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Nicht nur ein schlechter Traum

Gestern war der sechste Tag, an dem Peking unter einer fetten Smogglocke lag. Sechs Tage, an denen die Sonne wie in einem apokalyptischen Film nur als fahle Scheibe am braun-grauen Himmel klebte. Das sieht nicht nur schlimm aus, sondern fühlt sich auch so an. Wenn reine Luft zum Atmen fehlt, werden Menschen nervös, reizbar, depressiv oder krank.

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Inzwischen auch wütend und aufmüpfig. Die chinesische Regierung hatte zwar viel versprochen, als sie im Oktober 2013 ein Aktionspaket gegen die Luftverschmutzung vorlegte. Doch passiert ist dieses Mal so gut wie nichts. Einige wenige Fabriken wurden geschlossen, das war’s. Regierungsautos blieben nicht in der Garage, Schulen wurden nicht geschlossen. Der Trick war einfach – die offiziell verkündeten Luftwerte lagen unter dem notwendigen Grenzwert. Die tatsächlichen freilich weit darüber.

Gestern Nachmittag erreichte mich eine SMS aus Deutschland. „Wie lange haltet ihr es da noch aus?“, lautete sie. Gute Frage. In Phasen, wo der AQI (Air Quality Index) permanent im tiefroten Bereich verharrt, will man natürlich nur eines: weg. Doch noch (!) gibt es sie, die Tage mit knallblauem Himmel, an denen die AQI-App auf meinem Handy dieses hübsche Froschgrün für gute Luft anzeigt. Und es sind gar nicht mal so wenige. Mit der aufgehenden Sonne steigt die Stimmung, alles geht einem leichter von der Hand. Heute ist so ein Tag. Über Nacht hat ein kräftiger Nordwind eingesetzt, der Peking von dem gesundheitsgefährdeten Feinstaub befreit hat.

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Dann guckt man aus dem Fenster, und denkt, es war alles nur ein schlechter Traum. Leider kehren Albträume öfter wieder als einem lieb ist.

 

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Frostige Zeiten

Wenn man zehn Jahre in den Tropen gelebt hat, kann einem der Winter nach einem Umzug in ein Land der nördlichen Hemisphäre zu schaffen machen. Zumal, wenn es ein Winter in Peking ist. Denn zu den wochenlangen, lausig kalten Temperaturen, kommen dann noch jene Tage, an denen der Horizont getrübt ist von dieser berüchtigten, grau-braunen Dunstschicht, die „dicke Luft“ bedeutet.

Glücklicherweise war es bisher aber, jedenfalls wird uns Neulingen das so erzählt, eher mild (also nur rund 30 Grad kälter als wir es um diese Jahreszeit in unserer alten Heimat, den Philippinen, hätten). Auch Tage mit richtig mieser Luft hat es noch nicht so viele gegeben wie vergangenes Jahr im Januar.

Es gibt also keinen Grund, sich im Haus zu verbarrikadieren. Ganz im Gegenteil, dank Väterchen Frost weitet sich der Kanon der möglichen Outdoor-Aktivitäten aus. Sehr populär sind beispielsweise Wanderungen auf bis zum Grund vereisten Flüssen.

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Einheimische machen es sich auf zugefrorenen Seen beim Picknick gemütlich, oder nehmen eine Abkürzung quer über die Eisfläche nach Hause.

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Und dann ist da natürlich der Klassiker: Schlittschuhlaufen. Am Stadtrand von Peking geht es ganz ohne Massenandrang, entspannt und stundenlang.

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Das einzige, was zum Glück dann noch fehlt, ist eine Bude, an der es Glühwein gibt. Aber das könnte ja ein Projekt für den nächsten langen Winter sein.

 

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Hilfe, die Chinesen kommen!

Die Propagandaschlacht um die erweiterte chinesische Luftraumüberwachungszone ADIZ (Air Defence Identification Zone) haben letzte Woche Japan und die USA gewonnen. Die Entrüstung hätten sie sich aber sparen können. Denn die ADIZ kann als Frühwarnzone von jedem Staat individuell festgelegt werden und darf sich mit Frühwarnzonen anderer Länder sehr wohl überschneiden.

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Katz und Maus im Gelben Meer: Wie lange kann Amerika mithalten?

Gelungen ist Amerika und seinem Protektorat Japan der Mediencoup deshalb, weil beide bewusst den Unterschied zwischen Warnzone und Hoheitsgebiet heruntergespielt haben. Auch in deutschen Berichterstattungen wirkte der chinesische Beschluss eher wie ein unverschämter Territorialraub als eine legale Vorgehensweise. Wie gesagt, die ADIZ ist kein Luftverteidigungsraum. Der darf nur 22 Kilometer über die Küste hinaus reichen. Und hier dürfen Unangemeldete, jene, die sich nicht zu erkennen gegeben haben, abgeschossen werden.

Genau das soll eine ADIZ verhindern: Zeit geben, um Missverständnisse aufzuklären.

Die Proteste Japans sind auch deshalb unangebracht, da das Kaiserreich über Jahrzehnte unilateral Schritt für Schritt seine eigene ADIZ erweitert hat. Der Abstand zum chinesischen Festland beträgt bisweilen nur noch 130 Kilometer. In diesem lautstarken Streit um Luftraum und verlassene Felseninseln (deren Besitzverhältnisse Japan als moralisch vorbelasteter Weltkriegsverlierer ebenfalls unilateral festnageln will), da kann die geopolitische Langfrist-Perspektive schnell aus dem Blickfeld geraten. Hier eine spekulative Einschätzung zum Thema China-Japan-USA:

1. In zwanzig, dreissig Jahren werden wir auf 2013 zurückblicken und sagen: „Damals hat offiziell das pazifische Jahrhundert der Chinesen begonnen“. Amerika kann sein Weltimperium nicht mehr finanzieren, beherrscht den Pazifik bis Hawaii – aber nicht darüber hinaus.

2. Die Erweiterung der ADIZ ist für China einer von vielen legalen Schachzügen, die nun folgen werden, um die USA-Japan Allianz zu testen und den Zugang vom Ostchinesischen Meer zum Pazifik zu sichern.

3. Der Masse China ist kein Staat gewachsen, und schon gar nicht, wenn Peking im Techno-Militärbereich aufgeholt hat. Japan bleiben dann nur zwei Optionen: Es wird die Schweiz Asiens – eine eigenwillige, kuriose und neutrale Insel im chinesischen Machtbereich. Oder ein Protektorat Chinas. In beiden Fällen ist es nicht ausgeschlossen, dass in Japan das demokratische System kippt und einem Überwachungsstaat weicht, der sich auf Notstandsgesetze beruft.

4. China und Japan sind nationalistisch gestimmt und versuchen Reformen durchzuboxen, von denen das wirtschaftliche Wohlergehen der kommenden Jahrzehnte abhängt. In China heissen die heissen Eisen „Korruption, Umweltvergiftung und Einkommensungleichheit“. In Japan sind es „Korruption, Atomverschmutzung, Altersversorgung und allgemeiner Wirtschaftsstillstand“. Laufen Reformen schief, könnten die Rivalen mit den alten Territorialansprüche ablenken, die Bevölkerung aufhetzen. Ein Kleingefecht würde dann China (vor)schneller riskieren als Japan – auch hier, um die Allianz zu testen.

5. Das Katz- und Mausspiel zwischen amerikanischen und chinesischen Kampffliegern findet schon seit Jahrzehnten statt – wobei sich amerikanische Piloten (in der chinesichen ADIZ) beschweren, dass sich die Konkurrenten bis auf drei Meter Flügelabstand nähern. Mit der erweiterten chinesischen ADIZ wird sich das nicht ändern. Unfälle gab es bisher fast keine – anzunehmen, dass es so bleibt. Ausser, man will bewusst eskalieren. Umgekehrte Frage: Wie nahe würden amerikanische Jets in der eigenen ADIZ, sagen wir vor der Küste Kaliforniens, an chinesische Shenyang Fighters heranfliegen, bzw. diese heranlassen?

6. Ein katastrophales Beben in Japan – wie zum Beispiel entlang des Nankai-Grabens (Wahrscheinlichkeit 70% in den nächsten dreissig Jahren mit 330,000 Toten) kann Abläufe in den Punkten 1 bis 5 beschleunigen oder verzögern. Vorab wird jedoch eine Propagandaschlacht einsetzen. Wer ist die bessere Weltmacht, die gute, die helfende? China oder Amerika?

 

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Hauptsache, LAUT!

Seit wir vor ziemlich genau zwei Monaten nach Peking gezogen sind, ist ein ruhiges Plätzchen schwer zu finden. Das liegt zum einen an den großen Baustellen neben und hinter unserem Haus. Doch das Problem ist temporär und wird irgendwann verschwinden. Etwas anderes aber wird uns während unserer Zeit im Reich der Mitte begleiten: Die Freude der Chinesen am Lärmen, am geselligen und kakophonischen Beisammensein.

Was den normalen Mitteleuropäer zurückprallen lässt, ist für die Einheimischen normale Härte. Knallvolle Restaurants, dichtes Treiben vor Sehenswürdigkeiten, Schieben und Drängen an Bushaltestellen, und das alles mit möglichst lautstarker Untermalung (Nein, ich fange jetzt nicht an, mich über das deutlich hörbare, röchelnde Spucken auszulassen). Hier ist das Alltag und deswegen gibt es auch ein Wort dafür: Rè Nào nennen die Chinesen den Zustand der lärmenden Enge. Laut meiner Chinesischlehrerin ist der Begriff eine Zusammensetzung der Worte „heiß“ und „laut“. Das trifft’s genau.

Re Nao

Bei unserem ersten Trip in den Süden Chinas vor drei Wochen sammelten wir intensiv Erfahrung mit Rè Nào. Es war während der so genannten Golden Week, wenn sich ganz China und wenige, unerfahrene Ausländer (also wir) auf Reisen begeben. Egal, zu welcher Sehenswürdigkeit wir kamen, durch welche Gassen wir gingen, auf welchem Ausflugsdampfer wir fuhren – es gab kein Entkommen von den Massen, die sich freudig ihre Urlaubs-Eindrücke zubrüllten.

 

Inzwischen kann ich verstehen, dass eine chinesische Freundin, die vor Jahren als Krankenschwester nach Österreich ging, bei ihrer Ankunft in Wien dachte, es sei etwas Furchtbares geschehen. Ganz still und menschenleer wären die Straßen der Hauptstadt an jenem Sonntagmorgen gewesen. Das hätte ihr richtig Angst gemacht, und sie hätte gedacht, dass vielleicht ein Krieg bevorstünde und deswegen alle Menschen in ihren Häusern wären. Damals hatte ich diese Geschichte nicht verstanden, als eine übertriebene Anekdote abgehakt. Doch aus hiesiger Perspektive wird der Kulturschock begreifbar, den meine an Rè Nào gewöhnte Freundin erlitten hatte. So wie ich jetzt (eigentlich wollte ich immer im dünn besiedelten Schweden leben, aber das ist eine andere Geschichte). Egal, meine Freundin hat sich bestens mit ihrem ruhigeren Leben in Wien arrangiert. Das wird mir mit dem kakophonischen Alltag in China sicher auch gelingen. Irgendwann jedenfalls.

 

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Nummernschilder zu vermieten – oder auch nicht

Gerade letzte Woche habe ich sie wieder bekommen, die SMS: Lieber Kunde, leider haben Sie auch dieses Mal wieder nicht in der Lotterie gewonnen. Schade. Zwar gehts nicht um entgagene Millionen – sondern nur um ein entgagenes Nummernschild. Doch ohne Nummernschild gibts kein Auto in Peking. Seit einem Jahr landet mein Name jeden Monat mit Hunderttausenden anderer Führerscheinbesitzer der Hauptstadt in einem Topf, und nur 20.000 werden gezogen. Unbestreitbar eine nötige Maßnahme, auch wenn ich dadurch statistisch gesehen wohl noch ein paar Jahre warten muss. Mehr als fünf Milliionen Autos schieben sich durch Peking, es herrscht seit Jahren Dauerstau. Von der Luft ganz zu schweigen. Und das Los ist zumindest von der Idee her demokratisch. In Shanghai dagegen werden Nummernschilder versteigert und kosten mittlerweile umgerechnet 100.000 Euro. Mehr als viele Automobilmodelle.

 

Begehrtes Objekt: Pekinger Nummernschild

Begehrtes Objekt: Pekinger Nummernschild

 

Dass man aber auch in Peking Geld mit Nummernschildern verdienen konnte, zeigte “Tante Wang”, deren illegales Geschäft vor ein paar Tagen aufflog: Wang Xiuxia vermietete mehr als 1000 Nummernschilder, die sie allesamt vor Einführung der Nummernschild-Lotterie Ende 2010 erworben hatte. Offenbar hatte sie sie jahrelang gehortet. Die Dame aus Pekings Nachbarstadt Tianjin hatte schon 2005 zugeschlagen, nachdem ein Verbot für Nicht-Pekinger aufgehoben wurde, Autos in Peking zu registrieren. Die Schilder kosteten nichts, sondern waren wie in Deutschland mit der Anmeldung verbunden, und man zahlte dann eben Kfz-Steuer. Wie Frau Wang N 1000 Schilder kam, ist noch unbekannt. Aber als die Lotterie startete, witterte sie das große Geld. Und alles ging gut. Bis einer ihrer “Mieter” mit dem auf ihren Namen laufenden Fahrzeug einen Unfall verursachte und Fahrerflucht beging. Offenbar hatte aber der Geschädigte das Nummernschild aufgeschrieben. Clever – und Pech für Frau Wang, die angeblich bis dahin eine MIllion Euro mit dem Schilderbusiness verdient hatte. “Ich habe für 10.000 Yuan auf Lebenszeit ein Nummernschild gemietet”, erklärte ein namenloser Fahrer lokalen Medien (wo auch immer diese den Mann aufgetrieben haben).
Nun also ist Schluss mit lustig. Die Verkehrsbehörde erklärte alle 1000 Nummernschilder für ungültig. Parallel dazu gab die Stadtregierung diese Woche bekannt, weitere Restriktionen zu erlassen: Ein neuer Plan zur Luftreinhaltung für 2013-2017 sieht vor, ab 2017 eine Art “Verstopfungs-Abgabe” einzuführen. Außerdem will sie bis dahin die Parkgebühren deutlich anheben und mehr Gebiete für Fahrzeuge außerhalb Pekings sperren.

 

Muss bald draussen bleiben: Nummernschild der Inneren Mongolei

Muss bald draussen bleiben: Nummernschild der Inneren Mongolei

 

Erstmals ging Peking im Kampf gegen den Dreck diese Woche sogar gegen große Staatsfirmen vor: Das Umweltministerium stoppte je ein Projekt der Ölriesen SInopec und CNPC, da diese ihre Auflagen zur Emissionsreduktion nicht erfüllt hatten. Das ist mal eine gute Nachricht. Unter Druck stehen dieselben Firmen, da sie minderwertiges Benzin produzieren – auch die schlechte Qualität des Treibstoffs ist ein Grund für die urbane Luftverschmutzung. Es gibt viel zu tun.
Und 1000 Ex-Schilder-Mieter von Frau Wang müssen jetzt mit mir in den Lotterietopf. Viel Glück!

 

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Luftschlösser und Hundelöwen

Professor Zhang kennt inzwischen jeder in China. Das ist jener Irrsinnige, der auf dem Dach eines Wohnturms am Rande Pekings wie ein Superböser in Actionfilmen ein heimliches, unsichtbares Reich aufgebaut hat – in sechs Jahren harter Handarbeit, mit Blick auf den See nebenan. Professor Zhang strebt sicher nicht die Weltherrschaft an von seinem Penthouse aus Villa, Steingarten und Gemüseäckern. Doch er gefährdet Statik und Erdbebensicherheit des Turms, und hat keine Genehmigung – und so muss sein gerade erst von lokalen Journalisten entdecktes Reich weichen, sagen Baubehörde und Polizei. (Findige Fans flogen vor dem Abriss nochmal schnell mit dem Helikopter über Zhangs Bauwerk, HIER das Video und Fotos dazu)

Doch inzwischen ist klar, dass Zhang beileibe kein Einzelfall ist – Dachbebauung ist offenbar auch anderswo hip. Während in Tokio die Kaufhäuser im Sommer Biergärten auf dem Dach installieren, baute ein Einkaufscenter in der südchinesischen Stadt Zhuzhou dort vier illegale Villen mit Garten (Fotos HIER). Effizienter mit ihrem Platz ging die Yongxing Investment & Construction Group in der Stadt Hengyang um, die 2009 gleich 25 Einzelhäuser auf ihr Einkaufsparadies stellte (siehe FOTOS), die ebenfalls jetzt erst entdeckt wurden. Beide Städte liegen in der Provinz Hunan – dort legen die Menschen wahrscheinlich inzwischen beim Einkaufen den Kopf in den Nacken um zu sehen, ob sich über ihrem Einkaufsdorado nicht eine zweite Welt verbirgt. Denn wer nimmt schon an, dass es nicht noch weit mehr Beispiele gibt – deren Bauherren sich jetzt ganz still verhalten. Denn diese Bauten sind illegal und sollen allesamt abgerissen werden. Professor Zhang hat aber offenbar noch etwas Zeit zum Durchatmen: Nach lokalen Presseberichten brauchen die Behörden für den Abriss seines luftigen Kunstgebirges erst mal eine Genehmigung.

Völlig legal ist indes die Kopie des weltberühmten Pekinger Himmelstempels, welche ein paar Distriktpolitiker in der Yangtse-Metropole Wuhan bauen lassen: Das dreistöckige kreisrunde Gebäude (nicht ganz so hübsch wie das Original, nur FAST) steht inmitten eines gigantischen neuen Friedhofs, den sich die Distriktgenossen umgerechnet schlappe 100 Millionen Euro kosten lassen. Eine Sprecherin der Wuhan Jinhui Company of Cultural and Ecological Gardens betonte, bei Friedhof und Himmelstempel-Fake handele sich um ein “ökologisches Projekt”, das den Tourismus fördere. Na dann. Tourismus oder zumindest Besucherzahlen fördern wollten wohl auch die Verantwortlichen des Zoos der Kleinstadt Luohe. In Ermangelung eines echten Exemplars gaben sie einfach eine Tibetdogge als Löwen aus. Ging ein Weilchen gut, aber dann bemerkten Besucher, dass das Tier im Löwenkäfig bellte. Es folgte ein Aufschrei im Internet. Zoodirektor Liu betonte, man habe doch nur der Dogge eines Freundes Unterschlupf geben wollen, während dieser im Urlaub sei. Die Löwen kämen bald zurück, nie habe man daran gedacht, die Menschen zu betrügen. Klare Sache. Nur befindet sich laut der “Beijinger Jugendzeitung” ein weiterer Hund im Wolfskäfig, sowie Füchse im Leopardengehege und Biberratten in der Schlangenhöhle.

Seit heute morgen ist es kühl draußen, leichter Frühdunst lag in der Luft und es riecht irgendwie anders. Sprich, der Herbst kommt und damit verschwinden solche Themen in der Versenkung. Schade. Heute steht Bo Xilai wegen Korruption vor Gericht, ein einstiger Politstar und Provinzfürst, dessen Frau kürzlich wegen Mordes an einem britischen Geschäftsmann verurteilt worde. Bekommt Bo die Todesstrafe? Bricht die Wirtschaft ein, welche Reformen plant denn nun die Kommunistische Partei jetzt im Herbst? Alles wichtige Fragen. Aber es wäre doch auch gut zu wissen, wie lange Zhangs Haus noch stehen bleiben darf. Und was seine Nachbarn sagen. Und ob die Biberratten auch Lius Freunden gehören. Und wieviele Zhangs oder Löwendoggen es noch so gibt im Land. Doch dafür hat jetzt wohl erstmal keiner mehr Zeit.

 

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Atemmasken zum Neujahrsfest

Es gibt einen neuen Geschenkehit zum chinesischen Neujahrsfest: Atemmasken. Wo sonst vor allem rote Umschläge mit Geld oder edle Früchte und andere Speisen verschenkt werden, gehts jetzt auch um Dinge zur Förderung der Gesundheit. Seit Wochen hängt eine dicke Smogwolke über dem Land, und darüber freuen sich ein paar gewitzte Unternehmer, die ihre Masken gezielt zum Neujahrsfest in zwei Wochen anpreisen. So stellen zum Beispiel Apotheken die Masken, sonst irgendwo hinten im Lager platziert, nun vorn ins Schaufenster – gleich mit Werbung: Speziell gegen PM2,5, also Feinstaub, seien die Masken. PM2,5 – was in Deutschland Feinstaub heißt – ist auch in China heute das Hauptreizwort im Zusammenhang mit dem Smog. Auch teure Lufreiniger werden angepriesen, die sich früher kaum ein Mensch gekauft hätte.

Schon immer seien chinesische Geschäftsleute gut darin gewesen, aus Krisen prima Geschäftsideen zu generieren, schreibt die staatliche Zeitung China Daily (link). Für die derzeit zig Millionen Wanderarbeitern bevorstehende beschwerliche Eisenbahnreise in ihre Heimatdörfer zum Neujahrsfest dachte sich ein Unternehmer eine Art Schlafhaube aus. Sie sieht aus wie ein Kesselwärmer mit einem Loch zum Atmen um die Nase und Löchern über dem Kopf, in die man die Arme stecken und verschränken kann. Keine Ahnung, wer so schlafen kann. Aber besser als nichts, so ist es wohl. Im Laufe eines Skandals um Babymilchpulver Ende 2008 stiegen viele Firmen ganz schnell in den Milchpulver-Import ein. Und als ein Skandal um recyceltes Speiseöl für Aufregung sorgte, erfanden Unternehmer ein angebliches “Schmutzöl-Testpapier” und verdienten einen Haufen Geld damit.

Leider hat noch keiner eine Windmaschine erfunden. Vor drei Tagen blies ein steifer Nordwind aus Sibirien, und die Feinstaub-Werte lagen zack auf unter 50, dem Grenzwert der Weltgesundheitsorganisation. Doch seither herrscht wieder Windstille, und alles wieder auf Anfang; die Werte schrauben sich ohne Wind sofort unerbittlich hoch. Ab 250 werden Aktivitäten im Freien eingeschränkt – zB alle Sportveranstaltungen unserer Kinder abgesagt. Heute morgen haben wir 425. Fast schon Routine in diesen Tagen.

 

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Recherchieren in China – ein Interview mit Janis Vougioukas

Für das Buch “Echt Wahr! Wie Journalisten Wirklichkeit erzählen” haben Studenten der Hamburg Media School (inzwischen sind sie Absolventen!) auch Interviews mit Korrespondenten des Weltreporter-Netzwerks geführt. In diesem Werkstattgespräch erzählte Janis Vougioukas Christina Lachnitt von seiner – manchmal ganz schön schwierigen – Arbeit in China.

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Keine Transparente, keine Sprechchöre. Eine kleine Demonstrati­on, kaum als solche erkennbar. Nur ein paar Dutzend Menschen, die im Regen stehen. Selbst das ist zu viel: Die Journalisten auf dem Platz, darunter Janis Vougioukas, werden von der Polizei „einge­sammelt“, wie der Korrespondent es später ausdrückt. „Das zeigt, wie nervös das Regime ist.“ Vougioukas lebt seit 2002 in Shanghai, berichtet aus Südostasien für den Stern. Mit Christina Lachnitt sprach er über die schwierigen Arbeitsbedingungen für ausländi­sche Korrespondenten, mutige chinesische Kollegen – und warum er trotz allem gerne aus China berichtet: „Probleme machen die Arbeit für mich erst interessant.“

Herr Vougioukas, Sie sind im März 2011 in Shanghai bei einer Demonstration festgenommen worden. Was war da los?
Wenn Sie die Szene als Passant gesehen hätten, würden Sie vielleicht sagen: nichts. Vor einem Kaufhaus hatten sich etwa 50 Menschen ver­sammelt, ohne Transparente. Sie gingen in dem Trubel auf der Stra­ße fast unter, es war eine getarnte Demonstration. Dazu aufgerufen hatte eine Handvoll Aktivisten, die die Proteste aus der arabischen Welt nach China bringen wollten. Sie nannten das Jasminrevolution.

Wie sind Sie auf eine so dezente Meinungsäußerung aufmerksam geworden?
Die Polizei hatte alle ausländischen Journalisten angerufen und da­vor gewarnt, an dem betreffenden Wochenende in die Innenstadt zu gehen. Ich habe mit Kollegen gesprochen: Eigentlich war diese win­zige Demonstration kein Thema für uns, wir wollten gar nicht be­richten. Aber wenn die Polizei uns extra anruft, ist es unsere jour­nalistische Pflicht, hinzugehen und aufzuschreiben, was passiert.

Der große Bruder hat Sie also selbst darauf gestoßen?
Die Reaktionen auf die Jasminrevolution waren absurd. Die Polizei ging zu Tee- und Blumenhändlern und sagte: Ihr dürft keinen Jas­mintee, keine Jasminsträucher verkaufen! Es war wie bei Orwell: Die Regierung versuchte das Wort Jasmin zu eliminieren, um den Men­schen ihr revolutionäres Gedankengut auszutreiben. Schon lange kursierte im Internet ein lustiges Video von Premierminister Wen Jiabao, aufgenommen bei einer Afrikareise. Er sang ein Lied, in dem eine Jasminblume vorkam. Das wollte die Regierung dann löschen.

Wo haben die Polizisten Sie hingebracht?
In einen unterirdischen Bunker, der vermutlich extra für diesen Zweck eingerichtet wurde. Aber, in China festgenommen zu wer­den ist für uns Korrespondenten nicht so schlimm, wie es klingt. Mir wurden nicht mal Handschellen angelegt, ich bin auch noch nie gefoltert worden. Die Festnahme hatte auch keine spürbaren Konsequenzen. Ich kannte ja die meisten der Polizisten und mit mir wurden ein Dutzend andere Journalisten festgenommen.

Und die Demonstranten?
Einige sind zu langen Haftstrafen verurteilt worden. Darunter auch ein Anfang 20-Jähriger, der mit Twitter-Posts zu dieser De­monstration aufgerufen hatte.

Das ist hart.
Die harsche Reaktion zeigt, wie überrascht und besorgt die Regie­rung war. Kurz zuvor war ein Bloomberg-Kameramann kranken­hausreif geschlagen worden. Vermieter wurden gedrängt, keine Journalisten mehr einzuquartieren. Die Familie der Freundin ei­nes Kollegen wurde unter Druck gesetzt, damit er nicht über diese Demonstration berichtet. Das sind doch schon Gestapo-Methoden. Es gibt zwar auch sonst immer wieder Demonstrationen, aber sie richten sich gegen ein Chemiewerk oder einen korrupten Beamten. Nie gegen das System generell, das hat es seit dem Massaker auf dem Tian’anmen-Platz nicht mehr gegeben.

In Ihrem Pass steht auf Chinesisch „Journalist“ – gel­ten Sie dadurch als Staatsfeind?
Nein, nicht automatisch. Aber jedes Hotel, in das man eincheckt, muss das Visum kopieren und an die Sicherheitsbehörden faxen. Wir müssen sogar den Pass vorzeigen, um ein Zugticket zu kaufen. Man kann kaum unentdeckt reisen, fällt überall sofort auf. Ausländische Fernsehteams schicken deshalb oft Chinesen mit Kameras los.

Trotzdem gibt es immer wieder Festnahmen.
Ja, das passiert regelmäßig. Aber uns Korrespondenten kann ja nicht viel passieren. Die größte Gefahr besteht für unsere chinesi­schen Interviewpartner. Um die muss man sich am meisten sorgen.

Wie schützen Sie Ihre Interviewpartner?
Viele ahnen gar nicht, in welcher Gefahr sie sich befinden, wenn sie mit ausländischen Journalisten sprechen. Bauern oder Enteig­nete, zum Beispiel. Da ändern wir die Namen. Wenn man aber Ai Weiwei spricht, ist das natürlich etwas anderes.

Bekommen Sie Auflagen vom Staat? Oder gibt es unge­schriebene Gesetze?
Es gibt geschriebene und ungeschriebene Gesetze, die sich mit der Zeit geändert haben. Früher mussten wir jede Inlandsreise geneh­migen lassen. Das war absurd. Einmal wollte ich nach Südchina in einen Freizeitpark fahren, für eine Geschichte mit dem Arbeitsti­tel „Die Chinesen entdecken den Urlaub“. Nach zwei Wochen hatte ich noch immer keine Genehmigung. Damals habe ich beschlossen, diese Regel zu ignorieren. Doch genau das ist die Idee dahinter: Wer gegen Regeln verstößt, gegen den kann die Regierung jeder­zeit vorgehen. Seit den Olympischen Spielen brauchen wir für In­landsreisen keine Zustimmung der Regierung mehr und auch kei­ne Begleiter. Das ist allerdings die einzige Regel, die sich gebessert hat. Sonst ist vieles immer komplizierter geworden.

Was zum Beispiel?
Unsere chinesischen Mitarbeiter werden stärker unter Druck ge­setzt, öfter als früher von der Geheimpolizei zu Gesprächen ein­geladen. Wenn sie gegen Regeln verstoßen, kommen sie auf eine schwarze Liste und werden es schwer haben, einen anderen Job im Mediensektor zu finden. Und das Internet ist ohne Tricks für Re­cherchen eigentlich nicht mehr zu gebrauchen. Ohne Virtuelle Pri­vatnetzwerke, sogenannte VPNs, mit denen man Firewalls umge­hen kann, läuft gar nichts. Ausländische Webseiten wie Google oder Facebook hat China längst ausgehebelt, indem chinesische Plagiate gegründet wurden. Die haben eine moderne Webseite, zensieren sich aber selbst und stehen unter der Fuchtel der Regierung.

Werden Sie abgehört?
Manchmal bekommt man durch Zufall mit, wie viel die Sicher­heitsbehörden über einen wissen. Ich bin vor ein paar Jahren in Shanghai umgezogen und habe deshalb mit zwei, drei Maklern ge­sprochen. Dann bekam ich einen Anruf von dem Herrn, der sonst mein Visum verlängert. Er sagte mir: „Ich nehme an Sie wissen, dass Sie uns das melden müssen, wenn Sie umziehen.“ Um das zu wissen, muss er meine Telefonate mitgehört haben.

Haben Sie denn das Gefühl, in einer Diktatur zu leben?
China ist das anarchistischste Land überhaupt. Ein Kollege hat mal geschrieben: „Es gibt in China nicht einen Diktator, sondern Zehn­tausende!“ Das beschreibt die Situation ganz gut. Denn jeder Stra­ßenpolizist, jeder Dorfbürgermeister, jeder kleine Beamte hat eine ganz eigene Vorstellung von Gesetzen und Vorschriften. Viele den­ken vor allem an die eigene Tasche, nicht an das Wohl des Staates. Es gibt keine Rechtssicherheit. Man kann sich auf keine Vorschrift, auf kein Gesetz verlassen. Das hat wirklich anarchische Züge. Viele Europäer haben da ein ganz falsches Bild.

Sie beschreiben in Ihrem Buch „Wenn Mao das wüsste“ das neue China. Was darf Mao nicht wissen?
China ist aggressiver im Kapitalismus und in der Verfolgung von materiellen Zielen als die meisten anderen Länder der Welt. Mao wäre davon schockiert. Wobei er das wahre China ohnehin nicht kannte: Weil er Flugangst hatte, fuhr er mit dem Zug. Die Behörden sorgten dann gerne dafür, dass wohlgenährte Bauern und Bäue­rinnen mit Ährenbüscheln neben den Gleisen standen. So wie wir es von Propagandapostern kennen.

Wenn Sie Berichte über China in Deutschland lesen: Wird die Wirklichkeit so abgebildet, wie Sie sie erleben?
Ich glaube nicht, dass es die Aufgabe des Journalismus ist, die Wirklichkeit abzubilden. Nachrichten sind Abweichungen vom All­tag. Wenn ein Flugzeug abstürzt und wir berichten darüber, ist das nur ein Ausschnitt der Realität. Die meisten Flugzeuge kommen heil an. Als 2010 die Unruhen in Bangkok waren, haben wir über die Straßen berichtet, in denen geschossen wurde, in denen Men­schen in ihrem Blut lagen. Gleichzeitig konnte man an 99 Prozent der thailändischen Strände völlig unbehelligt Urlaub machen. Den Lesern ist oft nicht klar, dass sie nur einen Ausschnitt betrachten. Das gilt auch für China.

Inwiefern?
Es stimmt, dass viele Menschen in China unzufrieden sind. Sie är­gern sich vielleicht über Korruption, teure Lebensmittel oder Infla­tion. Aber die meisten wollen keine andere Regierung. Nur wenige träumen von einem Systemwechsel, von so etwas wie Montagsde­monstrationen. Sie wollen keine Demokratie, sondern einfach nur Verbesserungen in der Partei. Sie haben Angst vor Unordnung. Die Partei ist für viele noch immer ein Garant für Stabilität. Nicht pla­nen zu können, das ist für viele Chinesen eine Horrorvorstellung. Für mich ist aber wichtig, wie die Regierung die Menschen behan­delt, die sich gegen sie stellen. Es die Aufgabe der Journalisten, auf diese ein oder zwei Prozent der Bevölkerung zu schauen.

China steht auf Platz 171 des Pressefreiheits-Index der Organisation Reporter ohne Grenzen. Noch schlechter werden nur sieben Länder eingestuft, unter anderem Nordkorea und Iran. Wie kommen Sie denn an Ihre Informationen?
Das ist oft unglaublich schwierig, selbst wenn es nur darum geht, wie viele T-Shirts oder Feuerwerkskörper in China hergestellt wer­den. Man muss immer noch Faxe schicken. Diese Beantragungs­faxe sind oft länger als der Text, der am Ende gedruckt wird. Es gibt meist keine Pressesprecher. Und wenn es sie gibt, sehen sie ihre Rolle nicht darin zu kommunizieren, sondern zu verhindern. Ich habe mich bewusst für Shanghai als Wohnort entschieden, ob­wohl die Stadt nicht das politische Zentrum Chinas ist. Aber das ist letztlich egal, weil man in Peking genauso weit von der Politik entfernt ist. Das ist wie früher die Kreml-Astrologie in Moskau. Wir könnten auch den Kaffee- oder in China vermutlich besser den Teesatz lesen und uns überlegen, was die Regierung entscheidet. Immerhin denken inzwischen nicht mehr alle Chinesen: Oh, ein ausländischer Journalist, der ist sicher ein Spion! Sie haben sich ein bisschen an Korrespondenten gewöhnt.

Worüber würden Sie gerne berichten, bekommen aber keinen Einblick?
Kein Journalist hat je einen echten Einblick in das chinesische Weltraumprogramm bekommen. Genauso ist es völlig unmöglich, eine Hintergrundgeschichte zur Volksbefreiungsarmee zu ma­chen. Da kommt man einfach nicht weiter. Man merkt bei der jour­nalistischen Arbeit, dass China noch ein Entwicklungsland ist. Das sehen viele deutsche Firmen oft nicht, die hierher kommen.

Wie ist die Lage für chinesische Journalisten?
Sie sind angehalten, positiv zu berichten. Das macht die Medien hier ziemlich langweilig, die Fernsehnachrichten sind unerträg­lich. Mir tun die Leute leid, die diesen Job machen müssen. Doch auch die chinesischen Medien müssen Gewinne erwirtschaften – und das geht nur mit gutem Journalismus. Es wird langsam besser.

Das heißt, die Kollegen trauen sich inzwischen mehr?
Es gibt immer mehr mutige Journalisten, die die Grenzen des Sys­tems ausreizen, so weit es geht. Da gelten viele ungeschriebene Ge­setze. Eins der wichtigsten ist: Wenn du einen Skandal aufdeckst, überlege gut, wen du angreifst. Je näher eine Person an der Zent­ralregierung ist, desto schwieriger wird es, über einen Skandal zu berichten. Ein echtes Problem ist auch der vorauseilende Gehorsam vieler Medien, die Selbstzensur. Weil die Regeln nicht klar sind, versuchen sie, vorwegzunehmen: Was könnte zensiert werden?

Gilt das für alle Themen – oder nur für die Politik?
Vor zwei Jahren hat in Shanghai ein Hochhaus gebrannt, Dutzende von Menschen starben. Ich dachte wirklich, dass über ein solches Thema offen berichtet werden kann. Doch dann kamen viele Miss­stände ans Licht: Die Feuerwehr hat, obwohl die Innenstadt hier längst aussieht wie ein Bambuswald aus Hochhäusern, keine Pum­pen, mit denen sie über den 5. oder 6. Stock hinauskommt. Dann ist bekannt geworden, dass die ursprünglich vom Bauherrn beauf­tragte Firma den Auftrag an einen Subunternehmer weitergege­ben hatte. Der wiederum an einen anderen. Das Ganze ist sechs Mal passiert. Viele der Firmen waren mit dem Staat verbandelt. Deshalb hat die Regierung das Thema dann strikt kontrolliert.

Trotz allem scheinen Sie gerne aus China zu berichten. Sie leben dort seit mehr als zehn Jahren. Warum?
Bevor ich nach China kam, habe ich in der politischen Berichter­stattung in Bayern gearbeitet, das war oft frustrierend – und das genaue Gegenteil. Allein dieses Gefühl, an einem Ort zu sein, an dem Weltgeschichte geschrieben wird! Ich konnte in den letzten Jahren das größte Privatisierungsprogramm der Welt beobach­ten. Dabei zusehen, wie 250 Millionen Menschen aus der Armut gehoben wurden. Wie ein ganzes Land nach vorne drängt, an die Weltspitze. Und dabei versucht, seine Probleme in den Griff zu be­kommen. Mir gefällt das dynamische Chaos in China und Probleme machen die Arbeit ja auch interessant. Ich habe mich hier noch keinen einzigen Tag gelangweilt.

Echt wahr!
Wie Journalisten Wirklichkeit erzählen
Karen Naundorf, Ulf Grüner (Hg.),
edition journalismus multimedial, BoD
Kontakt zu Christina Lachnitt und den anderen Autoren:
redaktion@kursbuch-echtwahr.info
 

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Wahltag in den USA trifft auf Machtwechsel in China

Alle wissen ja, dass in Amerika heute gewählt wird. Aber fast genau zeitgleich findet auch in China ein Machtwechsel statt. Von Wahl kann man hier zwar nicht sprechen. Ausgekungelt wurden die neuen Parteichefs in den Hinterzimmern der Kommunistischen Partei. Verkündet werden die neuen Miltglieder des engsten Machtzirkels – dem Ständigen Ausschuss des Politbüros der KPCh – auf dem am Donnerstag beginnenden Parteitag. Der findet nur alle fünf Jahre statt. Und deshalb ist es auch etwas Besonderes, dass die Großmacht USA und die Vielleicht-Bald-Großmacht China mit nur wenigen Tagen Abstand beide ihre politische Spitze zur Disposition stellen oder austauschen. Zum letzten Mal fanden US-Präsidentenwahl und KPCh-Parteitag im Jahr 1992 zeitgleich statt. Damals siegte in den USA Bill Clinton. In China war aber – drei Jahre nach der Niederschlagung der Tiananmen-Proteste – an einen Stabswechsel garnicht zu denken. Der damalige Parteichef und Präsident Jiang Zemin war gerade erst drei Jahre an der Macht und auf dem Parteitreffen eher dabei, diese zu konsolidieren. In den achtziger Jahren wechselten sich zwar einige Parteichefs ab, doch der starke Mann war der alte Reformpatriarch Deng Xiaoping. Und davor herrschten Mao und zumeist auch das Chaos.

Klar, der Spaß an einem solchen zeitlichen Zusammentreffen ist vor allem was für eingefleischte Politjunkies. Denn wahrscheinlich wird sich zwischen beiden Staaten gar nicht viel ändern – auch wenn der voraussichtliche neue KP-Chef und Präsident Xi Jinping am Ruder ist, und dann beim nächsten Gipfel entweder Obama oder Romney die Hand schüttelt. Die bilateralen Beziehungen der beiden Staaten gelten als die wichtigsten der Welt, und sie sind trotz regelmäßiger Spannungen und gelegentlichem Misstrauen eigentlich stabil.

Wie sehr die Amerikaner den chinesischen Stabwechsel in der Partei beobachten, ist von Peking aus schwer zu sagen. Aber die Chinesen schauen genau auf die USA. Die Debatten standen auf chinesischen Video-Plattformen. Obama sorgte auch hier 2008 für eine gewisse Aufregung. Seit damals gibt es auf Klamottenmärkten T-Shirts mit Obama im Mao-Käppi. Oder Autoaufkleber wie diesen hier:

Schickaniere mich nicht, steht da drauf: Mein Großer Bruder ist OBAMA.

Viele Chinese interessieren sich gar mehr für die US-Wahl als für den Generationswechsel daheim. Mehr Farbe, es fliegen die Fetzen in einem öffentlichen Wahlkampf, und ja überhaupt, man kann eben etwas auswählen. Zumindest Chinas Netizens haben dabei ähnliche Vorlieben wie die meisten Europäer Bei einer Umfrage des Microblogs Weibo führte Obama innerhalb von zwei Tagen mit 7:1.

Chinas Staatsmedien meckern derweil, denn beide Kandidaten prügeln auf China ein – das so genannte China-Bashing hat im US-Wahlkampf Tradition. Besonders kernig gibt sich Mitt Romney, der China gleich am ersten Amtstag als Präsident zum Währungsmanipulator abstempeln will. Angst vor Romney? Ach wo. Man müsse Romneys Parolen nicht beim Wort nehmen, glaubt Shen Dingli, Direktor des Zentrums für Amerikastudien an der Shanghaier Fudan-Universität. „Romney wird das gleiche tun wie Clinton, Bush oder Obama“, so Shen. Sprich: Nach dem Wahlkampfgetöse die Politik auf das übliche Lautstärke herunterfahren.

In den USA laufen jetzt die letzen Stunden vor der Wahl. In Peking ist die Stadt noch zwei Tage im Warte- und Ausnahmezustand. Patrouillen suchen die Stadt ab nach reaktionären Slogans, die Polizei lässt stadtbekannte Dissidenten nicht aus den Augen. Überhaupt stehen überall Polizisten. Und selbst Taxifahrer haben genaue Anweisungen: Weiträumig umfahren sollten sie den Tagungsort am Platz des Himmlischen Friedens, und darauf achten, dass Fahrgäste keine Anti-KP-Parolen an ihrem Auto befestigen. Auch dürfen sie niemanden mitnehmen, der irgendeine Art von Ball transportiert. Es könnte ja sein, dass der Fahrgast Tischtennisbälle mit subversiven Botschaften aus dem Auto wirft. Daher müssen die Fahrer die Fensterscheiben auf den Rücksitzen blockieren. In China wird eben nichts dem Zufall überlassen.

 

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Gangnam Style für China und Nordkorea

Zensoren verstehen keinen Spaß. Oder lassen sich nicht vergackeiern. Was letztlich aufs Gleiche hinausläuft. Als jedenfalls der Künstler Ai Weiwei, derzeit Chinas bekanntester Regimekritiker, eine selbst gedrehte Persiflage des koreanischen Superhits Gangnam Style (link hier) ins Netz stellte, reagierten sie prompt. Binnen Stunden war das Video des Pferdetanzes a la Ai von der lokalen Filmwebsite Tudou verschwunden. Auf Youtube steht es noch (link hier), die Seite ist in China allerdings seit Jahren ohnehin blockiert.

Der Nachrichtenagentur AP sagte Ai, er habe das Video doch nur gemacht um einen Rockstar-Freund aufzuheitern, dessen Wohnhaus abgerissen werde um Platz für ein Naubaugebiet zu machen. Humor helfe gegen die Frustration der Menschen: “Ständig wird uns unsere Fröhlichkeit genommen, unsere Häuser abgerissen, wir werden dauernd kontrolliert, und all das hat Einfluss auf unsere Fröhlichkeit.” Im pinken T-Shirt reitet der vollschlanke Ai also mit Freunden durch seinen Hof, zwischen eingeblendeten Teilen aus dem Original des Südkoreaners PSY. Aber dann holt er während des Pferdetanzes irgendwann eine Handschelle aus der schwarzen Jacke und im Gangnam Style schwingt sie wie ein Lasso.

Klar, das ist mehr als nur Happiness. Das haben die Zensoren blitzschnell durchschaut. Wenn Ai Weiwei etwas macht, dann wittern sie ohnehin sofort Unbill.

Aber vielleicht sollten sie sich freuen, dass weder Ai noch andere bisher über ihren Präsidenten Hu Jintao etwas produzierten wie Kim Jong Style (link hier) – eine Gangnam-Parodie auf den jungen Diktator Nordkoreas: Darin tanzt ein Kim Jong Un-Impersonator mit Haarteil und Kommunistenanzug zwischen Pferden oder uniformierten Schönheiten herum, und hängt an einer gerade abgeschossenen Rakete: “Hey, unser einziger Export sind Atomtests”. Später sitzt “Kim” nackt mit Sonnenbrille in der Badewanne und lässt sich eine Dame bringen, die seine Zehen ablutschen soll.

 

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Hauptsache, es ist in der Tagesschau? Beispiel Taiwan.

Da für viele Deutsche eine Nachricht ja kaum stattfindet, wenn sie nicht in der Tagesschau verkündet wird, freue ich mich natürlich immer besonders, wenn Taiwan mal den Weg ins Allerheiligste der ARD schafft, die 20-Uhr-Ausgabe.

Die Präsidentenwahlen im Januar waren wieder so ein Anlass. In einer 25-Sekündigen NiF (Nachricht im Film) wurde die Wiederwahl des amtierenden Präsidenten gemeldet. Von dem Wahlkampf oder den unterschiedlichen Konzepten, die auf dem Spiel standen, konnte auch der treueste Tagesschau-Seher in den Wochen zuvor freilich nichts erfahren.

Hier lässt sich die Sendung online ansehen.

Und auch für diesen Kurzbeitrag ist kein ARD-Reporter nach Taiwan gekommen, hat kein deutscher Kameramann auch nur einen Finger rühren müssen. Sie wurde aus Feed-Material zusammengeschnitten, das allen Sender international zur Verfügung gestellt wird. Weder ARD noch ZDF waren vor Ort präsent, als die Menschen in der einzigen Demokratie der chinesisch-sprachigen Welt getan haben, was in China undenkbar ist: Ihre Regierung frei zu wählen. Bei den Wahlen vor vier Jahren war das anders, aber da hatten Unruhen in Tibet auch gerade für offene Brisanz gesorgt.

Weil sich in 25 Sekunden die Bedeutung dieser Wahlen nun mal nicht abhandeln lässt, habe ich kürzlich die Gelegenheit genutzt, bei einem Vortrag in Hamburg Taiwans Wahlkampf Revue passieren zu lassen, die bestimmenden Themen vorzustellen und einen Ausblick in die Zukunft zu wagen. So läuft etwa in Sachen Taiwan derzeit fast alles im Sinne der erklärten Politik des scheidenden chinesischen Präsidenten Hu Jintao.

Meine Vortrags-Folien samt Videos von Wahlkampf-Kundgebungen und der Stimmabgabe stehen drüben bei mir im Blog: Wahlen 2012 in Taiwan

Was macht Taiwan so besonders, und wie lebt es sich in der einzigen Demokratie, in der Chinesisch Landessprache ist? Über meinen ungewöhnlichen Alltag habe ich ein kleines Buch geschrieben und mit vielen Fotos garniert.

Buch von Klaus Bardenhagen: Tschüß Deutschland, Ni hao Taiwan

Sie können einen Blick in mein Buch über das Leben in Taiwan werfen und es bestellen – gedruckt oder als e-Book im EPUB-Format für weniger als vier Euro.
 
berichtet seit 2009 aus Taiwan. Erfahren Sie mehr unter taiwanreporter.de oder folgen Sie ihm per Facebook und Twitter.

 

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Rangliste der Katastrophen

Als schlimmste Katastrophe in ihrer Geschichte sollen die Vereinten Nationen das Erdbeben in Haiti bezeichnet haben – zumindest meldeten das diverse deutsche Nachrichtensender. „Das Erdbeben von Haiti ist die schlimmste Katastrophe, die wir je hatten“, erklärte auch ein Unternehmer aus Süddeutschland publikumswirksam bei einer Fernsehbenefizveranstaltung vergangene Woche. „Deswegen müssen wir auch mehr spenden als bisher, viel mehr als zum Beispiel beim Tsunami.“

Das Erdebeben von Haiti ist eine schreckliche, erschütternde, folgenreiche Katastrophe. Aber woran lässt sich wohl messen, dass diese nun die schlimmste aller Zeiten sein soll? An den Zahlen der Toten? Zur Erinnerung: Bei dem verheerenden Tsunami, der vor fünf Jahren ganze Regionen von mindestens fünf Staaten zugleich verwüstet hatte, starben allein in der indonesischen Provinz Aceh mehr als 160.000 Menschen. Oder lässt sich eine Katastrophe an der Stärke der Zerstörung messen? Doch mit welchem Maß?

Während die Bilder aus Haiti uns ganze Städte als elende Trümmerfelder zeigen, gab es zum Beispiel aus Aceh in der ersten Woche nach dem Tsunami so gut wie keine Aufnahmen. Weil weder Technik noch Menschen da waren, diese Bilder zu liefern. Und als sie dann endlich bei uns ankamen, sahen wir häufig vor allem eines: gähnende Leere. Denn in vielen Dörfern, die vom Tsunami zerstört wurden, existierte einfach gar nichts mehr. Keine Häuser, keine Bäume, keine Menschen. Die wenigen Überlebenden sammelten sich traumatisiert in Lagern. Was ist also schlimmer – ein Trümmerfeld oder das Nichts?

Wenn Medien Katastrophen in dieser Weise kategorisieren, prägen sie das Denken (und den Spendenwillen!) von Millionen von Menschen ­– oft ohne die Realitäten vor Ort wirklich vergleichen zu können. Das ist unverantwortlich. Was ist mit den Erdbeben, bei dem 2005 in Pakistan mehr als 50.000 Menschen ihr Leben verloren und 2,5 Millionen Obdachlose im eisigen Winter überleben mussten? Was mit dem schlimmen Beben in der chinesischen Provinz Sichuan im Jahr 2008, bei dem 80.000 Menschen umkamen und 5,8 Millionen obdachlos wurden? Warum gab es für diese Katastrophen weniger aufwändige Spendengalen als für Haiti oder die Tsunamiopfer? Nun, die Opfer in Pakistan waren Muslime und die Chinesen sind uns sowieso irgendwie fremd – könnte man nun frotzeln. Die Medienrealität dürfte sich allerdings auch danach gerichtet haben, dass das Erdbebengebiet in Pakistan, weil im verschneiten Bergland, nur sehr schwer zugänglich war – und dass die Behörden in China die Arbeit ausländischer Journalisten nicht gerade unterstützt haben.

Natürlich gönne ich den Haitianern den Spendensegen, der sie hoffentlich auch irgendwann einmal in vollem Umfang erreichen wird. Aber irgendwie lässt  mich der Gedanke nicht los, dass die globale Aufmerksamkeit für den kleinen Inselstaat sehr viel mit den politischen Interessen diverser Großmächte zu tun hat – und damit, dass sich Medien und NGOs in dem so gut wir führungslosen Staat vermutlich mit weniger Restriktionen und Vorurteilen herumschlagen müssen als etwa in China, Indonesien oder Pakistan. Eines muss man den Vereinten Nationen aber wohl zugestehen: Vermutlich haben sie bisher bei keiner Katastrophe in ihrer Geschichte so viele Opfer aus den eigenen Reihen beklagen müssen wie auf Haiti. 

 

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Taifun, kein Taifun

Zwei Tage lang sah es so aus, als käme Taifun Megi nach Hongkong. Die Prognosen auf den Wetterkarten ließen keinen Zweifel zu. Den Hongkongern wurde das Herz schwer.

 

 

 

 

Ein Super-Taifun, hieß es in der Presse. Der schlimmste seit vielen Jahren. Mit seinem Auge direkt über der Stadt! Hongkongs Katrina!! 225 km/h!!! Zeitungen zeigten Verwüstungsfotos vom letzten „direct hit“ eines Taifuns 1979 und vom ganz schlimmen 1962, als über 100 Menschen starben.

Irgendwann begriff ich, dass das wohl berichtenswert wäre. Eine freudige Erregung machte sich breit. Nicht dass ich den Hongkongern eine Katrina wünschen würde. Aber ich sah mich schon in meiner wind- und sinftlutumtosten Wohnung souverän Live-Gespräche mit Radio- und TV-Sendern führen, nebenbei mit einer Hand das Fenster gegen den Druck von außen zuhaltend. Ich sah mich mit Mikrofon durch menschenleere Straßenfluchten hechten, immer im letzten Moment den umherfliegenden Objekten ausweichend. Ich sah mich am Tag danach bei der Pressekonferenz der Stadtregierung kritische Fragen zum Katastrophenschutz stellen. Ich sah mich schon ganz groß rauskommen. Und dann das:

Und DAS!!!

 

 

Megi bog ab. Stunde für Stunde wurden die Verlaufsprognosen korrigiert. Stunde für Stunde rückte Megi weiter nach Osten, weg von Hongkong. Da saßen wir nun mit unserer aufgeputschten Katastrophenstimmung und sahen die Katastrophe davonziehen! Das war eine Art Enttäuschung, wie ein Advent ohne Weihnachten, nur in Gruselform. Während ich hier schreibe, hätte Megi draußen wüten sollen. Ich habe heute keine journalistischen Heldentaten vollbracht, sondern im Sonnenschein Kaffee getrunken.

Am Ende hat Megi dann in Fujian und Taiwan gewütet. Dort sind mehrere Menschen bei Erdrutschen ums Leben gekommen. Taifune sind nichts zum Drauffreuen.

 

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8 qm Luxus

Ich bin umgezogen. Die alte Wohnung hatte zu viele Busse vor dem Fenster (Radioaufnahmen im Kleiderschrank), keinen Blick, lag in der falschen Gegend. Die neue Wohnung ist ruhig, mit Hongkong-Blick, liegt in einer schönen Gegend. Ein guter Tausch. Doch wie immer im Leben zahlt man für alles einen Preis: Die neue Wohnung ist nur noch halb so groß wie die alte. Deshalb brauche ich jetzt zusätzlich ein Büro, weil ich sonst zu Hause die Wände hochgehe oder in den schönen Ausblick hineinspringe.

Bürosuche in Hongkong ist kein schönes Unterfangen. Die Stadt kennt die teuersten Büromieten der Welt. Wenn ich die Preise sehe, quält mich wieder der Verdacht, dass Hongkong vielleicht doch kein guter Standort für einen freiberuflichen Journalisten ist.

 

 

Ein Schreibtisch in einem Gemeinschaftsbüro: 420 Euro im Monat

Ein 8qm-Raum ohne Fenster: 600 Euro

Ein 40qm-Raum, hell und schön: 2000 Euro

Es geht auch billiger. Doch die erschwinglichen Büros haben zu viele Busse vor dem Fenster, keinen Blick, liegen in der falschen Gegend. Hmm!

 

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Mit einem Kilometer durch die Wüste

China stellt wieder mal einen neuen Rekord auf. Nein, es geht weder darum der schnellstwachsende Markt für Autos zu werden, die meisten Jasmintee-Trinker zu haben oder die größte Zahl unter den Top 20 der dreckigsten Städte der Welt. Nein, China is dabei, den größten Stau der Welt zu bilden (Fotos hier)

Auf der Nationalen Landstraße G110 von Tibet über die Innere Mongolei Richtung Peking stauen sich zwischen den Städten Jining und Huai’an seit Mitte August wegen Bauarbeiten Zigtausende Laster und Autos. Tempo: Rund ein Kilometer pro Stunde. Nichts geht mehr, und der Stau soll bereits mehr als 100 Kilometer lang sein. Wann er sich auflöst weiß niemand. Das Parteiorgan Volkszeitung zitiert Verkehrsbeamte mit der Vermutung, bis Mitte September werde es wohl schon noch dauern.  

Einen Monat lang im Stau? Das würde wohl jeden guten deutschen Autofahrer zum Steinewerfer werden lassen oder ihn in den Herzinfarkt treiben. Heiß ist es an der Strecke – der Stau befindet sich in der Halbwüste kurz vor den Toren der Hauptstadt Peking.

Die Landschaft dort ist spektakulär, aber es ist trocken und staubig. Schatten gibt es kaum. Über die Landstraße G 110 sowie die parallele Autobahn quälen sich seit Jahren Laster, voll bis zum Rand mit Kohle für die Hauptstadt. Derzeit kommen viele Obstlaster hinzu. Die Straße, die unter all den – teils deutlich überladenen – Lastern Dellen bildete, muss repariert werden – und das erzeugte nun das Chaos.  

Doch Gewaltausbrüche oder Schreiduelle bleiben in der Staubwüste bisher aus. Während das Fahren auf vollen Autobahnen ebenso wie Anstehen an Ticketschaltern oder das Besteigen eines Busses in der Rush-Hour in China oftmals irgendwo zwischen Drängelwettbewerb und Nahkampf anzusiedeln ist, üben sich die meisten Chinesen in Krisensituationen in beeindruckendem Gleichmut. Was nicht zu ändern ist, ist nicht zu ändern. Also finden die Trucker neue Freunde im Stau. Sie spielen zusammen Karten auf dem Asphalt. Sie halten Mittagschläfchen – unter ihren Lastern, weil es dort kühler ist. Sie waschen sich am Straßenrand. Klagen hagelt es nur über die Bauern der Gegend, die einen Reibach machen, indem sie den Fahrern Wasser, Reisgerichte oder Instant-Nudeln verkaufen, viermal so teuer wie im Supermarkt. Umwege fahren wollen die meisten nicht. Das kostet Benzin und zusätzliche Mautgebühren, sagen sie. Also lieber abwarten und Tee oder ein Bierchen trinken.

Ob es ihnen hilft, dass sie alle gemeinsam an einem Weltrekord arbeiten? Ob sie das überhaupt wissen? Das Guiness-Buch der Rekorde verzeichnet bisher einen 176 Kilometer langen Stau zwischen Paris und Lyon als längsten der Welt. Doch das wird der Stau von Jining doch locker aushebeln können. Und einen Monat lang Stau ist für sich schon ein Rekord. Also weiter so! Augen zu und durch! 

 

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Hongkong will kulturell sein

Schnöselige Hongkong-Bewohner aus dem westlichen Ausland (=Expats) bezeichnen Hongkong immer mal wieder gern als „cultural desert“, als Kulturwüste, wo allein – pfui – das Geld regiere und die künsterlischen Darbietungen nicht einmal europäisches Kleinstadtniveau erreichten. Ich muss zugeben, selbst ohne schnöselig zu sein, bereitet einem das Hongkonger Kulturleben Kopfschmerzen, etwa wenn man angestrengt nachdenkt, was man denn abends unternehmen könnte. Das Kinoprogramm beschränkt sich nahezu auf US- oder chinesische Blockbuster. Klassische Konzerte sind, sofern keine internationalen Stars eingeflogen werden, ziemlich schlecht und trotzdem teuer. Die Ballett-Truppe au weia. Kunstausstellungen sind rar oder irrelevant. Und die Subkultur steckt noch in den Babyschuhen. Hongkong ist nicht Tokio.

Doch das soll jetzt alles anders werden, auf einen Schlag. Hongkong baut den West Kowloon Cultural District und will sich damit auf die Weltkarte der Kulturstädte hieven. Das Projekt ist ehrgeizig: Zwei Milliarden Euro für ein ganzes Kulturviertel mit einem Museum für zeitgenössische Kunst, mehreren Theatern, Konzertsälen und sonstigen Bühnen. Die Stadt hat den früheren künstlerischen Direktor des Londoner Barbican, Graham Sheffield, eingekauft. Er soll das Ganze leiten. Hongkong klotzt, zunächst einmal auch baulich.

Das neue Kulturviertel entsteht auf aufgeschüttetem Land an der Einfahrt zum Victoria Harbour, der Wasserstraße zwischen den beiden Stadthälften Hong Kong Island und Kowloon. Exponierter geht es kaum:

 

 

Dieser Bauplatz schreit geradezu nach Spektakel-Architektur à la Sydney-Oper. Jetzt haben die drei Finalisten ihre Entwürfe vorgestellt: Norman Foster, Rem Koolhaas und der Hongkonger Rocco Yim Sen-kee. Entschieden wird Anfang des kommenden Jahres.

 

 

 

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In Klausur

In periodischen Abständen überkommt mich plötzlich das Gefühl, mein Mandarin verbessern zu müssen. Das sind die Momente, in denen ich einen Flug nach Shijiazhuang (Genau! Eine von diesen chinesischen Millionenstädten, von denen man noch nicht mal den Namen kennt) buche. In Shijiazhuang gibt es eine kleine Sprachschule, die ausschließlich im Einzelunterricht Ausländern Chinesisch beibringt. Sie ist so etwas wie ein Geheimtipp, weil die meisten Ausländer nicht über Peking und Shanghai hinausdenken, wo es eine große Sprachschulindustrie gibt.

 

 

 

Das Beste an der Schule ist natürlich, dass ich dort immer viel lerne. Das Zweitbeste sind die anderen Sprachschüler. Wer in Shijiazhuang lernt, der will es wirklich wissen, der will leiden. Hier ein paar Beispiele von meinem jüngsten Aufenthalt.

Der Doktor: Schräger, in sich gekehrter Arzt aus den USA. Er bleibt ein ganzes Jahr in Shijiazhuang, also ein Jahr Einzelunterricht, und wiederholt 400 Schriftzeichen pro Tag. Alle im Aufenthaltsraum raunen bewundernd. Sein gesprochenes Mandarin ist dafür eigentümlich holperig. Nach dem Jahr will er zurück in seinen Job nach Amerika. Wozu er Chinesisch lernt, weiß niemand, auch er nicht.

Der Chilene: Ein 27-jähriger im Hongkonger Büro einer US-Kanzlei arbeitender Junganwalt (Finanzbranche) mit 250.000 US-Dollar Monatsgehalt. Temporär freigestellt. Auch er will ein Jahr in Shijiazhuang bleiben. Ein netter Kerl, der allerdings mit seiner Entscheidung hadert. Er findet die Frauen dort so furchtbar hässlich. Ohne Frauen geht es aber auch nicht. Also fliegt er regelmäßig übers Wochenende nach Hongkong. Chinesisch wird ihm bei der Karriere helfen, hofft er.

Der Krisengeschüttelte: Ein Mittfünfziger aus Miami, der alles verloren hat: Job, Frau, Vermögen, Lebensmut. Erst wurde er Alkoholiker, dann beschloss er, lieber schnell Mandarin zu lernen, um sich was Neues als Einkäufer in China aufzubauen. Er bleibt drei Wochen und hat es gern sauber. Bei seiner Gastfamilie putzt er nachts heimlich die Toilette.

Der Grönländer: Ein 24-jähriger Wonneproppen. Kräftig, gut genährt, lacht viel. Für ihn musste in der Schulküche der „Nachschlag“ eingeführt werden. Der erste Grönländer in meinem Leben. Mandarin-Anfänger. Er bleibt auch ein Jahr, einfach um mal was anderes zu sehen als Grönland. Danach will er zurückgehen und wieder im Fisch-Export arbeiten. Trägt einen Eisbärzahn um den Hals.

Und natürlich Shijiazhuang: Die Stadt, die man nicht kennen muss, die mich nie vom Chinesischlernen ablenkt, weil es nichts Ablenkendes gibt. Perfekte Lernnachmittage unterm Smoghimmel im Park. Vergesst Shanghai. China ist hier.

 

 

 

 

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Kein Team kam aus China – aber Yingli, Kondome, Jabulani und Vuvuzelas

Die Weltmeisterschaft ist vorbei, wir werden das Vuvuzela-Getute aus dem Fernseher vermissen – aber noch gibt es aufregende Neuigkeiten im Nachklapp des Geschehens. Nicht nur, dass Thomas Müller bester Jungkicker des Turniers wurde. Auch aus China gibt es News: Das Land war zwar selbst nicht bei der WM dabei – jedenfalls nicht mit einem Team – aber irgendwie doch. Heute durften wir erfahren, dass das Land für die WM 100 Millionen Kondome nach Südafrika verschifft hat, wie die Beijing Evening News berichtet. Also hat China wenigstens ein bisschen dran verdient. Oder auch ein bisschen mehr.

Auch der WM-Ball Jabulani stammt, wen wunderts letztlich, aus einer Fabrik in China, die der Hongkonger Firma Longway gehört. Noch weniger überrascht es da, dass auch die allseits beliebten Vuvuzelas aus China stammen. Einfache Plastikwannen made in China finden sich in der ganzen Welt, und eine Vuvuzela ist ja irgendwie nichts anders als eine langgezogene Plastikwanne. 90 Prozent aller WM-Tröten kamen aus China, schreiben chinesiche Zeitungen, die meisten davon aus der Küstenprovinz Zhejiang, einer Hochburg privater Leichtindustriefabriken. Die Guangda Toy Factory – sonst ein harmloser Trillerpfeifenproduzent – etwa produzierte mehr als eine Million der Plastiktrompeten; und die Chefin glaubt fest an einen Post-WM-Boom. Ebenfalls über eine Million vertickte Jiying Plastic Products. Verdient haben daran aber vor allem Händler und Importeure, wenn man dem Chef, Wu Yijun, Glauben schenkt: Fabriken wie seine kriegten pro Tröte umgerechnet nur sieben bis 30 Cents. ‘Unsere Marge liegt bei unter 5 Prozent.’ Auch die Chinesen selbst rissen sich um die Vuvuzelas: Mehr als 400 Tröten-Shops gingen während der WM auf Chinas E-Bay-Pendant Taobao.com an den Start.

Sichtbar für alle war während der WM aber eine ganz andere Firma, und das bei jedem Match für volle acht Minuten: Yingli Solar – und das auch noch prominent platziert direkt neben ‘I’m loving it’ und dem großen gelben M. Der Solarzellenproduzent aus dem nordchinesischen Baoding ist die erste chinesische Firma, die jemals zum WM-Sponsor aufstieg. ‘Die WM ist eine sehr gute Plattform, die sofort unsere Marke in jedem potenziellen Markt weltweit bekannt macht’, freute sich Yingli-Vizepräsident Jason Liu. Womit er vielleicht sogar recht hat.

Wen stört es da schon, dass Chinas eigene Mannschaft da in der Qualifikation schmählich versagt hatte – sollte man denken. Doch weit gefehlt. In China möchte man kein männlicher Kicker sein. Die Fußball-Liga ist korrupt bis ins Mark, das Nationalteam nur selten beim Asien-Cup halbwegs erfolgreich. Chinesen betonen bei jeder Gelegenheit wie wenig das eigene Team tauge. Und das erst recht jetzt, wo sogar Nordkorea dabei war. Während der WM geisterten daher auch Vorschläge durchs Netz, die Mannschaft doch am besten gleich aufzulösen. Aber die nächste Chance kommt bestimmt: Nach der WM ist vor der WM.

 

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Diplomatie und Kunst

Deutschlands Mann in Hongkong, Generalkonsul Frank Burbach, ist ein doppelt begabter Mensch. Er kann seinen diplomatischen Pflichten nachkommen, und er kann Bilder malen. Nach Ansicht des Hongkonger Goethe-Instituts malt Herr Burbach sogar so gute Bilder, dass dieser jüngst seine Werke in den Goethe-eigenen Ausstellungsräumen zeigen durfte. „Transition“ hieß die Ausstellung – weil sich Herr Burbach gerade in einem Übergang befinde, schreibt die Goethe-Webseite. Sein Hongkonger Posten geht nämlich gerade zu Ende und er selbst in Pension.

 

 

 

Über die Qualität der Burbachschen Kunstproduktion möchte ich mir kein Urteil erlauben (böse Zungen sprechen von „Sonntagsmalerei“). Ich weiß nur, dass es für andere in Hongkong ansässige deutsche Kunstschaffende äußerst schwer ist, in der durchaus renommierten Goethe-Galerie ausstellen zu dürfen. Ich weiß auch, dass das Goethe-Institut die „Präsentation deutscher Kultur im Ausland und interkulturellen Austausch“ (Goethe-Webseite) betreiben will. Ich wusste bislang nicht, dass sich das öffentlich finanzierte Goethe-Institut auch als Plattform für die Kunstaspirationen von Mitarbeitern in befreundeten Einrichtungen vor Ort versteht.

Übrigens ist auch die Frau des scheidenden Generalkonsuls, Eva Meier, eine Künstlerin. Sie tritt verschiedentlich als Brecht-Interpretin auf, gerne auch in deutschen Botschaftsräumen in Asien.

 

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Mondpreise für Wohnungen

Da wir demnächst umziehen, sehe ich auf den Straßen Shanghais nur noch Immobilienmakler. Überall stehen sie, teilen an der Straße Broschüren an vorbeihastende Passanten aus. Oder geleiten junge Paare, Familien, Singles in Apartmentblöcke, alte Villen oder umzäunte, begrünte Wohnanlagen. Junge Typen meist, mit dunklem Anzug, Schlips und weißem Hemd, und einer Klemmmappe unterm Arm. Ich bilde mir ein, selbst bei jungen Männern auf einem Moped zu erkennen, wer ein Makler ist und wer nicht.

Tolle Sachen haben die Wohnungsmakler hier in Shanghai im Angebot. Alte Villen ausländischer Diplomaten oder einstiger Shanghaier Drogenbarone in verwunschenen Gärten zum Beispiel – die sind inzwischen gerne mal für sagenhafte 100 Millionen Yuan zu haben: Gut 10 Millionen Euro. Unrenoviert auch mal für 5 Millionen. Ein echtes Schnäppchen. Sanierte Reihenhäuser in den alten Gassen, Lilongs genannt, kosten mindestens eine halbe Million Euro. Dieses Hochpreissegment zieht auch ganz gewöhnliche Wohnungen in guten Lagen mit. Vier kleine Zimmer in einem weiß gekachelten, 15 Jahre alten Hochhausturm für 480.000 Euro? Gar kein Problem. Irgendwas in Innenstadtlage für 4 Personen, so für 200.000 Euro? Stirnrunzeln. Vielleicht in einem der alten grauen Arbeiterblöcke noch zu haben. Günstige Wohnungen – das war einmal. Wer vor acht Jahren gekauft hat, war klug und ist heute reich.

In vielen Städten Chinas sind die Wohnungspreise allein im vergangenen Jahr um 50 Prozent oder sogar mehr gestiegen. Eigentlich müsste das ein Fest für die Makler sein. Ist es aber nicht. Denn die Preise sind zwar hoch, aber kaum einer kauft.  Eine Maklerin schleust grade jede Woche 30 Interessenten durch ein saniertes Altstadthaus. Vergeblich.”Nur wer wirklich eine Wohnung braucht, kauft heute”, sagt ein Kollege und nestelt an seiner Krawatte. ” Alle anderen, Investoren zum Beispiel, warten ab.” Nur worauf warten sie? Dass die Preise einbrechen? Das erwartet nichtmal der junge Makler. “Zum Jahresende werden die Preise trotz allem noch etwas höher liegen”, ist er sich sicher.

Und wer kann das alles noch bezahlen? Für normale chinesische Mittelstandsfamilien wird der Wohnungskauf immer schwieriger. Ein Drama, für die von Wohneigentum besessenen Shanghaier. Junge Männer, die keine Wohnung besitzen, bekommen keine Frau. “Sie mögen noch das Mädchen rumkriegen, die Schwiegermutter aber auf keinen Fall!” sagt Cindy Su. Sie hat Glück. Sie hat eine Wohnung und einen Mann. Ein Freund von ihr hat aus Verzweiflung gerade eine Wohnung in Kunshan gekauft, einer staubigen Industriestadt vor den Toren Shanghais. Wohnen will er da nicht. Aber es ist billiger, 700 Euro kostet der Quadratmeter. Und er hat den begehrten Trumpf in der Hand: Eine eigene Wohnung, die er zumindest vermieten kann.

Schon geht unter Experten und Politikern die Angst um, dass Chinas Immobilienmarkt eine Blase ist, die bald platzt – so wie 2008 in den USA. In Peking stürzten die Kaufpreise im Frühjahr um 800 Euro pro Monat ab, nachdem die Zentralregierung zuvor Hypothekenkredite verteuert und andere Hindernisse für Wohnungskäufer eingeführt hatte – vor allem für Investoren, die zwei oder mehr Apartments besitzen. Ganz abwürgen will das Land den Sektor aber nicht. Es braucht ihn für die wirtschaftliche Erholung. Und der Bausektor schafft viele Arbeitsplätze. Aber er ist auch anfällig für Korruption. Gerade verbot daher die Kommunistische Partei ihren Kadern, sich “in Bauangelegenheiten einzumischen”.

Wir mieten unsere neue Wohnung, genau wie die alte. Wurden wir dafür früher belächelt, liegen wir dank der Mondkaufpreise heute zunehmend im Trend. Die Mieten immerhin waren in der Krise gesunken. Und auch wenn sie wieder steigen, liegt das Niveau bisher nicht höher als vor der Krise. Und so sind die vielen jungen Makler wohl heutzutage vor allem mit potenziellen Mietern statt Käufern unterwegs. Auch wenn das natürlich viel weniger Kommission bringt. Besser als nichts. “Ich bin doch nicht verrückt und kaufe eine Wohnung”, sagt Jia Kan und lacht sich kaputt. “Bei den jetzigen Preisen bekommt man da nie vernünftige Erträge. Und mit einer Mietwohnung hat man viel mehr Freiheit, wenn man mal umziehen will.”

Seine Freundin hat ihn trotzdem kürzlich geheiratet.

 

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War das was?

Manche Leute glauben ja tatsächlich, Journalisten hätten ein aufregendes Leben.Die haben vermutlich noch keinen Staatsbesuch erlebt. Horst Köhler in China zum Beispiel. Im chinesischen Radio wird über Ba La Ke diskutiert, Michael Ballacks Verletzung. Wir Korrespondenten stehen vor der Großen Halle des Volkes und schauen zu wie der rote Teppich geputzt wird.

 

 

 

 

 

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Die Politik der Erdbebenhilfe

Mindestens 1700 Menschen sind vergangene Woche beim Erdbeben in der westchinesischen Provinz Qinghai ums Leben gekommen. Die Hoffnungen, dass man jetzt in den Trümmern der Stadt Jiegu noch Überlebende finden könnte, schwinden rapide.

 Die Region um Jiegu ist überwiegend von Tibetern bewohnt – die Rettungs- und Bergungsarbeiten seitens des chinesischen Militärs und der Zentralregierung sind daher ein sensibles Thema. In der New York Times tauchten am Sonntag Vorwürfen auf, China würde den Einsatz seiner Soldaten zu Propagandazwecken mißbrauchen. Bei Bergungsarbeiten seien buddhistische Mönche von Soldaten zur Seite gedrängt worden, damit man die Uniformierten TV-wirksam filmen konnten, wie sie Überlebende aus den Trümmern ziehen. Mönche klagten, dass sie von Soldaten sogar abgehalten wurden, bei den Bergungsarbeiten zu helfen. In den chinesischen Medien sind sowieso vor allem PLA-Soldaten zu sehen. Die Rolle der Mönche kommt so gut wie nicht vor.

 Wie es tatsächlich vor Ort aussieht, ist schwer abzuschätzen. Vielleicht will man mit der Propaganda-Offensive auch nur der Kritik von 2008 zuvorkommen. Nach dem Erdbeben von Sichuan hatte es Vorwürfe gehagelt, die Rettungsarbeiten seien zu schleppend angelaufen und zu schlecht organisiert gewesen.

 

Diemal kam nicht nur Ministerpräsident Wen Jiabao. Sogar Präsident Hu Jintao brach seine Lateinamerika-Reise ab und besuchte am Sonntag das Katastrophengebiet. Vor allem ein Bild soll offenbar in Erinnerung bleiben: Wie Hu in einem provisorischen Zelt-Krankenhaus ein verletztes Mädchen umarmt.

 Auf der anderen Seite der Propaganda verheddern sich Tibet-Aktivisten im Begriffsdschungel. Man solle doch endlich aufhören, das Erdbebengebiet als „West-China“ oder „Qinghai“ zu bezeichnen, appelliert „Students for a Free Tibet“ an internationale Medien. Es handele sich in Wirklichkeit um Teile der einstigen tibetischen Provinz Kham. Ob das hilft?

 Bei aller berechtigten Kritik an China und seiner Tibet-Politik. Namensstreitigkeiten sind derzeit sicherlich das letzte, woran die Menschen in Jiegu denken. Für differenziertere Kommentare zur politischen Bedeutung der Erdbebenhilfe sei daher das Interview mit Tibet-Experte Robbie Barnett in  Le Monde empfohlen. Auch er sieht großes Konfliktpotential. Aber, sagt er, die Menschen in Jiegu hatten in den vergangenen Jahren relativ gute Beziehungen zu den chinesischen Behoerden. Jetzt kommt es darauf an, ob man beim Wiederaufbau auf die kulturellen Eigenheiten der Region eingehen wird.

 

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Puschen und Bettdecken raus: Der Frühling kommt!

Das chinesische Neujahrsfest heißt auf Chinesisch \\\’Chunjie\\\’: Frühlingsfest. Denn danach, so glauben viele Chinesen, beginnt unmittelbar der Frühling. Eine recht optimistische Annahme, denn das Fest liegt zwischen Ende Januar und Mitte Februar. Dieses Jahr aber scheinen zumindest die Shanghaier den Frühling herbeigeböllert zu haben. Noch bevor am Wochenende auf dem Laternenfest mit erneutem Großfeuerwerk die zweiwöchige Neujahrsperiode zu Ende geht, ist es warm geworden. Ganz plötzlich. Von 1 auf 22 Grad. Darauf reagieren die Shanghaier in den vielen Nebengassen und Wohnquartieren sofort: Sie stellen ihre Bettdecken und ihre traditionellen gestrickten Pantoffeln zum Lüften und Durchtrocknen auf die Straße, und reißen die Fenster auf. Ältere schieben Stühle in die Gassen und wärmen sich lächelnd in der Vorfrühlingssonne.

Denn der Winter hat es in sich: Nicht wegen der arktischen Temperaturen draußen, die selten unter den Gefrierpunkt fallen. Sondern weil Shanghai grade mal eben südlich des Yangtse-Stromes liegt, und südlich des Yangtse gibt es in China keine Heizung. Die Menschen wärmen sich also mit auf Heizbetrieb umgestellten Klimaanlagen oder Elektro-Radiatoren, die regelmäßig alle Sicherungen rausknallen lassen. Oder sie heizen gar nicht – und tragen auch zuhause Schichten aus langer Unterwäsche, Leggings, Pullovern und wattierter Kleidung. Auch die im Sommer von älteren Shanghaiern gern auf der Straße getragenen Schlafanzüge gibt es aus wattiertem Feincord für den Winter. Viele Kleinkinder stapfen als kleine Michelin-Männchen herum. Das Ende der feuchten Kälte ist für alle also auch ein Ende des ständigen Frierens. Insofern ist es höchst verständlich, dass die Menschen den Frühling mit größtmöglichem Getöse, Raketen in Hunderter-Batterien und 3 Meter langen Peepmanscher-Ketten begrüßen. Feuerwerk in Deutschland und D-Böller sind Kinderfasching dagegen.

Natürlich haben wir mitgemacht, wir wollen ja auch nicht mehr frieren. Ich habe im letzten Jahr die langen Unterhosen zuhause verweigert – und immer gefröstelt. In diesem, noch etwas kälteren Winter, habe ich klein beigegeben und sie schließlich angezogen – aber nun mit Freuden in den hintersten Winkel des Kleiderschranks verbannt. In der Hoffnung, sie nicht doch nochmal herausholen zu müssen.

 

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Prost Neujahr! Tiger ohne Schiffbruch

Da ist es also fast: das Jahr des Tigers, und wie in meiner Wahlheimat üblich wird es RIESIG. Wir haben in Australien nämlich Superlative gern, größte Spinnen, giftigste Schlangen, längste gerade Bahnstrecken etc. Also, there we go: “Die g r ö ß t e n chinesischen Neujahrsfestivitäten außerhalb von Asien” feiert Sydney ab morgen, und wenn das Clover Moore, unsere Bürgermeisterin sagt, dann wird das wohl so stimmen. Ich hab mich immer gefragt, wie man derlei misst, zumal die Neujahrsfeierei zur Begrüßung des Tigers keine Veranstaltung mit Kartenverkauf und Drehkreuz ist, sondern eher eine Serie von Ereignissen und Möglichkeiten zu staunen und/oder Geld auszugeben. Das ganze dauert bis 28. Februar und es kommen auch echte Chinesen aus China: 300 “performer” aus Chongqing City zum Beispiel. Und dann sind natürlich unsere hiesigen chinesisch stämmigen Australier sowie ortsansässige Vietnamesen und Koreaner geladen. Groß und viel eben, größer geht’s nimmer.

Nebenbei macht sich Sydney im Jahr des Tigers um das Wohlergehen der Großkatze Sorgen: Laut World Wildlife Fund gibt es nämliche nur noch 3500 wilde Tiger, Tendenz rapide schwindend. Und das ist ja nun mal keine gute Sache. Wer also im Jahr des Tigers wilden Tigern Gutes tun will, so animiert Clover Moore, soll bitte einen Bengalischen Tiger adoptieren. Also nicht richtig echt jetzt, das gäb dann mit der Quarantäne wieder Ärger und mit der hiesigen Fauna auch. Eben mehr so ideell adoptieren. Kostet um die 60 Euro, first come, first serve-Basis. Besuchsrechte werden glaube ich nicht gewährt. Aber wie gesagt: es sind nicht mehr viele da, und ich bin überzeugt, dass die Sydneysider zum größten Neujahrsfest auch die meisten Tiger adoptieren.

Ps: aber nicht traurig sein, falls nachher keine Tiger mehr frei sind, man kann via wwf auch prima Orang Utans oder Schildkröten adoptieren. Denen gehts schließlich auch nicht so blendend.

 

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Mein Papa ist nicht korrupt!

Derzeit wird viel diskutiert über das Internet in China – das viele inzwischen Chinternet nennen, weil es sich dank der Paranoia gestrenger Propagandazaren zusehends abkapselt gegen geistige Verschmutzung aus dem Ausland. Youtube und Twitter müssen draußen bleiben. Doch Google bleibt vielleicht drin im Chinternet, sie verhandeln gerade mit der Regierung – und immer noch kann man bei der chinesischen Version der Suchmaschine google.cn auch Fotos vom Tiananmen-Massker 1989 finden. Wir wissen also nicht, wie es weitergeht.

 

 

Aber, ein kleiner Trost vielleicht, auch im Chinternet tauchen immer mal wieder interessante Blogs auf, die etwas bewegen und nicht sofort von den Zensoren getilgt werden. Blogger und Tausende aufgebrachte User bewirkten etwa kürzlich den Freispruch einer jungen Hostess in einem Provinzstädchen, die vor ein paar Monaten in Notwehr einen zudringlichen Parteifunktionär erstochen hatte. Derzeit aber findet mal ein ganz anderer Blog überraschende Aufmerksamkeit. Durch die chinesischen Medien geistern Berichte über einen Blog der 22-jährigen Wu Fangyi aus der Kleinstadt Shaoying in der Provinz Hunan. In den “Halt durch, Papa!” betitelten Einträgen verteidigt sie ihren Vater, ehemaliger Parteichef eines ländlichen Kreises von Shaoyang. Der steht wegen Korruption und Machtmissbrauch vor Gericht. Er sei aber unschuldig, sagt die Tochter. Er gehe nie in teure Restaurants oder zur Fußmassage und lebe in einer bescheidenen Beamtenwohnung. Um das zu beweisen, zeigt Wu Bilder ärmlicher Behausungen, die der Familie gehören sollen. Und sagt: “Ich habe immer wieder seine Tasche untersucht, und nie was anderes als Dokumente und Notizbücher darin gefunden.” Ihr eigenes Handy koste nur 200 Yuan, gut 20 Euro. So weit so gut. Das verblüffende: Nicht nur lasen bereits 830.000 User den Blog. Viele davon drückten der jungen Frau auch ihre Unterstützung aus, wie die lokalen Zeitungen schreiben. Dabei hassen die meisten Chinesen korrupte Offizielle. Es ist wohl mehr der Familiensinn, der Mitgefühl auslöst, die Sorge einer Tochter um ihren Papa kann jeder irgendwie verstehen.

Genauso viele andere sind laut den Berichten aber skeptisch: Die Fotos seien Fakes, der Mann wäre ja wohl kaum verhaftet worden, wenn es keine Beweise gebe. Das gleiche sagen auch Offizielle, bei denen die Parteizeitung China Daily nachgefragt hatte. Auch die Mutter der 22-Jährigen, eine Dorflehrerin, saß sechs Monate hinter Gittern und konnte sich mit 185.000 Yuan freikaufen. Die seien aus Familienersparnissen sagte sie der China Daily. Aha.

Keiner der Zeitungsberichte schreibt, auf welcher der tausenden chinesischen Bloghosts Wu Fangyi ihren Papa verteidigt. Den Blog selbst habe ich also nicht gefunden und kann daher seine Existenz nicht verifizieren und auch nicht sagen, ob ich Wu Fangyi glaubwürdig finde oder nicht. Was sagt uns das ganze also? Dass Korruption eines Familienvaters die ganze Familie korrumpiert? Dass es eigentlich nichts bringt, korrupt zu sein, wenn man das ganze schöne Geld versteckt und trotzdem in einer kleinen Butze haust? Oder dass Korruptionsvorwürfe im heutigen China ein prima Mittel für Denunzianten sind, unschuldige Familienväter hinter Gitter zu bringen? Wir wissen auch das nicht. Aber interessant wars.

 

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Wieviel Internet-Zensur braucht China?

…..gar keine, denken die meisten von uns. Und deshalb freuen wir uns alle über  Googles Ankündigung, die chinesischen Zensurspielchen nicht mehr mitmachen zu wollen. Endlich sei Google auf „der richtigen Seite der Geschichte“, jubelt die China- und Internetexpertin Rebecca MacKinnon heute im Wall Street Journal.

Aber natürlich heißt das nicht, dass Internetnutzer in China jetzt auf einmal alles über das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens von 1989 lesen können. Oder über den Dalai Lama. Oder über die Charter 08. 

 Einen Tag nach der großen Google-News kann man bei „Gu Ge“ (das heisst so viel wie Korn- oder Erntelied und ist der chinesische Name von Google) unter google.cn zwar vielleicht mehr Suchergebnisse finden als früher – zum Beispiel Links zu den blutigen Bilder vom Juni 89. Aber die Seiten kann man innerhalb Chinas noch immer nicht öffnen. Denn die Filter, die die chinesischen Behörden in die Internet-Infrastruktur in China eingebaut haben – sowohl in die Hard- als auch in die Software  -, bleiben ja bestehen.

Und bestimmte Suchbegriffe bringen nach wie vor seltsame Ergebnisse. Ich habe das heute morgen ausprobiert. Auf der englisch-sprachige Seite von google.com werde ich unter dem Begriff „Human Rights in China“ sofort auf die Website der New Yorker Menschenrechtsorganisation verwiesen. Nicht so bei google.cn. Dort taucht die Website der Organisation in den Suchergebnissen gar nicht erst auf. Oder zumindest nicht auf den ersten drei oder vier Seiten.

Mmmh. Dabei steht doch selbst in der „Global Times“ heute drin, dass „die Informationsautobahn nicht nur sichere Fahrer braucht, sondern auch  freie Fahrt.“ Und weiter: „Der freie Fluß von Informationen sollte in einer Zivilgesellschaft Vorrang haben.“ Wow, ausgerechnet die „Global Times“, die doch zur „Volkszeitung“ gehört, die wiederum direkt der Kommunistischen Partei untersteht.

Aber natürlich ist die GT noch längst nicht zum Vorkämpfer der Meinungsfreiheit mutiert. Wäre ja zu schön. Weiter unten heisst es nämlich, „in einer Übergangsgesellschaft wie China ist Zensur gerechtfertigt.“ Nur wie viel, das ist offenbar strittig. Die Regierung müsse die „Vision“ haben, die „richtigen“ Kontrollmechanismen zur „richtigen“ Zeit aufzustellen. Was das in der Realität bedeuten soll, verrät das Blatt nicht. Schade. Man hätte doch zu gerne gewußt, was  das Maß an „richtiger“ Zensur sein sollte. Immerhin gesteht die GT noch ein, dass ein Rückzug von Google ein Riesenverlust für China wäre. 

 Ob Google.cn nun bleibt oder nicht, uns internationalen Pekingern bleibt auf jeden Fall noch der englische Google-Dienst. Nur,  auf die blockierten Seiten kommen wir damit auch nicht. Als da sind, um nur ein paar wenige Beispiele zu nennen: http://googleblog.blogspot.com/ (dort findet man das Statement von Google),  Human Rights in China, Human Rights Watch, Amnesty International, Reporters Without Borders, Deutsche Welle, BBC Chinese Service, Voice of American, Radio Free Asia, China Digital Times, Uighur World Congress, China Labour Bulletin, International Campaign for Tibet, Students for a Free Tibet…..ach ja, und  Facebook und Twitter und  YouTube, und und und …..

Ist das das ‘richtige’ Maß an Zensur? Global Times, discuss!

 

 

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China: Internetnutzer jagen falsche Armeeoffiziere

Es gibt keinen so rohen Ort wie Chinas Straßen. Dort gilt uneingeschränkt das Recht des Stärkeren (und Größeren und Teureren). Ganz oben in der Hackordnung stehen die Autos mit den weißen Nummernschilden, denn die sind vom Militär. Oder sollten es zumindest sei

Die weißen Kennzeichen beginnen mit einem roten Schriftzeichen je nach Zulassungsort und Militärdistrikt. Es folgt ein roter Buchstabe, ein Gedankenstrich und eine fünfstellige Zahl, die das Fahrzeug identifiziert.

Mit einem weißen Nummernschild darf man auf Chinas Straßen: alles. Denn nie würde sich ein Verkehrs-Polizist trauen, einem möglicherweise einflussreichen Offizier einen Strafzettel auszustellen. Früher habe ich mich in Peking immer über die Militärfahrzeuge und Polizeiautos amüsiert, die man an Wochenenden beim Familienausflug beobachten konnte. Oder die Umzüge im Krankenwagen.

Jetzt haben chinesische Internetnutzer die Militär-Nummern miteinander verglichen. 

 

 

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Obama für alle

 

Jetzt ist er also wieder weg. Barack Obama. Zweieinhalb Tage China, jetzt ab nach Südkorea. „Was, hast du ihn wirklich gesehen`?“ Ungläubig schaute mich heute Vormittag einer der jungen Klamottenhändler auf dem Fake-Markt an.  „Ehrlich?“ Die Chinesen mögen den US-Präsidenten. So lässig ist hier nämlich kein Politiker. Nie.

Auf dem Markt wollte ich eigentlich nur schnell ein „Oba Mao“-T-shirt kaufen. Eines, das  Obama mit chinesischer Armeemütze zeigt. Und den Mao-Worten: “Dem Volke Dienen”.

Aber die Händler sind offenbar angewiesen worden, die despektierlichen Bekleidungsstücke nicht mehr anzubieten. Zumindest nicht jetzt. Also muß ich noch ein paar Tage warten. Dann ist Obama in weiter Ferne und die T-shirts sicher wieder in den Shops.

Ich zeige dem Händler das Foto, das ich gestern mit der Handy-Kamera gemacht habe. Obama bei der Pressekonferenz in der Großen Halle des Volkes. Hunderte von Journalisten. Irgendwo ganz weit weg der Präsident. Aber, ich habe ihn gesehen. In echt. Das zählt. „Toll!“, sagt der Händler.

In China, wo Politikern jegliches Charisma abgeht, hätte man auch gerne mehr Obama. Er ist cool. Und natürlich „shuai ge“, gutaussehend.

Doch ausser bei der steifen Pressekonferenz  gab es nur wenig echten Obama zu sehen. Und eine PK war es ja eigentlich gar nicht. Mehrfach waren wir vorher  ermahnt worden, auch ja keine Fragen zu stellen. Hu Jintao stand ja auch auf der Bühne und starrte ausdruckslos ins Publikum. Er mag sichtlich keine Fragen.

 

Den „echten“, lockeren Obama bekamen die meisten Chinesen erst gar  nicht zu sehen. Sein „town hall meeting“ mit Studenten in Schanghai wurde auf den landesweiten Fernsehsendern nicht gezeigt. Xinhua wollte erst live online übertragen und tat es dann doch nicht. Welcher Chinese wusste schon, dass man sich das Ganze auf der Website des Weißen Hauses hätte ansehen können? Und überhaupt, die Hälfte der handverlesenen Studenten waren Mitglieder der Kommunistischen Jugendliga, schreibt die New York Times. Vier Tage lang seien die Studenten auf die Begegnung mit Obama eingeschworen worden. Keine Fragen zu Tibet oder den Menschenrechten, hieß die Vorgabe. Und bitte, schön höflich bleiben. Genauso langweilig waren dann auch die meisten Fragen. „Town hall meetings“ oder Bürgerversammlungen sind anders. Lauter und unordentlicher.

Aber dennoch. Obama was here. Jetzt bleiben uns nur wieder die blutleeren Topkader der KP. Schade eigentlich.

 

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Shanghai will Schlafanzüge von den Straßen verbannen

 

Im Mai kommenden Jahres beginnt die Expo 2010 in Chinas Boomstadt Shanghai. Seit Monaten wird die ganze Stadt geschminkt und verschönert. Selbst die hässlichen alten Bürobauten in der Straße neben meinem Haus sind renoviert worden. Die alte Fassade aus grauen Kacheln ist durch Spiegelglas ausgetauscht worden, allerdings nur auf der Gebäudeseite zur Straße.

Jetzt sollen sich auch die Einwohner schön machen: Die Shanghaier Regierung will ihren Einwohnern endlich das Tragen von Schlafanzügen in der Öffentlichkeit austreiben.

Seit 30 Jahren boomt die chinesische Wirtschaft. Viele Chinesen haben seitdem viel Geld verdient. Und gerade die luxusverliebten Shanghaier geben es auch mit großer Freude wieder aus. Längst haben sämtliche westliche Luxus-Modehersteller ihre flagship stores in Shanghai eröffnet. Und in kaum einem anderen Land begegnet man auf der Straße so vielen Handtaschen von Louis Vuitton wie in Shanghai. Trotzdem ziehen Zehntausende Shanghaier jeden Tag nach der Arbeit die Anzüge und Business-Kostüme aus, schlüpfen in ihre Schlafanzüge und gehen Einkaufen oder Spazieren, gerne auch in Stöckelschuhen. Bei ausländischen Touristen sind die Shanghaier Schlafanzüge das beliebteste Fotomotiv.

Die Shanghaier selbst erklären ihre Liebe zum Pyjama übrigens mit ihrem ausgeprägten Modebewusstsein. Als die Kulturrevolution 1976 endlich vorbei war und ein frischer Wind durchs Land wehte, sehnten sich die Menschen zuerst nach bunten Farben und individueller Kleidung. Doch in ihren Kleiderschränken hingen nur die blauen Mao-Uniformen. Es heißt, dass die ersten Shanghaier damals ihre Schlafanzüge auf den Straßen anzogen, es waren die einzigen bunten Kleidungsstücke, die den Kommunismus überstanden hatten. Und sie lieben ihre Pyjamas bis heute.

Seit Jahren versucht die Regierung, die Shanghaier die Schlafanzüge von den Straßen zu verbannen. Pyjamas in der Öffentlichkeit zu tragen „verstößt gegen internationale Praktiken und soziale Rituale“, zitierte die amtliche Tageszeitung Global Times einen Pressesprecher der Stadtverwaltung. Leuchtreklamen in der Innenstadt ermahnen die Menschen, ihr Nachtgewand nicht in der Öffentlichkeit zu zeigen. Es gibt sogar Beamten, die extra dafür abgestellt wurden, die Shanghaier Abendmode zu modernisieren. Alles Teil der Kampagne mit dem schlimmen Namen „Die Schlafanzüge zu Hause lassen und ein zivilisierter Gastgeber der Weltausstellung werden“.

Ich habe die Schlafanzüge eigentlich immer sehr sympathisch gefunden. Wenn man weiß, was seine Nachbarn abends im Bett tragen, fühlt man sich ihnen automatisch näher. Die Kampagne finde ich albern. Bisher habe ich immer in Unterwäsche geschlafen. Vielleicht ist jetzt die richtig Zeit, um wieder auf Schlafanzüge umzusteigen.

 

 

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Kekse für meine Spione

Wer als Journalist in China arbeitet, wird regelmäßig dezent vom Staat daran erinnert, dass man hier nie wirklich alleine ist – irgendjemand hört immer zu, schaut zu, guckt rein, weiß Bescheid.

Vor ein paar Tagen schickte der Shanghaier Foreign Correspondent’s Club eine Warnmail an seine Mitglieder. Etliche ausländische Medien hatten gleichzeitig verdächtige E-Mails erhalten, die zunächst wie Anfragen aus dem heimischen Hauptquartier aussahen. In der angehängten PDF-Datei war ein kleines Java-Programm eingebettet.

Niemand hat bisher rausgefunden, was der Trojaner macht. Genauso unbekannt ist, wer hinter der Attacke steckt. War das der „chinesische Bundestrojaner“? Patriotische chinesische Hacker? Sicher ist nur, dass solche Cyberattacken in den letzten Monaten zugenommen haben. Mit der Digitalisierung  ist die chinesische Stasi deutlich unsympathischer geworden.

Als ich 2000 in Peking studierte, haben wir uns noch über die Bespitzelung totgelacht. Damals bezahlte die Uni unsere chinesischen Mitstundenten, um unsere Telefongespräche abzuhören und zu übersetzten.

In meiner ersten China-Woche saß ich beim meinem Freund Robert, als das Telefon klingelte. „Du hast Post“, sagte der Anrufer, „ein Paket von deiner Mutter.“ Robert freute sich natürlich. Und wahrscheinlich wollte der Herr von der Campusverwaltung seine Vorfreude auch nur noch etwas weiter anstacheln. Er sagte: „Es sind Kekse drin.“ – „Oh“, sagte Robert, „danke für die Information“.  Jedes Paket wurde geöffnet und überprüft. Und wenn Kekse aus dem Ausland drin waren, konnte die Spione manchmal nicht widerstehen, auch davon zu probieren.  

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