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Weltreporter-Forum 2016 – hier ist das Programm!

Das Programm des Weltreporter-Forums 2016 in Raiding/Burgenland steht!

Wir freuen uns mit unseren internationalen Gästen auf einen spannenden Sommer-Nachmittag auf dem Land. Das Programm des Weltreporter-Forums 2016 in Raiding/Burgenland steht!

 

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Frühkindliche Erziehung in der Manege

Spanien kommt aus der Bluthochdruckzone gar nicht mehr raus. Ein Skandal jagt den anderen, Oberthema: Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Klingt schrecklich langweilig, ist aber ein echter Aufreger, zumindest wenn die Protagonisten ein Stierkämpfer und eine Podemos-Abgeordnete sind.
Fran Rivera, genannt Paquirri, hat ein Foto von sich und seiner jüngsten Tochter gepostet. Es zeigt ihn beim Training, in der heimischen Arena, mit einer Jungkuh, und zwar in dieser Pose:

Daneben der Text: “Carmens Debüt – Sie gehört zur fünften Generation einer Stierkämpferfamilie. Mein Großvater zeigte das gleiche meinem Vater, mein Vater mir, ich meinen beiden Töchtern…”
Innerhalb weniger Stunden war die Debattennation zweigeteilt, in den Talkshows liefen die Mikrofone heiß, Verfechter (“Tradition”, “Weitergabe von Werten”) und Gegner (“Angeber”, “unverantwortlich”, “Tierquälerei”) warfen sich alle Nettigkeiten zwischen “Banause” und “Mörder” an den Kopf. Und natürlich wurde sogleich die Parallele zu diesem Skandal gezogen:

Podemos-Abgeordnete Carolina Bescansa hatte doch tatsächlich zur ersten Parlamentssitzung ihr Baby mitgebracht. Die Parlamentspräsidentin höchstpersönlich wies die Neue darauf hin, dass es auch eine KiTa im Parlament gäbe und ließ sich dann lang und breit in einer Talkshow darüber aus, ob ein “geschlossener Raum mit 400 Erwachsenen” tatsächlich das richtige Ambiente für einen Säugling wäre. Auch da verliefen tiefe Fronten zwischen Befürwortern (“Biologie ergo Mutter-Kind-Bindung”, “Zeichen setzen für arbeitende Eltern”) und Gegnern (“Populismus”, “unverantwortlich”). Man könnte jetzt lang und breit tatsächliche und mutmaßliche Gesundheitsrisiken für die jeweiligen Säuglinge analysieren oder untersuchen, wo denn nun genau die diskursiven Unterschiede zwischen Tradition/Biologie einerseits und Populismus/Angeberei einerseits liegen, interessant bei der Debatte ist, dass diejenigen, die sich über Bescansas Baby echauffierten Paquirris Baby beklatschen. Und umgekehrt natürlich.
Eine ganz ähnliche Debatte gab es übrigens zum Oberthema Angemessene Bekleidung.

 

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Standortvorteil “Verbuschung”

Eigentlich wollte ich an dieser Stelle schon längst über die katalanischen Wahlen geschrieben haben, aber ich kam bisher nicht dazu, weil ich mit den Nachwehen eines zum Politikum gewordenen Interviews beschäftigt war. Ein ARD-Kollege und ich haben uns am Freitag vor der Wahl mit Oriol Amat, Wirtschaftsprofessor und Nummer 7 der separatistischen Junts pel Si-Liste getroffen. Ursprünglich sollte es um mögliche wirtschaftliche Konsequenzen einer Sezession gehen, das Interview mit dem Experten der Gegenseite war bereits geführt. Aber schon bald sprachen wir von möglichen Szenarien nach einem Regierungswechsel in Spanien. Als ein sehr wahrscheinliches Szenario schien Amat ein Madrider Angebot zu Verhandlungen um ein neues Autonomiestatut. Dass eine solche Offerte von den Katalanen angenommen würde, schien ihm nicht ausgeschlossen. Ich war überrascht: Seit Jahren demonstrieren regelmäßig Hunderttausende für einen „eigenen Staat“, die „In-, Inde-, Independencia“-Rufe sind fester Bestandteil der politischen Folklore und in jedem zweiten Interview beschwören Politiker, „es gebe keinen Weg zurück“. Zwei Tage vor der „plebiszitären“ Wahl ein Autonomiestatut als mögliche Lösung zu präsentieren (immer als Gedankenspiel und unter der Prämisse, diese von den Katalanen noch einmal ratifizieren zu lassen) ist etwa so, als lasse man Sprinter monatelang im Hochland für Olympia trainieren, nur um sie dann zur Bushaltestelle rennen zu lassen. Ich fragte nach. Zwei, drei Mal. Amat blieb dabei.

Was der Wirtschaftsprofessor da sagte, bestätigte, was viele internationale Beobachter vermuten: dass es innerhalb der heterogenen Junts pel Si-Liste Differenzen über Weg und Ziel gibt, dass der Minimalkonsens nicht Unabhängigkeit um jeden Preis, sondern Verhandlungen mit Madrid und Brüssel sind. Vom Gezerre um Freigabe des Gesamtinterviews (einen Tweet hatte ich unmittelbar nach Interview abgesetzt), vom Druck und den widersprüchlichen Gedanken, die mir dabei durch den Kopf gingen, von der Unterstützung durch die Kollegen vor Ort und vom Círculo de Corresponsales www.corresponsales.org, erzähle ich gern mal an anderer Stelle. Samstag Nachmittag packte ich einen Ausschnitt aus dem Interview auf Soundcloud, die Online-Zeitung Eldiario.es brachte die Geschichte, El País, La Vanguardia, Antena 3 und ein gefühltes halbes Dutzend anderer Medien nahmen das Thema auf, die beiden Unabhängigkeitslisten veröffentlichten Kommuniqués. Natürlich schmeicheln solche 15 Minuten Ruhm dem journalistischen Ego, wesentlicher ist für mich eine andere Erkenntnis: Freie Korrespondenten haben einen Standortvorteil. Wir sind meist lange genug in einem Land, um auch die Zwischentöne einer Debatte zu verstehen. Auch wenn sich die Relevanz davon dem mit dem gesamten Weltgeschehen beschäftigten Redakteur am Newsdesk nicht sofort erschließt, ist das unser großes Kapital. Und unverzichtbar, wenn es um Analyse, Interpretation, um Hintergrund geht. Das hoffe ich zumindest.

 

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Psssssst! Der König ist…

Spaniens König dankt ab – und kurz darauf kündigen acht spanische Karrikaturisten ihren Job. Nicht, weil ihnen ihr Lieblingssujet und somit die Inspiration abhanden gekommen ist, sondern aus Protest: Ihr Arbeitgeber, der Verlag RBA, hatte 60.000 frisch gedruckte Exemplare der Satire-Zeitschrift El Jueves einstampfen lassen, weil auf dem Cover der royale Rentner zu sehen war, wie er seinem Sohn eine ramponierte Krone überreicht.

 

El Jueves Rey

Gemessen am Skandalpotenzial des Königshauses (Elefantenjagd, Corinna-Affäre, Steuerhinterziehung, Korruptionsverdacht und derzeitige Sympathie-Werte von 3,72 auf eine Skala von 1 bis 10)  eigentlich ziemlich harmlos. Dem Verlag aber stank die Karrikatur gewaltig. “Setzt auf keinen Fall den König auf den Titel”, soll die Verlagsleitung die Redaktion angewiesen haben. Die leistete Folge – und fast alle Stammautoren des Blattes gingen.

Schon erstaunlich: Jeder journalistische Instinkt gebietet, das Top-Ereignis der Woche an herausragender Stelle zu würdigen. Dem Verlag RBA aber galt es als Faux-Pas. Und nicht nur dem. In Spaniens Medienlandschaft greift dieser Tage ein Reflex, der schon überwunden schien: Bloss nix Schlechtes über JuanCa, bloss nix gegens Könighaus…

Dass bereits am Abend der Abdankung  in allen grösseren spanischen Städten Zehntausende Spanier die Abschaffung der Monarchie forderten, war den grossen (Print-)Tageszeitungen und staatlichen Rundfunkanstalten nur eine Randnotiz wert. Ein Königshaus-Experte hatte in einer der vielen Talkrunden schon einmal vorausschauend geurteilt, es gäbe jetzt bestimmt viele Bürger, die im Überschwang der Gefühle Dinge sagten (z. B. “España mañana será republicana”  “Morgen ist Spanien republikanisch”) und täten (z. B. demonstrieren und oben genannten Sprechchor anstimmen), die sie eigentlich gar nicht dächten oder wollten. Wer so allwissende Analysten hat, braucht auch keinen Beichtvater mehr.

Ach ja, schon einmal war ein königliches El-Jueves-Cover zensiert worden. 2007 waren auf dem Titel Kronprinz Felipe und Letizia beim Zeugungsakt zu sehen, es ging um das frisch eingeführte (und längst wieder abgeschaffte) Kindergeld. Damals hatte ein Richter darin eine “Ehrverletzung” gesehen und die Auflage beschlagnahmen lassen. So viel Brimborium war diesmal gar nicht nötig. Selbstzensur ist ja so effektiv. Und dazu noch Kosten sparend.

 

 

 

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Offene Wunden

Die Sieger schreiben die Geschichte. Dieser Satz gilt in Spaniens Hauptstadt Madrid mehr denn je. Die in Stadt und Region regierenden Konser­vativen vom Partido Popular (PP) von Premier Mariano Rajoy versuchen, ein Denkmal zu Ehren der Internationalen Brigaden, die im Spanischen Bürgerkrieg (1936–1939) halfen, die verfassungsmässige Ordnung gegen den Putsch der faschistischen Militärs von General Francisco Franco zu verteidigen, entfernen zu lassen. Die schlichte Säule aus Metall steht in der Universität Complutense, und damit am Schauplatz der härtesten Schlachten um die Hauptstadt.

Das von Bürgern und der Vereinigung der Freunde der Internationalen Brigaden finanzierte und von Studenten der Complutense entworfene Denkmal, habe «keine Baugenehmigung» und störe «das kulturell wertvolle Umfeld des Universitätsgeländes», befand das Madrider Landesgericht vor der Sommerpause. Die Säule müsse deshalb binnen zweier Monate abgerissen werden. Das Verfahren geht auf eine Anzeige eines Anwaltes aus dem Umfeld der ultrarechten Franco-Stiftung zurück. Konservative Presse und Politiker nutzen das Urteil, um ebenfalls den Abriss der Gedenkstätte zu fordern. «In diesem Land gibt es Leute, die noch nicht einmal im 20., geschweige denn im 21. Jahrhundert angekommen sind», erklärt der Rektor der Universität Complutense, José Carrillo. Er hat, wie bei anderen Denkmälern auf dem Universitätsgelände ebenfalls üblich, den Antrag auf eine Baugenehmigung erst eingereicht, nachdem die Gedenksäule errichtet und eingeweiht worden war. So verfuhren etwa auch die Initia­toren eines Denkmals für die Opfer der islamistischen Bombenanschläge auf die Pendlerzüge in Madrid am 11. März 2004.

Doch dieses Mal soll alles anders sein. Die Baubehörde der konservativen Stadtverwaltung von Bürgermeisterin Ana Botella, der Ehefrau des ehemaligen spanischen Premiers José María Aznar, antwortete auf das Gesuch ganz einfach nicht. Das Gericht nutze diese Lücke, um den Abriss anzuordnen. Stadt- und Landesregierung nahmen dies wohlwollend zur Kenntnis. Denn ihnen sind die als fortschrittlich verschriene Complutense und ihr Rektor Carrillo ein Dorn im Auge. Der vor zwei Jahren ins Amt gewählte Mathematikprofessor ist der Sohn des historischen Führers der spanischen Kommunisten in den Jahren des Widerstands gegen die 40-jährige Franco-Diktatur, die dem Bürgerkrieg folgte, Santiago Carrillo.

«Die Rechte in diesem Land ist starrsinnig. Sie will die klaren Tatsachen nicht anerkennen. Die Internationalen Brigaden kamen, um die Freiheit zu verteidigen», sagt Rektor Carrillo. Das Thälmann-Bataillon aus Deutschland, das Bataillon 12. Februar aus Österreich, das André-Marty-Bataillon und Commune-de-Paris-Bataillon aus Frankreich, das Lincoln Bataillon aus den USA oder auch das jüdische Palafox-Bataillon aus Palästina – insgesamt unterstützten knapp 60 000 Antifaschisten aus aller Welt die Verteidigung der spanischen Republik.

«Wir werden das Denkmal verteidigen. Es bleibt hier», erklärt der Rektor und legte Widerspruch vor Gericht ein. José Carrillo findet breite Unterstützung. «Wir protestieren gegen die Ungleichbehandlung, die in Madrid stattfindet», heisst es in einem Manifest eines Bündnisses aus Künstlern und Intellektuellen.

Fünf Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Bewahrung historischer Erinnerung des früheren sozialistischen Premiers José Luis Rodríguez Zapatero, das spanienweit faschistische Namen und Denkmäler aus dem Stadtbild verbannen soll, sei der Stadtplan in Madrid noch immer voller Strassen und Plätze im Gedenken an Francos Diktatur, während das Denkmal an die Verteidiger der verfassungsmässigen Ordnung abgerissen werden solle. Unter dem Manifest für den Erhalt des Denkmals der Internationalen Brigaden finden sich Namen wie der des wegen Ermittlungen zu Verbrechen der Franco-Diktatur aus dem Amt entfernte Richter Baltasar Garzón, der Schauspieler Juan Diego Botto sowie Pilar und Carlos Bardem – Mutter und Bruder von Javier Bardem. Selbst aus dem Ausland kommt Unterstützung, etwa von Abgeordneten der britischen Labour Party und von der spanischstämmigen stellvertretenden Bürgermeisterin von Paris.

Eines der bekanntesten faschistischen Denkmäler steht nur unweit von Carrillos Rektorat: Der Triumphbogen. Dem berühmten Pariser Denkmal nachempfunden, steht er an der Strasse, auf der die siegreichen Truppen Francos im April 1939 in die Hauptstadt einzogen. Der Bürgerkrieg kostete mehr als 500000 Menschen das Leben, unter ihnen waren 15 000 Kämpfer der Internationalen Brigaden. In den Jahren nach dem Sieg der Putschisten fielen mindestens 400 000 Menschen der willkürlichen Repression zum Opfer, rund eine Million der damals 23 Millionen Spanier floh ins Ausland.

 

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Universum im Abflussrohr

In Spanien über Handwerker zu schimpfen ist ungefähr so originell wie sich in Deutschland über die Verspätungen der Bahn zu echauffieren. Zeit also für eine Ehrenrettung: Spanischen Handwerkern verdanke ich wesentliche Erkenntnisse über Sprache und Weltanschauung.

Die Sachlage: Wir haben seit einem Jahr ein Zimmer mit einer feuchten Wand. Seit genau so langer Zeit bemühen wir uns, unsere Vermieterin zur Lösung dieses Problems zu bewegen. Neulich tropfte es auch im Supermarkt unter uns auf die Kasse. Und so hatten wir innerhalb weniger Wochen das Vergnügen mit gleich vier (4!) Handwerkern.

Die ersten schickte die Vermieterin. “Son de confianza”, Vertrauensleute also. Ich interpretierte das als “Denen kannst du vertrauen”. Meine Vermieterin wollte damit aber lediglich zu erkennen geben, dass es ihre Vertrauten waren: vermutlich Kumpel ihres erwachsenen Sohnes, die sich ein Zubrot verdienen wollten. Hochmotiviert klopften die beiden im Bad Kacheln ab, wickelten etwas um die tropfende Kupferleitung und begannen am gleichen Nachmittag im Nebenzimmer Gips auf die feuchte Wand zu spachteln und dann darüber zu pinseln.

Auf mein schüchtern hervorgebrachtes “Sollte das nicht zuerst trocknen? Und was ist mit der Grundierung?” entgegnete man mir, die “Señora” solle sich keine Sorgen machen, man werde das Zimmer “to’ guapo, to’ guapo” hinterlassen (was mit “tip-top” nur unzureichend übersetzt ist). Tatsächlich hatte ich am nächsten Tag eine originell gestaltete Wand, reliefartig weissgelb, hellbraun gesprengelt. Glatt weiss ist für Spiesser!

Da das Wandrelief in den nächsten Wochen wieder in Bewegung geriet und sich schliesslich auf Rohrhöhe auflöste, riefen wir wieder an, diesmal nicht bei der Vermieterin, sondern bei der Hausverwaltung, die uns den “offiziellen Handwerker des Gebäudes” schickte. Der machte uns mit einem der schönsten Worte der spanischen Sprache bekannt: “Esto es una chapuza”. Das heisst so viel Schlamperei, Murks, Pfusch, ist aber weniger negativ behaftet, da “chapuza” streng genommen nichts weiter ist als eine zwangsläufige Transformation von “arreglo” (so viel wie “schnelle Reparatur”), und einen “arreglo” hatte der erste Handwerker gemacht. Da half jetzt nur eine gründliche Reparatur, und die kostete ihre Zeit. Wir lebten tagelang in einer offenen WG mit Handwerkern, die Farbe abspachtelten, Kacheln abklopfen, Rohre verschweissten. Manchmal sang ich leise “cha-pu-za, cha-pu-za” vor mich hin – das Wort tröstete mich als melodiöser Ohrenschmeichler über den Dreck und das zu Unzeiten abgestellte Wasser hinweg.

Diesmal wurde auch nicht sofort gestrichen, da aber auch nichts trocknete, kam drei Wochen später ein anderer, von Hausverwaltung und Vermieterin gemeinsam bestellter Handwerker vorbei. Er sei der Chef, wurde uns gesagt. Der Chef ging ins Bad, klopfte drei Mal melancholisch gegen die Kacheln, ging in das Zimmer mit der feuchten Wand, seufzte tief, ging dann in den Innenhof, wo er den Kopf in den Nacken legte und den Blick das Rohrgewirr im Lichschacht emporwandern liess. Dann schüttelte er den Kopf und sagte: “Esto es un universo” – “Das ist ein Universum!”. Er packte seinen Werkzeugkoffer zusammen, drückte uns die Hand und ging. Für immer.

Ich war erschüttert: Ein Universum im Abflussrohr! Die Welt als Rohrsystem! Auf so eine Metapher muss man erst einmal kommen. Und dann dieser Abgang! Würdevoller kann man vor der Ausweglosigkeit des Lebens nicht kapitulieren.Spanische Handwerker sind die letzten grossen Poeten der Post-Postmoderne.

Ach ja, das Problem mit der tropfenden Wasserleitung haben dann keine spanischen Handwerker, sondern “manitas”, wörtlich “Händchen”, gelöst: zwei Ecuadorianer ohne “offiziellen Titel”, die das defekte Rohrstück durch ein neues ersetzten. Prosaisch, aber effizient.

 

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Die Deutschen und die Spanier

Wolfgang Maier erregt die Gemüter. Der Deutsche berichtet für FTL-Fernsehen aus Spanien. Seine Beiträge werden dort vom spanischen Fernsehsender La Sexta aufgegriffen und direkt nach dem Mittagessen ausgestrahlt. «Así nos va» – «So geht es uns» – heisst das Programm. Je nach Tonfall hat dieser einfache Satz die Bedeutung von: «Wir haben es so verdient.»

«Schaut, was wir im deutschen Fernsehen gefunden haben», kündigen die beiden Sprecher von La Sexta mit empörter Stimme die jeweiligen Kurzbeiträge an. Im Trenchcoat, Mikrofon in der Hand, berichtet der hoch gewachsene Reporter über den spanischen Alltag. Maiers Ton ist überheblich, besserwisserisch, hart an der Grenze zur Ausländerfeindlichkeit. Er fragt auf Spanisch und kommentiert auf Deutsch – La Sexta untertitelt nicht immer wortgetreu, aber immer provokant. «Sie haben mehr gebaut, als sie konnten. Sie haben spekuliert, bis sie in die grösste Krise ihrer Geschichte fielen …», eröffnet Maier seine Moderation. Bauruinen und Arbeitslose werden gezeigt. In reicheren Teilen Madrids geben die Menschen auf der Strasse offen zu, dass sie sich in Zeiten der Spekulationsblase eine goldene Nase verdient haben.

Maier berichtet aus den Madrider Bars: «Während Spanien um Rettung nachfragt, sind sie voll, keine Spur von Krise. Acht Millionen Spanier gehen täglich in die Bar, woher nehmen sie nur das Geld?» Er berichtet über den Müll auf dem Boden in den Bars («wenn das das Gesundheitsamt sehen würde») – die Osterwoche in Sevilla («sie verletzten sich beim Tragen der Statuen und liessen sich dann krankschreiben». Er besucht Volksfeste wie «Las Fallas» in Valencia, wo riesige Skulpturen, die Politik und Gesellschaft auf die Schippe nehmen, abgebrannt werden: «240 000 Euro stehen in Rauch und Flammen (…) Umweltverschmutzung, Ausgelassenheit und Ekstase (…) unglaublich!»

Maier zerpflückt alles, was den Spaniern heilig ist. Er lässt sich abschätzig über deren kulinarische Genüsse aus. Er interviewt Fussballfans, die vor der Kamera so richtig aufleben, grölen, saufen. Und natürlich darf der Stierkampf nicht fehlen. Maier starrt mit schockiertem Gesicht in die Kamera und hat die Gabe, immer diejenigen für Interviews auszusuchen, die am wenigsten zu sagen haben. Es entsteht das Bild eines Volkes von Ignoranten und Säufern.

Nur einmal bedient Maier nicht die Vorurteile der Deutschen, sondern beobachtet seine Landsleute aus spanischer Sicht. Er fährt nach Mallorca und zeigt junge Männer im Sangriarausch, die nicht in der Lage sind, auf einer Landkarte die Urlaubs­insel zu zeigen. Er spricht mit Rentnern in weissen Socken und Sandalen; das sind die Klischeetouristen, wie sie die Spanier Sommer für Sommer erleben. Und da ist sie auch wieder – die Überheblichkeit. Arm sei Spanien, Hungerlöhne würden sie bekommen, nuschelt ein sturzbesoffener Teutone seine Sicht der Dinge in die Kamera.

In seiner am meisten kommentierten Folge berichtet Wolfgang Maier für FTL über die spanische Arbeitsmoral. Er stellt sich vors Gesundheitsministerium und passt die Handvoll Beamten ab, die zu spät kommen und mehr oder weniger plausible Entschuldigungen in die Kamera stammeln. Maiers Schlussfolgerung: «Wir Deutschen sollen die Wirtschaft Spaniens retten. Wenn wir ihre Arbeitsmoral sehen (…), werden sie fähig sein, uns dieses Geld zurückzugeben?»

Die Kommentare im Internet sind alles andere als freundlich. Sie gehen von «neidisch auf unseren Lebensstil», über «Hurensohn», «Scheissdeutscher» bis hin zu «Rassist im klassischen Stile ­Hitlers». Nur wenige fragen sich, ob nicht ein ­bisschen Wahrheit hinter dem steckt, was Maier aus dem spanischen Alltag zeigt.

Und noch weniger Zuschauer stellen sich die Frage, was für ein Sender FTL eigentlich ist. Das Logo erinnert stark an RTL. Doch wer im Netz sucht, findet keine Homepage von FTL. Und wer nach Wolfgang Maier sucht, dem liefert Google einen Sprachwissenschaftler an der Universität in Düsseldorf, den Direktor des Deutschen Ski­verbandes, einen Geschäftsführer eines grossen Hotels in Abu Dhabi; doch von einem Starreporter fehlt jede Spur.

Nur eine Bloggerin ist La Sexta auf die Schliche gekommen: «Diese Reportagen sind unechter als eine Euromünze mit dem Gesicht Popeyes.» Wolfgang Maier und seine Reportagen sind ein Fake. Es ist ein weiterer Sketch, wie der Rest des Programmes auf La Sexta auch. Die meisten Zuschauer werden Maier dennoch weiterhin für bare Münze nehmen und sich aufregen. Das von La Sexta kreierte FTL-Fernsehen trifft perfekt den Nerv in einem Europa der Merkelherrschaft und der Krise.

 

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Katalanischer Sommerreigen

Da Barcelona ja immer noch der Ruf als stilprägende Metropole vorauseilt, fragen mich meine Redaktionen gerne nach neuen Trends. Bitte, hier kommt einer: Die katalanische Trendsportart des Sommers heisst Ringelpietz mit Anfassen.

Für den 11. September, den katalanischen Nationalfeiertag plant die Bürgerbewegung Assamblea Nacional Catalana eine 400 Kilometer lange Menschenkette entlang der Via Augusta. Mit der “Via Catalana” soll ein Zeichen gesetzt werden, für die Unabhängigkeit Kataloniens, natürlich. Die Organisation läuft auf Hochtouren. In Sportreportermanier werden triumphierend die letzten zu füllenden Meter getwittert, Exil-Katalanen posten Fotos von Soli-Ketten aus Rom und Wien und seit ein paar Tagen gibt es jetzt auch ein offizielles Lied, den Via-Catalana-Road-Song quasi.

Wer etwas auf sich hält, kleidet sich zum Ringelreigen ganz mit nationalen Emblemen ein: Die gelb-rot gestreifte katalanische Fahne wird als eine Art Superman-Umhang über die Schulter geworfen, dazu gibt es passend die Unterhose für Freiheit liebende Geschlechter und Sandalen, mit denen man dann in Riesenschritten Richtung Unabhängigkeit schlappen kann. Die Merchandising-Industrie boomt, von wegen Krise.

An diesem Wochenende wird landesweit geprobt. Also, liebe Touristen, wundern Sie sich nicht, wenn Sie auf Ihrem Weg von den Pyrenäen ans Mittelmeer von glücklich strahlenden, sich an den Händen haltenden Menschen im gelb-roten Dress begrüsst werden. Es handelt sich nicht um einen PR-Gag eines verzweifelt um Besucher buhlenden Tourismusamtes, sondern um den Testlauf für eine politische Demonstration.

 

P.S: Und bevor ich jetzt wieder bitterböse E-Mails bekomme, in der mir mangelndes Verständnis für katalanische Befindlichkeiten oder gar bezahlte Maulwurftätigkeiten für die Zentralregierung in Madrid unterstellt werden: Ich masse es mir nicht an, in irgendeiner Art und Weise ein Urteil über Sinn oder Legitimität der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung zu fällen… aber, déu n’hi do, so ein ganz klein bisschen karnevalesk ist dieser Sommerreigen doch schon…

 

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Mit Kleister und Trillerpfeife

Überlebensgrosse Portraits von Menschen, die kurz vor dem Verlust ihrer Wohnung stehen, Trillerpfeifenkonzerte und eine Postkartenaktion, bei der sich jeder Passant persönlich für einen “Hypothekengeschädigten” einsetzen konnte: So haben letzte Woche in Barcelona Hunderte gegen Zwangsräumungen und die schuldnerfeindliche Bankengesetze protestiert, hier vor der Zentrale der Sparkasse Caixa Catalunya.

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Spanien hält einen traurigen Rekord: Über 126.000 Zwangsvollstreckungen wegen nicht bedienter Kredite wurden im letzten Jahr verhängt. Und wer aus seiner Wohnung geworfen wird, ist deswegen noch lange nicht schuldenfrei. Im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern wird die Schuld in Spanien nicht dadurch getilgt, dass die Wohnung an die Bank zurückfällt. Nachdem im letzten Jahr eine Reihe von Selbstmorden die Öffentlichkeit erschütterte, hat die Regierung Rajoy Zwangsräumungen in besonders prekären Fällen zwar gestoppt, an der Situation an sich hat sich allerdings kaum etwas geändert.

Die landesweiten “Plattformen der Hypothekengeschädigten” (P.A.H., Plataforma de Afectados por la hipteca) haben daher für kommende Woche zu Protesten aufgerufen. Am 24. Januar wollen Vertreter dem Parlament 750.000 Unterschriften für eine Gesetzesänderung übergeben, für den 16. Februar sind Grossdemonstrationen geplant.

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Zumindest die Plakataktionen scheinen ihr Ziel zu erreichen: Nachdem vor einer anderen Filiale wochenlang das Portrait eines Schuldners prankte und Aktivisten unter den Passanten Postkarten mit der Kurzfassung seines Falls verteilten, rückte die Bank von der Zwangsvollstreckung ab und hat die Rahmenbedingugnen des Kredits geändert. Die Plakatkampagne ist eine Initiative des Künstlerkollektivs Enmedio, über dessen Arbeit ich am Sonntag im Neonlicht von Deutschlandradio Kultur berichte.

 

 

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Wer das Beste will, steht Schlange

Casa Hernanz gehört zweifellos zu den el mejor sitio, den “Best of” von Madrid. JedeR kennt diese Geschäfte, die sich mit ihrer Spezialisierung seit Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten einen Namen gemacht haben. Die Altstadt ist, trotz ständig zunehmender globalisierter Ladenketten, noch immer voll davon. Gleich neben Hernanz werden bei Calzados Toledo Lederschuhe von Hand gefertigt. Das Besondere: Als Sohle wird Gummi von Autoreifen benutzt. Und wer eine besondere Kopfbedeckung sucht, der geht zu Casa Yustas, dem besten Hutgeschäft der Stadt. Doch was wäre Madrids Best-of-Route ohne kulinarische Genüsse? Natürlich sind auch sie nicht ohne Schlangestehen zu haben. An Weihnachten geht, wer auf sich hält, zu Casa Mira unweit des Parlaments. Hier wird der turrón, die typische Weihnachtssüßigkeit, handgemacht. Den Rest des Jahres beglückt Mira die Kunden mit Teigschälchen, gefüllt mit Innereien.

An Drei König gibt es gleich um die Ecke bei El Pozo den besten Roscón de Reyes, einen mit Sahne gefüllten Hefering. Er ist so gut, dass die Kunden telefonisch vorbestellen. An Drei König morgens stehen sie dann Schlange, um ihre reservierte Kalorienbombe abzuholen. Wer übrigens einen Tag früher hingeht, muss nicht anstehen. Doch Tradition ist Tradition. Und die verlangt, dass der Hausherr am Drei-König-Morgen das Gebäck ersteht.

Zu Weihnachten und Drei König verlost die staatliche Lotterie ihre größten Preise. Was ein richtiger Spieler ist, der kauft seine Lose nicht irgendwo, sondern bei Doña Manolita. Von der Dame, die dem Laden an der Puerta de Sol, dem Platz, an dem alle spanischen Nationalstraßen beginnen, den Namen gab, ist längst nur noch ihr Ruf übrig. Dennoch gilt: Wer bei Doña Manolita kauft, dem ist das Glück holder. Und kommen Sie jetzt nicht mit Statistik und wer mehr verkauft, hat mehr Chancen, dass ein Gewinnlos dabei ist!

Freilich eint die Frage nach dem “Besten Platz für” die Madrilenen nicht immer. Auch wenn es bei Casa Mira, Doña Manolita und El Pozo keine Diskussionen gibt, scheiden sich bei anderen Genüssen die Geister. Ständig führt einen ein Freund in die Kneipe, die seiner Ansicht nach dies oder das am besten kann. Der Gesprächsstoff ist vorgegeben. Zwar ist die Kneipe nicht schlecht, oft sogar hervorragend, aber die Kneipe zu Hause, gleich um die Ecke, ist natürlich um Längen besser. Bei kulinarischen Touren empfiehlt sich übrigens ein gesunder Magen, der die traditionellen Raciones von orejas – gebratene Schweinsohren – oder gallinejas – auf eine Astgabel gewickelte gegrillte Lammdärme verträgt.

 

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Auf den Ramblas: Still gestanden!

Barcelona ist eine schizophrene Stadt: Einerseits will man weltoffene Metropole sein, andererseits gibt es immer wieder absurde Beispiele eines doch sehr kleinstädtischen Besitzstandsdenken. Besonders gern zeigt sich das in der schon seit Jahren und quer durch alle Parteien grassierenden Regulierungswut. Jüngstes Beispiel: Die lebenden Statuen auf der Ramblas, die neben Sagrada Familia wohl inzwischen zu den meist fotografierten Tourismus-Ikonen der Stadt zählen.

Seit 2011 müssen sich die Straßenkünstler einem Casting mit strikten Regeln unterziehen: Das Kostüm muss handwerklich gut gemacht und selbst gestaltet sein, sollte künstlerischen Wert haben und die Statue muss – wenig überraschend – tatsächlich die meiste Zeit bewegungslos da stehen. Die Vereinigung der Lebenden Statuen Barcelonas hat die Initiative seiner Zeit begrüßt, denn tatsächlich war die Lage auf den Ramblas angespannt bis unerträglich: teils drängte sich ein Dutzend Statuen auf einer Strecke von 30 Metern und stellte dem Publikum mit teils penetranten Bettemethoden nach. Den Vogel schoss ein rosa Plüschbär ab, der Passanten gerne von hinten umarmte. Etwas Regulierung tat also not. Nun hat die Stadtverwaltung in diesem Jahr die Regeln verschärft. Neben aktueller Bühnenerfahrung wurden unter anderem diverse Fortbildungen in Sachen Schauspiel und Performancekunst eingefordert und den Künstlern nahegelegt, sich doch bei der Kostümwahl an repräsentativen historischen Persönlichkeiten Barcelonas oder Kataloniens zu inspirieren. Resultat: Keiner bewarb sich. Die Stadt ruderte zurück, beharrte nur noch auf dem Punkt mit den „repräsentativen Figuren“ und erteilte den üblichen Verdächtigen die Still-Steh-Genehmigung – allerdings an einem neuen Ort, am unteren Abschnitt der Ramblas, nahe der Kolumbusstatue.

Dort traf ich auch Fabián López, den goldenen Seemann, der mir die Geschichte erzählte – mit Schweissperlen auf der Stirn und jeder Menge Wut im Bauch. Denn am Fuße der Kolumbusstatue ist die Rambla nicht nur besonders breit, so dass kaum Touristen stehen bleiben, sondern auch besonders sonnig, so dass das Gewerbe noch schweißtreibender ist als ohnehin. Seine Einnahmen wären am neuen Standort um die Hälfte zurückgegangen,und das zur Hauptsaison, in der es doch für den Winter vorzusorgen gelte, schimpfte Fabián. Seine Vermutung: Die Stadt möchte das Geschäft mit den lebenden Statuen gern selbst übernehmen und Kostümgestaltung und Performance dem städtischen Theaterinstitut übertragen, zwecks besserer Kontrolle. Das klingt zwar nach Verschwörungstheorie; einer Stadt, die Ballspielen,im Stadtzentrum Bikini tragen und den Einkauf beim (illegalen) fliegenden Händler mit teils saftigen Geldstrafen handelt, wäre das durchaus zuzutrauen. Kann also gut sein, dass an den Ramblas mittelfristig als Kolumbus, Sant Jordi (der heilige Georg ist offizieller Schutzpatron Kataloniens) oder Pep Guardiola (der sakrosankte Ex-Barça-Trainer ist inzwischen fast so etwas wie der inoffizielle Schutzpatron Barcelonas) verkleidete Schauspielstudenten Spalier stehen. Praktischerweise könnten die dann gleich auch als Fremdenführer fungieren. Eine Münze in die Kappe werfen und schon weist der ausgestreckte Zeigefinger zur nächsten Sehenswürdigkeit.

 

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“Ich weiß, was ein Publikum braucht”

Bomm, bomm, bomm … hallt es bei den Spielen der spanischen Nationalelf durchs Stadion. “Manolo – el del Bombo” trommelt wieder. Vor ein paar Jahren hatte ich die Gelegenheit den heute 63-Jahre alten, bekanntesten Fan der “Roja” zu interviewen. Ein kleines Schmankerl in diesen Fußball verrückten Tagen.

Wie kamen Sie zur Trommel?

Ich stamme aus Aragón, und da ist die Trommel ein weitverbreitetes Instrument. Vor 28 Jahren fing ich an, bei Regionalklubs in meiner Heimatregion zu trommeln. Dann begann ich bei Real Zaragoza, einem Klub aus der ersten Liga. Schließlich landete ich bei der Nationalmannschaft. Seither reise ich durch die Weltgeschichte.

Verlangt das große Opfer?

Ich habe für den Fußball alles aufgegeben, meine Familie, mein Geschäft. Die kleine Bar gegenüber dem Stadion in Valencia ist das einzige, was mir geblieben ist. Wenn ich unterwegs bin, mache ich den Laden dicht.

Alles für den Fußball?

Ja. Denn bei der Trommelei merkte ich sehr schnell, daß mich das Publikum mag, und zwar überall auf der Welt. Das Publikum genießt es richtig, wenn ich trommle, und ich genieße es auch. Meine Familie wollte da einfach nicht mitziehen, und so haben wir beschlossen, uns zu trennen.

Mit der Trommel kann man in Ihrer Heimat ganz unterschiedliche Gefühle ausdrücken: Trauer am Karfreitag, aber auch Freude auf den Dorffesten. Hat Manolo auch verschiedene Rhythmen?

Je nachdem, wie das Spiel läuft, trommle ich verschieden. Ich laufe immer den Fanblock auf und ab. Dabei merke ich sehr schnell, was das Publikum braucht.

Haben Sie wegen der Trommel nie Probleme bekommen?

Doch. Einmal in Italien wollten die mich erst nicht ins Stadion lassen, aber das ist schon lange her. Jetzt kennt mich ja alle Welt.

Spielen Sie noch immer auf Ihrer ersten Trommel?

Nein, ich habe schon viele verbraucht. Und eine Trommel ist auf einem Rückflug von Costa Rica nach Madrid spurlos verschwunden. Ich bin dann extra noch einmal nach Costa Rica geflogen, aber es hat alles nichts genutzt.

Dann haben Sie also keine so enge Beziehung zu Ihrem Instrument wie zum Beispiel die Flamenco-Gitarristen?

Nein. Das einzige, worauf es ankommt, ist der Durchmesser von 75 Zentimetern – wegen der Tonhöhe und der Lautstärke.

Wenn Manolo el del Bombo ins Rentenalter kommt, was dann?

Ich mach’ weiter, solange es dem Publikum gefällt.

 

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Mama Merkel

Meine Nachbarin begrüßt mich seit ein paar Tagen mit “Hallo Angela”. Der Grund: Dank der unvermeidlichen lautverstärkenden Funktion des spanischen Lichthofes bekommt die gesamte Nachbarschaft mit, wie ich versuche, ein Krabbelkind am Chaos stiften zu hindern. Und, leider, ähnelt meine Strategie der der deutschen Bundeskanzlerin: permanentes Nein sagen. Angela sagt Nein zu Euro-Bonds. Ich sage Nein zum Mülltonne ausräumen. Angela sagt: Nein, prinzipiell keine Abkehr vom Sparkurs. Ich sage: Nein, nicht das Handy ins Klo werfen. Der Unterschied: Merkels Wort hat Gewicht, meins nicht.

Tatsächlich ist die Frau im Krisen-Spanien omnipräsent. Kein Titelblatt, von dem nicht ihr Name prangt. Keine Nachrichtensendung, die ohne sie auskommt. In den Redaktionen stehen Spezialisten bereit, die jede neue Wendung deutscher Euro-Politik analysieren und kommentieren. Manchmal hat man den Eindruck, dass spanische Politik nicht in Madrid, sondern in Berlin gemacht wird.

Kein Wunder, dass inzwischen die ersten Ermüdungserscheinungen auftreten. Kein Wunder, dass das inzwischen zu erheblichen Ermüdungserscheinungen führt. Er leide unter „Ale-manía“, unter Deutschland-Manie, bekannte der Kolumnist Suso de Toro kürzlich in der katalanischen Zeitung La Vanguardia: Seine einstige Bewunderung für das Land verwandle sich langsam in eine Phobie.

Er ist nicht der einzige, der gegen Mama Merkel aufmüpft. Die Gratis-Zeitung Qué versucht es auf die Ätsch-Bätsch-Tour: „Merkel, Berlin hat keinen Strand“ titelte sie triumphierend über ein idyllisches Strandfoto. Die Rückbesinnung auf touristische Primärtugenden kommt nicht von ungefähr: Das Vertrauen in das Finanzsystem (Bankia steht vor dem Bankrott und unter dem Verdacht Bilanzen gefälscht zu haben), die Justiz (der Chef des Obersten Gerichtshofes verprasst Steuergelder auf Vergnügungsreisen und wundert sich über die Empörung) und die Politik (Amnestie für Steuersünder, Steuererhöhung für alle anderen) mag erschüttert sein, aber wenigstens aufs Wetter kann man sich verlassen. Und wem das zur Hebung des nationalen Selbstbewusstseins zu wenig ist, der hofft auf die EM.

 

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Krisenalltag

Die Krise schlägt den Spaniern auf den Magen. Die alte Hausfrauenkost ist plötzlich wieder in. Schluss mit feiner exotischer Küche, die in Spanien schon auf der anderen Seite der Pyrenäen beginnt. “El garbanzo”, die Kichererbse, und die Kroketten sind zurück. Die Presse würdigt diesen Wandel: Ein der großen Tageszeitungen, El Mundo, widmete der schwerverdaulichen Hülsenfrucht aus der die Spanier ihren berühmten Eintopf, “el cocido”, und andere deftige Gerichte fabrizieren, ein ganzes Sonntagsmagazin. Auch andere Hülsenfrüchte, wie Linsen und Bohnen finden wieder immer öfter den Weg auf den Tisch. Und die kostenlos verteilte 20minutos veröffentlichte eine Ode auf die Kroketten.

Die spanischen “croquetas” sind nicht mit den fritierten französischen oder deutschen Kartoffelpureebällchen zu verwechseln. Sie haben die gleiche Form sind allerdings wesentlich größer und werden aus einer dicken Bechamelmasse gemacht, die ihren Geschmack durch zuvor völlig ausgekochtem Hühnerfleisch, Gambas oder ganz einfach Reste des Bratens vom Vortag erhalten. Wo Schmalhans Küchenmeister ist, büßt allerdings der Geschmack. Denn in Zeiten der Krise verbannen viele Spanier das so gesunde und aromatische Olivenöl und ersetzten es durch … richtig befürchtet … durch Sonnenblumenöl.Von den sich wandelnden Essgewohnheiten wissen auch die Müllmänner zu berichten. Die Tonnen wiegen knapp ein Zehntel weniger als vor der Krise. Denn je einfacher die Produkte, umso weniger Verpackungsmüll fällt an.Auch die Wohnungseinrichtung leidet. Eines der unnötigsten Haushaltsgeräte hat Absatzprobleme. Es werden 40 Prozent weniger Wäschetrockner verkauft. Die Spanier erinnern sich plötzlich wieder an die gute alte Wäscheleine. Da es selten regnet und die Temperaturen fast das ganze Jahr über ihren Dienst tun, kommt die Wäsche wieder auf den Hinterhof. Vorbei sind die modernen Zeiten, in denen unnötig Strom verbraucht wurde.

Auch die Krankenhäuser haben plötzlich weniger zu tun. Wie bereits in den USA beobachtet, gehen jetzt auch in Spanien die Verkehrsunfälle zurück. Die Krise erreicht das, was weder durch ständig härtere Strafen und noch durch ein Punktesystem beim Führerschein gelang. Die Spanier fahren weniger und vor allem langsamer. Denn der Sprit ist teuer. Der Benzin- und Dieselkonsum geht deutlich zurück und es werden kaum noch Neuwagen verkauft.

Auch das Zwischenmenschliche scheint sich dank der Krise zu verändern. Immer weniger Paare lassen sich scheiden. Und das obwohl erst 2007 ein neues, schnelleres Scheidungsverfahren eingeführt wurde. Doch in Zeiten, in denen die Arbeitslosigkeit auf Rekordquoten steigt, ist eine Wohnung schon fast unbezahlbar, ganz zu schweigen von zweien. Als wäre dies nicht schon Strafe genug, muss das zerrüttete Paar jetzt auch noch enger zusammenrücken. Mehr als ein Fünftel der Kids, die sich mühsam von Mama und Papa emanzipiert hatten, kehren nach Hause zurück.

Nur ein Produkt erfreut sich eines ständig steigenden Absatzes: Der Lippenstift. Damit soll wohl die die Frustration übermalt werden. Und so manche möchte mit einem schönen Rot auch ihren Arbeitsplatzes sichern. Denn eine Statistik zeigt, dass attraktive Frauen leichter Arbeit finden bzw. später gekündigt werden, als ihre weniger hübschen Geschlechtsgenossinnen.

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