Radio-Beitrag | Julia Macher

Eintrittsgeld für die Wolkenstadt? Tomas Saraceno in Barcelona

2022-04-21

Der argentinische Künstler Tomás Saraceno versteht seine begehbaren Installationen als utopische Entwürfe anderer Lebensmodelle. In Barcelona hat er "Cloud Cities" eröffnet - in der Torre Glòries, dem emblematischen Büroturm von Jean Nouvel. Julia Macher hat den Künstler dort getroffen und mit ihm auch über die Untiefen des Kunst-Business geplaudert. 

Ganz oben im 130 Meter hohen zäpfchenförmigen Wolkenkratzer Torre
Glòries spannt sich ein Netz aus Drahtseilen in denen halbtransparente,
begehbare Kapseln hängen. Pfade aus Strickleitern führen durch das Gespinst von
Polyedern. Die Arbeiter werkeln, Tomás Saraceno lungert auf einem
Kunststoffkissen am Boden und philosophiert.

 

“Die Spinne: Wo beginnt und wo endet ihr Körper? Ich stelle mir
gerne vor, dass auch das Netz zum Körper der Spinne gehört. Das lässt sich
natürlich übertragen: Unser Körper, unsere Verantwortung für unser Handeln,
endet ja auch nicht an unserem physischen Körper.”

 

Bereits in seinem Berliner Cloudcities-Projekt spielten
Naturmetaphern eine Rolle. Hier ließ der Argentinier seine Besucher in seifenblasenartigen
Biosphären schweben. In Aerocene Pacha erhebt sich eine Pilotin in einem
schwarzen, nur von der Sonne erwärmten Heißluftballon über der argentinischen
Salzwüste. Die Bereitschaft, den Boden unter den Füßen zu verlieren, gehört für
Saraceno dazu. Denn Perspektivwechsel funktionierten nur, wenn man seinen
Standpunkt ändert. Und eine neue Sicht auf die Welt sei nun einmal zwingend
notwendig.

 

“Es gibt Kulturen, die die Natur nur als Ressource für sich selbst
nutzen, und Kulturen, die sich als Teil des Ganzen sehen. Der weiße, westliche,
patriarchalische und kapitalistische Mensch muss wieder lernen zu verstehen,
wie dieses Netz des Lebens gewebt ist.”

 

Kapitalismuskritik im Zentrum des Kapitalismus. Die Torre Glòries,
in dem Saraceno sein begehbares Netz weben lässt, gehört dem börsennotierten
Unternehmen Merlin Properties, einem der Auftraggeber des Projekts.

 

“Oh,
viste dónde estamos? En el imperio capitalista del muuundo! Dónde mejor que
hacerlo!”

 

Kein Platz wäre passender für sein Projekt als dieser, sagt Tomás
Saraceno. In Museen predige er in der Regel vor Gleichgesinnten, aber mit
dieser Auftragsarbeit erreiche er eine ganz andere Klientel: Unternehmer aus
Barcelonas hippem New-Economy-Viertel, Touristen auf der Jagd nach
instagram-tauglichen Spots.  Dann steht
er auf, verabschiedet sich von einem „Señor Merlin“. Der weißhaarige Herr heißt
nicht wirklich so, aber er ist hier zweifellos einer der Chefs. Saraceno
seufzt.

 

“Ich habe den ganzen Morgen damit verbracht, zu erklären, wie wir
diesen Ort in einen allen zugänglichen Raum verwandeln können. Keiner von uns
braucht doch irgendwelche Eintrittsgelder! Wir könnten diesen Ort doch der
Stadt schenken! Sie haben mich angeguckt und den Kopf geschüttelt, wegen der
Sponsoren, der Partner.”

 

 

Eintrittsgelder! Wie bei der Sagrada Familia! Ein Unding, findet
der Künstler. Er redet sich in Rage und wirkt dabei ein wenig wie die Fliege,
die im klebrigen Netz der Geldgeber zappelt.

 

 

“Zumindest die Anwohner sollten doch diesen Platz nutzen können!
Man könnte Quoten festlegen: 90 Prozent der Besucher müssen aus Barcelona
stammen! Das wäre doch auch die Chance für einen nachhaltigeren Tourismus. Wir
können es uns doch eigentlich gar nicht mehr leisten, von einem Ort zum anderen
zu jetten, um Touristenattraktionen zu besichtigen. Wie sollen wir denn mit
diesem Lebensstil die Arten schützen?”

 

Wie hoch der Eintritt für Cloud Cities Barcelona sein wird, ist
wenige Wochen vor Einweihung noch offen (25 Euro, Stand 26.4.). Saraceno hat es immerhin geschafft,
ein monatliches Kontingent an Gratis-Tickets für sozial Schwache auszuhandeln.

Der Aufzug rumpelt hundert Meter in die Tiefe. Die Pressefrau
führt noch schnell durch den künftigen Museumsshop, in dem es Bücher und, so
sagt sie „anspruchsvolle Souvenirs“ geben wird, zur Abrundung der „Experience
auf Barcelonas bestem Aussichtsspot“. Tomás Saraceno hört das nicht. Er bleibt
lieber oben, in seiner Wolkenstadt.

 

 

via www.deutschlandfunk.de

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