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Gewaltenteilung auf Libanesisch

Der libanesische Innenminister Ziad Barroud ist ein Mann der Praxis. Das mögen die Menschen an ihm. Er schwafelt nicht nur über hehre Ziele wie „Nationale Einheit“, „Sicherheit“ oder „Recht und Ordnung“, er setzt sie in die Tat um. Im Kleinen, aber mit Signalwirkung. So hat der Minister, Ex-Vorkämpfer der libanesischen Bürgerrechtsbewegung, parteilos aber eher dem pro-westlichen Lager zuzuordnen, unmittelbar nach der Bildung einer Regierung der nationalen Einheit in der vergangenen Woche eine zukunftsweisende Vereinbarung mit der Hisbollah geschlossen: Erstmalig seit dem Bürgerkrieg ist die libanesische Polizei in großer Zahl wieder in der überwiegend von Schiiten bewohnten Dahiyeh präsent.

Die Dahiyeh, das sind südlichen Vororte von Beirut. Früher einmal überwiegend von der christlichen Mittelschicht bewohnt, haben sich hier während des Bürgerkrieges 1975 – 1990 immer mehr Schiiten aus dem Süden des Landes angesiedelt. Die Hisbollah fasste ebenfalls Fuß und errichtete hier ihr politisches Hauptquartier. Weil der libanesische Staat jahrelang durch Abwesenheit glänzte, übernahm die Schiitenpartei infrastrukturelle Versorgungsfunktionen aber auch die Sicherheitskontrolle. Drum ist die Dahiyeh eine Welt für sich: Die Hisbollah-Polizei regelt den Verkehr, Hisbollah-Sicherheitsleute sorgen für Ordnung auf den Straßen und kümmern sich unmittelbar um Auffälligkeiten vor allem ausländischer Besucher.

So ist es erst kürzlich wieder zwei ahnungslosen deutschen Touristinnen passiert. Sie hatten sich regelrecht in die Dahiyeh verirrt, wussten nicht, wo sie waren, fanden die Umgebung aber reizvoll und so ganz anders als das Zentrum Beiruts, und packten ihre Kamera aus. Kaum hatten sie ein paar Schnappschüsse gemacht und den Fotoapparat wieder in ihrer Tasche verschwinden lassen, standen schon ein paar junge Männer vor ihnen. Die Personalien bitte. Und dann wollten sie wissen, warum um alles in der Welt die Damen hier Fotos gemacht hätten. Wo doch jedes Kind im Libanon weiß, dass die Dahiyeh Sperrgebiet für jede Art von Kamera oder Tonaufzeichnungsgerät ist. Es sei denn, man hat eine Ausnahmegenehmigung der Partei Gottes. Es entspann sich eine längere Befragung der jungen Frauen, nachdem die Hisbollahis sie zunächst zuvorkommend gebeten hatten, auf Plastikstühlen auf dem Gehweg Platz zu nehmen. Auch für das leibliche Wohl wurde gesorgt, man reichte Tee und Wasser, fehlten nur noch die Kekse.

Die Hisbollah-Sicherheitsleute erklärten den beiden Ahnungslosen, warum dies so sensibles Gebiet sei: Weil die Partei, deren Führer auf der Abschuss-Liste der Israelis stehen, Sorge vor israelischen Spionen habe, die kämen, um potentielle Ziele zu demarkieren. Das geht übrigens nicht nur auf Paranoia und Kontrollsucht zurück, denn tatsächlich wurden in den vergangenen Monaten im Libanon mehrere Dutzend israelische Spione enttarnt und vor Gericht gestellt. Die deutschen Spaziergängerinnen waren geschockt: „Um Gottes Willen, wir sind doch keine Spione!“  Bleich saßen sie auf den weißen Stühlen. Doch statt der befürchteten Verschleppung in dunkle Verliese erhielten sie ihre Kamera zurück sowie noch ein paar freundliche Tipps für den Heimweg und damit war der Fall erledigt. Kein Einzelfall übrigens.

Für Deutsche mag das schockierend sein, für Libanesen ist die Geschichte wenig überraschend. Wie so etwas in Zukunft ablaufen wird, bleibt abzuwarten. Ob dann vielleicht Hisbollah-Schutzleute gemeinsam mit der regulären Polizei operieren? Oder ob die Staatsordnungshüter nur den Verkehr regeln dürfen, während die Hisbollahis die Hoheitsaufgaben in ihrer Dahiyeh lieber weiter selbst in die Hand nehmen? Es wird spannend sein zu beobachten, wie diese ‚Gewaltenteilung’ in der Praxis aussehen wird. Aber eines steht fest: Innenminister Baroud, der Mann der leisen aber entschiedenen Töne, hat es wieder einmal geschafft, dort Pflöcke einzurammen, wo andere nur lautstark Slogans durch die Gegend posaunen von der Notwendigkeit, die Souveränität des libanesischen Staates auf das gesamte Staatsgebiet auszudehnen.   

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