeit des Lebens nicht kapitulieren.Spanische Handwerker sind die letzten grossen Poeten der Post-Postmoderne.
Ach ja, das Problem mit der tropfenden Wasserleitung haben dann keine spanischen Handwerker, sondern “manitas”, wörtlich “Händchen”, gelöst: zwei Ecuadorianer ohne “offiziellen Titel”, die das defekte Rohrstück durch ein neues ersetzten. Prosaisch, aber effizient.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Aus dem Schlaf gerissen, verstand Alice Munro zunächst nicht die Nachricht, die ihr ihre Tochter telefonisch übermittelte: „Mama, Du hast gewonnen.“ Es war heute morgen, kurz nach 4 Uhr in Victoria in Kanadas Pazifikprovinz British Columbia. Dann aber dämmerte es ihr: Sie, die 82 Jahre alte Grand Old Lady der kanadischen Literatur, war für ihr Lebenswerk mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet worden.
Als sie wenige Minuten später die ersten Interviews gab, hatte sie immer noch Mühe, die richtigen Worte zu finden. „Es ist mitten in der Nacht hier“, sagte sie fast entschuldigend in einem Gespräch mit dem kanadischen Rundfunk CBC. „ich kann es nicht beschreiben. Was soll ich sagen?“ antwortet sie auf die Frage, wie sie die Nachricht aufnahm. „Meine Tochter weckte mich und zunächst verstand ich nicht warum“, erzählt die „Meisterin der zeitgenössischen Kurzgeschichte“, wie das Nobelkomitee in Stockholm sie bezeichnet. Erst „kürzlich“ sei sie darauf aufmerksam gemacht worden, dass sie wieder eine Kandidatin für den Nobelpreis sei. „Ich hatte daran nicht gedacht. Ich bin hier für Familienangelegenheiten.“ Ja, sie weiss, dass sie schon öfter als Kandidatin im Gespräch war. Aber den Nobelpreis zu erhalten, das sei „eines dieser Hirngespinste, die passieren könnten, aber wahrscheinlich doch nicht“.
Nun hat sie ihn doch bekommen. Alice Munro, die erste Kanadierin, die mit Literaturnobelpreis ausgezeichnet wird, die 110. in der langen Reihe der Geehrten, aber erst die dreizehnte Frau. Als sie damit konfrontiert wird, reagiert sie schlagfertig. Es sei „haarsträubend“, dass erst dreizehn Frauen den Preis erhalten haben. Ob sie auch der erste kanadische Preisträger in Literatur ist, ist eine Frage der Definition: Kanadische Medien verweisen darauf, dass der in Kanada geborene, aber in den USA aufgewachsene Saul Bellow den Preis 1976 erhielt.
Alice Munro, die grauhaarige Dame, ist in Kanada hoch angesehen. Ihre nicht minder bekannte kanadische Kollegin Margret Atwood nennt sie eine „internationale Literatur-Heiligkeit“. “Hurra, Alice Munro erhält den Literaturnobelpreis”, gab sie ihrer Freude auf Twitter Ausdruck. Die US-amerikanische Schriftstellerin Cynthia Ozick nannte Munro Kanadas „Tschechov“ und verglich sie damit mit dem russischen Schriftsteller Anton Tschechov. Ihr langjähriger Publizist Doug Gibson nennt die Preisverleihung „eine wunderbare Nachricht für uns alle. Kanada hat den Literatzurnobelpreis gewonnen.“ Er sei über die Auszeichnung für Munro „nicht überrascht. Sie verdient es. Es ist an der Zeit.“
Ihr Ansehen in Kanada wird durch mehrere Preise unterstrichen. Für ihr Debutwerk „Dance of the Happy Shades“ (Tanz der seligen geister) erhielt sie den Literaturpreis des kanadischen Generalgouverneurs, ebenso für ihre 1978 erschienene Sammlung „Who Do You Think You Are?“ (Das Bettlermädchen). Für „The Love of a Good Woman“ (Die Liebe einer Frau) und „Runaway“ (Tricks) wurde sie mit dem Giller-Preis ausgezeichnet, und 2009 gewann sie den renommierten Man Booker International Prize für ihr Lebenswerk.
Alice Laidlaw, am 10. Juli 1931 in Wingham in Ontario geboren, wuchs auf der elterlichen Farm auf, studierte an der University of Western Ontario in London Journalismus, brach das Studium aber aus Geldmangel ab. Sie heiratete James Munro, mit dem sie drei Töchter hat. Die Ehe wurde 1972 geschieden und sie heiratete den Geografen Gerold Fremlin, der vor wenigen Monaten starb. Einige Jahre lebte sie in British Columbia, jetzt lebt sie zeitweise in Ontario und in British Columbia, wo sie am Donnerstag die Nachricht vom Nobelpreis erreichte.
Im vergangenen Jahr veröffentlichte Alice Munro ihre Sammlung „Dear Life“, für die sie ihren dritten Trillium Book Award erhielt, den Literaturpreis ihrer Heimatprovinz Ontario. Erst vor wenigen Wochen hatte sie in einem Interview mit der kanadischen Zeitung National Post erklärt, dass sie „wahrscheinlich nicht mehr schreiben wird“. Jetzt gefragt, ob sie diese Aussage nach dem Nobelpreis revidieren wolle, meinte sie lachend, dass sie das nicht glaube. „Ich werde ziemlich alt.“
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Nach meiner Konfrontation mit einem Yakuza bin ich sicher: An der Fukushima-Katastrophe bereichern sich Verbrechersyndikate.
Was ist passiert?
Drei markante Gebäude markieren die Yoyogi-koen Kreuzung im Herzen Tokios: Ein Glaskubus von Mode-Shogun Issey Miyake, ein Family Mart Convenience-Store und ein koban. Das Polizeihäuschen ist 24 Stunden geöffnet. Manchmal sitzt dort ein Polizist, manchmal stehen dort drei. In Japan gibt es weder Strassennamen noch Strassennummern. Deshalb liegen im koban Stadtkarten auf, wo Häuser des Viertels mit Familiennamen eingezeichnet sind. Die Polizei gibt Auskunft, besucht zudem einmal im Jahr alle Bewohner im Revier. Sie fragt, wie’s geht oder warnt Omas vor „ore-Telefonaten. Das sind Anrufe von angeblichen Enkelkindern in Not, die um eine Banküberweisung bitten. Jährlich erschwindeln Banden wie die Yakuza auf diese Art Milliarden.
Yakuza im Manga: “Sorry. Ich habe kein Geld!”
Unweit vom Yoyogi-koban, beim Family Mart, will ich mein Fahrrad abstellen. Neben dem Eingang aber schreit ein bulliger, kurzbeiniger Typ. Vor ihm – zwei Teenager. Sie nicken reumütig. Hinter ihm – eine junge Frau. Der Rock ist kurz, die Absätze lang, der Blick trüb.
„Mit den Scheiss-Fahrrädern habt ihr der Frau das Knie verletzt!“
Mein Seitenblick streift ihre Beine. Schlank sind sie und weiss und unverletzt.
„Was ist? Zahlt ihr? Habt ihr Geld ? Einen Ausweis? Wo wohnt ihr?“
Koban bei der Yoyogi Kreuzung
Einkäufer gehen an uns vorbei. Nur keinem Yakusa in die Augen schauen! Mir reicht’s, laufe rüber zur koban. „Da drüben werden Jugendliche attackiert!“ Drei Polizisten springen los, halten Pistolentasche, Stahlrute, Funkgerät und Schellen am Gürtel fest, damit sie nicht klappern. Wie ein kleiner Bruder, der Geschwister zur Verstärkung mitbringt, stelle ich mich vor den Ganoven.
„Das ist er!“ sage ich. Der Yakuza baut sich vor den Polizisten auf: „Dreckskerle. Habt ihr nichts besseres zu tun? Arschlöcher! Verschwindet!“
Die Polizisten verziehen keine Miene, fragen höflich, was das Problem sei.
„Geht euch einen Scheiss an. Erzähle ich eurem Boss. Verpisst euch,“ sagt der Wegelagerer.
„Ist doch klar, dass er die Teenager erpresst,“ sage ich.
„Alles OK,“ sagt ein Polizist.
Fahndungsposter bei der koban
Der Yakusa tritt an mich heran und ich rieche seinen ranzigen Sake-Atem. Er brüllt und bellt und lässt das „R“ rollen, wie es sich nur unter seinesgleichen geziemt. Er zieht sein Handy. Er fotografiert mich. Er fotografiert die Polizisten. Er hält die Faust mit den Goldringen vor meine Nase. Und erst dann stellen sich die Polizisten dazwischen.
„Ich kriege euch alle. Eure Familien. Eure Kinder!“ In seiner Stimme – keine Spur von Heiserkeit. Auf der Strasse – keine Schaulustigen. Im Family Mart – kein Aufruhr – der Laden könnte nächstes Opfer sein. Hinter dem Rücken des Gelegenheitsparasiten deutet die schlanke Frau den Jungen, sie sollen weglaufen – doch sie rühren sich nicht vom Fleck. Denken sie, nun sei Hilfe gekommen? Denken sie, sie müssten sich dem Polizisten erklären? Denken sie, bei einem Yakusa hat auch die Polizei keine Chance?
Und dann sagt der ranghöchste Uniformierte: „Das hier ist eine Privatunterhaltung.“
“Wo ist die Verletzung am Knie?” wiederhole ich.
Die Polizisten drehen sich um und spazieren zurück zum koban. „Scheisskerle! Wird Zeit!“ schreit ihnen das Bronsongesicht nach und wendet sich zu mir und ich ergreife die Flucht und die Jungen tun mir deshalb heute noch leid.
Und was hat das mit Fukushima zu tun?
1000-Tonnen-Tanks mit radioaktivem Wasser sind miserabel zusammengeschraubt. Viele davon stehen schief. Arbeiter pumpen von einer Seite Wasser hinein, auf der anderen läufte es ab. Die Dummheiten werden auch in Zukunft nicht aufhören und ich habe dafür eine Erklärungen. Das Arbeiterfussvolk im AKW ist nicht geschult. Niemand will den Laden freiwillig aufräumen, sein Leben riskieren. Deshalb ist die Yakuza nun Job-Vermittler für den Energiebetreiber, rekrutiert Obdachlose, Arbeitslose, Hilflose. Das munkeln Japaner. Ich glaube es. Ich habe die Polizisten weggehen gesehen.
Roland in Fukushima
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Ausgerechnet im sauberen Deutschland hat sich mein Sohn Würmer eingefangen. Im Sandkasten, auf dem Spielplatz oder im Kindergarten, keiner weiß es so genau. Es fing an mit einem leichten Jucken am Popo und endete mit einem mehrwöchigen Drama durchwachter Nächte, wiederholtem Waschen sämtlicher Bettwäsche, Schlafanzüge, Unterhosen und Stofftiere sowie diversen Kinderarztbesuchen. Durchaus auch in gemäßigten Breitengraden nichts Ungewöhnliches, wie ich während der Prozedur gelernt habe, meist durch Übertragung von Tieren. Zwar hatte im Kindergarten angeblich sonst niemand Würmer, praktisch gesehen allerdings ein Ding der Unmöglichkeit bei der hohen Übertragbarkeit. Aber über so etwas reden Eltern – zumindest in Deutschland – wohl lieber nicht. So ähnlich wie bei Läusen: Während in Frankreich die bewährten Läusemittel in der Apotheke gleich vorne im Regal stehen, muss man sie sich in Deutschland mit gesenkter Stimme aus den Tiefen des Lagers holen lassen.
Wie auch immer: Bei der dritten Behandlung hat die verabreichte Wurmkur endlich gewirkt und der Spuk war mit einem Schlag beendet. Bei den ersten beiden Versuchen musste der dreijährige Patient ein widerlich riechendes, giftrotes Medikament hinunterwürgen, das ihm zwei Stunden später (also bereits nach Wirkungseintritt) wieder hochkam. Leider bekämpfte das Zeug nur den gemeinen Madenwurm und hat die Viecher im Darm meines Sohnes offensichtlich nicht beeindruckt. Erst beim dritten Wurmalarm bekamen wir ein Rezept für das verschreibungspflichtige Medikament Helmex, das gegen diverses Gewürm wirkt. Besonders lecker roch die schleimige Suspension ebenfalls nicht. Um Wiederansteckung vorzubeugen, hat die ganze Familie inklusive Oma mitgeschluckt. Und musste selbst bezahlen: 24 Euro pro Person.
Als wir wenig später wieder nach Indonesien reisten und der Kinderpopo dort schon wieder juckte, rannte ich sofort panisch in die nächste Apotheke. Mitten im Raum, nicht zu übersehen, stand in allen möglichen Packungsgrößten und Verabreichungsformen das Medikament Combantrin. Jedes Kind in Indonesien kennt die kleinen Plastikfläschchen, die idealerweise alle halbe Jahr vorbeugend verabreicht werden sollten. Der Sirup schmeckt in etwa wie flüssige Gummibärchen und kaum ein Kind weigert sich, dies zu trinken. Kosten für eine Erwachsenendosis: umgerechnet 70 Cent. Für die gleiche Menge desselben Wirkstoffs wie bei den in Deutschland verkauften Medikamenten.
Die vermeintliche, erneute Wurmattacke stellte sich glücklicherweise als Fehlalarm heraus. Stattdessen habe ich mich nun vor der nächsten Heimreise mit billigen, rezeptfreiem Wurmmittel eingedeckt.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Wolfgang Maier erregt die Gemüter. Der Deutsche berichtet für FTL-Fernsehen aus Spanien. Seine Beiträge werden dort vom spanischen Fernsehsender La Sexta aufgegriffen und direkt nach dem Mittagessen ausgestrahlt. «Así nos va» – «So geht es uns» – heisst das Programm. Je nach Tonfall hat dieser einfache Satz die Bedeutung von: «Wir haben es so verdient.»
«Schaut, was wir im deutschen Fernsehen gefunden haben», kündigen die beiden Sprecher von La Sexta mit empörter Stimme die jeweiligen Kurzbeiträge an. Im Trenchcoat, Mikrofon in der Hand, berichtet der hoch gewachsene Reporter über den spanischen Alltag. Maiers Ton ist überheblich, besserwisserisch, hart an der Grenze zur Ausländerfeindlichkeit. Er fragt auf Spanisch und kommentiert auf Deutsch – La Sexta untertitelt nicht immer wortgetreu, aber immer provokant. «Sie haben mehr gebaut, als sie konnten. Sie haben spekuliert, bis sie in die grösste Krise ihrer Geschichte fielen …», eröffnet Maier seine Moderation. Bauruinen und Arbeitslose werden gezeigt. In reicheren Teilen Madrids geben die Menschen auf der Strasse offen zu, dass sie sich in Zeiten der Spekulationsblase eine goldene Nase verdient haben.
Maier berichtet aus den Madrider Bars: «Während Spanien um Rettung nachfragt, sind sie voll, keine Spur von Krise. Acht Millionen Spanier gehen täglich in die Bar, woher nehmen sie nur das Geld?» Er berichtet über den Müll auf dem Boden in den Bars («wenn das das Gesundheitsamt sehen würde») – die Osterwoche in Sevilla («sie verletzten sich beim Tragen der Statuen und liessen sich dann krankschreiben». Er besucht Volksfeste wie «Las Fallas» in Valencia, wo riesige Skulpturen, die Politik und Gesellschaft auf die Schippe nehmen, abgebrannt werden: «240 000 Euro stehen in Rauch und Flammen (…) Umweltverschmutzung, Ausgelassenheit und Ekstase (…) unglaublich!»
Maier zerpflückt alles, was den Spaniern heilig ist. Er lässt sich abschätzig über deren kulinarische Genüsse aus. Er interviewt Fussballfans, die vor der Kamera so richtig aufleben, grölen, saufen. Und natürlich darf der Stierkampf nicht fehlen. Maier starrt mit schockiertem Gesicht in die Kamera und hat die Gabe, immer diejenigen für Interviews auszusuchen, die am wenigsten zu sagen haben. Es entsteht das Bild eines Volkes von Ignoranten und Säufern.
Nur einmal bedient Maier nicht die Vorurteile der Deutschen, sondern beobachtet seine Landsleute aus spanischer Sicht. Er fährt nach Mallorca und zeigt junge Männer im Sangriarausch, die nicht in der Lage sind, auf einer Landkarte die Urlaubsinsel zu zeigen. Er spricht mit Rentnern in weissen Socken und Sandalen; das sind die Klischeetouristen, wie sie die Spanier Sommer für Sommer erleben. Und da ist sie auch wieder – die Überheblichkeit. Arm sei Spanien, Hungerlöhne würden sie bekommen, nuschelt ein sturzbesoffener Teutone seine Sicht der Dinge in die Kamera.
In seiner am meisten kommentierten Folge berichtet Wolfgang Maier für FTL über die spanische Arbeitsmoral. Er stellt sich vors Gesundheitsministerium und passt die Handvoll Beamten ab, die zu spät kommen und mehr oder weniger plausible Entschuldigungen in die Kamera stammeln. Maiers Schlussfolgerung: «Wir Deutschen sollen die Wirtschaft Spaniens retten. Wenn wir ihre Arbeitsmoral sehen (…), werden sie fähig sein, uns dieses Geld zurückzugeben?»
Die Kommentare im Internet sind alles andere als freundlich. Sie gehen von «neidisch auf unseren Lebensstil», über «Hurensohn», «Scheissdeutscher» bis hin zu «Rassist im klassischen Stile Hitlers». Nur wenige fragen sich, ob nicht ein bisschen Wahrheit hinter dem steckt, was Maier aus dem spanischen Alltag zeigt.
Und noch weniger Zuschauer stellen sich die Frage, was für ein Sender FTL eigentlich ist. Das Logo erinnert stark an RTL. Doch wer im Netz sucht, findet keine Homepage von FTL. Und wer nach Wolfgang Maier sucht, dem liefert Google einen Sprachwissenschaftler an der Universität in Düsseldorf, den Direktor des Deutschen Skiverbandes, einen Geschäftsführer eines grossen Hotels in Abu Dhabi; doch von einem Starreporter fehlt jede Spur.
Nur eine Bloggerin ist La Sexta auf die Schliche gekommen: «Diese Reportagen sind unechter als eine Euromünze mit dem Gesicht Popeyes.» Wolfgang Maier und seine Reportagen sind ein Fake. Es ist ein weiterer Sketch, wie der Rest des Programmes auf La Sexta auch. Die meisten Zuschauer werden Maier dennoch weiterhin für bare Münze nehmen und sich aufregen. Das von La Sexta kreierte FTL-Fernsehen trifft perfekt den Nerv in einem Europa der Merkelherrschaft und der Krise.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Camel White ist in Japan angekommen – mit der schönsten Zigerattenpackung der Welt. Ich musste sie gleich fotografieren. Vorweggenommen: Ich bin Trockenraucher. Die Marke ist mir egal. Der Look ist wichtig, schlicht soll er sein und nicht schreien. Sackt die Schreiblust vor Redaktionsschluss ab, öffne ich eine Zigarettenschachtel und nuckle am Filter so lange herum, bis er flach und aufgeweicht ist. Anschliessend werfe ich die unverbrannte Zigarette weg. Mit vierzehen habe ich mir zum ersten Mal eine angezündet, eine A3. Ich sass unter Kastanienbäumen bei der Lainzer Tiergargartenmauer mit Blick auf Wien und dachte, dass ich von nun an mein Leben für immer im Griff haben würde. Die Zigarettenpackung war ausgehungert-graugrün mit einer schmutzig-violetten Schrift. A3 stand darauf. Das schlichte Design faszinierte mich, obwohl ich „Minimalismus“ noch nicht kannte. Instinktiv fragte ich, warum sich mit einer A3 in Österreich nur Proleten, Maurer und Arbeitslose sehen lassen konnten.
Meine bewunderte A3 (1969) und meine Hand mit Camel White (2013);
Beim Anblick der Camel White in Tokio dachte ich sofort an die A3. Mattes Weiss hat Graugrün ersetzt, Silberbuchstaben die violette Schrift. Entstanden ist ein Architekturmodell, ein Miniaturwolkenkratzer, eine Skulptur – geschaffen wie für New Yorker Galerien. Als würde die Verpackungsevolution nun sagen, „liebe österreichische Proleten und Maurer, ihr ward damals blind, habt den Designwert nicht erkannt, denn sonst würde es die A3 heute noch geben.“
Camel Crushed: Wie eine John Chamberlain Autowrack -Skulptur – aber immer noch schön.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Russland rätselt über chronisches Sauwetter
Wettermäßig ist Russland verwöhnt. Im Sommer strahlt der Himmel monatelang wolkenlos, Weihnachten ist garantiert weiß, die trockenen Winterfröste fühlen sich milder als das scheußliche norditalienische Nieselwetter dieser Jahreszeit. Der vergangene Sommer aber war auch in Kontinentalrussland nasskalt, nach Dauerregen mit 700 Millimetern Niederschlag versank die ostsibirische Amurregion über einen Monat in Hochwasser. In Komsomolsk am Amur ist das Grundwasser so gestiegen, dass es aus den Brunnenschächten schwappt. Jetzt ist Moskau dran, binnen eineinhalb Wochen ergoss sich über der Hauptstadtregion das Vierfache der Regennorm für den ganzen September, dann kippten die Temperaturen Richtung November, seit Tagen gibt es Schneeschauer. Wolkenbrüche haben auch die Olympiastadt Sotschi überschwemmt, schon witzeln die Einwohner, die Taxifahrer sollten sich zu den Winterspielen im Februar Gondeln kaufen.
Vaterländische Meteorologen erklären das Sauwetter mit einem massiven Antizyklon. Der orthodoxe Blogger Dimitri Enteo sieht das anders: Der Herrgott warne mit den Wolkenbrüchen über Sotschi vor dem Entzünden des olympischen Feuers, einem Kult zur Ehren von heidnischen Götzen wie Apoll oder Zeus.
Die Russen, bei denen Glaube und Aberglaube oft fusionieren, erfühlen hinter Naturkatastrophen gern Gottes strafende Hand. Der Geistliche Sergi Karamyschew erklärte die Überschwemmung des südrussischen Städtchens Krymsk im Juli 2012 mit der „Sauferei und Hurerei“ der Badegäste an der nahen Schwarzmeerküste. Und nicht ohne Häme verkündete Filmregisseur Nikita Michalkow anlässlich der Erdbeben und Zunami, die Japan 2011 heimsuchten, Gott bestrafe damit Nippons Hochmut.
Jetzt aber hat der nationalpopulistische Duma-Altstar Wladimir Schirinowski ganz andere Verursacher ausgemacht. Er sagte Radio RSN, die USA hätten klimatische Geheimwaffen gegen Russland eingesetzt, um seine Investitionen im Amurgebiet zu vernichten und die Olympiade in Sotschi platzen zu lassen. Offenbar habe man aus einem Zentrum zur angeblichen Erforschung der Jonosphäre in Alaska das Magnetfeld über Russland unter Beschuss genommen. Laut Schirinowski besitzt Russland ähnliche Waffensysteme, vor dessen Einsatz es bisher abgesehen habe. „Aber wir sind jederzeit in der Lage, klimatisch zurückzuschlagen“, sagte er. „Sobald der Befehl kommt, können wir Erdbeben und Sturmfluten provozieren.“ Die Einwohner der Nato-Staaten sollten sich schon einmal auf einen sibirischen Winter einstellen.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
”Wellington stirbt“, hat unser Premierminister letztens getönt. Oh, das saß. Das wollte dort niemand hören. Bis auf Peter Jacksons Filmstudios sähe es wirtschaflich mau aus in der Kapitale, so John Key. Der Finanzsektor habe seinen Hauptsitz längst in Auckland. Im lauten, vulgären, verstopften Auckland, wohlbemerkt. Schön für die Menschen dort. Die haben ganz viel davon, wenn sie nett ausgehen oder Besuchern was Tolles zeigen wollen, dass da ein paar Firmenlogos mehr vom Skytower blinken. Das zeugt von Vitalität.
Für einen wie Key bemisst sich Lebenswertes nach Dollarzeichen. Wellington, das nur Kunst und Kultur statt Kommerz und Casino zu bieten hat, zeigte nach der Beleidigung, dass in ihm noch Saft steckt. Es bebte, und wie. Menschen flohen aus der Stadt, es rüttelte über Tage und Wochen, die Nächte wurden kurz – aber niemand starb. Und der Wind blies weiter, der gemeine und berüchtigte Wind Wellingtons. Schlechteres kann man über die kleine, feine Hauptstadt nicht sagen, die man schon deshalb mögen muss, weil sie sich gegen den aufgeblasenen Bruder im Norden behaupten muss.
Auckland hat zwar wärmeres Klima und schöne Strände, aber an sowas will man bei uns in Christchurch lieber gar nicht denken, während man um diese Jahreszeit durch Pfützen und Baustellen stapft. Irgendwo müssen die teuer erarbeiteten Spray-Tans, Wadentattoos und nachgearbeiteten Brüste da oben in den Subtropen ja auch zur Geltung kommen. Es kann sich doch nicht nur alles ums Dichten und Denken drehen. Oder ums Renovieren.
Andere Städte haben andere Sorgen. Palmerston North zum Beispiel will sich in Manawatu City umbenennen. Denn Lord Palmerston selig, nach dem das Großkaff einst benannt wurde, hat es nie von England bis dorthin geschafft. Monty-Python-Star John Cleese hatte zudem eine „zutiefst miserable Zeit“ im unspektakulären ‚Palmy‘ verlebt. Da gilt es einiges wettzumachen. Und dann gibt es da noch ein fast unbekanntes Palmerston auf der Südinsel, das ständig mit dem nördlichen verwechselt wird. Manawatu bedeutet jedoch „Das Herz steht still“, was in der Debatte um Leben und Sterben der Städte problematisch sein könnte.
Überhaupt, diese Ortsnamen! Die schöne Gegend namens Poverty Bay („Bucht der Armut“) nahe Gisborne wollen Lokalpolitiker lieber in Oneroa oder Long Bay umtaufen. Ein PR-Desaster sei der jetzige Zustand, denn der Blick auf die Landkarte suggeriere Not und Elend. Das haben sie in der hübsch klingenden Golden Bay besser hingekriegt. Der Norden der Südinsel hieß anfangs „Murderers Bay“, weil Entdecker Abel Tasman sich dort 1642 ein kleines Gemetzel mit den Maori lieferte. Kaum vorzustellen, wie verheerend sich die Mord-Bucht heute auf das Backpacker-Geschäft auswirken würde.
Wenn wir schon bei Worten sind, die kleine Städte in Verruf bringen können, dann sollte man unbedingt über Städteslogans reden. Also die peinlichen. Aber die sind ein Kapitel für sich. Das dann ein anderes Mal, wenn ich bis dahin nicht an Standortschwäche gestorben bin.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Es soll in dem Artikel nur um Spirituosen gehen, nicht um nukleares Material. Ich will kein Interview mit dem französischen Präsidenten, sondern nur ein paar Informationen über Schnäpse und Märkte. Zehn Minuten Telefongespräch würden reichen, um meine Fragen klären zu können.
Tag eins, vormittags am Telefon. „Allô?“, sagt die Mitarbeiterin in der Pressestelle des internationalen Spirituosenkonzerns mit Hauptsitz in Paris. Ich stelle mich vor und erkläre, worum es geht. Es folgt die übliche erste Hürde: Ich solle mein Anliegen per Mail an die Pressechefin senden. Die würde sich dann melden. Ich ahne, dass die Presseabteilung und ich in den kommenden Tagen eine spannende Zeit miteinander haben werden.
Die Zeit vergeht. Journalisten sind leider anstrengende Leute. Denn sie wollen Informationen meistens recht schnell. Aber es gibt nun mal Redaktionsschlüsse, Abgabefristen und Arbeitsdruck. Journalisten müssen recht schnell wissen, welche Quellen ihnen zur Verfügung stehen – denn davon hängt es ab, ob der Artikel geschrieben werden kann.
Am Nachmittag rufe ich noch mal an. „Allô?“ Eine andere Dame, die weder den Namen des Unternehmens sagt, noch ihren. Ich erkläre, dass ich schon einmal angerufen habe und dass es um Informationen für einen Artikel geht. Sie fragt, ob ich den Artikel schicken wolle, damit die Pressestelle ihn gegenliest. Ich bin sprachlos – sage, dass das nicht üblich ist. „Ihre Pressesprecherin wollte mich zurückrufen“, sage ich. „Sagen Sie mir Ihren Namen, ich werde ihr Bescheid geben“, sagt sie.
Tag zwei. Ich warte bis zum späten Vormittag. Kein Rückruf, nirgends. Also rufe ich an. Jetzt ist die Sprecherin selbst am Telefon. Oui, pardon, sagt sie, sie sei im Stress, sie habe noch mit der Jahresbilanz zu tun. (Die ist bereits vor einer Woche bei einer Pressekonferenz veröffentlicht worden.) Sie sucht meine Mail. Es dauert. Sie liest mir meine Mail vor. Ob ich für meine Fragen einen Ansprechpartner oder von ihr die Informationen bekommen könnte. „Ich werde Sie per Mail auf dem Laufenden halten“, sagt sie. Sie sagt nicht: Wir melden uns so schnell wie möglich. Das ist immerhin ehrlich. Denn diese Phrase würde übersetzt bedeuten: Wir melden uns, wann wir wollen. Und wenn wir wissen, was wir sagen wollen und was nicht.
Tatsächlich kommt eine Stunde später eine Mail. Inhalt: Nichts anderes als ein Link zum Jahresbilanz-Vortrag vor einer Woche. Den kenne ich schon von der Homepage des Unternehmens. Ein Gespräch? Fehlanzeige. So schön Mails in dieser Welt oft sind – hier sind sie ein perfides Werkzeug, um Journalisten auf der Jagd nach Informationen auf Abstand zu halten. In einem Gespräch könnte man ja Fragen gestellt bekommen, die man nicht gleich beantworten kann oder gar welche, die kritisch sind. Dann doch lieber einfach einen Link schicken. Will heißen: Such, Journalist, such selber! Such in den 88 Seiten, ob da drin ist, was Du brauchst! Wenn es nicht drin ist, hast Du Pech gehabt. Am Ende der Mail schließlich noch der Hinweis, dass ich mich für Fragen zum deutschen Markt an die Kollegin in Deutschland wenden solle.
Ich gebe nicht auf und antworte der Dame. Bedanke mich, aber bitte noch um Auskunft zu ein paar Fragen, deren Antwort nicht in dem Online-Pressematerial steht. Zwei Stunden später der karge Hinweis per Mail: Wie sie doch bereits geschrieben habe, solle ich mich an die deutschen Kollegen wenden. Am Ende ein höfliches „bien cordialement“. Man wahrt die Form statt ehrlich zu schreiben: Journalist, lass mich in Ruhe.
Tage später erreiche ich die deutsche Kollegin des Konzerns, die wegen einer Jahrestagung mehrere Tage nicht erreichbar war. „Ja, ich wollte sie auch gerade anrufen“, sagt sie. Wir reden zehn Minuten, in denen sich schon einige meiner Fragen klären lassen. Und einen Tag später habe ich dann schriftliche Antworten auf meine gestellten Fragen. Es geht eben auch anders. Bei einer letzten Nachfrage zum französischen Markt werde ich höflich an die Kollegin in Paris verwiesen. Das stimmt mich heiter.
„Service de presse“ heißen in Frankreich die Presseabteilungen. Bei Service darf man nicht an Service, Bedienung oder Auskunftshilfe denken, oft ist das Gegenteil der Fall. Die Franzosen, sonst Meister der Unterhaltung und Rhetorik, sind in Pressestellen sehr oft nicht mehr wiederzuerkennen: abweisend, hierarchieängstlich, arrogant. Wenn man Pressesprecher nicht schon mal vorher auf einem Pressetermin getroffen hat, mit ihnen vielleicht ein Glas getrunken hat, dann prallt man oft an ihnen ab wie ein Tropfen an einer Scheibe. Dabei könnte man vermuten, dass Pressestellen von Unternehmen Medienanfragen aufmerksam bearbeiten oder gar schätzen: Zum einen müssten sie interessiert sein, dass keine falschen Daten veröffentlicht werden. Zum anderen könnte es ja sein, dass der Artikel über ihre Produkte indirekt auch einen positiven Werbeeffekt für sie hat.
Das ist Alltag für viele Journalisten in Frankreich. Französische Pressestellen sind leider oft professionelle Informationsverhinderungsstellen.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
First Lady Eleanor Roosevelt hatte recht: Verdammt, wenn du’s tust, verdammt, wenn nicht. Bleibt der Mindestlohn gleich, fressen ihn nächstes Jahr Mehrwertsteuererhöhung, steigende Energie- und Sozialkosten auf. Verteilt Premierminister Shinzo Abe die Brosamen am Ende der Nahrungskette zu grosszügig, riskiert er den Verlust seiner Power Base – Japans Wirtschaftskapitäne. Nun sind 2 Prozent Erhöhung angedacht. Der landesweite Durchschnitt (es gibt regionale Unterschiede) beträgt dann 763 Yen/5.80 Euro pro Stunde (Umrechnungskurs 1€=130Yen).
Wie lebt man in der Welt des Minimums? Yumi Kimura, 32, (Name gändert) erzählt:
VIDEO: Roland besucht Robot Cafe (nicht ganz am Ende der Nahrungskette)
Ich bin ausgebildete Grafikerin, ledig und seit zwei Jahren arbeitslos. Der Boss meiner Firma war eines Tages verschwunden. Seitdem gehe ich regelmässig zu „Hello Work“, so heisst in Japan das Arbeitsamt. Dort sitzen viele, die selber einmal arbeitslos waren und zu Hello Work gegangen sind. Sie arbeiten für die Stadt und deshalb nur von acht bis fünf. Sind sie krank, können sie zu Hause bleiben. Bei Privatfirmen ist das schwierig. Zudem arbeitest du dort jeden Tag unbezahlt vier, fünf Überstunden. Fahrkosten übernimmt der Betrieb.
Nach jeder Jobvermittlung von Hello Work gibt es ein Vorstellungsgespräch. Die Fragen sind immer gleich. Was haben Sie studiert, wer sind Ihre Eltern, was haben Sie vorher gemacht, was ist Ihr Lieblingshobby? Nur einmal war ich überrascht, als der Personalchef fragte: „Was würden Sie tun, wenn neben Ihnen im Büro jemand ausflippt, agressiv wird, attackiert?“ Ich habe gesagt, ich war noch nie in so einer Situation, gehe aber oft zu Parties mit Ausländern, und mit denen komme ich immer klar.“ Der Personalchef hat wissend genickt. „Ach so, wenn Sie mit Ausländern umgehen können, ja dann…“
Die meisten Hello Work Berater engagieren sich, sind freundlich. Es gibt aber immer welche, die werfen dir ein Magazin mit Jobangeboten auf den Tisch. Und das war‘s. Die vermittelten Jobs zahlen etwas mehr als den Mindestlohn, dauern zwei, drei Monate. Für diese Teilzeitarbeit sagen wir alubaito, haben das Wort aus dem Deutschen übernommen. Eine Statistik behauptet, dass 40 Prozent der Japaner von arubaito leben. Ich denke dann an meine Freundinnen. Sie wohnen bei den Eltern oder bei den Eltern vom Mann und leben von deren Ersparnissen. Hello Work bietet auch Ausbildingskurse an: Massage, Kosmetik, Haarbehandlung, Blumenarrangieren – kannst du alles nicht brauchen, ausser zum Zeittotschlagen.
Einmal fragten sie mich bei Hello Work, wo ich die letzten drei Monate war. Und ich habe geantwortet, ich wollte über mein Leben nachdenken, wollte Ruhe. Die Beraterin hat geschwiegen, was sollte sie auch sagen, war sicher selber mit dieser Frage beschäftigt. Dass ich im Robot Cafe im Rotlichtviertel von Shinjuku aufgetreten bin, habe ich verschwiegen, obwohl das kein Sexklub ist, sondern ein Theater mit Manga-inspirierten Shows – für Angestellte nach der Arbeit, für Männer, Frauen und Touristen. Jeden Abend gibt es drei Vorstellungen, dauern insgesamt drei Stunden. Ich musste winken, tanzen, lachen, schlank sein – das war alles. Ich habe einen schillernden Bikini getragen, bin mit riesigen Robotern herumspaziert, auf einem Panzer gesessen und habe 76€ die Stunde erhalten. Gäste durften uns nicht berühren, Hande schütteln war Ok. Zum Abschluss sassen wir immer auf einem Sessellift und schwebten über den Köpfen der Besucher. Das hat mich etwas an eine Fleischfabrik erinnert, mit Haken am Fliessband. Nach drei Monaten kam ein jüngeres, schlankeres Girl, und so bin ich wieder zu Hello Work.
Für meine 20 Quadratmeter-Wohnung mit Dusche, Toilette und Kochnische zahle ich 650€. Ein ehemaliger Arbeitskollege übernachtet dagegen seit Monaten im Internet-Cafe. Es gibt dort Duschen, Computerkojen und du darfst unter dem Tisch schlafen. Sex ist aber nicht erlaubt.
Einmal vermittelte mir eine Privatagentur einen streng geheimen Job. Als er zu Ende war, ging ich zu Hello Work. Wie immer wollte die Beraterin wissen, wie das Arbeitsklima gewesen sei. „Streng geheim,“ habe ich gesagt. „ Ich musste im Regierungsviertel eine Geheimhaltungspflicht unterschreiben!“ Die Hello Workerin hat nicht weiter nachgefragt. Der Geheimjob war im Abrechnungszentrum der Tokyo Electric Power Corporation, wo ich Belege für Schadensansprüche überprüfte. 8 Uhr abends bis 6 Uhr früh. In der Halle sassen tausend Menschen. Unsere Mobiltelefone mussten wir in Schliessfächern deponieren, Privatsachen durften wir zum Arbeitsplatz mitnehmen – in durchsichtigen Plastiktüten. Die tausend Mindestlohnmenschen haben alle nicht gesprochen. Es war totenstill. Und wenn ich auf die Toilette wollte, bin ich aufgestanden, habe den Arm nach oben gestreckt und gewartet, bis der Grupplenleiter kam. Ich teilte ihm den Wunsch mit und durfte zur Toilette. Wir mussten Zahlungsquittungen der Atomflüchtlinge prüfen und speichern. Kühlschrank, Futon, Staubsauger, Decken, Kinderspielzeug – das war alles Ok, wurde rückerstattet, aber nicht 55-Zoll-Bildschirme.
Mein Gruppenleiter hiess Murata. Bei Fragen setzte er sich zu mir, mit einem abstehenden kleinen Finger, was mir zunächst nicht auffiel. Wenn er sich aber zum Bildschirm vorbeugte, drückte der Finger gegen meine Hüfte. Ich dachte, vielleicht ist er gelähmt oder so. Am nächsten Tag sass Murata wieder neben mir und legte die Hand auf meinen Oberschenkel. Ich habe ganz laut gesagt: „Murata-san!“ In der totstillen Halle haben alle tausend Menschen auf mich gestarrt. Murata ist aufgestanden und kam nie wieder.
Ein paar Monate später, ich war schon wieder woanders beschäftigt, bekam ich morgens einen Anruf von der Polizei. „Sind Sie Yumi-san?“ Das hat mich irritiert, denn in Japan wirst du nur mit Familiennamen angesprochen. Der Mann stellte sich als Inspektor vor. „Wir haben Ihren Vornamen gefunden mit Telfonnummer, im Notizbuch von einem Herrn Murata. Kennen Sie Herrn Murata? Und warum hat er Ihre Telefonnummer?“ Wieder habe ich gezögert. Wer ist Murata? Und dann fiel mir der Gruppenleiter ein. „Ja, er war mein Vorgesetzter bei Tepco. Für den Notfall haben dort alle die Telefonnummern der Angestellten“, habe ich gesagt, und dabei vergessen, dass die Sache streng geheim ist. Der Inspektor erklärte, dass Herr Murata in der U-Bahn verhaftet worden sei. „Hat er sich Ihnen gegenüber auffällig verhalten?“ wollte er wissen. „Chotto, ein wenig“, habe ich gesagt. „Sonst noch etwas?“ „Nein, sonst nichts“, habe ich geantwortet und dann hat er aufgelegt.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Der Reiseführer hatte gewarnt. „In the region is the Bavarian lookalike town of Leavenworth…People come from all over the country to see the spectacle“. Es klang nach einer Art Disneyland, nach Brezelbuden und Achterbahn mit Zwiebeltürmchen. Wenn man zum ersten Mal in Washington State unterwegs ist, muss man sich so einen Kitsch wirklich nicht antun, dachte ich. Aber dann war der Highway, den ich nehmen wollte, wegen eines Erdrutschs gesperrt, und so kam ich doch noch nach Leavenworth.
Es muss recht harmlos begonnen haben, in den 1960er Jahren, als sich die Kleinstadt zusätzliche Einnahmequellen jenseits von Holz- und Landwirtschaft erschließen wollte. Pauline und Owen Watson, die einen kleinen Laden an der Hauptstraße betrieben, hatten Solvang besucht, eine kalifornische Siedlung, die dänische Einwanderer zu einem Mini-Kopenhagen umgebaut haben. Das Modell leuchtete den Watsons ein. Flugs wurde ein Komitee gegründet namens LIFE – Leavenworth Improvement For Everyone – und die Umwidmung der Stadt erörtert. Dabei kam heraus, dass sich die Bergstadt Leavenworth viel besser mit Weißwurst und Fachwerk vermarkten lässt als mit kleiner Meerjungfrau und Andersens Märchen. Der Stadtumbau wurde begonnen.
Seit damals hat Leavenworth als bayerische Alpenstadt ein beachtliche Authentizität erreicht. Von wegen Achterbahn und Brezelbuden: Dies ist kein Vergnügungspark. Die komplette Innenstadt wurde als Kreuzung von Mittenwald und Berchtesgarden neu geboren, mit hölzernen Balkons, Fassadenmalerei, einschlägigen Restaurants, Biergärten, Kutschen und einem Nussknackermuseum. Viele Einwohner kleiden sich in Dirndl und Lederhosn. Auch einen Maibaum gibt es und im Herbst, natürlich, ein Oktoberfest.
Sogar die Lokalzeitung hat sich dem Stil angepasst: Sie heißt „The Leavenworth Echo“ und trägt im Logo ein Edelweiß sowie einen Alphornbläser in Lederhosn.
Es ist eine so perfekte Verwandlung, dass ich mich unwirklich fühlte, wie in einem Film. Ich wusste, dass ich mich im Nordwesten der USA befand, unweit von Seattle, in einem Ort, in dem ich nie zuvor gewesen war. Gleichzeitig wurde ich Opfer der Illusion; eine Stimme in meinem Inneren flüsterte mir unablässig zu: Du kennst das hier!
Kommerziell ist die Transformation von Leavenworth ein großer Erfolg. In dem 2000-Einwohner-Ort gibt es heute mehr als hundert Hotels und dutzende „uriger“ Gaststätten.
Die Transformation wirft Fragen von weitreichender Bedeutung auf. Ist bayerischer Kitsch weniger schlimm, wenn er in Mittenwald stattfindet als in Leavenworth? Kann die Kopie einer Lebensart besser sein als ihr Original? Sollte Bayern sein Kulturgut urheberrechtlich schützen lassen, und müsste Leavenworth dann Lizenzgebühren zahlen? Deutet sich hier womöglich sogar ein ganz neuer Ansatz zur Lösung der europäischen Krise an – ein Kompletttransfer der Akropolis ins Niemandsland von Nevada oder der spanischen Alhambra nach Idaho?
Fotos: Christine Mattauch
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Musik und Geschichten aus dem Weltall – Chris Hadfield hat viel zu bieten. Der singende und tweetende kanadische Raumfahrer fasziniert sein Publikum. Auf dem Folk Festival in der kanadischen Hauptstadt Ottawa war er jetzt einer der Stars. Gebannt folgten die Zuhörer seinen Berichten, seinen Liedern und seinem Gitarrenspiel.
Der 54-jährige schnauzbärtige Kanadier ist zweifellos als einer der schillerndsten Astronauten in die Geschichte der Raumfahrt eingegangen. Er hat berühmtere Kollegen, die so manchen „ersten Schritt“ machten – als erste die Erde umkreisten, das Raumschiff verließen oder den Mond betraten. Aber in Zeiten, in denen Daueraufenthalte im All nur bei Start und Landungen und Problemen an Bord des Raumschiffs Meldungen produzieren, schaffte er es als Kommandant der Internationalen Raumstation ISS, Menschen in aller Welt mit Tweets, Fotos, Songs und Lehrstunden aus dem All zu begeistern. Seine Version von David Bowie´s „Space Oddity“, bei der er mit Gitarre durch die ISS schwebt, wurde auf YouTube mehr als 17 Millionen Mal angeklickt.
Daher war es nicht verwunderlich, dass sein als “Workshop” und “Interview” bezeichneter Auftritt beim Ottawa Folk Festival so starkes Interesse fand. Erwartet worden war eigentlich ein stärker wortbetonter Auftritt des Starastronauten. Umso erfreuter waren die Folk-Fans, dass Hadfield so oft zur Gitarre griff.
In einem Lied für seine Tochter, das er in der Internationalen Raumstation komponierte, singt Chris Hadfield: „Ich war zu lange weg. Ich komme nach Hause.“ Nun ist er zu Hause. Die kanadische Weltraumagentur hat er verlassen. Jetzt ist er der „Ex-Astronaut“. Raumfahrer, Ingenieur, Vortragsreisender, Rockstar – auf das Ottawa Folkfest kam er als der Rockstar. Seine Stimme ist noch weitaus beeindruckender als bei der Präsentation von „Space Oddity“. Zusammen mit seinem Bruder Dave und dem kanadischen Musiker Danny Michel trägt er seine Lieder vor, manche melancholisch-weich, andere rockig-hart.
„Space and Music“ – so war Hadfields Auftritt angekündigt worden. Vom ersten Moment hat Hadfield den Draht zum Publikum gefunden. Mit seinem Lächeln, seinem Humor und seiner Ungezwungenheit nimmt er die Menschen für sich ein. Die Zuhörer haben ohnehin das Gefühl, dass Hadfield einer der ihren ist. Sie kennen ihn ja genau. Auch das ist eine Folge seiner Präsenz in Social Media. Viele Kinder, die vor ihm auf der Wiese sitzen, haben über Monate seine Reise verfolgt.
Sie scheuen sich nicht, Fragen zu stellen. Ob er damit gerechnet habe, dass ihm so viele Millionen Menschen folgen werden, will ein Mädchen wissen, das sich aus Sympathie mit Hadfield einen Schnurrbart ins Gesicht geklebt hat. Neun Jahre alt sei er gewesen, als bei ihm der Wunsch wach wurde Astronaut zu werden, „und mein Schnurrbart war damals viel dünner als Deiner“, sagt er dem Mädchen lachend. Die erste Mondlandung, die er 1969 als Neunjähriger gesehen hatte, hatte ihn inspiriert. Er hat sich seinen Traum erfüllt, und nun ist er glücklich „diese Momente mit Menschen in aller Welt zu teilen“.
Sieht er die Erde nach seinen drei Weltraumreisen anders? 2300 Mal hat Hadfield auf seinem letzten Flug die Erde umkreist, 16 Mal pro Tag. „Das erste, was du machst, nachdem du dich übergeben hast, du gehst zum Fenster und schaust auf die Erde“, erzählt er. Er sah die kanadischen Städte, aber dann auch Städte, die er nicht kannte, und die aus dem All alle ähnlich aussehen. Dieses Muster zeige ihm, „dass überall wundervolle Menschen leben“ und „Menschen, die glücklich sein wollen“.
Zur Ausrüstung in der Raumstation gehört ein Gitarre – „dauerhaft“, sagt Hadfield, denn es gebe viele Astronauten, die gerne Gitarre spielen und singen. Musik und All, das ist für ihn kein Gegensatz. Vor einigen Jahren habe er die 15.000 Jahre alten Höhlenmalereien in Südfrankreich gesehen und gehört, dass Archäologen bei Ausgrabungen eine mehrere Zehntausend Jahre alte Flöte gefunden haben, die aus einem Knochen hergestellt wurde. „Musik ist etwas Grundlegendes für die Menschheit“, sagt Hadfield, und Musik auf die „nächste Stufe“, in die Raumstation zu bringen, nichts Ungewöhnliches, sondern eine Notwendigkeit.
Seine Raumfahrerkarriere hat Hadfield beendet. Ob er den Weltraum vermisst? Hadfield ist glücklich, dass er dreimal ins Mall fliegen durfte – 1995 zur russischen Raumstation Mir und 2001 und 2012 zur ISS – und zuletzt sogar Kommandant der ISS war. Er habe niemals Vergangenem nachgetrauert. „Rückwärts zu blicken ist nicht mein Ding“, sagt er. „Das Leben ist voller Möglichkeiten.“
Was er machen wird, darüber hüllt er sich in Schweigen. Vermutlich hat er mehr Einladungen, als Redner aufzutreten, als er annehmen kann. Ein Buch über seine Erfahrungen ist in Vorbereitung. Einer seiner Kollegen, Kanadas erster Astronaut Marc Garneau, ist in die Politik gegangen und ist für die Liberalen Mitglied des Bundesparlaments. Politiker, die Charme besitzen und Wärme ausstrahlen, sind auch in Kanada Mangelware. Vor allem aber ist Chris Hadfield Berufsoptimist. „Wenn man sich auf einer Rakete ins All schießen lässt, muss man Optimist sein“, sagt er, greift zur Gitarre und singt das Lied vom Ritt auf dem Feuerstrahl – „Ride the Lightning“.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Die Wegbeschreibung von Sama Wareh hörte sich nach einem wunderbaren Abenteuer an. Schon die Adresse klang verlockend: Silverado Canyon. Ich sollte über eine kleine Brücke fahren, vorbei an einem Fels mit vier Streifen und schließlich gegenüber einer großen rotgestrichenen Scheune parken. Ich verfuhr mich nur einmal auf dem Weg gen Süden von Los Angeles und wurde am Ziel mit einer warmherzigen Umarmung und einem wunderbaren Frühstück empfangen: Sama hatte einen Tomaten-Bohnensalat, Knoblauchkäse mit Minze und Olivenöl, Pitabrot und andere Leckereien zu einem kleinen Festmahl im Schatten einer großen Eiche ausgebreitet. Dazu servierte sie gesüßten Tee aus Glastassen. Die in Kalifornien geborene Tochter von syrischen Einwanderern erklärte mir, warum es so wichtig ist, den Tee zu sehen, das gehöre zum Genuss dazu. Ich konnte mich nicht gut konzentrieren: Samas brauner Cowboyhut über einem locker um Kopf und Hals gebundenen lila Palästinenserschal mit angehängter Feder und Perlen, ihre hohen Schnürstiefel über engen lila Jeans entsprachen nicht den Erwartungen, mit denen ich zu diesem Interview einer Künstlerin mit Familie in Damaskus gefahren war. Bis ich Sama sah war mir nicht einmal bewusst, dass ich Erwartungen hatte. Ich wusste nur, dass sie auf eigene Faust mit Rucksack, Erspartem und Erlösen aus dem Verkauf ihres Motorrads und ihrer Kunst in die Türkei geflogen war um dort Flüchtlingen aus Syrien zu helfen. Tränen treten der 30 Jahre alten Künstlerin in die Augen, wenn sie von den Begegnungen erzählt: vom Leben der Familien ohne Möbel und Heizung in Kellern ohne Fenster und von Gastfreundschaft unter ärmsten Umständen. Am stärksten ist ihr ein Fahrer in Erinnerung, der sie in ein Lager an der Grenze brachte. “Er hat seine tote Tochter aus den Ruinen seines Hauses geholt und pendelt nun zwischen Syrien und der Türkei, um Verletzte und Obdachlose über die Grenze zu bringen.” Das Foto seiner Tochter ist auf dem Handy immer dabei.
Samas Kunst beschäftigte sich bis zur Reise an die Grenze nicht mit Politik. Sie findet Gemeinsamkeiten zwischen alten Kulturen, zum Beispiel in ihrer Serie “Beduine trifft Indianer”. Jetzt ruft sie in Gemälden zu Frieden, Menschlichkeit und Vergebung auf. In Nachrichten auf facebook warnt sie Freunde und Verwandte in Syrien davor, in Hass, Rachelust und Animosität gegenüber anderen Sekten, Religionen oder Kulturen zu verfallen. Sie weiß, dass das aus der Entfernung leichter gesagt als vor Ort getan ist. Die aktuelle Politik macht sie ratlos und misstrauisch. Deshalb wird sie sich im November wieder selbständig auf den Weg machen, den Cowboyhut über dem Kopftuch, mit Rucksack und hohen Stiefeln. Um Spenden für die Reise zu sammeln wird sie im Gemeindehaus ihres Canyondorfes bei syrischem Frühstück ihre Kunst verkaufen. “Ich möchte den Flüchtlingen zeigen, dass sie nicht vergessen sind.”
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Er hat nicht unterschrieben. Bravo! Südafrikas Präsident Jacob Zuma hat ein Gesetz zurück ans Parlament geschickt, gegen das Journalisten und Bürgerrechtler hier am Kap jetzt schon seit Jahren kämpfen. Das „Gesetz zum Schutz staatlicher Information“, in Südafrika besser bekannt als „Secrecy Bill“, frei übersetzt Geheimhaltungsgesetz. Denn mit diesem Gesetz hätten investigativen Journalisten und Whistleblowern drakonische Strafen gedroht, das Recht der Bürger auf Information hätte drastisch und willkürlich beschnitten werden können, Behörden hätten korrupte Machenschaften spielend vertuschen können – um nur einige der Einwände zu umreißen. Die Liste ist noch viel, viel länger. All das ist so gar nicht im Sinne der südafrikanischen Verfassung, die als eine der liberalsten der Welt gilt und Presse- und Meinungsfreiheit groß schreibt. Doch was gelten heute die Ideale des Freiheitskampfes, das Vermächtnis Nelson Mandelas. Der ANC blieb stur.
Trotz aller Kritik hatte die Regierungspartei den Gesetzentwurf mit überwältigender Mehrheit vom Parlament verabschieden lassen. Daher ist es jetzt umso köstlicher, dass ausgerechnet Jacob Zuma die Reißleine zieht. Teile des Gesetzentwurfs entbehrten jeden Inhalts, seien unstimmig, ja irrational und seien daher verfassungswidrig, sagte er gestern vor Journalisten. Da zergeht jedes einzelne Wort auf der Zunge. Zwar konnte Zuma nicht begründen, was genau er ändern lassen möchte. Schwamm drüber. Die Entscheidung hat er wohl nicht selbst gefällt, sondern seine juristischen Berater. Denn das Gesetz hätte in dieser Form niemals einer Verfassungsklage standgehalten und genau damit hatten die Gegner gedroht. Damit ist der Kampf für alle, die in Südafrika noch an Pressefreiheit und Bürgerrechte glauben noch nicht vorbei. Es ist unklar, ob die Abgeordneten jetzt zum x-ten Mal einzelne Passagen ändern, oder das Gesetz ganz in die Tonne treten. Aber erstmal ist es ein wichtiger Etappensieg. Glückwunsch!
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Das Kaiserreich ist ausgelaugt. Fukushima strahlt. China schikaniert. Und der nationalgesinnte Premier Shinzo Abe will sein Land reformieren. Da kommt die Entscheidung des Olympischen Komitees wie gerufen. Nippon gambare! Viel Glück! Es geht aufwärts. Auch ich bin begeistert. Wird die 35-Millionen-Metropole ihre Urbanität überarbeiten, wie damals bei den Spielen 1964? Querdenker Kenzo Tange baute das olympische Stadion im Yoyogi Park, brachte Aufbruch, Hoffnung und Vision zum Ausdruck. Seine Kollegen, die „Metabolisten“, experimentierten ebenfalls mit radikalen Bauten: Städte im Meer, Wolkenkratzer mit Wäldern, transportable Apartments – alles ohne Computer. Die kreative Atmosphäre war geladen, ansteckend, berauschend. So was wünsche ich mir für 2020. Nicht nur in Japan.
Nach der Olympiade 1964 rückte das Inselreich zur Weltwirtschaftsmacht Nummer zwei auf. Seit den 90er Jahren aber siecht das Land dahin. Selbstvertrauen fehlt. Die Vision ist fern oder fort für immer. Soll deshalb die in Bagdat geborene und in London arbeitenden Stararchitektin Zaha Hadid das Olympia Stadion bauen? Futuristisch und Blade-Runner-isch sehen die Entwürfe aus, tragen Hadids charakteristische – nicht von Hand gezeichnete – Handschrift: Schleimige Flocken und Windkanalkreationen. Dabei hätte Japan genug eigene international anerkannte Form- und Vorausdenker. Allein in den letzten vier Jahren wurden drei Tokioter mit dem Pritzker Architekturpreis geehrt. Hadid erhielt als erste Frau diese Auszeichnung. Doch für die Olympiade 2020 ist die Exil-Irakerin eine Fehlbesetzung. Ich wünsche mir stattdessen einen japanischen Architekten.
Die Entscheidung des IOC für 2020 ist keine Überraschung. Die geheimnistuerischen Vereinsmitglieder mit Weltrepräsentanz-Anspruch bestehen zu 13% aus Euro-Adel und Scharia-Scheichen. Die schütteln keine Bäume, wo alte Äpfel fallen könnten – wie nach einem arabischen Frühling. Sie gehen auf Nummer sicher. Natürlich wäre es ein tolles Experiment gewesen, die Spiele zum ersten Mal in einem islamischen Land abzuwickeln (Ob IOC Mitglied Prinz Nawaf bin Faisal bin Fahd bin Abdulaziz al Saud wohl dafür gestimmt hat?) Aber – Oh Inschallah! Wer weiss, was im nahen Aleppo und Homs noch passiert. Und dass die Hälfte der spanischen Jugend arbeitslos ist, diese Lunte haben IOC Vertreter nicht nur gerochen, sie haben sich das Pulverfass auch schillernd ausgemalt. Und deshalb diese Runde an Japan, eine Wirtschaftsmacht mit der politisch desinteressiertesten Bevölkerung der Welt. Zankfrei ist sie, harmonisch und Unruhe-immun. Die Insel ist zudem hermetisch abgeriegelt, fotografiert Einreisende und speichert deren Fingerabdrücke. Ich wünsche mir, dass sich bis 2020 die EU nicht nur zur Reziprozität bekennt, sondern auch praktiziert. Solange (zum Beispiel) Amerikaner und Japaner Europäer an ihren Grenzen fotografieren und deren Fingerabdrücke sammeln, solange sollen sich Amerikaner und Japaner an europäischen Grenzen separat anstellen, um sich der gleichen Prozedur zu unterziehen. Ach ja, und ein japanischer Edward Snowden könnte bis 2020 auch nicht schaden.
Zur Erinnerung: 4.4 Millionen Bestechungsdollar gingen 1997 an einzelne IOC Mitglieder auf Besuch in Nagano. Nicht dass Tokio diesmal unter ähnlichen Voraussetzungen zum Zug gekommen wäre. Für den Fall des olympischen Falles hatten die Japaner jedoch seit Jahren 4.5 Milliarden Dollar eingebunkert. Das überzeugt. Sie können morgen bauen, müssen nicht wie Spanier zuerst sammeln gehen. Ich wünsche mir, dass bis 2020 die Vereinten Nationen zwei permanente Orte für die olympischen Spiele finden, einen für den Winter, einen für den Sommer. Dann gibt es kein Länderaustrixen mehr und die Finanzen werden transparenter.
Ich nehme Premier Shinzo Abe beim Wort, dass die Strahlenwerte in Tokio die gleichen sind wie in Berlin und New York. Die lokalen Auswirkungen von Fukushima, das komplexe Zusammenspiel von lecken Tanks, Kühlwasser im Grundwasser, Strahlenpartikel, China-Syndrom – das alles entzieht sich meinem Verständnis und dem der Experten. Hinzu kommt die Sorge um das nächste grosse Beben entlang des Nankai-Grabens. Es wird die Hälfte Japans erschüttern. Es wird vermutlich 330.000 Tote fordern. Es wird zu 70% in den nächsten dreissig Jahren stattfinden. Ich wünsche mir bis 2020 kein grosses Erdbeben.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Gerade letzte Woche habe ich sie wieder bekommen, die SMS: Lieber Kunde, leider haben Sie auch dieses Mal wieder nicht in der Lotterie gewonnen. Schade. Zwar gehts nicht um entgagene Millionen – sondern nur um ein entgagenes Nummernschild. Doch ohne Nummernschild gibts kein Auto in Peking. Seit einem Jahr landet mein Name jeden Monat mit Hunderttausenden anderer Führerscheinbesitzer der Hauptstadt in einem Topf, und nur 20.000 werden gezogen. Unbestreitbar eine nötige Maßnahme, auch wenn ich dadurch statistisch gesehen wohl noch ein paar Jahre warten muss. Mehr als fünf Milliionen Autos schieben sich durch Peking, es herrscht seit Jahren Dauerstau. Von der Luft ganz zu schweigen. Und das Los ist zumindest von der Idee her demokratisch. In Shanghai dagegen werden Nummernschilder versteigert und kosten mittlerweile umgerechnet 100.000 Euro. Mehr als viele Automobilmodelle.
Dass man aber auch in Peking Geld mit Nummernschildern verdienen konnte, zeigte “Tante Wang”, deren illegales Geschäft vor ein paar Tagen aufflog: Wang Xiuxia vermietete mehr als 1000 Nummernschilder, die sie allesamt vor Einführung der Nummernschild-Lotterie Ende 2010 erworben hatte. Offenbar hatte sie sie jahrelang gehortet. Die Dame aus Pekings Nachbarstadt Tianjin hatte schon 2005 zugeschlagen, nachdem ein Verbot für Nicht-Pekinger aufgehoben wurde, Autos in Peking zu registrieren. Die Schilder kosteten nichts, sondern waren wie in Deutschland mit der Anmeldung verbunden, und man zahlte dann eben Kfz-Steuer. Wie Frau Wang N 1000 Schilder kam, ist noch unbekannt. Aber als die Lotterie startete, witterte sie das große Geld. Und alles ging gut. Bis einer ihrer “Mieter” mit dem auf ihren Namen laufenden Fahrzeug einen Unfall verursachte und Fahrerflucht beging. Offenbar hatte aber der Geschädigte das Nummernschild aufgeschrieben. Clever – und Pech für Frau Wang, die angeblich bis dahin eine MIllion Euro mit dem Schilderbusiness verdient hatte. “Ich habe für 10.000 Yuan auf Lebenszeit ein Nummernschild gemietet”, erklärte ein namenloser Fahrer lokalen Medien (wo auch immer diese den Mann aufgetrieben haben).
Nun also ist Schluss mit lustig. Die Verkehrsbehörde erklärte alle 1000 Nummernschilder für ungültig. Parallel dazu gab die Stadtregierung diese Woche bekannt, weitere Restriktionen zu erlassen: Ein neuer Plan zur Luftreinhaltung für 2013-2017 sieht vor, ab 2017 eine Art “Verstopfungs-Abgabe” einzuführen. Außerdem will sie bis dahin die Parkgebühren deutlich anheben und mehr Gebiete für Fahrzeuge außerhalb Pekings sperren.
Erstmals ging Peking im Kampf gegen den Dreck diese Woche sogar gegen große Staatsfirmen vor: Das Umweltministerium stoppte je ein Projekt der Ölriesen SInopec und CNPC, da diese ihre Auflagen zur Emissionsreduktion nicht erfüllt hatten. Das ist mal eine gute Nachricht. Unter Druck stehen dieselben Firmen, da sie minderwertiges Benzin produzieren – auch die schlechte Qualität des Treibstoffs ist ein Grund für die urbane Luftverschmutzung. Es gibt viel zu tun.
Und 1000 Ex-Schilder-Mieter von Frau Wang müssen jetzt mit mir in den Lotterietopf. Viel Glück!
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Steve Wambolt liebt, was man hier „gadgets“ nennt. Mit „technisches Spielzeug“ kann man das übersetzen. Eines seiner „gadgets“ ist ein kleiner ferngesteuerter Hubschrauber. Ich treffe Steve am Sandstrand von Petrie Island, einer Insel im Ottawa-Fluss in der kanadischen Hauptstadt. Hier lässt er seinen kleinen Hubschrauber steigen.
Was wie ein Freizeitspaß aussieht, ist für Steve Wambolt tatsächlich aber Arbeit. Der Hubschrauber fliegt im Auftrag der Stadt Ottawa. Denn diese startete vor ein paar Wochen ein Pilotprojekt: Mit Steve Wambolts Hubschrauber, einer Art Drohne, werden die Kanadagänse vom Strand von Petrie Island vertrieben. Kanadagänse haben sich in Ottawa zu einer Plage entwickelt. Mit ihren Fäkalien verschmutzen sie Strandbäder und Parks. Der Hubschraubereinsatz zeitigt bereits Erfolge: Die Zahl der Gänse, die sich dort niederlassen, ist drastisch gesunken.
Steve Wambolt stellt seinen „Hexacopter“ auf den Sand. Mit seinem Mitarbeiter David Dutrisac checkt er Batterien und MP3-Player, der an dem etwa 70 bis 80 Zentimeter großen ferngesteuerten Fluggerät angebracht ist. Mit einem Knopfdruck am Steuergerät setzt er die Rotorblätter in Gang. Dann steigt die Drohne auf. Mit dem Steuerknüppelt dirigiert der 50-jährige Technikfreak sein unbemanntes Flugobjekt, das die Grundform eines Sechsecks hat und einer Kombination von „fliegender Untertasse“, Mondlandegerät und Hubschrauber ähnelt, zum Strand von Petrie Island. Eine Schar von etwa 20 Kanadagänsen hat sich dort niedergelassen. Mit einem Geräusch, das dem eines großen Bienenschwarms ähnelt, fliegt der Hubschrauber auf die Gänse zu, wenige Meter über dem Strand. Erst recken die Gänse verwundert ihren Kopf, dann nehmen sie mit Geschrei und Flügelschlag Reissaus. Sie stürzen Richtung Wasser, erheben sich in die Luft. Draußen auf dem Fluss lassen sie sich wieder nieder.
Der Gänsejäger ist zufrieden. Seit vier Wochen hat er den Vertrag mit der Stadt Ottawa. „Früher hatten wir ständig etwa 150 Kanadagänse auf der Petrie-Insel. Jetzt sind es vielleicht noch zwei Dutzend, die sich hier niederlassen“, sagt Steve Wambolt. Die „Drohnenschläge gegen Gänse“, wie in den Zeitungen Ottawas das Pilotprojekt martialisch genannt wird, sind offenbar erfolgreich.
Die bis zu sechs Kilogramm schwere Kanadagans (Branta Canadensis) ist mit ihrem schwarzen Kopf und Hals und dem weißen Band am Hals ein schöner Vogel. Und mit einer Flügelspannweite von rund eineinhalb Metern eine der größten Gänsearten. Auch in Europa brüten diese Tiere seit einigen Jahrzehnten. In Ottawa sind Tausende Kanadagänse, die sich in Parks und Strandbädern am Ottawa-, Rideau- und Gatineaufluss tummeln, eine Plage geworden. Sie fressen mehrere Pfund Gras pro Tag und lassen eine entsprechende Menge Fäkalien zurück. Der Vogelschiss führt öfter dazu, dass Liegewiesen, Bäder und Volleyballfelder wegen der davon ausgehenden Gesundheitsgefahren gesperrt werden müssen. Alle bisherigen Maßnahmen, durch Änderung der Vegetation oder dem Errichten von Zäunen, durch Licht, Geräusche oder Hunde der Plage Herr zu werden, förderten bisher allenfalls bescheidene Erfolge zu Tage. Auf rabiatere Vorschläge, etwa mehrere Jahre lang eine große Zahl von Gänsen zu erlegen und an Bedürftige zu verteilen, geht die Stadt nicht ein.
Im Mai trat IT-Techniker Wambolt mit seinem Hubschrauber an Stadtratsmitglied Bob Monette heran. Eigentlich mit einer ganz anderen Intention: Er bemühte sich für sein neu gegründetes Unternehmen Aerial Perspective um Verträge für Luftaufnahmen von Parks, um nach Unwettern die Schäden begutachten zu können. Monette hörte sich den Vortrag an, dann fragte er: „Kann man damit Gänse verscheuchen?“ Jedes Jahr wird er mit dem Gänseproblem auf Petrie Island konfrontiert, das zu seinem Wahlkreis gehört. Wambolt zögerte. „Eigentlich will man mit Fluggeräten Gänsen fern bleiben. Sie können ja sogar Flugzeuge zum Absturz bringen. Aber ich sagte mir: Warum soll ich das nicht mal probieren?“ Das Gerät wurde modifiziert. Auf dem MP3-Player wurden die Geräusche der natürlichen Feinde der Gänse gespeichert, von Raben, Falken, Wölfen und Eulen.
Aber schon allein das Brummen des kleinen Hubschraubers entfaltet seine Wirkung. Die Gänse fliehen, wenn das Geräte über ihnen auftaucht. „Sie lernen schnell, dass Petrie Island ein unwirtlicher Ort ist“, beschreibt Wambolt den Erfolg seiner Arbeit. Seit er im Einsatz ist, musste der Strand nicht geschlossen werden. Wichtig ist, Einsatzzeit und Geräusche der Drohne ständig zu variieren, damit sich die Vögel nicht daran gewöhnen können. Einmal verscheucht, kehrt ein Gänseschwarm viele Stunden lang nicht zur Insel zurück. Manchmal beginnt Wambolt seinen Einsatz am frühen Morgen bei Anbruch der Dämmerung. Bis zu sechs Stunden sind er und seine beiden Mitarbeiter an der Arbeit.
Der Vertrag, der die Stadt 30.000 Dollar kostet, läuft bis in den Herbst. Dann soll Bilanz gezogen werden. Das Geld sei gut investiert, wenn dafür ein stark frequentierter Park sicherer und für die Besucher angenehmer gemacht werden kann, meint Stadtratsmitglied Monette. Wambolt hofft, dass er sein Spielzeug, die Drohne gegen Kanadagänse, im nächsten Jahr auch an anderen Stränden einsetzen kann. Ein Patentverfahren für Fluggerät und Idee hat er bereits gestartet.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
„Was läuft da falsch, wenn zwei große deutsche Zeitungen, die beide dem konservativ-wirtschaftsfreundlichen Spektrum zuzuordnen sind, an ein und demselben Tag ein völlig unterschiedliches Bild der indonesischen Wirtschaft zeichnen?“ fragt Alex Flor in einem Bericht der Berliner NGO Watch Indonesia! vom 24. August 2013. Anlass für seine Frage sind zwei Artikel zum Wirtschaftsstandort Indonesien, die in den Tageszeitungen „Die Welt“ beziehungsweise „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ erschienen sind.
Flor fährt fort: „”Die Welt” hält daran fest, Indonesien aufgrund seines Wirtschaftswachstums in höchsten Tönen zu loben. Es gebe einen “starken Trend nach oben”, getragen von einer wachsenden kauffreudigen Mittelschicht. Die FAZ zeichnet während dessen unter dem Eindruck der jüngsten Börsenkurse ein völlig anderes Bild: Asiatische Werte – damit gemeint sind hier Währungen, Aktien, Anleihen usw. – befinden sich wegen hausgemachter Probleme auf Abwertungstrend. Der Wert der indonesischen Rupiah fiel auf einen seit vier Jahren nicht mehr erreichten Tiefpunkt. An der Börse werden hohe Verluste geschrieben. Die Inflation steigt. Verschiedene andere Medien warnten bereits vor einer Neuauflage der Asienkrise Ende der 90er Jahre.“
Der Indonesienkenner kommt am Ende seiner Analyse zu dem Schluss, dass das Eine so falsch sei wie das andere. Denn ohne spezifische Länderanalyse blieben viele Indikatoren wertlos oder sogar irre führend.
Die eigentliche Frage dahinter ist: Warum werden eigentlich sowohl in den deutschen Medien als auch in der deutschen Politik die gesellschaftspolitischen Aspekte des plötzlichen Wirtschaftsbooms in Indonesien so wenig beachtet? Warum analysieren so wenige so genannte Experten die Hintergründe des kurzlebigen Konsumrauschs, des unglaublichen Reichtums der Eliten, des hart erkämpften Lohnanstiegs der Arbeiter, des Preisanstiegs im ganzen Land?
„Es gibt weder ein ideologisches Ziel noch eine ausreichende Vorsorge gegen die immer größer werdende Kreditblase“, erklärt Wirtschafsberater Eric Santosa in Jakarta und mahnt: „Wir können nicht von einer gesunden Wirtschaft reden, solange die folgenden drei Probleme nicht gelöst sind: mangelnde Infrastruktur, ineffektive Bürokratie und Personalentwicklung.“
Und warum hinterfragt kaum ein Analyst hierzulande die Zusammenhänge von indonesischer Politik und islamistischen Strömungen, von Wirtschaftsboom, Korruption und Menschenrechtsvergehen – wie das bei anderen Ländern oft so demonstrativ geschieht? Hier hat Wenzel Michalski, Direktor von Human Rights Watch Deutschland, eine Erklärung: „Indonesien ist für westliche Länder das neue China. Sie erhoffen sich dort eine gewinnbringende wirtschaftliche Zusammenarbeit. Daher wir mit strategischem Schweigen über Menschenrechtsverletzungen und andere Unannehmlichkeiten hinweg gesehen.“
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
50 Jahre ist es her, dass Martin Luther King in Washington vor Hunderttausenden von (weißen und schwarzen) Zuhörern über seinen Traum von der Versöhnung zwischen den Rassen sprach. «I have a dream» wurde die Rede später getauft, die der junge Geistliche am 28. August 1963 an einer Demonstration «für Arbeitsplätze und Freiheit» hielt. Weniger bekannt ist es, dass King den Schluss seiner Ansprache weitgehend improvisierte – die Traum-Passage war im Manuskript nicht enthalten. Zeitgenossen des Bürgerrechtlers sagten später, dass es die legendäre Gospel-Sängerin Mahalia Jackson gewesen sei, die King zu dieser spontanen Einlage angespornt habe. Jackson, die auf der Tribüne mit den Ehrengästen saß, soll King zugerufen haben: «Martin, erzähl‘ ihnen über den Traum!»
Interessant an dieser Anekdote ist, dass niemand mit letzter Sicherheit zu wissen scheint, ob King diese Aufforderung zu Ohren bekommen hatte. Er sagte später, er habe instinktiv gefühlt, dass er den Schluss seiner Rede improvisieren müsse. Nicht bekannt ist zudem, wann Jackson genau intervenierte: Auf der überlieferten Aufnahme der Rede ist ihre Stimme nicht zu hören. Deshalb kursieren nun mehrere Versionen dieses Vorfalls. Der renommierte Historiker Robert Dallek behauptete in seiner Kennedy-Biographie (auf Deutsch: «John F. Kennedy: Ein unvollendetes Leben»), Jackson habe ihren Zwischenruf fünf Minuten nach Beginn der Rede angebracht. Das stimmt wohl nicht: King liest mindestens zehn Minuten seiner Rede von Blatt ab, wie der untenstehende Film zeigt. Eine andere Version brachte der verstorbene Senator Ted Kennedy in Umlauf. In seinen posthum erschienen Memoiren (im Original: «True Compass») berichtete er detailliert, wie King seine Rede bereits beendet hatte, und absitzen wollte, als Mahalia Jackson interveniert habe. Dies habe er, Kennedy, vor dem Fernsehgerät sitzend ausgemacht, obwohl er doch auch einräumt, dass er Jackson weder gesehen noch gehört habe. Weil ein Senator bekanntlich stets die Wahrheit sagt, wurde diese Anekdote dann auch von Weggenossen von Martin Luther King aufgegriffen — als Beweis dafür, dass Jackson in der Tat ein Stück Weltgeschichte geschrieben habe.
Wie dem auch sei. Schauen Sie sich die Rede Kings doch selbst an, um das kleine Rätsel zu lösen…
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Vor zwölf Jahren lebte ich für eine Weile auf einem abgelegenen Südseeatoll. Das Internet kannten auf Tokelau nur wenige, kaum jemand besaß einen Computer. Einer der Gebildetsten dort, ein Lehrer namens Keli Kalolo, sammelte über Wochen Geld im Dorf, um nach London reisen zu können. Ein teures Unterfangen in offizieller Mission. Kalolo war per E-Mail von einer afrikanischen Prinzessin kontaktiert worden, die ihm ein Vermögen für seine kleine Insel versprach, wenn er ihr aus der Patsche helfe. Er müsse nur persönlich mit einer Anzahlung nach Europa kommen.
Absolut glaubwürdig für jeden, der seit 15 Jahren nicht in seinen Spam-Ordner geschaut hat. Doch Keli Kalolo, tief gläubiger Polynesier und weitab vom westlichen Mediengeschehen, konnte sich nichts Böses hinter dem Fleh-Brief vorstellen. Er flog tatsächlich nach London. Was dort passierte, ob ihn die nigerianischen Hintermänner der notleidenden Prinzessin ausnahmen und ihm auch noch den Pass stahlen – ich weiß es leider nicht. Doch die Schande bei der Rückkehr nach Tokelau kann ich mir vorstellen.
Wir spulen vor ins Jahr 2013. Streng genommen befinden wir uns noch immer auf einer Südseeinsel, oder zweien, namens Aotearoa. Die Menschen skypen, sie chatten, sie wollen Sex im Netz. Aber auch die Schande existiert wie eh und je. Die Dummheit sowieso. Und was passiert? Kiwis lassen sich erpressen wie nicht gescheit, ganz ohne Prinzessin und Erbschaft.
Die Organisation NetSafe, die auch gegen Cybermobbing vorgeht, ist in Neuseeland auf eine neue Art der Internetkriminalität gestoßen. Die
Opfer: notgeile Chatter. Sie lassen sich auf ein Skype-Geplänkel vor der Webcam ein, bei dem die Hüllen fallen. Das lässt sich auch prima als Video von der Gegenseite aufzeichnen. Danach wird gedroht, die kleine Wichsvorlage Freunden und Kollegen zukommen zu lassen. Oder die Hosenlosen auf YouTube zu zeigen.
Bis zu 500 Dollar hätten die Spontan-Stripper jeweils in ihrer Panik an die Erpresser gezahlt. “Danach kommen immer neue Geldforderungen”, so NetSafe-Chef Martin Cocker. Die Internetadressen der Täter befinden sich teils auf den Philippinen oder in Marokko. Umgerechnet über zwei Millionen Euro hat dieser innovative Geschäftszweig schon erwirtschaftet.
Damit ist mein kleines Land mal wieder richtig weit vorn. Neuseeland hatte auch den ersten Cyber-Mord zu vermelden. Im Februar erstach ein Programmierer in Auckland im Affekt einen Freund, der ein paar Straßen weiter wohnte. Sie hatten sich zuvor virtuell in dem nervenaufreibenden Computerspiel “Guild Wars” bekriegt. Der IT-Mensch – laut Kollegen “ruhig, aber sehr, sehr schlau” – steigerte sich in seine martialische Cyber-Rolle hinein, rastete aus, fuhr zum Haus des Gegenspielers und setzte das Gemetzel analog mit einem Messer fort.
Vielleicht sollte NetSafe künftig warnen: MMORPG (massively multiplayer online role-playing games) nur mit weit entfernten Menschen spielen! Am besten Philippinos und Marokkanern.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Ihr Ende naht, Anfang September ist Schluss. Aber noch dauern die Sommerferien in Frankreich an. Noch sind die Strände voll, die Campingplätze auch. Noch steht an den Türen vieler Geschäfte “Fermeture annuelle” wegen ihres wochenlangen Jahresurlaubs – und ein Hinweis an den Briefträger, was er mit der Post tun soll. Die „grandes vacances“ dauern in Frankreich so lange, dass Schüler anderer EU-Staaten neidisch werden können: zwei Monate. Doch viele Franzosen fragten sich in den vergangenen Wochen: Wie oft werden wir diesen großen Ferienblock noch erleben?
Für Aufregung sorgte ein Interview des sozialistischen Erziehungsministers Vincent Peillon. Sechs statt acht Wochen Sommerferien seien genug, sagte der Minister, der selbst eine Lehrerausbildung hat. Peillon hat gerade eine Schulreform durchgesetzt. Sie sieht unter anderem vor, dass ab dem kommenden Schuljahr viele Grundschulen von der Viertage- zur Viereinhalbtage-Woche wechseln – der schulfreie Mittwoch gehört dann der Vergangenheit an. Als der Minister auch noch verkürzte Sommerferien ins Spiel brachte, ging das Gezeter los: Schüler, Lehrer, Tourismusbranche und Politiker, sie alle meldeten sich sorgenvoll zu Wort.
Les grandes vacances – die großen Ferien, sie sind aus dem Jahreszyklus kaum wegzudenken. Sie gelten als Teil des schönen Lebens in Frankreich. Das Land schaltet einen Gang herunter. Für Schüler sind diese Ferien eine richtige Auszeit. Ihr Ende ist eine Zäsur wie ein Sommersilvester: Kein Wunder, dass danach im September die „Rentrée“ ansteht, die Rückkehr in den Schul- und Arbeitsalltag. Schon gibt es in den Nachrichten die ersten Beiträge über die neuesten Trends der Schulranzen.
Diese lange Ferienzeit hat historische und wirtschaftliche Gründe im 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts, mit ihr wurde den Wünschen der Bevölkerung entsprochen. Denn die Landwirte brauchten für die Ernte auf den Feldern und in den Weinbergen jede helfende Hand, auch die ihrer Kinder. 1950 arbeiteten noch 49 Prozent der Franzosen in der Landwirtschaft. In den 1960er Jahren dauerten die Ferien noch zehn Wochen. Doch die Gesellschaft wandelte sich, die kleinen landwirtschaftlichen Betriebe wurden weniger. Anfang der 1980er Jahre verkürzte die Regierung die Sommerferien auf derzeit acht bis achteinhalb Wochen.
Warum jetzt noch mehr Tage streichen? Die Schüler müssten mehr Zeit fürs Lernen haben, sagt Peillon. Zurzeit stünden sie zu sehr unter Druck. Französische Schüler haben ein sehr kurzes Schuljahr, aber zu lange Schultage, kritisieren Experten schon lange. Nirgendwo in Europa sind die Schultage derart vollgepackt. In den meisten EU-Staaten gehen die Kinder durchschnittlich 180 Tage im Jahr zur Schule. In Frankreich sind es nur 144 Tage. Peillon ist übrigens nicht der erste Minister, der dieses heiße Eisen anpackt. Bereits der konservative Minister Luc Chatel setzte 2010 eine Kommission ein, die Vorschläge ausarbeiten sollte, wie der Schulrhythmus verbessert werden könne. Tausende Schüler gingen damals zum Demonstrieren auf die Straße. Es blieb letztlich bei den acht Wochen.
Auch Erziehungsminister Peillon musste nach seinem Interview erst einmal zurückrudern. Im Erziehungsministerium betont man auf Anfrage vehement, dass das Thema grandes vacances nicht Teil der aktuellen Schulreform sei. Aber Peillon hat bereits ein Datum fallen lassen: 2015 soll die Ferienreform debattiert werden. Während die Sechs-Wochen-Befürworter ein besseres Gleichgewicht im Jahresschulzyklus erhoffen, betonen Psychologen, wie sinnvoll diese lange Auszeit ist: Die Kinder könnten sich wirklich erholen von dem Schuljahr, neue Freunde finden und in der Freizeit andere wichtige Dinge lernen.
Immer mehr Franzosen können sich aber mit Peillons Vorstoß anfreunden. Nach Umfragen sind 43 Prozent den Verkürzungsplänen zugeneigt – vor allem die Eltern. Sie haben natürlich nicht so viel Urlaub. Viele können meist nur zwei Wochen mit den Kindern wegfahren – manche wegen der Wirtschaftskrise gar nicht. Sie haben damit zu kämpfen, ihre Kinder acht Wochen unterzubringen oder zu beschäftigen. Glück haben die Mütter und Väter, die ihre Kinder bei Oma und Opa abgeben können. Oder die genug Geld haben, um die Kleinen in ein Feriencamp zu schicken.
Von der langen Auszeit profitieren übrigens in Frankreich einige Verlage: Viele Eltern kaufen ihren Kindern Aufgabenhefte, die „Cahiers de vacances“. Darin können die Kinder Übungen machen, um den Lernstoff des vergangenen Jahres zu wiederholen. Die Hefte sind ein Renner: Sechs Millionen solcher Hefte werden jährlich verkauft.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Professor Zhang kennt inzwischen jeder in China. Das ist jener Irrsinnige, der auf dem Dach eines Wohnturms am Rande Pekings wie ein Superböser in Actionfilmen ein heimliches, unsichtbares Reich aufgebaut hat – in sechs Jahren harter Handarbeit, mit Blick auf den See nebenan. Professor Zhang strebt sicher nicht die Weltherrschaft an von seinem Penthouse aus Villa, Steingarten und Gemüseäckern. Doch er gefährdet Statik und Erdbebensicherheit des Turms, und hat keine Genehmigung – und so muss sein gerade erst von lokalen Journalisten entdecktes Reich weichen, sagen Baubehörde und Polizei. (Findige Fans flogen vor dem Abriss nochmal schnell mit dem Helikopter über Zhangs Bauwerk, HIER das Video und Fotos dazu)
Doch inzwischen ist klar, dass Zhang beileibe kein Einzelfall ist – Dachbebauung ist offenbar auch anderswo hip. Während in Tokio die Kaufhäuser im Sommer Biergärten auf dem Dach installieren, baute ein Einkaufscenter in der südchinesischen Stadt Zhuzhou dort vier illegale Villen mit Garten (Fotos HIER). Effizienter mit ihrem Platz ging die Yongxing Investment & Construction Group in der Stadt Hengyang um, die 2009 gleich 25 Einzelhäuser auf ihr Einkaufsparadies stellte (siehe FOTOS), die ebenfalls jetzt erst entdeckt wurden. Beide Städte liegen in der Provinz Hunan – dort legen die Menschen wahrscheinlich inzwischen beim Einkaufen den Kopf in den Nacken um zu sehen, ob sich über ihrem Einkaufsdorado nicht eine zweite Welt verbirgt. Denn wer nimmt schon an, dass es nicht noch weit mehr Beispiele gibt – deren Bauherren sich jetzt ganz still verhalten. Denn diese Bauten sind illegal und sollen allesamt abgerissen werden. Professor Zhang hat aber offenbar noch etwas Zeit zum Durchatmen: Nach lokalen Presseberichten brauchen die Behörden für den Abriss seines luftigen Kunstgebirges erst mal eine Genehmigung.
Völlig legal ist indes die Kopie des weltberühmten Pekinger Himmelstempels, welche ein paar Distriktpolitiker in der Yangtse-Metropole Wuhan bauen lassen: Das dreistöckige kreisrunde Gebäude (nicht ganz so hübsch wie das Original, nur FAST) steht inmitten eines gigantischen neuen Friedhofs, den sich die Distriktgenossen umgerechnet schlappe 100 Millionen Euro kosten lassen. Eine Sprecherin der Wuhan Jinhui Company of Cultural and Ecological Gardens betonte, bei Friedhof und Himmelstempel-Fake handele sich um ein “ökologisches Projekt”, das den Tourismus fördere. Na dann. Tourismus oder zumindest Besucherzahlen fördern wollten wohl auch die Verantwortlichen des Zoos der Kleinstadt Luohe. In Ermangelung eines echten Exemplars gaben sie einfach eine Tibetdogge als Löwen aus. Ging ein Weilchen gut, aber dann bemerkten Besucher, dass das Tier im Löwenkäfig bellte. Es folgte ein Aufschrei im Internet. Zoodirektor Liu betonte, man habe doch nur der Dogge eines Freundes Unterschlupf geben wollen, während dieser im Urlaub sei. Die Löwen kämen bald zurück, nie habe man daran gedacht, die Menschen zu betrügen. Klare Sache. Nur befindet sich laut der “Beijinger Jugendzeitung” ein weiterer Hund im Wolfskäfig, sowie Füchse im Leopardengehege und Biberratten in der Schlangenhöhle.
Seit heute morgen ist es kühl draußen, leichter Frühdunst lag in der Luft und es riecht irgendwie anders. Sprich, der Herbst kommt und damit verschwinden solche Themen in der Versenkung. Schade. Heute steht Bo Xilai wegen Korruption vor Gericht, ein einstiger Politstar und Provinzfürst, dessen Frau kürzlich wegen Mordes an einem britischen Geschäftsmann verurteilt worde. Bekommt Bo die Todesstrafe? Bricht die Wirtschaft ein, welche Reformen plant denn nun die Kommunistische Partei jetzt im Herbst? Alles wichtige Fragen. Aber es wäre doch auch gut zu wissen, wie lange Zhangs Haus noch stehen bleiben darf. Und was seine Nachbarn sagen. Und ob die Biberratten auch Lius Freunden gehören. Und wieviele Zhangs oder Löwendoggen es noch so gibt im Land. Doch dafür hat jetzt wohl erstmal keiner mehr Zeit.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Aus aktuellem Anlass ein paar Worte zur »gelben Gefahr«, weil mir vorhin auf Facebook jemand Folgendes schrieb:
»Ich frage mich, warum der gelbe Hintergrund in Ihrem Facebook-Profilfoto, der aktuell als Kennzeichen der Muslimbrüder-Sympathisanten angesehen wird? Ich erwarte Neutralität von Journalistinnen und Journalisten!«
Nun, ähemm, das Foto steht so, wie es aussieht, seit April 2011 auf meiner Facebook-Seite, weil ich damals dachte, dass rot und gelb zusammen so’ne schöne Signalwirkung entfalten. Hat mir einfach gut gefallen. Dass es die Farbe der Muslimbrüder sein soll, ist mir unbekannt (seit GESTERN verwenden sie allerdings einen gelben Hintergrund in einem ihrer Protestlogos). Man könnte über den Vorwurf an mich lachen, wenn er nicht ein Beispiel dafür wäre, wie so manchem Ägypter (und Deutschen in Ägypten und Deutschen in Deutschland, der sich für Ägypten interessiert) in dieser Atmosphäre der Hysterie die Nerven durchgehen.
Ich richte ja nie meine Berichterstattung an den Stimmungswogen der Leute aus. Eine der Hauptfragen, die ich mir beim Recherchieren und Schreiben selber stelle, lautet: »Ist das, was ich sehe, jetzt wirklich das, was ich denke, was es ist…?« Will sagen: Es gibt ziemlich viele Gründe dafür, immer und überall kritisch unter die Oberfläche zu gucken. Was Ägypten betrifft, gilt das nicht nur für die Islamisten, auch für Militär, Sicherheitskräfte, Opposition usw. usf. Alles andere wäre journalistisch falsch (und außerdem sterbenslangweilig).
Ich weiß, dass das schwierig für jene ist, die nach einfachen ›Wahrheiten‹ dürsten, nach solchen, die am besten auch noch ihren Stimmungen und Erwartungen entsprechen. Ich verstehe das ja, aber es ist journalistisch nicht machbar. Ich erhalte auch Post, in denen Unterstellungen stehen wie: »Sie haben doch die Muslimbruderschaft immer geschont und die Gefahr verharmlost!« — Wahlweise steht statt Sie auch gern Ihr für »Ihr Journalisten«…
Wen es interessiert, ich verlinke hier mal ein paar meiner Beiträge, die ich eben auf die Schnelle rausgesucht habe. Das soll keine Rechtfertigungsein (dazu gibt es keinen Grund), sondern eine Ermunterung dazu, mal ein bisschen genauer in die deutschen Medien hineinzugucken oder hineinzuhören. Da gibt es bei meinen Kollegen (auch von WELTREPORTER.NET) ne ganze Menge zu entdecken, zum Beispiel in den Tageszeitungen und auf den öffentlich-rechtlichen Radiosendern (sehr empfehlenswert!) und zum Beispiel besonders auch bei Karim El-Gawhary.
Hier Links zu ARD-Hörfunkbeiträgen von mir aus dem Frühjahr und Winter:
Das folgende Stück hier wurde knapp drei Monate vor der Entmachtung Mursis gesendet, ich lasse einen ägyptischen Gesprächspartner erklären, warum er die Ideologie der Muslimbruderschaft für gefährlich & faschistisch hält :
http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2013/04/12/drk_20130412_2248_aeceaafc.mp3
Hier zu Menschenrechtsverletzungen unter Mursi (April 2013):
http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2013/02/11/drk_20130211_1214_7d7da371.mp3
Hier genau zur Hälfte der Amtszeit Mursis (Januar 2013), ebenfalls über Menschenrechtsverletzungen und repressive Politik:
http://www.tagesschau.de/ausland/aegypten1410.html
Hier die ersten Massenproteste gegen Mursi & Muslimbruderschaft im Dezember 2012:
http://www.tagesschau.de/ausland/aegypten-proteste110.html
Das sind einige von vielen Beispielen. Auf den Text-Webseiten gibt es jeweils immer auch ein Audio-Logo, auf das man klicken kann, um sich das jeweilige Stück anzuhören.
Mal auch ganz spannend für mich, in der Rückschau zu gucken, wie die eigene Berichterstattung damals aussah. ■
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Dass die Wahrheit in Konflikten auf der Strecke bleibt, ist eine Binsenweisheit, ebenso wie die Tatsache, dass mit Informationen Politik gemacht wird. Geschenkt. Es gibt nichts, das ein Journalist nicht kritisch abklopfen muss.
Am 26. Januar 2011, dem zweiten Tag des ägyptischen Volksaufstandes gegen Mubarak, bin ich tagsüber zu drei Orten in der Nähe des ARD-Studios gegangen, für die Regimegegner Demos mit mehreren Tausend Menschen über Twitter und auf Facebook vermeldet hatten. An nicht einem der drei Orte traf ich auch nur einen einzigen Demonstranten an.
Bei Opferzahlen sieht’s nicht anders aus. Wem hohe Zahlen nutzen, der vermeldet hohe Zahlen, wem nicht, der nicht. Fotos von Kindern, die das ägyptische Militär angeblich bei ihren brutalen Angriffen gegen Mursi-Anhänger in Kairo tötete, erwiesen sich später als Bilder von Kinderleichen aus Syrien.
Diese Bilder waren auf Webseiten aufgetaucht, die der Muslimbruderschaft nahestehen. Andere Webseiten fanden die Quelle und stellten die Screenshots der ägyptischen sowie der syrischen Webseite nebeneinander –beide zeigen dasselbe Massakerfoto, nur mit einer anderen Bildunterschrift.
Ich habe aber auch schon Webseiten mit solchen Gegenüberstellungen gesehen, bei denen der »Beweis«, also der Screenshot von der Webseite mit dem angeblichen Originalfoto, eine Fälschung war – und das angeblich »entlarvte« Foto aber echt. Alles ziemlich verworren.
Gestern tauchten in Ägypten Fotos von Männern in Zivil auf, die mit Maschinengewehren bewaffnet am Rande von Demonstrationen durch Kairos Straßen liefen. Angeblich soll es sich um bewaffnete Mursi-Anhänger gehandelt haben. Das kann stimmen, ich habe selber in den letzten Wochen Mursi-Anhänger mit Waffen gesehen. Die Behauptung kann aber auch falsch sein. Andere Fotos von gestern zeigen Männer in Zivil und mit Maschinengewehren, die mit Polizisten in der Sonne stehen, plaudern und ganz offensichtlich zu ihnen gehören.
Zu welcher ‘Seite’ gehören Männer in Zivil, die in der Nähe von Protesten mit Waffen rumlaufen? Das Publikum entscheidet sich für die Antwort, die es hören will. Das ist der Hauptpunkt. Nur wenige der vielen Falschinformationen und Behauptungen dienen noch dazu, einen Beweis zu suggerieren. Sie sollen einfach nur Stimmungen beeinflussen, bei Leuten, die ohnehin schon in einer bestimmten Weise gestimmt sind.
Es ist inzwischen völlig egal, wie plausibel diese Behauptungen sind. Sie tauchen auf, sie putschen auf. Sie sind ein paar Stunden später schon wieder aus der Wahrnehmung verschwunden und haben ihren Zweck erfüllt. Im Zeitalter von Social Media und von Fernsehbildschirmen, die rund um die Uhr flimmern, erwartet niemand mehr, das irgendwas von dieser Informationsflut später dementiert oder entlarvt wird. Es guckt sich alles einfach so weg.
Seit Mittwoch wurden in Ägypten landesweit mehrere Dutzend Kirchen gestürmt, verwüstet und/oder in Brand gesteckt. Ich habe in Videoaufnahmen Täter gesehen, bei denen es sich mit ziemlicher Sicherheit um Sympathisanten von Mursi und der Muslimbruderschaft handelte – zur ‘Rache’ womöglich angefeuert durch die Reden, die wochenlang von der Protestcamp-Bühne an der Rabaa-al-Adawiyya-Moschee hallten und in denen aufs Übelste immer wieder auch gegen Christen gehetzt wurde.
Auf Aufnahmen von anderen der attackierten Kirchen sah ich Angreifer, die mit Pick-up-Trucks kamen und bei denen es sich unverkennbar um Baltagiyya-Schlägertrupps handelte, um jene meist jungen, verrohten Männer aus Armenvierteln, die seit Jahrzehnten für Funktionäre der Mubarak-Nomenklatura die Drecksarbeit machen, nicht selten vollgepumpt mit Bango (Marihuana), und die ein paar ägyptische Pfund für ihren Einsatz erhalten.
Eine ägyptische Koptin aus Beni Suef (die ich nicht kenne und für deren Äußerungen ich nicht bürgen kann) schrieb auf ihrer Facebook-Seite (mehrere Tausend Abonnenten): »Glaubt mir! Die, die bei uns im Ort die Kirchen anzündeten, waren Geheimdienstleute in Zivil und Männer von der NDP (Mubaraks 2011 aufgelöster Regierungspartei).« In einem Fernsehinterview an jenem Mittwoch erzählt ein koptischer Kirchenfunktionär aus Al-Minya, dass die Angriffe auf alle Kirchen im Ort exakt zur selben Zeit nach demselben Muster abliefen und vor allem in jenem Moment im Morgengrauen stattfanden, als in Kairo die brutale Räumung der Protestcamps der Mursi-Anhänger gerade begonnen hatte. Die Kopten riefen die Polizei an und baten um Schutz und Hilfe, aber bei keiner der überfallenen Kirchen habe sich die Polizei blicken lassen, bis zum Schluss nicht.
Es bleibt einem nichts weiter übrig, als sich auf all das irgendwie selber einen Reim zu machen – indem man so aufwändig und so kritisch wie möglich recherchiert und indem man die eigenen, Jahre langen Erfahrungen bei der Beurteilung hinzuzieht. Nach dem, was ich von den Überfällen auf die Kirchen gesehen habe, würde ich sagen: sowohl radikale, aufgehetzte Mursi-Sympathisanten als auch koordiniert agierende Angreifer, die Überfälle orchestrierten, die den Islamisten in die Schuhe geschoben werden können.
Vorfälle dieser und ähnlicher Art müssten von offizieller Seite untersucht werden. Nach jedem Blutbad der letzten zweieinhalb Jahre wurde schonungslose Aufklärung versprochen, aber ich kann mich an keinen einzigen Untersuchungsbericht erinnern. Und wenn es Pressekonferenzen gab, auf denen »Untersuchungsergebnisse« präsentiert wurden, waren sie keine einzige der Minuten wert, die man für sie opferte.
Im Oktober 2011 habe ich sechs Stunden lang aus nächster Nähe mit ansehen müssen (ich konnte den Ort nicht verlassen), wie das ägyptische Militär vor dem TV-Gebäude Maspero ein Massaker unter Teilnehmern einer Christendemonstration verübte. Ich sah Soldaten, die auf Menschen schossen (die dann getroffen zusammensackten), ich sah, wie gepanzerte Militärfahrzeuge über Demonstranten fuhren. Am Ende waren mindestens 27 Menschen tot.
Ein paar Tage später gaben Armeeoffiziere auf einer Pressekonferenz die offizielle Version der Militärs bekannt. Fast alles, was sie sagten, war praktisch das Gegenteil von dem, was ich selber gesehen hatte. Ähnliche Erfahrungen macht man immer wieder auch mit Erklärungen anderer Behörden. Es ist leider so, dass die Informationen offizieller Stellen in Ägypten keinen Wert haben. Sie können stimmen (und tun das womöglich hin und wieder auch), aber sie können ebenso gut auch komplett dem Reich der Phantasie entstammen. Man könnte sie eigentlich ignorieren. Sie helfen einem bei der Suche nach dem Hergang der Ereignisse keinen einzigen Millimeter weiter. ■
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Da Barcelona ja immer noch der Ruf als stilprägende Metropole vorauseilt, fragen mich meine Redaktionen gerne nach neuen Trends. Bitte, hier kommt einer: Die katalanische Trendsportart des Sommers heisst Ringelpietz mit Anfassen.
Für den 11. September, den katalanischen Nationalfeiertag plant die Bürgerbewegung Assamblea Nacional Catalana eine 400 Kilometer lange Menschenkette entlang der Via Augusta. Mit der “Via Catalana” soll ein Zeichen gesetzt werden, für die Unabhängigkeit Kataloniens, natürlich. Die Organisation läuft auf Hochtouren. In Sportreportermanier werden triumphierend die letzten zu füllenden Meter getwittert, Exil-Katalanen posten Fotos von Soli-Ketten aus Rom und Wien und seit ein paar Tagen gibt es jetzt auch ein offizielles Lied, den Via-Catalana-Road-Song quasi.
Wer etwas auf sich hält, kleidet sich zum Ringelreigen ganz mit nationalen Emblemen ein: Die gelb-rot gestreifte katalanische Fahne wird als eine Art Superman-Umhang über die Schulter geworfen, dazu gibt es passend die Unterhose für Freiheit liebende Geschlechter und Sandalen, mit denen man dann in Riesenschritten Richtung Unabhängigkeit schlappen kann. Die Merchandising-Industrie boomt, von wegen Krise.
An diesem Wochenende wird landesweit geprobt. Also, liebe Touristen, wundern Sie sich nicht, wenn Sie auf Ihrem Weg von den Pyrenäen ans Mittelmeer von glücklich strahlenden, sich an den Händen haltenden Menschen im gelb-roten Dress begrüsst werden. Es handelt sich nicht um einen PR-Gag eines verzweifelt um Besucher buhlenden Tourismusamtes, sondern um den Testlauf für eine politische Demonstration.
P.S: Und bevor ich jetzt wieder bitterböse E-Mails bekomme, in der mir mangelndes Verständnis für katalanische Befindlichkeiten oder gar bezahlte Maulwurftätigkeiten für die Zentralregierung in Madrid unterstellt werden: Ich masse es mir nicht an, in irgendeiner Art und Weise ein Urteil über Sinn oder Legitimität der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung zu fällen… aber, déu n’hi do, so ein ganz klein bisschen karnevalesk ist dieser Sommerreigen doch schon…
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Zu wenig dringt vom australischen Wahlkampf in den Rest der Welt vor. Was schade ist, denn wenn die nächsten 4 Wochen bis zur Wahl nur ansatzweise so skurril weitergehen, wie sie angefangen haben, wird’s zum Schreien. Kostprobe gefällig? Gern! Gestern zb gab eine junge Kandidatin der “One Nation” Partei (so eine Art australische Le-Pen- oder Sarah-Palin-Truppe) ein Interview und erklärte : Sie sei jetzt nicht generell gegen Islam als Land, aber deren Gesetze sollten lieber nicht in Australien gelten. Okay, ich verstehe, Sie brennen darauf, den Namen dieser politischen Wunderwaffe kennen zu lernen: Verständlich, denn Stephanie Banister, mit 27 Jahren das jüngste “poster girl” ihrer politischen Vereinigung, hat noch weitere Weisheiten in Sachen Religion parat. Da Skepsis in diesen schnellmedialen Zeiten angebracht ist, hören Sie sich den Beweis aus Australiens öffentlichem Fernsehen auf Youtube an. Es lohnt! Sarah, sorry Stephanie weiß auch: Nur 2 Prozent aller Australier etwa folgten dem Haram (sie meinte Koran, haram ist ein muslimischer Terminus für etwas das verboten ist )
http://www.youtube.com/watch?v=6_1SFf8t-ko
Dann belehrte sie noch: Juden hätten andere Diätvorschriften (nicht haram sondern kosher und steuerfrei), aber Juden hätten ja eh ihre “eigene Religion, welche nämlich Jesus Christus folge”. Autsch, ich glaube Stephanie muss wirklich muss noch mal zurück in Jahrgang 10, wo’s um “Religionen dieser Welt” ging. Denn Glaube und Gott sind ihr Lieblingsthema (sagt sie). Kaum nötig zu erwähnen, dass die aufstrebende Politikerin sich am nächsten Tag beschwerte und falsch zitiert fühlte… Die Beweise waren allerdings etwas zu erdrückend.
Mit etwas Glück bleibt Australien mehr Banister-Intelligenz eventuell erspart: im Moment wird gerichtlich gegen sie ermittelt weil sie angeblich Aufkleber verteilt hatte: “halal funds terrorism” brüllten die weiß auf rot, und ihre Anhänger hatten sie in Brisbanes Supermärkten auf Fleischwaren und andere Produkte geklebt. Das Verfahren steht noch aus, aber mit Vorstrafe darf sie nicht ins Parlament. phhhh.
Dies waren Stephanie Banisters Aufkleber. Dank derer könnte Australien von ihr verschont werden.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Zwischen 16 und 17 Uhr solle ich an der Ecke Broadway/53. Straße sein, hatte John angewiesen. „Und dann sagst du den Helfern, dass du auf meiner ‚Gold List’ stehst“. Natürlich war ich zu früh, weil ich die mühsam erkämpfte Gelegenheit zum Besuch der Late Show mit David Letterman (siehe Teil eins des Blogs) um nichts in der Welt riskieren wollte. Ich war nicht die einzige – schon von weitem sah ich eine gigantische Schlange, die vom Ed Sullivan Theater hinunter bis zur Straßenkreuzung reichte und dann links abbog in die 53. Straße. Hoffnungsvoll wandte ich mich an eine junge Frau, die eine Neonweste als Helferin auswies. „Zur Late Show…“ „…bitte ans Ende der Schlange“, unterbrach sie mich freundlich. „Aber ich bin auf Johns Gold List“, protestierte ich. Sie lächelte geduldig. „Honey, die sind alle auf Johns Gold List.“ Nach sechseinhalb Jahren Amerika hätte ich eigentlich wissen müssen, dass nicht einmal „Platinum“- oder „Diamond“-Klassifikationen einen VIP-Status garantieren.
Die Stimmung in der Schlange war gut, auch weil es schnell voran ging, trotz scharfer Sicherheitskontrollen: Ein Uniformierter schritt die Schlange mit einem Schäferhund ab; größere Taschen mussten geöffnet werden. Gleich zwei Mal wurde mein Pass kontrolliert und der Name mit der Zuschauerliste abgeglichen. Fotografieren war verboten. Im Foyer teilte eine junger Mann Papiertickets ausgab und uns in unterschiedliche Richtungen schickte. Vor uns waren zwei knubbelige Frauen um die 40, die aussahen, als seien sie für die Show eigens aus dem Mittleren Westen angereist. Wahrscheinlich waren sie das auch. Ich konnte nicht hören, was der junge Mann zu ihnen sagte, aber sie wirkten ganz zufrieden. Dann waren wir dran. Der junge Mann ordnete seine Tickets und jodelte ohne aufzublicken: „Hellloooo you crazy cats, how are youuuu today,?“ Nun habe ich in meinen fast 50 Lebensjahren einiges erlebt, aber dass mich jemand, der mein Sohn sein könnte, als „verrückte Katze“ bezeichnet, war durchaus eine neue Erfahrung. An der Miene meines Begleiters konnte ich ablesen, dass ihm Ähnliches durch den Kopf ging. Der junge Mann schien unsere leichte Fassungslosigkeit nicht zu registrieren. „Red“, sagte er in so bedeutsamen Ton, als hätten wir das große Los gezogen, und dirigierte uns in eine bestimmte Warteschlange. Umgehend waren wir versöhnt. Rot, das klang nach rotem Teppich und Plüsch und Pomp.
Menschen in Pagenuniform winkten uns durch Gänge und Treppen, bis wir schließlich oben im ersten Rang ankamen. „Hier bitte“, „gehen Sie dort“ – alle waren ungemein höflich. Mit ausladender Geste zeigte der letzte Helfer auf zwei Kippsessel und eilte weiter. „Sehr gute Plätze“, sagte der beste Ehemann aller Zeiten. „Wunderbar“, stimmte ich zu. Tatsächlich saßen wir in der allerletzten Reihe, den Blick auf die Bühne teilweise versperrt von Scheinwerfern. Aber unser so schön umschmeicheltes Ego weigerte sich, solche Kleinigkeiten zur Kenntnis zu nehmen.
Bis auf den bei Liveshows offenbar unverzichtbaren Einpeitscher, der das Publikum vor Aufzeichnungsbeginn mit Witzen und Anekdoten in Stimmung bringt, war dann alles ganz genau so wie im Fernsehen. Wir sahen Letterman durch die Kulisse laufen und bewunderten seine routinierte Art, mit dem Publikum zu flirten. Stargast war John Travolta, den das Publikum mit großem Hallo begrüßte und der wirklich eine gute Figur machte. Er erzählte Anekdoten von seinem zweieinhalbjährigen Sohn, schwadronierte über sein Flughobby („8500 Flugstunden“), gab mit seinem Bizeps an und warb für seinen neuen Film, „Killing Season“. Zum Abschluss gab’s eine Tanzeinlage.
Was man am Bildschirm zuhause freilich nicht sieht, ist der Schwarm von Assistenten, der in jeder Werbepause die kleine Bühne füllt. Einmal zählte ich 14 Personen, die irgendwelche Uhren kontrollierten, Gegenstände auf Lettermans Schreibtisch zurecht rückten oder einfach nur um dem Moderator herumstanden. Mag in Amerika eine Zeitung nach der anderen sterben – dem Fernsehen, so scheint es, geht das Geld noch lange nicht aus.
Foto: Christine Mattauch
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
„Lettermaaaaan“ – mit diesem Urschrei beginnt an jedem Wochentag die Late Show auf CBS. Sie ist eine Institution in den USA, ein Kult: Die erste Spätsendung mit David Letterman, die Tagesrückblick mit Comedy verbindet, lief am 30. August 1993, und noch immer schalten durchschnittlich vier Millionen Amerikaner ein. Auch viele Deutsche kennen sie, zumindest indirekt, denn sie stand Pate für die Harald Schmidt Show. Wie genau die deutsche Version vom amerikanischen Vorbild kopiert ist, wurde mir erst hier in den USA richtig klar: Bis in kleinste Gesten hinein ahmt Schmidt sein Alter Ego nach. Was die interessante Frage aufwirft, ob auch Letterman seine Rolle nur spielt oder er authentisch ist.
Die Show wird im Ed Sullivan Theater in Midtown Manhattan produziert. Vor Jahren entdeckte ich zufällig, dass, wer sie live sehen möchte, sich via Internet bewerben kann. Die Teilnehmer würden „zufällig ausgewählt“, heißt es nebulös, was bei mir den Verdacht entstehen ließ, dass das Publikum hauptsächlich aus Freunden und Bekannten des Showpersonals besteht. Deshalb wunderte es mich auch nicht, dass ich nie eine Antwort bekam, wenn ich gelegentlich, mehr aus Jux, das Formular ausfüllte.
Eines schönen Junimorgens jedoch fand ich eine Nachricht auf meinem Anrufbeantworter: Ich möge „John“ von der Late Show anrufen und mein Wunschdatum bestätigen. Ich glaubte erst an einen Witz, oder an Abzocke. Aber schließlich wusste außer mir keiner von der Bewerbung. Also rief ich zurück, derartig nervös, dass mein Englisch ungefähr dem Niveau einer Vierjährigen entsprach. John klärte ein paar Formalien und sagte dann, ich müsse eine Frage beantworten, um zu beweisen, dass ich ein echter Fan sei: „Wer ist Tony Mendez?“
Mein Kopf raste. In meiner Panik fiel mir überhaupt nur ein Mitwirkender ein, ein junger Mann, der zur Gedächtnisstütze des Moderators Stichwortkarten hochhält. Stotternd versuchte ich dessen Funktion zu erklären. John lachte. Es klang so, als sei ich auf dem richtigen Weg. Ich atmete tief durch und versuchte es mit „The teleprompter guy“ John lachte noch mehr und sagte dann: „Oh nein, so leicht kommst du mir nicht davon. Du musst schon den richtigen Begriff sagen.“ Das fand ich ungerecht. „Ich bin Deutsche, wie kannst du erwarten, dass ich so eine ausgefallene Vokabel kenne?“ „Weil der Ausdruck in jeder Sendung fällt“, antwortete John streng. Dann hatte er ein Einsehen. Oder Mitleid. „Bleib in der Leitung, ich rede mal mit meinem Vorgesetzten.“
Was nun geschah, wird die technikaffine jüngere Generation nie verstehen. Weil mir schien, dass die Verbindung unterbrochen sei, versuchte ich, die Lautstärke hochzustellen. Und erwischte dabei den „Aus“-Knopf. Noch nie war ich so wütend auf mich selbst. Denn natürlich würde John diese radebrechende, ungeschickte Deutsche nicht noch einmal anrufen. Bestimmt hatte er Tausende von enthusiastischen, echten Fans auf seiner Liste, die nicht nur den richtigen Begriff aus dem Effeff wüssten, sondern auch noch beschreiben könnten, welche Farbe das T-Shirt von Tony Mendez in der Show von vor drei Wochen gehabt hatte. Während ich halblaut vor mich hinschimpfte, klingelte das Telefon. John. „Alles klar, du kannst kommen. Sag einfach, dass du auf meiner ‚Gold List’ stehst.“ Ich konnte mein Glück kaum fassen und bedankte mich überschwänglich. John wehrte ab. „Tony Mendez ist übrigens unser ‚cue card boy’“, sagte er noch. „Der Ausdruck ist mir unbekannt“, sagte ich aufrichtig. Es entstand eine Pause. Dann sagte John spitz: „Dass die Sendung auf Englisch ist, weißt du aber schon?“
Was es mit Johns „Gold List“ auf sich hatte und wie viele Regieassistenten bei Letterman auf der Bühne stehen, erfahren Sie in meinem nächsten Blog.
Fotos: Christine Mattauch
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Manchmal ist doch wunderbar, wenn die Welt klar, kompakt und Entscheidungen einfach sind. Ich zb wüßte genau, was ich machen würde, wenn ich am 1. August um 20 Uhr nicht in silly Sydney, sondern ausnahmsweise circa 16500 Kilometer weiter nördlich wäre: Ich würde in die Rudi-Dutschke-Straße 23 in BerlinKreuzberg radeln, mich im taz-Café an einen schattigen Tisch setzen, zuhören, am Kaltgetränk nippen und viel und laut lachen.
Dann und dort nämlich lesen drei Weltreporter aus ihren extrem kurzweiligen Büchern: Anke Richter (Christchurch), Kerstin Schweighöfer (Den Haag) und Martin Zöller (Rom/München) lassen bei ihrer Culture-Clash Lesung übrigens auch mit sich reden und diskutieren. Das Motto des Abends ist sommerlich freudvoll alliteriert und geht so: “Mafia, Maori und Maasdamer”. Aber lassen Sie sich davon nicht abschrecken 😉 es wird garantiert ein urkomisch vergnüglicher Abend! Viel Spass und gute Unterhaltung!
Ps: der Eintritt ist übrigens frei.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Als ich vor zehn Jahren als ARD-Radiokorrespondentin nach Kalifornien kam war ich sicher: ich gehe jeden Tag ins Meer. Ich lerne surfen. In ein paar Monaten stehe ich sicher auf einem Surfbrett. Denkste Puppe! wie Freunde in Berlin sagen würden. Erstens hatte ich gar nicht genug Zeit, jeden Tag zum Meer zu gehen und zweitens – war es viel zu kalt! Kälter als verregnete Urlaube in der Nordsee! Ich bin im März in Kalifornien angekommen: weitgehend sonnig, angenehme Lufttemperaturen – und gefühlte Pazifiktemperatur von höchstens 15 Grad. War also erstmal nichts mit jeden Tag Schwimmen und Eroberung der Surfwelt. Doch es bestand Hoffnung: es wurde wärmer, draußen und im Meer. Im Juli versuchte ich es wieder. Ich hatte komplett die Unterströmungen, die Wellen und überhaupt die Gewalt des Wassers unterschätzt. Das war anders als Urlaub am Mittelmeer oder Konfrontation der dunklen Nordsee an Vaters Hand.
Es ist nie was geworden mit mir und dem Surfen obwohl ich es noch mehrmals versucht habe. Ich geh zum Schwimmen ins öffentliche Schwimmbad, zum Rumspielen, abkühlen und boogieboarden ins Meer. Die kleinen Boogie Boards sind perfekt für mich. Im Geschwindigkeitsrausch düse ich in der Gischt zum Strand.
Ein Interview hat jetzt allerdings wieder Surf-Sehnsüchte geweckt – vielleicht sollte ich mich doch mehr anstrengen. Norman Ollestad saß mir gegenüber, erzählte aus dem Leben mit seinem Vater, der ihn permanent und vorsätzlich in Extremsituationen brachte beim Surfen und beim Skifahren. Schon als Baby musste Norman auf den Rücken des Vaters geschnallt mit aufs Surfbrett. Als Vierjähriger sauste er eisige Pisten in Sankt Anton hinunter. Als er elf Jahre alt war stürzte Norman in einem kleinen Flugzeug in den vereisten Bergen bei Los Angeles ab. Sein Vater starb bei dem Absturz. Norman musste allein von der Bergspitze runter ins Dorf kommen, in einem Schneesturm, bei Minustemperaturen, ohne Handschuhe und Mütze, in Stoffturnschuhen. Er hat es geschafft weil er Extremsituationen kannte. Während Norman sich an all das erinnerte, erzählte er auch von einem Erlebnis mit seinem Vater an der Küste von Mexiko – als er zum ersten Mal in einer Welle surfte, wie sich dieser Tunnel vor ihm öffnete, wie er gleichzeitig Frieden und eine ungeheuerliche Kraft fühlte in der Mitte von gezähmter Energie. Er beschrieb es so eindrücklich, dass ich plötzlich wieder surfen lernen wollte. Wieder zu Hause wurde mir schnell klar: ich bin zu verweichlicht, um durch all den “shit” zu gehen, der laut Norman notwendig ist, um diese wahren goldenen Momente zu erleben. Ich wollte doch unbedingt diese garndiose Beschreibung der Magie des Surfens in einer Welle zu Gehör bringen für alle die, die wissen wollen, wie sich das anfühlt und vielleicht gerade noch einen Schubs brauchen, es selbst zu versuchen:
Norman Ollestad erzählt von der transformierenden Kraft des Wellentunnels
Normans Erlebnisse werden übrigens derzeit von Sean Penn verfilmt.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Obwohl ich nun schon seit ein paar Jahren in Dænemark lebe (und wie man sieht derzeit auf einer lokalen Tastatur schreibe), bin ich erst dieses Jahr das erste Mal zum Roskilde Festival gefahren. Das Festival hat æhnlich viele Szenen wie es Tage dauert und uber 100 000 Besucher (davon tausende von Freiwillige). Mit dabei waren dies Jahr auch Rihanna (mit einer schwachen Performance) und Ingrid feat. Lykke Li (kaum besser). Erheblich mehr Kraft hingegen hatten EL-P und da sie auf einer kleineren Szene spielten war es ohnehin das groessere Erlebnis. Das Festival ruft schon wieder, deshalb ausser dem nuchternen Intro schnell ein Link zu meinem Artikel fur The Wall Street Journal’s Speakeasy.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Es ist Montagmorgen. Ich krame in meinem elektronischen Briefkasten nach der Tageszeitung. Den Courrier habe ich abonniert, weil er das Versprechen “l’essentiel autrement” – das Wesentliche anders erzählt – jeden Tag aufs Neue einlöst. In Genf, der drittteuersten Stadt der Welt, berichtet nur der Courrier etwa von der wachsenden Bewegung des “Freeganisme” – von denjenigen also, die aus wirtschaftlichen wie aus ideologischen Gründen in den Müllcontainern der Supermärkte das ‘ernten’, was die Konsumgesellschaft weggeschmissen hat. Von den Rentnern, die ihre Geburtsstadt wegen der hohen Mieten verlassen müssen. Und vom Irrsinn der Pläne, einen guten Teil der Genfer Altstadt abzureißen, um den Bahnhof zu erweitern. Allerdings sind solche Nachrichten nicht einmal 8.000 Genfern (und Westschweizern generell) 2,70 Franken am Tag wert.
Immer wieder wird orakelt, dass der Courrier nicht mehr lange zu leben hat. Und an diesem Montagmorgen scheint es so weit zu sein: kein Courrier. Ich checke bei Google, ob im Waadtland (ein Teil der Redaktion sitzt in Lausanne) Feiertag ist – in der Schweiz wie beinahe alles kantonal geregelt. Fehlanzeige. Gedankenverloren schaue ich auf die Ausgabe vom vergangenen Samstag. Und sehe auf einmal diesen kleinen Hinweis auf der Titelseite:
Wie jeden Sommer seit 2001, heißt es da, erscheint der Courrier bis Ende August am Montag nicht. Als Sparmaßnahme. Ein paar Hefte vorher war auf einer Seite die Bilanz des abgelaufenen Geschäftsjahres abgedruckt: 106.801 Franken Miese. Für 2013 ist schon in der Planung ein Defizit von fast 11.000 Franken prognostiziert. Doch anders als die Zeitungen der großen Medienholdings, die in der Schweiz den Markt weitgehend unter sich aufgeteilt haben, spart der Courrier nicht an den Autorengehältern. Es gibt keine Entlassungswelle, und Freie werden so bezahlt wie früher auch schon – nicht üppig, aber immerhin. Stattdessen ist meine Genfer Lieblingszeitung zwei Monate lang montags geschlossen.
Während die Kaffeemühle surrt und der zweite Kaffee des Tages in die Tasse läuft, denke ich: irgendwie ist das okay so. Lese ich heute halt ein Buch.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
In Tiflis im Taxi 1
Ein Taxi reiht sich ans andere.
Flugplatz.
Ein Schild: „Die Fahrt in die Stadt kostet 25 Lari.“
Kurze Kontrollfrage.
Bei ihm koste es 35. Das Schild sei nicht für ihn. Sein Auto sei besser, deshalb teurer.
Also alles wieder ausladen, es geht ja irgendwie auch ums Prinzip.
Der nächste Fahrer (gleicher Autotyp). Ja. 25 Lari.
Ich freue mich. Ein ehrlicher Taxifahrer! Ich werde ihm 5 Lari Trinkgeld geben.
15 Minuten später im Zentrum. Er sagt: 30 Lari. 25 koste es nur bis da vorn. Hierher sei etwas anderes.
In Tiflis im Taxi 2
Sonntag Morgen. 8 Uhr. „Die Fahrt zum Flugplatz kostet 25 Lari.“ Feststellung vor Fahrtantritt! Der Fahrer schweigt irgendwie apathisch.
Ich steige hinten ein.
Wir fahren.
Er ist unsympathisch.
Er fährt langsam. Ein bisschen.
Das ist sympathisch.
Wenn die Ampeln bald umspringen, bremst er ab. Anfahren etwas verzögert.
Die Straßen sind leer. Klar, Sonntag Morgen.
Aber ist das ein Tifliser Taxifahrer?
Er fährt über eine unwichtige rote Ampel. Ja, er ist ein Tifliser Taxifahrer.
Wir schweigen weiter.
Ab und zu schlingert das Auto ein wenig. Ganz normal bei Tifliser Taxifahrern.
Die Schnellstraße. Es geht geradeaus. 3 Spuren. Er fährt zwischen zweien. Ganz normal bei Tifliser Taxifahrern. Es ist ja Sonntag Morgen und nichts los. Dann fährt er in der Mitte. 60 Km/h, 50, 40…
Hier fahren die Autos 100, Taxis 120. Und es ist Sonntag Morgen.
Ich sehe in den Spiegel.
Seine Augen.
Sind zu.
Sie bleiben zu.
Hallo!
Die Augen sind auf.
Fallen zu.
Ich stoße ihn an.
Augen auf.
Fallen zu.
Ich stoße ihn an.
Augen halb auf, fallen zu. Ich stoße ihn an. Auf, zu. Soll ich fahren?
Keine Reaktion, offene Augen.
Der Abzweig zum Flugplatz.
Seine Augen sind weit offen. Er pfeift was.
Ich schaue in den Spiegel, permanent. Beobachte seine Augen. Es kann nicht mehr weit sein.
Warum sitze ich hinten, vorn hätte ich mehr Einfluss.
Endlich, der Flugplatz.
Er gibt kein Wechselgeld. Bei ihm kostet die Fahrt in die Stadt 30 Lari.
In Tiflis im Taxi 3
Wieder Flugplatz. Ankunft. Die Schilder sind weg: „Die Fahrt in die Stadt kostet 25 Lari.“
Wo wollen Sie hin?
Ins Zentrum.
Wo dort?
Das ist die falsche Frage. Was kostet es?
Wieder: Wo dort?
Nein, das ist die falsche Frage. Die Frage ist: Was kostet die Fahrt mit Ihnen in die Stadt?
Wo wollen Sie hin?
Das ist die falsche Frage: Was kostet es?
Gewonnen: „Die Fahrt in die Stadt kostet 25 Lari.“
Dafür fährt er 140.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Für einen Augenblick wird mir flau, als ich mich dem Gebäude des griechischen Staatsrundfunks, ERT, nähere. Vor dem Haupteingang steigt eine dicke Rauchsäule auf. Von Krawallen hatte ich nichts gehört, ich hatte auch keine erwartet. Es dauert etwas, bis ich mehr sehen kann – der Verkehr auf der Mesogeion-Straße geht schon seit Stunden nur noch stockend voran. Dann Erleichterung: Die griechische Welt ist noch in Ordnung. In Windeseile sind nicht nur Tausende Bürger zum Funkhaus geströmt, sondern auch die obligatorischen Souvlaki-Bratbudenbesitzer. Keine Demonstration in Griechenland ohne Souvlaki. Trotz des Schreckens, der in die Menschen gefahren ist, als ihre Bildschirme plötzlich schwarz wurden, geht es auf dem Gelände der ERT zu wie bei einem Festival. Nicht einmal die Junta habe die ERT abgeschaltet, das sei in ihrer 75-jährigen Geschichte nur einmal vorgekommen, nämlich als die Nazis in Athen einmarschiert sind, schimpft ein Demonstrant. Und die Misswirtschaft bei der ERT, die es doch zweifelsohne gegeben hat? Das bringt die Demonstranten erst recht zum Rasen. Die gleichen Politiker, die nun das Fanal der Transparenz hochhalten, seien doch die, die jahrzehntelang ihnen gewogene „Berater“ bei der ERT eingestellt haben. Berater, die am Ende des Monats, dicke Gehaltsschecks bezogen. Politische Günstlinge gebe es hier außerdem in allen Betrieben der öffentlichen Hand, sagt ein anderer. Wolle man nun auch die Strombehörde, die Krankenhäuser etc. schließen? Und so reihen die Menschen, die sich hier eingefunden haben, die Schließung des Staatsrundfunks ein in eine Serie von Angriffen auf alles, was staatlich oder öffentlich ist. Auf dem Podium wechseln sich Sprecher und Musiker ab, ein großer Bildschirm überträgt das Fernsehprogramm, das drinnen produziertg und nunmehr über Internet verbreitet wird. Es ist absurd: das griechische Staatsfernsehen ist als Piratensender on air. Noch absurder ist das, was manche Demonstranten sagen: „Endlich hat auch Griechenland einen öffentlichen Rundfunk“, denn allen ist klar, dass die ERT, deren Direktoren von der jeweiligen Regierung eingesetzt wurden, nur bedingt unabhängig sein konnte. Dennoch wurde hier auch ausgezeichnetes Programm gemacht, informative Hintergrundsendungen mit herausragenden Gesprächspartnern, gesellschaftspolitische Analysen und engagierte Dokumentationen. In den vergangenen Jahren konnte man außerdem beobachten, wie sich die Journalisten zunehmend von der politischen Führung emanzipierten. Trotz aller Mängel war die ERT ein Lichtblick in der griechischen Medienlandschaft. Das wird diese Tage von der Bevölkerung honoriert. Auf der Rückfahrt zappen wir uns durch die Radioprogramme, eine Sendung ist nervtötender als die andere. Schalt die ERT ein, sage ich zu meinem Beifahrer in einem alten Reflex.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Letztere fielen einigen Menschen aus dem Mund, als sie morgens die Zeitung aufschlugen und sahen, was Al Nisbet diesmal verbrochen hat. Nisbet ist Karikaturist der ‚Press‘ in Christchurch und schaut „dem Volk aufs Maul“. Hübsch ist das selten. Manchmal ähnelt es eher einer Darmspiegelung.
Was war passiert? Die regierende National Partei hat mit viel Lärm ein Programm namens „Kick Start“ gekickstartet, das in einkommensschwachen Gegenden ein kostenloses Schulfrühstück serviert. Schlappe zwei Millionen Dollar für Milch und Weetbix wandern in die Münder der armen Kleinen, und nebenbei gibt’s wunderbare PR für den umstrittenen Milchmogul Fonterra, der unsere Flüsse vergüllt – voll sozial für einen Premierminister, der da, wo andere Hirn und Herz haben, Firmenlogos sitzen hat.
Bei den Kinder, die nicht richtig lernen, weil sie hungrig in die Schule kommen, herrschen oft auch desolate Zustände zuhause: Eltern im Knast, auf Drogen oder Stütze. Und diese wiederrum sind überproportional häufig Maori und Samoaner. Ob man die mit Weizenpampe vor den Spätfolgen der Kolonialisierung rettet oder sie und ihre Brut mit so viel Wohltätigkeit erst recht in die Gosse treibt, war das Tagesthema zwischen Links und Rechts. Womit wir wieder bei Al Nisbet sind.
Der signiert seine Werke so, dass das „S“ in seinem Namen wie das der „SS“-Runen anmutet – was natürlich reiner Zufall ist. Genauso, wie es Zufall ist, dass die dicken, dunkelhaarigen Figuren mit runden Augen und breiten Nasen, die letzte Woche aus Nisbets Stift flossen, aufgrund ihrer Physiognomie für Polynesier oder Maori gehalten werden könnten. In der umstrittenen Karikatur wandern diese asozialen Prototypen – Fluppe, nackter Hängebauch, Tattoos – Richtung Schule, mit einem Ranzen auf dem Rücken und einem Schälchen in der Hand. „Psst – wenn wir damit durchkommen, haben wir mehr Kohle für Alkohol, Kippen und Spielautomaten!“ raunen sich die Essenerschleicher in der Sprechblase zu.
Am nächsten Tag legte Nisbet in einer anderen Zeitung nach: Eine ähnlich derbe Truppe sitzt rülpsend und rauchend um einen Tisch voller Tippscheine, Aschenbecher und Bierdosen und lobt das kostenlose Staatsfrühstück: „Es lindert unsere Armut und ernährt die Kinder!“ Da half auch nicht mehr, dass in diesem Unterschicht-Idyll ein paar der fetten Gören mit helleren Haaren ausgestattet waren. Das waren die Alibi-Weißen. Die Botschaft war klar und der Aufschrei der Leser entsprechend. Sich über soziales Elend zu mokieren ist keine Ironie, und Maori zu verspotten ein Tabu. Der Chefredakteur musste sich rechtfertigen. Bei der Menschenrechtskommission gingen Rassismus-Beschwerden ein. Doch niemand denkt bei all dem Streit an die wahren Opfer von „Kick Start“: laktoseintolerante Kinder mit Glutenallergie.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Ich gebe es zu: auch ich habe ein Schweizer Bankkonto. Seine Nummer ist neunstellig, das Guthaben leider nicht. Auch deshalb habe ich mein Konto nicht bei einer der zahlreichen renommierten Schweizer Privatbanken wie Vontobel, Pictet oder Julius Bär eröffnet, sondern bei der Raiffeisen-Bank Genf-West. Das Verfahren, um ein Konto zu eröffnen, war bislang hie wie dort aber gleich: bei der Kontoeröffnung wird nach dem Personalausweis gefragt. Dass ich Steuern zahle, war meiner Bank egal.
Heute wäre das wohl anders. Denn inzwischen häufen sich Berichte darüber, dass Ausländer ihrer Schweizer Bank nachweisen müssen, dass das auf ihrem Konto befindliche Geld versteuert ist: “Weißgeldbeweis” nennt sich das. Während eine Mehrheit im Schweizer Parlament bis heute für das Schweizer Bankgeheimnis streitet, als wäre es Teil des älplerischen Gründungsmythos, führen viele Banken den so umstrittenen automatischen Informationsaustausch einfach selber ein. Selbst alten Kunden würden im Fall fehlender Kooperationsbereitschaft die Konten gekündigt, lässt die Großbank Credit Suisse verlauten. Die Steuererklärung allein genügt nicht – Kunden auch bei anderen Banken, vor allem solche mit großen Vermögen, müssen einem Informationsaustausch zustimmen. Die Angst ist groß, auf der nächsten Steuer-CD zu erscheinen.
Handfeste Folgen hat das für einen amerikanischen Bekannten, der seit ein paar Monaten in der Schweiz lebt. Dass sein Konto durchleuchtet wird, kann ihm nicht passieren – er bekommt nämlich erst gar keines. Als Amerikaner sei man unerwünscht, gaben ihm Angestellte gleich mehrerer Banken zu verstehen – denn die US-Steuerbehörde verhängt pauschale Strafsteuern für Banken, die sie nicht umfassend mit Daten versorgen. Um diese Strafen zu umgehen, verzichten viele Banken lieber ganz auf die Kunden aus Amerika – und immer mehr Amerikaner auf ihren Pass: mehrere hundert Amerikaner, die auch den Schweizer Pass besitzen, sollen im vergangenen Jahr auf die US-Staatsbürgerschaft verzichtet haben.
Meinem verzweifelten Bekannten bleibt jetzt noch die Schweizer Post – die einzige Bank, die jedem ein Konto gewährt, zuletzt etwa auch Wikileaks-Gründer Julian Assange. Dessen Guthaben ist allerdings seit einiger Zeit gesperrt. Wegen angeblicher Formfehler hatte der Finanzdienstleiter der Post persönlich Assanges Konto eingefroren. Ein bisschen Risiko bleibt also bei jeder Bank.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Der Weinhändler läuft zum Regal und zieht eine Flasche Côtes du Rhône heraus. „Hop“, sagt er und fragt, ob es noch etwas sein dürfte. Selbst der Kaminkehrer sagt hop, als er die Quittung aus dem Block reißt. Und dem Schüler in der Klasse entfährt ein hop, wenn er für die Lehrerin den DVD-Player anwirft. Im französischen Alltag hopt es ständig. Frankreich erlebt in der mündlichen Sprache eine Art Hopismus.
Warum hop? Das h bleibt bei der Aussprache natürlich mal wieder stumm, so dass sich das wie „op“ anhört. Gerne haucht man auch nach hinten raus: “opahh”.
Das hop gibt es auch ganz offiziell. Air France gab seiner neuen Tochtergesellschaft den Namen „Hop!“. Der Slogan der regionalen Billigflug-Linie: “Von einer Region zur anderen hüpfen.” In Straßburg werden die Leihräder der Stadt „Vélhop“ genannt („Et hop – un vélhop!“) Ließen sich die Franzosen vielleicht beeinflussen von dem Film „Hop – Osterhase oder Superstar?“, ein US-Zeichentrickfilm über einen hoppelnden Hasen? Hop kommt in der Netzwerktechnologie vor – so nennt man in Rechnernetzen den Weg von einem Netzknoten zum nächsten. All das bringt uns aber nicht wirklich weiter.
Hop, her mit dem Hörer und ein Anruf beim Linguisten Alain Lemarechal von der Universität Paris IV. Bonjour Monsieur Lemarechal, comment-hopez, äh allez vous? Herr Lemarechal sagt, dass das Hopen die Franzosen erst in den vergangenen drei bis vier Jahren so richtig erfasst habe. Natürlich gibt es hop schon länger, wenn Eltern etwa den Kindern einen Befehl geben, schneller zu machen (“Hop, au lit!”). Aber dieses hop zu sich selbst während einer Aktion, das vermehre sich. Er fragt sich, ob dieses Wörtchen vielleicht bei der Berufsausbildung einfach oft benutzt wird? Jedenfalls betone man damit gerne Schnelligkeit beim Bedienen. Eine kleine, lautmalerische Interjektion, in der steckt: Nichts einfacher als das, das machen wir – da haben wir es schon. Ein Gefühl von Leichtigkeit. Hepp würde es rechtsrheinisch heißen.
Wenn es also im Geschäft hopt, ist Kundenfreundlichkeit und Zackigkeit mitten unter uns. Denn dann hoppelt der Franzose gerne für jemanden. Vive le hopisme.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Tourist sein kann jeder. Aber um sich Backpacker zu nennen, muss man Initiationsriten durchstehen. Nein, nicht Bungeespringen und Kampftrinken. Sondern kostenlose Härtetests, die Insiderkenntnisse und Weltläufigkeit beweisen. Früher waren das: Vollmondparty auf Ko Pha Ngan, überfallen werden in New York, Amöbenruhr in Indien. Heute ist es eine Nacht am Flughafen von Christchurch. Die schlägt alles an Tortur und globalem Wir-Gefühl. Damit kommt man sogar in die Schlagzeilen.
Christchurch ist die größte Stadt der Südinsel Neuseelands und hat einen schick umgebauten Terminal, wo man gutes Sushi bekommt. Ein internationaler Umsteigeplatz ist der Flughafen jedoch nicht. Dagegen aber ein internationaler Einschlafplatz. Unter den Travellern hat sich herumgesprochen, wie gut man dort auf dem Boden und den Bänken ruht – und sich damit das Geld für ein teures Hotel in der Nähe spart.
Reihenweise rollten sich junge Reisende im Ankunftsbereich in ihre Schlafsäcke, in den Toilettenräumen wurde sogar auf Campingkochern gekocht. Bis zu 200 betuchte Obdachlose pro Nacht: wunderbare Globetrotterwelt, warm und mit WiFi! Doch damit hatte es vorletzte Woche ein jähes Ende. In einer unbarmherzigen Nacht- und Nebelaktion beschloss die Flughafenverwaltung, die Campierer vor die Tür zu setzen, da zwischen Mitternacht und Morgengrauen keine Flüge mehr starten.
Übernächtigte Rucksackreisende, die für die Stunden bis zum nächsten Flug nicht eigens in ein Hostel in der Stadt fahren wollten, lernten gleich zur Ankunft den schönsten Arsch der Welt von seiner unschönen Seite kennen. Das Flughafenpersonal warf sie bei Minustemperaturen hinaus in die kalte Nacht. Auch aus der Raucherecke im Freien wurden sie vertrieben. Die Flughafen-Penner saßen ihre Nacht frierend in Bushaltestellen und auf Grünstreifen ab.
Eine mitleiderregende Odyssee hatten vier Deutsche hinter sich, die mit dem letzten Flug am Abend gelandet waren und früh morgens um acht als erstes ihr Wohnmobil abholen wollten. Erst verkrochen sie sich unter die Treppe des Parkhauses, wurden aber auch dort aufgestöbert. Dann wanderten sie schlaftrunken zum nächsten McDonalds . Da wollte man sie am Drive-Through-Schalter nicht bedienen, weil sie kein Auto hatten.
Als das gesittete Christchurch die Bilder der herumirrenden Karawane in der Tageszeitung sah, war es geschockt. Nichts trifft einen Kiwi schlimmer, als wenn man ihn für nicht gastfreundlich hält. Der erste Eindruck von Aotearoa – ein Fußtritt in die Kälte? Die Empörung war groß. Die Stadt fürchtet, noch mehr Touristen zu verlieren, wenn sich diese Art der Begrüßung herumspricht.
„Wir sind keine Herberge“, verteidigte sich Flughafen-Chef Jim Boult und behauptet, manche Rucksackreisende würden ihren Zwischenstopp dreist auf mehrere Tage ausdehnen. Damit hat es jetzt ein Ende. Wer landet, darf zwar auch nachts im Terminal bleiben – aber nur mit einem Abflugticket für den nächsten Morgen. Insider-Tipp: McDonalds gilt es weiterhin zu meiden.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Tourismuswerbung will vor allem die schönen Seiten des Lebens zeigen, logisch. Reportagejournalismus zeigt zuweilen auch andere: Nachdenkliche oder gar unattraktive Aspekte. Das müsste sich eigentlich auch bis Sydney rumgesprochen haben. Doch dort überlappen sich im Moment so viele Events, dass die Touristiker von Destination NSW offenbar den Überblick verloren. Lieblingsevent der Stadtwerber ist derzeit Vivid, das Festival der Lichtspektakel. Und in das bezogen sie diesmal ein hochkarätiges Fototreffen ein, das Reportage Photography Festival. Nur irgendwie übersah dabei jemand, dass die Arbeit von Fotografen namhafter Agenturen wie Magnum, Noor und Contact nicht ausschließlich hübsch ausgeleuchtete Lichtbilder von glücklichen Momenten darstellt. Manchmal lichten sie auch Überschwemmungen ab, oder weinende Frauen in Ägypten. Oh, hm nö, das wollen wir aber lieber nicht so gerne, fanden die Stadtbeleuchter, und noch ehe die Bilder Samstag auf die Open Air Leinwand geworfen wurden, waren sie auch schon zensiert. “Too distressing” – zu bedrückend. Nur 14 der ursprünglich 37 Bilder durften bleiben.
Unter den angeblich nicht familien-freundlichen Exponaten waren auch legendäre Bilder wie David Burnett’s Iranfotos von 1970 oder Andrew Quiltys Aufnahmen von Landschaften nach Waldbränden. Die Fotofestival-Organisatoren finden die Entscheidung peinlich, der Sydney Morning Herald schuf eine Online-Galerie “Reportage uncensored”, der Rest wundert sich: Womit hatten die Tourismuswerber wohl gerechnet, als sie eine Schau mit Arbeiten von Reportage- und Kriegsfotografen sponserten? Vielleicht sollten sie nächstes Mal gleich auch das Thema vorgeben, etwa “Stimmungsvolle Naturbilder”. Dann aber nur von Flora und Fauna, die noch nicht bedroht ist, das könnte ja sonst auch wieder bedrücken.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
„Bereiten Sie Ihr Haus für die Wirbelsturmsaison 2013 vor“, lautet die Überschrift über der Pressemitteilung. Darunter steht der Hinweis auf eine „National Hurricane Preparedness Week“ vom 26. Mai bis 1. Juni. So etwas liest man als Journalist, zumal nach dem Tornado in Oklahoma am vorvergangenen Wochenende, der 24 Menschen tötete und mehr als 12 000 Häuser zerstörte.
Es fängt ganz interessant an. Eine Metereologin namens Jill Hasling vom Weather Research Center in Houstin (Texas) prognostiziert für dieses Jahr eine 70prozentige Chance für einen großen tropischen Sturm an der Küste zwischen Lousiana und Alabama. In der Region von Georgia und North Carolina beträgt die Wahrscheinlichkeit immerhin noch 60 Prozent. „Unser Rat an Hausbesitzer ist, sich während der National Hurricane Preparedness Week Zeit zu nehmen um ihr Haus sturmfest zu machen“, ist Frau Halsing zitiert.
Wie das geschehen kann, darüber informiert anschließend Mark Clement, Moderator einer Radiosendung mit dem denkwürdigen Titel „MyFixitUpLife“. Ich lese, dass es sich bei Herrn Clement um einen professionellen Handwerker handelt. Und zwar um einen mit ausgeprägten Produktvorlieben, wie sofort klar wird. In den nächsten zehn Absätzen der Pressemitteilung preist er das Kunststoffschieferdach Da Vinci Roofscapes, das er für sein eigenes Haus verwendet habe, Fensterglas der Firma Simonton („extrem energieeffizient“) und Eingangstüren von Therma-Tru („ein hervorragender Schutz“). Spätestens jetzt ist klar: Die fürsorglich warnende Pressemitteilung ist in Wirklichkeit eine Gemeinschaftswerbung, geschickt zusammengerührt von einer PR-Dame namens Kathy Ziprik. Ein Foto hat sie auch beigefügt, es sieht so aus:
Ob das Wetterinstitut, der Handwerker-Moderator oder eine der Firmen es zur Verfügung gestellt haben, bleibt unklar.
Es interessiert mich, ob es Medien gibt, die auf diesen dreisten PR-Trick hereingefallen sind, und ich google ein paar Schlüsselbegriffe aus dem Presseinfo. Beruhigenderweise wird nur ein Blog der Fensterfirma Simonton ausgeworfen, die an dem Projekt selbst beteiligt ist. Scheint so, als hielte sich der Nutzen für die Werbepartner in Grenzen. Frau Ziprik freilich wird sich ihre Dienstleistung mit einem schönen Honorar vergütet haben lassen.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Es war Ende April und schlimmer konnte man es sich nicht vorstellen: keine italienische Mannschaft im Halbfinale der Champions-League, und dazu auch noch zwei deutsche! Nicht nur, dass damit die Euro-Krisen-Oberlehrer nun auch noch als Fußball-Oberlehrer herumstrebten; vor allem hatte man an vier Spielen mit Wortmonstern wie “Vaidenfellere” und “Emullere” zu kämpfen. Ganz zu schweigen von Obermonster „Esvainstaigere“.
Und doch, es geht noch schlimmer. Die Steigerung erleben wir am heutigen Abend. 90 Minuten ein Spiel mit der maximal denkbaren Anzahl von deutschen Nachnamen auf dem Platz und drumherum! Ein Albtraum. Die Folge: Ich bekomme seit Tagen Anrufe von Sportjournalisten. Denn früher gab es die Radio- und Fernsehübertragung in der „RAI“ und später auf „SKY“. Heute gibt es unzählige Wettanbieter und Regionalradios, die vom Fernsehbild aus das Spiel kommentieren. Meistens kommen die Kollegen ohne Umschweife rasch zur Sache:”Come cazzo si pronuncia questi nomi?”, etwas geglättet übersetzt mit: „wie zum Teufel spricht man diese Namen aus?” „Allora“, „also“, sage ich dann und stelle mich auf eine gute halbe Stunde Deutschkurs ein, ich baue von Zeit zu Zeit Eselsbrücken: „Neuer“, spreche man aus wie „Noia“, „Langeweile“, sage ich dann. Die Eselsbrücke? Neuer sei im Vergleich zur Bestie Oliver Kahn vergleichsweise langweilig. Konstruiert? Wirksam! Beim Dortmunder „Weidenfeller“ muss das Lautbild „Vaidenfellere“ dagegen buchstabiert werden: „V“ wie „Venezia“, „A“ wie „Ancona“, „I“ wie „Imola“, „D“ wie „Domodossola“, „E“ wie Empoli, „N“ wie „Napoli“….und so weiter. Jedesmal eine kleine Italienreise. Ein kleiner Urlaub, allein durch die Wörter.
Doch die Kollegen denken nicht weit genug: Denn beim Champions-League-Finale geht es ja nur zum Teil um diesen silbernen Pokal. Es geht ja auch um das „sich präsentieren“: Jeder, der in den 90 Minuten des Finales zu sehen ist, und sei es der Vize-Masseur auf der Trainerbank, muss damit rechnen, vom Fleck weg von einem Groß-Club verpflichtet zu werden. Steht nach den „Legionären“ von Lothar Matthäus bis Thomas Doll jetzt die nächste Wanderung über die Alpen an? Um nicht zu weiterer Verunsicherung bei den geschätzten Radiokollegen zu sorgen, habe ich dieses Szenario bisher nicht erwähnt. Sollen sie erst einmal den Samstagabend ohne Zungenkollaps überleben! Die Fans sind da schon deutlich weiter. Auf einem Fan-Blog von „Lazio Rom“ findet sich der schöne Eintrag eines gewissen „Lucio“: „Thomas Hitzelsberger ist 2010 gegangen und ich weiß immer noch nicht, wie man ihn schreibt oder ausspricht. Wenn irgendwann einmal Schweinsteiger kommen sollte, buona notte, gute Nacht.“
Um den Kollegen ein positives Gefühl zu geben, nenne ich zum Schluß immer den Namen des bayerischen Abwehrspielers „Dante“. Auf die Wirkung ist stets Verlass: „Dante Alghieri! Göttliche Komödie!“, kommt dann sofort und ein Kollege aus Palermo fing sogar an, einen Vers aufzusagen: “Nel mezzo del cammin di nostra vita…“ Und schon ist man als Italiener wieder obenauf. Weltgeschichtlich bleibt auf lange Sicht von Italien einfach die Kultur. Von den Deutschen nur die Wortmonster.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
„Pussy Riot“ haben wir auch. Ganz ohne Putin und bunte Hauben, dafür mit Hinrichtungen und echten Katzen. Gegen die laufen seit Wochen Pogrome der übelsten Art. Eine Mordwelle hat im Norden des Landes begonnen und breitet sich aus, es kommt zu Ausschreitungen und Übergriffen. Wir stehen knapp vor der Zwangseuthanasie der kleinen Lieblinge. Wo bleibt der internationale Aufschrei? Miau!
Der Mann hinter dem Felinozid ist Gareth Morgan – Haustier-Hitler für die einen, mutiger Naturschützer für die anderen. Er ist einer der erfolgreichsten Geschäftsmänner, Finanzmanager und Philantrophen Neuseelands, baute Schulen auf den Solomon-Inseln, unterstützt Umweltprojekte in der Antarktis und half dem Pinguin ‚Happy Feet‘ wieder auf die Flossen. Anfang des Jahres startete er seine neueste Kampagne „Cats to go“, und seitdem wird er mindestens so gehasst wie verehrt. Denn Morgan fordert: Neuseeland muss katzenfrei werden. Ein ethisches Dilemma.
Jeder zweite Haushalt in Aotearoa hat eine Katze. Insgesamt sind es 1,4 Millionen, was uns im Pro-Kopf-Durchschnitt angeblich zum Land mit den meisten Miezen macht. Ganz schön schnurrig, wenn da nicht all die einheimischen Vögel wären. Oder waren. 40 Prozent von ihnen sind bereits ausgestorben, neun Sorten insgesamt. Der Rest ist bedroht, und wer ist schuld daran? Vor allem streunende Katzen, so Gareth Morgan. Eine allein könne pro Woche an die hundert Vögel erlegen. „Das kleine flauschige Bündel, das Ihnen gehört, ist ein ‚natural born killer‘“, so Morgans Appell. Er plädiert dafür, sich keine Katze mehr anzuschaffen, wenn die alte ins Gras beißt. Auch Einschläferung im Dienste der guten Sache sei „eine Option“.
Da sträubt sich bei Frauchen oder Herrchen das Fell. Die Fronten zwischen Vogel- und Katzenfeinden haben sich in den letzten Monaten verhärtet. In Pahia, einer Kleinstadt in der Bay of Islands, kam es in den letzten Wochen zu hässlichen Szenen. Es geht vor allem um eine Kolonie heimatloser Katzen, die vom Tierschutzverein auf einem Grundstück der Stadt durchgefüttert werden. Die Miezenfreunde bezeichnen sich als „Soldaten“ im „Kampf um Pahia“. Ihr Feind: Die Naturschützer von „Bay Bush“. Letztes Jahr drückte eine 70jährige Katzenoma Carol Davis aus Kerikeri gegen die Wand drohte ihr: „Du bist in dieser Stadt unerwünscht!“ Davis ging zur Polizei.
Die Stadtverwaltung hat jetzt die Fütterung der wilden Katzen verboten. Doch auch die Vogelfreunde sind nicht zimperlich. Gruselfotos auf Facebook zeugen von ihren Massakern: Katzen, die in eigens dafür umgerüsteten Possum-Fallen zu Tode gekommen sind; eine baumelt am eigenen Kiefer. „Gut gemacht“, freut sich ein Betrachter in einem Kommentar darunter. „Ich frage mich, wie viele Baby-Kiwis diese bösartige Katze getötet hat.“ An welche Romanfigur fühlt man sich bei solchen Worten erinnert? Richtig, an den fanatischen Walter aus Jonathan Franzens Buch „Freiheit“. Der kämpft gegen Hauskatzen, um die aussterbende Grasmücke zu retten. Wir können auch Bestseller in echt.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Ginger Harold hat in den 70 er Jahren mit Freundinnen vor dem Rathaus Büstenhalter geschwenkt und für Gleichberechtigung demonstriert. Sie hat eine Tochter verloren, Erdbeben und eine schwere Krebserkrankung überlebt. Wenig kann sie noch beeindrucken – und bestimmt nicht die dicken weißen Ascheflocken, die vom Buschfeuer am Berg hinter ihrem Haus auf sie niederregnen oder das gespenstisch gelb-rote Leuchten der Flammen, das durch eine dicke graue Rauchwolke scheint. Die 74 Jahre alte Naturliebhaberin wird diesen Berg hinaufsteigen sobald Asche und Rauch, die ihn jetzt komplett verdecken verschwunden sind. Bestehende Evakuierungspläne hält sie für einen Witz, für völlig veraltet. Sollten die Flammen doch den Mini-Bunglow erreichen, in dem sie alleine wohnt oder Funken die ausgetrocknete Eiche erfassen, deren Äste über sein Dach hängen, wirft sie sich eine Plane über und springt in den Pool. Das ist ihr Plan. Gepackt hat Ginger nichts für den Ernstfall. “Ich wüsste nicht was ich packen sollte. Nichts ist wichtig und alles ist wichtig,” sagt sie, zuckt mit den Achseln, lacht und rückt die Atemmaske über Mund und Nase zurecht.
Ginger ist der Typ, den Feuerwehr und Polizei in Kalifornien fürchten und dem sie allzu oft begegnen: sture Senioren, die ihre Häuser trotz Evkuierungsaufforderungen nicht verlassen. Müssen sie gerettet werden, bringen sie andere in Gefahr und stehen möglicherweise vor der gewaltigen Aufgabe, ohne Hab und Gut ganz von vorne anfangen zu müssen. Eine Prognose, die Ginger nicht erschreckt. Sie ist sicher: die Flammen werden ihr Häuschen nicht erreichen. Warum? Oben auf den Hügeln wohnen die Superreichen auf riesigen Anwesen mit Pferdekoppeln und privaten Wanderwegen. “Sie rufen den Gouverneur an und schon bald werden hier so viele Wasserflugzeuge am Himmel sein, dass sie den Flugverkehr regeln müssen.” Sie lacht wieder. “Das ist wahr. Ich hab es schon oft erlebt. Und Gott sei Dank dafür!”
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Das Timeing ist nicht ganz optimal, aber wenn es um Alkohol geht, ist das vielleicht gar nicht so wichtig. Jedenfalls ist es gerade ein Woche her, dass das Kopenhagener Restaurant Noma von der Position 1 der vielzitierten Liste der besten Restaurants der Welt verschwunden (und auf Nummer 2 geworden) ist, da wird publik, dass das von Noma Chefkoch Rene Redzepi initiierte Nordic Food Lab Carlsberg helfen will, Bier zu brauen. Die Zutaten sollen aus der nordischen Natur stammen – Seetang zum Beispiel. Aber vielleicht sogar Bienenlarven? Immerhin hat das Nordic Food Lab mit diesen schon Granola hergestellt. Klingt nicht nach dem besten Bier der Welt, aber vielleicht wird es ja wie das Noma das zweitbeste. Nur um die Medienaufmerksamkeit hingegen geht es Carlsberg wohl nicht, dagegen spricht, dass das Bier nur in der Heimat lanciert wird und der Markt ist mit 5.5 Millionen Einwohnern doch arg klein.
Details zu Carlsberg und Nordic Food Lab habe ich hier bei The Wall Street Journal beschrieben.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Was war das schön, als Neuseeland die Homo-Ehe absegnete. Das gesamte Parlament erhob sich spontan und sang „Pokarekare Ana“, ein Liebeslied der Maori. Ob braun, weiß oder regenbogenfarben: Noch nie saßen so viele Kiwis gerührt vor dem Fernseher, ohne dass es um Rugby ging. Das Ständchen ging um die Welt und dürfte einer Dame im Norden so richtig den Pölser versalzen haben.
Marie Krarup ist Abgeordnete der Dänischen Volkspartei, Prädikat Ausländerfeindlichkeit. Die stramm nationalistisch gesinnte Politikerin war Teil einer Delegation des dänischen Verteidigungsausschusses. Auf der Marine-Basis in Auckland wurde die Truppe offiziell von staatlicher Seite begrüßt. Wie es sich für hohen Besuch gehört, fand der traditionelle Festakt namens ‚powhiri‘ im zur Marine gehörenden Versammlungshaus der Maori statt, dem Te Taua Moana Marae. (Für alle, die bisher nichts über Neuseeland wussten, so wie es vielleicht bei Marie Krarup der Fall war: Aotearoa, wie der Name schon sagt, ist ein zweisprachiges, bikulturelles Land. Es liegt nicht in Europa, sondern südöstlich von Australien. 15 Prozent der Bewohner sind indigener Abstammung und das Grundgesetz sieht vor, dass deren Kultur lebendig bleibt. Okay, weiter!)
Die Redner, Tänzer und Offiziere warfen sich ins Zeug, um den Nachfahren der Wikinger zu zeigen, was „Haere Mai“ heißt: Herzlich willkommen! Es wurde gesungen, gestampft und getanzt, dass es eine martialische Pracht war. Marie Krarup jedoch war anderes gewohnt, zum Beispiel zackige Paraden und Stechschritt. Ziemlich maorisch kam ihr die Begrüßung des Kriegervolkes vor. Anstatt daheim in Kopenhagen endlich einen Reiseführer zur Hand zu nehmen, um sich in Sitten und Gebräuche des Gastlandes einzulesen, schrieb sie sich lieber in der Zeitung „Berlingske Tidende“ ihre Eindrücke von der Seele. Getreu nach Karl Valentin („Fremd ist der Fremde nur in der Fremde“) war sie geschockt. Wie viel Exotik kann einer xenophoben Militaristin mit eurozentristischem Weltbild zugemutet werden?
„Grotesk“ fand sie den Erstkontakt mit den Fremdlingen. „Wir wurden nicht per Handschlag oder einem Salut von Uniformierten empfangen“, entrüstete sie sich. „Nein, wir wurden mit einem Tanz begrüßt, von einem halbnackten Mann im Grasrock, der auf Maori brüllte.“ Weitere „seltsame Rituale“ musste sie über sich ergehen lassen: Der Mann streckte die Zunge heraus. Wie „ein Idiot“ habe sie sich gefühlt, als einer dieser Barbaren ihr auch noch einen Nasenkuss aufdrücken wollte. Die Maori-Lieder, die die Marinetruppen zu Gitarrenklängen vortrugen, klangen für sie wie „Darbietungen im Kindergarten“.
Damit war der Kulturschock noch lange nicht vorüber. Krarup schaute sich kritisch prüfend im „Maori-Tempel“ um, wie sie den Marae bezeichnete, und erblickte Furchtbares: Holzschnitzereien von „Gottheiten mit wütenden Gesichtern und großen erigierten Penissen.“ Da hilft nur eins: Starkes Nisseöl (Elfenbier – für die, die Dänemark noch nicht so gut kennen).
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
„Ist es okay, wenn ich giesse?“ „Ja.“
Ich giesse.
„Was ist das für ein Akzent?“ – „Ich bin Deutscher.“
„Ah, ein deutscher Spion.“ – „Klar. Was sonst.“
95° Celsius.
„Ich bin ein deutscher Spion und Sie ein russischer“, sage ich.
Ironiefrei.
Er denkt.
Er sagt: „Das ist paradox. Ich ein russischer Spion in Russland.“
„In Russland ist nichts paradox.“
© thomas franke, nachmoskau.de
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
“Überfahren” – “Überrollt”- “Exekutiert” … von der sonst der spanischen Sportpresse eigenen Kreativität, wenn es um Schlagzeilen geht, war nach den haushohen Niederlagen des FC Barcelona in München und des Real Madrid in Dortmund kaum etwas übrig. Auch der Titel “Palizowski” – übersetzt so etwas wie “Prügelowski” – unter dem Bild des vierfachen Torschützen der Borussen wirkte mehr als gezwungen. Der Schock saß wohl einfach zu tief, um spät in der Nacht noch gute Aufmacher zu gestalten. Jahrelang daran gewöhnt, Europa im Clubfußball und zuletzt selbst mit der Nationalmannschaft zu beherrschen, kam das Debakel wie ein heftiger Schlag aus heiterem Himmel.
Krise, Kürzungen, Kanzlerin und jetzt auch noch das … die Depression war am Donnerstag in den Bars und Kneipen Madrids zu spüren. Nach Jahren der Siegermentalität war sie wieder da, die alte spanische Weisheit, nach der Fußball ein Spiel von elf gegen elf ist, und am Ende immer Deutschland gewinnt. “Merkel nimmt uns einfach alles weg”, lautete das Urteil an so manchem Tresen.
Waren es die kleinen Freuden der Europameisterschaft, die drakonische Sparmaßnahmen der Regierung des Konservativen Mariano Rajoy zumindest für ein paar Tage vergessen machten, scheinen die Spanier nach dem Debakel von Deutschland endgültig in der Krise und der Depression angekommen zu sein. Dass Europa auseinaderfällt und Spanien nicht einmal mehr im Fußball dazu gehört, wurde plötzlich traurige Realität. Dass im Radio seit Tagen von einem neuen Sparpaket und selbst von einer Anhebung des Rentenalter auf über 67 Jahre die Rede ist, verschärft die Diskussionen noch. “Und da erzählt Rajoy, im Bankenrettungspaket gebe es kein Kleingedrucktes”, lautete einer der Tausende von enttäuschten Nachrichten auf Twitter kurz nach dem Abpfiff.
Es ist von jeher eine Mischung aus Bewunderung, Neid und Ablehnung, wenn es um die Deutschen – die Quadratschädel – aus der Mitte Europas geht. Jetzt wo jährlich Zehntausende junge Menschen aus der Arbeitslosigkeit von 27 Prozent Richtung Deutschland fliehen, verschärft sich diese Hassliebe. Merkel-Hitler-Vergleiche werden wohlwollend kommentiert. Die deutschen Touristenmassen, die sich Wochenende für Wochenende dank Billigflieger und guter Konjunktur zu Huase durch Madrids Innstadt wälzen, werden längst wieder misstrauisch und mit Ablehnung beäugt, wie einst in den 1980er Jahren vor dem Boom, der Spanien wirtschaftlich “in die Champions League” brachte, wie das Rajoys Vorgänger der Sozialist José Luis Rodríguez Zapatero gerne ausdrückte. Es schmerzt einfach Kneipen zu sehen, in denen fast nur noch Besucher aus Nordeuropa sitzen.
Fußball war bis Anfang dieser Woche so etwas wie die Rache des kleinen Mannes. Das Bild wie Merkel völlig ungehemmt den Sieg gegen Griechenland feierte machte in Spanien die Runde. Der Titelgewinn der Roja war die ausgleichende Gerechtigkeit. Es war die Lektion der PIGS für die Berliner Lehrmeisterin, die in Karikaturen immer wieder als gestrenge Domina in Lederkluft und mit Peitsche dargestellt wird.
Die Deutsche Welle auf Spanisch verbreitete vergangenes Wochenende ein Zitat der Kanzlerin aus einem Interview. Sie schwärmte von einem rein deutschen Champions-League-Finale. Die Presse auf der Ibersischen Halbinsel griff dies auf. Doch da waren sich in Madrid noch die meisten sicher, dass vielleicht der FC Barcelona gegen die Bayern ausscheiden werde, aber Real gegen Dortmund … undenkbar. Jetzt ist dies fast schon Gewissheit, auch wenn die Sportzeitung AS mit dem Mut der Verzweifelten zur “Operation 3:0″ beim Rückspiel im Bernabéu trommelt.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Es war eine verheißungsvolle Aufschrift: „Gift of Music“, Musikgeschenk, stand auf dem Briefumschlag. Er kam vom Orchestra of St. Luke’s, einem New Yorker Klassikensemble. Ich kannte es, denn der beste Ehemann aller Zeiten hatte in der vergangenen Saison eine Konzertreihe von St. Luke’s gebucht. Offenbar wollten sich die Musiker für unsere Treue bedanken – und wie vornehm! Eine silbrige Klappkarte samt Pergamenteinlage lud zum Dinnerkonzert am 6. Mai im distinguierten Plaza Hotel ein. „Honorary Chairmen: Renée Fleming, Plácido Domingo“. Oha. Ich versuchte mich zu erinnern, was unsere Plätze gekostet hatten, dass wir so ein Dankeschön verdienten. Nun, warum nicht… ich sah mich im Zwiegespräch mit den Opernstars, die Vor- und Nachteile der Met erörternd… Dann entdeckte ich die Zahl. Ich machte die Augen zu und machte sie wieder auf. Die Zahl stand immer noch da: $75,000.
Wie hatte ich nur annehmen können, dass uns in New York jemand etwas schenken würde? Natürlich sollten wir etwas geben, zu Gunsten des Orchesters, das vor zwei Jahren eine eigene Spielstätte in Manhattan bezogen hat. Es handelte sich um einen klassischen Fundraiser: Damit das Spenden leichter fällt, ist es mit einer Gegenleistung verbunden, in diesem Fall ein Konzert in prominenter Gesellschaft. So etwas ist in den USA gang und gäbe und nicht nur eine sympathische, sondern auch eine notwendige Sitte, weil sich der Staat wenig an der Finanzierung von Kultur beteiligt. Die Großzügigkeit, mit der Amerikaner spenden, ist ziemlich ansteckend.
Ein „Chairman’s Challenge Table“ für 75 000 Dollar übersteigt überraschenderweise das Budget deutscher Journalisten, aber im Laufe der Jahre haben wir uns zu allerlei Mitgliedschaften und Dauerspenden verpflichtet. Unter anderem sind wir Freunde der Carnegie Hall, des Prospect Parks und des Brooklyn Botanical Gardens. Wir unterstützen den Klassikradiosender WQXR und das Museum of Modern Art, stiften Konserven für die Obdachlosenhilfe CHIPS und nehmen an der jährlichen „Thanks for Sharing“-Aktion von Macy’s teil. Vergangene Woche sind wir spontan dem Cinema Club des BAM beigetreten, einer unabhängigen Kultureinrichtung. Es war eine einmalige Gelegenheit, denn im Rahmen einer Sonderaktion wurden 13 Dollar, der Preis einer Kinokarte, von den 130 Dollar Jahresgebühr abgezogen. Wir haben also richtig gespart.
Gute Taten werden belohnt. Das Klassikradio sandte uns ein Poster, das zu „Beethoven Awareness“ aufruft. Der Prospect Park lädt zum Fledermausgucken ein und die Carnegie Hall zu einer kostenlosen Führung. Und man kriegt Restkarten zum Sonderpreis, was einen dazu verleitet, noch mehr Konzerte zu besuchen und sich der Institution noch stärker verbunden zu fühlen, so dass man vielleicht vom Friend (100 Dollar im Jahr) zum Fellow (150 Dollar) aufsteigen möchte oder sogar zum Associate (300) oder Sustainer (900).
In dieser Woche kam Post vom Orchestra Underground. Es vertont Komponisten der Gegenwart und feiert im Mai sein zehnjähriges Bestehen – natürlich mit einem Fundraiser. Die Veranstaltung war ordentlich als „Spring Benefit“ gekennzeichnet, Missverständnisse konnten nicht aufkommen. Das war mir sympathisch. Und ich dachte, dass es die Musiker mit den schrägen Stücken, die sie spielen, wahrscheinlich ziemlich schwer haben. Mitleidig fischte ich die Antwortkarte heraus. Ich studierte die Alternativen: „Leader Table at $10,000“, „Table at $5000“, „Tickets at $500“. Wie schön, dass zeitgenössische Tonkunst so potente Verehrer hat. Auf mich müssen die Musikanten diesmal verzichten.
Fotos (2): Richard Ten Dyke; Orchestra of St Luke’s
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Ich verstehe ja, dass sich Los Angeles auf den ersten Blick schwer verstehen lässt. Als ich das erste Mal am Flughafen ankam erschien mir auch alles chaotisch und abgesehen von Palmen am Wegesrand wenig attraktiv.
Inzwischen hat sich das natürlich geändert – und das nicht nur weil das Wetter deutlich besser ist als in Berlin. Los Angeles ist ein großartiges Feld zum Austoben aller Abenteuerlust auf Geschichten und Begegnungen, das jedes Reporterinnenherz höher schlagen lässt.
Vor wenigen Tagen traf ich bei einer meiner Entdeckungsreisen auf unerwartet enthusiastische Unterstützung für meine Liebe zur Metropole am Pazifik: Professor Thomas Gaehtgens, Direktor des Getty Forschungsinstituts erklärt einfach, anschaulich und bodenständig was Europäer so sagen wenn sie zum ersten Mal herkommen und was sie verpassen, wenn sie nicht genauer hinschauen.
Ein Ausschnitt aus meinem Interview zur neuen Kunstinitiative des Getty: Pacific Standard Time Presents gibt es hier: Modern Architecture in Los Angeles
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Wenn die Krise in Spanien eines lehrt, dann: Nichts bleibt, wie es war. Das gilt nicht nur für Sozialleistungen, Löhne, Schulbildung und Gesundheitssystem. Das gilt auch für die Fernsehgewohnheiten der Spanier.
Vorbei sind die Zeiten, als die ganze Woche über – neben der Liga versteht sich – die letzte Ausgabe des Programms Salsa Rosa – Rosa Soße – die Gespräche am Arbeitsplatz und an der Theke bestimmten. Die Sendung, in der Stars und Sternchen, sowie allerlei von Berlusconis spanischem Telecinco selbstkreierte TV-Monster ihre Streitigkeiten, ihre Anschuldigungen und ihre peinlichsten Seiten zum Besten gaben, musste El Gran Debate – Der Großen Debatte – weichen. Plötzlich hat Spanien neue Themen und neue Stars, am Arbeitsplatz am Tresen und in den sozialen Netzwerken.
Es sind Menschen wie der Kellner Alberto, der beherzt Demonstranten in Schutz nahm, als diese vor einem völlig überzogenen Polizeieinsatz Zuflucht in seiner Kneipe suchten. Er kam zusammen mit einem Rentner zu Wort, dem die Polizei einen Arm brach, als er an eben jenem Tag verhaftet wurde. Es ist der ehemalige Vorsitzender der Vereinigten Linken, der ganz offen gegen die Monarchie und für eine Dritte Republik eintritt. Oder es sind Menschen wie Ada Colau, die Aktivistin der Vereinigung der Zwangsräumungen betroffenen Kreditschuldner. “Banker sind Kriminelle”, gibt sie zum Besten und fast ganz Spanien stimmt zu und kommentierte dies die ganze Woche über.
Auch Liveschaltungen zu den großen Demonstrationen, die oft zeitgleich zum Programm die Straßen Madrids und vieler Provinzhauptstädte füllen, dürfen nicht fehlen. Selbst in den allmorgendlichen Hausfrauenprogrammen hat es sich ausgetratscht. Als der Gerichtshof der Europäischen Union kürzlich die Praxis der Zwangsräumungen von Wohnungen teilweise für unrechtmäßig erklärte, feierten die Aktivisten den Richterspruch live im Studio.
Immer öfter geht es um Korruption oder werden Krisenopfer zur Talkshow geladen. Besonders tragische Fälle werden in Kurzreportagen vorgestellt. Und wenn es um eines der Lieblingsthemen der Morgenprogramme, um das spanische Königshaus, geht, sind es keine Promo-Reportagen mehr. Die Rede ist dann von Jagdunfällen des Monarchen, von seinen Liebschaften und Geschäften , sowie um die Machenschaften seines Schwiegersohnes, gegen den ermittelt wird.
Die Realität hat das was in Spanien Telebasura – Müllfernsehen – hieß, abgelöst, ohne dass die Einschaltquoten darunter leiden würden. Bei 6 Millionen Arbeitslosen und rund 400.000 zwangsgeräumten Wohnungen ist die Krise in einem Land, wo die Glotze ständig läuft, im Herzen der Gesellschaft – und damit des Fernsehpublikums – angekommen.
Eine internationale koffeinhaltige Brause und die Tratschpostille Pronto gehen gar noch einen Schritt weiter. Sie nutzen die Empörung der Bevölkerung für ihre Marketingkampagnen. Der Getränkehersteller installierte an öffentlichen Plätzen verblüffend echt aussehende Geldautomaten, die auf Knopfdruck 100-Euro-Scheine verschenkten, nachdem der Empfänger bestätigt, das Geld für not leidende Nachbarn einzusetzen. Die so Bedachten wurden dann gefilmt, wie sie Windeln, Lebensmittel oder Spielsachen an arbeitslose Nachbarn verschenken. Und die Zeitschrift Pronto legte jüngst einer Ausgabe Aufkleber gegen Zwangsräumungen bei, die mittlerweile in so manchem Treppenhaus kleben.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Hergehört, männermüde Wesen, die ihr weiblich und unwiderstehlich seid! Ihr wollt beim Ausgehen nicht mehr angebaggert werden? Ihr habt genug davon, als Sexobjekte gesehen zu werden? Dann sage ich euch, welcher Trick zumindest in einer neuseeländischen Kneipe funktioniert: Bestellt euch ein Bier.
Es geht so einfach, wirkt aber genauso effektiv wie Mundgeruch im Endstadium: Jeder Kerl – es sei denn, er nippt auch gerne mal am Piccolöchen – lässt dich mit deinem Frischgezapften in der Hand sofort in Ruhe. Oder gibt einen Spruch von sich, der keiner Anmache mehr würdig ist. Warum? Weil Biertrinken laut kiwianischer Testosteron-Logik zutiefst unsexy ist. Genauso könnte man sich den imaginären Sack kratzen und dazu rülpsen. Wer einer Frau nicht die Weinkarte, sondern ein Dosenbier reicht, kann sie auch gleich fragen, wie oft sie sich rasiert. Für den Mann dagegen wurden unzweideutig klingende Sorten wie „Massive Knockers“, „Double D Blonde Ale“, „Panty Peeler“ und „Golden Shower Pilsener“ erfunden.
Frauen, die Bier trinken, haben im weiß Gott nicht abstinenten Aotearoa etwa den gleichen Sozialstatus wie Frauen, die unter Tage arbeiten. Und viel mehr sind es auch nicht: Gerade mal 13 Prozent der weiblichen Bevölkerung bekennen sich zu ihrem unattraktiven Laster, während im trinkfesten Irland 36 Prozent der Einwohnerinnen das Nationalgebräu schätzen und im schwer flirtösen Brasilien gar 38 Prozent. Waren es nicht Frauen, die im Jahre 1700 vor Christi den Gerstensaft miterfanden? Unterlag der Gärungsprozess nicht der Biergöttin Ninkasi? Irgendwas läuft bei uns eindeutig schief.
Schuld ist die sexistische Bierwerbung. Besonders hervorgetan hat sich ‚Lion Red‘, eine Marke, die „man points“ an echte Männer vergibt. Punkte gibt es für den Besitz eines Geländewagens, für den eigenhändigen Bau einer Holzveranda und für Pies zum Frühstück. Punktabzug gibt es fürs Eincremen des Gesichts, den Besitz eines Pudels und das Wachsen von allem, was nicht Ski oder Surfboard ist. Ach ja, und der Liebsten Blumen zu schenken – es sei denn, man hat wirklich was verbrochen. So ein blaues Auge geht ja nicht von heut auf morgen weg. Nette Marke, Lion Red.
Tapfer kämpfen Neuseelands Edelbierfans gegen das Macho-Image an. Wendy Roigard, die in Auckland die Bierverkostungsfirma ‚Lady Glass‘ führt und am liebsten aus Tulpengläsern trinkt, arbeitet emsig an der Feminisierung des Biertrinkens. Auch sie greift dabei auf alte Tricks zurück: „Es hat mehr Vitamine und Mineralien und weniger Kalorien als Wein!“ Damit kriegt sie mich noch nicht rum. Mir schmeckt Chardonnay nun mal besser als Lager.
Letztens jedoch sah ich im ‚Twisted Hop‘, einem neuen Pub in Christchurch, überm Zapfhahn ‚Pazifikölsch‘ angeschrieben. Meine bikulturelle Identität, elegant vereinigt – genial! Darunter stand ‚Sauvinpilsner‘, was sicher bei frankophilen Tschechinnen zieht. Ich bestellte sofort einen Probierschluck, ganz Dame.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
Interressant: Frauen haben im vermeintlichen Kumpel-Kontinent Australien politisch zwar die Top-Jobs, in den Medien allerdings sind sie eher still. Staatsoberhaupt ist nach wie vor Her Majesty Queen Elisabeth II, daneben lenken Premierministerin Julia Gillard, Generalgouverneurin Quentin Bryce ( das ist die Stellvertreterin, wenn QEII in England gebraucht wird) und Sydneys Bürgermeisterin Clover Moore. Selbst die Staatsfinanzen regelt eine Lady, Penny Wong, und falls Macho-Stralja noch einen braucht, selbst Penny’s Partner ist eine Frau. Von Gina Rinehart, der mit Milliarden Abstand reichsten Frau des Landes mal ganz zu schweigen.
In der Medienwelt, hält sich die Stimmkraft der Frauen indes seltsamerweise in Grenzen. Die Kollegen vom online-Magazin New Matilda haben gezählt, gepunktet und gewertet und eine extrem umfangreiche Studie über Frauen als Meinungsmacher in den Medien zusammengestellt. Ein paar Ergebnisse sind auch jenseits Australiens interessant: Von 26 Tages- und Wochenzeitungen (stattliche 17 davon gehören übrigens Herrn Murdoch) hat nicht eine einzige eine Chefin. Den Sydney Morning Herald leitete mit Amanda Wilson bis letztes Jahr eine Chefredakteurin, die erste in 180 Jahren auf vergleichbarem Posten. Seit sie ging, herrscht wieder Kerle-Country. In der Meinungsecke sieht’s wenig anders aus, laut new-matilda-Studie stammen nur ein Drittel aller Kommentare in den 26 Zeitungen von Frauen, Wirtschaft und Sport wo sie noch deutlich geringer punkten nicht mal mitgezählt.
Die deutsche Frauen-in-die-Medien-Initiative Pro Quote hätte auf der Südhalbkugel also noch gut zu tun.
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
New York ist in diesem Winter fast schneelos, trotzdem seit Wochen kalt und ungemütlich – ähnlich wie in Deutschland. Normalerweise zeigen sich um diese Zeit schon überall Knospen und Blüten, doch diesmal – keine Anzeichen von Frühling. So zumindest schien es mir, bis ich heute nachmittag im im Brooklyn Botanical Garden spazieren ging. Es war der erste halbwegs warme und sonnige Tag seit langem. Aber die Natur hat vorgearbeitet, oder sich bei den ersten warmen Sonnenstrahlen ganz irrsinnig beeilt. Wie konnte ich nur glauben, dass dieses Jahr nichts blüht?
Liebe deutsche Freunde, er kommt auch zu Euch, der Frühling. Habt nur noch ein klein wenig Geduld.
Fotos: Christine Mattauch
Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.
“Rund 5000 Kinder leben in den USA ohne Eltern, weil die ohne Papiere ins Land gekommen sind und abgeschoben wurden.” Dieser Satz eines Aktivisten für Immigrationsrechte veranlasste mich, eine Familie zu suchen, auf die diese Beschreibung zutrifft. Sie zu finden war schwieriger als erwartet. Niemand wollte reden.
Der Pressesprecher einer Bürgerrechtsorganisation schlug mir schließlich vor, Norma und ihre Tochter Jessica zu treffen. Die Familie passe zwar nicht ganz in mein Konzept, Norma sei legal im Land, doch ihr Mann Jose seit mehr als einem Jahr im Gefängnis. Die drohende Abschiebung reisse die Familie auseinander, besonders die Tochter leide darunter, dass sie ihren Vater nur noch im Gefängnis sehen kann, umziehen musste und auf eine neue Schule geht. “Der Fall ist nicht einfach, nicht schwarz und weiß,” erklärte mir der Sprecher. Jose habe eine Drogenstrafe von früher und sei schonmal abgeschoben worden. Aber: Jessica und ihre Mutter seien bestimmt gute Interviewpartner und hätten eine eindrückliche Geschichte zu erzählen.
Er hatte Recht. Ich traf Jessica und Norma in ihrem neuen zu Hause – sie leben jetzt in einem kleinen Zimmer bei den Eltern von Norma. Zum Gespräch kam auch Joses Mutter dazu. Als der von den Immigrationsbeamten abgeholt wurde war es sechs Uhr morgens. Norma wollte ihn gerade zur Arbeit fahren. “Vier Streifenwagen haben uns eingekreist, Polizisten mit gezogenen Waffen sind auf uns zugerast, haben gebrüllt und auf die Windschutzscheibe geschlagen. Jose war angeschnallt, sie haben ihn aus dem Wagen gezerrt, ihm Handschellen angelegt und weggefahren”, erzählt sie. Jessica hat alles aus dem Fenster ihres Kinderzimmers beobachtet. Wenn sie davon erzählt, steigen ihr Tränen in die Augen. Sie vermisst es, mit ihrem Vater ans Meer zu gehen, zum See zu radeln, Pizza zu essen und am meisten, dass sie ihn nicht umarmen kann. Wenn sie ihn besuchen, ist eine Glasscheibe zwischen Jose und den Frauen. Norma und Jessica wissen, dass Jose vielleicht wieder abgeschoben wird. Zum ersten Mal geschah das 1994 nachdem er mit Drogen erwischt wurde, sagt Norma. Damals sei er noch am selben Tag zurück gekommen. Es sei leicht gewesen, die Grenze zu überqueren. 2010 wurde Jose bei der Arbeit aufgegriffen und abgeschoben. Diesmal war es schwieriger, zurück zu kommen, doch er schaffte es – und wurde ein paar Monate später wieder verhaftet. Jessica versteht bis heute nicht, warum ihr Vater nicht wie sie und ihre Mutter einen Pass bekommen und bei ihr bleiben kann.
Meine Nachfrage bei der Einwanderungsbehörde ergibt eine nüchterne Antwort: Die Behörde sei dazu da, illegale Einwanderer wie Jose so schnell wie möglich aus dem Land zu weisen. Mit Drogendelikt und mehrfacher illegaler Einreise sei er eine Priorität auf der Abschiebeliste. Ohne Erlaubnis ins Land einzureisen könne mit einer Haftstrafe von bis zu zwanzig Jahren bestraft werden.
Ich gebe diese Email nicht an Norma und Jessica weiter. Die Geschichte ist tatsächlich sehr kompliziert. Im Moment weiß ich noch nicht, wie ich sie am besten erzählen kann.
Hören Sie hier, wie die beiden beschrieben, wie Jose abgeholt wurde, was sie an ihm mögen und was sie für die Zukunft hoffen: Norma and Jessica