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„Verkauf die Datscha, Flegel Gouverneur!“

Russlands Kulturhauptstadt droht in Unverschämtheiten zu versinken
Sankt Petersburg ist voller Flegel. Seit mehreren Tagen tobt in der Stadt ein heftiger Streit, ob Gouverneur Georgi Poltawtschenko ein Flegel ist, die Petersburger Kraftfahrer, die Fußballfans oder gar alle Bürger. Vom Zaun gebrochen hat den Streit der Gouverneur. Für eine Wagenkolonne des Premierministers Dmitri Medwedew waren Anfang Oktober die Straßen im Stadtzentrum gesperrt worden, die im Stau stehenden Autofahrer meuterten. „Wer nicht zu faul war, hupte, die Leute streckten alle möglichen Finger in die Höhe“, schimpfte Poltawtschenko hinterher in einem TV-Interview. „So was passiert auch in anderen Städten. Aber so offene Flegelei habe ich nie gesehen.“

Das wiederum erboste nicht nur die Pkw fahrende Bürgerschaft. Als Poltawtschenko vergangenen Samstag beim Erstligaspiel von Senit Sankt Petersburg gegen Kuban Krasnodar auftauchte, empfingen ihn die Fans mit donnernden Sprechchören: „Gouverneur – Flegel!“ Später skandierten beide Stadionhälften im Wechsel: „Verkauf die Datscha, bau das Stadion!“, eine Anspielung auf den stockenden Bau des neuen Stadions für den Gasprom-Klub. Poltawtschenko hatte dazu erklärt, die Einwohner, vor allem die Fußballfreunde könnten ja ehrenamtlich auf der Baustelle mitarbeiten, die mindestens 800% der ursprünglich geplanten Kosten schlucken soll und mit umgerechnet fast 1,1 Milliarden Euro (1,3 Milliarden Franken) teurer als der Wembley-Neubau sein wird.
Eigentlich gilt Senit als Lieblingsverein der Staatsmacht, und Fußballfans allgemein als favorisierte Klientel Wladimir Putins, im Zweifelsfall auch geeignet, Oppositionelle zu verprügeln. Jetzt aber flegeln die Senit-Fans gegen ihr Stadtoberhaupt und amüsieren sich dabei auch noch glänzend.

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Es gehen Gerüchte, die Sicherheitsorgane fahndeten nach den Vorschreiern, die Organe dementieren, die Gesellschaftswissenschaftler Petersburgs streiten, ob Russlands Kulturhauptstadt tatsächlich in Flegelei versinke, ob die Revolution doch nahe oder nur Poltawtschenko entgleist sei. „Das war sein Missgeschick“, sagt der Petersburger Politologe Michail Winogradow unserer Zeitung, „noch kein Grund ihn abzusetzen, aber eine Episode, an die sich der Kreml erinnern wird, wenn in Petersburg wieder etwas eskaliert.“ Auch staatstragende Figuren wie der Petersburger Senator Wadim Tjulpanow raten Poltawtschenko, sich zu entschuldigen. Der immerhin versichert, er habe sich nur über die „Flegelei“ konkreter Personen und nicht aller Petersburger beschwert. Beamte des städtischen Sportkomitees aber kündigen „Erziehungsgespräche“ mit Vertretern der flegelhaften Fanklubs an.

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