Etwas läuft schief im Internet, hat Autor James Bridle bereits vor zwei Jahren festgestellt. In seinem Buch "New Dark Age" plädiert er dafür, sich kritischer mit Technologie zu beschäftigen. Doch einfache Lösungen gibt es nicht.
Etwas läuft schief im Internet, hat Autor James Bridle bereits vor zwei Jahren festgestellt. In seinem Buch „New Dark Age“ plädiert er dafür, sich kritischer mit Technologie zu beschäftigen. Doch einfache Lösungen gibt es nicht.
„Ich plädiere für eine nachdenklichere Beschäftigung mit Technologie, gepaart mit einem radikal anderen Verständnis dessen, was sich über die Welt denken und wissen lässt“, schreibt der Vordenker James Bridle in seinem neuen Buch und hinterlässt uns nachdenklich in die schöne neue digitalisierte Welt.
James Bridle kam Ende 2017 zu kurzer Berühmtheit im Internet, als er einen Artikel auf der Website Medium veröffentlichte: „Something is wrong on the internet“ – etwas läuft schief im Internet. Bridle berichtet darin von einer Expedition in die Tiefen von YouTube.
Ausgehend von den etwas befremdlichen, millionenfach geklickten Videos, in denen Kinder Spielzeuge auspacken, lässt er sich von dem Empfehlungsalgorithmus in immer entlegenere Kellergewölbe der Videoplattform führen und sieht immer bizarrere Filmchen, von deren Existenz er bis dahin nichts geahnt hatte: Erwachsene Darsteller verkleiden sich als beliebte Kinderfiguren, die Comicidole der Kleinsten treten in Gewalt- und Sexszenen auf.
Alle diese Filme wurden hunderttausend- und millionenfach gesehen – in der Endlos-Filmschleife, die entsteht, wenn Eltern ihr dreijähriges Kind stundenlang unbeaufsichtigt vor dem iPad sitzen lassen. Das seltsame Biotop, das Bridle da enthüllte, war eine vom Computeralgorithmus geschaffene Schmuddelnische, in der moralfreie Geschäftemacher über die automatisch geschalteten Werbeclips ihr Geld verdienten. Es ist eines der vielen Beispiele, mit denen Bridle die These seines neuen Buchs „New Dark Age: Der Sieg der Technologie und das Ende der Zukunft“ illustriert: Die Werkzeuge, die wir uns geschaffen haben, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen und sie immer besser zu verstehen, haben sich längst verselbstständigt und stürzen uns in ein neues dunkles Zeitalter.
Wir durchblicken längst nicht mehr die Künstlichen Intelligenzen, die unser Alltagsleben prägen. Amazons Lagerarbeiter würden sich ohne die Hilfe ihres Taschencomputers, der sie durch die Regalreihen schickt und jeden ihrer Schritte überwacht, gar nicht mehr zurechtfinden – die Waren sind nicht so sortiert, wie ein Mensch es machen würde, sondern nach einem scheinbar sinnlosen, vom Computer optimierten System.
Auf ähnliche Weise ist der Uber-Fahrer in Bridles Beschreibung nur noch ein menschlicher Automat, der dem roten Punkt auf seinem Navigationssystem folgt und nur deshalb noch einen Job hat, weil die vollautomatischen Autos noch nicht so weit sind. Eine vom Computer erstellte Wirtschaftsnachricht kann andere Computer dazu bringen, massenhaft Aktien zu verkaufen und an der Börse einen Crash zu erzeugen. Wir Menschen können nur zuschauen und müssen die Folgen ausbaden.
Dabei sollte doch alles so schön werden in der neuen Computerwelt. Das „Computerdenken“, das der Künstler und Informatiker Bridle angreift, geht von der Prämisse aus, „dass man etwas besser macht, wenn man es sichtbar macht, und dass Technologie das Instrument ist, um Dinge sichtbar zu machen“.
Diese Vorstellung war die Idee hinter Google: Das Wissen der Welt jederzeit und überall verfügbar machen, keine Frage offen zu lassen, das Licht der Erkenntnis, „enlightenment“ (das englische Wort für Aufklärung), in die entlegensten Winkel zu tragen. Das Gegenteil ist eingetreten.
Bridle macht dieses Machbarkeitsdenken, den „Solutionismus“, in dem es für alle Probleme eine App gibt, mitverantwortlich für die Herausforderungen, denen wir uns heute gegenüber sehen: das wachsenden Gefälle zwischen Arm und Reich, den zunehmenden Nationalismus und gesellschaftliche Spaltungen und sogar den Klimawandel. „Wir wissen immer mehr über die Welt“, schreibt Bridle, „sind gleichzeitig aber immer weniger in der Lage, irgendetwas zu ändern“.
Bridle erzählt sehr anschaulich von seinen eigenen Expeditionen in die Welt von Überwachungskameras und automatisierten Drohnen, von Begegnungen mit Geheimdienstlern und Verschwörungstheoretikern. Er ist selbst kein Maschinenstürmer und beteuert, dass er das Rad der Geschichte nicht zurück drehen will. Deshalb hat er auch keine einfachen Lösungen anzubieten und lässt den Leser und die Leserin ein wenig ratlos zurück. Er weiß, dass die Aufklärung über technische Zusammenhänge der intransparenten Systeme allein nicht ausreicht, um das Ruder herumzureißen. Es klingt fast ein wenig altmodisch, wenn Bridle schreibt: „Was wir brauchen, ist nicht Verständnis, sondern Bildung.“
Da im Dunkeln bekanntlich auch gut munkeln ist, versucht Bridle auch im Bösen das Gute zu sehen: „Die Finsternis kann auch ein Ort der Freiheit und der Möglichkeit sein, ein Ort der Gleichheit.“ Wichtig sei es, angesichts der düsteren Aussichten nicht zu verzweifeln: „Wir dürfen uns jetzt nicht gegenseitig im Stich lassen.“
James Bridle: „New Dark Age: Der Sieg der Technologie und das Ende der Zukunft“
C.H.Beck, Berlin 2019
320 Seiten, 25 Euro