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Die Macht des Kohlrabi

Gestern abend entdeckte ich in unserem Lebensmittelladen eine Rarität: Kohlrabi. Nicht die verkümmerten, radieschengroßen Köpfe wie sonst gelegentlich, sondern richtig große Prachtexemplare. Ich freute mich. Und kaufte. Als ich später in der Küche stand und das Gemüse schälte, dachte ich sehnsüchtig an all die guten Dinge, die es in der alten Heimat gibt. Graubrot zum Beispiel und deftige Leberwurst. Ach, Deutschland!

Alle mir bekannten Auslandsdeutschen leiden unter Lebensmittel-Nostalgie. Sie kriegen leuchtende Augen, wenn sie über Magerquark und weißen Spargel reden, was sie übrigens sehr häufig tun. In New York gibt es Quark nur in ausgewählten Supermärkten. Er wird in Pennsylvania oder Vermont hergestellt, ist teuer wie eine Delikatesse und schmeckt trotzdem nicht annähernd so gut  wie ein 99-Cent-Quark von Rewe. Weißen Spargel gibt es überhaupt nicht, grünen Spargel hingegen im Überfluss. Weshalb das so ist, konnte mir bisher keiner erklären. Ich staunte, als ich diesen Herbst in einem Brooklyner Bioladen weißen Spargel entdeckte. Er kam aus Peru.

Wenn es stimmt, dass Liebe durch den Magen geht, dann, ja dann sind die Deutschen in New York die größten Patrioten. Wir fahren stundenlang mit der U-Bahn, um bei Schaller und Weber an der Upper East Side ein kleines Glas Essiggurken der Marke Kühne für 4,99 Dollar zu erstehen, und tauschen Adressen von Kneipen, in denen es deutsches Bier vom Fass gibt. Wir riskieren hohe Geldstrafen, wenn wir Schwarzwälder Schinken und Limburger Käse durch den Zoll schmuggeln, und verpassen keine der Vernissagen im deutschen Generalkonsulat, weil da ein wirklich guter Riesling ausgeschenkt wird und nicht das zuckersüße Zeug, das die Amerikaner mögen.

In Deutschland sind mir die unschätzbaren Vorzüge von Kohlrabi, Spargel und Essiggurken nie richtig aufgefallen. Lebensmittel-Patriotismus entwickelt sich wohl nur in der Ferne. Ein guter Grund, weiter in New York zu bleiben.

 

Foto: Christine Mattauch

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