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Morgens auf dem Planeten Erde (7): Christchurch, Neuseeland

In der Nacht hat jemand ans Fenster geklopft. Schmierige Spuren, wahrscheinlich die Abdrücke einer feuchten Nase, überziehen die Scheibe. „Ein Possum“, stöhnt Susanne. „Mann, hat das genervt. Dauernd hat es mit der Pfote gegens Glas gekratzt.“ Ich habe nichts von dem Störenfried mitbekommen. Geschlafen habe ich wie ein Stein. Allerdings nicht in meinem Bett, sondern auf einer Stockbett-Pritsche in einer kleinen Berghütte.
Gestern Nachmittag hat mich Susanne nach der Arbeit abgeholt. „Candlelight Dinner auf Packhorse Hut“ stand auf dem Gutschein, den sie mir vor ein paar Wochen zum Geburtstag geschenkt hatte. Jetzt musste er endlich eingelöst werden, denn die Tage werden kürzer, die Nächte kälter – und in ein paar Wochen bricht meine deutsche Freundin ihre Zelte in Christchurch ab.

Nach einer halben Stunde Fahrt zur Banks Peninsula hatte Susanne das Auto geparkt. Wir stapften in Richtung Bergkamm los. Irgendwo da oben lag die Hütte – eine der unzähligen Wanderunterkünfte, die jedermann ohne Buchung zur Verfügung stehen. In dieser  Hinsicht ist Neuseeland vorbildlich. Ohne in die Natur einzugreifen, wird allen Outdoor-Freunden ein Service geboten, der wohl auf der Welt einmalig ist: Bestens angelegte und in Schuss gehaltene Wege, saubere Hütten und eine Fülle an Karten, Broschüren und Info-Stellen, die oft noch mit Filmen und allerlei Interaktivem bestückt sind.

Im Gegensatz zu all den Wander-Profis hatten wir unseren Kurztrip nur sehr oberflächlich vorbereitet. Ich hatte nicht mal ans Taschenmesser gedacht. In unseren Rucksäcken: Schlafsäcke, warme Merino-Wäsche, Taschenlampe, Kocher, Kerzen und Essen. Und eine alte verbeulte Sigg-Flasche. „Kannst du als Wärmflasche benutzen“, empfahl Susanne, die sich auf dem Sektor auskennt.

Wir ließen uns Zeit. Kletterten über Schafzäune, durchkreuzten einen Nadelwald, schauten auf das große, spiegelklare Becken des Lyttelton Harbours, gesäumt von Hügeln und herbstlichem Grün. Diese Stille! Kaum zu glauben, dass direkt dahinter Christchurch liegt, die zweitgrößte Stadt des Landes, wo jetzt tausende von Menschen von der Arbeit kamen, Auto fuhren, einkauften, rumhetzten. Wir setzten uns in der Höhe auf einen kleinen Felsen und ließen uns die Abendsonne ins Gesicht scheinen. Noch ein paar Schritte weiter, und wir konnten den Lake Ellesmere, ein kleines Binnenmeer, links von uns sehen. Wieder ein paar Meter weiter, und wir schauten der Sonne hinterher, als sie orangerot im Dunst über den Südalpen verschwand.

Nach zwei Stunden waren wir auf unserer Hütte. Es wurde schlagartig kalt, sobald die Sonne weg war. Zum Glück hatten wir das ganze Häuschen für uns, da wir während der Woche hochgelaufen waren.  In dieser DOC-Hütte steht sogar ein Kaminoffen, frischgehacktes Holz lag daneben. Für so viel Service hinterlässt man, natürlich auf Vertrauensbasis, vorab gekaufte Bons im Wert von 15 Dollar. Ein Witz, denn unsere Unterkunft hatte alles, was wir brauchten: Wärme, Ausblick, Abgeschiedenheit und solide Betten. Susanne steuerte Burritos vom Campingkocher bei und zauberte zum Nachtisch ein Tütchen Gummibären hervor.  Ich hatte noch Lindt-Schokolade. Müde, glücklich und satt kroch ich in den Sigg-gewärmten Schlafsack. Kein Wunder, dass ich das Possum überhörte.

Possums – nicht zu verwechseln mit dem amerikanischen Opossum – sind in Neuseeland eine echte Landplage. Sie fressen Jungvögel auf und Bäume kahl und dürfen daher hemmungslos gejagt und erlegt werden. Possumfell zu tragen, ist absolut „politically correct“, denn damit unterstützt man den Erhalt der einheimischen Flora und Fauna.
Flora und Fauna waren an diesem Morgen noch frostig kalt, als wir vor die Hütte traten, um das Plumpsklo aufzusuchen (wie gesagt, die Naturschutzbehörde DOC hat an alles gedacht). Als die Sonne endlich die Hütte erreichte, hatten wir bereits unser Müsli verdrückt, Tee auf dem Gaskocher gekocht, die Schlafsäcke verpackt und die ersten Schritte in Richtung Tal gesetzt.

Jetzt fuhren meine Kinder gerade zur Schule, mein Mann stand längst am OP-Tisch, und in meinem Computer stauten sich die ungelesenen Emails. Während der Morgen in Christchurch wie an jedem Morgen begann, starteten wir auf dem windigen Bergrücken in einer Stimmung in den Tag, die man nur mit Urlaubslaune bezeichnen kann. Der Rucksack saß schon viel besser auf den Schultern als am Vortag. Ich konnte mir gut vorstellen, jetzt einfach noch drei Tage weiterzulaufen. Flüsse durchqueren, Feuer machen, abends Sternenhimmel statt Fernsehen gucken. Wo doch all das so nah ist. „Andere müssen sich dafür über 20 Stunden ins Flugzeug setzen“, sagte Susanne. Hörte sich fast etwas wehmütig an.

Gegen Mittag erreichten wir das Auto. Es sprang nicht an. Die Batterie war leer. Keine zehn Minuten später hielt ein netter Mann mit Starthilfekabel. Auch darin sind sie vorbildlich, die Kiwis: Helfen und sich zu helfen wissen. Eine halbe Stunde später war ich schon wieder zuhause und warf den Computer an.  Von meinem Schreibtisch aus kann ich den Berg sehen, hinter dem sich die Packhorse Hütte versteckt. Sonne und Wolken werfen Schatten auf seine Flanken. Da oben pfeift jetzt der Wind. Das Possum muss sich warm anziehen. Und ich viel öfter wandern gehen.

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