Deutsch war einmal die wichtigste Einwanderersprache in den USA. Heute droht die Sprache auszusterben – ein Besuch in einer der letzten deutschen Sprachinseln.
Moderationsvorschlag:
Noch vor 100 Jahren gab es 554 deutschsprachige Zeitungen in den USA, heute gibt es noch fünf. Die Bedeutung der deutschen Sprache ist dramatisch zurückgegangen. Es gibt noch ein paar Flecken im Osten und im mittleren Westen, wo sich einzelne Gruppen um die Erhaltung der Dialekte bemühen und Wissenschaftler die Sprache dokumentieren. Suzanne Hogan und Christoph Drösser berichten.
Atmo: Deutschstämmige in Missouri singen: “Ein Prosit der Gemütlichkeit”
Autor:
Dieses Lied wird in Deutschland bei vielen Gelegenheiten gesungen. Hier, im 1000-Seelen-Städtchen Cole Camp im US-Staat Missouri, zwei Stunden südöstlich von Kansas City, passiert das eher selten. Es ist einer der letzten Flecken der USA, in denen noch die deutsche Sprache gepflegt wird.
Atmo: Ankunft in Cole Camp, “long time no see” etc.
Autor:
Meine Co-Autorin Suzanne Hogan, die beim Sender KCUR den Podcast “A People’s History of Kansas City” macht, besucht die letzten Deutsch Sprechenden in diesem Ort. Neil Heimsoth, der diese Gemeinschaft zusammenhält, begrüßt sie herzlich. Mit dabei: der emeritierte Professor Bill Keel von der University of Kansas. Er hat in seinem akademischen Leben akribisch die deutschen Dialekte protokolliert, die in Kansas und Missouri gesprochen werden.
O-Ton Bill Keel:
And they may try to keep a cuisine, a special foods going. They may have festivals that they’ll celebrate, but without that language, uh, really the core of that culture is decimated.
Autor darüber:
Man kann die Küche eines Landes bewahren oder Volksfeste feiern, sagt Bill Keel, aber ohne Sprache geht die Kultur verloren.
Deutsche waren einmal die größte Einwanderergruppe in den USA, fünf Millionen haben hier eine bessere Zukunft gesucht. In Missouri hat dazu vor allem ein Mann beigetragen: Gottfried Duden, nicht näher verwandt mit Konrad, dem Sprachforscher. Duden schrieb im Jahr 1829 ein Buch mit dem Titel Bericht über eine Reise nach den westlichen Staaten Nordamerikas und einen mehrjährigen Aufenthalt am Missouri in den Jahren 1824 bis 1827. Darin schilderte er die eigentlich eher unaufregende flache Landschaft der Gegend in den blumigsten Farben.
O-Ton Bill Keel:
I mean he described it like you walk out your door in the morning and a deer comes up to be killed for fresh venison and it’s always summer time, and all the conditions are great for growing crops.
Now subsequently the Germans immigrants would refer to Duden as the lying dog,
Autor darüber:
Er beschrieb es so, als würden sich die Rehe dort freiwillig als Wildbret zur Verfügung stellen, sagt Bill Keel, als herrsche ewiger Sommer und als sei Land ungemein fruchtbar. Nachher hätten viele Emigranten Duden als “lügenden Hund” bezeichnet.
Die Menschen kamen aus ganz Deutschland und brachten ihren jeweiligen lokalen Dialekt mit. Es gibt hier Orte mit Namen wie Bremen, Stuttgart und Bern. Deshalb gibt es auch kein einheitliches Deutsch – von Dorf zu Dorf kann der Dialekt von niederdeutsch zu hochdeutsch wechseln. Und längst haben sich englische Wörter in die lokalen Dialekte eingeschlichen. Hier sind ein paar Beispiele des Satzes “Er isst die Eier immer ohne Salz und Pfeffer”.
Atmo:
4 Beispiele des Satzes.
Autor:
Heute sprechen nur noch eine Million Amerikaner zu Hause Deutsch. Die Stadt Cole Camp ist stolz auf ihre niederdeutschen Wurzeln, es gibt die Restaurants “The German Table” und “Wine, Women and Song”, also “Wein, Weib und Gesang”, den Laden “Handel Haus” und ein Denkmal für die deutschen Einwanderer, das auf Neil Heimsoths Initiative hin errichtet wurde. Und jedes Jahr wird ein Oktoberfest gefeiert. Aber wie Bill Keel schon sagte – das ist deutsche Abziehbildkultur, ohne Sprache gehen die kulturellen Eigenheiten verloren. Und seien es flache Witze wie dieser, den Neil Heimsoth gern in Gesellschaft erzählt. Es geht um ein Bauernpaar, das bereits zehn Kinder hat.
O-Ton Neil Heimsoth:
And the old man said: Mama, dat kann ni angohn, wie hätt ten kinner. It can’t go on. What can’t have any more children. Jede Mai kommt et kind – every May we get a child. So dat ment dat passeert in August – that means that happens in August. So, nu, Mama, jede Johr ik slap in de Schüün in August – I will sleep in the barn in August. And she says: Ja, Papa when do meinst dat dat hilpen deid – pop if you think that will really help, denn slop it do ok – then I’ll sleep there too.” (Gelächter)
Autor:
Eine Gruppe von knapp 25 Anhängern der deutschen Sprache trifft sich monatlich im “German Table” zu deutschen Speisen und Getränken – und sie singen deutsche Lieder. Etwa die “Nordseewellen” auf Plattdeutsch – die Nationalhymne von Cole Camp.
Atmo: Nordseewellen
Autor:
Aber es ist nicht zu übersehen: Es ist die ältere Generation, die sich hier versammelt. Die wenigen Jungen feiern gerne mit, aber die Sprache verstehen sie nicht mehr wirklich. Etwa ein junger Pastor, der im Ort lebt.
O-Ton Pastor:
I mean I’m doing Duolingo German but I mean that only gets you so far …
Autor:
Er lernt Deutsch mit der App Duolingo – aber die bietet nur Hochdeutsch, kein Plattdeutsch.
Auch Bill Keel, der Professor aus Kansas City, ist längst pensioniert. Zum Glück hat er viele Zeitzeugen und ihre eigentümlichen Dialekte in Tondokumenten für die Nachwelt bewahrt.
O-Ton Bill Keel:
I mean, I’ve made countless I’ll say friends, or people that I’ve come to know and many of them have now passed away. It’s a bittersweet kind of situation.
Autor darüber:
Er hat hier viele Freundschaften geschlossen, aber viele dieser Freunde leben nicht mehr. Eine bittersüße Situation.
Neil Heimsoth pflegt die deutsche Sprache, aber seine Kinder sprechen sie schon nicht mehr. Eine Gemeinschaft gibt es noch, die ihren deutschen Dialekt auch an die jüngere Generation weitergibt: die Amischen, eine Sekte, die sich aber von der Umwelt. Ansonsten wird die deutsche Sprache in den USA bald eine Sache der Vergangenheit sein, nur noch bewahrt in den Archiven.