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DER KAHLSCHLAG VON BELGRAD

Belgrader längste Straße ist sieben Kilometer lang und  heißt Boulevard des König Alexander. Seit 90 Jahren ist der Boulevard die schönste Allee der Stadt. So lange säumten 500 dicke, schattenspendende Platanen die breite Straße. Bis gestern.

 

 

 

 

Die Stadtverwaltung, die jahrelang die Kronen der Bäume gekappt hat, („zu hoch, zu gewaltig“) hat im Zuge der Umgestaltung des Boulevards beschlossen die Platanen abzuholzen. Weil sie krank seien – so die Erklärung. Die Ursache: die vorherige, unsachgemässe Beschneidung der Kronen.

Die Meldung wird in der Tagespresse veröffentlicht, zuerst ohne Resonanz. Dann melden sich namhafte Intellektuellen, Studenten und Schauspieler umarmen die Bäume, alle verlangen noch ein Gutachten. Die Presse schweigt. Die Pressekonferenzen der neugegründeten Bürgerinitiative gegen den Kahlschlag werden nicht beachtet. Über den Protest erfährt man nur in der Rubrik „Leserbriefe“ der Tagespresse.  Blogs und Facebook bieten die Plattform, auf der tausende von Unterschriften gesammelt werden. Am Ende ist der Druck so groß, dass die Stadtverwaltung einen neuen Gutachter beruft, der prompt erklärt, „nicht jeder Baum ist krank, nicht jeder Baum muss weg“. Es schien, als ob eine Einigung möglich wäre: nur kranke Bäume sollen ersetzt werden. An diesem Montag (1. März) sollte die endgültige Lösung gefunden werden.

Trotzdem werden  an diesem Wochenende a l l e Bäume, 500 dicke, 90 Jahre alte Platanen abgesägt.

Auf dem nassen Asphalt liegen gelbe, goldene, gesunde Stumpfe. In meiner Wohnung, im 4. Stockwerk mache ich laute Musik an, um nicht den bohrenden Ton der elektrischen Sägen zu hören. Eine Nachbarin weint, ich weine mit. Die Aktivisten umarmen die Bäume, erfolglos. Sie werden abgeschleppt, die Bäume abgesägt. Die Vogelnester klatschen auf den nassen Asphalt.

Für ein Land, das erst vor einem Jahr ein Umweltschutzgesetz verabschiedet hat, für ein Land das in Müll, Abgasen und qualmenden Deponien erstickt, stehen Bäume auf der Prioritätenliste weit unten.

Ich bin in meiner tiefsten Seele traurig. Mit diesen Bäumen ist ein Teil meiner Kindheit verschwunden.

Felix Serbia. Felix Belgrado.

Ohne Stadtvögel, ohne Bäume, mit Autos bepflastert.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Der Auslandskorrespondent als Hochleistungssportler

Normalerweise ziehe ich gut dreimal pro Woche beim Joggen meine Runden. Letzte Woche war es lediglich ein Spurt auf dem Rotterdamer Bahnsteig, um in allerletzter Sekunde doch noch den Zug nach Den Haag zu erwischen. Dennoch kam ich mir vor wie ein Hochleistungssportler – mit dem Unterschied, dass Auslandskorrespondenten Allrounder sein müssen und sich besser nicht spezialisieren sollten.

Das liegt nicht nur an Hollands Eislaufstar Sven Kramer, der in Vancouver bei den 10 Kilometern von seinem Trainer auf die falsche Bahn geleitet und disqualifiziert wurde, obwohl er Olympischen Rekord gelaufen war – ein menschlicher Fehler mit allen Ingredienzen einer griechischen Tragödie, die die gesamte Nation tagelang in Schockzustand versetzte. Jetzt lieben alle Kramer noch viel mehr als zuvor, denn der Sportler hat echte Grösse bewiesen und seinem Trainer verziehen.  

Für die Auslandskorrespondenten in den Niederlanden war dieser falsche Wechsel ein kurzer Zwischensprint, den wir unerwartet einlegen mussten – zwischen dem Platzen der Regierungskoalition, der am Wochenende zuvor die zweite Verlängerung der Afghanistanmission zum Verhängnis geworden war, und den Kommunalwahlen  am kommenden Mittwoch – beides eher mittellange Abstände.

 Die Afghanistanmission selbst hingegen beschäftigt uns schon seit Jahren und ist eher als Marathon einzustufen. Was auch für Geert Wilders gilt von der islamfeindlichen Partei für die Freiheit PVV. Wobei ein Ende des „Wilders-Marathons“ noch lange nicht in Sicht ist: Glaubt man den Umfragen, feiert die PVV nicht nur bei den Kommunalwahlen am 3. März Triumphe, sondern auch bei den Neuwahlen am 9. Juni.

 Wie sehr sich ein Land ändern kann, das merkte ich auch bei einer Arbeitsmarktreportage in Oss und Rotterdam (wo ich dann fast den Zug verpasst hätte): Denn bei Hartz IV-Empfängern kennen die Niederländer kein Pardon mehr: In neun von 10 Gemeinden müssen sie etwas tun für ihr Geld: „Voor wat hoort wat“, lautet das Motto, „keine Leistung ohne Gegenleistung“. Und deshalb falten niederländische Hartz IV-Empfänger Kartons, halten Grünanlagen instand oder montieren Antennen: „Irgendwas kann jeder“, so das Motto von Rotterdams Dezernenten für Soziales Dominic Schrijer.

Ach ja, und dann haben wir uns letzte Woche auch noch auf den Karadzic-Prozess vorbereitet, der nach mehreren Unterbrechungen am Montag endlich richtig losgehen soll. Auch das eher ein Endlos-Marathon. Aber noch ist nicht Montag. Und deshalb gehe ich jetzt erstmal joggen. Endlich.

 

 

 

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Puschen und Bettdecken raus: Der Frühling kommt!

Das chinesische Neujahrsfest heißt auf Chinesisch \\\’Chunjie\\\’: Frühlingsfest. Denn danach, so glauben viele Chinesen, beginnt unmittelbar der Frühling. Eine recht optimistische Annahme, denn das Fest liegt zwischen Ende Januar und Mitte Februar. Dieses Jahr aber scheinen zumindest die Shanghaier den Frühling herbeigeböllert zu haben. Noch bevor am Wochenende auf dem Laternenfest mit erneutem Großfeuerwerk die zweiwöchige Neujahrsperiode zu Ende geht, ist es warm geworden. Ganz plötzlich. Von 1 auf 22 Grad. Darauf reagieren die Shanghaier in den vielen Nebengassen und Wohnquartieren sofort: Sie stellen ihre Bettdecken und ihre traditionellen gestrickten Pantoffeln zum Lüften und Durchtrocknen auf die Straße, und reißen die Fenster auf. Ältere schieben Stühle in die Gassen und wärmen sich lächelnd in der Vorfrühlingssonne.

Denn der Winter hat es in sich: Nicht wegen der arktischen Temperaturen draußen, die selten unter den Gefrierpunkt fallen. Sondern weil Shanghai grade mal eben südlich des Yangtse-Stromes liegt, und südlich des Yangtse gibt es in China keine Heizung. Die Menschen wärmen sich also mit auf Heizbetrieb umgestellten Klimaanlagen oder Elektro-Radiatoren, die regelmäßig alle Sicherungen rausknallen lassen. Oder sie heizen gar nicht – und tragen auch zuhause Schichten aus langer Unterwäsche, Leggings, Pullovern und wattierter Kleidung. Auch die im Sommer von älteren Shanghaiern gern auf der Straße getragenen Schlafanzüge gibt es aus wattiertem Feincord für den Winter. Viele Kleinkinder stapfen als kleine Michelin-Männchen herum. Das Ende der feuchten Kälte ist für alle also auch ein Ende des ständigen Frierens. Insofern ist es höchst verständlich, dass die Menschen den Frühling mit größtmöglichem Getöse, Raketen in Hunderter-Batterien und 3 Meter langen Peepmanscher-Ketten begrüßen. Feuerwerk in Deutschland und D-Böller sind Kinderfasching dagegen.

Natürlich haben wir mitgemacht, wir wollen ja auch nicht mehr frieren. Ich habe im letzten Jahr die langen Unterhosen zuhause verweigert – und immer gefröstelt. In diesem, noch etwas kälteren Winter, habe ich klein beigegeben und sie schließlich angezogen – aber nun mit Freuden in den hintersten Winkel des Kleiderschranks verbannt. In der Hoffnung, sie nicht doch nochmal herausholen zu müssen.

 

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Im Zuckerland

Indonesier lieben es süß – zuckersüß sozusagen. Kaum ein Gericht oder Getränk ohne Zucker, sei es mit weißem, Roh- oder Palmzucker. Bestellt man seinen Kaffee oder Tee ohne Anmerkung, erhält man ihn in der Regel süß – nicht selten mit zwei bis drei Esslöffeln Zucker in einem großen Glas.

 

Schade eigentlich, denn viele Gegenden in Indonesien sind bekannt für ihren aromatischen Tee und Kaffee. Will man ein Getränk ohne Zucker muss man es dazu sagen. Aber selbst das reicht nicht immer aus. Als ich gestern Abend an einem Warung – so heißen hier die mobilen Straßenrestaurants – einen Tee bestellen wollte, habe ich wie üblich extra dazu gesagt, dass ich ihn bitte „bitter“ haben wolle. Wirklich nicht süß? Nein, wirklich nicht. Als der Tee kam, war er trotzdem süß. Also ließ ich das Glas zurückgehen. Der Verkäufer war überrascht: Wie ich das denn gemerkt haben könne? Er hätte doch nur einen Teelöffel Zucker daran getan! Kein Wunder, dass Indonesien eine der höchsten Diabetes-Raten der Welt hat…

 

 

 

 

 

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Sven Hassel. Auf englisch. In Russland.

Neulich habe ich danebengegriffen. In einem Moskauer Buchladen habe ich für umgerechnet 3 Euro Sven Hassel gekauft, auf englisch: „Wheels of terror“. Das Cover als Landserheft aufgemacht, aber immerhin steht hinten drauf: „He is a brilliant storyteller. The Washington Post“. Zwischen Cover und Buchrücken kämpfen Hassels Helden, eine Handvoll deutscher Strafbataillonskrieger an der wackelnden deutschen Ostfront, gegen Eis, Frost und „den Iwan“. Ganz harte Jungs, die Führer und Endsieg verlachen, Etappenhuren umlegen, Feldjäger zusammenschlagen oder durch die feindliche Linien robben, um die Bolschewisten zu schnappen, die gerade deutsche Kriegsgefangene kreuzigen. Hassels Deutsche sind brutal, aber geben sich politisch korrekt. Zwischen verzweifelten Rückzugsgefechten gegen die kleinen Sibirier mit den breiten Wangenknochen leisten die Knochenbrecher einer schwangeren Russin Geburtshilfe, ziemlich vergeblich, die Mutter stirbt, das Baby wird wenig später mit anderen Kindern von einem Artillerievolltreffer getötet.

Der Autor Hassel, Jahrgang 1917, ist Däne, hat nach eigenen Angaben in einem deutschen Strafbataillon an allen möglichen Weltkriegsfronten gekämpft. In Dänemark heißt es übrigens, er habe den gesamten Krieg dort als Nazihilfssoldat verbracht und seine Ostfrontdetails hinterher von dänischen SS-Ehemaligen aufgeschnappt. Dass Hassels Russen die Deutschen „Germanski“ nennen, läst ahnen, dass er nie mit Russen geredet hat. Keine Schande für den deutschen Buchhandel, dass sein Buch nicht hier, sondern in England verlegt worden ist. Aber traurig, dass es in Russland verkauft wird. In Russland verehrt eine ganze Subkultur die Wehrmacht, Fanclubs aus Bankangestellten und Studenten werfen sich am Wochenende in feldgraue Uniformen und frisch lackierte Stahlhelme und schleichen mit vorgehaltenen Mauserpistolen durch den  Birkenwald. Und das bei 28 Millionen sowjetischen Kriegstoten.

Es ist eine regelrechte Erlösung, als es in Hassels „Wheels of Terror“ endlich auch den Ich-Erzähler erwischt. Erst ein Bauchschuss, dann trifft ihn noch eine Kugel, „a lung-wound“ ist sein letzter Gedanke. Schöner Schluss. Aber warum habe ich mir die 300 Seiten vorher angetan?

 

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Als die Hippies vor der Flut flohen

Eigentlich hätte ich darüber vor einem Monat schreiben sollen. Aber ich urlaubte im Schnee der Schweiz und bestaunte am Bahnhof von St. Moritz die Damen mit Pelzstiefelchen, Lurex-Leggings und Silikon-Fischlippen, die direkt aus Moskau eingeflogen waren. Währenddessen traf man sich 18.000 Kilometer entfernt in meiner neuen Heimat zum Rainbow Gathering. Das Festival ist schon 37 und damit älter als die meisten, die dort per Anhalter hinpilgern. Ein Weltereignis, erstmals in Aotearoa, mitten in der Wildnis, vom schnöden Mainstream ignoriert.

Der Anblick von zigtausend Hippies in Dreadlocks und gebatikten Hanfhosen kann genauso verstören wie der reiche Russki-Export im Revier von Gunter Sachs. Aber auf einen Kräutertee vorbeigeschaut hätte ich schon mal gerne, allein aus anthropologischen Gründen. Auf dem Bahnhof von St. Moritz habe ich ja auch nur ein kleines Weilchen rumgestanden. Besuche in Menschenzoos sollte man so kurz wie möglich halten.  

So habe ich es also verpasst, das legendäre Fest der kommerzfreien, gewaltfreien, medienfreien, toilettenfreien, vegetarischen, jonglierenden, trommelnden, tätowierten, meditierenden, sich an den Händen haltenden und „Ommm“ singenden Gemeinschaft Gleichgesinnter. Aber nach und nach tröpfeln die Informationen bei mir ein. Sie umwabern mich wie der Rauch des Lagerfeuers, an dem meine Freundin Raven Abend für Abend glücklich bekifft saß. Eigentlich heißt sie Tracey, aber „Rabe“ ist seit dem Rainbow Gathering in Thailand ihr Stammesname. Schließlich standen die Hopi-Indianer Pate für die „größte Nicht-Organisation von Nicht-Mitgliedern der Welt“.

Schauerlich-Schönes kommt mir da zu Ohren. Zum Beispiel vom Mann mit der Axt – für einen Kiwi kein untypisches Accessoire –, in dessen Gegenwart sich einige Regenbogen-Frauen nicht mehr sicher fühlten. Die Polizei rückte an. Ein Helikopter kam. Dann kam der Regen. Dann die Flut. Das Camp lag in Bruce Bay, am Black River südlich der Gletscher, und in etwa so gut zu erreichen wie der mittlere Amazonas. Der Maori-Name des Flusses bedeutet „Steigendes Wasser“, aber das wussten die Nicht-Organisatoren aus aller Welt sicher nicht.

Als der Fluss über die Ufer trat, brach man die Tipis ab und floh Richtung Norden. Ein erboster Jäger stellte die Nachricht ins Netz: „Kommt ihr Muppets zurück nach Bruce Bay und räumt die Schweinerei weg, die ihr hinterlassen habt?  Die Wildnis ist keine verfickte Müllhalde!“ Auch Raven war etwas desillusioniert, nicht nur von den „Spähern“, denen sie ihr Auto lieh und die es irgendwo ramponiert stehen ließen. Zur Halbzeit schloss sie sich den „Piraten“ an, die anfingen, aus Rebellion Fleisch zu kochen.

Ach, es gäbe noch so viel zu berichten. Gestern hörte ich von der Hochschwangeren aus Deutschland, die sich auf dem Festival vier Wochen nur im Matsch suhlte. Sie war nach Neuseeland gekommen, um im Meer mit den Delfinen zu entbinden. Er lebt noch, der alte Menschheitstraum, und wenn ich nicht gerade wieder Ski fahre, dann bin ich dabei.

 

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Internetwerbung kann auch lustig sein

Die Motive des Internetanbieters Orange sind derzeit meine Lieblingswerbung. Sie zeigen, dass Internet Werbung eben nicht nur mit Zahlen und Fakten hantieren muss, um die Message rüberzubringen.

Fotos: Barbara Markert

 

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Stille bitte

Nun ist das Jahr des Tigers schon fast ‘ne Woche alt, und noch immer wird in Peking geballtert, was das Zeug hält. Vor unserer Wohnanlage stapelt sich der Feuerwerksmüll meterhoch – gigantische Papptonnen, aus denen die Knaller und Raketen abgefeuert wurden. Endlose Knallfroschschlangen. Ganze Straßenzüge sind mit den roten Papierschnipseln der  Knaller übersät.

Dank der Nachrichtenagentur Xinhua haben wir sogar Statistiken parat. Allein nach der Neujahrsnacht am vergangenen Wochenende hat die Stadtreinigigung 79,69 Tonnen Feuerwerksmüll beseitigt. Kein Gramm mehr, keins weniger. Wie langweilig wäre das Leben doch ohne die Zahlen und Statistiken der amtlichen Verlautbarer.

Aber der Müll ist mir eigentlich herzlich egal. Mir geht es um den Lärm. Da ist kein Ende abzusehen. Neujahr wird in China laut und vor allem lange gefeiert.Abend für abend  krachen die Donnerschläge, hallt es zwischen den mehrstöckigen Wohnhäusern der Nachbarschaft. Laut muss es sein. Am besten lauter. Ab und zu ein paar Leuchtrakteten-Farbkleckse am Himmel. Das ist ganz hübsch, aber auf Dauer etwas ermüdend. Vor allem muss es krachen. Am besten im Dauerbombardement.

Früher war – natürlich – alles besser. Auch die Neujahrsfeiern. Da galt in Peking nämlich  Feuerwerksverbot. Ach, herrliche Zeiten waren das. Stille. Einfach nur himmlische Stille.

Die wird erst in einer Woche wieder einkehren. Wenn der Abschluß der Neujahrsfeierlichkeiten ansteht. Gefeiert wird, wie es sich gehört. Mit einem gigantischen Feuerwerk natürlich.

 

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Paramilitärische Schuldeneintreiber

Das Material war schier unglaublich, das den Kollegen von der größten tschechischen Zeitung Mlada Fronta Dnes zugespielt wurde – so heiß waren die Infos, dass daraus ein Skandal entstand, der Politik und Wirtschaft gleichermaßen erschütterte: Videos waren es, die Männer beim paramilitärischen Training zeigten, mit Pistolen schießend, sich von einer Brücke abseilend, im Kampf gegen aggressive Hunde. Auch im Bild war ihre Uniform, abwechselnd ein schwarzes T-Shirt und eine schwarze Kampfweste, auf beiden prangt groß der Schriftzug „NTZ“.

Was die Zeitung enthüllte: Die Männer sind Stromableser beim größten tschechischen Energiekonzern CEZ. Seit Jahren hält sich der Konzern eine Sondereinheit, die mit regelrechten Rollkommandos allen auf die Pelle rückt, die angeblich ihre Stromrechnung nicht zahlen oder unter Verdacht stehen, illegal Strom abzuzapfen.

NTZ – Netechnické Ztraty heißt dieses Kürzel der Stromableser-Kampfeinheit, Nichttechnische Verluste. Die Journalisten von Mlada Fronta Dnes recherchierten auch einige Opfer des Sonderkommandos: Harmlose Familien zumeist, die in Einfamilienhäusern wohnen und plötzlich von sechs schwer bewaffneten Stromablesern heimgesucht wurden. Und es kursiert ein Video, auf dem ein Opfer der Stromableser vor laufender Kamera Selbstmord begeht.

Ohne die journalistische Enthüllungsarbeit wäre die Existenz dieser Einheit vermutlich nie ans Licht gekommen. Inzwischen hat sich selbst die Politik von den Praktiken des halbstaatlichen Stromkonzerns distanziert. Typisch war aber auch die erste Reaktion des zuständigen Ministers, als er die Videos vom paramilitärischen Training des Kommandos gesehen hat: Was sei denn daran Besonderes, wollte er wissen, das sei doch schließlich ein ganz normales Teambuilding.

 

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Mein Verbündeter von der ‟Bank Hapoalim“

 

Vorgestern war ich am „Kikar Hamedina“. Der „Kikar Hamedina“ wäre gerne die „Place Vendôme“ von Tel Aviv. Hier haben Louis Vuitton, Prada und Yves Saint Laurent ihre Dependencen. Aber der „Kikar Hamedina“, der „Platz des Staates“,  ist nicht elegant. Er sieht eher aus wie ein Ort auf dem Mond. Die teuren Boutiquen gruppieren sich um ein riesenhaftes staubiges Rund auf dem ein paar Bäume verloren herumlungern. Der „Kikar Hamedina“ ist ein verwirrender Ort, ein überdimensioniertes Karussell, ein Ort des Schwindels.

Vorgestern wollte ich mir am „Kikar Hamedina“ die Haare schneiden lassen. Bei einem Friseur, den mir meine Freundin Tal empfohlen hat. „Geh’ zu Moshe!“ hat sie gesagt, „du wirst sehen, er ist großartig!“ Tal weiß von meinem Friseur-Trauma. Von meinem Horror vor den ambitionierten Haar-Designern, die einen mal so richtig verwandeln und das Beste aus einem herausholen wollen und einen dabei für die nächsten fünf Monate bis zur Unkenntlichkeit verunstalten. Tal hat Geschmack und ich vertraue ihrem Urteil. Also wollte ich auch Moshe eine Chance geben. Vorausschauend fragte ich sie, an welcher Ecke des Platzes sich der Salon befindet. Sie erklärte mir, er wäre direkt neben der „Bank Hapoalim“ auf der Ecke Weizmanstraße. Alles klar.

Als die Zeit gekommen war, fuhr ich zu ebendieser Ecke, suchte die Filiale der „Bank Hapoalim“ und sah zu ihrer Linken eine Boutique mit teuren Handtaschen, zu ihrer Rechten ein Café. „Das geht ja gut los“, dachte ich. Vor der Bank saß ein Sicherheitsmann mit Sicherheitsweste und Metalldetektor, eine gehäkelte, bunte Kippa auf dem Kopf. „Der kennt sich hier aus“, dachte ich und fragte ihn nach dem Friseur-Salon „Pure“. Der Sicherheitsmann kannte sich aus, aber vor allem eben auf seinem Herrschaftsgebiet: den fünf Metern Bürgersteig vor der Bank, deren Sicherheit er sicherstellte. Er hob zu einer Erklärung an und als er nach links zeigte, wandte ich mich schon zum Gehen. Ich hatte es eilig. Der Sicherheitsmann erhob seine Stimme und sagte drohend: „Schon in der Thorah steht, ihr sollt erst hören und dann handeln!“ Er hatte noch viel mehr zu sagen. Ich ging trotzdem schon mal los. Nach links, wie er mir geraten hatte. Und siehe da, da gab es auch einen Friseur. Aber er hieß nicht „Pure“, sondern „Avi Reisz“. Ich machte auf dem Absatz kehrt und ging wieder zurück, an dem Sicherheitsmann vorbei, der mich schon von Weitem fragte „Und?“ „Nichts“, sagte ich. „Es ist nicht der Richtige.“ „Hast Du denn in dem Salon nach dem anderen Friseur gefragt?“, prüfte er mich. „Nein“, sagte ich. „Es war so voll da.“ Der Sicherheitsmann konnte es nicht fassen. „Das ist doch kein Grund. Hier um die Ecke ist noch ein Friseur. Geh’ da hin und frag’ die!“ Ich war folgsam und fragte die. Sie schickten mich nach rechts. Ich gab meinem Sicherheitsmann aus der Ferne ein Zeichen, dass ich jetzt nach rechts gehen würde. Ich lief den nächsten Abschnitt des Platzes ab und fand zwei Friseur-Salons. Aber auch sie hießen nicht „Pure“. Bis vorgestern hatte ich keine Ahnung, dass es am „Kikar Hamedina“ so viele Friseure gibt.

Ich war verzweifelt und rief Tal an. „Tal“, flehte ich, „ich irre hier am Kikar Hamedina herum und kann den Salon von Moshe nicht finden. Ich habe auch seine Telefonnummer nicht dabei und kann ihn nicht anrufen“. Tal fuhr gerade Auto und ich konnte die Anweisungen, die sie über ihre Freisprechanlage gab, nur bruchstückhaft verstehen. „…Handtaschenladen… Café… 58 …33….46…“ Das half auch nicht weiter. Ich bekam Schweißausbrüche und wusste nicht was tun. Deshalb kehrte ich zurück zu dem Sicherheitsmann. Er schien mir mein einziger Verbündeter in dieser Situation. „Geh’ jetzt in den Salon dort!“, sagte er mit einer Bestimmtheit, die keinen Widerspruch duldete und zeigte wieder nach links, wie schon beim ersten Mal. Er setzte nach: „Frag’ dort!“ Ich konnte nicht mehr eigenständig denken und tat, wie mir geheißen. „‘Pure’ ist dahinten, noch ein ganzes Stück in diese Richtung“, sagte der coole Friseur mit den Jeans, die ihm fast in den Kniekehlen hingen, lässig. Er zeigte mit laufendem Fön nach Rechts. Ich, raus aus dem Salon, wieder an meinem Sicherheitsmann vorbei, „Er hat gesagt, in diese Richtung“, warf ich ihm im Vorübergehen atemlos zu. „Viel Glück“, sagte der. Fünf Minuten später stand ich wieder vor ihm. „Weißt Du was?“, sagte mein Sicherheitsmann, einer plötzlichen Eingebung folgend, und stand von seinem Stuhl auf. „Setz Dich einfach hier hin und ich schneide Dir die Haare!“ Ich habe Moshe und seinen Salon schließlich doch noch gefunden. Wie, weiß ich nicht mehr. Es hat sich jedenfalls gelohnt.

 

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Eine Art libanesischer Karneval

Jedes Jahr am 14. Februar ziehen sie durch die Strassen, tausende junge wie alte Libanesen, Familien mit Kindern, grölende Jugendliche ausgerüstet mit libanesischen Flaggen oder den Fahnen ihrer jeweiligen konfessionell geprägten Partei. Die Stimmung ist ausgelassen, fröhlich, manchmal auch ein wenig aggressiv. Hier wird Dampf abgelassen. Es fehlen die farbenfroh dekorierten Wagen, Schnäpschen und Kamelle – aber sonst erfüllen diese Umzüge einen ähnlichen Zweck wie die im Rheinland und in Mainz in diesen Tagen: Zusammenstehen, Freude haben, im Wir-Gefühl baden und den Alltag vergessen. Die Gedenkdemonstrationen am Tag des Hariri-Attentats – gestern vor fünf Jahren – haben durchaus etwas Karnevalistisches. Oder gewinnt hier die Rheinländerin Oberhand, die es nicht lassen kann Äpfel mit Birnen zu vergleichen?

Am Sonntagmorgen gegen 9 Uhr ging es los mit dem Gegröle auf den Strassen. Mit Bussen wurden tausende herangekarrt. Dann heißt es Aussteigen und zu Fuß marschieren bis zum Märtyrerplatz, wo gegen Mittag zum großen Finale die ehemals oder immer noch anti-syrischen politischen Führer, allen voran Premierminister Saad al-Hariri, ihre jeweiligen Büttenreden, nein pardon, politischen Weisheiten und Einsichten dem Volke vortragen. Um 12:55 Uhr schließlich die Schweigeminute für den am 14. Februar 2005 ermordeten Rafik al-Hariri – ein Moment, der dem Spektakel etwas Würde zurückgibt. Viele Libanesen sind immer noch ehrlich aufgebracht über diese grausige Tat und machen die syrische Führung dafür verantwortlich. Damaskus weist diesen Vorwurf entschieden zurück.

Mit aufwendigen Plakat- und Fernsehkampagnen haben die Parteien des ehemals anti-syrischen Bündnisses für eine massive Teilnahme ihrer Anhänger geworben. Da wurde nicht gespart und ich bin nicht die einzige, die empfindet, man hätte das Geld besser anlegen können in diesem Land mit seiner extrem maroden Infrastruktur. Aber hier geht es nicht darum, den mündigen Bürger zufrieden zu stellen. Hier geht es darum, dem politischen Gegner und der Welt zu demonstrieren, dass man die Massen immer noch mit dem Märtyrer Hariri und der so genannten Zedernrevolution, dieser wunderbaren Erfindung des Westens, mobilisieren kann.

Von libanesischer Einheit kann dabei gar keine Rede sein. Mitnichten „Wir sind das Volk“ oder so was. Eher schon „Wir sind die Sunniten und wir haben was zu sagen, vor allem in Beirut“. Die beiden kleineren christlichen Parteien im Lande, die Forces Libanaises um Samir Geagea und die Kataeb um Amin Gemayel gesellen sich dazu, denn auch sie haben Märtyrer in den eigenen Reihen zu beklagen. Die sind nur nicht alle so bekannt wie Rafik al-Hariri. Die  Präsenz der Anhänger Geageas und Gemayels will aber auch heißen „Wir sind die Christen und wir lassen uns nicht marginalisieren“.

Der Umzug zum Gedenken an den bei einem Autobombenattentat getöteten Mr. Lebanon bleibt trotz dieser christlichen Komponente eine konfessionelle Kampfansage der Sunniten an die Schiiten, die Schätzungen zufolge eine knappe Bevölkerungsmehrheit im Libanon stellen. Auch wenn Sunnitenführer Saad al-Hariri viel von nationaler Einheit und einem Staat für alle Libanesen sprach. Die Schiiten haben übrigens am kommenden Dienstag ihren eigenen „Veilchen-Dienstags-Umzug“ – zum Gedenken an ihren Großmärtyrer, Imad Mughniyeh.

Der ehemalige militärische Führer oder Sicherheitschef der Hisbollah wurde am 12. Februar 2008 durch eine Autobombe in Damaskus getötet. Die Schiitenpartei und einige andere Libanesen vermuten die Drahtzieher für dieses Attentat in Israel. Die Großdemo am Dienstag in den südlichen Vororten Beiruts, bei der Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah zum Volke sprechen wird, ist eine direkte Antwort auf die Valentinstagskundgebung im Zentrum Beiruts. Ihre Botschaft: „Wir bringen mindestens ebenso viele Anhänger auf die Strasse wie ihr“. Und damit sind die beiden politischen und konfessionellen Hauptkontrahenten im Libanon, Sunniten und Schiiten, erstmal wieder quitt.

Am Aschermittwoch ist glücklicher Weise auch im Libanon alles vorbei, die Christen beginnen mit der Fastenzeit und alle anderen gehen wieder ihrem normalen Tagesgeschäft nach. Die libanesischen Bürger würden sich freuen, wenn dazu auch vermehrt gehörte, die marode Infrastruktur und beispielsweise das Gesundheits- und Schulwesen im Lande mal auf Vordermann zu bringen.

 

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ceterum censeo

Bin gerade aus Nordzypern zurück und frage mich wieder mal, warum alle – die UN, die EU – unbedingt ein vereintes Zypern wollen. Drei Jahre nur hielt die vereinte Republik Zypern nach ihrer Gründung vor 50 Jahren. Seit fast einem halben Jahrhundert patrouillieren Blauhelme auf der Insel, scheitern immer neue internationale Vermittlungen und Verhandlungen über eine Wiedervereinigung an der Angst, am Hass und am Misstrauen, das die beiden Völker füreinander hegen. Wäre es nicht an der Zeit einzusehen, dass nicht zusammenzuschweißen ist, was nicht zusammen gehört und nicht zusammen gehören will? Die Verhandlungen sind ohnehin zum sinnentleerten Ritual geworden, seit die EU die zyperngriechische Republik aufgenommen hat. Und die Zyperntürken werden demnächst ihren vereinigungswilligen Präsidenten Talat abwählen, nachdem ihr Ja zum Annan-Plan vor sechs Jahren nicht einmal mit einer Erleichterung der erdrückenden Embargos entlohnt worden ist. Von den zahllosen und endlos komplizierten einzelnenen Streitigkeiten zwischen Nord und Süd will ich gar nicht anfangen. ‘Alles auf der Welt ist lösbar, nur das Zypernproblem nicht’, sagen selbst die UN-Leute auf der Insel. Die endgültige Teilung von Zypern ist der einzige Weg. Ich frage mich nur, ob das nochmal ein halbes Jahrhundert dauern muss.

 

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Prost Neujahr! Tiger ohne Schiffbruch

Da ist es also fast: das Jahr des Tigers, und wie in meiner Wahlheimat üblich wird es RIESIG. Wir haben in Australien nämlich Superlative gern, größte Spinnen, giftigste Schlangen, längste gerade Bahnstrecken etc. Also, there we go: “Die g r ö ß t e n chinesischen Neujahrsfestivitäten außerhalb von Asien” feiert Sydney ab morgen, und wenn das Clover Moore, unsere Bürgermeisterin sagt, dann wird das wohl so stimmen. Ich hab mich immer gefragt, wie man derlei misst, zumal die Neujahrsfeierei zur Begrüßung des Tigers keine Veranstaltung mit Kartenverkauf und Drehkreuz ist, sondern eher eine Serie von Ereignissen und Möglichkeiten zu staunen und/oder Geld auszugeben. Das ganze dauert bis 28. Februar und es kommen auch echte Chinesen aus China: 300 “performer” aus Chongqing City zum Beispiel. Und dann sind natürlich unsere hiesigen chinesisch stämmigen Australier sowie ortsansässige Vietnamesen und Koreaner geladen. Groß und viel eben, größer geht’s nimmer.

Nebenbei macht sich Sydney im Jahr des Tigers um das Wohlergehen der Großkatze Sorgen: Laut World Wildlife Fund gibt es nämliche nur noch 3500 wilde Tiger, Tendenz rapide schwindend. Und das ist ja nun mal keine gute Sache. Wer also im Jahr des Tigers wilden Tigern Gutes tun will, so animiert Clover Moore, soll bitte einen Bengalischen Tiger adoptieren. Also nicht richtig echt jetzt, das gäb dann mit der Quarantäne wieder Ärger und mit der hiesigen Fauna auch. Eben mehr so ideell adoptieren. Kostet um die 60 Euro, first come, first serve-Basis. Besuchsrechte werden glaube ich nicht gewährt. Aber wie gesagt: es sind nicht mehr viele da, und ich bin überzeugt, dass die Sydneysider zum größten Neujahrsfest auch die meisten Tiger adoptieren.

Ps: aber nicht traurig sein, falls nachher keine Tiger mehr frei sind, man kann via wwf auch prima Orang Utans oder Schildkröten adoptieren. Denen gehts schließlich auch nicht so blendend.

 

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Timoschenko verdirbt den Umsatz

Mit der gebotenen Objektivität ist es manchmal schwierig. So liess sich unter der Herrschaft der Kaczynski-Zwillinge in Polen wohl kaum ein in Osteuropakorrespondent finden, der nicht genüsslich – wenn mithin vielleicht unbewusst – an den Stühlen der beiden Herren sägte. Wer Schwulenparaden verbot, Rechtsextreme im Bildungsministerium duldete und dazu noch Deutschland, Russland und die Auslandpresse gleich dazu beschimpfte, hatte schlechte Karten. So war die Freunde über die Niederlage der Kaczynski-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (www.pis.org.pl) bei den von Regierungschef Jaroslaw (der Zwilling ohne Muttermal im Gesicht) selbst angestrengten vorgezogenen Neuwahlen vom Herbst 2007  gross. Doch sie währte kurz: Keine Woche danach begann die Auftragslage einzubrechen. Polens Politik war langweilig geworden, niemand mehr sorge mit aberwitzigen Ideen wie psychologischen Gutachten über die sexuelle Orientierung von TV-Comicfiguren für Lachanfälle in den Nachrichtenredaktionen. Heute weiss ich: Ein Zwilling verkauft sich viel schlechter als zwei.

Doch immerhin hatten viele von uns noch die charismatische Julia (www.tymoshenko.ua) im Nachbarland. Seit gestern ist auch dieser Verkaufsschlager vom Tisch. Die eiserne Lady der orangen Revolution wird zwar noch ein paar Wochen zucken und kreischen, dann aber ist Schluss. Mein Blick mag von den Sparrunden der Verlage getrübt sein: Doch waren es nicht vor allem die festangestellten Korrespondenten, die vor den Wahlen behauptet hatten, es mache keinen Unterschied, wen das ukrainische Volk am 7. Februar zum Präsidenten wähle? Macht es eben doch!

 

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Schweizer Bankgeheimnis – Die fetten Jahre sind vorbei

Seit der jüngsten Bankdatenaffäre ist die Schweiz arg in der Defensive, die Stimmung unter den Eidgenossen gegenüber dem mächtigen Nachbarn im Norden mehr als gereizt.

Die Jungfreisinnigen Zürich, die Jugendorganisation der schweizerischen FDP, reagierten mit einem “Fahndungsplakat“. Die Freisinnigen “fahnden” nach Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble, wegen Banküberfall und Unterschlagung von Diebesgut.

Zwei Sichtweisen prallen hart aufeinander. Wer geklaute Bankdaten kauft, wie die deutschen Steuerbehörden, macht sich der Hehlerei schuldig, so die schweizerische Perspektive.

Das Schweizerische Bankgeheimnis dient der Steuerhinterziehung, Steuerflucht gehört damit zum Geschäftsmodell der Schweizer Banken, so die deutsche Sichtweise.

Als klar wurde, dass Deutschland sich nicht mehr nur am Hindukusch sondern auch am Schweizer Bankenplatz verteidigt, indem es illegal gesammelte Daten von deutschen Steuerbetrügern kauft, reagierten manche Eidgenossen mehr als schrill.

Eine “Kriegserklärung” polterte der Chef der Schweizerischen Volkspartei (SVP), Toni Brunner. Ein renommierter Universitätsprofessor forderte gar als Gegenmassnahme eine drastische Erhöhung der Studiengebühren für deutsche Studenten in der Schweiz. In sämtlichen deutschen Talkshows gaben sich rechte Scharfmacher und Verteidiger des schweizerischen Bankgeheimnis die Klinke in die Hand und zementierten einmal mehr das Bild des helvetischen Sonderlings in der Mitte Europas.

Doch dass das Thema in der Schweiz und unter den Eidgenossen selbst höchstumstritten ist, zeigte sich in den letzten Tagen, nachdem der Pulverdampf sich langsam gelegt hat.

Inzwischen regt sich unter den bürgerlichen Parteien Zweifel, ob das bisher als unverrückbar gegoltene Bankgeheimnis weiter zu halten ist. Noch vor einem Jahr sah die Mehrheit der politischen Elite das Bankgeheimnis als “unverhandelbar”, doch diese Front bröckelt nun.

Die SP, die Schweizerischen Sozialdemokraten kämpft seit Jahren schon gegen das Bankgeheimnis und für einen sauberen Finanzplatz. Die sozialdemokratische Aussenministerin Micheline Calmy-Rey zeigte nun sogar Verständnis für die deutschen Steuerbehörden.

Selbst unter den führenden Bankern wächst nun die Einsicht, dass sich die heimischen Finanzinstitute auf eine Zeit nach dem Bankgeheimnis vorbereiten sollten. Wann und wie das Bankgeheimnis fällt, ist noch nicht klar, aber die fetten Jahre mit ausländischen Schwarzgeldern dürften vorbei sein.

 

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Ein wenig kollegiale Hilfe für die Medien-Realität

 

Realität ist ein relativer Begriff. Jeder sieht eine andere. Und Medien machen sich ihre, so wie sie ihnen gefällt. Letztens wollte ich für eine Frauenzeitschrift eine Managerin porträtieren, die ihre Kollegen dazu anstiftet, sich gelegentlich nicht finanziell, sondern höchstpersönlich in Sozialprojekten zu engagieren. Und das in einem mittelamerikanischen Land, in dem gutverdienende Europäer üblicherweise in sicherheitsabgeriegelten Ghettos leben. Tolles Thema, fand die Redaktion. Man müsse allerdings ein professionelles Foto zum Text produzieren, ob die Dame dazu bereit sei und ich vorab bereits ein Passbild besorgen könne? Die Dame war bereit und mailte mir auch ein Passbild: eine sympathisch wirkende Vierzigerin, natürlich, ungeschminkt, nicht hässlich. Prompte Reaktion der Redakteurin: Ja, aus dieser Sache würde nun ganz bestimmt nichts, denn das ginge mit die Dame ja optisch überhaupt nicht. Das möge jetzt vielleicht hart klingen, aber so sei nun mal die Realität.

 

Vor ein paar Wochen bekam ich eine Mail von einem TV-Redakteur, der mich freundlich und sehr höflich um kollegiale Hilfe bat. Er suche eine brasilianische Gastfamilie für deutsche Kids, um eine Serie mit dem Titel „Die strengsten Eltern der Welt“ zu produzieren. Mit herzlichem Dank für meine Zeit und dem Extra-Hinweis, dass die Familien kein Deutsch oder Englisch sprechen müssten, weil mit Dolmetschern gearbeitet werde.

Eher beiläufig habe ich einer befreundeten Familie davon erzählt. Die waren Feuer und Flamme, weil sie meinten, so ein Kontakt mit einer fremden Realität sei für ihre Kinder eine tolle Erfahrung. Prima, dachte ich, und wir stürzten uns in die Korrespondenz mit dem netten TV-Redakteur. Die TV-Leute wollten viele Aktivitäten, einfache Lebensumstände, viel zu helfen für die Besucherkids und echte Werte. Meine Familie ist jung und sieht gut aus, sie ist nicht gerade wohlhabend, aber der Vater ist Segellehrer in einem Hotel, beide Eltern haben eine genaue Vorstellung davon, welche Werte sie ihren Kindern vermitteln wollen, alle spielen Capoeira – ich fand: besser geht’s nicht.

Der Redakteur schien das auch zu finden. Bei jedem Mailwechsel wurde er euphorischer bis zur vorläufigen Steigerung zu einem: „Ganz ehrlich, hört sich wirklich toll an! In dieser Familie wäre bereits alles vorhanden! Ein Foto von der Familie und dem Haus wäre dann die Krönung.“ Auch die Krönung bekam der Redakteur umgehend, und sie begeisterte ihn weiter. Also fingen wir an, über den möglichen Drehzeitraum zu mailen, er fragte an, ob in einem Zeitraum von drei Monaten alles möglich sei oder Urlaube etc. geplant wären – und die Familie begann sich allmählich auf den Besuch aus Deutschland einzustellen. Fehlte nur noch das endgültige OK des CvD, so unser Redakteur, der sich inzwischen mit „ganz liebem Dank“ und „ganz liebe Grüße“ sowie „grüßen Sie die Familie von mir“ von mir verabschiedete.

Seine nächste Mail lautete wie folgt:

Liebe Frau Wollowski!

Ich hoffe, Sie sind gut ins Neue Jahr gekommen?!

Ich habe nun Rücksprache mit meiner CvD gehalten und Sie findet die Familie grundsätzlich in Ordnung. Allerdings ist sie noch nicht zu 100% zufrieden, da das Umfeld einfach etwas zu „freundlich“ ist.

Wir wissen, dass es nicht möglich ist, in irgendwelchen Slumgegenden zu drehen – da kennen Sie sich sicher noch besser aus und werden das sicherlich bestätigen.

Wir würden uns gerne – sofern das für Sie und vor allem für die Familie in Ordnung ist – die Familie rund um F.J. merken, d.h. wir würden unter Umständen zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal auf diese Familie zurückkommen.

Ich würde Sie nun gerne weiter um Ihre Hilfe bitten, sollten Sie noch weitere Familien kennen.

Der Idealfall wäre eine Familie, in der vielleicht ein Teil Deutsch oder zumindest Englisch spricht, die sich – da wir nicht in Slums drehen können – sozial engagiert. Jugendzentrum o.ä.

Oder eine Familie, die sich mit Hilfe eines eigenen Betriebs über Wasser hält. Auch hier: Es ist natürlich – und das kann es auch nicht sein – kein Muss, dass die Familie Deutsch spricht. Aber vielleicht kennen Sie noch weitere Familien???

 

Liebe Grüße aus dem weißen Deutschland!

 

Ich kenne keine Familie, die idealerweise in einer Favela wohnt, zwei- bis dreisprachig ist, den Kindern Werte vermittelt, aber doch ständig ums Überleben kämpft, bzw. sich neben dem Überlebenskampf ehrenamtlich sozial engagiert – und trotzdem Zeit und Lust hat, zwei verzogene deutsche Teenager aufzunehmen und sich dabei rund um die Uhr filmen zu lassen.

Auf meinen dementsprechenden Hinweis und meine freundliche Weigerung, kostenlos als kollegiale Hilfe weitere Familien auszuwählen, zu fotografieren, und ihnen Fragebögen zu übersetzen, antwortete der freundliche Redakteur nicht.

Eine Woche später bekam ein WR-Kollege von einer Dame aus ebendieser TV-Produktion eine freundliche Mail, in der sie um ein wenig kollegiale Hilfe bat.

 

foto: schöne bunte slumgegend ohne gefährliche menschen (wollowski)

 

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\”Nehmt ihn fest und erschiesst ihn!\” – wenig Sympathie für Roman Polanski in den USA

 

Auf der Berlinale wird Roman Polanskis neuster Film ‘The Ghost’ am Dienstag Weltpremiere feiern. Hollywoodstars und Filmschaffende aus aller Welt haben sich für die Freisprechung des Regisseurs ausgesprochen und dafür, die Diskussion um eine Tat, die 32 Jahre zurück liegt, zu beenden.

In den USA geht die Stimmung im \’Fall Polanski\’ in die entgegengesetzte Richtung. Besonders seit Ausschnitte aus den Gerichtsprotokollen von 1978 veröffentlicht wurden. 

Die Los Angeles Times beispielsweise berichtete basierend auf den Protokollen detailliert über die Begegnung des 43 jährigen Regisseurs mit dem 13 jährigen Mädchen im Whirlpool von Jack Nicholson. Davon, wie Polanski ihr Drogen gab, wie das Mädchen mehrfach ‘nein’ sagte zu Aufforderungen, sich auszuziehen, ‘nein’ sagte zu verschiedensten Formen von Sex und der Regisseur doch bekam, was er sich wünschte.

Diese Informationen brachten nicht nur den links-gerichteten Talkshow Moderator Bill Maher in Rage. Maher erklärte in seiner Show, er verstehe nicht, wie Filmschaffende, die er für ihre Arbeit bewundere, Polanksi mit dem Hinweis verteidigen können, die Tat sei vor 32 Jahre geschehen. Er verstehe dagegen, warum ein Muslim, der hört, dass Hollywood den Regisseur verteidigt, die USA in die Luft sprengen wolle. Selbst die üblicherweise besonnen argumentierende politische Kommentatorin Cokie Roberts verlor beim Thema Polanski die Contenance und sagte in einem ABC-Interview: ‘Roman Polanski ist ein Verbrecher. Er hat ein Kind vergewaltigt und ihm Drogen gegeben, dann ist er geflüchtet bevor er verurteilt wurde. Wenn es nach mir ginge, würde er gefasst und erschossen!’

Seit Ende der 70er Jahre hat sich die Einstellung der US-Gesellschaft zu Sex mit Minderjährigen deutlich verändert. Haftstrafen für Sexualstraftaten sind heute im Durchschnitt mindestens viermal so lang wie 1978, als Polanski vor der gerichtlichen Verfolgung ins Ausland floh. Es wäre heute höchst unwahrscheinlich, dass in einem ähnlichen Fall die Staatsanwaltschaft alle Klagepunkte wegen gewalttätiger Handlungen fallen ließe. Auch wenn es nicht schaden kann, dass reiche und mächtige Peronen aus der Filmwelt sich für den Regisseur einsetzen, stärkt dieser Einsatz in manchen Teilen der Bevölkerung die Überzeugung, dass Hollywoodstars in einer Welt weit entfernt von Realität und Werten der Durchschnittsbürger leben.  

Wenn Polanski zurück in die USA kommen muß, erwartet ihn neben der scharfen Kritik ein stark veränderter Medienmarkt. Paparazzi werden ihm am Flughafen, vor Gericht, Hotels und Restaurants auflauern und ihn gnadenlos verfolgen. Kabelfernsehen, Blogger und Komiker das Thema rund um die Uhr kommentieren. Er wäre vermutlich besser beraten gewesen, sich vor 32 Jahren dem Gericht und der Öffentlichkeit in den USA zu stellen.         

 

 

 

 

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Kritische Kernspaltung

Vor ziemlich genau einem Jahr machte ich mich zu einer Reise durch das lange Schweden auf. Ich wollte der jüngsten Wendung im Dauerstreit um die Atomkraft nachspüren. Die bürgerliche Regierung in Stockholm hatte gerade den Ausstieg aus dem Ausstieg beschlossen. Die alten Meiler sollten länger laufen dürfen, bei Bedarf sogar neue entstehen.  Aus seinem Bürofenster im stillgelegten AKW Barsebäck  betrachtete Leif Öst  ein Spalier von Windmühlen im Sund vor Kopenhagen. Der scheidende Kraftwerkschef führte damals das Kommando über 200 Arbeiter und Ingenieure in einer absurd anmutenden Zwischenwelt – während sich die einen noch Gedanken über die Abwicklung machten, planten die Kollegen nebenan schon die Reaktoren von morgen.   

Wie all ihren Besuchern, versicherte mir Jenny Rees von der Atomfirma SKB, das Problem mit der Endlagerung sei gelöst. Rund 10 000 Atomtouristen schleusen Jenny und ihre Kollegen alljährlich durch den Versuchsstollen  unter einer idyllischen Halbinsel bei Oskarshamn .  450 Meter tief im Granitgestein soll der Strahlenmüll, eingehüllt in 25 Tonnen schweren Kupferkapseln, bis in alle Ewigkeit ruhen.

Auch in der Atomgemeinde Forsmark, die am Ende den Zuschlag für den Bau des Endlagers erhielt, strahlten sie einen überraschenden Optimismus aus. Ausländischen Fernsehteams wurden so oft die badenden Kinder im warmen Abflusskanal des Pannenreaktors vorgeführt, dass sich das Bild vom „Schwedischen Atomidyll“ zwangsläufig aufdrängte.

Dabei brodelte es schon damals gewaltig hinter den Kulissen. „Schweden ist furchtbar abhängig von der Atomkraft und das Zentrum hat ein Problem mit der Demokratie“. So brachte etwa Christer Jonsson aus Kalmar seine Enttäuschung über den drastischen Kurswechsel seiner Partei auf den Punkt. Wie so viele seiner Parteifreunde ist der einflussreiche Lokalpolitiker überzeugter Atomkraftgegner. Dass ausgerechnet das bäuerliche Zentrum, lange Jahre eine feste Bastion des Widerstands, den drei Jahrzehnte gültigen Volksentscheid kippte, können viele an der Basis nicht begreifen. Zumal sie nicht gefragt wurden. Den Kurswechsel habe die Vorsitzende Maud Olofsson an der Partei vorbei organisiert, monieren die Kritiker. 

Die muss sich nun warm anziehen. Mindestens drei parteiinterne Widerständler im Parlament wollen bei der noch vor den Wahlen im September anstehenden Abstimmung über den Energiekompromiss ihre Stimme verweigern. Die Schauspielerin Solveig Ternström (Jahrgang 1937) erklärte, sie ließe sich selbt vor einer Pistolenmündung nicht umstimmen. Und ihre Parteifreundin Eva-Salin Lindgren geht noch einen Schritt weiter. Wie es denn sein könne, fragt die Kernphysikerin, dass mit der Entwicklung der Endlagermethode ausgerechnet die Atomfirma SKB betraut sei. In der Tat werden aus einem staatlich verwalteten Rücklagenfonds für die Atomendsorgung Projekte finanziert, die SKB in Auftrag gibt. „Wir brauchen mehr unabhängige Forschung“, fordert Lindgren.

Der Aufruhr gegen den Energiepakt könnte für das Zentrum böse Folgen haben. In jüngsten Umfragen kratzt die Partei gefährlich an der 4-Prozent-Hürde.

 

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Feiern am Rande der Erde

Die norwegische Kleinstadt Kirkenes liegt am äußersten nordöstlichen Rande des norwegischen Festlandes – von Oslo in etwa so viele Kilometer entfernt, wie Oslo auch von Rom entfernt ist. Seit einigen Jahren findet hier jährlich das Barentsspekatekel statt, ein Festival mit Theater, Musik, Kunst und Literatur. Vor allem die Beziehungen zum (oder besser: zu den) russischen Nachbarn – die Grenze ist 40 Kilometer entfernt – soll(en) durch das Festival auf dem nicht-politischen Wege verbessert werden. Scharenweise wurden russische Journalisten nack Kirkenes geladen, ebenso Künstler. Der hohe Norden (Highnorth oder Nordomradene) ist für Norwegen eine der wichtigsten Gegenden, schießlich gibt es hier einen Grenzkonflikt mit Russland (die Ziehung der Wassergrenze ist seit Jahrzehnten ungeklärt), in der Barentssee (dem russischen und norwegeischen Teil) werden umfangreiche Rohstoffvorkommen vermutet und der Klimawandel eröffnet die Nordostpassage, die an Kirkenes vorbeiführt. Die Stadt dürfte also Zukunft haben. Kulturell erlebt sie dieser Tage Anfang Februar einen kleinen Boom – am Eröffnungsabend bewiesen Musiker der nördlichen Naturvölker in Schweden, Finnland, Russland, Norwegen und Amerika, dass sie Musik machen können, die mit dem Klischee der Folklore nichts am Hut hat, sondern was den Stimmeneinsatz angeht sich eher mit Blixa Bargeld oder Gry Bagoien messen lassen muss. Allein für diese Auftritte hat sich die weite Anreise schon gelohnt, haben die letzten zwei Festivaltage noch gar nicht begonnen.

 

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GOOGLE GRÜßT, NUR DAS GELD, DAS GIBT ES NUR EINMAL

 

Freude auf allen Ebenen: Die Hirnwindungen arbeiten auf vollen Touren, die Gedanken prasseln in die Tasten, die Texte schreibe ich so lange um, bis die Endfassung stimmt, dann – geschafft. Noch up and away per Mail – und das in Hamburg schlummernde Bankkonto freut sich auch.

Eine volle Woche bin ich mit der Wahl des neuen Patriarchen der Serbisch-Orthodoxen Kirche beschäftigt. Ich liefere einen Vorbericht, in dem es um Querelen unter den Bischöfen geht, eine erweiterte Nachricht, dass doch, wie vorgesehen, die Wahl an diesem bestimmten Freitag stattfindet und nicht verschoben wird, gebe weiter die Mutmaßungen über die möglichen Kandidaten. Berichte schließlich über die Wahl selbst und über die Inthronisierung des neuen Patriarchen. Ein Portrait des Erwählten und Neugewählten gehört dazu.

All das könnte zur normalen journalistischen Arbeit gehören, wenn die serbische Kirche nicht so geheimnisvoll täte. Keine Nachricht dringt aus der Patrijaršija, dem Kirchenhauptsitz, nach außen. Es scheint, als ob die hohen Kirchenherren eher das Zwiegespräch mit Gott bevorzugen, als dem Volk Auskunft über ihr Tun zu gewähren. Zwar hat die Kirche eine Website, jedoch steht auf dieser Website nichts, was weiterhelfen würde. So hieß es zuerst, die Wahl würde am Freitag, dem 22. Januar, stattfinden, wie lange sie aber dauern würde – das stünde in Gottes Hand. Die Inthronisation KÖNNTE dann am kommenden Mittwoch, am 27. Januar, stattfinden. 

Nach dieser Meldung folgten Tage der Stille. Bis die Popen sagten, naja, möglich wäre es, daß die Wahl länger dauert. Zwei Tage oder so. Und: Die Thronbesteigung wäre dann – am Sonntag.

Ich und Rainer Clos, der zuständige Redakteur beim EPD (Evangelischer Pressedienst), stehen täglich bei Fuß und bereden das mögliche Prozedere, ohne genau zu wissen, was wann passieren wird.

Und dann wird plötzlich alles anders: Nach nur drei Stunden ist der Patriarch Irinej am Freitag gewählt worden, die Inthronisation folgt am Samstag vormittag. Nun telefoniere ich wie wild, um zu erfahren, zu welchem Flügel der neue Oberpope zählt, denn die serbische Presse hat zwar viele von den Bischöfen durchleuchtet, nur diesen Irinej nicht. Die Beschaffung der Fotos stellt das nächste Problem dar. Keiner der befreundeten Pressefotografen hat die Akkreditierung für die Patrijaršija bekommen – also keine Fotos. Diese aber braucht  die Redaktion unbedingt, also weitersuchen. Die Belgrader Presseagentur BETA macht am Freitag um 16 Uhr dicht, auch hier keine Hilfe. Schließlich, nach unzähligen Telefonaten, sind die Fotos gefunden, und am Samstag um 14 Uhr ist alles vorbei.

Die Belohnung für meine göttlichen Dienste war dicke. Die Artikel werden in Deutschland unzählige Male übernommen, sogar der Vatikan tut es, die Texte erscheinen auch in Russisch.

Wunderbar, alles easy, meine Präsenz bei GOOGLE hat zugenommen, nur das Geld, das gibt es nur einmal.

 

 

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Adrià macht Pause

Vor ein paar Tagen hat Kataloniens Weltstar Nr. 1, der Koch Ferran Adrià (keinen Einspruch bitte!), eine zweijährige Auszeit angekündigt. 2012 und 2013 macht er Pause vom El Bulli, das noch immer – und schon seit Jahren – als bestes Restaurant der Welt gilt. Dpa begann die entsprechende Meldung mit dem Satz „Für Gourmets aus aller Welt ist es ein Schock“.

Da musste ich an mein erstes Gespräch mit Adrià vom Herbst 2005 zurückdenken, für die Zeit-Serie „Ich habe einen Traum“. Damals sagte Adrià, kaum war die Frage nach seinem Traum gestellt, wie aus der Pistole geschossen: „Ich will mit allem aufhören.“ Ganz so wollte er das dann doch nicht gemeint haben. Aber es war deutlich der Druck zu spüren, der auf ihm lastete – nach mehr als einem Jahrzehnt voller Erfindungen und Umstürze in der Avantgardeküche, die von seinem Restaurant ausgegangen waren und die ihn selbst meist ebenso faszinierten wie seine Gäste. Würde er nun jedes Jahr mindestens eine revolutionäre neue Technik aus dem Hut zaubern müssen?

Ich habe seitdem noch vier oder fünf Mal länger mit ihm zusammengesessen. Ich war zweimal im El Bulli zu Gast und habe außerdem ein El-Bulli-Retromenü im von Adrià betreuten Hotel Hacienda Benazuza gegessen (immer wieder fiel mir dabei der Spruch eines Gastronomie-Autors ein: „Man muss schon eine Menge Kaviar essen, um sich seine Linsen zu verdienen“). Ich bin ein großer Adrià-Fan, auch weil sich der Chef immer noch selbst über seinen phänomenalen Aufstieg wundern konnte. Und gerade als Fan muss ich sagen: Die Auszeit – ein Schock? Im Gegenteil. Ich freue mich, dass Adrià nun tatsächlich die Kraft (und das Geld) gefunden hat, mit seinem Traum ernst zu machen. Es war sicher für seine Gesundheit eine weise Entscheidung.

Aus gegebenem Anlass – ähem – hänge ich hier noch einen Artikel über meinen El-Bulli-Besuch 2008 an, den ich vor eineinhalb Jahren für ein deutsches Gourmetmagazin geschrieben habe. Er sollte Teil eines Dossiers über die sogenannte Molekularküche und deren chemische Abgründe sein, das dann nie zustande kam. Insofern: ein Erstabdruck.

And it goes like this:

Ein Abend im El Bulli beginnt nicht mit dem Blick in die Karte, sondern mit einem Blick hinter die Kulissen. Noch bevor man Platz nimmt, wird man zur Stippvisite in die Küche geleitet, darf einmal die blitzenden Anlagen besehen und dazwischen die herumwieselnden Köche. Ferran Adrià begrüßt jeden Gast und und hält, wenn gewünscht, auch kurz für ein Erinnerungsfoto still. Offener kann ein Empfang kaum sein.

Das Menü, andererseits, könnte kaum geschlossener sein. Der Gast hat keine Wahl (nur auf Unverträglichkeiten darf er hinweisen). Gegessen wird, was der Küchenchef für richtig hält. Man muss sich überraschen lassen. Erst im Nachhinein gibt es ein Faltblatt mit der Speisenfolge – als Gedächtnisstütze zum Mitnehmen. Die freie Entscheidung jedenfalls, dieses oder jenes zu ordern, die tritt man im El Bulli ab. Niemand beschwert sich darüber. Denn hierher kommt man ohnehin nicht, um gepflegt nach eigenem Gutdünken Essen zu gehen. Man will sich ja überraschen lassen. Und Überraschungen bestellt man besser nicht à la carte.

Das Menü hebt allem Anschein nach mit dem klassischen regionalen Dessert an, einer Crema Catalana. Bis die Zunge diesen Eindruck korrigiert: Tatsächlich löffelt man gerade einen Begrüßungs-Cocktail aus Zitrone, Joghurt und Gin. So beginnt ein knapp vierziggängiges Spiel mit Assoziationen, Erwartungen, Wiedererkennungs-Effekten und falschen Fährten, das über mehr als drei Stunden hinweg die Aufmerksamkeit des Gastes fast vollständig in Anspruch nimmt. Zum möglichst „ganzheitlichen“ Genuss all der Kleinigkeiten, die am Tisch anlanden, braucht man bei weitem nicht nur einen erfahrenen Geschmacks- und Geruchssinn. Auch die Augen müssen wachsam sein, das Gehirn bekommt zu tun, die Fingerspitzen sollten sensibel sein und hoffentlich hat man obendrein Humor. Sind so weit alle Elemente zu Hochtouren in der Lage, dann steht einem einzigartigen Abend wenig im Wege.

Dabei gibt es in diesem Jahr gar keine spektakuläre Neuerung zu präsentieren. Die wahrhaft bahnbrechende Zeit des El Bulli liegt bald ein Jahrzehnt zurück. Einige Techniken aus Adriàs „Labor“ haben sich längst popularisiert. Und einen neuen, etwa der „Sferificacíon“ vergleichbaren Clou fährt der Chef diesmal nicht auf. Aber es wäre natürlich völlig falsch, die Originalität des Bulli-Menüs an solche Neuerungen zu ketten. Der Gast im Saal vermag einen komplexen experimentellen Geniestreich ohnehin nur selten direkt zu würdigen. Dass ein Tomatenkeks aus der Snack-Parade des ersten Menü-Teils zum Beispiel ganz ohne Mehl auskommt, mag eine technische oder chemische Innovation bedeuten. Dem Esser nützte diese Information kaum, weshalb die Bedienung sie für sich behält. Der „molekulare“ Aspekt der Küche bleibt damit im Grunde aus dem Essenssaal verbannt.

Für den Gast zählt etwas anderes. Ihm kommt es auf die „Chemie“ und den Tanz der Moleküle eher in einem übertragenen Sinn an. Und in diesem Sinn ist das El Bulli auch im Jahr 2008 eine euphorisierende Erfahrung. Natürlich überzeugt nicht jede Kleinigkeit. Aber das Menü im großen Bogen ergibt doch so etwas wie ein sinnliches Gesamtkunstwerk. Der japanische Einfluss in Adriàs Küche scheint stärker zu werden, vom gefalteten Nori mit Schwarzer-Sesam-Butter über die Shiso-Praline bis hin zur Kombination von Abalone mit Shimenshi-Pilzen. Trotzdem bleiben die charakteristischen Züge der Bulli-Küche bestimmend: Die meisten Gerichte werden kalt gegessen. Entschieden kauen muss man nie. Auch auf Messer wird verzichtet; alles lässt sich entweder bequem mit der Hand oder mit Löffel und Gabel (meist im Kleinformat) verspeisen. Die Trennung zwischen süß und salzig gilt nur noch wenig: Eine gegrillte Erdbeere mit Holzkohlenaroma wird ebenso gereicht wie Kaviar an Kokosmilch; besonders minimalistisch: die „LYO-Sahne“, ein Brocken liophilisierter saurer Sahne, gekrönt von einem Tupfer süßer Sahne. Meeresfrüchte gelten mehr als Fisch: Dafür stehen die Schwertmuschel mit Gelatine aus Dashi und Yuzu ebenso wie die Entenkammmuscheln im Fond aus Foie mit Eiskraut und schwarzen Trüffeln. Geschmähte Fleischstücke gelten mehr als gefeierte: Das sieht man an der Kalbssehne in Estragonbrühe, an der Suppe aus Knochenmark oder an der Speicheldrüse vom Ibérico-Schwein mit Shitake-Pilzen und Siempreviva-Kaktus; besonders gewagt kamen Meeres- und Landgetier bei der Seeanemone mit Austern und Kaninchenhirnen zusammen (siehe oben).

Natürlich bleibt es im Kreuzfeuer der Einfälle, Arrangements und Montagen eine entscheidende Frage, ob das Essen schmeckt und wonach. Und doch büßt die Geschmacksfrage etwas von ihrer üblichen Übermacht ein. Denn irgendwann gelangt man im Zusammenspiel aller Elemente auf eine Art zweite Erfahrungs-Ebene. Auf der ist das Essen nur noch das zentrale Element einer weiterreichenden Erfahrung, die vom Glück des Flüchtigen handelt und vom Versuch, es zu fassen zu kriegen. Mag sein, dass Adrià diese Ebene nicht geradewegs ansteuert; mag sein, dass viele Gäste, je nach Zerstreutheit oder Begleitung, sie gar nicht wahrnehmen. Aber es gibt sie. Sie wird zum Beispiel spürbar in den zahlreichen Blüten (und Blättern) des Menüs. Nie sind sie bloße Dekoration. Mitunter spielen sie sogar die Hauptrolle, etwa in der – nachgebauten – Orchidee aus Passionsfrucht zu Beginn (siehe erstes Bild), später im „Seerosen“-Teller oder in der „Herbstlandschaft“ (siehe links) zum Dessert. So werden sie zu einem Leitmotiv, dessen Doppelsinn sich auch anderswo findet, nicht zuletzt bei jenen besonders flüchtigen Texturen wie Airs und Schäumen, denen die Zunge fast schon im Moment des Erstkontakts nachhaschen muss. Auch das Zarte mancher Zubereitungen, über die man sich nur vorsichtig und unter liebevoller Anleitung beugen mag, unterstützen den Eindruck. Und schließlich das „Geschirr“, das mithilfe von Chrom und Draht den Eindruck von fragilen Materialien wie Papier und Gaze erweckt.

Ein Essen im El Bulli ist ein Essen. Und ist zugleich eine vielstimmige Feier des Flüchtigen. Ist eine existenzielle Metapher, heraufbeschworen von einer unvergleichlichen kulinarischen Inszenierung. Diese zweite Ebene muss es gewesen sein, die Adrià seine Nominierung zur Documenta einbrachte. Sie ist ein Additiv, das auf keiner Liste vermerkt wird und dessen komplexe Struktur noch kaum erforscht ist.

 

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Putins Hündin und der deutsche Rückmarsch von der Wolga

Das Handy klingelt, Roman ruft an, Chefredakteur einer Moskauer Frauenzeitschrift. „Hör mal“, sage ich zu ihm, „Ihr solltet diesen langweiligen Kater zumindest jedes zweite Woche durch den Hund ersetzen.“

„Ja“, antwortet Roman, „der Hund ist witziger gewesen.“ Es geht um Dmitrij Medwedews Kater Dorofej und Wladimir Putins Hündin Conny. Früher kommentierte Conny, die Hündin, als „Kremlexperte“ in Romans Zeitschrift das Treiben ihres Herrn. Als ihn dann Medwedew als Kremlchef beerbte, übernahm dessen Kater die Rolle des Hofberichterstatters. Aber Putin klopfte bessere Sprüche als Medwedew, seine Hündin auch, außerdem war  Conny fast immer mit dabei, angehimmelt von Russlands Medien. „Keine Angst“, ich höre den Putin-Fan Roman förmlich grinsen, „Conny ist bald zurück im Kreml.“

„Laut Verfassung herrscht noch 2 Jahre Langeweile, bis dein Putin wieder Präsident werden kann“, sage ich.

„Was kümmert uns die Verfassung? Ihr habt ja auch den verfassungsmäßigen Präsidenten des Iraks umgebracht.“ Roman ist als glühender Patriot pauschal antiwestlich. Und Fachgespräche mit ihm rutschen sehr oft ins politisch Unkorrekte.

„Hitler haben die Deutschen auch mal verfassungsmäßig gewählt“, polemisiere ich.

„Was die Deutschen nicht daran gehindert hat, bis zur Wolga zur marschieren“, wir sind bei Romans Lieblingsthema, dem Großen Vaterländischen Sieg über Hitlerdeutschland.

„Die sind auch wieder zurückmarschiert“, sage ich.

„Die Deutschen sind nicht zurück marschiert, die sind gerannt“, verkündet Roman.

„Wieso, an der Wolga waren die ziemlich schnell“, erwidere ich. „Zurück nach Berlin haben sie Jahre gebraucht.“ Wir streiten uns jetzt über den 2. Weltkrieg wie über ein Fußballspiel vom vergangenen Wochenende. Was mir in Russland immer wieder passiert.

„Aber nur, weil unsere zuviel getrunken hatten“, lenkt Roman ein. Ein Glück, er hat nicht die Zeit, um unser intellektuelles Sturzflugduell fortzusetzen. Und ich schwöre mir wie so oft, nicht mehr mit Roman oder mit anderen russischen Bekannten über Verfassungstreue, Saddam Hussein oder Hitlers Überfall auf die Sowjetunion zu diskutieren.

 

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Wegelagerer im Internet

Wenn ich durchs Internet surfe, höre ich Stimmen. Überall wird es mir zugeraunt und zugeflüstert: ‘Sign up! Register now! Wir sind an Ihrer Meinung interessiert! Hallo, melden Sie sich bitte an! Neu hier?’

Manchmal will ich unbedingt auf eine Webseite. Ein einziges Mal nur, um dort jetzt, aber danach nie wieder irgendetwas zu erfahren oder zu tun. Dann registriere ich mich schnell und fülle die Lochmasken mit lauter Quatsch aus. Ich denke mir Namen aus, ein fiktives Geburtsdatum, eine Postleitzahl, die mit meiner echten keine Ähnlichkeit hat, und wenn nötig, auch irgendwelche Phantasieinteressen. Meistens bin ich in den Achtzigern geboren – wer möchte nicht gern jünger sein. Mein Nettohaushaltseinkommen ist natürlich immer so hoch, wie ich es mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorzustellen wage. Es kam sogar schon vor, dass ich mir rasch ein GMX-eMail-Konto einrichtete, nur für diese eine Stunde. Um sicher zu gehen, dass ich später nicht etwa ungewollt Werbung erhalte.

Damit bin ich wahrscheinlich der Supergau aller Online-Marketingexperten. Also für jene Leute, die zu ihren Werbekunden gehen und behaupten, sie könnten so zielsicher wie nie zuvor genau die potentiellen Kunden erreichen, für die ihr Produkt entwickelt wurde.

Sagen wir mal, ich melde mich durchschnittlich zweimal pro Jahr irgendwo an, um hier oder da reinzukommen. Dann konnten in den letzten zehn Jahren Online-Marketing-Abteilungen 20 Persönlichkeitsprofile von einer Person sammeln, die ich bin. Ich bin zwanzig verschiedene Leute, die sich jeweils deutlich von mir unterscheiden, deren Infos die Online-Werber aber als ihren kostbarsten Datenschatz bezeichnen.

Wenn ich in Internetmarketing machen würde, täte ich den Tag jeden Morgen mit einem Gebet beginnen: Lieber Gott, lass bitte nie rauskommen, dass das alles nur eine Fiktion ist.

Ich bin ja nicht der einzige mit diesem Verhalten. Weil mich die Mysterien unseres Alltages interessieren, frage ich immer mal wieder rum. Bislang traf ich fast keinen, der seine realen Daten angibt, abgesehen vielleicht von der eMail-Adresse.

Aber nicht nur das. In anderthalb Jahrzehnten Dauereinsatz im Internet hat mein Gehirn eine Art Autopilot entwickelt. Während ich auf Webseiten zielgerichtet das finde, was ich suche, sorgt der Autopilot in meinem Kopf dafür, dass meine Augen nicht auf Werbung schauen und mein Zeigefinger nicht aus Versehen Banneranzeigen anklickt. Sollte sich trotz Popupblocker ein Werbefenster öffnen oder ins Bild schieben, schließt mein Autopilot es ohne mein Zutun. Webseiten, auf denen automatisch Audio-Reklamespots tönen oder tröten, macht er sofort komplett zu, noch bevor mich der Sound erschreckt.

Dabei finde ich ja gar nicht, dass Werbung schlecht ist. Medien und Werbung gehören zusammen wie Elmex und Aronal, und das ist gut so. Schlecht ist nur, dass Werbung im Internet inzwischen oft derart nervt, dass es an Nötigung grenzt. Bei Zeitschriften ergeht es mir anders. Immer wieder bleibe ich auf Anzeigenseiten hängen, weil mir die Fotos gefallen oder weil mich das Produkt interessiert. Wahrscheinlich liegt das daran, dass ich beim Durchblättern von Magazinen selbst entscheiden kann, was ich wann tue.

Ein Händler auf einem Touristenbasar in Oberägypten erzählte mir, dass er mehr verkaufe, seit er den vorbeilaufenden Touristen nicht mehr auf den Geist geht. Früher seien sie mit starrem Tunnelblick an seinem Shop vorbei geeilt. Eine Regel, die vielleicht auch Onlinewerber beherzigen sollten, könnte lauten: Die Internetuser nicht bedrängen, sich ihnen nicht in den Weg stellen, sie nicht vollquatschen, anmachen oder ihnen an den Ärmeln zerren.

 

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Fietsers mit Biss

 

Zugegeben, anfangs habe ich mich etwas gesträubt. Radfahren im Winter, auf verschneiten oder gar vereisten Radwegen – das tat man einfach nicht, das stellte die Welt auf den Kopf. Doch der Anblick zahlloser Rentner und gebrechlicher Omas, die sich auch bei Schneesturm unverdrossen auf dem Sattel eine Spur durch den Tiefschnee bahnen, belehrte mich eines Besseren. „Stell’ Dich nicht so an!“ war ihre unmissverständliche Botschaft. Und so schwang auch ich mich auf den Sattel, um – zunächst mit Todesverachtung – zu demonstrieren, wie gut ich mittlerweile integriert bin. Der ultimative Einbürgerungstest!

Schliesslich lebe ich im Königreich der fietsers, die haben ihren eigenen Kreisverkehr, ihre eigenen Ampeln, ja, sogar ihre eigenen Schnellstrassen – schnurgerade und ohne Kreuzungen. Kurzum: Ein fietser, der auf sich hält, lässt sich vom Wintereinbruch nicht vom Sattel jagen. Dazu hat er viel zu viel Biss und Durchsetzungskraft. Dazu ist er ist er viel zu selbstbewusst – und viel zu frech! Vor allem in Amsterdam, vor den Amsterdamer fietsers warnt sogar das Fremdenverkehrsamt in seinen offiziellen Broschüren. 

Denn in der niederländischen Hauptstadt kommen die Radler von allen Seiten und haben gundsätzlich Vorfahrt. Bremsen ist für sie ein Fremdwort, dafür klingeln sie umso lauter, und so mancher Tourist kann sich nur noch durch einen erschreckten Sprung zur Seite im letzten Moment in Sicherheit bringen.

 Man kann ihnen besser nicht in die Quere kommen – auch nicht, wenn man eines der wichtigsten Museen der Welt leitet. Direktor Wim Pijbes vom Amsterdamer Reichsmuseum kann davon ein Lied singen. Sein Vorgänger Ronald de Leeuw ebenfalls. Und – im fernen Barcelona – die beiden Stararchitekten Cruz+Ortiz.

 Nach deren Plänen hätte das von Grund auf sanierte und erweiterte Reichsmuseum schon längst wieder eröffnet werden sollen. Doch statt 2008 wird es nun 2013 werden. Frühestens. Das liegt an den Amsterdamer Radlern. Und an Baumeister Pierre Cuypers: Der entwarf das Reichmuseum  1885 als Neorenaissance-Gebäude mit zwei Türmchen, in denen sich die beiden Haupteingänge befanden, und  – was kein anderes Museum auf Welt vorweisen kann – einem Durchgang in der Mitte. Dieses tunneltje, wie es im Volksmund liebevoll genannt wird, ist seit Menschengedenken fest in der Hand der fietsers, die daraus ihre eigene Mini-Autobahn gemacht haben, um schneller vom Stadtteil Oud-Zuid ins Zentrum zu kommen.

 Doch nun haben es zwei Spanier gewagt, dieses tunneltje zur verkehrsberuhigten Zone zu erklären: Denn statt den beiden unpraktischen Haupteingängen in den Türmen haben Cruz+Ortiz ein zentrales Eingangsfoyer unter dem Durchgang entworfen, erreichbar durch eine breite Treppe, die mitten im tunnelte nach unten führt.

 Doch die Architekten hatten die Rechnung ohne Amsterdams Radfahrer gemacht. Die dachten gar nicht daran, sich mit zwei schmalen Seitenstreifen rechts und links der Treppe abspeisen zu lassen. Statt dessen bliesen sie zu einer lautstarken fiets-Demo im Tunnel und zeigten den völlig verdatterten Spaniern, wie man als Radlerbund in einem holländischen Gemeinderat seinen Einfluss geltend macht.

 Der erste Entwurf wurde vom Tisch gefegt. Der zweite mit einer schmaleren Treppe auch. Beim dritten Anlauf verlegten die Architekten den Zugang zum Untergeschoss in die Tunnelseitenwände. Das hatte zwar den Charme von Tiefgarageneingängen, doch die Radfahrer waren endlich zufrieden – und alle anderen zu mürbe zum Weiterkämpfen.

 Bis Wim Pijbes sein Amt als neuer Direktor antrat. Frisch und unverbraucht brachte er Cruz+Ortiz dazu, einen vierten Entwurf zu präsentieren – erneut mit einer grosszügig gestalteten Treppe, aber diesmal nicht in der Mitte, sondern in der einen Tunnelhälfte; in der anderen haben die fietsers auf insgesamt sechs Metern weiterhin freie Fahrt.

 Alle waren hellauf begeistert – bloss die Radfahrer nicht. Die machen sich auf einmal Sorgen um die Sicherheit der Fussgänger, die sich auf die Radspur verirren und dort unter die Räder kommen könnten. Deshalb beharren sie auf Entwurf Nr. 3.

 „Lächerlich!“, schnaubt Pijbes. Doch weil er als Niederländer weiss, wie gross die Macht der fietsers ist, hat er vorsichtshalber grosse Geschütze aufgefahren: Alle 26.000 Haushalte im Stadtteil Oud-Zuid erhielten ein persönliches Schreiben von ihm, in dem er ihnen Enwurf Nr. 4 ans Herz legt. Und damit nicht genug: Es gelang Pjipes sogar, die 55 wichtigsten Kollegen der Welt zusammenzutrommeln: Egal, ob Metropolitan, Tate oder Louvre – in einem offenen Brief rufen sie alle Amsterdamer auf, Pijbes doch bitteschön bei der Realisierung von Entwurf Nr. 4 zu unterstützen.

 Ob es hilft, bleibt abzuwarten. Gewundert haben werden sie sich mit Sicherheit, die grossen Museumsdirektoren dieser Welt. Aber ihr Kollege aus dem kleinen, aufmüpfigen Land hinter den Deichen muss ihnen unmissverständlich klar gemacht haben, dass man eines tunlichst sein lassen sollte: die Durchsetzungskraft von Hollands fietsers zu unterschätzen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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The early bird gets the worm…

 

Obwohl sich die Amerikaner bekanntlich seit mehr als 200 Jahren dafür rühmen, dass sie die Weitsicht besaßen, sich von der britischen Monarchie loszusagen, pflegen sie immer noch einige royalistische Rituale. Die jährliche Rede zur Lage der Nation gehört in diese Kategorie. Ähnlich wie die Thronrede in London ist die Substanz der präsidialen Ansprache vor den Mitgliedern des Repräsentantenhauses und des Senats jeweils schnell wieder vergessen; die Rituale und die Popanz haben es aber in sich. In einem minutengenauen Fahrplan handelt die Hausherrin – die Parlamentspräsidentin Nancy Pelosi – jeweils aus, wer wann in den großzügigen Versammlungssaal marschieren darf. Zuerst sind die Abgeordneten dran, dann die Senatoren, schließlich folgen die beiden First Ladies, Jill Biden und Michelle Obama, die Obersten Bundesrichter sowie das Kabinett. Und dann ist der Stargast selber an der Reihe, der mit den Worten: «The President of the United States» begrüsst wird.

Nicht planen lässt sich, was sich nach dem offiziellen Willkommensgruß durch den Parlamentsbediensteten – pardon: durch den House Sergeant at Arms – abspielt: Minutenlang musste sich Barack Obama am Dienstag durch einen Korridor von Parlamentariern kämpfen, die ihm unbedingt die Hand schütteln wollten. Darunter hatte es auch einige gefitzte Demokraten und Republikaner, die sich jedes Jahr einen Sitzplatz möglichst nahe dieses Schauplatzes von euphorischen Begrüßungskundgebungen, Schulterklopfen und Händeschütteln sichern. Dafür beweisen die Berufspolitiker einige Stehkraft. Ihnen ist es gemäß offizieller Weisung nämlich verboten, Sitze mittels einer strategisch platzierten Jacke oder gar eines Klebebandes zu reservieren. Stattdessen müssen sich die Abgeordneten bereits um 8 Uhr in der Früh in der Kammer einfinden, und dann dürfen sie ihren hart erkämpften Sitz nicht mehr verlassen. Er sei deshalb am Dienstag um 5 Uhr in der Früh aufgestanden, sagte der Kongressabgeordnete Eliot Engel aus New York (unser Bild) mit stolzem Unterton, um sich einen der begehrten Sitze zu sichern. Die Mühe lohne sich aber. Immer wieder sprächen ihn Menschen in seinem Wahlbezirk in Brooklyn auf die Fernsehbilder an. Oh, Herr Engel, «wir haben sie am TV gesehen», hieße es jeweils. Und wenn er dann nachfrage, an welches Interview sie sich erinnerten, erhalte er regelmäßig die Antwort. «Nein, wir haben Sie gesehen, wie sie dem Präsidenten die Hand geschüttelt haben.» Und was die Wähler lieben, gefällt auch dem Volksvertreter. Kein Wunder, wiederholt Engel sein jährliches Ritual zur Lage der Nation seit 1988.

 

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Mein Papa ist nicht korrupt!

Derzeit wird viel diskutiert über das Internet in China – das viele inzwischen Chinternet nennen, weil es sich dank der Paranoia gestrenger Propagandazaren zusehends abkapselt gegen geistige Verschmutzung aus dem Ausland. Youtube und Twitter müssen draußen bleiben. Doch Google bleibt vielleicht drin im Chinternet, sie verhandeln gerade mit der Regierung – und immer noch kann man bei der chinesischen Version der Suchmaschine google.cn auch Fotos vom Tiananmen-Massker 1989 finden. Wir wissen also nicht, wie es weitergeht.

 

 

Aber, ein kleiner Trost vielleicht, auch im Chinternet tauchen immer mal wieder interessante Blogs auf, die etwas bewegen und nicht sofort von den Zensoren getilgt werden. Blogger und Tausende aufgebrachte User bewirkten etwa kürzlich den Freispruch einer jungen Hostess in einem Provinzstädchen, die vor ein paar Monaten in Notwehr einen zudringlichen Parteifunktionär erstochen hatte. Derzeit aber findet mal ein ganz anderer Blog überraschende Aufmerksamkeit. Durch die chinesischen Medien geistern Berichte über einen Blog der 22-jährigen Wu Fangyi aus der Kleinstadt Shaoying in der Provinz Hunan. In den “Halt durch, Papa!” betitelten Einträgen verteidigt sie ihren Vater, ehemaliger Parteichef eines ländlichen Kreises von Shaoyang. Der steht wegen Korruption und Machtmissbrauch vor Gericht. Er sei aber unschuldig, sagt die Tochter. Er gehe nie in teure Restaurants oder zur Fußmassage und lebe in einer bescheidenen Beamtenwohnung. Um das zu beweisen, zeigt Wu Bilder ärmlicher Behausungen, die der Familie gehören sollen. Und sagt: “Ich habe immer wieder seine Tasche untersucht, und nie was anderes als Dokumente und Notizbücher darin gefunden.” Ihr eigenes Handy koste nur 200 Yuan, gut 20 Euro. So weit so gut. Das verblüffende: Nicht nur lasen bereits 830.000 User den Blog. Viele davon drückten der jungen Frau auch ihre Unterstützung aus, wie die lokalen Zeitungen schreiben. Dabei hassen die meisten Chinesen korrupte Offizielle. Es ist wohl mehr der Familiensinn, der Mitgefühl auslöst, die Sorge einer Tochter um ihren Papa kann jeder irgendwie verstehen.

Genauso viele andere sind laut den Berichten aber skeptisch: Die Fotos seien Fakes, der Mann wäre ja wohl kaum verhaftet worden, wenn es keine Beweise gebe. Das gleiche sagen auch Offizielle, bei denen die Parteizeitung China Daily nachgefragt hatte. Auch die Mutter der 22-Jährigen, eine Dorflehrerin, saß sechs Monate hinter Gittern und konnte sich mit 185.000 Yuan freikaufen. Die seien aus Familienersparnissen sagte sie der China Daily. Aha.

Keiner der Zeitungsberichte schreibt, auf welcher der tausenden chinesischen Bloghosts Wu Fangyi ihren Papa verteidigt. Den Blog selbst habe ich also nicht gefunden und kann daher seine Existenz nicht verifizieren und auch nicht sagen, ob ich Wu Fangyi glaubwürdig finde oder nicht. Was sagt uns das ganze also? Dass Korruption eines Familienvaters die ganze Familie korrumpiert? Dass es eigentlich nichts bringt, korrupt zu sein, wenn man das ganze schöne Geld versteckt und trotzdem in einer kleinen Butze haust? Oder dass Korruptionsvorwürfe im heutigen China ein prima Mittel für Denunzianten sind, unschuldige Familienväter hinter Gitter zu bringen? Wir wissen auch das nicht. Aber interessant wars.

 

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Ausrede

Eigentlich hätte ich gestern bloggen sollen. Hat nicht geklappt. Es war mal wieder einer dieser Tage in Delhi…Wintertage…Nebeltage…

Das angebliche Hightechland Indien schafft es nämlich noch immer nicht, bei dem jeden Winter über Delhi hereinbrechenden Nebel einen geordneten Flugverkehr hinzukriegen. Mein Flug am Donnerstag sollte erst mit neun (!) Stunden Verspätung starten….was problematisch war, da mir die indische Regierung am nächsten Morgen in Delhi einen Preis verleihen wollte.

Nach langem Bitten und Betteln ließ mich “Emirates Airlines” (Zindabad!) auf einen bereits völlig überbuchten Flieger, der drei Stunden früher abhob. So habe ich es dann doch tatsächlich nach einer durchwachten Nacht geschafft in Delhi zu landen, in ein Taxi zu springen und zu meiner Wohnung zu fahren, in zehn Minuten neue Klamotten anzuziehen und pünktlich um 11.30 aus der Hand des Präsidenten des Indian Council for Cultural Relations (ICCR), Dr. Karan Singh, den “Gisela-Bonn-Preis” für besondere Beiträge zu den deutsch-indischen Beziehungen in Empfang zu nehmen.

Ich finde, das war schon selbst den Preis Wert. Danach fiel ich halbtot ins Bett. 

 

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Kennen Sie das? Man geht spazieren, ein Pärchen kommt entgegen. Sind alle auf einer Höhe, hört man Satzfetzen: „….hat geheult und hat gesagt, dass sie….“ oder „….Chef ist so bescheuert, er sagt zu mir“. Ratlos geht man weiter und denkt über das Gehörte nach:. Warum geheult? Was ist mit dem Chef?

 

Weil Römer nie allein sein und nie schweigen können, wird man hier pro Tag dutzende Male Zeuge fremder Gesprächsinhalte. Ungelogen: Dabei geht es immer ums Essen, oft in Form von  Menüfolgen, Restaurantkritiken und Beilagenempfehlungen. Kürzlich erlebt: Zwei Jogger im Park hasten vorbei, ich höre den einen hechelnd sagen „…Bucatini all’ Amatriciana“. Ungewöhnlich dabei: Beim Joggen ausgerechnet über diese ziemlich gehaltvolle weil speckige Pasta zu sprechen. Eine Joggminute weiter: Zwei Männer diskutieren auf einer Parkbank über die Zubereitung einer Dorade („…gegrillt am besten…“). Auch ungewöhnlich:  Eine Dorade ist ein leckerer, aber völlig unrömischer Fisch. Sie leben in kleinen Gruppen oder allein. Wer so in Rom lebt gilt als sonderbar, wenn nicht gestört.

Vorhin, im Pressesaal des Vatikan. Dort sitzt Francesco – Obelix im Anzug – am Empfang. „….das Hühnchenfleisch machen sie schon sehr gut…“, höre ich. Worum geht´s? „Um die chinesische Küche!“ meint Francesco. Aber eigentlich sei er ja Vegetarier. „Ich esse keine Wurst“, sagt er und schaut so als wolle er entrüstet sagen: „Ich liebe doch Tiere!“ Doch er sagt: „Ich esse keine Wurst. Nur Steaks, Burger und Salami.“

 

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Gänsehaut auf dem Schulweg

Bei der Recherche für eine Geschichte über Japans schlappe Geburtenrate hat mir eine der befragten Mütter neulich ganz landesuntypisch aufrichtig ihre Meinung gesagt: “Kindheit in Japan, das ist kein Spaß”, seufzte sie. Bereits in den pre-schools ginge es um Leistung und Talent. Um danach in gute Schulen zu kommen, müssen die Kinder schwierige Aufnahmetests bestehen. Zur Vorbereitung pauken die kleinen Japaner wochenlang mit einem Tutor. Haben sie die Tests geschafft, sind die Eltern glücklich und die kids erschöpft. Doch Ausruhen ist nicht. In den Schulen wird viel gefordert und wer nicht mitkommt, muss wieder mit einem Tutor nachsitzen. Die Eltern kostet das alles Geld, sehr viel Geld. Vom Staat gibt es bisher nur läppische finanzielle Unterstützung für den Nachwuchs. “Das reicht nicht einmal für die Windeln”, sagte mir eine andere Mutter.

 Teuer sind auch die Schuluniformen, mit denen sich Japans Lehranstalten optisch voneinander abgrenzen. Da gibt es unauffällige graue Anzüge mit Schullogo und Krawatte – die perfekte Vorbereitung aufs Berufsleben. Richtig neckisch sehen hingegen die Kleinen aus, die in einer marineblauen Matrosenuniform mit goldenen Knöpfen und schickem Hütchen unterwegs sind.  Auch meine Kinder tragen Uniform. Blau-rotes Schottenmuster fürs Kleid, weiße Bluse, blaue Strumpfhose, schwarze Schuhe. Nicht gerade der Mode letzter Schrei, aber es ist ja ohnehin Winter und die dicken Jacken geben kaum etwas von der Uniform frei.

So mancher einheimische Knirps ist da schlechter dran. Selbst wenn die Temperaturen am Gefrierpunkt kratzen, staksen einige Steppkes mit kurzen Hosen oder Röckchen und Kniestrümpfen zur Schule. Eine Winterjacke? Fehlanzeige, der Popeline-Blazer muss reichen. Mütze, Handschuh, Schal? Nix da. Nebenher tippelt die Frau Mama, warm gewandet im Wollmantel und Fellstiefeln. Ist aber keine Strafaktion für einen unartigen Filius, sondern, man glaubt es kaum, rigide Schulpolitik. Ja, in Japan dürfen die Schulen sogar bestimmen, ob Kinder frieren oder nicht. Allein der Anblick der nackten Kinderbeine lässt mich frösteln.

 Mit dem Spaßfaktor scheint es für Nippons Nachwuchs wirklich nicht so weit her zu sein.  

 

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Sendeschluss

Wer mich nochmal im türkischen Staatsfernsehen bewundern will, muss sich beeilen: Die Sendung wird mit dieser Woche eingestellt, wie uns gestern (sic) mitgeteilt wurde. Wir, das sind die 5 türkischen und 5 ausländischen Journalisten, die darin von Montag bis Freitag in jeweils gemischten Doppels die Nachrichtenlage in der Türkei und der Welt diskutierten. Die Sendung heißt ‘Gazeteci Gözüyle‘ (Aus Journalistensicht) und wurde seit Mai 2009 von TRT-Türk ausgestrahlt, dem internationalen Kanal des türkischen Staatssenders. Eine kleine Revolution war es, dass wir ausländischen Beobachter unsere oft kritischen oder ungewohnten Ansichten zur türkischen Politik und Gesellschaft nicht nur – live! – äußern durften, sondern ausdrücklich dazu eingeladen waren. Ob es um Kurden, Kopftuch oder Armenien ging, wir konnten stets offen sprechen. Warum die Sendung nun nach neun Monaten wieder eingestellt wird, ist uns nicht gesagt worden – ob wir doch zu kritisch waren oder einfach nur langweilig geworden sind. Mir war es jedenfalls eine Ehre und ein Vergnügen, mich jeden Mittwoch abend mit Okay Gönensin unterhalten zu können, einem der erfahrensten politischen Journalisten des Landes. Morgen abend um 18.20 Uhr MEZ sind wir zum letzten Mal dran. Hosca kal TRT!

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