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Mit großer Aufmerksamkeit beobachten die Franzosen, wie der Nachbar Deutschland seine Energiewende meistern will. Vielleicht schafft es das deutsche Wort ja noch in den französischen Wortschatz: „L’Energiewende“ taucht oft in französischen Zeitungsartikeln auf. Die Medien berichten vor allem über steigende Energiepreise und Entlassungen bei Stromkonzernen. Die Bürger in Deutschland zahlten einen hohen Preis für den Atomausstieg, heißt es immer wieder. Die sozialistische Regierung weiß: Viel höhere Strompreise sind in dem krisengeschüttelten Frankreich zurzeit kaum durchzusetzen. Entlassungen im Nuklearsektor auch nicht. Das Thema Energiewende ist also ein höchst sensibles in dem Land, das derzeit 75 Prozent seines Stroms aus seinen 58 Atomkraftwerken bezieht.
Kein Wunder also, dass die Präsentation des Gesetzentwurfs zur Energiewende ein Jahr länger dauerte als geplant. Nach langen Beratungen hat nun Umweltministerin Ségolène Royal die großen Linien dem Kabinett vorgestellt. Die „Transition énergétique“ (Energieübergang) werde Frankreich helfen, aus der Krise zu kommen, sagte sie.
Präsident François Hollande hatte mehrmals betont, dass dieser Gesetzestext einer der wichtigsten seiner fünfjährigen Amtszeit sein werde. Schon während seines Wahlkampfs hatte er eine für Frankreich kleine Revolution angekündigt: Denn der Anteil der Kernenergie an der Stromversorgung soll bis 2025 um 25 Prozent reduziert werden.
Der Entwurf umfasst nun 80 Artikel. Fünf große Punkte prägen ihn: Neben der oben genannten Reduktion des Anteils der Atomenergie im Strommix soll der Ausstoß der Treibhausgase bis 2030 um 40 Prozent gesenkt werden (im Vergleich zu 1990). Im selben Jahr sollen 40 Prozent der Energieproduktion in Frankreich aus erneuerbaren Quellen stammen. 2012 lag der Anteil bei knapp 14 Prozent. Der Verbrauch fossiler Energien wie Erdöl und Kohle soll bis 2030 um 30 Prozent gesenkt werden. Geplant ist auch das Ziel, den Energieverbrauch in Frankreich bis 2050 zu halbieren (Vergleich zu 2012).
Kritiker werfen Royal bereits vor, eingeknickt zu sein – vor allem gegenüber der Atomlobby. Denn die Grünen hatten gefordert, dass in dem Gesetz das Recht des Staates festgeschrieben wird, aus energiepolitischen Gründen Atomreaktoren stilllegen zu können. Das ist nun nicht der Fall. Auch eine maximale Laufzeit von 40 Jahren für Frankreichs Reaktoren ist nicht im Text verankert. Welche Reaktoren und wie viele abgeschaltet werden – keine Angabe. Gerade im Elsass hatten viele Atomkraftgegner gefordert, dass die Abschaltung von Fessenheim Schwarz auf Weiß festgehalten wird. Präsident Hollande hatte die Stilllegung bis Ende 2016 angekündigt. Doch der Name Fessenheim taucht nicht auf. „Das ist ein Versprechen des Präsidenten“, sagte Ségolène Royal nun der Zeitung Le Monde. Vermutlich befürchtet die Regierung enorme Entschädigungsforderungen von Seiten des börsennotierten Konzerns EDF, würde man die Stilllegung ins Gesetz schreiben.
Die Regierung verfolgt eine andere Strategie. Festgeschrieben in dem Entwurf wird nun eine Kapazitätsobergrenze bei der Atomenergie von 63,2 Gigawatt – das entspricht dem Stand von heute. EDF als Betreiber der Atomkraftwerke und Vermarkter des Stroms soll in Zukunft einen mehrjährigen, nach Energiequellen gegliederten Stromplan vorlegen, der mit dem Gesetz in Einklang stehen muss. Diesen werde dann der Staat (größter Aktionär von EDF mit einem Anteil von 85 Prozent) prüfen. Der erste Plan betrifft den Zeitraum von 2015 bis 2018. In dieser Periode soll der neue Europäische Druckwasserreaktor in Flamanville am Ärmelkanal in Betrieb gehen. Will die EDF dafür vom Staat die Starterlaubnis, wird sie wohl mit Blick auf die Obergrenze ein anderes Kraftwerk stilllegen müssen – etwa Fessenheim.
Royal bezeichnet die Energiewende als wichtigen Hebel Frankreichs zum Ausstieg aus der Krise. Ziel sei es, in den kommenden drei Jahren 100.000 Arbeitsplätze mit Hilfe der Ökologie- und Energiewende zu schaffen. So soll es zum Beispiel für energetische Sanierungen Steuererleichterungen bis zu 30 Prozent geben. Haus- und Wohnungsbesitzer sollen künftig verpflichtet werden, bei Dach- oder Fassadearbeiten solche Sanierungen vorzunehmen. Haushalte mit geringem Einkommen sollen Energieschecks erhalten, die Regionen Eigentümern Kredite geben können, Biogasanlagen gefördert werden. Bis 2030 werden zudem sieben Millionen Aufladestationen für Elektroautos errichtet.
Die Transition énergétique kostet vermutlich 20 bis 30 Milliarden Euro jährlich: Wie das genau in Zeiten leerer Kassen finanziert werden soll, ist noch unklar. Im Herbst 2014 soll das Parlament über den Entwurf debattieren. Im Jahr 2015, wenn in Paris die UN-Klimakonferenz stattfindet, soll das Gesetz spätestens Wirklichkeit werden.
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Diese Woche wurde unsere Straße geteert.
Sie fragen sich, wo da der Nachrichtenwert liegen soll? Dann waren Sie noch nie in New York.
Eine anständige New Yorker Straße hat ungefähr alle zwei Meter ein Schlagloch, einen Riss oder einen Buckel. Sie ist bereits 32mal notdürftig repariert worden, was man ihr auch ansieht. Diese Fotos habe ich gestern mal eben auf dem Weg zum Supermarkt gemacht.
Dabei lebe ich in einem respektablen Brooklyner Viertel namens Park Slope, in dem auch Bill de Blasio zuhause ist, seit Januar neuer Bürgermeister von New York. Es ist nicht ganz abwegig, einen Zusammenhang zwischen seiner Wahl und den plötzlichen intensiven Straßenreparaturarbeiten in Park Slope zu vermuten. Unser Viertel erfreut sich seit der Bürgermeisterwahl gesteigerter Aufmerksamkeit. Seit Januar ist Park Slope auf der Wetterkarte des populären Fernsehsenders NY1 verzeichnet. Auf den Avenuen wurden neue saubere Recycling-Eimer aufgestellt, und wir sind jetzt Pilotbezirk für die Biotonne.
Doch zurück zu den Schlaglöchern. David Letterman, Moderator der Kult-Fernsehsendung Late Night Show, witzelte mal, in New York seien die „potholes“ so tief, dass einige ihre eigenen Andenkenläden hätte. Warum die Straßen so schlecht sind, ist ein auf Stehempfängen gern diskutiertes Thema. Die Republikaner machen die Gewerkschaften verantwortlich und die Demokraten zu niedrige Steuern. In der deutschen Expat-Gemeinde herrscht wie stets die Ansicht vor, dass die Amerikaner „es“ einfach nicht können. Ich halte das schon deshalb für eine Unterstellung, weil ich beispielsweise im Mittleren Westen und sogar im Bergland von Montana ganz ausgezeichnete Straßen befahren habe.
Was immer die Ursache, die Konsequenzen sind eindrucksvoll. Im vergangenen Jahr zahlte New York City wegen schlaglochinduzierter Schäden 5,5 Millionen Dollar Schadenersatz an Autofahrer, enthüllte kürzlich die New York Times. Dafür könnte man eine ganze Menge Straßen reparieren. Tatsächlich sind die Schäden noch viel größer, denn die Stadt haftet erst, wenn sie von der Existenz eines Schlaglochs schriftlich unterrichtet wurde und nachgewiesenermaßen mehr als 15 Tage untätig blieb.
Der Bundesstaat New York vermeidet solche komplexen Statuten. Dort gilt ein Gesetz, das den Staat von der Haftung durch kaputte Landstraßen komplett freistellt, sofern sich Achsbrüche und Unterbodenschäden von Mitte November bis Ende April ereignen. Das ist sehr wirkungsvoll. 2013 zahlte der Staat New York lediglich 13 386 Dollar an Autofahrer.
Jetzt gibt es eine Initiative, das Gesetz abzuschaffen. Ergriffen hat sie Thomas Abinanti, ein demokratischer Abgeordneter aus Westchester County, einem Bezirk nördlich von New York City. Es ergab sich nämlich, dass Herr Abinanti im Januar auf dem Taconic State Parkway unterwegs war und derart über ein Schlagloch bretterte, dass ein Reifen ersetzt werden musste. Kurze Zeit später passierte ihm das gleiche auf der Interstate 95. Die beiden neuen Reifen kosteten ihn rund 700 Dollar. Das ärgert den Politiker. „Ich verstehe nicht, wie der Staat sich aus der Haftung stehlen kann“, findet er. „Das Gesetz ist unfair.“
Bis sich das notorisch zerstrittene und phlegmatische Parlament in Albany auf eine Revision geeinigt hat, werden aber vermutlich Jahre vergehen. Dann dürfte auch unsere Straße in Park Slope erneut reparaturbedürftig sein, denn der schöne neue Belag fängt an den Rändern bereits an auszufransen. Hoffen wir, dass Bill de Blasio dann noch Bürgermeister ist.
Fotos: Christine Mattauch
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Da mag Barack Obama eine große Rede zur Abhörpraxis der NSA halten und Yahoo-Chefin Marissa Mayer ihren Vizechef feuern – Tagesgespräch in New York ist eine kleine McDonalds-Filiale im Stadtteil Queens. Genauer gesagt in Flushing, einem Viertel mit vielen Einwanderern aus Korea. Über die Jahre hat er sich zum Treffpunkt von Senioren entwickelt. Die ersten kommen schon am frühen Morgen. Sie kaufen einen Kaffee für 1,09 Dollar, setzen sich und klönen. Neuankömmlinge werden freudig begrüßt. Das geht so bis zum Abend.
Was in dem Cafè eines Altenheims ein liebenswertes Ritual wäre, hat sich für McDonalds-Filialbetreiber Jack Bert zu einem echten Problem entwickelt. Denn die netten alten Herren verzehren nicht nur wenig, sondern blockieren die Tische angeblich in solcher Zahl, dass andere Burger-Fans oft keine Plätze finden. „Sie können sich wohl vorstellen, dass es für jedes Unternehmen eine schwierige Situation wäre, wenn einige Kunden andere behindern“, sagt Bert. Er hat versucht, sich zu wehren – bat die Herren zu gehen, erst höflich, dann harsch. Er hängte Schilder auf, wonach eine Mahlzeit innerhalb von 20 Minuten verzehrt sein muss. Als alles nichts half, wählte er die Notrufnummer 911. Und dann kam die Polizei.
Die richtete zwar auch nicht viel aus gegen den Stammtisch. Die Senioren verließen das Lokal, drehten eine Runde um den Block und kehrten in den McDonalds zurück, sobald die Luft rein war. Aber Angehörige und Nachbarn reagierten empört: Wie konnte es der Filialchef wagen, die Großväter mit Staatshilfe zu vertreiben? „Ältere Bürger sollten nicht wie Kriminelle behandelt werden“, sagt Christine Colligan von der Korean Parents Association von New York.
Der Konflikt ist auch ein Kampf der Kulturen: Für die meisten Amerikaner ist die aushäusige Nahrungsaufnahme eine kurze und zweckgebundene Angelegenheit. Nach dem Essen gemütlich sitzen zu bleiben, ist selbst in normalen Restaurants nicht üblich – die Rechnung wird nicht selten schon während des Essens gebracht. Das hat seitens der Gäste mit Effizienzdenken zu tun – weshalb sitzen blieben, wenn die Mahlzeit beendet ist – und seitens der Restaurantbetreiber mit hohen Mieten, die es erfordern, die Tische möglichst schnell wieder zu besetzen.
In Korea geht es, wie Einwanderer erzählen, wesentlich entspannter zu beim Essen. Vor allem aber ist, wie in allen asiatischen Kulturen, die Achtung vor dem Alter stark ausgeprägt. Es ist eine Selbstverständlichkeit – mehr noch: eine Pflicht –, Senioren respektvoll und freundlich zu behandeln. Die Polizei zu holen, weil einer seinen Kaffee nicht schnell genug austrinkt – undenkbar. Christine Colligan und ihre Freunde haben deshalb zum Boykott von McDonalds aufgerufen – weltweit.
Dem Fast-Food-Konzern droht Imageschaden. Nachdem zunächst nur koreanische Zeitungen über das gestörte Sit-In berichteten, brachte diese Woche auch die New York Times eine große Geschichte, und jetzt hat die Boulevardpresse das Thema entdeckt. „This is McMayhem“, schrieb die Daily News, was sich ungefähr mit „Willkommen bei McAufruhr“ übersetzen lässt. Ein Lokalpolitiker namens Ron Kim hat sich eingeschaltet und versucht zu vermitteln. Spätestens im Frühling allerdings dürfte sich die Situation von selbst beruhigen. Der Margaret Carman Park mit vielen Bänken ist gleich um die Ecke. Und weitaus schöner als ein steriles Fast-Food-Restaurant.
Foto: McDonalds
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New York kennt in diesen Wochen vor allem ein Thema: den Wechsel im Bürgermeisteramt, der am 1. Januar stattfinden wird. Nach zwölf Jahren tritt der konservative, parteilose Milliardär Michael Bloomberg ab, der für einen Dollar Jahreslohn arbeitete. Sein Nachfolger ist der linke Demokrat Bill de Blasio, der noch im Sommer als chancenloser Außenseiter galt. Vor zwei Wochen aber wurde der 52jährige, fast zwei Meter große Weiße mit einer spektakulären Mehrheit von 73 Prozent der Stimmen gewählt. Das lag nicht zuletzt daran, dass de Blasio seine ungewöhnliche Familie – Ehefrau Chirlane McCray trat in jungen Jahren öffentlich als schwarze Lesbe auf – in genialen Fernsehspots vermarktete. Besonders populär war ein Spot mit Sohn Dante, der einen riesigen Afro trägt.
Anders als Bürgermeister-Milliardär Bloomberg, der an der vornehmen Upper East Side zuhause ist, lebt de Blasio in Brooklyn. Genauer gesagt, fünf Blocks von uns entfernt, im Stadtteil Park Slope. Mein Mann traf ihn mal im Weinladen, vor einigen Jahren. Da musste Bill noch persönlich Geschäfte abklappern, um für seine Wahl zum Bürgerbeauftragten („Public Advocate“) zu werben. Heute hat fast jeder Laden ein rotes „Bill de Blasio“-Schild unübersehbar aufgehängt – klar doch, wenn „einer von uns“ Bürgermeister wird. Atemberaubende 89 Prozent der Wähler von Park Slope haben für Bill gestimmt. Bei der Viertels-Halloween-Parade schritten er und Chirlane dem Zug voran und wurden mit Applaus und Jubelrufen begrüßt, als seien sie König und Königin.
Dabei weiß eigentlich keiner so recht, was Bill in seinem Amt als Bürgerbeauftragter bewegt hat. Davor saß er im Stadtrat. Das ist in seinem Heimatviertel schon deshalb unvergessen, weil er dafür sorgte, dass an einigen Straßenecken öffentliche Mülltonnen aufgestellt wurden.
Er führte auch einmal einen Wahlkampf für Hillary Clinton. Dabei scheint er eine Menge gelernt zu haben. Trotzdem fragen sich viele, wie dieser Mann es schaffen soll, die schwierige Acht-Millionen-Metropole New York in den Griff zu bekommen. Seine Wahl erinnert an die von Obama, der ebenfalls von einer Woge persönlicher Sympathie ins Amt katapultiert wurde und dem sein Mangel an Erfahrung bis heute zu schaffen macht.
Einige unserer alteingesessene New Yorker Freunde befürchten eine Wiederkehr der Zustände in den berüchtigten 70er und 80er Jahren, als Korruption und Drogenkriminalität die Stadt fast lahmlegte. Andere prophezeien einen Auszug der Wohlhabenden, weil de Blasio New Yorkern mit einem Jahreseinkommen von mehr als 500 000 Dollar eine Zusatzsteuer abknöpfen möchte (bezeichnenderweise kann er das gar nicht selbst beschließen, sondern ist auf das Parlament des Bundesstaates New York angewiesen). Solche Ängste sind wahrscheinlich übertrieben. Klar ist indes, dass eine neue Ära in der Stadt anbrechen wird; es wird spannend sein zu sehen, wie „unser“ Bill sich schlägt. Vielleicht sorgt er ja dafür, dass auch der Hausmüll in ordentlichen Tonnen gesammelt wird anstatt in schwarzen Plastiksäcken, die über Nacht auf den Gehwegen gammeln und von Ratten angefressen werden. Das wäre ein echter Gewinn.
Foto: Christine Mattauch
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Ausgerechnet im sauberen Deutschland hat sich mein Sohn Würmer eingefangen. Im Sandkasten, auf dem Spielplatz oder im Kindergarten, keiner weiß es so genau. Es fing an mit einem leichten Jucken am Popo und endete mit einem mehrwöchigen Drama durchwachter Nächte, wiederholtem Waschen sämtlicher Bettwäsche, Schlafanzüge, Unterhosen und Stofftiere sowie diversen Kinderarztbesuchen. Durchaus auch in gemäßigten Breitengraden nichts Ungewöhnliches, wie ich während der Prozedur gelernt habe, meist durch Übertragung von Tieren. Zwar hatte im Kindergarten angeblich sonst niemand Würmer, praktisch gesehen allerdings ein Ding der Unmöglichkeit bei der hohen Übertragbarkeit. Aber über so etwas reden Eltern – zumindest in Deutschland – wohl lieber nicht. So ähnlich wie bei Läusen: Während in Frankreich die bewährten Läusemittel in der Apotheke gleich vorne im Regal stehen, muss man sie sich in Deutschland mit gesenkter Stimme aus den Tiefen des Lagers holen lassen.
Wie auch immer: Bei der dritten Behandlung hat die verabreichte Wurmkur endlich gewirkt und der Spuk war mit einem Schlag beendet. Bei den ersten beiden Versuchen musste der dreijährige Patient ein widerlich riechendes, giftrotes Medikament hinunterwürgen, das ihm zwei Stunden später (also bereits nach Wirkungseintritt) wieder hochkam. Leider bekämpfte das Zeug nur den gemeinen Madenwurm und hat die Viecher im Darm meines Sohnes offensichtlich nicht beeindruckt. Erst beim dritten Wurmalarm bekamen wir ein Rezept für das verschreibungspflichtige Medikament Helmex, das gegen diverses Gewürm wirkt. Besonders lecker roch die schleimige Suspension ebenfalls nicht. Um Wiederansteckung vorzubeugen, hat die ganze Familie inklusive Oma mitgeschluckt. Und musste selbst bezahlen: 24 Euro pro Person.
Als wir wenig später wieder nach Indonesien reisten und der Kinderpopo dort schon wieder juckte, rannte ich sofort panisch in die nächste Apotheke. Mitten im Raum, nicht zu übersehen, stand in allen möglichen Packungsgrößten und Verabreichungsformen das Medikament Combantrin. Jedes Kind in Indonesien kennt die kleinen Plastikfläschchen, die idealerweise alle halbe Jahr vorbeugend verabreicht werden sollten. Der Sirup schmeckt in etwa wie flüssige Gummibärchen und kaum ein Kind weigert sich, dies zu trinken. Kosten für eine Erwachsenendosis: umgerechnet 70 Cent. Für die gleiche Menge desselben Wirkstoffs wie bei den in Deutschland verkauften Medikamenten.
Die vermeintliche, erneute Wurmattacke stellte sich glücklicherweise als Fehlalarm heraus. Stattdessen habe ich mich nun vor der nächsten Heimreise mit billigen, rezeptfreiem Wurmmittel eingedeckt.
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First Lady Eleanor Roosevelt hatte recht: Verdammt, wenn du’s tust, verdammt, wenn nicht. Bleibt der Mindestlohn gleich, fressen ihn nächstes Jahr Mehrwertsteuererhöhung, steigende Energie- und Sozialkosten auf. Verteilt Premierminister Shinzo Abe die Brosamen am Ende der Nahrungskette zu grosszügig, riskiert er den Verlust seiner Power Base – Japans Wirtschaftskapitäne. Nun sind 2 Prozent Erhöhung angedacht. Der landesweite Durchschnitt (es gibt regionale Unterschiede) beträgt dann 763 Yen/5.80 Euro pro Stunde (Umrechnungskurs 1€=130Yen).
Wie lebt man in der Welt des Minimums? Yumi Kimura, 32, (Name gändert) erzählt:
VIDEO: Roland besucht Robot Cafe (nicht ganz am Ende der Nahrungskette)
Ich bin ausgebildete Grafikerin, ledig und seit zwei Jahren arbeitslos. Der Boss meiner Firma war eines Tages verschwunden. Seitdem gehe ich regelmässig zu „Hello Work“, so heisst in Japan das Arbeitsamt. Dort sitzen viele, die selber einmal arbeitslos waren und zu Hello Work gegangen sind. Sie arbeiten für die Stadt und deshalb nur von acht bis fünf. Sind sie krank, können sie zu Hause bleiben. Bei Privatfirmen ist das schwierig. Zudem arbeitest du dort jeden Tag unbezahlt vier, fünf Überstunden. Fahrkosten übernimmt der Betrieb.
Nach jeder Jobvermittlung von Hello Work gibt es ein Vorstellungsgespräch. Die Fragen sind immer gleich. Was haben Sie studiert, wer sind Ihre Eltern, was haben Sie vorher gemacht, was ist Ihr Lieblingshobby? Nur einmal war ich überrascht, als der Personalchef fragte: „Was würden Sie tun, wenn neben Ihnen im Büro jemand ausflippt, agressiv wird, attackiert?“ Ich habe gesagt, ich war noch nie in so einer Situation, gehe aber oft zu Parties mit Ausländern, und mit denen komme ich immer klar.“ Der Personalchef hat wissend genickt. „Ach so, wenn Sie mit Ausländern umgehen können, ja dann…“
Die meisten Hello Work Berater engagieren sich, sind freundlich. Es gibt aber immer welche, die werfen dir ein Magazin mit Jobangeboten auf den Tisch. Und das war‘s. Die vermittelten Jobs zahlen etwas mehr als den Mindestlohn, dauern zwei, drei Monate. Für diese Teilzeitarbeit sagen wir alubaito, haben das Wort aus dem Deutschen übernommen. Eine Statistik behauptet, dass 40 Prozent der Japaner von arubaito leben. Ich denke dann an meine Freundinnen. Sie wohnen bei den Eltern oder bei den Eltern vom Mann und leben von deren Ersparnissen. Hello Work bietet auch Ausbildingskurse an: Massage, Kosmetik, Haarbehandlung, Blumenarrangieren – kannst du alles nicht brauchen, ausser zum Zeittotschlagen.
Einmal fragten sie mich bei Hello Work, wo ich die letzten drei Monate war. Und ich habe geantwortet, ich wollte über mein Leben nachdenken, wollte Ruhe. Die Beraterin hat geschwiegen, was sollte sie auch sagen, war sicher selber mit dieser Frage beschäftigt. Dass ich im Robot Cafe im Rotlichtviertel von Shinjuku aufgetreten bin, habe ich verschwiegen, obwohl das kein Sexklub ist, sondern ein Theater mit Manga-inspirierten Shows – für Angestellte nach der Arbeit, für Männer, Frauen und Touristen. Jeden Abend gibt es drei Vorstellungen, dauern insgesamt drei Stunden. Ich musste winken, tanzen, lachen, schlank sein – das war alles. Ich habe einen schillernden Bikini getragen, bin mit riesigen Robotern herumspaziert, auf einem Panzer gesessen und habe 76€ die Stunde erhalten. Gäste durften uns nicht berühren, Hande schütteln war Ok. Zum Abschluss sassen wir immer auf einem Sessellift und schwebten über den Köpfen der Besucher. Das hat mich etwas an eine Fleischfabrik erinnert, mit Haken am Fliessband. Nach drei Monaten kam ein jüngeres, schlankeres Girl, und so bin ich wieder zu Hello Work.
Für meine 20 Quadratmeter-Wohnung mit Dusche, Toilette und Kochnische zahle ich 650€. Ein ehemaliger Arbeitskollege übernachtet dagegen seit Monaten im Internet-Cafe. Es gibt dort Duschen, Computerkojen und du darfst unter dem Tisch schlafen. Sex ist aber nicht erlaubt.
Einmal vermittelte mir eine Privatagentur einen streng geheimen Job. Als er zu Ende war, ging ich zu Hello Work. Wie immer wollte die Beraterin wissen, wie das Arbeitsklima gewesen sei. „Streng geheim,“ habe ich gesagt. „ Ich musste im Regierungsviertel eine Geheimhaltungspflicht unterschreiben!“ Die Hello Workerin hat nicht weiter nachgefragt. Der Geheimjob war im Abrechnungszentrum der Tokyo Electric Power Corporation, wo ich Belege für Schadensansprüche überprüfte. 8 Uhr abends bis 6 Uhr früh. In der Halle sassen tausend Menschen. Unsere Mobiltelefone mussten wir in Schliessfächern deponieren, Privatsachen durften wir zum Arbeitsplatz mitnehmen – in durchsichtigen Plastiktüten. Die tausend Mindestlohnmenschen haben alle nicht gesprochen. Es war totenstill. Und wenn ich auf die Toilette wollte, bin ich aufgestanden, habe den Arm nach oben gestreckt und gewartet, bis der Grupplenleiter kam. Ich teilte ihm den Wunsch mit und durfte zur Toilette. Wir mussten Zahlungsquittungen der Atomflüchtlinge prüfen und speichern. Kühlschrank, Futon, Staubsauger, Decken, Kinderspielzeug – das war alles Ok, wurde rückerstattet, aber nicht 55-Zoll-Bildschirme.
Mein Gruppenleiter hiess Murata. Bei Fragen setzte er sich zu mir, mit einem abstehenden kleinen Finger, was mir zunächst nicht auffiel. Wenn er sich aber zum Bildschirm vorbeugte, drückte der Finger gegen meine Hüfte. Ich dachte, vielleicht ist er gelähmt oder so. Am nächsten Tag sass Murata wieder neben mir und legte die Hand auf meinen Oberschenkel. Ich habe ganz laut gesagt: „Murata-san!“ In der totstillen Halle haben alle tausend Menschen auf mich gestarrt. Murata ist aufgestanden und kam nie wieder.
Ein paar Monate später, ich war schon wieder woanders beschäftigt, bekam ich morgens einen Anruf von der Polizei. „Sind Sie Yumi-san?“ Das hat mich irritiert, denn in Japan wirst du nur mit Familiennamen angesprochen. Der Mann stellte sich als Inspektor vor. „Wir haben Ihren Vornamen gefunden mit Telfonnummer, im Notizbuch von einem Herrn Murata. Kennen Sie Herrn Murata? Und warum hat er Ihre Telefonnummer?“ Wieder habe ich gezögert. Wer ist Murata? Und dann fiel mir der Gruppenleiter ein. „Ja, er war mein Vorgesetzter bei Tepco. Für den Notfall haben dort alle die Telefonnummern der Angestellten“, habe ich gesagt, und dabei vergessen, dass die Sache streng geheim ist. Der Inspektor erklärte, dass Herr Murata in der U-Bahn verhaftet worden sei. „Hat er sich Ihnen gegenüber auffällig verhalten?“ wollte er wissen. „Chotto, ein wenig“, habe ich gesagt. „Sonst noch etwas?“ „Nein, sonst nichts“, habe ich geantwortet und dann hat er aufgelegt.
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„Was läuft da falsch, wenn zwei große deutsche Zeitungen, die beide dem konservativ-wirtschaftsfreundlichen Spektrum zuzuordnen sind, an ein und demselben Tag ein völlig unterschiedliches Bild der indonesischen Wirtschaft zeichnen?“ fragt Alex Flor in einem Bericht der Berliner NGO Watch Indonesia! vom 24. August 2013. Anlass für seine Frage sind zwei Artikel zum Wirtschaftsstandort Indonesien, die in den Tageszeitungen „Die Welt“ beziehungsweise „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ erschienen sind.
Flor fährt fort: „”Die Welt” hält daran fest, Indonesien aufgrund seines Wirtschaftswachstums in höchsten Tönen zu loben. Es gebe einen “starken Trend nach oben”, getragen von einer wachsenden kauffreudigen Mittelschicht. Die FAZ zeichnet während dessen unter dem Eindruck der jüngsten Börsenkurse ein völlig anderes Bild: Asiatische Werte – damit gemeint sind hier Währungen, Aktien, Anleihen usw. – befinden sich wegen hausgemachter Probleme auf Abwertungstrend. Der Wert der indonesischen Rupiah fiel auf einen seit vier Jahren nicht mehr erreichten Tiefpunkt. An der Börse werden hohe Verluste geschrieben. Die Inflation steigt. Verschiedene andere Medien warnten bereits vor einer Neuauflage der Asienkrise Ende der 90er Jahre.“
Der Indonesienkenner kommt am Ende seiner Analyse zu dem Schluss, dass das Eine so falsch sei wie das andere. Denn ohne spezifische Länderanalyse blieben viele Indikatoren wertlos oder sogar irre führend.
Die eigentliche Frage dahinter ist: Warum werden eigentlich sowohl in den deutschen Medien als auch in der deutschen Politik die gesellschaftspolitischen Aspekte des plötzlichen Wirtschaftsbooms in Indonesien so wenig beachtet? Warum analysieren so wenige so genannte Experten die Hintergründe des kurzlebigen Konsumrauschs, des unglaublichen Reichtums der Eliten, des hart erkämpften Lohnanstiegs der Arbeiter, des Preisanstiegs im ganzen Land?
„Es gibt weder ein ideologisches Ziel noch eine ausreichende Vorsorge gegen die immer größer werdende Kreditblase“, erklärt Wirtschafsberater Eric Santosa in Jakarta und mahnt: „Wir können nicht von einer gesunden Wirtschaft reden, solange die folgenden drei Probleme nicht gelöst sind: mangelnde Infrastruktur, ineffektive Bürokratie und Personalentwicklung.“
Und warum hinterfragt kaum ein Analyst hierzulande die Zusammenhänge von indonesischer Politik und islamistischen Strömungen, von Wirtschaftsboom, Korruption und Menschenrechtsvergehen – wie das bei anderen Ländern oft so demonstrativ geschieht? Hier hat Wenzel Michalski, Direktor von Human Rights Watch Deutschland, eine Erklärung: „Indonesien ist für westliche Länder das neue China. Sie erhoffen sich dort eine gewinnbringende wirtschaftliche Zusammenarbeit. Daher wir mit strategischem Schweigen über Menschenrechtsverletzungen und andere Unannehmlichkeiten hinweg gesehen.“
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Ich gebe es zu: auch ich habe ein Schweizer Bankkonto. Seine Nummer ist neunstellig, das Guthaben leider nicht. Auch deshalb habe ich mein Konto nicht bei einer der zahlreichen renommierten Schweizer Privatbanken wie Vontobel, Pictet oder Julius Bär eröffnet, sondern bei der Raiffeisen-Bank Genf-West. Das Verfahren, um ein Konto zu eröffnen, war bislang hie wie dort aber gleich: bei der Kontoeröffnung wird nach dem Personalausweis gefragt. Dass ich Steuern zahle, war meiner Bank egal.
Heute wäre das wohl anders. Denn inzwischen häufen sich Berichte darüber, dass Ausländer ihrer Schweizer Bank nachweisen müssen, dass das auf ihrem Konto befindliche Geld versteuert ist: “Weißgeldbeweis” nennt sich das. Während eine Mehrheit im Schweizer Parlament bis heute für das Schweizer Bankgeheimnis streitet, als wäre es Teil des älplerischen Gründungsmythos, führen viele Banken den so umstrittenen automatischen Informationsaustausch einfach selber ein. Selbst alten Kunden würden im Fall fehlender Kooperationsbereitschaft die Konten gekündigt, lässt die Großbank Credit Suisse verlauten. Die Steuererklärung allein genügt nicht – Kunden auch bei anderen Banken, vor allem solche mit großen Vermögen, müssen einem Informationsaustausch zustimmen. Die Angst ist groß, auf der nächsten Steuer-CD zu erscheinen.
Handfeste Folgen hat das für einen amerikanischen Bekannten, der seit ein paar Monaten in der Schweiz lebt. Dass sein Konto durchleuchtet wird, kann ihm nicht passieren – er bekommt nämlich erst gar keines. Als Amerikaner sei man unerwünscht, gaben ihm Angestellte gleich mehrerer Banken zu verstehen – denn die US-Steuerbehörde verhängt pauschale Strafsteuern für Banken, die sie nicht umfassend mit Daten versorgen. Um diese Strafen zu umgehen, verzichten viele Banken lieber ganz auf die Kunden aus Amerika – und immer mehr Amerikaner auf ihren Pass: mehrere hundert Amerikaner, die auch den Schweizer Pass besitzen, sollen im vergangenen Jahr auf die US-Staatsbürgerschaft verzichtet haben.
Meinem verzweifelten Bekannten bleibt jetzt noch die Schweizer Post – die einzige Bank, die jedem ein Konto gewährt, zuletzt etwa auch Wikileaks-Gründer Julian Assange. Dessen Guthaben ist allerdings seit einiger Zeit gesperrt. Wegen angeblicher Formfehler hatte der Finanzdienstleiter der Post persönlich Assanges Konto eingefroren. Ein bisschen Risiko bleibt also bei jeder Bank.
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„Bereiten Sie Ihr Haus für die Wirbelsturmsaison 2013 vor“, lautet die Überschrift über der Pressemitteilung. Darunter steht der Hinweis auf eine „National Hurricane Preparedness Week“ vom 26. Mai bis 1. Juni. So etwas liest man als Journalist, zumal nach dem Tornado in Oklahoma am vorvergangenen Wochenende, der 24 Menschen tötete und mehr als 12 000 Häuser zerstörte.
Es fängt ganz interessant an. Eine Metereologin namens Jill Hasling vom Weather Research Center in Houstin (Texas) prognostiziert für dieses Jahr eine 70prozentige Chance für einen großen tropischen Sturm an der Küste zwischen Lousiana und Alabama. In der Region von Georgia und North Carolina beträgt die Wahrscheinlichkeit immerhin noch 60 Prozent. „Unser Rat an Hausbesitzer ist, sich während der National Hurricane Preparedness Week Zeit zu nehmen um ihr Haus sturmfest zu machen“, ist Frau Halsing zitiert.
Wie das geschehen kann, darüber informiert anschließend Mark Clement, Moderator einer Radiosendung mit dem denkwürdigen Titel „MyFixitUpLife“. Ich lese, dass es sich bei Herrn Clement um einen professionellen Handwerker handelt. Und zwar um einen mit ausgeprägten Produktvorlieben, wie sofort klar wird. In den nächsten zehn Absätzen der Pressemitteilung preist er das Kunststoffschieferdach Da Vinci Roofscapes, das er für sein eigenes Haus verwendet habe, Fensterglas der Firma Simonton („extrem energieeffizient“) und Eingangstüren von Therma-Tru („ein hervorragender Schutz“). Spätestens jetzt ist klar: Die fürsorglich warnende Pressemitteilung ist in Wirklichkeit eine Gemeinschaftswerbung, geschickt zusammengerührt von einer PR-Dame namens Kathy Ziprik. Ein Foto hat sie auch beigefügt, es sieht so aus:
Ob das Wetterinstitut, der Handwerker-Moderator oder eine der Firmen es zur Verfügung gestellt haben, bleibt unklar.
Es interessiert mich, ob es Medien gibt, die auf diesen dreisten PR-Trick hereingefallen sind, und ich google ein paar Schlüsselbegriffe aus dem Presseinfo. Beruhigenderweise wird nur ein Blog der Fensterfirma Simonton ausgeworfen, die an dem Projekt selbst beteiligt ist. Scheint so, als hielte sich der Nutzen für die Werbepartner in Grenzen. Frau Ziprik freilich wird sich ihre Dienstleistung mit einem schönen Honorar vergütet haben lassen.
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Es gibt einen neuen Geschenkehit zum chinesischen Neujahrsfest: Atemmasken. Wo sonst vor allem rote Umschläge mit Geld oder edle Früchte und andere Speisen verschenkt werden, gehts jetzt auch um Dinge zur Förderung der Gesundheit. Seit Wochen hängt eine dicke Smogwolke über dem Land, und darüber freuen sich ein paar gewitzte Unternehmer, die ihre Masken gezielt zum Neujahrsfest in zwei Wochen anpreisen. So stellen zum Beispiel Apotheken die Masken, sonst irgendwo hinten im Lager platziert, nun vorn ins Schaufenster – gleich mit Werbung: Speziell gegen PM2,5, also Feinstaub, seien die Masken. PM2,5 – was in Deutschland Feinstaub heißt – ist auch in China heute das Hauptreizwort im Zusammenhang mit dem Smog. Auch teure Lufreiniger werden angepriesen, die sich früher kaum ein Mensch gekauft hätte.
Schon immer seien chinesische Geschäftsleute gut darin gewesen, aus Krisen prima Geschäftsideen zu generieren, schreibt die staatliche Zeitung China Daily (link). Für die derzeit zig Millionen Wanderarbeitern bevorstehende beschwerliche Eisenbahnreise in ihre Heimatdörfer zum Neujahrsfest dachte sich ein Unternehmer eine Art Schlafhaube aus. Sie sieht aus wie ein Kesselwärmer mit einem Loch zum Atmen um die Nase und Löchern über dem Kopf, in die man die Arme stecken und verschränken kann. Keine Ahnung, wer so schlafen kann. Aber besser als nichts, so ist es wohl. Im Laufe eines Skandals um Babymilchpulver Ende 2008 stiegen viele Firmen ganz schnell in den Milchpulver-Import ein. Und als ein Skandal um recyceltes Speiseöl für Aufregung sorgte, erfanden Unternehmer ein angebliches “Schmutzöl-Testpapier” und verdienten einen Haufen Geld damit.
Leider hat noch keiner eine Windmaschine erfunden. Vor drei Tagen blies ein steifer Nordwind aus Sibirien, und die Feinstaub-Werte lagen zack auf unter 50, dem Grenzwert der Weltgesundheitsorganisation. Doch seither herrscht wieder Windstille, und alles wieder auf Anfang; die Werte schrauben sich ohne Wind sofort unerbittlich hoch. Ab 250 werden Aktivitäten im Freien eingeschränkt – zB alle Sportveranstaltungen unserer Kinder abgesagt. Heute morgen haben wir 425. Fast schon Routine in diesen Tagen.
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Überlebensgrosse Portraits von Menschen, die kurz vor dem Verlust ihrer Wohnung stehen, Trillerpfeifenkonzerte und eine Postkartenaktion, bei der sich jeder Passant persönlich für einen “Hypothekengeschädigten” einsetzen konnte: So haben letzte Woche in Barcelona Hunderte gegen Zwangsräumungen und die schuldnerfeindliche Bankengesetze protestiert, hier vor der Zentrale der Sparkasse Caixa Catalunya.
Spanien hält einen traurigen Rekord: Über 126.000 Zwangsvollstreckungen wegen nicht bedienter Kredite wurden im letzten Jahr verhängt. Und wer aus seiner Wohnung geworfen wird, ist deswegen noch lange nicht schuldenfrei. Im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern wird die Schuld in Spanien nicht dadurch getilgt, dass die Wohnung an die Bank zurückfällt. Nachdem im letzten Jahr eine Reihe von Selbstmorden die Öffentlichkeit erschütterte, hat die Regierung Rajoy Zwangsräumungen in besonders prekären Fällen zwar gestoppt, an der Situation an sich hat sich allerdings kaum etwas geändert.
Die landesweiten “Plattformen der Hypothekengeschädigten” (P.A.H., Plataforma de Afectados por la hipteca) haben daher für kommende Woche zu Protesten aufgerufen. Am 24. Januar wollen Vertreter dem Parlament 750.000 Unterschriften für eine Gesetzesänderung übergeben, für den 16. Februar sind Grossdemonstrationen geplant.
Zumindest die Plakataktionen scheinen ihr Ziel zu erreichen: Nachdem vor einer anderen Filiale wochenlang das Portrait eines Schuldners prankte und Aktivisten unter den Passanten Postkarten mit der Kurzfassung seines Falls verteilten, rückte die Bank von der Zwangsvollstreckung ab und hat die Rahmenbedingugnen des Kredits geändert. Die Plakatkampagne ist eine Initiative des Künstlerkollektivs Enmedio, über dessen Arbeit ich am Sonntag im Neonlicht von Deutschlandradio Kultur berichte.
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Ich wusste, dass die Deutsche Bank mir bei der Suche nach der Wahrheit im verworrenen Geflecht um Zwangsausweisungen nicht wirklich helfen wollte, als ich die Mail des Bank-Sprechers aus New York öffnete. Er hatte mir versprochen, der Text werde alles erklären, was ich wissen wollte. Er ist zwölf Seiten lang, hat reichlich Fußnoten und beginnt mit der Geschichte des US-Eisenbahnbaus im 19. Jahrhundert.
Ich konnte mir nun sehr gut vorstellen, welche Erfahrungen die kaum englisch sprechende Margarita Lucero gemacht hatte, als sie aus ihrem Haus geworfen wurde, erfuhr, dass die Deutsche Bank ihr Haus laut Besitzurkunde besitzt und der Sache auf den Grund gehen wollte. Bis dahin hatte Margarita nie etwas mit der Deutschen Bank zu tun gehabt. Jetzt wollte sie eine Erklärung und den neuen Hypothekenvertrag, den man ihr versprochen hatte. Sie erfuhr über Umwege, dass Deutsche Bank als Treuhänder Investoren vertritt aber nicht für Zwangsausweisungen zuständig ist. Diese unerfreuliche Arbeit erledigt Dienstleister Carrington Mortgage Service für das Geldinstitut.
Margarita Lucero hat 15 Jahre ihre Hypothekenraten pünktlich bezahlt. Vor zwei Jahren bat sie um niedrigere Raten. Sie bekam über Carrington Mortgages zweimal einen Übergangsvertrag mit dem Versprechen, wenn sie die Raten dafür pünktlich zahle würde sie eine neue Hypothek bekommen. Der zweite Übergangsvertrag lief aus. Eine neue Vereinbarung gab es nicht. Die Sheriffs kamen und warfen die Familie aus dem Haus. Margarita Lucero erfuhr, dass die Deutsche Bank ihr Haus besitzt – und dass niemand mehr mit ihr verhandeln will.
Sie wandte sich an die Occupy-Bewegung. Die prüfte den Fall und schaltete sich ein. Seit acht Wochen besetzen sie mit Mama Lucero Grundstück und Haus. Ihre Kinder, Bruder und Schwägerin sind bei Freunden und Verwandten untergebracht. Die Besetzer fordern von der Bank, dass sie der Familie Lucero, die nichts geschenkt haben will, ihr Haus mit einem fairen Vertrag zurück gibt. Sie demonstrieren, schreiben Briefe, rufen Politiker, Staatsanwälte, Banken und Konsulate an. Bisher haben sie keine Antwort bekommen. Jetzt bereiten sie eine Sammelklage gegen die Deutsche Bank vor. Familie Lucero ist nur einer von vielen ähnlichen Fällen in den USA.
Ich fragte die Deutschen Bank, ob die Familie Lucero lügt, wenn sie behauptet, dass die Bank ihre Zwangsausweisung veranlasst habe. Der Sprecher wich mit ausschweifenden Formulierungen voller Fachwörter aus. Dasselbe passierte auf die Frage, ob die Bank die Zwangsausweisung stoppen könnten. Danach bekam ich die Mail, die alles erklären sollte. Beides sind Fragen, die mit einem einfachen Ja oder Nein zu beantworten sind. Kein Wunder dass Mama Lucero ihre Hoffnung auf ein Weihnachten zu Hause mit ihrer Familie in die Hände der Besetzer legt, die mit Schlafsäcken, Zelten und Sofas in ihrem Garten leben.
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Die New York Times hatte gestern auf der ersten Wirtschaftsseite eine Geschichte über Deutschland. Der Artikel begann so: „Torsten Emmel mag aussehen wie ein unschuldiger Florist, ein netter Typ mit Glatze und Schürze, der sorgfältig die Stiele seiner Freesien kürzt. Tatsächlich ist er ein Gesetzesbrecher. Sein Vergehen: Er setzte ein Schild auf den Gehsteig, auf dem er ankündigte, seinen Laden am Muttertag von 9 bis 16 Uhr zu öffnen.“ Das, erklärt die Times ihren Lesern, sei in Deutschland illegal – und ein Beleg für strukturelle Schwäche: „Es zeigt, dass die deutsche Wirtschaft unter der gleichen Überregulierung und Sklerose leidet, die typischerweise mit den Problem-Ländern Europas verbunden werden.“
Sonntagsruhe gleich verkalkte Strukturen gleich Griechenland – die Gleichsetzung ist kühn, vorsichtig ausgedrückt. Sicher enthält sie ein Körnchen Wahrheit über die deutsche Mentalität, doch sie sagt mindestens ebenso viel aus über die Amerikaner, beziehungsweise über den Stellenwert, den sie dem Konsum beimessen. Es ist in den USA unvorstellbar, am Sonntag nicht shoppen zu können. Der Tag ist für viele der wichtigste Einkaufstag – dann hat man endlich Zeit! Das Gleiche gilt für die wenigen Feiertage wie President’s Day oder Columbus Day, die 1968 per Gesetz auf einen Montag verlegt wurden. Wunderbar, ein langes Wochenende zum Einkaufen! Samstags- und Sonntagsausgabe der New York Times schwellen dank der vielen Reklamebeilagen auf das Doppelte, und ältere Semester wie ich erinnern sich wehmütig, dass so ein Umfang in der Hoch-Zeit der gedruckten Presse der Normale war.
Selbst in unserer Brooklyner Einkaufsstraße, für die die Bezeichnung Nebenzentrum eher hochtrabend wäre, haben sonntags nahezu sämtliche Läden geöffnet. Auch mein Zahnarzt macht Termine – nicht weiter erstaunlich: Da er Jude ist, ist sein Feiertag der Samstag. Doch auch mein Friseur hat sonntags geöffnet, und der ist aus Sizilien eingewandert und bekennender Katholik. Die einzigen, die aus irgendeinem Grund verlässlich geschlossen sind, sind Reinigungen.
In den ersten Monaten nach meiner Ankunft fand ich es irritierend, dass die Woche keinen natürlichen Rhythmus hat. Die äußere Uhr läuft einfach weiter und ich wurde nicht, wie in Deutschland, durch Stille beim Aufwachen an das Gebot erinnert „Am siebten Tage sollst du ruhen“. Inzwischen habe ich gelernt, mir meinen eigenen Rhythmus zu geben und eine Wochenendroutine zu entwickeln, indem ich zum Beispiel ausdrücklich am Samstag einkaufen gehe und nicht am Sonntag. Ob Amerikaner das verstehen würden?
Der Artikel in der New York Times enthält übrigens noch weitere interessante Breitseiten, etwa dass auch die Handwerksrolle die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands schwächt: „Jahre der Ausbildung sind erforderlich, um als Maler, Schornsteinfeger oder Fahrradtechniker zu arbeiten.“ Als Ökonomin, die an der liberalen Universität zu Köln studiert hat, hätte ich der Kritik vor meinem USA-Aufenthalt ohne weiteres zugestimmt. Inzwischen bin ich mir da nicht mehr so sicher. Die mit dicker weißer Farbe überstrichenen Lichtschalter und Türknäufe in unserer Altbauwohnung machen ebenso nachdenklich wie der verkehrt angeschraubte Überlauf in der Badewanne. Bizarr verlief unser Auftrag an einen Schreiner, der Umzugsschäden am Parkett beseitigen sollte und das Schleifen und Lackieren von zwei mexikanischen Tagelöhnern erledigen ließ, während er selbst den Lieferwagen um den Block fuhr, angeblich weil er keinen Parkplatz fand. Ein Freund aus London – auch dort ist das Handwerk liberalisiert – unterhielt monatelang eine ganze Facebook-Gemeinde mit der Horror-Story einer Dachreparatur.
Während ich dies schreibe, frage ich mich, was der Kollege der New York Times denken würde, wenn er meinen Blog lesen würde: „Ein typisch deutsches Lamento“? Vielleicht ist es an der Zeit, die kulturellen Unterschiede einfach zu akzeptieren und nicht in Schablonen zu packen. Zumal ich mir inzwischen in Deutschland zuweilen schon fast vorkomme wie eine Amerikanerin – ich vermisse Flexibilität und Improvisationstalent. Außerdem wäre es schön, den vergessenen Brokkoli auch am Sonntag noch schnell einkaufen zu können.
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Meistens sympathisiere ich mit den Bewohnern meiner Wahlheimat: Wenn Australiens Wirtschaft floriert, die Sonne lacht, die Welle gut bricht, keine Katastrophen passieren – Immer dann freue ich mich gern mit den 22 Millionen Skippys. Schließlich schreibe ich ja nicht nur über den Kontinent unten rechts, sondern wohne auch hier. Seit gut einem Jahr allerdings reagiere ich auf einen Aspekt australischen Glücksempfindens allergisch: Auf den starken Dollar.
Schon morgens beim Macchiato, wenn ich ins wohlgefällige Grinsen der Zeitgunsleser hinter den Wirtschaftsseiten blicke, rutscht meine Laune in den Keller: “Mighty Aussi Dollar here to stay!” Für Jahre, gar Jahrzehnte soll der von Erz, Nickel und Kohle gepäppelte Dollar fett bleiben, sagt Ross Gittins, der Wirtschaftsguru meiner Tageszeitung. Je mehr von dem Zeug sie aus der Erde buddeln um so besser gehts offenbar der Währung. Meine Nachbarn reisen wie verrückt, kaufen halb Amerika per online-shopping leer, hauen zu gut deutsch so richtig auf die Kacke. Es sei ihnen gegönnt. Für mich allerdings geht der Spaß nach hinten los: Meine Arbeit ist nur noch ein Drittel wert. Eine Story für die ich vor drei Jahren 1000 Euro und damit 2000 Dollar bekommen habe, bringt mir heute noch so eben 1200 $. Traurig aber wahr, denn meine Auftraggeber zahlen in Euro. Und sie haben ihre Tarife nicht ans australische Rohstoffwunder angepasst. Ist es ein Trost, dass ein paar (wenige) andere Industrien – Einreiseverkehr alias Tourismus zb – mit mir leiden? Ein schwacher. Denn auch Reisereportagen gehör(t)en zu meinen Jobs: “Australien? Och nö, viel zu teuer für unsere Leser…” Aber hier kommt der Lichtblick: Französischer Champagner kostet nur noch die Hälfte. Wie genau das mit dem Rohstoffboom zusammenhängt ist mir schleierhaft. Aber Veuve oder Piper brut sind kaum noch teurer als ein Abendessen im Thai-Imbiss. So könnte ich mir (könnte ich’s mir noch leisten) meinen Kontostand wenigstens stilvoll schön trinken. Santé, Prost und Cheers!
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„99% Clean“, titelte die New York Post triumphierend, nachdem die New Yorker Polizei das Zeltlager von Occupy Wall Street diese Woche geräumt hatte. Das rechtslastige Boulevardblatt (Eigentümer: Rupert Murdoch) hatte zuvor eine regelrechte Kampagne gegen die Besetzer im Zuccotti-Park gefahren und Bürgermeister Michael Bloomberg in starken Worten aufgefordert, die „Hippies“ und „Gammler“ zu entfernen. Volkes Stimme? Eher nicht. Nach einer Umfrage des Fernsehsenders NY1 sympathisieren 57 Prozent der New Yorker Wähler mit den Demonstranten, vor allem junge Leute.
Mit der Räumung sind die Proteste freilich keineswegs vorbei. Zwar hat die Bewegung keine einheitliche ideologische Führung, aber sie ist schlagkräftig, flexibel und professionell organisiert. Gestern abend um 18.30 Uhr wurden Emails versandt, die den 17. November zum „Day of Strenght and Solidarity“ erklärten, mit der Absicht, die Wall Street zum Börsenauftakt lahmzulegen.
Tatsächlich versammelten sich heute morgen hunderte in Downtown Manhattan, woraufhin die Polizei die Zugänge zur Wall Street blockierte – und, insofern, das Anliegen der Besetzer umsetzte. Wer sich als Mitarbeiter der NYSE ausweisen konnte oder sonst wie einen seriösen Eindruck machte, kam freilich trotzdem durch. Das sorgte, wie die New York Times berichtet, neben ernsthafter Konfrontation auch schon mal für Heiterkeit. Als die Polizei an einer Straßenecke mal wieder zwei Männer in Anzügen passieren ließ, rief ein Demonstrant: „Hey, gibt’s einen Dress-Code für diese Kreuzung?“
Persönlich sind mir die Proteste, nicht zuletzt in Erinnerung an eigene Jungendaktionen, einerseits sympathisch, und das drastische Wohlstandsgefälle der US-Gesellschaft lädt wirklich ein zu Widerspruch. Andererseits hat die Frontenbildung etwas Bizarres. Mag die NYSE für die Besetzer ein Symbol für die globalen Finanzmärkte sein – in Wahrheit ist deren Bedeutung im Zuge der Computerisierung der vergangenen Jahre erheblich geschrumpft. Die elektronischen Plattformen, die das Geschäft inzwischen zu großen Teilen besorgen, sitzen in New Jersey oder in Kansas, wo die Mieten billig sind, und an der Wall Street bangen die wenigen verbliebenen Parketthändler um ihre Arbeitsplätze. Nicht dass sie sich deshalb mit den Demonstranten solidarisieren würden – das ist eine andere Welt.
Am meisten unter den durch OWS ausgelösten Blockaden leiden die kleinen Geschäftsleute in Downtown, genau jene Mittelschicht also, deren Verschwinden die Demonstranten wortreich beklagen. Das Problem: Die Kunden kommen nicht mehr durch. Schon als die Besetzer noch im Zuccotti Park kampierten, soll in einem benachbarten Cafe das Geschäft derartig zurückgegangen sein, dass der Inhaber 20 Leute entließ.
Als ich diese Meldung las, war ich allerdings verwundert, denn als ich an einem Sonntag vor zwei Wochen den Zuccotti Park besuchte, hatte ich den Eindruck, dass das Zeltlager wie ein Magnet auf Touristen wirkte. Hunderte bestaunten und fotografierten Zelte und Bewohner. Ich dachte zuerst, dass die Besetzer davon ziemlich genervt sein müssten, aber sehr schnell realisierte ich, dass das Gegenteil der Fall war. Denn der Besucherstrom führte zu Einnahmen: Es gab Solidaritätsbuttons für zwei Dollar das Stück, eine OWS-Zeitung für einen Dollar. Die einmalige Chance nutzen auch Andere, darunter diverse Straßenkünstler und eine trotzkistische Splittergruppe, die Zeitungen verkaufte, in denen das Engagement der USA gegen den libyschen Diktator Gaddafi angegriffen wurde. So wie der Zuccotti-Park überhaupt zur Sammlungsstätte der wunderlichsten Aktivisten mutierte, die gegen den thailändischen König ebenso protestierten wie gegen die Kommerzialisierung von Hip Hop und die Notenbank Fed.
Unter Finanznot leidet OWS jedenfalls nicht: Zwischen Mitte September und Ende Oktober hatten die Demonstranten fast eine halbe Million Dollar Spenden gesammelt und nur einen kleinen Teil davon ausgegeben, 55 000 Dollar. Da bleibt genug, um Winterquartiere und noch viele Aktionen zu organisieren. Einen Überblick über Ein- und Ausgaben veröffentlichte die zuständige OWS-Arbeitsgruppe übrigens in einem ordentlichen Finanzbericht. Spontanität hin oder her – die Kasse muss stimmen. Vielleicht sind die Welten diesseits und jenseits der Blockaden ja doch gar nicht so verschieden.
Fotos: Christine Mattauch
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Amerikaner sind bekanntlich Meister im Marketing, was Journalisten nicht selten die Arbeit erschwert. Schon oft war ich zwischen Wut und Bewunderung hin- und hergerissen ob der Kunstfertigkeit von Interviewpartnern, ihre vorbereiteten positiven Botschaften abzusetzen und aus ihrer Sicht unpassende Fragen souverän und wiederholt zu ignorieren. Kurzfristig mag das effizient sein – aber Glaubwürdigkeit oder gar Sympathie entstehen auf diese Weise nicht.
Ähnlich zwiespältig ist meine Haltung zu der Reklame, die täglich ins Haus flattert. Da wir, wie die meisten unserer Nachbarn, „Stop-Flyer“-Schilder aufgehängt haben, bleiben wir von handverteilten Restaurantbroschüren und Werbezetteln weitgehend verschont. Aber es gibt ja noch die Briefpost. „Urgent Notification – Please Expedite delivery“, Dringende Mitteilung – bitte Zustellung beschleunigen“ röhrt ein Umschlag, den ich vergangene Woche im Briefkasten finde. Immerhin ist der Absender so ehrlich, sich zu offenbaren: die Zeitschrift Harvard Business Review. Ich ahne schon, was da so schrecklich dringend ist, und so ist es: Ich soll mein abgelaufenes Abonnement verlängern.
Aber was ist das: ein weißer Umschlag, leicht verknittert, unbeholfen handgestempelt mit „To the Owner“. Ein Nachbar, er sich beschweren will? Keineswegs – ein Handwerker sendet seine Visitenkarte. Noch alarmierender wirkt ein amtlich aussehendes Schreiben mit fetter Aufschrift „Business Mail – Penalty for Tampering“, Geschäftspost – Zurückhaltung strafbar. Dazu der Hinweis, dass, wer die Zustellung dieses Schreibens verhindert, mit einer Strafe von 2000 Dollar oder 5 Jahren Gefängnis zu rechnen habe. Was ist drin? Das Angebot für einen Autokredit von Plaza Toyota.
Am schlimmsten sind Wohltätigkeitsorganisationen. Ich ärgere mich inzwischen, dass ich zu Beginn meiner New Yorker Zeit hin und wieder gespendet habe, denn das führte zu einer wahren Flut an Bettelbriefen, bis heute. Manche Organisationen melden sich jede Woche, und nicht wenige geben meine Adresse offenbar weiter. Wie viele Spenden zur Finanzierung dieses Briefverkehrs eingesetzt werden, mag ich mir gar nicht vorstellen, und erst recht nicht, wie viel Zeit Stiftungsmitarbeiter damit verbringen, sich ungeheuer kreativ zu überlegen, wie sie mich dazu bringen können, Umschläge zu öffnen.
Die harmlosere Variante: Irreführung. Dazu zählen Briefe, die keinen Absender tragen und deren Adressen perfekt aussehen wie handgeschrieben, so dass man annehmen kann, es handele sich um private Korrespondenz. Die fortgeschrittene Version: Verunsicherung. Etwa eine Sendung mit der rätselhaften Aufschrift „ASPCA Membership Card Enclosed“. Eine Mitgliedskarte bekomme ich? Hab ich was unterschrieben? Glücklicherweise nicht, noch nicht, wie sich zeigt. Aber ich soll es tun, um die Vereinigung zur Verhinderung von Grausamkeit gegen Tiere zu unterstützen, und weil ich mich so einem ehrenhaften Anliegen doch bestimmt nicht entziehen will, hat die Organisation die Mitgliedskarte gleich mitgeschickt.
Meisterhaft schließlich der Appell an die Gier derjenigen, die man schröpfen will: ein Brief mit der Aufschrift: „Check enclosed“. Tatsächlich ist es in den USA üblich, dass Firmen Rabatte oder Rückvergütungen auf diese Weise auszahlen. Als ich den Umschlag öffne, finde ich einen Scheck des „Christian Appalachian Project“, Wert: zwei Dollar. Ich werde aber gebeten, ihn nicht einzulösen und stattdessen mit einer Überweisung von 8, 14, 21 oder 33 Dollar Menschen wie der 67jährigen Lois zu helfen, die in den Bergen lebt und ohne Badezimmer zurecht kommen muss. „Ohne Hilfe wird sie unterernährt und krank werden“, lautet die düstere Prognose.
Aus purer Rachsucht gegenüber der Organisation bin ich kurz versucht, den Scheck tatsächlich zur Bank zu tragen. Aber dann fällt mein Blick auf das Foto von Lois. Spenden mag ich nichts für ihr Badezimmer, aber kann ich es verantworten, der Organisation zwei Dollar zu entziehen? Vielleicht wird Lois dann noch schneller krank. Das will ich dann doch nicht riskieren.
Foto: Christine Mattauch
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Zu den angenehmen Pflichten einer Wirtschaftsjournalistin in New York gehört mitunter auch ein Kinobesuch.
Vergangenen Freitag lief der Film „Wall Street – Money never sleeps“ in den USA an. Von der Finanzkrise inspiriert, wollte der linke Starregisseur Oliver Stone mit den Spekulanten abrechnen – und dabei auch seinen ersten Wall-Street-Film von 1987 aufarbeiten. Darin hatte Michael Douglas den rücksichtslosen Investmentbanker Gordon Gekko gespielt. Zu Stones Ärger wurden Gekko und sein Motto „Gier ist gut“ zum Vorbild einer ganzen Börsengeneration.
Weil ich einen riesigen Ansturm auf den Film erwarte, reserviere ich im AMC Empire 25 unweit des Times Square eine Karte und bin eine halbe Stunde zu früh da, um noch einen guten Platz ergattern. Die erste Überraschung ist, dass es keine Schlangen gibt. Die zweite, dass der Kinosaal bestenfalls halb gefüllt ist. Gut, es soll an dem Abend noch acht weitere Vorstellungen in fünf Sälen geben, aber das ist in einem Großkino mit 25 Sälen nicht so ungewöhnlich, der Fantasyfilm „Legend of the Guardians“ läuft in dreien. Und die dritte Überraschung? Dass der Film schlecht ist.
Es fehlt die scharfsichtige Analyse, die den ersten Wall-Street-Film so gut machte. Die Finanzkrise wird zur dramatischen Kulisse einer rührseligen Familiengeschichte degradiert. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal einen Film gesehen habe, in dem so viele Tränen fließen. Der einzige Lichtblick ist Michael Douglas, der eine fantastische Vorstellung als alternder Gekko gibt.
Da ich keine geübte Kinokritikerin bin, beruhigt es mich am nächsten Tag zu lesen, dass es dem New-York-Times-Kolumnisten Joe Nocera auch nicht anders ging als mir. Im Gegensatz zu mir hatte er allerdings die Gelegenheit, mit Stone darüber zu reden. Auf Noceras Vorwurf, die Finanzkrise sei nicht angemessen thematisiert, antwortete der Regisseur, das sei in einem Mainstream-Film nicht möglich: „Die Leute wollen kein Business Movie sehen.“
Genau da liegt vermutlich das Problem: Der Film war von vornherein darauf ausgelegt, ein Kassenschlager zu werden. Und warum sollen Stone und die Filmgesellschaft nicht ein paar hübsche Millionen verdienen? Aber mit dem linken Anspruch verträgt sich das dann doch nicht so recht.
Auch das Product Placement ist nicht unbedingt als antikapitalistisch zu bezeichnen. Es erstreckt sich nicht nur auf Heineken Bier, sondern auch auf den New Yorker Hedge Fonds Skybridge Capital, dessen Logo in einer Szene groß eingeblendet wird. Dessen Gründer Anthony Scaramucci hat Oliver Stone bei den Dreharbeiten beraten. Scaramucci hat dann auch gleich noch ein Buch geschrieben, „Goodbye Gordon Gekko“, in dem er für den Film wirbt und fordert, dass er und seine Kollegen bessere Menschen werden. Auf der Rückseite des Buchs prangt ein Zitat von Oliver Stone: „Macht Spaß und ist leicht zu lesen.“ Ein gelungenes Cross-Marketing, das allerdings nicht unbedingt für Stones Distanz zur Wall Street spricht.
Am nächsten Tag laufe ich zufällig am City Cinema in der 86. Straße vorbei, an Manhattans vornehmer Upper East Side. Ich ärgere mich schon, dass ich nicht auf die Idee gekommen bin, den Film genau dort anzusehen, wo die reichen Leute wohnen, die es an der Wall Street zu etwas gebracht haben. Bestimmt hätte ich tolle Zitate von Börsenhändlern und Brokern sammeln können, die den Film über ihr eigenes Leben sicher in Massen begutachtet haben.
Doch dann stelle ich fest, dass der Film in der 86. Straße gar nicht gezeigt wird. Wie naiv ich bin! Gordon Gekkos Jünger gehen nicht ins Kino. Selbst wenn es um die Wall Street geht. Wenn sie einen Film sehen, dann auf den Großbildleinwänden ihrer Luxusappartments.
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Die Weltmeisterschaft ist vorbei, wir werden das Vuvuzela-Getute aus dem Fernseher vermissen – aber noch gibt es aufregende Neuigkeiten im Nachklapp des Geschehens. Nicht nur, dass Thomas Müller bester Jungkicker des Turniers wurde. Auch aus China gibt es News: Das Land war zwar selbst nicht bei der WM dabei – jedenfalls nicht mit einem Team – aber irgendwie doch. Heute durften wir erfahren, dass das Land für die WM 100 Millionen Kondome nach Südafrika verschifft hat, wie die Beijing Evening News berichtet. Also hat China wenigstens ein bisschen dran verdient. Oder auch ein bisschen mehr.
Auch der WM-Ball Jabulani stammt, wen wunderts letztlich, aus einer Fabrik in China, die der Hongkonger Firma Longway gehört. Noch weniger überrascht es da, dass auch die allseits beliebten Vuvuzelas aus China stammen. Einfache Plastikwannen made in China finden sich in der ganzen Welt, und eine Vuvuzela ist ja irgendwie nichts anders als eine langgezogene Plastikwanne. 90 Prozent aller WM-Tröten kamen aus China, schreiben chinesiche Zeitungen, die meisten davon aus der Küstenprovinz Zhejiang, einer Hochburg privater Leichtindustriefabriken. Die Guangda Toy Factory – sonst ein harmloser Trillerpfeifenproduzent – etwa produzierte mehr als eine Million der Plastiktrompeten; und die Chefin glaubt fest an einen Post-WM-Boom. Ebenfalls über eine Million vertickte Jiying Plastic Products. Verdient haben daran aber vor allem Händler und Importeure, wenn man dem Chef, Wu Yijun, Glauben schenkt: Fabriken wie seine kriegten pro Tröte umgerechnet nur sieben bis 30 Cents. ‘Unsere Marge liegt bei unter 5 Prozent.’ Auch die Chinesen selbst rissen sich um die Vuvuzelas: Mehr als 400 Tröten-Shops gingen während der WM auf Chinas E-Bay-Pendant Taobao.com an den Start.
Sichtbar für alle war während der WM aber eine ganz andere Firma, und das bei jedem Match für volle acht Minuten: Yingli Solar – und das auch noch prominent platziert direkt neben ‘I’m loving it’ und dem großen gelben M. Der Solarzellenproduzent aus dem nordchinesischen Baoding ist die erste chinesische Firma, die jemals zum WM-Sponsor aufstieg. ‘Die WM ist eine sehr gute Plattform, die sofort unsere Marke in jedem potenziellen Markt weltweit bekannt macht’, freute sich Yingli-Vizepräsident Jason Liu. Womit er vielleicht sogar recht hat.
Wen stört es da schon, dass Chinas eigene Mannschaft da in der Qualifikation schmählich versagt hatte – sollte man denken. Doch weit gefehlt. In China möchte man kein männlicher Kicker sein. Die Fußball-Liga ist korrupt bis ins Mark, das Nationalteam nur selten beim Asien-Cup halbwegs erfolgreich. Chinesen betonen bei jeder Gelegenheit wie wenig das eigene Team tauge. Und das erst recht jetzt, wo sogar Nordkorea dabei war. Während der WM geisterten daher auch Vorschläge durchs Netz, die Mannschaft doch am besten gleich aufzulösen. Aber die nächste Chance kommt bestimmt: Nach der WM ist vor der WM.
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Helle Thorning-Schmidt hat ein Problem. Die Chefin der dänischen Sozialdemokaten hat ein Familienmitglied, das in Dänemark keine Steuern gezahlt hat: ihr Mann Stephen Kinnock. Der Sohn des Ex-Labour Chefs Kinnock ist Direktor des Weltwirtschaftsforums. Da das in der Schweiz ansässig ist und er auch dort arbeitet, hat er bisher im Niedrigsteuerland Schweiz und nicht im Hochsteuerland Dänemark seine Einkommensteuer gezahlt. Da er aber die meisten verlängerten Wochenenden in Dänemark verbringt, ist zumindest fraglich, ob das rechtens ist.
Der Fall sagt viel über das Staatsverständnis der Dänen und ihren Moralismus aus. Zum einen galt Sippenhaftung und der Politikerin Thorning-Schmidt, die in Dänemarknoch höhere Steuern befürwortet, wurde das Verhalten ihres Mannes vorgeworfen und das in einem Land wo Ehegattensplitting ein Fremdwort ist. Zum anderen machte eine Vorschrift der dänischen Steuergesetzgebung dem Ehepaar das Leben besonders schwer: Kinnock meinte nämlich, nicht genügend in Dänemark zu sein, um dort steuerpflichtig zu sein, da er bei einem verlängerten Wochenende nicht schon morgens in Kopenhagen ankäme und abends abreise, sondern An- und Abreisetag nur teilweise in Dänemark verbringe. Da hat er aber die Rechnung ohne den dänischen Steuerstaat gemacht, der hier sein Gewaltmonopol ausnutzt und sagt, er brauche Freitag auch nur eine Minute vor Mitternacht in Dänemark anzukommen, schon gelte das als ein kompletter Tag Anwesenheit im Land – gleiches gelte für die Abreise.
Wenn es aber darum geht für Reisen Pauschbeträge anzusetzen, dann lässt das dänische Finanzamt eine solche Rechnung nicht zu, sondern die Pauschalen dürfen nur für die Zeit berechnet werden, die jemand tatsächlich unterwegs ist. Doch statt das die Dänen sich darüber entzürnen, dass hier ein Staat in Gutsherrenart stets zum eigenen Vorteil rechnet, klagen sie lediglich über das unmoralische Verhalten der Familie der sozialdemokratischen Parteichefin. Ganz klar ist bis heute nicht, wo Kinnock denn nun seine Steuern zu entrichten habe. Natürlich spricht einiges für Dänemark, wo er wegen der Familie auch seinen Lebensmittelpunkt hat.Dieser Fall hätte eine Steilvorlage dafür sein können, dass dänische Steuersystem zu diskutieren, stattdessen hat sich Kinnock dem öffentlichen Druck (auf seine Frau) gebeugt und frewillig Steuern nachgezahlt. Das kann in DDänemark übrigens ohne Anlass jeder machen. Mehr dazu gibt es hier in meinem Artikel in der gestrigen Financial Times Deutschland.
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Vor genau einem Jahr saß ich mit Kai Schächtele im La Siesta Resort am Roten Meer im Cafe »Cute«. Zusammen mit Dutzenden Ägyptern guckten wir das Confed-Cup-Fußballspiel Ägypten–Italien auf einem Großbildschirm. Ein denkwürdiger Abend. Es war das erste Mal seit Jahrzehnten, dass ich mir ein Fußballspiel anschaute, Kai zuliebe, ich wollte ein guter Gastgeber sein. Die Stimmung war hervorragend, Ägypten gewann 1:0.
Jetzt beschäftigt mich Fußball wieder, und wieder ist Kai schuld. Gemeinsam mit Christian Frey präsentiert er täglich Reportagen in Text, Ton & Bild aus Südafrika, die ich einzigartig nennen möchte. Das müssen sie sein, wenn sogar einer wie ich jeden Tag guckt, was es Neues gibt. Unbedingt selbst anschauen: Die WM – ein Wintermärchen.
Während für den Fußball eigentlich verlorene Seelen wie meine vielleicht doch gerettet werden können, haben viele wirkliche Fans in Ägypten das Nachsehen. Der World-Cup-Song, von Nancy Ajram auf Arabisch produziert (bei Youtube hier), stimmt sie auf die WM ein, aber sie können sich die Fußballübertragungen nicht leisten. Bis heute ist mir ein Rätsel, wie ein globales Gesellschaftsereignis, das von der Leidenschaft von Millionen von Menschen lebt, in die Hände solch einer raffgierigen, mitleidslosen Clique wie der FIFA fallen konnte. Auch diese WM ist in Ägypten weitestgehend nur im Pay-TV zu sehen. Detailliert beschreibt das Karim El-Gawhary in seinem Blog.
Vor vier Jahren war es ähnlich. In den Wochen vor der WM 2006 in Deutschland stieg das Fußballfieber in Kairo mit jedem Tag. Dann plötzlich stand fest: Dem staatlichen ägyptischen Fernsehen waren die Übertragungsrechte zu teuer. Während die Welt Fußball guckte, hingen in Kairo die Deutschlandfahnen stumm an den Fenstern. Die WM fand – gewissermaßen unter Ausschluss der Öffentlichkeit – auf dem arabischen Bezahlsender A.R.T. statt. Ein entsprechendes Abo hatten damals nur eine Million Leute in dem 80-Millionen-Land. Wie weh das tun musste, kann nur ermessen, wer einmal Ägypter beim Fußballgucken beobachtet hat. »Jetzt hat uns der Kapitalismus«, sagte damals ein Taxifahrer in Kairo zu mir, »auch noch den Fußball weggenommen.«
Manch ein Ägypter schaffte es, den Code zu knacken, andere konnten sich den überteuerten Tee in jenen Kaffeehäusern leisten, die die Spiele übertrugen. Dass das allerdings eine Minderheit war, konnte ich HÖREN. Als die WM 1994 in den USA stattfand, wurde noch frei übertragen. Ich wohnte damals in der Kairoer Altstadt, in einem Viertel von Ahmed Normalverbraucher. Wegen der Zeitverschiebung erklang der Jubel bis nachts um vier bei jedem Tor aus den Wohnungen der Nachbarschaft. Eine Stadt voller Fußballnarren vier Wochen lang im Ausnahmezustand. Während der WM 2006 in Deutschland war es anders. Kairo blieb still, kein Jubel, kaum irgendwo. Die deutschen Zeitungen verkündeten stolz, wie sehr die deutschen Gastgeber das Ausland begeisterten. In Ägypten durften viele das nicht erleben, weil sie nicht genug Geld haben.
Es wurde sogar extra die Ausstrahlung von ARD und ZDF über den Hotbird-Satelliten eingestellt. Einen ganzen Monat lang zeigte die ARD das Programm ARD Extra mit aufgewärmten Wiederholungen von irgendwas, und auf ZDF lief der Kanal ZDF Doku mit spannenden Themensendungen über Makramee u. ä. Wenn ich in Kairo auf einem dritten Programm um 20 Uhr die Tagesschau guckte, passierte folgendes. Sobald ein aktueller Kurzbericht von den Spielen vom Tage begann, wurde der Bildschirm schwarz und es erschien der Satz: »Aus lizenzrechtlichen Gründen etc.« Und das alles nur, damit die Schmuddelkinder an den Katzentischen der Welt nicht doch noch kostenlos was von der WM sehen, und sei es nur ein Fünf-Minuten-Beitrag in einer Sprache, die sie nicht verstehen.
In diesem Jahr hat sich der verschlüsselte Sportkanal von Al-Dschasira die Übertragungsrechte für die arabische Welt gesichert. Man will, heißt es, einige Spiele unverschlüsselt bringen. Das Trauerspiel hat damit kein Ende. Am ersten Tag kam das Signal über NILESAT nur verkrüppelt in die Haushalte. Al-Dschasira vermutet Sabotage, wie hauseigene Kanäle berichten. Der Satellit wird von der ägyptischen Regierung betrieben, und der ist Al-Dschasira ein Dorn im Auge.
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Svolvaer, die winzige Inselhauptstadt der Lofoten: Im Konferenzsaal des neuen Thon-Hotels preist Umweltminister Erik Solheim die Schönheit der Landschaft. Die archaische Inselwelt mit ihren gewaltig aufragenden Granitfelsen sei das Schönste, was das Land zu bieten habe. „Ein modernes Land“ im Übrigen, mit zivilisierten Umgangsformen, strengen Gesetzen und dem „weltbesten Verwaltungsplan“ für seine Naturschätze, so der Minister. Die Deepwater Horizon-Havarie gibt dem fortschrittlichen Norweger dennoch zu denken: „Das ist nicht in irgendeinem korrupten Entwicklungsland passiert und betroffen war einer der weltgrößten Energiekonzerne.“ Die Katastrophe hat die Norweger aufgeschreckt, die auf öffentlichen Hearings wie gestern in Svolvaer über die jüngste Konzessionsrunde für die Petrokonzerne beraten. Die Hälfte der zur Erkundung beantragten Fördergebiete liegt in sensiblen Küstengewässern sowie in den arktischen Gewässern der Barentssee.
Aus dem fernen Oslo ist reichlich Politprominenz angereist: „Eine gedeihliche Koexistenz von Fischereiwesen und Petroindustrie ist möglich“, sagt Fischereiministerin Lisbeth Berg-Hansen. Sie vertritt die Interessen der zweitwichtigsten Branche des Landes. Um das weltbekannte Gütesiegel „Fisch aus Norwegen“ sorgt sie sich nicht.
Dabei warnt das Meeresforschungsinstitut in Bergen in alarmierendem Tonfall vor dem Vorstoß der Petrokonzerne in die sensiblen Gewässer der Lofoten und Västerålen. Der Kontinentalsockel ist schmal, das Gebiet über viele Monate in Dunkelheit gehüllt und von Stürmen geplagt, mächtige Meeresströmungen würden eine Ölpest weit verbreiten, die Strände wären kaum zu reinigen: Auch aus fast jeder der über 300 Seiten des wissenschaftlichen Berichts von 26 Forschungsinstitutionen zum Verwaltungsplan ließe sich die Botschaft herauslesen: Lasst es bleiben!
Dann geht es hoch her, im Saal wie auf dem Podium: Studien zu den Auswirkungen der seismischen Erkundungen seien manipuliert worden, ruft ein Fischer. Dass die Industrie viel zu großen Einfluss auf die Studien nimmt, kritisieren auch Umweltschützer – und fordern dringend mehr unabhängige Forschung. Einigen der rund 200 Teilnehmer des Hearings drängt sich der Eindruck auf, über die neuen Konzessionen für die Inselgewässer sei bereits entschieden.
„Wir nehmen die Katastrophe im Golf von Mexiko sehr ernst“, entgegnet Ölminister Terje Riis-Johansen. Konzessionen in der Tiefsee und in sensiblen Küstengewässern würden erst vergeben, wenn die Ursachen für das Desaster restlos aufgeklärt sind.
Frederic Hauge meint, diese schon zu kennen: „Alle großen Spieler der Branche versuchen, die Kosten zu senken, Arbeiter werden unter Druck gesetzt, Risiken ignoriert, Leckagen in Kauf genommen“, sagt der streitbare Gründer der Umweltorganisation Bellona. Auch der Staatskonzern Statoil sei da keine Ausnahme. Mit einer Dokumentation der jüngsten Unfälle und Beinahe-Katastrophen will Bellona verdeutlichen: Eine verheerende Ölpest wäre auch in Nordsee, Norwegischer See und Barentssee jederzeit möglich. Und ihre Folgen würden alles bislang Gesehene in den Schatten stellen.
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Da wir demnächst umziehen, sehe ich auf den Straßen Shanghais nur noch Immobilienmakler. Überall stehen sie, teilen an der Straße Broschüren an vorbeihastende Passanten aus. Oder geleiten junge Paare, Familien, Singles in Apartmentblöcke, alte Villen oder umzäunte, begrünte Wohnanlagen. Junge Typen meist, mit dunklem Anzug, Schlips und weißem Hemd, und einer Klemmmappe unterm Arm. Ich bilde mir ein, selbst bei jungen Männern auf einem Moped zu erkennen, wer ein Makler ist und wer nicht.
Tolle Sachen haben die Wohnungsmakler hier in Shanghai im Angebot. Alte Villen ausländischer Diplomaten oder einstiger Shanghaier Drogenbarone in verwunschenen Gärten zum Beispiel – die sind inzwischen gerne mal für sagenhafte 100 Millionen Yuan zu haben: Gut 10 Millionen Euro. Unrenoviert auch mal für 5 Millionen. Ein echtes Schnäppchen. Sanierte Reihenhäuser in den alten Gassen, Lilongs genannt, kosten mindestens eine halbe Million Euro. Dieses Hochpreissegment zieht auch ganz gewöhnliche Wohnungen in guten Lagen mit. Vier kleine Zimmer in einem weiß gekachelten, 15 Jahre alten Hochhausturm für 480.000 Euro? Gar kein Problem. Irgendwas in Innenstadtlage für 4 Personen, so für 200.000 Euro? Stirnrunzeln. Vielleicht in einem der alten grauen Arbeiterblöcke noch zu haben. Günstige Wohnungen – das war einmal. Wer vor acht Jahren gekauft hat, war klug und ist heute reich.
In vielen Städten Chinas sind die Wohnungspreise allein im vergangenen Jahr um 50 Prozent oder sogar mehr gestiegen. Eigentlich müsste das ein Fest für die Makler sein. Ist es aber nicht. Denn die Preise sind zwar hoch, aber kaum einer kauft. Eine Maklerin schleust grade jede Woche 30 Interessenten durch ein saniertes Altstadthaus. Vergeblich.”Nur wer wirklich eine Wohnung braucht, kauft heute”, sagt ein Kollege und nestelt an seiner Krawatte. ” Alle anderen, Investoren zum Beispiel, warten ab.” Nur worauf warten sie? Dass die Preise einbrechen? Das erwartet nichtmal der junge Makler. “Zum Jahresende werden die Preise trotz allem noch etwas höher liegen”, ist er sich sicher.
Und wer kann das alles noch bezahlen? Für normale chinesische Mittelstandsfamilien wird der Wohnungskauf immer schwieriger. Ein Drama, für die von Wohneigentum besessenen Shanghaier. Junge Männer, die keine Wohnung besitzen, bekommen keine Frau. “Sie mögen noch das Mädchen rumkriegen, die Schwiegermutter aber auf keinen Fall!” sagt Cindy Su. Sie hat Glück. Sie hat eine Wohnung und einen Mann. Ein Freund von ihr hat aus Verzweiflung gerade eine Wohnung in Kunshan gekauft, einer staubigen Industriestadt vor den Toren Shanghais. Wohnen will er da nicht. Aber es ist billiger, 700 Euro kostet der Quadratmeter. Und er hat den begehrten Trumpf in der Hand: Eine eigene Wohnung, die er zumindest vermieten kann.
Schon geht unter Experten und Politikern die Angst um, dass Chinas Immobilienmarkt eine Blase ist, die bald platzt – so wie 2008 in den USA. In Peking stürzten die Kaufpreise im Frühjahr um 800 Euro pro Monat ab, nachdem die Zentralregierung zuvor Hypothekenkredite verteuert und andere Hindernisse für Wohnungskäufer eingeführt hatte – vor allem für Investoren, die zwei oder mehr Apartments besitzen. Ganz abwürgen will das Land den Sektor aber nicht. Es braucht ihn für die wirtschaftliche Erholung. Und der Bausektor schafft viele Arbeitsplätze. Aber er ist auch anfällig für Korruption. Gerade verbot daher die Kommunistische Partei ihren Kadern, sich “in Bauangelegenheiten einzumischen”.
Wir mieten unsere neue Wohnung, genau wie die alte. Wurden wir dafür früher belächelt, liegen wir dank der Mondkaufpreise heute zunehmend im Trend. Die Mieten immerhin waren in der Krise gesunken. Und auch wenn sie wieder steigen, liegt das Niveau bisher nicht höher als vor der Krise. Und so sind die vielen jungen Makler wohl heutzutage vor allem mit potenziellen Mietern statt Käufern unterwegs. Auch wenn das natürlich viel weniger Kommission bringt. Besser als nichts. “Ich bin doch nicht verrückt und kaufe eine Wohnung”, sagt Jia Kan und lacht sich kaputt. “Bei den jetzigen Preisen bekommt man da nie vernünftige Erträge. Und mit einer Mietwohnung hat man viel mehr Freiheit, wenn man mal umziehen will.”
Seine Freundin hat ihn trotzdem kürzlich geheiratet.
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Zigarettenpackungen sehen in Australien schon jetzt nicht besonders verlockend aus: Eklige Tumoren, Bilder von sehr mäßig lebendigen Babys an Kanülen
und ähnliche Szenarien zieren den Großteil der Schachteln. Darunter allerdings locken bisher noch Sonne-Sand-und-Meer-Motive nebst Namen wie “Holiday” oder “Longbeach”. Damit soll ab 2012 nun auch Schluss sein. Die Regierung hat gerade angekündigt, dass in Australien künftig nur noch die ersten markenfreien Packungen der Welt verkauft werden dürfen. Die heißen dann statt “Marlbo…dingens” nur noch schnöde “25 Cigarettes”. Der Firmenname bzw. die Marke ist noch unten irgendwo im Kleingedruckten in 4-einhalbpunkt-Schrift erlaubt. Sieht ein bisschen aus wie Medizin das ganze, finde ich. Unkomisch.
Australiens rigide Anti-Smoke-Kampagnen gehen damit noch einen Schritt weiter. Kein Wunder, denn sie sind ausgesprochen erfolgreich: Rauchten 1988 noch 30 Prozent aller Australier waren es 2007 nur noch 16,6 (In Deutschland paffen noch 27 Prozent). Und wer hier unten mal süchtig war (wie ich früher), weiß, dass die Aktionen wahrhaft wirken. Es raucht nicht nur kaum wer, weil es vielerorts schlicht verboten ist, es gilt auch dort wo es erlaubt ist als absolut unlässig und uncool. Wer dennoch pafft, wird im angenehmeren Fall mitleidig und bedauernd angesehen, im nicht so netten Fall als lästiges Übel. Bin gespannt, wie sich die künftig logo-leeren Schachteln auswirken. Die Regierung hofft, dass 2018 nur noch 10 Prozent aller Aussies paffen.
Nebenbei will Australien 5 Mrd $ mehr an Steuergeldern einnehmen, denn teurer wird Rauchwerk nämlich auch (heute abend schon mal um 20 Prozent). Das Gesundheitsministerium träumt von 20-$-Packungen (14 €), das Extrageld soll helfen die Gesundheitsreform zu finanzieren und u.a. den leidenden Krankenhäusern zugute kommen.
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An meiner Wahlheimat Holland habe ich nach 20 Jahren einiges auszusetzen und die rosarote Brille längst abgesetzt. Aber jedes Jahr im Frühling um diese Zeit verliebe ich mich wieder hemmungsvoll in dieses Land. Dazu reicht eine Zugfahrt vom Leiden nach Haarlem und ein Blick aus dem Fenster über die blühenden Felder der Blumenzwiebelregion: Die gesamte Landschaft gleicht einem gigantischen Mondriangemälde. Gelbe, rote und blaue Blumenbahnen aus Tulpen, Narzissen oder Hyazinthen so weit das Auge reicht….angesichts dieses hinreissenden Farbenrausches muss man einfach kapitulieren!
Als Korrespondentin habe ich es natürlich nicht beim Anschauen belassen, inzwischen weiss ich eine Menge über die Blumenzwiebelzucht, insbesondere über die Tulpe. Ist sie doch nicht nur Hollands Nationalsymbol, sondern auch noch eine erfolgreiche Immigrantin mit einer überaus steilen Karriere: Im botanischen Garten der alten Rembrandtstadt Leiden bohrte sie sich erstmals durch europäischen Boden, allerdings lange bevor Rembrandt geboren wurde, nämlich schon 1594.
Ursprünglich stammt die Tulpe aus Kazachstan. Über die Türkei gelangte sie nach Europa. Ihr Mäzen hiess Carolus Clusius, auch „Erasmus der Botanik“ genannt. Er war Ende des 16. Jahrhunderts in Leiden Aufseher des Hortus Botanicus. Clusius verkörperte das Idealbild des Gelehrten aus der Renaissance: hungrig nach Wissen, ein besessener Sammler, ständig kreuz und quer durch Europa auf Pflanzenjagd.
Die ersten Tulpenzwiebeln bestellte er beim Botschafter des österreichischen Kaisers in der Türkei, Ogier Ghislan de Busbec, einem Flamen. Der hatte sich in seinen Briefen immer wieder bewundernd über jene geheimnisvolle Blume ausgelassen, die von den Osmanen wie ein Kleinod behandelt wurde und auch den Sultan so bezauberte, dass er regelmässig rauschende Tulpenparties hielt.
Auch die ersten Tulpen im Leidener Hortus Botanicus wurden 1594 wie ein Weltwunder gefeiert und von den Schaulustigen fast zertrampelt. Aus der anfänglichen Begeisterung wurde schnell Besessenheit: Die so genannte Tulpenraserei begann, eine Zeit, in der ein einziger ‚bol’, wie die Zwiebel auf niederländisch heisst, bis zu 13.000 Gulden einbrachte, umgerechnet 6.000 Euro – genausoviel wie Rembrandt für sein Haus an der Jodenbreestraat gezahlt hatte, das heutige Rembrandthaus. Der Tulpenhandel wurde Big Business: Reiche-Leute-Söhne schmückten mit dem vergänglichen Juwel das Décolleté ihrer Geliebten. Es war teurer als ein Diamant. Da das Angebot bei weitem nicht der Nachfrage entsprach, wurden bollen zum beliebtesten Spekulationsobjekt. Einer der wenigen, der einen kühlen Kopf bewahrte, war der Maler Jan Brueghel der Jüngere: Auf seiner Persiflage einer Zwiebelauktion stellte er alle Beiteiligten als Affen dar.
Als der Markt am 6. Februar 1637 einstürzte, gehörte auch sein Kollege, der Landschaftsmaler Jan van Goyen zu den Opfern. Noch Jahre nach seinem Tod wurden seine Witwe und die Kinder von seinen Gläubigern verfolgt. Dieser 6. Februar 1637 ging als erster Börsenkrach der Welt in die Geschichte ein.
Der Beliebtheit der Tulpe allerdings konnte dies keinen Abbruch tun. Dafür sorgten der schon damals sprichwörtliche Handelsgeist der Niederländer – und der durchlässige Sandboden zwischen Haarlem und Leiden, auf dem es der Tulpe ausserordentlich gut gefiel. Wieder wurde sie big business – jetzt als Massenprodukt: Jedes Jahr überrollen die Niederländer die Welt mit 10 Milliarden bollen. Inzwischen taucht die Tulpe als Nationalsymbol im Logo niederländischer Banken und Fluggesellschaften auf. Firmen benennen sich nach ihr, und nicht umsonst bekam Altfussballer Ruud Gullit in Italien den Beinamen „Schwarze Tulpe“. Willig liess sie alles mit sich anstellen, sei es mit gefülltem Blütenkelch oder mehrfarbig gestreift im Fransenlook.
900 verschiedene Tulpensorten gibt es inzwischen, allein dieses Jahr werden rund 20 neue Sorten auf den Markt gebracht, darunter die Papageientulpe Irene Parrot, eine Wuschelkopf-“Punktulpe” mit fransigen Rändern. Den Tulpenzüchtern ist es sogar gelungen, die Zahl ihrer Chromosomen von 24 auf 48 zu verdoppeln. Bei diesen Sorten fällt alles doppelt so stark und kräftig aus.
Allerdings müssen Tulpenfreunde immer noch 25 Jahre warten, bis eine neue Sorte in der Blumenvase steht. Allein 20 Jahre dauert es, bis sie veredelt ist und einen Namen bekommen hat. Ausserdem hat die Tulpe im Gegensatz zu den meisten anderen Blumen eine Jugendphase von bis zu 5 Jahren. Erst dann blüht sie zum ersten Mal. In den ersten 5 Jahren sieht man überhaupt nichts, da wird die Geduld der Züchter auf eine harte Probe gestellt.
Auch der Name fällt am Ende meistens anders aus als erwartet: Von zehn fallen neun weg, weil sie schon besetzt sind oder zu ähnlich klingen. Dieses Jahr ist eine Tulpe auf den Markt gekommen, die eigentlich “Alexandra of Denmark” heissen sollte, doch das ging nicht, die Alexandra war schon besetzt. Jetzt heisst sie nur noch “Denmark”- obwohl sie rot-gelb ausgefallen ist und nicht rot-weiss.
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Die Finnen sind anders. Sauna, Trockner und Heizung bullern im Winter auf Hochtouren. Unmengen Energie verschlingen auch Zellstoffabriken, Stahlhütten und Chemiewerke. Der benötigte Strom soll – allen technologischen und finanziellen Risiken zum Trotz – zukünftig verstärkt durch Kernspaltung entstehen. Nicht einmal die finnischen Grünen wagen es, deswegen auf die Barrikade zu gehen. Sie bringen das Kunststück fertig, an der Regierung beteiligt zu sein und zugleich den Atomkurs des Ministerpräsidenten Matti Vanhanen heftig zu kritisieren.
Menschenketten gegen den drohenden Atomtod wird es auch im Nachbarland Schweden sobald nicht wieder geben. Obwohl sich Solveig Ternström (72) und Eva Selin Lindgren (73) nichts sehnlicher wünschen. Vor drei Jahrzehnten malten die Schauspielerin und die Kernphysikerin Protestplakate und sammelten Unterschriften für den Atomausstieg. Heute sitzen die beiden für die Zentrumspartei im schwedischen Reichstag. Ausgerechnet das bäuerliche Zentrum, lange Jahre eine feste Bastion der Kernkraftgegner, ebnete im Vorjahr den Weg für den „Energiekompromiss“ der bürgerlichen Vier-Parteien-Koalition. Im Gegenzug für neue Atommeiler ließ sich die Zentrums-Chefin und Wirtschaftsministerin Maud Olofsson das Versprechen geben, künftig mehr Geld für erneuerbare Energien wie die Windkraft locker zu machen.
Ihre eigene Fraktion hatte die forsche Vorsitzende während einer Dienstreise in Straßburg regelrecht überrumpelt. In einer Telefonkonferenz wurde den Abgeordneten beschieden, sie müssten der Einigung im Interesse des Koalitionsfriedens ihren Segen geben. Dabei gärt es an der Basis gewaltig: Austritte häufen sich. Auch in der Wählergunst erlitt die Partei in Umfragen massive Einbußen, sie liegt nur knapp oberhalb der Vier-Prozent-Hürde. In hunderten Briefen, E-Mails und Telefonanrufen sprachen enttäuschte Zentrums-Anhänger den Revoluzzern Mut zu.
Die sollen noch vor der Sommerpause im Parlament fürt den Neubau von Atommeilern stimmen. Doch sie weigern sich. Nicht ausgeschlossen, dass sich weitere Abgeordnete ihrem Protest gegen den Atomkonsens anschließen. Vier Gegenstimmen aus dem bürgerlichen Lager würden theoretisch reichen, um das Gesetz zu kippen. Als Schauspielerin ist Solveig Ternström für jede dramaturgische Zuspitzung empfänglich: Sie werde mit Nein stimmen, versichert die Schwedin trotzig – selbst wenn sie dabei in den Lauf einer Pistole blicken müsste.
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Nun, mein Junge, es heisst Globalisierung, und Globalisierung ist, wenn in Island ein Vulkan ausbricht, und ich hier in Afrika kein Hotelzimmer finde, weil massenweise Urlauber nicht in ihre Heimatlaender reisen koennen. Deren Rueckfluege wurden naemlich gestrichen.
Die Hotelbetreiber in Hurghada, wo ich heute zwangsweise eintraf, weil ich was recherchieren muss, also diese Hotelbetreiber in dieser Pauschaltouristenhoelle sagen ihren Gaesten, sie sollten nun selber sehen, wo sie bleiben, weil man den Touristen, die aus Russland jetzt ankommen, ihre gebuchten Zimmer nicht verweigern koenne. Deren Fluege wurden ja nicht gestrichen.
So fuehrt der Vulkanausbruch auf Island zu einem Touristenstau in Afrika. Und zu einer Preisexplosion bei den Zimmerpreisen, denn dieselben Hotelbetreiber haben angesichts der zwangsgestiegenen Nachfrage flugs die Raten um schaetzungsweise 30 Prozent erhoeht, gepriesen seien die Naturgewalten. Man kann also sagen, dass mein Geldbeutel in Afrika duenner wird, wenn auf Island ein Vulkan ausbricht. Das ist Globalisierung – oder besser die noch etwas unausgereifte Beta-Version davon.
Ganz zu schweigen davon, dass ich diesen Blogeintrag hier im Internetcafe nahezu blind auf einem kyrillischen Keyboard schreibe.
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Ich war kurz vorm Nervenzusammenbruch – hatte viel zu tun bei der Arbeit, dazu Besuch der herumgefahren werden wollte und ich plante eine Reise nach Deutschland, die wegen der weit verstreuten Familie und Freunde eine logistische Höchstleistung erforderte. Weil ich mal wieder mehrere Sachen gleichzeitig erledigen wollte, schüttete ich mir dann auch noch Milchkaffee über den Laptop, der sofort seltsame Geräusche machte und sich bald weigerte, bestimmte Befehle auszuführen. Bevor ich komplett in Verzweiflung und Selbstmitleid versinken konnte, kam genau die richtige Geschichte, um mein Leid zu relativieren…
Für einen Bericht über illegale Einwanderer in den USA stellte ich mich morgens um sechs mit Tagelöhnern an eine Straßenecke in Los Angeles und fragte sie nach ihren Geschichten. Heraclio aus Mexiko berichtete von der Razzia, bei der er vor zwei Jahren verhaftet wurde. Seither kämpft er gegen seine Abschiebung. Seine Anwältin hat ihm geraten, nicht zu arbeiten solange der Prozeß läuft, aber er weiß nicht, wie er ohne Arbeit seine Frau und zwei Töchter ernähren und das Zimmer bezahlen soll, dass sie sich mit einem Bruder teilen. Seine Kinder sind in den USA geboren und haben deshalb die US-Staatsbürgerschaft. Heraclio und seine Frau hoffen, dass sie eine gute Ausbildung und gut bezahlte Arbeit bekommen. Sie haben Angst, zurück in ihr Dorf in Mexiko geschickt zu werden. Candido aus Honduras erzählte mir, dass er vor drei Jahren seine Frau und drei Kinder zu Hause zurück gelassen hat und einem Schmuggler 6000 Dollar zahlte, um die Grenze zu überqueren. Auch er träumte von einem besseren Leben in Kalifornien. Doch statt wie gehofft, regelmässig Geld nach Hause zu schicken, kann der 31jährige selbst kaum überleben. Jeden Morgen steht er ab sechs Uhr in Malermontur an der selben Straßenecke, seit drei Wochen hat er keine Arbeit bekommen. Für einen Job, an dem er vier Tage arbeitete, hat er nie Geld gesehen. Der Auftraggeber versprach, den Lohn vorbeizubringen, ist aber nie wieder aufgetaucht. Candido hat Sehnsucht nach seiner Familie, sieht aber keine Möglichkeit, sie bald zu sehen. In seiner Heimat gibt es noch weniger und schlechter bezahlte Arbeit als in den USA und wenn er nur zu Besuch fahren wollte, müsste er wieder einem Schmuggler viel Geld bezahlen, um zurück nach Kalifornien zu kommen.
Während wir redeten, hielt ein Auto am Straßenrand. Der Mann am Steuer wurde mit großen Jubelrufen empfangen, obwohl er keine Arbeit zu vergeben hatte. Wie jeden Tag brachte er um 9 Uhr 30 einen grossen Karton voller Donuts zu den Tagelöhnern. Die bestanden darauf, dass ich mir auch einen frischen zuckerbestreuten Teigkringel nehme, obwohl viele von ihnen nicht wussten, wovon sie sich und ihren Familien das nächste Essen bezahlen würden.
Die Tagelöhner hoffen auf eine Reform der Immigrationspolitik, auf Arbeitsgenehmigungen, die ihnen ermöglichen zwischen den USA und ihrer Heimat zu reisen. Von Präsident Obama sind sie enttäuscht, weil er im Wahlkampf versprach, sich für die Rechte der Einwanderer ohne Papiere einzusetzen und ihnen einen Weg zur Staatsbürgerschaft zu ermöglichen. Bisher gab es aber keine Entscheidung der US-Regierungen, die diese Versprechungen in die Realität umsetzen würde.
Zurück am Schreibtisch war ich ziemlich dankbar, dass ich Arbeit habe, Freunde aus Deutschland mich jederzeit besuchen können, ich die Reparatur meines Laptops bezahlen und – auch wenn es logistische Höchstleistungen erfordert – wann immer ich will zu meiner Familie nach Hause fliegen kann.
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Sich schnell auf geänderte Situationen einstellen zu können, ist eine der großen Qualitäten der Menschen auf Island. Früher, als noch fast jeder Fischer war (und das ist gar nicht so lange her), galt es schnell zu handeln, wenn das Wetter gerade richtig war, um auf Fang zu fahren. Daher rühre die Flexibilität, heißt es.
Etliche Isländer haben aufgrund der Krise ihr Konsumverhalten anpassen müssen. Die weiterhin stets gut gefüllten Bars erwecken nicht den Eindruck, als habe das beim Verzehr von Alkohol wirklich geklappt. Bei etlichen Dingen sieht es aber anders aus. Wegen des Verfalls der Krone werden Importe wo möglich durch auf Island produziertes ersetzt – Islandpullover kommen plötzlich auch außerhalb linksalternativ angehauchter deutscher Pädagogenkreise wieder in Mode und statt Basmatireis gibt es nicht nur auf Bauernhöfen Kartoffeln. Sparen muss ja nicht heißen, dass es sich wirklich schlecht lebt.
In den Cafés ist derzeit der Pfannkuchen wieder hoch im Kurs – ein Gebäck, dass es außerhalb des Kindergeburtstages in der jüngeren Vergangenheit nur selten zu sehen gab. Doch der Pfannkuchen ist leicht produziert und entsprechend preiswert: nur 100 Isländische Kronen pro Stück – keine 60 Cent! So lässt sich mit einfachen Mitteln die Krise versüßen. Warum auf Cantuccini zurück greifen? Weniger ausgeben, muss eben nicht immer heißen, wirklich verzichten zu müssen.
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Ein Video auf youtube machte vergangene Woche die Runde unter Indonesiens Umweltschützern: Ein Büroangestellter der gelangweilt Papier vernichtet, gönnt sich eine Pause (Have a break?) mit Kitkat. Genüsslich beißt er in einen schokoladenbraunen Orang-Utan-Finger und besudelt sich dabei mit Blut. Das Video entstand im Zuge einer neuen Greenpeace-Kampagne gegen den Kitkat-Hersteller Nestle – neben Unilever, Cargill und ADM einer der größten Palmölverbraucher der Welt. Wie viele andere Produkte enthält Kitkat Palmöl, dessen Anbau wiederum als Hauptursache für die Abholzung der Regenwälder in Indonesien und Malaysia gilt. Nestle reagierte und trennte sich von seinem anrüchigen Lieferanten Sinar Mas, der in Indonesien riesige Waldflächen abholzen lässt, um Palmöl anzubauen. Nebenbei verschwand das anrüchige Video vorübergehend von youtube und war nur noch auf der Greenpeace-Website zu sehen.
Die Hoffnung, dass mit solchen Aktionen Indonesiens Regenwälder, immerhin die drittgrößten der Welt, gerettet werden, sind gering. Selbst wenn alle Nestle-Konsumenten in der westlichen Hemisphäre nur noch Produkte mit zertifiziertem Palmöl kaufen, bleiben immer noch die riesigen Märkte in China und Indien. Mit dem zunehmenden Bedarf an Biodiesel hoffen die Palmölproduzenten zudem auf eine stark ansteigende Nachfrage – und dehnen ihre Plantagen mit Zustimmung der indonesischen Regierung immer weiter aus. Kein Wunder: Die meisten Firmenbosse sitzen selbst auf hohen Regierungsposten.
Infolgedessen geht in keinem anderen Land der Welt die Abholzung des Urwaldes so schnell voran. Seit 2007 ist Indonesien der größte Palmölproduzent der Welt. Die Orang Utans sind nur eine Spezies, die dabei ihren Lebensraum verliert – tausende andere Arten, die Borneo, Sumatra und Papua bevölkern, sind dabei genauso bedroht. Dazu gehören auch die Bewohner dieser Inseln, die häufig mit Gewalt vertrieben werden und so nicht nur ihre Lebensgrundlage, sondern auch ihre traditionelle Kultur verlieren.
Ein Kitkat-Boykott allein reicht also kaum aus. Kaum ein Fertiggericht oder Kosmetikprodukt in unseren Supermärkten kommt heute noch ohne Palmöl aus. Mit den steigenden Biodieselquoten, steigt zusätzlich der Bedarf an dem billigen Rohmaterial. Trotz aller Bemühungen gibt es bislang so etwas wie nachhaltiges Palmöl nicht. Wenn eine Vorzeigeplantage in Sumatra etwa die europäischen Zertifikatsansprüche erfüllt, holzt eine Tochterfirma desselben Konzern garantiert mit dem erzielten Gewinn eine Waldfläche in Borneo oder Papua für neue – unzertifizierte – Plantagen ab.
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Seit der jüngsten Bankdatenaffäre ist die Schweiz arg in der Defensive, die Stimmung unter den Eidgenossen gegenüber dem mächtigen Nachbarn im Norden mehr als gereizt.
Die Jungfreisinnigen Zürich, die Jugendorganisation der schweizerischen FDP, reagierten mit einem “Fahndungsplakat“. Die Freisinnigen “fahnden” nach Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble, wegen Banküberfall und Unterschlagung von Diebesgut.
Zwei Sichtweisen prallen hart aufeinander. Wer geklaute Bankdaten kauft, wie die deutschen Steuerbehörden, macht sich der Hehlerei schuldig, so die schweizerische Perspektive.
Das Schweizerische Bankgeheimnis dient der Steuerhinterziehung, Steuerflucht gehört damit zum Geschäftsmodell der Schweizer Banken, so die deutsche Sichtweise.
Als klar wurde, dass Deutschland sich nicht mehr nur am Hindukusch sondern auch am Schweizer Bankenplatz verteidigt, indem es illegal gesammelte Daten von deutschen Steuerbetrügern kauft, reagierten manche Eidgenossen mehr als schrill.
Eine “Kriegserklärung” polterte der Chef der Schweizerischen Volkspartei (SVP), Toni Brunner. Ein renommierter Universitätsprofessor forderte gar als Gegenmassnahme eine drastische Erhöhung der Studiengebühren für deutsche Studenten in der Schweiz. In sämtlichen deutschen Talkshows gaben sich rechte Scharfmacher und Verteidiger des schweizerischen Bankgeheimnis die Klinke in die Hand und zementierten einmal mehr das Bild des helvetischen Sonderlings in der Mitte Europas.
Doch dass das Thema in der Schweiz und unter den Eidgenossen selbst höchstumstritten ist, zeigte sich in den letzten Tagen, nachdem der Pulverdampf sich langsam gelegt hat.
Inzwischen regt sich unter den bürgerlichen Parteien Zweifel, ob das bisher als unverrückbar gegoltene Bankgeheimnis weiter zu halten ist. Noch vor einem Jahr sah die Mehrheit der politischen Elite das Bankgeheimnis als “unverhandelbar”, doch diese Front bröckelt nun.
Die SP, die Schweizerischen Sozialdemokraten kämpft seit Jahren schon gegen das Bankgeheimnis und für einen sauberen Finanzplatz. Die sozialdemokratische Aussenministerin Micheline Calmy-Rey zeigte nun sogar Verständnis für die deutschen Steuerbehörden.
Selbst unter den führenden Bankern wächst nun die Einsicht, dass sich die heimischen Finanzinstitute auf eine Zeit nach dem Bankgeheimnis vorbereiten sollten. Wann und wie das Bankgeheimnis fällt, ist noch nicht klar, aber die fetten Jahre mit ausländischen Schwarzgeldern dürften vorbei sein.
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Wenn ich durchs Internet surfe, höre ich Stimmen. Überall wird es mir zugeraunt und zugeflüstert: ‘Sign up! Register now! Wir sind an Ihrer Meinung interessiert! Hallo, melden Sie sich bitte an! Neu hier?’
Manchmal will ich unbedingt auf eine Webseite. Ein einziges Mal nur, um dort jetzt, aber danach nie wieder irgendetwas zu erfahren oder zu tun. Dann registriere ich mich schnell und fülle die Lochmasken mit lauter Quatsch aus. Ich denke mir Namen aus, ein fiktives Geburtsdatum, eine Postleitzahl, die mit meiner echten keine Ähnlichkeit hat, und wenn nötig, auch irgendwelche Phantasieinteressen. Meistens bin ich in den Achtzigern geboren – wer möchte nicht gern jünger sein. Mein Nettohaushaltseinkommen ist natürlich immer so hoch, wie ich es mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorzustellen wage. Es kam sogar schon vor, dass ich mir rasch ein GMX-eMail-Konto einrichtete, nur für diese eine Stunde. Um sicher zu gehen, dass ich später nicht etwa ungewollt Werbung erhalte.
Damit bin ich wahrscheinlich der Supergau aller Online-Marketingexperten. Also für jene Leute, die zu ihren Werbekunden gehen und behaupten, sie könnten so zielsicher wie nie zuvor genau die potentiellen Kunden erreichen, für die ihr Produkt entwickelt wurde.
Sagen wir mal, ich melde mich durchschnittlich zweimal pro Jahr irgendwo an, um hier oder da reinzukommen. Dann konnten in den letzten zehn Jahren Online-Marketing-Abteilungen 20 Persönlichkeitsprofile von einer Person sammeln, die ich bin. Ich bin zwanzig verschiedene Leute, die sich jeweils deutlich von mir unterscheiden, deren Infos die Online-Werber aber als ihren kostbarsten Datenschatz bezeichnen.
Wenn ich in Internetmarketing machen würde, täte ich den Tag jeden Morgen mit einem Gebet beginnen: Lieber Gott, lass bitte nie rauskommen, dass das alles nur eine Fiktion ist.
Ich bin ja nicht der einzige mit diesem Verhalten. Weil mich die Mysterien unseres Alltages interessieren, frage ich immer mal wieder rum. Bislang traf ich fast keinen, der seine realen Daten angibt, abgesehen vielleicht von der eMail-Adresse.
Aber nicht nur das. In anderthalb Jahrzehnten Dauereinsatz im Internet hat mein Gehirn eine Art Autopilot entwickelt. Während ich auf Webseiten zielgerichtet das finde, was ich suche, sorgt der Autopilot in meinem Kopf dafür, dass meine Augen nicht auf Werbung schauen und mein Zeigefinger nicht aus Versehen Banneranzeigen anklickt. Sollte sich trotz Popupblocker ein Werbefenster öffnen oder ins Bild schieben, schließt mein Autopilot es ohne mein Zutun. Webseiten, auf denen automatisch Audio-Reklamespots tönen oder tröten, macht er sofort komplett zu, noch bevor mich der Sound erschreckt.
Dabei finde ich ja gar nicht, dass Werbung schlecht ist. Medien und Werbung gehören zusammen wie Elmex und Aronal, und das ist gut so. Schlecht ist nur, dass Werbung im Internet inzwischen oft derart nervt, dass es an Nötigung grenzt. Bei Zeitschriften ergeht es mir anders. Immer wieder bleibe ich auf Anzeigenseiten hängen, weil mir die Fotos gefallen oder weil mich das Produkt interessiert. Wahrscheinlich liegt das daran, dass ich beim Durchblättern von Magazinen selbst entscheiden kann, was ich wann tue.
Ein Händler auf einem Touristenbasar in Oberägypten erzählte mir, dass er mehr verkaufe, seit er den vorbeilaufenden Touristen nicht mehr auf den Geist geht. Früher seien sie mit starrem Tunnelblick an seinem Shop vorbei geeilt. Eine Regel, die vielleicht auch Onlinewerber beherzigen sollten, könnte lauten: Die Internetuser nicht bedrängen, sich ihnen nicht in den Weg stellen, sie nicht vollquatschen, anmachen oder ihnen an den Ärmeln zerren.
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Wer einmal am eisigen Mahlstrom des Dettifoss oder am kalbenden Gletscher Vatnajökull stand, der weiß, was Naturgewalten sind. Die Isländer sind es gewohnt, den Elementen hilflos ausgeliefert zu sein. Doch ihr Tanz auf dem Vulkan fand mit dem Finanzbeben im Herbst 2008 ein jähes Ende. Sturmfluten wurden ausgelöst, die nun über die 320 000 Insulaner hinweg rollen. Die roten Brandfackeln der Demonstranten vor dem Amtssitz ihres Präsidenten Ólafur Ragnar Grimson sind Zeichen der größten Not. Viele verloren Arbeit und Altersgelder, müssen um Haus und Auto bangen, weil sie hoffnungslos überschuldet sind.
Das Volk möge nun entscheiden, ob der vom Parlament beschlossene Plan zur Entschädigung ausländischer Kunden der Internetbank Icesave Bestand haben soll. Eines steht fest: Islands Banken – und notfalls die Regierung – müssen für die Pleite haften. Und die Gläubiger haben alle Trümpfe in der Hand. Verweigern sich die Isländer der Rückzahlung, stehen weitere Teilzahlungen des Hilfspakets in Frage. Und auch der Beitritt des Landes zur Europäischen Union.
Wenn nun der Souverän über den künftigen Kurs bestimmen soll, dann ist das auch eine Bankrotterklärung der Politik. Konservative und Fortschrittspartei hätten den Rückzahlungsplan um ein Haar schon im Parlament zu Fall gebracht. Ausgerechnet jene schüren jetzt die Massenproteste, die Island an den Rand des Abgrunds brachten. Indem sie junge Banker einfach machen ließen, mit denen sie einst die Schulbank teilten. Vetternwirtschaft, Korruption und Mauschelei zwischen Politik und Hochfinanz sind das eigentliche Übel. Mit dem Plan, die rot-grüne Regierung zu stürzen, ist wohl auch die Hoffnung verbunden, von der Aufklärung dieser Machenschaften verschont zu bleiben.
Regierungschefin Johanna Sigurdadottir betont, Island werde sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Ihr muss es nun gelingen, das revoltierende Volk bis zum 20. Februar von den bitteren Notwendigkeiten zu überzeugen. Gelingt es ihr, steht sie stärker da als je zuvor. Die Abrechnung in Island könnte endlich beginnen.
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Gemessen an der Einwohnerzahl gehört Schweden sicher zu den Ländern, die am meisten nationale Ikonen hervorgebracht haben: Abba, Ikea, H&M, Volvo und natürlich Absolut. Die Wodkamarke feiert in diesem Jahr ihren 30. . Wie kaum ein anderes Produkt ist Absolut in die Werbegeschichte eingegangen. Denn mit ungewöhnlichen Kampagnen schaffte es der damals noch staatliche schwedische Produzent sich im internationalen Geschäft für Alkoholika zu platzieren. Künstler wie Keith Haring und Andy Warhol haben Anzeigen für die Flasche mit dem klaren Inhalt entworfen und sie so zur Ikone gemacht (wie das alles geschah erzählt der Schwede Carl Hamilton in seiner Biographie einer Flasche).
Zwar ist die Kampagne mit den bekannten Künstlern als Gestalter seit 2007 eingestellt, doch will sich die Marke weiterhin kulturell positionieren, wie es so schön heißt. Deshalb wurde Ende Oktober in Stockholm der erste Absolut Art Award vergeben (Preisträger und mehr hier). Aus diesem Anlass ein kurzer Abriß der schwedischen Alkohol- und Privatisierungspolitik:
Seit vergangenem Jahr gehört Absolut wie der komplette Vin & Sprit-Konzern zu Pernod Ricard aus Frankreich. Zuvor war der schwedische Staat Jahrzehnte Eigner. Dank Alkoholproduktion in staatlicher Hand sollte der Konsum eingeschränkt werden, die gleiche Aufgabe haben übrigens die immer noch staatlichen Alkoholläden. Doch die 2006 angetretene liberal-konservative Regierung will privatisieren und hat Absolut verkauft und damit einmal mehr mit Alkohol tüchtig Geld verdient. Das staatliche Alkoholverkaufsmonopol aber? Bleibt vorerst. Und Vattenfall? Ebenfalls bis auf Weiteres in Regierungshand. Der Konzern, in Deutschland aktiv und berüchtigt vor allem wegen seiner vielen Probleme mit AKWs und als Betreiber von Kohlekraftwerken, soll in Schweden seinem Namen alle Ehre machen. Vattenfall bedeutet Wasserfall. Schwedische Doppelmoral? Absolutely.
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Dieses Forum gibt mir die Möglichkeit, eine Schuld abzutragen, weil auch heimgekehrte Weltreporter mitbloggen dürfen und sollen. – Als ich im Juli mal wieder länger in Rom war, wartete Post auf mich: Für fünf mal falsch Parken (übrigens „nur“ einen Motorroller) sollte ich mit Mahngebühren etc. insgesamt 1200 (i.W.: zwölfhundert) Euro zahlen. Absender war das im Staatsauftrag tätige (und auch ungefähr zur Hälfte der Republik Italien gehörende) Inkasso-Unternehmen Equitalia, und ich beschloss, über dieses Unternehmen und sein Mahnwesen einen Radio-Beitrag zu machen. Abgesehen von Interviews in der Warteschlange an den Schaltern, die diese Firma in Rom unterhält – in denen mir die Wartenden entgegen meiner Erwartung sagten, dass sie es ganz normal fänden, erst nach zwei Stunden an die Reihe zu kommen; das lief dem Italien-Klischee zuwider, das wir alle so gern bedienen – wandte ich mich auch an die Presse-Abteilung der Equitalia und bekam fast sofort (schon wieder klischee-widrig, diese Effizienz!) zwei Interviews (i.W.: 2) vermittelt: mit dem römischen Verantwortlichen dieses föderativ aufgebauten Unternehmens, und mit dem Generaldirektor der italien-weiten Holding. Letzteres konnte ich in meinem Beitrag gar nicht unterbringen, weil der Rom-Chef schon alles Wichtige gesagt hatte (und es natürlich mal wieder nur drei Minuten werden sollten). Das allerdings hat den Pressesprecher, der mir das Interview verschafft hatte, in Schwierigkeiten gebracht, weil er, mit Hilfe eines elektronisch übermittelten „Belegexemplars“ meines Dreiminüters, seinem obersten Chef Rechenschaft ablegen musste, ob denn das Interview mit dem deutschen Journalisten irgendwas gebracht, irgendeinen Niederschlag gefunden habe. Und das hatte es eben nicht. Daher möchte ich auf diesem Wege mitteilen, dass Equitalia ein sehr sympathisches Unternehmen ist (soweit das bei einer Inkasso-Firma der Fall sein kann), dass sie ihren Online-Service und auch den an den real existierenden Schaltern laufend verbessern, und dass sie eine sehr hilfreiche Pressestelle haben. Und sehr auskunftsfreudige Direktoren. Jawohl. – Meine fünf Parkzettel im Wert von je 240 Euro waren übrigens, wie nach zwei mal zwei Stunden Schlangestehen für mich herausgefunden wurde, alle verjährt. Was bei Ordnungswidrigkeiten aus dem Jahre 2003 auch nicht wirklich verwunderlich war. Caro Giuseppe, questo lo puoi far vedere al direttore Cuccagna. Spero che sia soddisfatto…
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Das Leben im Norden Europas kann recht angenehm sein – die Natur ist sauber, das Meer selten weit und trotz der ein oder anderen Horrormeldung (hier ein Text meines ehemaligen Praktikanten) muss man nicht viel Angst vor Kriminalität haben. Auf der Negativliste stehen neben den trüben Monaten extrem hohe Lebenshaltungskosten und ebensolche Steuern. Dafür wird das ein oder andere geboten, wie beispielsweise kostenlose Ausbildung der Kinder, wenn man denn welche hat.
Ein weiteres nordisches Phänomen trübt die Lebensqualität in regelmäßigen Abständen erheblich ein: die Nichtexistenz eines klassischen Wohnungsmarktes. In Nordeuropa ist es üblich, Immobilien zu kaufen und der ein oder andere mietet auch. Doch wer denkt, dass diese Handel überwiegend auf einem gewöhnlichen, allen leicht zugänglichen Markt vorgehen, irrt.
Nehmen wir das Beispiel Kopenhagen. Ein großer Teil der Hauptstädter wohnt in einer so genannten Andelsbolig, am ehesten mit der deutschen Genossenschaftswohnung vergleichbar. Man kauft sich einen Anteil an der Gesellschaft, die das Haus besitzt und darf dann gegen eine relativ geringe Miete eine bestimmte Wohnung nutzen, eine Zweizimmerwohnung in zentraler Lage ist so durchaus für eine monatliche Belastung von unter 800 Euro zu haben. Doch die Genossenschaftsanteile werden üblicherweise nicht frei gehandelt, sondern sind einerseits preisreguliert und werden andererseits nur an jene verkauft, die schon jahrelang auf der Warteliste der Andelsboligselskab stehen. Klar, dass hier Neuzuzügler – ob aus dem Ausland oder anderen Teilen Dänemarks – das Nachsehen haben. Schließlich haben sie nicht zehn Jahre vor dem Umzug geahnt, dass sie einmal in Kopenhagen landen würden und sich dementsprechend nicht früh genug auf eine solche Liste gesetzt.
Mittlerweile gibt es zwar einige Anteile im offenen Angebot, doch die sind erheblich teurer und zudem gibt es sehr enge Vorschriften, die regeln inwieweit eine solche Wohnung im Falle eines Auslandsaufenthaltes untervermietet werden darf. Wer also wegzieht, riskiert, zu einem schlechten Zeitpunkt zum Verkauf gezwungen zu werden, weil er nicht länger untervermieten darf.
Bleibt also der Mietmarkt. Teilweise wirklich günstig sind die Angebote auf der Seite der größten Wohnungsgesellschaft: Im gutbürgerlichen Stadtteil Østerbro beispielsweise gibt es Dreizimmerwohnungen ab 400 Euro Kaltmiete. Doch Priorität hat, wer ohnehin schon in dem Haus wohnt. Also heißt es, erst einmal mit einer Einzimmerwohnung anfangen und hoffen, dass bald etwas Größeres frei wird. Die Einzimmerwohnungen kosten gerade einmal zwischen zwei- dreihundert Euro monatlich. Der Haken an der Sache: mal eben kurz in die Miniwohnung und dann in die große geht nicht. Alleine für die Einzimmerwohnung beträgt die Wartezeit ‘mere end 20 år’, mehr als zwanzig Jahre. Da fragt man sich, wer sich überhaupt auf eine solche Warteliste setzen lässt – mit 15 drauf, mit 35 in der 20 Quadratmeterwohnung in Hoffnung darauf, vielleicht sieben Jahre später in eine größere wechseln zu dürfen, vielleicht auch schon nach drei Jahren, vielleicht aber auch nie? Leider ist dieses Beispiel exemplarisch. Kurze Wartezeiten gibt es in erster Linie aus sozialen Gründen, dazu zählt auch, dass die klassische weiße Mittelklasse die Wartezeit verkürzt bekommt, wenn sie bereit ist, in Einwandererbezirke mit hoher Arbeitslosigkeit zu ziehen.
Standardlösung ist deshalb vor allem für Zugezogene sich von Untermiete zu Untermiete zu hangeln. Denn, wer einen Genossenschaftsanteil besitzt, vermietet diesen womöglich mal unter, z.B. wegen eines Auslandsaufenthalts (s.o.). Maximale Mietdauer ist in solchen Fällen aber zwei Jahre, Standard ein Jahr oder noch weniger. Deshalb heißt es für viele neu Kopenhagener wieder und wieder alle Jahre wieder: Wohnungssuche und Umzug. Die Kaste der Nichtseßhaften ist gefühlt so groß wie der Stimmanteil von Linkspartei und FDP zusammen bei der Bundestagswahl in diesem September.
Es gibt nur zwei Alternativen: eine klassische Eigentumswohnung oder eine klassische Mietwohnung. Immerhin, in jüngster Zeit wird beides angeboten, allerdings überwiegend in Betonburgen am Stadtrand. Die haben zwar hochklassige Architekten entworfen, doch es sind reine Schlafstädte, die vielleicht einen Supermarkt um die Ecke haben, aber weder Cafés, noch Gemüse- oder Blumenläden. Und die Preise? München, Innenstadtlage (mit Café, Gemüse- und Blumenladen um die Ecke) plus 30 Prozent.
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Seit dem Ausbruch der Finanzkrise auf Island oder soll man besser sagen seit dem Zusammenbruch der Banken dort, tauchen ständig neue Gerüchte darüber auf, wie die Banker ihre Stellung systematisch ausgenutzt haben und so zum Absturz beigetragen haben. Schon lange heißt es, die Finanzinstitute hätten ihre größten Eigner mit sehr vorteilhaften und risikobehafteten Krediten bedient. Ende vergangener Woche (also Ende Juli) tauchte dann ein internes Dokument der Kaupthing Bank auf, dass genau dies bestätigte. Erst kursierte es auf Island, von wo aus auch ich es zugesteckt bekam (siehe den Bericht in der FTD). Für jedermann ist es auf der Seite von Wikileaks zugängig. Das war der mittlerweile verstaatlichten Kaupthing zu viel. Sie schrieb an Wikileaks und forderte, dass das Dokument entfernt werde. Doch das gelang nicht. Auch an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk RUV, der in der Abendsendung berichten wollte, wandte man sich. Hier ließ Kaupthing eine Verfügung zustellen und untersagte den Bericht, schließlich gehe es um das Bankgeheimnis.
Die auch für die Medien zuständige Kultusministerin Katrin Jakobsdóttir forderte daraufhin eine Gesetzesänderungen, damit die Journalisten nicht in ihrer Arbeit behindert werden. Schließlich wollen sie die Isländer darüber aufklären, was in ihren Banken geschehen ist und wie diese den Crash in dem Land mit verursacht haben.
Genau deshalb protestierten die Isländer im Netz und in Gesprächen gegen die Blockadepraxis von Kaupthing. Mit Erfolg. Die Bank will fortan nicht mehr gegen die Veröffentlichung des Dokuments vorgehen.
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In der Psychologie der Masse sind die Tschechen einfach Meister, das muss man mal neidlos anerkennen. Gerade jetzt im weltweiten Krisengeschrei zeigt sich das wieder: Während in Deutschland die Bürger mit Abwrackprämien und Konjunkturpaketen bombardiert werden, setzt die tschechische Regierung auf ein viel billigeres und wahrscheinlich noch effizienteres Instrument: Die Mehrwehrtsteuer soll dramatisch gesenkt werden – und zwar für Kneipenbesuche. Damit bleibt den Tschechen also selbst in mageren Jahren ihr geliebtes Bier und die Politiker zeigen, dass sie die erfolgreichste Lektion aus der kommunistischen Herrschaft gelernt haben. Schon damals nämlich gab die Partei ein zentrales Credo aus: Egal was passiert, Bier und Zigaretten müssen billig bleiben, sonst rebelliert uns nachher noch das Volk.
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Angeblich ist fast jeder vierte Australier Katholik, und diese Gruppe damit Down Unders zahlenstärkste Glaubensgemeinschaft. Soweit die Statistik. Die gefühlte Katholikendichte scheint deutlich geringer. Käme das nur mir so vor, würde ich tippen, dass das an meiner Jugend in Münster liegt. (Das ist eine sehr katholische Stadt, von der es heißt “Entweder es regnet, oder es läuten die Glocken; passiert beides, ist Sonntag”). Also, nicht nur habe ich in sieben Jahren Sydney noch nie Sonntags Glockenläuten gehört, hier ist auch nicht mal Pfingsten frei. Aber egal. Zahlen sind Zahlen, und mit denen werden wir gut einen Monat vor Papstbesuch und World Youth Day (WYD) geradezu überschüttet (fühlt sich fast an wie Sonntag in Münster): Das größte religiöse Großereignis in der Geschichte Australiens! 125 .000 Gläubige und internationale Besucher! 8.000 Helfer werden helfen. 2.000 Priester beten. 700 Kardinäle und Bischöfe zelebrieren. 3.000 bis 5.000 Medienvertreter die Medien vertreten. 3,5 Millionen Mahlzeiten werden all diese Leute essen… Ah, es ist herrlich, ich könnte endlos weiter zählen.
Mit den meisten dieser Nummern kommen die meist toleranten Einwohner Sydneys auch gut klar. Selbst darüber, dass die Stadt im Juli gut eine Woche dank einer Art Lock-Down voller Straßenblockaden (300 Straßensperren = 263 000 $ an Parkuhr-Einnahmen-Verluste) unbefahrbar wird, murren wenige.
Nur die WYD-Dollar-Zahlen, die stimmen viele, insbesondere die 75 Prozent Nicht-Katholiken, eher unfröhlich. Mindestens 150 Mio Australische $ (90 Mio Euro) wird die Glaubenswoche die Steuerzahler kosten. Nicht inbegriffen: die 40 Millionen, die der Australische Jockey-Club, Besitzer der Rennbahn Randwick, für den WYD bekommt. Diese Zahl muss ich vielleicht erklären: Australier sind Pferde(- und Wett)besessen. Viele glauben fest, dass das Glück der Erde eher auf dem Rücken der Pferde als sonstwo liegt. Melbourne Cup Day, ein Pferderennen im November, etwa ist Feiertag. Pfingsten nicht. Und Papst Benedikt zelebriert die WYD-Riesenmesse ausgerechnet auf einer Rennbahn im Stadtteil Randwick. Na und? Nix na und. Das kommt einer Katastrophe gleich. Mindestens aber einem finanziellen Desaster der Pferdeindustrie: Wochenlang wird der Platz unbenutzbar, Wetteinnahmen in schwindelnder Höhe werden schwinden, Pferde träge und Rasenflächen häßlich werden. Doch die 40 Millionen $ werden es schon richten. Dass die Jockeys entschädigt werden müssen, sieht in Sydney auch jeder ein. Gemurrt wird, dass nicht anderswo gebetet wird – etwa im Olympia-Stadium, das war doch teuer genug. Ach ja, seufzen verstohlen jene der 25% katholischen Sydneysider, denen Pferdewetten weniger heilig sind: “Fronleichnam ist Fremdwort, Heiligabend Haupt-Einkaufstag – vermutlich höchste Zeit, dass der Papst nach Australien kommt.”
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Die Schanghai Bibliothek freut sich über eine Bücherspende des deutschen Spülmittel- und Shampooherstellers Henkel, meldet Shanghai Daily. In einer feierlichen Zeremonie überreichte Faruk Arig, Präsident von Henkel China die gesammelten Werke von Karl Marx.
Insgesamt will Henkel Bücher im Wert von 150 000 Yuan spenden, umgerechnet etwa 15 000 Euro. Die Bücher werden den Chinesen helfen, die deutsche Gesellschaft besser zu verstehen, sagte Bibliothekschef Wu Jianzhong. Was der Henkel-Manager darauf geantwortet hat, stand nicht in der Zeitung.
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Der nordeuropäische Börsenverbund OMX sieht seine Zukunft im internationalen Geschäft. Das wurde einmal mehr klar, als Aufsichtsratschef Urban Bäckström und Vorstandsvorsitzender Magnus Böcker heute zur Pressekonferenz riefen, um sich zu den Plänen der Börsen Nasdaq und Dubai mit OMX zu äußern. Zwar gab es keine abschließende Bewertung, um man nun von der Dubaier Börse gekauft werden will, nur um gleich danach an die Nasdaq weitergereicht zu werden, doch Böcker und Bäckström hielten sich nicht zurück, Vorteile dieser Lösung zu preisen. Schließlich will man international gerne weit vorne mitspielen. Das OMX – das bis auf Oslo alle nordischen Handelsplätze betreibt – aber weiterhin noch sehr Nordeuropa zentriert ist, offenbarten die beiden ungewollt: Nur kurz nachdem Böcker gelobt hatte, dass die Nasdaq dazu führen würde, dass nordische Unternehmen international mehr gesehen werden würden, begann die Fragerunde der über das Internet international ausgesendeten Pressekonferenz. Und plötzlich vergaßen die OMX-Vertreter ihre Internationalität und wechselten ins Schwedische. Das dürfte das internationale Image nicht unbedingt gefördert haben.
Aber vielleicht haben die zwei auch nur daran gedacht, die wichtige Rolle der Auslandskorrespondenten zu unterstreichen. Solange es wichtig ist die Sprache der Region zu verstehen, macht das Internet diese nämlich nicht überflüssig.
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In Dänemark herrschen beneidenswerte Zustände – die Arbeitslosenquote liegt laut statistischen Amt der EU unter vier Prozent und das Pro-Kopf-Einkommen ist auch real erheblich höher als in Deutschland. Kein Wunder also, dass die Jobmesse im süddänischen Kolding 1500 Arbeitssuchende aus Deutschland anzog. Sie alle waren gekommen, weil sie ein Leben mit Job in Dänemark einem Leben ohne Job in Deutschland vorziehen würden.
Das dänische Arbeitsmarktmodell der Flexicurity ist in jüngster Zeit in Deutschland fast täglich in den Medien. Politiker und Wissenschaftler plädieren dafür, das deutsche Arbeitsmarktmodell dem dänischen zumindest teilweise anzugleichen. In Dänemark herrscht die angelsächsiche hire & fire-Mentalität und gleichzeitig können die, die arbeitslos werden, mit relativ hoher Unterstützung rechnen.
Die Beschäftigten haben deshalb wenig Angst tief zu fallen und die Unternehmer zögern nicht mit Neueinstellungen, schließlich müssen sie nicht befürchten, die neuen Mitarbeiter weiterbeschäftigen zu müssen, wenn die Auftragslage nicht mehr ganz so gut ist oder das Mitarbeiterprofil einfach nicht mehr paßt.
Es gibt gute Gründe, dass das Modell in Deutschland häufig diskutiert wird, mein Besuch auf der Jobmesse in Kolding machte aber auch auf andere Probleme in Deutschland aufmerksam. Ich sprach mit einigen arbeitssuchenden Deutschen, die nach Dänemark gereist waren, um sich dort nach einer Stelle umzuschauen. Egal, ob sie aus Bremen, Uelzen oder Neubrandenburg kamen – keiner von ihnen war durch das heimische Arbeitsamt, das jetzt Arbeitsagentur heißt, auf die Messe aufmerksam gemacht worden, sondern alle hatten – dem Klischee vom trägen Arbeitslosen zum Trotz – selbst die Initiative ergriffen. Einem Arbeitslosen aus Bremen hatte die zuständige Beraterin von der Reise gen Norden gar abgeraten – "Da sind Sie doch gar nicht der Typ für", kommentierte sie das Engagement.
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Komme gerade aus Peking zurück, wo DaimlerChrysler am Freitag das erstes Mercedes-Werk in China eröffnet hat, im Detail hier nachzulesen.
Konzernchef und Ex-Werbestar Dieter „Dr. Z.“ Zetsche war extra aus Deutschland eingeflogen und begrüßte die versammelten Arbeiter und Ehrengäste auf Chinesisch. Zetsche bemühte sich, in seiner Rede so oft wie möglich zu betonen, welch großen Beitrag DaimlerChrysler mit der Werkseröffnung zum Aufbau der chinesischen Volkswirtschaft leistet.
Der Pekinger KP-Parteisekretär war gekommen. Es gab chinesische Trommler, Feuerwerk und eine Bühnendarbietung im Stil kommunistischer Propagandafolklore. Das war die Oberfläche.
Nun ist in China bekanntlich vieles anders, und wir alle sind hier nur Gäste. Aber es entbehrt nicht einer gewissen traurigen Komik, wenn man beobachtet, wie deutsche Konzerne versuchen, sich in China wie die besseren Chinesen zu präsentieren.
Für uns Journalisten fängt das fühlbar bei der Informationspolitik an. Es wäre interessant gewesen, zu erfahren, wie DaimlerChrysler mit der Fabrik Geld verdienen will, welche Folgen die neue Luxussteuer von 20 Prozent für den Automarkt hat und welche technologischen Geheimnisse DaimlerChrysler verraten musste, um die Genehmigung für das Joint-Venture-Werk zu bekommen. Doch ein Hintergrundgespräch mit dem Management wurde „aus Zeitmangel“ per SMS abgesagt.
„Sorry, Buddy“, sagte der Pressesprecher, ein sehr amerikanischer Amerikaner und bot alternativ ein Abendessen an, "leider ohne das Management". Chinesische Firmen und Behörden verfahren nach der gleichen Strategie: Beschäftigt die unangenehmen Medienmenschen mit Dauerbanketten und opulenten Saufgelagen, sonst könnten sie aus Langeweile recherchieren.
DaimlerChrysler verhält sich wie die meisten deutschen Firmen. Die Kommunikationschefin von Siemens in Peking ruft grundsätzlich nicht zurück. Wenn man sie in einem seltenen Fall von Glück oder Versehen doch einmal am Telefon erwischt, bemüht sie sich um Informationsverhinderung. Fast alle internationalen Konzerne verteilen bei Pressekonferenzen rote Umschläge mit „taxi money“ an die chinesischen Journalisten, die kritischen Fragen dafür gerne runterschlucken. Der Pressesprecher eines Münchner Halbleiterherstellers hat mich einmal aufgefordert, ihm meinen Artikel vor der Veröffentlichung vorzulegen.
Ich habe den Eindruck, dass das chinesische Verständnis von Presse- und Meinungs- und Informationsfreiheit vielen ausländischen Konzernen gut gefällt. Und nicht nur das. Wenn man in Peking oder Schanghai mit deutschen Unternehmern zusammensitzt und über Politik plaudert, fällt nicht selten der Satz: „Demokratie passt nicht zu China.“ Viele Manager sind zu Freunden der Diktatur geworden.
Westliche Werte gelten den Geschäftsleuten beim Verkauf von Maschinen und Autos in China als geschäftsschädigender Ballast. Als der ehemalige Bundespräsident Johannes Rau bei einer Chinareise vor drei Jahren mit milden Worten die Durchsetzung von Menschenrechten einforderte, klagten die verärgerten Statthalter der deutschen Industrie über den wirtschaftlichen Schaden, den Raus Rede der deutschen Wirtschaft angeblich bereitet habe. Die Firmen zeigen sich lieber als die untertänigen Freunde der Regierung. Ein deutscher Ingenieur soll vor ein paar Jahren sogar versucht haben, Mitglied der Kommunistischen Partei zu werden. Sein Antrag wurde abgelehnt.
Lange hielt sich im Westen die These, dass der Handel mit China das Land langfristig demokratisieren werde. Das kann heute nur noch behauten, wer Gucci-Brillen und Louis-Vuitton-Handtaschen für eine politische Aussage hält. Chinas Wirtschaftsboom, der sich auch auf Außenhandel und Direktinvestitionen stützt, hat die Kommunistische Partei so stark wie nie zuvor gemacht. Statt die Idee der Demokratie nach China zu tragen, sind ausländischen Firmen aus Angst um Marktanteile zu Gehilfen der KP geworden.
Auf Computermessen in Schanghai und Peking preisen amerikanische IT-Konzerne ohne erkennbaren Scham die Vorzüge ihrer Überwachungssysteme für das Internet. Google zensiert sich gleich selbst und Yahoo gibt Nutzerdaten an die chinesische Stasi, und verantwortet damit die Verhaftung des kritischen Journalisten Shi Tao. „Wir müssen die chinesischen Gesetze respektieren“, sagten die Yahoo-Sprecher.
„Jeder hat [das Apartheidsregime in] Südafrika verurteilt, aber jeder kooperiert mit China“, sagt der Dissident Xiao Qiang, der inzwischen in den USA lebt. „Warum sollte China anders behandelt werden?“, fragt auch die Financial Times.
In den USA wird bereits diskutiert, amerikanische Firmen zu bestrafen, die in China zur Verletzung der Menschenrechte beitragen.
China ist anders aber mehr als nur ein Absatzmarkt. Deutschland hat Grundwerte, die bis nach Asien reichen. Wir können sie China nicht aufzwingen. Aber wir dürfen sie auch nicht vergessen. Das gilt besonders im Zeitalter der Globalisierung.
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15 $, genauer: 14 Australische Dollar und 99 Cent kosteten die Bananen gestern in meinem Supermarkt, das gleiche beim Gemüsehöker. 15 $ sind 9 Euro. Und Schuld ist Larry. Larry war der Hurricane, der im März 85 % der Bananenstauden in Queensland vermichtet hat. Und so lange die eben nicht nachgewachsen sind (das dauert 9 Monate, wie für Nachwuchs üblich) sind Bananen teurer als kalifornische Kirschen. Denn Bananen einführen ist verboten. Vor allem weil die Regierung Angst hat, irgendwelche feindfreien Schädlinge könnten gleich mit importiert werden. Also leidet Australien Entzug.
Angeblich essen wir hier 15 Millionen Bananen pro Woche, das war natürlich vor Larry. Als Paul beim Schwimmtraining Dienstag tatsächlich eine dieser 3-Dollar-Stangen aus dem Rucksack zog, starrten ihn alle an, als hätte er in der Eckkneipe Champagner bestellt. Das war die erste geschälte Banane, die ich seit Monaten gesehen habe. Unter uns: Mir ist es Wurst, ich ess auch gern mal Äpfel und Mangos und Birnen und Kiwis. Rundum allerdings nimmt das Gejammer kuriose Formen an. Der Sydney Morning Herald titelte am Wochenende: "Economy slips on banana skin" (Writschaft rutscht auf Bananenschale aus).
Larry, sorry: die Bananen-Preise, so hieß es, seien nebst steigender Benzinpreise Grund für das Elfjahreshoch der Inflationsrate (4 Prozent). Bananen und Benzin sind schuld. Kein Scherz. Sagt die erste Seite der größten Zeitung. Australiens satte Wirtschaft auf dem Weg in die Krise – dank Larry! Mangels Bananen, jawoll.Ps: Paul hat Dienstag eine Rekordzeit geschwommen, 24.2 sec auf 50 M. Wahnsinn. Die Kiwis haben natürlich Samstag im Rugby gewonnen. Überrascht? Ich nicht…
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Spiegel Online berichtete gestern voller Aufregung, dass China einen eigenen Transrapid entwickelt hat, der in der nordostchinesischen Provinzstadt Dalian sogar eine eigene Transrapidstrecke bekommen soll – „noch in diesem Jahr“, hieß es in dem Artikel. Das riecht nach Technologieklau! Der Untergang des Standorts Deutschland.
Der Artikel stützte sich vor allem auf eine Meldung der Nachrichtenagentur AP, die sich wiederum auf eine Meldung aus der staatlichen Zeitung China Daily beruft. Weder die Übersetzer von AP in Deutschland, noch die Redakteure von Spiegel Online hatten sich offenbar die Mühe gemacht, den Artikel in der (englischsprachigen) China Daily auch tatsächlich selbst zu lesen, obwohl das kostenlos im Internet möglich gewesen wäre.
Dort stand sogar in der Überschrift, dass es sich nur um eine Teststrecke handelt. Und es war auch nicht mehr die Rede davon, dass der China-Transrapid landesweit aufgebaut werden soll oder gar in Konkurrenz zu dem deutschen Transrapid stehe, wie es vom Spiegel suggeriert wird.
Die Angst, dass die Chinesen uns den Transrapid klauen könnten, ist in Deutschland weit verbreitet, wie diese schnelle Google-Suche beweist. Und regelmäßig nutzen Medien und Politiker das Thema zur billigen Stimmungsmache.
Liebe Kollegen von Spiegel Online, etwas mehr Sorgfalt bitte!