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Die Logik der Belgrader Stadtväter bleibt weiter unverständlich: Sie holzen zuerst fast 500 alte Bäume ab. Trotz Proteste wüten die Kettensägen, der Polizeischutz schützt nicht die Bäume, sondern die Arbeiter. Das ganze Vorhaben wird mit einem Gutachten begründet: Die Wurzeln der Bäume seien zu breit, die Kronen zu dicht. Kurz um, die Platane sind für Mensch und Tier gefährlich. Also, ab mit denen.
Nur zwei Monate später, vermeldet die Stadtverwaltung stolz: Belgrader, ihr bekommt eure Platanen wieder! Das Gutachten lautet diesmal: Die Platane sind gut geeignet für Mensch und Tier, ihre Wurzelballen werden gebändigt, der Wuchs der Kronen kontrolliert.
Glücklicher Belgrader! In etwa 60 – 70 Jahren werden sie wieder im Schatten der großen Bäume sitzen können.
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Ihre Retter nennen sie MILA, die Liebevolle. Mila ist ein Straßenhund. 4500 gibt es in der Zwemillionenstadt Belgrad.
Jeden Tag saß sie vor einem Supermarkt, wedelte mit dem Schwanz, spielte mit den Kindern. Die Nachbarn haben sie gefüttert. Dann verschwand sie. Gefunden wurde sie neben einem Müllcontainer. Der unbekannte Täter hat Mila alle vier Pfoten bei lebendigem Leibe abgeschnitten. Sie überlebte und liegt jetzt in einer Tierarztpraxis. Wenn keine Komplikationen auftreten, soll sie in einer deutschen Tierklinik Prothesen bekommen. Nach dem Täter wird noch immer gesucht.
Selten hat ein Foto die Nation so berührt wie dieses. Erstmals demonstrierten Tierschützer direkt vor dem Parlament und forderten sofortige Änderung der laschen Tierschutzgesetze. Wer ein Tier mit Benzin übergießt und verbrennt, erhält eine Minimalstraße. Die Täter werden selten gemeldet und gefunden.
Über Mila wird nun täglich berichtet, die Öffentlichkeit ist empört. Das Magazin VREME zitiert eine amerikanische Studie, die besagt, dass in den US-Familien, in denen Misshandlungen an der Tagesordnung sind, auch 88% der Haustiere getötet werden. Eine solche Studie hat Serbien nicht. Nur ein paar spärliche Daten: im letzten Jahr haben 32 Frauen die Gewalt ihrer Männer nicht überlebt. Über die Kindesmisshandlungen wird kaum geredet.
Die offene Gewalt ist Alltag in Serbien. In der Reihenfolge der Opfer stehen Tiere an letzter Stelle.
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Es geschieht schnell. Ich meine, das mit dem Blogschreiben. Oder mit dem Nicht-Schreiben des Blogs. Den ganzen Monat tickt es im Hinterkopf „Am 1. des Monats bist du dran“ und „mach was Witziges“ und „Achtung! Bald ist es so weit“. Und dann ist, oh Wunder, wieder das Ende des Monats da und die ultimative Meldung im Hirn heißt: „Scheiße, du hast es vergessen“. Dann bricht Panik aus, die Finger fliegen auf der Tastatur und es ist gerade noch geschafft. Und warum das menschliche Wesen (in diesem Falle ich) alles in letzter Sekunde erledigen muss, das wird mir in diesem Leben ein Rätsel bleiben.
In diesem Monat haben alle Warnsysteme versagt. Blogschreiben? Schlicht vergessen. Und wenn nicht Ruth aus Tel Aviv per E-Mail gemahnt hätte („Wo bleiben die Blogschreiber?“) hätte ich weiterhin sorglos die Ostertage mit meinen Freunden verlebt. Die aus allen Himmelsrichtungen nach Belgrad eingeschwebt sind.
Da war zuerst Bora Sajtinac aus Paris. Der geniale Zeichner, der jahrelang für DIE ZEIT und den STERN die deutsche Gegenwart beobachtet hat, bekam in Belgrad den Preis für sein Lebenswerk. Als wir über gestern und heute in einem Stadtcafé redeten, knipste ein Pressefotograf Boras verkehrte Welt: wir zwei Hübschen sind im Deckenspiegel zu sehen.
Dann kamen Emilija, Mirjana und Aaron und all die Tage haben wir viel gegessen, viel geredet, nett getrunken und Fotos vor der Kathedrale gemacht.
Meine Gäste waren genau das, was Belgrad suchte: Kurzreisende, die schön Geld in der Stadt lassen. Nur: als sie Belgrad von der Donau aus begucken wollten, immerhin 20 Euro pro Person hätten sie bezahlt, hieß es: Sorry, die Saison beginnt erst in einer Woche.
Wie clever. Dann sind alle Touristen weg.
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Belgrader längste Straße ist sieben Kilometer lang und heißt Boulevard des König Alexander. Seit 90 Jahren ist der Boulevard die schönste Allee der Stadt. So lange säumten 500 dicke, schattenspendende Platanen die breite Straße. Bis gestern.
Die Stadtverwaltung, die jahrelang die Kronen der Bäume gekappt hat, („zu hoch, zu gewaltig“) hat im Zuge der Umgestaltung des Boulevards beschlossen die Platanen abzuholzen. Weil sie krank seien – so die Erklärung. Die Ursache: die vorherige, unsachgemässe Beschneidung der Kronen.
Die Meldung wird in der Tagespresse veröffentlicht, zuerst ohne Resonanz. Dann melden sich namhafte Intellektuellen, Studenten und Schauspieler umarmen die Bäume, alle verlangen noch ein Gutachten. Die Presse schweigt. Die Pressekonferenzen der neugegründeten Bürgerinitiative gegen den Kahlschlag werden nicht beachtet. Über den Protest erfährt man nur in der Rubrik „Leserbriefe“ der Tagespresse. Blogs und Facebook bieten die Plattform, auf der tausende von Unterschriften gesammelt werden. Am Ende ist der Druck so groß, dass die Stadtverwaltung einen neuen Gutachter beruft, der prompt erklärt, „nicht jeder Baum ist krank, nicht jeder Baum muss weg“. Es schien, als ob eine Einigung möglich wäre: nur kranke Bäume sollen ersetzt werden. An diesem Montag (1. März) sollte die endgültige Lösung gefunden werden.
Trotzdem werden an diesem Wochenende a l l e Bäume, 500 dicke, 90 Jahre alte Platanen abgesägt.
Auf dem nassen Asphalt liegen gelbe, goldene, gesunde Stumpfe. In meiner Wohnung, im 4. Stockwerk mache ich laute Musik an, um nicht den bohrenden Ton der elektrischen Sägen zu hören. Eine Nachbarin weint, ich weine mit. Die Aktivisten umarmen die Bäume, erfolglos. Sie werden abgeschleppt, die Bäume abgesägt. Die Vogelnester klatschen auf den nassen Asphalt.
Für ein Land, das erst vor einem Jahr ein Umweltschutzgesetz verabschiedet hat, für ein Land das in Müll, Abgasen und qualmenden Deponien erstickt, stehen Bäume auf der Prioritätenliste weit unten.
Ich bin in meiner tiefsten Seele traurig. Mit diesen Bäumen ist ein Teil meiner Kindheit verschwunden.
Felix Serbia. Felix Belgrado.
Ohne Stadtvögel, ohne Bäume, mit Autos bepflastert.
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Freude auf allen Ebenen: Die Hirnwindungen arbeiten auf vollen Touren, die Gedanken prasseln in die Tasten, die Texte schreibe ich so lange um, bis die Endfassung stimmt, dann – geschafft. Noch up and away per Mail – und das in Hamburg schlummernde Bankkonto freut sich auch.
Eine volle Woche bin ich mit der Wahl des neuen Patriarchen der Serbisch-Orthodoxen Kirche beschäftigt. Ich liefere einen Vorbericht, in dem es um Querelen unter den Bischöfen geht, eine erweiterte Nachricht, dass doch, wie vorgesehen, die Wahl an diesem bestimmten Freitag stattfindet und nicht verschoben wird, gebe weiter die Mutmaßungen über die möglichen Kandidaten. Berichte schließlich über die Wahl selbst und über die Inthronisierung des neuen Patriarchen. Ein Portrait des Erwählten und Neugewählten gehört dazu.
All das könnte zur normalen journalistischen Arbeit gehören, wenn die serbische Kirche nicht so geheimnisvoll täte. Keine Nachricht dringt aus der Patrijaršija, dem Kirchenhauptsitz, nach außen. Es scheint, als ob die hohen Kirchenherren eher das Zwiegespräch mit Gott bevorzugen, als dem Volk Auskunft über ihr Tun zu gewähren. Zwar hat die Kirche eine Website, jedoch steht auf dieser Website nichts, was weiterhelfen würde. So hieß es zuerst, die Wahl würde am Freitag, dem 22. Januar, stattfinden, wie lange sie aber dauern würde – das stünde in Gottes Hand. Die Inthronisation KÖNNTE dann am kommenden Mittwoch, am 27. Januar, stattfinden.
Nach dieser Meldung folgten Tage der Stille. Bis die Popen sagten, naja, möglich wäre es, daß die Wahl länger dauert. Zwei Tage oder so. Und: Die Thronbesteigung wäre dann – am Sonntag.
Ich und Rainer Clos, der zuständige Redakteur beim EPD (Evangelischer Pressedienst), stehen täglich bei Fuß und bereden das mögliche Prozedere, ohne genau zu wissen, was wann passieren wird.
Und dann wird plötzlich alles anders: Nach nur drei Stunden ist der Patriarch Irinej am Freitag gewählt worden, die Inthronisation folgt am Samstag vormittag. Nun telefoniere ich wie wild, um zu erfahren, zu welchem Flügel der neue Oberpope zählt, denn die serbische Presse hat zwar viele von den Bischöfen durchleuchtet, nur diesen Irinej nicht. Die Beschaffung der Fotos stellt das nächste Problem dar. Keiner der befreundeten Pressefotografen hat die Akkreditierung für die Patrijaršija bekommen – also keine Fotos. Diese aber braucht die Redaktion unbedingt, also weitersuchen. Die Belgrader Presseagentur BETA macht am Freitag um 16 Uhr dicht, auch hier keine Hilfe. Schließlich, nach unzähligen Telefonaten, sind die Fotos gefunden, und am Samstag um 14 Uhr ist alles vorbei.
Die Belohnung für meine göttlichen Dienste war dicke. Die Artikel werden in Deutschland unzählige Male übernommen, sogar der Vatikan tut es, die Texte erscheinen auch in Russisch.
Wunderbar, alles easy, meine Präsenz bei GOOGLE hat zugenommen, nur das Geld, das gibt es nur einmal.
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Der Hörfunkarbeiterin fern der Heimat fällt es besonders schwer einen guten Ton zu zaubern, der die Arbeitgeber überzeugt. Denn das, was in Deutschland „über den Sender geht“, entsteht in Hausarbeit.
Die üppigen, gut gepolsterten, muckmäuschenstillen Studios des NDR und WDR, in denen die Radiotöne entstehen, gehören längst der Vergangenheit. Auch die Butzen von Radio Belgrad, die man hier Studio nennt, sind nicht mehr aktuell. Denn: kein Schwein geht mehr ins Studio.
Der Radiomensch, vor allem wenn er in der Auslandspampa sitzt, macht heutzutage alles selbst. Der erste Schritt des entstehenden Radiobeitrags beginnt wie eh und je: die Person, die etwas zu sagen hat, wird interviewt. Doch ab hier ist alles anders, als es einmal war: kein Tontechniker steht bereit, der Toningenieur auch nicht. Und von einem Studio kann man nur noch in den stillen Nächten träumen. Der Reporter macht sich an die Arbeit, speichert das Gespräch im Computer ab, wählt aus den Tönen aus, was in die Reportage eingebaut wird, schnippelt das Ganze mit einem entsprechenden Schnittprogramm ab, schreibt den dazugehörigen Text, druckt ihn aus.
Der Text soll nun gesprochen werden, möglichst, eben, in Studioqualität der Heimatsender.
Leichter gesagt, als getan.
Denn, die Aufnahme findet in den heimischen vier Wänden statt, zwischen Klo und Küche, je nachdem, welcher Raum die bessere Akustik vorzuweisen hat. Mein Belgrader Domizil hat große Atelierfenster und keine Gardinen, hohe Wände und keine „raumschluckenden“ Gegenstände. Am Schreibtisch surrt der Laptop, in Klo und Küche hallt es wie in den Alpen.
Was tun?
In den Schrank gehen. Das Mikrofon zwischen Wintermantel und Sommerhose placieren, Klemmlämpchen einschalten, loslegen und hoffen, dass die Katze nicht in diesem Moment in den Schrank will.
Geschafft.
Die Tonqualität wird gelobt, die Methode In-den-Schrank-gehen hat sich mittlerweile rumgesprochen. Die Kollegin vom Deutschlandradio lacht sich schlapp: „Nee, so was habe ich noch nicht gehört. Von Eierkartons war schon die Rede, von dicht zugezogenen Gardinen, aber diese Variante ist mir bis jetzt unbekannt gewesen“.
Ja, mir auch, aber Not macht eben erfinderisch.
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Nicht aber, wenn sie auf Reisen geht. Plötzlich schlagen die vereinigten Bürokraten aller Länder zu, sie existiert in Akten und Computern nur noch als „Haustier, hier Katze“. Falls sie die Mauern der Europäischen Union übersprungen hat, unterliegt sie ab sofort den „Einreisebestimmungen für Hunde und Katzen“. Falls sie aus der EU ins andere Ausland will, wird sie dort womöglich als „Ausländerin“ behandelt.
Trotzdem entscheide ich: Puderquaste und Maseltov sollen Hamburg verlassen und mit mir in Belgrad leben. Der Katzenumzug steht an.
Recherche in Belgrad: eineTollwut-Impfung, ein Katzenpass, eine ärztliche Beurteilung vor der Reise – da ist alles was eine Katze braucht, wenn sie nach Belgrad kommen will.
Der Veterinär in Hamburg kooperiert: „Impfen können wir“, sagt er, „prüfen Sie aber, wer die Gesundheitsbescheinigung unterschreibt, der Amtsarzt oder wir.“ Es ist der Amtsarzt.
Die Impfung wird kaum bemerkt, die Spritze sitzt. Nun sollen Beruhigungspillen zur Probe geschluckt werden, um zu sehen wie sie wirken. Sie helfen der gestressten Katzenseele die Reise gut zu überstehen. Leichter gesagt als getan: die Pillen werden verschmäht. Also, Goulaschfleisch gekauft, Pillen darin versteckt, meine süßeste Stimme hallt durch die Wohnung. Puderquaste, die Bunte, schluckt alles. Zehn Minuten später spuckt sie alles heraus. Maseltov, die Schwarze, riecht die Falle, rührt nichts an. Die Verlockung und die Operation Pille – fehlgeschlagen.
Der nächste Versuch ist eine Beruhigungsspritze. Die Nachbarn helfen, wir überrumpeln die scheuen Tiere, die Spritze sitzt schon wieder, aber niemand aus der Katzenwelt ist in dieser Wohnung benommen. Dafür haben sie gut gekratzt. Was tun? „Doppelte Dosis“, rät der Tierarzt.
In der Zwischenzeit telefoniere ich mit dem Amtsarzt: „Es sind zwei Katzen, die sollen nach Belgrad…“ „Wenn Sie nach Rumänien wollen….“ „Nein, ich will nicht nach Rumänien, ich will nach Serbien“. „Ja, liegt Belgrad nicht in Rumänien?“ „Nein, Belgrad liegt in Serbien, Bukarest ist die Hauptstadt von Rumänien.“ „Von mir aus, sie müssen trotzdem den blauen Heimtierpass haben und sie müssen gechipt werden“.
Nein, Herr Amtsarzt, sie müssen gar nichts. Denn, in Belgrad herrscht Balkan, und dort kennt jeder jeden und der Freund eines Freundes kennt einen Freund und der ist zufällig Amtsarzt am Flughafen. Also, die Viecher werden nicht gechipt. Dem deutschen Amtsarzt ist es am Ende egal, er kommt vorbei, beguckt kurz die in der Badewanne versteckten Damen, schreibt vier andersfarbige Formulare aus, stempelt sie ab, nimmt 10 Euro und geht.
Puderquaste und Maseltov bekommen eine fette Ladung Beruhigungsspritzen und kurz vor dem Abflug ist alles ruhig. Zwei lallende Katzen, selig umschlungen, liegen im engen Käfig.
Die Hiobsbotschaft aus Belgrad kommt eine Stunde vor dem Abflug: „Versuch schnell durch den Zoll zu kommen“, sagt Milena, „denn normalerweise bekommen die Katzen eine vorläufige Aufenthaltserlaubnis, die man am Flughafen ausstellt. Die musst du dann bei der Ausländerpolizei verlängern. Vielleicht schaffst du es ohne.“ Na, ob da der Freund eines Freundes helfen kann?
Aber auch der Hamburger Zollbeamte will was. Der Käfig soll „geröntgt“ werden, die Katzen sollen vorher raus, wegen der Verstrahlung. Das aber geht nicht. Einmal draußen, da finde ich sie nie wieder, trotz Valiumspritze. Gut, sagt er, und so wird der Käfig samt Katzen mit sämtlichen Geräten gründlich durchleuchtet.
Keine Drogen, keine Waffen, nur zwei Angstkatzen gucken den großen Mann an.
Zwei Stunden später landen wir in Belgrad. Die Süßen haben am Sitz neben mir den ersten Flug ihres Lebens verschlafen. Mein Pashmina-Schal verdeckt den Käfig, die Passkontrolle will meine gelben Katzenpässe gar nicht sehen, von Zollbeamten keine Spur. Ich und die Katzen sind fast draußen, da zeigt sich ein junges Mädchen, mit Zollmützchen auf dem Kopf und sagt „Sind die aber süüüüsss“.
Ich atme tief durch, die Katzenodyssee ist zu Ende. Sie sind nicht gechipt worden, sie haben die Spritze und die Pille gut vertragen, sie leben. Maseltov und Puderquaste sind nicht zu Ausländerinnen deklariert worden, müssen nicht zur Ausländerpolizei. Jetzt dürfen sie mit mir bei sommerlichen 40 Grad in Belgrad schwitzen und im Winter, gut gerollt auf der Kommode vom hohen Norden träumen.
PS.Oder bei YOUTUBE gucken, was andere Katzen so machen.
http://www.youtube.com/simonscat?gl=DE&hl=de#p/u/3/s13dLaTIHSg
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„Bring mal das grüne Telefon mit“, sagte Mutter, „diese hier rauschen nur, man hört nichts“. Die Mutter, die in Belgrad lebte, war zu Besuch in Hamburg, wo ich lebte. Auf dem Speicher hat sie das längst vergessene Kommunikationsgerät entdeckt. Das Objekt ihrer Begierde war eines dieser pummeligen grünen Geräte,erkennbar an einer Wählscheibe, einem Hörer und einem schwarzen, rundgewickelten Kabel. Es war das Einheitsmodell der Deutschen Bundespost, die im letzten Jahrhundert das Monopol am Verkauf jeglicher Telefone hatte.
Ich telefonierte schon längst schnurlos, das grüne Exemplar gammelte auf dem staubigen Speicher, als Mutter es entdeckte. Das Angebot ihr ein schnurloses Telefon zu schenken, schlug Mutter entschieden ab. Sie wollte nur dieses Telefon und kein anderes. Erstens wusste sie wo welche Ziffer sich befand – sie konnte nicht mehr gut sehen – und außerdem könne sie in Belgrad immer mit diesem Gerät telefonieren, sagte sie. Erst später sollte ich erfahren, warum man mit diesem Telefon „immer“ telefonieren konnte.
Lange ist es her, dass Mutter ihr grünes Telefon bekam.
Nun lebe ich in Belgrad, hege und pflege das Grab meiner Mutter, so oft ich kann und habe in der Belgrader Wohnung drei Telefone. Zwei mal schnurlos und einmal grün und pummelig. Nicht, dass ich gerade an dem grünen Gerät aus der Monopolzeit der Deutschen Post hänge, der Grund ist viel banaler. Das Belgrader Stromnetz ist oft überlastet und bricht auch im 21. Jahrhundert regelmäßig zusammen. Wann und wo der Strom ausfällt wird täglich in Belgrader Zeitungen angekündigt. Dann bleibt nicht nur die Küche kalt, auch die Verbindung zur Außenwelt gibt es nicht mehr: kein Fernseher, kein Radio – und kein Telefon. Die teuren, mit Gott und Welt kompatiblen Schnurlosen bleiben stumm. Denn, sie hängen am Strom, den es nicht gibt, und sind somit nicht zu gebrauchen.
Nicht so das grüne Wunder der Deutschen Post. Es braucht keinen Strom. Und da ich kaum etwas anderes tun kann, – es wird telefoniert, bis der Strom kommt. In solchen Tagen vergöttere ich das kleine grüne Monster und danke meiner Mutter und der Deutschen Post. Und fühle mich, auch stromlos, wohl in Belgrad.
Manche Telefongespräche verlaufen aber eher merkwürdig, ob mit Strom oder ohne. Zum Beispiel dieses:
Es klingelt.
„Guten Tag, hier ist Herr Jovanovic“
„Guten Tag“.
„Ich möchte wissen, ob mein Vater angekommen ist.“
„Nein, Ihr Vater ist nicht angekommen.“
„Liegt mein Vater nicht bei Ihnen?“
„Nein, Ihr Vater liegt nicht bei mir.“
„Wieso, er müsste schon längst angekommen sein.“
„Tut mir leid, dem ist nicht so“.
„Ist das die Gerichtsmedizin?“
„Nein, das ist nicht die Gerichtsmedizin, das ist ein Privatanschluss.“
„Habe ich mich verwählt?“
„Das wird so sein.“
„Tja. Dann weiß ich noch immer nicht, ob mein toter Vater in der Gerichtsmedizin liegt.“
„Unter dieser Nummer werden Sie es auch nicht erfahren.“
„Das ist aber schade.“
„Was ist schade? Dass Sie mich gestört haben oder dass Ihr Vater nicht hier ist.“
„Beides“.
Verwählt hat sich in den letzten Jahren nicht nur Herr Jovanovic. Auch die Herren und Damen Petrovic, Popovic, Milosevic und Mikic haben ihre verblichenen Verwandten vergeblich bei mir gesucht.
PS: Das „grüne“ Monster wird heute noch online verkauft. (http://www.telefon.de) . Es heißt HDK Nostalgietelefon FeTAp 611 (W611), wird als „Kultig wie die 60iger und 70iger (W61) mit Wählscheibe“ angepriesen und kostet 74,90.
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Warm ist es in Belgrad geworden, ganz plötzlich. „Aus den Stiefeln direkt in die Badehose“, meckert gestern Mira, die Nachbarin. Klar, bei 27 Grad Lufttemperatur könnte man schwimmen gehen, wenn das Baden an der Save und Donau nicht verboten wäre. Das Wasser, 19 Grad, sei noch zu kalt – sagen die Stadtväter. Die kennen die Ostsee nicht, denke ich.
Nachts kommt der warme Wind durchs offene Fenster, am Kopfkissen breitet sich die dicke Mondscheibe aus. Heute früh schleicht sich die Sonne unter meine Wimpern. Vorsichtig ein Auge nach dem anderen aufmachen, feststellen, alles ist genauso wie gestern, endgültig räkeln, aufwachen.
Morgenrituale: Puschen an, runter auf die Straße, im Kiosk nebenan Zeitung kaufen, Zigaretten kaufen, die Weltkrise im Mikrokosmos Serbien („alles wird teurer“) mit den Mädels vom Kiosk bereden. Türkischen Kaffee kochen, Balkonblumen grüßen und wässern, Katzen grüßen und füttern, mich selbst wässern und seifen, Radio einschalten, Blechkiste einklicken. Kurz gucken was WELTREPORTER so in der Welt machen. Man weiß nie ob sie noch ruhig schlafen oder hundert Mails pro Stunde in die Welt schicken… Einer aus Rio, Sydney oder Rom stellt eine Frage und plötzlich entwickelt sich eine ungeheure Maildynamik, die Gedanken wuseln im weltweiten Netz, umgarnen die Kontinente und du kannst nicht anders, du bist auch dabei und statt Themenvorschläge zu schreiben und Geld zu verdienen, palaverst du per Tastatur mit den Gleichgesinnten.
Heute früh, alles ruhig. Die Welt da draußen ist in Ordnung. Endlich ein Morgen, der nichts von mir will.
Also, raus auf die Terrasse,Türkenkaffee in der Tasse, eine Lulle in der Hand, „POLITIKA“, die serbische SZ und FAZ in einem, vor der Nase, der Tag kann kommen. (À propos Zigaretten: Es soll demnächst zu einem milden Rauchverbot kommen. Das gefällt dem Volk nicht, Serben, die Weltmeister im Rauchen, sammeln seit gestern Unterschriften gegen das neue Gesetz, wahrscheinlich mit Erfolg.)
Meine Lieblingsrubrik in der „Politika“ heißt „Handy-News aus Belgrad“, die lese ich zuerst. Hier werden unredigierte Polizeimeldungen der letzten Nacht weitergegeben. Die BILD ist nichts dagegen, schon die Überschriften sind himmlisch: „Käse, Laptop und Schinken aus dem Laden gestohlen“, „Frau aus dem Bus gefallen“, „Betrunkener Schwiegervater misshandelt Hausbewohner und Hund“, „Lüster aus dem Hochhaus auf den VW gefallen“. Die Texte lauten dann so: „Auf der Straße Pancevacki put haben sich zwei Nachbarn einen bösen Kampf geliefert. Einer von ihnen bekam einen Schlag auf den Kopf, und zwar mit der ausgerissenen Tür einer Scheune. Im Krankenhaus wurde eine Fraktur des Schädels festgestellt“. Oder: „In der Straße Cvijiceva hat eine Frau auf dem Herd türkischen Kaffee gekocht. Die Feuerwehrmänner haben die Tür aufgebrochen und das Feuer am Verbreiten gehindert“. Und das auch noch: „In der Resavska Straße ist durch Messerstiche eine Person verletzt worden. Gleichzeitig hat in derselben Straße ein betrunkener Ehemann seine Frau mit einem Stuhl am Kopf getroffen. Sie kam ins Krankenhaus“.
Nach dieser erbaulichen Lektüre wäre der Markt, dann der obligatorische Kneipenbesuch am Mittag dran, wo man Opa und Enkelkind, Schulfreund und Marktbauern trifft. Aber da hat sich der Morgen schon längst verabschiedet.
Ach, ja, Ostersonntag heute!
Nicht so in Belgrad. Wir Orthodoxen sind in diesem Jahr erst am nächsten Sonntag dran. Diese Verschiebungen haben mit den Neumonden und Vollmonden zu tun und mit den römischen Kalendern. Wie das genau läuft ist mir noch immer ein Rätsel. Sicher ist aber, auch wir haben Ostern jedes Jahr, mal früher und mal später als die Deutschen.
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Auch ich bin Empfängerin dieser Mails, die ich nach Empfang innerhalb von 2 Sekunden sofort an 257654 Menschen verschicken soll. Sonst droht das Universum einzustürzen.
Ich tue es nicht, das Universum war bisher gnädig. Aber zwischendurch kursieren in Belgrad auch Schmunzelmails.
Jemand, der/die auch auf die Güte/den Groll des Universums wartet, hat folgende Mail in Serbisch geschickt: „Ich danke allen, die mit junk-mails an mich gedacht haben. Denn dank eurer Güte ist folgendes passiert:
Mein Laptop ist 172 mal abgestürzt, schon 23 mal habe ich Mahnbriefe meiner Firma erhalten. Wenn es so weitergeht, kann ich mir mit meinem Arbeitsvertrag die Schuhe putzen.Etwa 3000 Jahre Unglück habe ich gesammelt, 67 mal bin ich schon gestorben, weil ich die Mails nicht weitergeleitet habe.Das arme Mädchen Amy Bruce aus Vietnam oder Kambodscha oder so hat schon mein Jahresgehalt erhalten. Dank Microsoft, der die Mails verschickt haben wollte. Amy war mittlerweile 7000 mal im Krankenhaus. Sie ist noch immer, seit 1995, acht Jahre alt.Ich weiß endlich wie die ewige Liebe und das ewige Glück funktionieren: es reicht das Versenden der Mails an alle verfügbaren und sonst bekannten Adressen innerhalb von 3 Sekunden. Dabei muss man sich mit der rechten Hand am Rücken kratzen und gleichzeitig um einen Renault 4 hüpfen – gegen den Uhrzeigersinn. Dann klappt es.Ich habe alle 25 Bänder des Dalai Lama gelesen und habe 4690 Jahre Glück und Wohlstand gesammelt.Ich habe mindestens drei Tierarten vom Aussterben gerettet, besonders das weißrussische Einhörnchen.Ich warte noch immer auf eine Milliarde boukistanischer Golddukaten, die mir der unbekannte Milliardär versprochen hat, wenn ich genügend Mails an Ericsson und Nokia verschicke.
Und nun DANKE ICH ALLEN!
WICHTIG: wenn ihr in den nächsten 20 Sekunden diese Mails nicht an mindestens 860 Adressen verschickt, werdet ihr vom kosmischen Dinosaurus verschluckt, nicht nur ihr, auch eure Familie, zusammen mit der kleinen Amy Bruce, die wieder im Krankenhaus ist.“
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Wer in Belgrad lebt, weiß, wo die amerikanische Botschaft liegt. Im Zentrum, in der Fürst-Miloš-Straße, gut bewacht, nicht zu übersehen. Kaum einer, der in Belgrad lebt, weiß, dass sich auf der anderen Straßenseite, just gegenüber der Botschaft, eine Unterkunft für alleinstehende Männer befindet. Noch unbekannter ist, dass die Bewohner in der Kneipe „Jezero“ („Der See“), im Erdgeschoss des Hotels, gerne ihr Bierchen trinken.
Der Besitzer tauft kürzlich seine Kneipe um, nennt sie jetzt „Osama“ („Alleinsein“) und will damit betonen, daß seine Gäste die alleinstehenden Männer seines Hotels sind. Gleich beschweren sich die benachbarten US-Diplomaten bitterlich und veranlassen den Besitzer, den Namen zu ändern. Seine Erklärungen, dass die Kneipe mit Osama bin Laden nichts zu tun hat, hilft nichts. Bevor es zu ernsthaften Auseinandersetzungen kommt, kriegt die Kneipe einen neuen Namen. Soweit die Nachricht Nummer eins.
Die Nachricht Nummer zwei lautet: immer mehr Serben fahren an die (jetzt) kroatische Adria. Es passiert aber, dass Autos mit serbischen Kennzeichen an der Küste demoliert werden, und so hat ein gewisser Goran aus Belgrad einen Trick erfunden, der die Autos vor Gewalt schützt. Über den serbischen Kennzeichen werden nun – gleich nach dem Grenzübergang – kroatische angebracht, per Magnet. „Eine lohnende Angelegenheit, leider nur im Sommer“, ließ Goran verlauten.
Beide Nachrichten wurden sowohl in serbischen, kroatischen, ungarischen, chinesischen, vietnamesischen als auch in indischen Medien veröffentlicht.
Beide Nachrichten sind erlogen.Erdacht auf der Blogseite von B 92, und zwar von jungen Leuten, die sich "Illegale Zuckerbäcker" nennen und als "kulturell-künstlerische“ Gemeinschaft" bezeichnen.
Das Belgrader Magazin „Vreme“ („Die Zeit“) eröffnet die Diskussion um die Macht des Blogs und fragt: was nun. Zwei erlogene Geschichten aus Serbien haben die Welt erreicht, ohne irgendwelche Konsequenzen. Die Journalisten haben gezeigt, dass sie leicht in die Unprofessionalität abgleiten können. Alles in allem nichts neues und nichts besonderes. "Vreme" fragt, was aber, wenn es sich um eine Nachricht handelt, die tatsächlich ernsthafte Konsequenzen hat?
Und einer der Zuckerbäcker erklärt das Entstehen dieser Nachrichten so: "Jeder weiß, dass das, was in den Medien steht, zu 90% nicht wahr ist. Weil Medien eher eine Waffe der Macht sind, als eine Informationsquelle".
Waffe hin und Information her, Tatsache ist, die Zeit der Unschuld ist vorbei. Die mediale Macht der Blogs schreitet voran, Zuckerbäcker haben erneut zugeschlagen, der Blog vom B92 hat in diesem Monat fast 400.000 Besucher gezählt.
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Vršac zählt etwa 40.000 Einwohner, liegt in der Panonischen Ebene zwischen Budapest und Belgrad. Und lebt bis vor ein paar Tagen das verschlafene Dasein einer verschlafenen Kleinstadt in der Provinz. Plötzlich jagt eine Nachricht die andere. Selten, dass die Belgrader Medien die Provinz so sehr lieben.
Die Nachricht Nummer 1: (OK, einverstanden, alle schreiben darüber, dass der Freund von Brigitte Bardot an der serbisch-rumänischen Grenze weilt. Und ein Motorradrennen eröffnet. Und seinen Senf zur Kosovounabhängigkeit abgibt. Und sich entschlossen hat seinen französischen Wahlkampf gerade in der serbischen Provinz zu eröffnen. So die serbischen Medien.)
Die offizielle Meldung lautet: „Der französische Ultranationalist Jean-Marie Le Pen hat am Sonntag, den 20. August, ein Motorradrennen in der Kleinstadt Vršac eröffnet.“
Und verkündet, dass Frankreich, sogar Europa die Unabhängigkeit von Kosovo stoppen sollen. Und dass er gerne Herrn Šešelj, den Chef der serbischen Radikalen, im Haager Gefängnis besuchen würde. Aber nicht darf.
Die Opposition demonstriert, die Medien berichten, Monsieur wird offiziell von niemand empfangen.
Die Nachricht Nummer 2: Der serbische Pharmakonzern CHEMOPHARM wurde an die deutsche STADA für viel Geld verkauft. So weit, so gut. Alle freuen sich. Vor allem die 2.900 Kleinaktionäre, Mitarbeiter der Erfolgsfirma aus Vršac, die nun über 70 Millionen Euro verfügen. Sofort eilen Autoverkäufer und Makler in die Provinz. Die Erfahrung aus anderen Provinzstädten, in denen diverse Konzerne veräußert wurden, lehrt sie, der Mensch braucht vier Räder und ein Eigenheim. Der Rest der serbischen Welt blickt neidisch nach Vršac, die Kleinaktionäre meiden bis jetzt den Kaufrausch und halten sich bedeckt.
Die Nachricht Nummer 3:Ein Mensch Namens Georg K. hat einen Hund mit einem Schuss getötet. Nichts Neues in einem Land, in dem Tiere angezündet, lebend verbrannt und gequält werden. Neu und absolut einzigartig ist, daß er für seine Tat angeklagt ist. Falls er verurteilt wird, kann er bis zu sechs Monaten verknackt werden und muß etwa 2.500 Euro löhnen. Happig, wenn es nur um einen Hund geht.
Im September soll das erste Tierschutzgesetz in Serbien verabschiedet werden. Gäbe es nicht Serbiens Bestrebungen in die EU aufgenommen zu werden, gäbe es auch das Gesetz nicht und die Anklage wohl auch nicht. Wie viele herrenlose Hunde es in Vršac gibt, weiß ich nicht. In Belgrad, einer Zweimillionenstadt, sind fast 5000 Hunde auf der Straße, herrenlos und obdachlos.
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Das ist das Burgfräulein vom Belgrader Hof, einige Wochen alt, gerade gerettet. Es war November, ich führte meine tägliche Katzenfütterung im Hof durch, die streunende Katzenmeute in Warteposition, drapiert auf den Flachdächern der Nachbarnhäuser. Es miaute kläglich aus einem der Keller. Ein schwarzes Etwas suchte lautstark nach Zuwendung. Milena sagte: „Das hier überlebt den Winter nicht“.
„Das hier“ war gerade eine Handvoll, kam sofort in die warme Wohnung in den vierten Stock, ist heute drei Jahre alt und kämpft gerade mit dem Neuzugang aus Hamburg.
Aber das ist eine andere Geschichte.
Der hier nicht abgebildete Laptop, der neben dem Drucker steht, soll mich, per Internet, mit dem Planeten Erde verbinden. Dafür brauche ich einen Provider und solche heißen in Belgrad EUNET, SEZAM PRO oder IKOM. Ich bin (noch) eine Prepaid-Nutzerin, zahle ein, wenn Bedarf, und darf meine Stunden absurfen. Surfen? Stark übertrieben. Denn mit 56Kb bin ich eher auf der langsamen Seite des Lebens.
Von einem ADSL träume ich seit Jahren. Keine Chance, die meisten Anschlüsse in Serbien sind analog. Vor zwei Jahren stelle ich einen Antrag auf eine ISDN-Leitung und darf warten. Nach zwei Jahren, ohne jemanden geschmiert zu haben, ist ISDN im Haus. Es ist noch immer mühsam, die Leitung bricht alle paar Minuten zusammen, aber immerhin habe ich jetzt 128Kb zur Verfügung.
Mittlerweile und mit deutscher Hilfe wird das Netz auf digital umgestellt, die flat rate und ADSL sind jetzt bezahlbar. Ich stelle einen Antrag, prompt wird geprüft, ob die technischen Möglichkeiten vorhanden sind. Ja, sie sind vorhanden, in den nächsten Tagen ist der Splitter da. Sagen sie. Seit sechs Monaten ist der Splitter nicht da. Es fehlt ein „Port“. Und für ISDN-Anschlüsse gibt es keine freien „Ports“. Hätte ich noch den analogen Anschluß, wäre ich schon längst dabei. Also warte ich noch immer und werde demnächst schmieren müssen.
Ortswechsel.
Meine Provider in Hamburg heißen AOL und „1+1“. Bei AOL nutze ich den Journalistenrabatt und surfe meine 20 Stunden umsonst, bei „1+1“ zahle ich den Splitter und die ADSL-Leitung. Nun ist meine Lebensmitte in Belgrad und ich will den schnellen Provider in Hamburg per E-Mail kündigen. Ja, kündigen darf ich, um mich zu identifizieren, soll ich eine „0800-Nummer“ anrufen. Das aber geht von Belgrad aus nicht, also, fliegen die Mails hin und her, am Ende stimmt der Provider gnädig zu: ein Brief würde reichen. Aber: der nächstmögliche Termin ist in sieben Monaten. Beschweren hilft nicht, und so werde ich bis März jeden Monat 22 Euro für eine ungenutzte Leitung löhnen.So nerven die Herren der globalen Datenautobahn an allen Ecken: Die Belgrader lassen mich nicht hinein, die Deutschen wollen mich nicht entlassen.
Das Hoffräulein macht das Leben wieder hell. Jetzt hat sie die Spülmaschine entdeckt. Wenn die Tür offen ist, bewegt sie stundenlang mit Hingabe den Wasserstrahlarm, nach links und nach rechts und dann von vorne.
Mit dem Hamburger Neuzugang, zwei Stück Katze, geht es weniger spielerisch zu. Die „Deutschen“ haben die Zimmer vereinnahmt, das Belgrader Waisenkind nennt die Küche und den Balkon sein eigen.Milena redet schon von „Serbien und Montenegro“. Nur das Fressen verwischt die Grenzen, ein Waffenstillstand für kurze Zeit, danach geht das Gekeife wieder los.
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Daß Hamburger Verhältnisse mich zwanzig Jahre später in Belgrad einholen würden, das hätte ich nicht gedacht.Damals erschienen in Hamburg die ersten Zeitungsberichte über tote Nachbarn, die wochenlang niemand vermißt hat. Ich begann die Berichte zu archivieren unter der Überschrift „Entfremdung im zivilisierten Westen“. Der einsame Tod der unbekannten Menschen berührte mich. Etwas später, als das Fernsehen das Thema entdeckte, berichteten die gleichgültig wirkende Hausbewohner „Ja, wir haben ihn/sie kaum gekannt“.
Nun ist es auch in Belgrad so weit: Mein Jugendfreund Milan lag seit zehn Tagen tot in seiner Wohnung.
Das Haus, in dem wir aufgewachsen sind, liegt in der lebendigen Innenstadt Belgrads. Es wurde 1936 im schönsten Art-Deco-Stil gebaut. Rosamarmortreppen, klare Linien, Glas und Metall, fünf Stockwerke hoch, versteckt unter den Platanenkronen. Leider heute heruntergekommen, wie viele Bauten in Belgrad. Seine alte Schönheit spürt man dennoch.
Das Haus selbst ist geschichtenträchtig. Kaum gebaut, wurde aus dem ehrenwerten Haus ein deutsches Bordell. Ganz berühmt in der Stadt, während der Naziherrschaft. Nach dem Krieg wurde zuerst der Hausbesitzer enteignet, dann die Wohnungen im Bezirksamt verteilt. Ganz Jugoslawien, Menschen aus allen Gegenden des Landes, wohnten plötzlich in dem Prachtbau. Ein bosnischer Arbeiter samt drei Kindern, der Sonntagmittags stets „Hörerwünsche“ durch den Hof hallen ließ. Rahela Ferari, die jüdische Schauspielerin, bei der wir Kinder uns immer verkleiden durften, ein Major aus Mazedonien, der bald der Vorsitzende des Hausrates geworden war. Oma Milena aus Dalmatien saß auf ihrem Schemel vor dem Haus, so wie sie es in ihrem Dorf gewohnt war. Die Straßenbahn donnerte direkt vor ihrer Nase, sie strickte weiter. Es gab keine Kühlschränke, es gab einen „Eiskasten“, in dem riesige Wassermelonen im Sommer gekühlt wurden, sonntags klopften junge Frauen, die unsere Mütter waren, Teppiche im Hof. Es gab Lebensmittelkarten und lange Schlangen vor den Läden.
Das aber, was dieses Haus auszeichnete, waren seine Menschen. Die miteinander lebten, Brot und Butter und ihre Sorgen teilten. Wir waren viele Kinder, spielten, prügelten uns, und waren in diesem Mikrokosmos glücklich. Aus den Kindern sind Erwachsene geworden, die jungen Frauen, die damals ins Haus kamen, sind heute alte, runzelige Damen. Viele neuen Mieter sind hinzugezogen, es gibt einen Optiker und einen Zahnarzt und die Neuen grüßen kaum, wenn man ihnen am Aufzug begegnet.
Vor zwei Wochen mußte ich feststellen, daß nichts mehr ist, wie es einmal war.Im Treppenhaus standen zwei junge Polizisten. Was sie da machen, fragte ich, Ihre Antwort: „Da liegt ein Toter“.Mein Jugendfreund Milan. Die Menschen, die früher Glück und Leid geteilt haben, haben es nicht mal bemerkt. „Er war merkwürdig“, war die Antwort meiner Nachbarn.
Tatsache war, daß Milan in höchster Armut gelebt hat. Gestorben ist er alleine, vor der laufenden Schwarz-Weiß-Glotze, in seinem verrotteten Sessel. Oma Rada, alleinlebend und genauso arm wie er, seine einzige Freundin, bei der er zum Kaffeetrinken kam, war nach eine Woche in Sorge. Und hat die Polizei gerufen.Milan ist auf Staatskosten beerdigt worden.
So schreitet Belgrad mit großen Schritten der Globalisierung entgegen, wie es scheint ist „der zivilisierte Westen“ schon bis zur Haustür vorgedrungen.