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Die Informationsverhinderer

Es soll in dem Artikel nur um Spirituosen gehen, nicht um nukleares Material. Ich will kein Interview mit dem französischen Präsidenten, sondern nur ein paar Informationen über Schnäpse und Märkte. Zehn Minuten Telefongespräch würden reichen, um meine Fragen klären zu können.

Tag eins, vormittags am Telefon. „Allô?“, sagt die Mitarbeiterin in der Pressestelle des internationalen Spirituosenkonzerns mit Hauptsitz in Paris. Ich stelle mich vor und erkläre, worum es geht. Es folgt die übliche erste Hürde: Ich solle mein Anliegen per Mail an die Pressechefin senden. Die würde sich dann melden. Ich ahne, dass die Presseabteilung und ich in den kommenden Tagen eine spannende Zeit miteinander haben werden.

Die Zeit vergeht. Journalisten sind leider anstrengende Leute. Denn sie wollen Informationen meistens recht schnell. Aber es gibt nun mal Redaktionsschlüsse, Abgabefristen und Arbeitsdruck. Journalisten müssen recht schnell wissen, welche Quellen ihnen zur Verfügung stehen – denn davon hängt es ab, ob der Artikel geschrieben werden kann.

Am Nachmittag rufe ich noch mal an. „Allô?“ Eine andere Dame, die weder den Namen des Unternehmens sagt, noch ihren. Ich erkläre, dass ich schon einmal angerufen habe und dass es um Informationen für einen Artikel geht. Sie fragt, ob ich den Artikel schicken wolle, damit die Pressestelle ihn gegenliest. Ich bin sprachlos – sage, dass das nicht üblich ist. „Ihre Pressesprecherin wollte mich zurückrufen“, sage ich. „Sagen Sie mir Ihren Namen, ich werde ihr Bescheid geben“, sagt sie.

Tag zwei. Ich warte bis zum späten Vormittag. Kein Rückruf, nirgends. Also rufe ich an. Jetzt ist die Sprecherin selbst am Telefon. Oui, pardon, sagt sie, sie sei im Stress, sie habe noch mit der Jahresbilanz zu tun. (Die ist bereits vor einer Woche bei einer Pressekonferenz veröffentlicht worden.) Sie sucht meine Mail. Es dauert. Sie liest mir meine Mail vor. Ob ich für meine Fragen einen Ansprechpartner oder von ihr die Informationen bekommen könnte. „Ich werde Sie per Mail auf dem Laufenden halten“, sagt sie. Sie sagt nicht: Wir melden uns so schnell wie möglich. Das ist immerhin ehrlich. Denn diese Phrase würde übersetzt bedeuten: Wir melden uns, wann wir wollen. Und wenn wir wissen, was wir sagen wollen und was nicht.

Tatsächlich kommt eine Stunde später eine Mail. Inhalt: Nichts anderes als ein Link zum Jahresbilanz-Vortrag vor einer Woche. Den kenne ich schon von der Homepage des Unternehmens. Ein Gespräch? Fehlanzeige. So schön Mails in dieser Welt oft sind – hier sind sie ein perfides Werkzeug, um Journalisten auf der Jagd nach Informationen auf Abstand zu halten. In einem Gespräch könnte man ja Fragen gestellt bekommen, die man nicht gleich beantworten kann oder gar welche, die kritisch sind. Dann doch lieber einfach einen Link schicken. Will heißen: Such, Journalist, such selber! Such in den 88 Seiten, ob da drin ist, was Du brauchst! Wenn es nicht drin ist, hast Du Pech gehabt. Am Ende der Mail schließlich noch der Hinweis, dass ich mich für Fragen zum deutschen Markt an die Kollegin in Deutschland wenden solle.

Ich gebe nicht auf und antworte der Dame. Bedanke mich, aber bitte noch um Auskunft zu ein paar Fragen, deren Antwort nicht in dem Online-Pressematerial steht. Zwei Stunden später der karge Hinweis per Mail: Wie sie doch bereits geschrieben habe, solle ich mich an die deutschen Kollegen wenden. Am Ende ein höfliches „bien cordialement“. Man wahrt die Form statt ehrlich zu schreiben: Journalist, lass mich in Ruhe.

Tage später erreiche ich die deutsche Kollegin des Konzerns, die wegen einer Jahrestagung mehrere Tage nicht erreichbar war. „Ja, ich wollte sie auch gerade anrufen“, sagt sie. Wir reden zehn Minuten, in denen sich schon einige meiner Fragen klären lassen. Und einen Tag später habe ich dann schriftliche Antworten auf meine gestellten Fragen. Es geht eben auch anders. Bei einer letzten Nachfrage zum französischen Markt werde ich höflich an die Kollegin in Paris verwiesen. Das stimmt mich heiter.

„Service de presse“ heißen in Frankreich die Presseabteilungen. Bei Service darf man nicht an Service, Bedienung oder Auskunftshilfe denken, oft ist das Gegenteil der Fall. Die Franzosen, sonst Meister der Unterhaltung und Rhetorik, sind in Pressestellen sehr oft nicht mehr wiederzuerkennen: abweisend, hierarchieängstlich, arrogant. Wenn man Pressesprecher nicht schon mal vorher auf einem Pressetermin getroffen hat, mit ihnen vielleicht ein Glas getrunken hat, dann prallt man oft an ihnen ab wie ein Tropfen an einer Scheibe. Dabei könnte man vermuten, dass Pressestellen von Unternehmen Medienanfragen aufmerksam bearbeiten oder gar schätzen: Zum einen müssten sie interessiert sein, dass keine falschen Daten veröffentlicht werden. Zum anderen könnte es ja sein, dass der Artikel über ihre Produkte indirekt auch einen positiven Werbeeffekt für sie hat.

Das ist Alltag für viele Journalisten in Frankreich. Französische Pressestellen sind leider oft professionelle Informationsverhinderungsstellen.

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