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Superblocks: Selbst für Barcelona zu radikal?

 
 

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Cannabisclubs: Kiffen, bis die Polizei kommt

 

Zufällig findet niemand den Weg zu La Kalada. Das Vereinslokal des Cannabisclubs liegt in einer ruhigen Seitenstraße am Hang von Barcelonas Hausberg Montjuïc. Ein schlichter zweistöckiger grauer Bau, am garagenähnlichen Eingangstor ist nur eine namenlose Klingel. Wer darauf drückt, muss zunächst dem Pförtner seinen Mitgliedsausweis vorzeigen. Wer keinen hat: Die Ausstellung erfolgt nach Vorlage von Pass oder Personalausweis in ein paar Minuten. Erst danach geht es durch eine schwere Brandschutztür in den eigentlichen Club: ein weitläufiger, etwa 100 Quadratmeter großer Raum, die Wände mit großflächigen Graffiti bemalt. Ein paar ausladende Sitzgruppen, ein Tresen mit Zubehör für Joints, in der Ecke eine kleine Bar.

Am frühen Nachmittag ist noch nicht viel los. Ein schwacher Geruch von Reinigungsmitteln und süßlich-würzigem Marihuana hängt in der Luft. Zwei Frauen Mitte 40 unterhalten sich leise. Vereinspräsident Alessio Mondini grüßt sie mit einem Kopfnicken. Die beiden winken freundlich zurück. Man kennt sich.

La Kalada, zu Deutsch “Der Zug” (aus Zigarette oder Joint), ist einer von Barcelonas bekanntesten Cannabisclubs. Internetrezensionen rühmen das künstlerische Ambiente und die frei verfügbaren Videospiele. Und natürlich die verschiedenen Marihuanasorten, die bei Verkostungen diverse Preise gewonnen haben.

Ähnliche Clubs soll es bald auch in Deutschland geben: private Vereine Gleichgesinnter, in denen sich Cannabisliebhaber nach Einlasskontrolle in begrenzten Mengen mit gemeinschaftlich angebautem Marihuana zumindest versorgen können. Das sieht ein Entwurf vor, den Gesundheitsminister Karl Lauterbach jüngst vorgestellt hat. Vom “spanischen Modell” ist die Rede. Dabei existiert dieses Modell streng genommen gar nicht. Und gemeinschaftlichen Konsum sieht Lauterbachs Plan auch gar nicht vor.

 

Bereits 1.500 Clubs landesweit

 

Es gibt in Spanien kein Gesetz, das die Cannabisclubs explizit gestattet. Anbau, Handel und Transport von sind in Spanien weiterhin verboten, lediglich der Konsum in privaten Räumen ist erlaubt. Die Cannabisclubs haben ihre Organisationsform aus spanischen Gerichtsurteilen aus den Neunzigerjahren abgeleitet, die den gemeinschaftlichen Anbau von Cannabis für den Privatkonsum und den gemeinsamen Drogengebrauch für straffrei erklären.

Laut der Wissenschaftszeitschrift The Lancet ist das Land mit dem EU-weit dritthöchsten Cannabiskonsum. Und Growshops, also Läden mit Zubehör für den Eigenanbau, fehlen in keiner Fußgängerzone. Auch wenn Kiffen in Spanien weit verbreitet ist, bewegen sich die Cannabisclubs in einer rechtlichen Grauzone. Dabei gibt es sie bereits seit über 30 Jahren. Die ersten entstanden in Katalonien und im Baskenland. Inzwischen sind es nach einer Schätzung des überregionalen Zusammenschlusses ConFac etwa 1.500 im ganzen Land.

Alessandro Mondini lässt sich auf eines der breiten roten Sofas fallen und bröselt etwas Marihuana aufs Drehpapier. Mondini ist Musiker. Künstlername: Jahki Revi; Stilrichtung: Reggae. Kiffen sei Teil seines Lebensstils, sagt er. Nach Barcelona kam er, weil die Rechtsprechung beim Cannabiskonsum hier im Vergleich zu seinem Geburtsland Italien liberaler schien. 2012 gründete er gemeinsam mit befreundeten Musikern den Club La Kalada, laut Vereinsregister als Kulturverein. Damals gründeten sich in der Mittelmeerstadt ganz viele solcher Clubs – Barcelona ist seitdem das Amsterdam des Südens.

Vier Jahre später schuf die linksalternative Stadtverwaltung sogar eine spezifische Regulierungsrichtlinie für Cannabisclubs, mit Vorgaben für Filteranlagen und Mindestabständen zu Schulen. Nach mehreren Urteilen des spanischen Verfassungsgerichts musste die Stadt diese Richtlinie allerdings inzwischen zurückziehen.

 

“Die Lage ist verzwickt”, sagt
Mondini und nimmt einen tiefen Zug. Ende des Jahres habe er nach einer
Razzia drei Tage in einer Gefängniszelle verbringen müssen, “wegen der
üblichen Vorwürfe”. Mehr sagt er nicht. Sein Anwalt habe ihm empfohlen,
sich nicht zum laufenden Verfahren zu äußern. “Ich bin es jedenfalls
satt, morgens nicht zu wissen, ob ich abends zu Hause oder auf einer
Polizeistation schlafen werde.”

Die Anwältin Gabriela Sierra
Fontecilla hat sich auf das Thema Cannabis spezialisiert. “Der Druck auf
die Cannabisclubs ist größer als je zuvor”, bestätigt sie. Klienten
gibt es genug: Etwa 70 Prozent der Clubs haben oder hatten Probleme mit
der Justiz, heißt es von ConFac, einem überregionalen Zusammenschluss
von Cannabisclubs. Illegaler Anbau oder Handel mit Cannabis können in
Spanien mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden.

2016 ließ das oberste
Gericht mehrere Cannabisclubs schließen, wegen Verstößen gegen die
öffentliche Gesundheit und Bildung einer illegalen Vereinigung. Seither
geht die Justiz immer restriktiver gegen die Vereine vor. In der
spanischen Presse häufen sich Berichte über Gewächshäuser in leer
stehenden Fabrikanlagen oder abgelegene Felder, die für illegalen Anbau
benutzt wurden. Allein in Katalonien beschlagnahmte die Polizei im
letzten Jahr 26 Tonnen Marihuana, 2.130 Menschen wurden im Zusammenhang
damit verhaftet.

 

Die Szene gibt sich bedeckt.
Kaum ein Cannabisclub verrät, woher er sein Gras bezieht. Kaum einer
spricht über Grammpreise. Offiziell verwahren die Vereine lediglich
kommissarisch das Marihuana, das ihre Mitglieder zu Hause anbauen. Die
Mitgliedsgebühren, bei La Kalada 20 Euro im Jahr, sind die einzigen
Einnahmen, die die Vereine offiziell erwirtschaften dürfen. Dabei ist es
ein offenes Geheimnis, dass auch gehandelt wird. In vielen Clubs liegen
Preislisten aus, inklusive genauer Beschreibung der psychoaktiven
Wirkungen und der Geschmacksnuancen.

“Bei uns hat jedes Mitglied
ein eigenes Schließfach mit Namen”, beteuert Vereinspräsident Mondini.
Etwa 300 kämen regelmäßig einmal die Woche. Wie viele Mitglieder der
Club insgesamt hat, möchte er nicht sagen. Im spanischen Modell ist die
Abgabe, abgeleitet aus Rechtsprechung, auf zwischen 60 und 100 Gramm pro
Mitglied im Monat begrenzt – Deutschland plant eine Obergrenze von 50
Gramm. Allerdings sind in Spanien Mehrfachmitgliedschaften nicht
ausgeschlossen. Auch Mondini hat mehrere Ausweise “von befreundeten
Clubs”.

Das wacklige Konstrukt
ist auch ein Einfallstor für Organisierte Kriminalität. Laut spanischer
Polizei mischen zunehmend “Banden aus Osteuropa, Marokko und Spanien”
mit. Deren Gewinnmargen sind enorm: “Mit einer Investition von 6.000
Euro lassen sich 240.000 Euro verdienen”, sagte der Richter Josep
Perarnau im spanischen Fernsehen. Das Geschäft sei straff
durchorganisiert: von der Suche nach leer stehenden Fabrikanlagen über
das illegale Abzapfen von Elektrizität für die UV-Lampen für den
Indooranbau bis zum Verkauf an den Meistbietenden. Das bekommen auch die
Cannabisclubs zu spüren. Immer wieder brechen bewaffnete Kriminelle
ein, auch ins La Kalada. “Die meisten Clubs bringen das gar nicht erst
zur Anzeige, um sich nicht noch ein zusätzliches Problem mit der Polizei
aufzuhalsen”, sagt Mondini.

Dabei
wäre die Lösung des Problems einfach: “Wir brauchen endlich einen
gesetzlichen Rahmen – sowohl für die Clubs als auch für den Anbau und
den Handel”, fordert Anwältin Sierra Fontecilla. Drei parlamentarische
Vorstöße für eine Legalisierung gab es in Spanien bisher, unter anderem
von Unidas Podemos, dem kleineren Koalitionspartner der spanischen
Linksregierung. Doch bisher ließen die regierenden Sozialisten lediglich
über medizinisches Cannabis mit sich reden. Eine Freigabe als
Genussmittel lehnten sie mit Blick auf die europäische Rechtslage und
die Gesetze in den europäischen Nachbarländern ab.

Sierra, die sich als
Aktivistin auch in der Procannabispartei Luz Verde engagiert, setzt
daher große Hoffnungen in den Entwurf der Bundesregierung. “Wenn in
einem so wichtigen EU-Land wie Deutschland Cannabiskonsum erlaubt wird,
ziehen früher oder später alle anderen Länder nach.” Die notwendige
gesellschaftliche Unterstützung gebe es längst. Laut einer Befragung des
staatlichen Meinungsforschungsinstitut CIS von 2021 befürworten 90
Prozent der Spanierinnen und Spanier die medizinische Therapie mittels
Cannabis und Marihuana – wie sie in Deutschland bereits möglich ist. Und
knapp 50 Prozent haben keine Einwände gegen einen Joint zur
Entspannung. Bis auch der Handel mit Freizeitcannabis in der EU und im
Schengenraum möglich werden, sei dann nur noch eine Frage der Zeit.

Die Gründer von La Kalada wollen so lang nicht mehr warten. Mondinis Partner ist derzeit in Thailand, wo die Regierung den Handel mit Cannabis Anfang des Jahres freigegeben hat.
Auf der Insel Ko Samui eröffnet demnächst das Ferienresort La Kalada,
ein eigenständiges Unternehmen, aber unter dem Namen der Dachmarke aus
Barcelona. Mit zehn Apartments, einem italienischen Restaurant, einer
Bar und einem Marihuanashop. Und alles ganz legal

 

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