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Aus für “polymorphes Parken” in Beirut?

Aus für „polymorphes Parken“ in Beirut?

Der libanesische Innenminister meint es ernst, sehr ernst sogar. Ziad Baroud hat nun schon mehrfach versucht, die Autofahrer in der libanesischen Hauptstadt an den Gedanken zu gewöhnen, dass es tatsächlich so etwas wie Straßenverkehrsregeln gibt. In einem Land, wo man einen Führerschein ohne Fahrstunden oder ordentliche Prüfung für 100 bis 350 US-Dollar erwerben kann und wo das Missachten staatlicher Regelwerke als eher normal gilt, ist das mutig. Barouds Devise lautet: Die libanesischen Strassen müssen sicherer werden, 850 Verkehrstote im Jahr 2008 sind entschieden zu viele für ein Land mit rund 4 Millionen Einwohnern.

Ich staunte dennoch nicht wenig, als ich kürzlich auf der Corniche, der Strasse, die in Beirut am Meer entlangführt, gleich mehrere Arbeitertrupps sah, Eimerchen mit weißer Farbe in der einen Hand, dicke Pinsel in der anderen. Sie begannen tatsächlich, Parkverbotszonen am Straßenrand, so wie wir das in Deutschland auch gewohnt sind, mit weißen Streifen zu markieren. Meine spontane Reaktion: „Was für eine Verschwendung von Farbe! Wer verdient sich denn an dieser Aktion eine goldene Nase?“ Denn oft werden derart unsinnig erscheinende Projekte vom Gewinnstreben einzelner Regierungsmitarbeiter getrieben, zumal, wenn der Staat das Portemonnaie öffnet. Zu hoffen, dass ein Parkverbot in Beirut respektiert wird, das ist ungefähr so absurd wie darauf zu warten, dass Ostern und Weihnachten auf einen Tag fallen. Selbst auf Hauptverkehrsadern parken Beiruter in zweiter oder sogar dritter Reihe – was dann zu dramatischer Staubildung führt, aber wen interessiert das! Die dritte Reihe wird aber, das muss man schon einräumen,  meist nur in Anspruch genommen, wenn man rasch etwas in einem Laden am Straßenrand besorgen muss.

Auch Eisenpoller, die ein Parkverbot markieren, werden schlicht ignoriert. Dann stellt man sich eben daneben. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt, und unsere mitteleuropäische Phantasie überbieten die Autofahrer hier mit Leichtigkeit. Die Bloggerin und Illustratorin Joumana Medlej hat den Eigenheiten libanesischer Verkehrsteilnehmer übrigens eine ganze Reihe wunderbarer Cartoons unter dem Stichwort ‘polymorphes Parken’ gewidmet. Um auf die Corniche zurückzukommen, verwunderte es mich denn nicht weiter, dass, kaum war die weiße Farbe trocken,  zahlreiche Autos ihre Schatten über die fein säuberlich aufgemalten Streifen am Straßenrand warfen.

Doch Ziad Barouds Malertrupps ließen sich nicht beirren, sie malten wenig später Fahrstreifen auf mehrspurige Strassen – in einem Land, in dem das Konzept der Fahrspur an sich gänzlich fremd ist. Im Libanon lautet das Credo: Der durch die Seitenbebauung am Rand begrenzte Raum einer Strasse ist maximal auszunutzen, das heißt es gibt jeweils so viele Spuren, wie gerade Autos nebeneinander Platz finden. Das findet der Mitteleuropäer mitunter etwas beängstigend, aber wir sind zugegebener Maßen ziemliche Mimosen im Straßenverkehr.

Die zahlreichen neuen Ampeln, die von den Ordnungskräften an Kreuzungen aufgestellt wurden, haben bis jetzt lediglich zu Verwirrung geführt. Plötzlich leuchten da rote, gelbe oder grüne Lichter, wo man sich früher schlicht dem Nahkampf hingegeben hat. Was nun? Soll man sie beachten – oder eher nicht? Gut, wenn der Strom gerade wieder ausgefallen ist, stellt sich die Frage nicht. Dafür stehen an jeder Kreuzung weiterhin Verkehrspolizisten, die in dem Fall ihrem Auftrag mit wild wedelnden Armen nachkommen. Doch wenn die Ampeln ihre Farbe wechseln, dann scheint es als beobachteten diese Ordnungswächter eher amüsiert die Unschlüssigkeit der Verkehrsteilnehmer darüber, was man mit diesem ungeahnten Einbruch des hoch technologisierten Zeitalters in den Beiruter Verkehrsalltag anfangen soll. Meist gilt am Ende weiter das Gesetz des Dschungels, das heißt „Frech kommt weiter“ und bahnt sich den Weg.

Bleibt die Frage: Glaubt der Minister tatsächlich, dass diese immer neuen Signale einer bisher ungekannten ordnenden Hand im Beiruter Verkehr langfristig Wirkung zeigen werden? Ist er gar ein Anhänger der Broken-Windows-Theorie ? Bisher gibt es noch keine Anzeichen dafür, dass die Maßnahmen in Beirut die gewünschte Beachtung finden. Aber vielleicht muss man es wirklich nur lange genug versuchen und hoffen, dass sich die Idee eines Regelwerkes, das man unter Umständen sogar befolgen könnte, irgendwo im Unterbewusstsein der Libanesen niederschlägt. 

 

 

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