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Die Geschichte vom Moslem, der Weihnachten verbieten wollte

 

Yussuf Al-Qaradawi ist so einflussreich wie umstritten. Der populäre muslimische Gelehrte hat Terroranschläge wie die von New York, Madrid oder London verurteilt, aber gleichzeitig palästinensische Selbstmordattentate gegen Israelis als Akt der Selbstverteidigung gebilligt. In der weiblichen Genitalverstümmelung sieht er keinen islamischen Brauch, sondern ein »Werk des Teufels«. In einem islamischen Rechtsgutachten (Fatwa) erklärte er zum Beispiel den Genuss geringer Mengen von Alkohol für statthaft – und wurde dafür von Predigerkollegen gescholten. Seine wöchentliche TV-Show auf Al-Dschasira erreicht Millionen in der arabischen Welt, wird aber, so hört man es aus dem Sender, im Hause selbst von nicht wenigen mit großer Skepsis beurteilt.

Bettina Gräf vom Zentrum Moderner Orient in Berlin beschreibt den schillernden Prediger als »moralisch-konservativ und missionarisch, aber nicht dogmatisch«. Als sicher kann wohl gelten, dass Al-Qaradawi erzkonservativ ist, in einer Art, die man auch bei Katholiken findet (z. B. Ablehnung der Homosexualität).

Aber will Al-Qaradawi jetzt Weihnachten verbieten? Kurz vor dem Fest tauchte bei ‚Spiegel Online‘ eine entsprechende Meldung auf, die durch die deutschsprachigen Medien irrlichterte und bei der ‚Welt‘ zum Beispiel als »Hetze gegen Christentum« landete. 

Einmal mehr kann das Eigenleben bewundert werden, das Meldungen dieser Art mit atemberaubender Geschwindigkeit entwickeln. Tarafa Baghajati von der Initiative muslimischer ÖsterreichInnen hat das in einer Rundmail gut beschrieben. Nach Rücksprache mit dem Autor möchte ich hier seine Mail veröffentlichen:

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Eingehend ist festzuhalten, dass jeder jeden kritisieren kann und soll. Das ist in einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit. Muslimische Persönlichkeiten sind davon natürlich nicht ausgenommen. Allerdings sollte eine kritische Meldung, insbesondere wenn sie von Qualitätsmedien kolportiert wird, auf überprüften Quellen basieren. Insbesondere was Islam und Muslime betrifft,  gehören falsche Übersetzungen und aus dem Zusammenhang gerissene Zitate zu den beliebtesten Instrumenten, um Muslime und ihre Religion zu diffamieren. Der Übersetzungsdienst MEMRI ist in diesem Zusammenhang bereits auffällig geworden und kann nicht als seriöse und objektive Quelle angesehen werden. Darauf hat Brian Whitaker bereits im August 2002 in seinem im ‚Guardian‘ veröffentlichten Artikel Selective MEMRI aufmerksam gemacht.

Ausgerechnet zur besinnlichen Weihnachtszeit haben nun zahlreiche Medien die Meldung verbreitet, dass der islamische Gelehrte Yussuf Al-Qaradawi ein Verbot des Weihnachtsfestes fordere. Ursprungsquelle dieser Zeitungsente ist der Übersetzungsdienst MEMRI. ‚Die Welt‘ beispielsweise schreibt: »Der einflussreiche islamische Gelehrte Yussuf al-Qaradawi hetzt gegen die Christen. In der islamischen Welt müsse das Weihnachtsfest verboten werden, fordert der 83-Jährige in einer Fatwa, einem islamischen Rechtsgutachten. Die Hassrede des Predigers ist in einem Video auf YouTube zu sehen.«

APA, Standard, ORF und viele andere Medien haben ungefähr den gleichen Inhalt wiedergegeben. (‚Der Standard‘ hat sich inzwischen korrigiert. – J.S.) ‚Der Spiegel‘ titelte mit »Heiligabend-Attacke«, BILD wusste von einem »Angriff auf Heiligabend« zu berichten. Wer die Originalrede auf Arabisch hört, findet allerdings keinerlei Hinweis darauf, dass Qaradawi Christen das Weihnachtsfest verbieten möchte. Scheich Qaradawi kritisiert in seiner Predigt die lokalen muslimischen Geschäftsleute, die »die Geburt Jesu, Friede sei mit ihm, genannt Christmas zelebrieren […] mit ihren vier bis fünf Meter hohen Weihnachtsbäumen« nur um des Kommerzes willen (»nur für den Gewinn, für Geld«). Dies sei für Muslime unstatthaft und unpassend (»ein Fest einer Religion zu feiern, die nicht die Eure ist, währenddessen andernorts der Bau von Minaretten Muslimen verboten wird.«). Der Zusammenhang von Minarettverbot in der Schweiz und der Kritik an der Verbreitung von kommerziellem Weihnachtskitsch in der muslimischen Gesellschaft, erschließt sich auch mir nicht recht. Von einer »Hassrede« kann allerdings keine Rede sein, irgendwelche verbale Attacken gegen Christen fehlen gänzlich. Qaradawis Kritik ähnelt der Kritik an Halloween oder Santa Claus (im Gegensatz zum Christkind), wie sie bei uns immer wieder laut werden. Interessant ist, dass in der MEMRI-Wiedergabe das Lob Jesus mit den Worten »Friede sei mit ihm« durch Qaradawi zur Gänze fehlt, warum wohl?

Beim Nachrichtenmagazin ‚Der Spiegel‘ ist einem Redakteur die Phantasie gänzlich durchgegangen. Dort heißt es: »Und auch jenseits von Weihnachten sähe der einflussreiche Prediger die Rechte der Christen gern beschnitten: ‚Kirchen dürfen keine Kreuze mehr tragen. Kirchenglocken dürfen auch nicht mehr läuten‘, forderte er weiter.« Das ist eine reine Erfindung und findet sich nicht in der MEMRI-Übersetzung und schon gar nicht in der Originalrede.

Es ist äußerst bedauerlich immer wieder feststellen zu müssen, dass negative Schlagzeilen zum Islam sich von Medium zu Medium wie ein Lauffeuer verbreiten, ohne dass die vielen beteiligten verantwortlichen Redakteure auf die Idee kommen würden, ihrer journalistischen Sorgfaltspflicht nachzukommen. Stattdessen wird die Geschichte auch noch ausgeschmückt und angereichert. Es gibt auch im deutschsprachigen Raum genügend arabischkundige Menschen und Experten ohne ideologische Mission, für die es ein leichtes wäre, derartige Meldungen zu verifizieren bzw. zu falsifizieren.

Zum Schluss möchte ich noch anmerken, dass ich Scheich Qaradawis Ansicht nicht teile. Der Islam wird durch ein paar Weihnachtsbäume nicht gefährdet. Im Gegenteil; die Länder mit muslimischer Mehrheitsgesellschaft können bei aller berechtigten Kritik an der Kommerzialisierung religiöser Anlässe stolz darauf sein, dass christliche Feste sich in ihrem Straßenbild widerspiegeln. Das Fernsehprogramm vieler arabischer Sender liefert ein spezielles Weihnachtsprogramm. Es ist ein Zeichen dafür, dass religiöse Gruppen nicht nur friedlich nebeneinander existieren können, sondern darüber hinaus auch in der Lage sind, ein harmonisches Miteinander zu finden. So überflüssig die »Islamisierungsdebatte« in Europa ist; so unnötig wäre es vice versa eine »Christianisierungsdebatte« in der muslimischen Welt vom Zaun zu brechen.

In diesem Sinne besinnliche Feiertage und ein schönes neues Jahr 2010, aber auch ein schönes Jahr 1431 nach Islamischem Kalender, das am 18. 12. 2009 begann.

Tarafa Baghajati, Wien 26. 12. 2009

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