Nach Monaten der Trockenheit geht Barcelona das Trinkwasser aus. Die Bewohner sind zum Sparen angehalten. Notfalls müssen ab Juni Tankschiffe das Wasser bringen.
Samuel Reyes hat die Zukunft direkt vor Augen: Von seinem Büro blickt der Chef der katalanischen Wasserbehörde über Barcelonas Skyline zum Hafen. Regnet es bis zum Frühjahr nicht ausreichend, sollen dort Tanklastschiffe anlegen, um die Anderthalb-Millionen-Einwohner-Metropole mit Trinkwasser zu versorgen. 60.000 Kubikmeter Wasser könnten zwei Schiffe von Tarragona, Palma oder Marseille nach Barcelona fahren und vom Hafen aus in die Leitungen pumpen, ein Drittel des täglichen Bedarfs. Ein teures, aufwendiges Verfahren, aber die Vorbereitungen dafür laufen. „Wir müssen für alles gerüstet sein“, sagt Reyes.
Nach 40 Monaten Dürreperiode wird in Barcelona das Trinkwasser knapp. Die Stauseen im Landesinnern, aus denen die Großstadt normalerweise ihr Trinkwasser bezieht, sind nur zur 17 Prozent gefüllt. Die Meerwasser-Entsalzungsanlage am Prat de Llobregat – die europaweit größte, die ausschließlich Trinkwasser produziert – läuft seit anderthalb Jahren auf Hochtouren, doch ihre Kapazität ist begrenzt. Ende November hat die Regionalregierung den Vor-Notstand ausgerufen. Die Menge an Trinkwasser, die die Wasserwerke pro Tag und Person bereitstellen, ist auf 210 Liter begrenzt worden, Krankenhäuser, Schulen, Handel und Industrie einberechnet. In der ganzen Stadt plätschert kein Zierbrunnen mehr und die Grünflächen vertrocknen: Auch sie dürfen nicht mehr bewässert werden. Kann der Tanklaster das Wasserproblem lösen?
Samuel Reyes weiß, dass die Idee nur der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein ist. Man arbeite an einer krisenresistenten Struktur, die Barcelona für Wasserknappheit rüsten soll. „Aber bis die steht, vergeht eben Zeit und die müssen wir überbrücken.“ 2,4 Milliarden Euro investiert die Regionalregierung in den nächsten Jahren, dazu kommt noch eine halbe Milliarde aus Madrid. Mit dem Geld werden zwei neue Entsalzungsanlagen gebaut, Fertigstellung Ende 2027 und 2028. Entlang der katalanischen Küste sollen neun Anlagen entstehen, die Abwasser so aufbereiten, dass es als Trinkwasser und zur Bewässerung von Parks und Sportstätten gebraucht werden kann.
Wasser-Recycling nennt sich die Methode. Sie ist ein wichtiger Baustein in den Plänen der Regionalregierung. Dazu wird gereinigtes Abwasser aus der Kläranlage in einen Fluss gepumpt, einige Kilometer später wieder entnommen und zu Trinkwasser aufbereitet. Der Umweg über den Fluss ist notwendig, weil die EU-Richtlinie eine direkte Einspeisung ins Netz verbietet. 2022 hat man das Verfahren zum ersten Mal getestet, am Llobregat, der Barcelona im Süden begrenzt. Inzwischen wird ein Viertel des Trinkwassers, das aus dem Hahn fließt, so erzeugt. Am Besòs, der Barcelona im Norden umfließt, plant die Regionalregierung nun ein ähnliches System. Auch dort soll Wasser aus der Kläranlage flussaufwärts gepumpt und mit dem Flusswasser vermischt werden. Allerdings will man dort das Wasser nicht direkt entnehmen, sondern es zunächst ins Grundwasser sickern lassen und diese Vorkommen dann über Brunnen anzapfen. Der große Vorteil von Recyclingwasser gegenüber Meerwasserentsalzung sind die Kosten: Der Energieaufwand ist geringer, das technische Verfahren weniger aufwendig. „Bisher fließen jährlich 500 Kubikhektometer Abwässer ungenutzt ins Mittelmeer. Das ist doch eine Riesenverschwendung“, sagt Reyes. Der Plan: Bis 2040 soll die Hälfte davon wiederverwendet werden. „Dadurch werden wir in Katalonien langfristig das Wasserangebot sichern: für Industrie, Landwirtschaft und Bürgerinnen und Bürger.“
Lluis Basteiro blickt eher
skeptisch auf solche Prognosen. Der Bauingenieur gehört zur Plattform
Aigua és Vida (Wasser ist Leben), einem Zusammenschluss von NGOs und
Umweltorganisationen, und leitet ein kommunales Bündnis für
Wasserverwaltung in öffentlicher Hand. „Die Regionalregierung tut viel,
um das Wasserangebot zu sichern, aber kaum etwas, um die Nachfrage zu
senken“, kritisiert er. „Dabei ist das Einsparpotenzial enorm.“ Basteiro
hat dabei nicht so sehr die Privathaushalte im Sinn. Barcelonas
Bürgerinnen und Bürger haben den täglichen Pro-Kopf-Verbrauch von 136
Liter Anfang des Jahrtausends auf 105 Liter reduziert.
Aber während kaum ein
Stadtbewohner noch beim Zähneputzen das Wasser laufen lasse, plätschere
in Hotels die kostbare Ressource noch munter aus dem Hahn und am Hafen
füllen Kreuzfahrtschiffe ihre Tanks für den Trip übers Mittelmeer auf.
„Wo Trinkwasser knapp ist, sollten wasserintensive Aktivitäten wie
Tourismus grundsätzlich nicht gefördert werden“, so Basteiro. Doch
Maßnahmen, die das Wirtschaftswachstum gefährden, schließt die
Regionalregierung grundsätzlich aus. Zwar müssen Industrie und
Landwirtschaft derzeit 15 beziehungsweise 40 Prozent Wasser einsparen,
doch die Auflagen gelten nur für das aktuelle Szenario. Ein Fehler,
glaubt Basteiro: „Ohne strukturelle Änderungen werden wir unsere
Wasserprobleme langfristig nicht lösen können.“
Wie
viel Wasser der Tourismus in Barcelona tatsächlich verschwendet, ist
schwer zu ermitteln. Ein Tourist in einem Fünfsternehotel verbrauche
fünfmal so viel Wasser wie ein Stadtbewohner, heißt es in einer älteren Studie
des Stadtforschungszentrums der autonomen Universität Barcelona. In den
vergangenen Jahren habe man Millionen investiert, mit dem Ergebnis,
dass er Pro-Kopf-Verbrauch mit 163 Litern nur „unwesentlich“ über dem
Durchschnitt liege, kontert der Hotelverband. Genaue Daten hat auch die
katalanische Wasserbehörde nicht. Sie listet den Verbrauch nicht nach
Branchen, sondern Unternehmen. In den vergangenen Tagen hat sie Tausende
Großkunden angeschrieben und daran erinnert, dass die Sparauflagen doch
bitte eingehalten werden sollen. Sanktionen sind bisher nur gegen
Kommunen verhängt worden, nicht gegen Unternehmen.
„Sanfte Pädagogik“ nennt
Samuel Reyes von der katalanischen Wasseragentur das. Von einem
grundlegenden Umdenken, wie es die Plattform Aigua és Vida fordert, hält
er nichts. „In welche Richtung sich ein Land entwickelt, darüber sollte
doch nicht das Wasservorkommen entscheiden, sondern Gesellschaft und
Politik.“ Auch bei Wasserknappheit könne die Wirtschaft wachsen – selbst
wenn dafür Tankschiffe das Trinkwasser transportieren müssen.