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Als die Hippies vor der Flut flohen

Eigentlich hätte ich darüber vor einem Monat schreiben sollen. Aber ich urlaubte im Schnee der Schweiz und bestaunte am Bahnhof von St. Moritz die Damen mit Pelzstiefelchen, Lurex-Leggings und Silikon-Fischlippen, die direkt aus Moskau eingeflogen waren. Währenddessen traf man sich 18.000 Kilometer entfernt in meiner neuen Heimat zum Rainbow Gathering. Das Festival ist schon 37 und damit älter als die meisten, die dort per Anhalter hinpilgern. Ein Weltereignis, erstmals in Aotearoa, mitten in der Wildnis, vom schnöden Mainstream ignoriert.

Der Anblick von zigtausend Hippies in Dreadlocks und gebatikten Hanfhosen kann genauso verstören wie der reiche Russki-Export im Revier von Gunter Sachs. Aber auf einen Kräutertee vorbeigeschaut hätte ich schon mal gerne, allein aus anthropologischen Gründen. Auf dem Bahnhof von St. Moritz habe ich ja auch nur ein kleines Weilchen rumgestanden. Besuche in Menschenzoos sollte man so kurz wie möglich halten.  

So habe ich es also verpasst, das legendäre Fest der kommerzfreien, gewaltfreien, medienfreien, toilettenfreien, vegetarischen, jonglierenden, trommelnden, tätowierten, meditierenden, sich an den Händen haltenden und „Ommm“ singenden Gemeinschaft Gleichgesinnter. Aber nach und nach tröpfeln die Informationen bei mir ein. Sie umwabern mich wie der Rauch des Lagerfeuers, an dem meine Freundin Raven Abend für Abend glücklich bekifft saß. Eigentlich heißt sie Tracey, aber „Rabe“ ist seit dem Rainbow Gathering in Thailand ihr Stammesname. Schließlich standen die Hopi-Indianer Pate für die „größte Nicht-Organisation von Nicht-Mitgliedern der Welt“.

Schauerlich-Schönes kommt mir da zu Ohren. Zum Beispiel vom Mann mit der Axt – für einen Kiwi kein untypisches Accessoire –, in dessen Gegenwart sich einige Regenbogen-Frauen nicht mehr sicher fühlten. Die Polizei rückte an. Ein Helikopter kam. Dann kam der Regen. Dann die Flut. Das Camp lag in Bruce Bay, am Black River südlich der Gletscher, und in etwa so gut zu erreichen wie der mittlere Amazonas. Der Maori-Name des Flusses bedeutet „Steigendes Wasser“, aber das wussten die Nicht-Organisatoren aus aller Welt sicher nicht.

Als der Fluss über die Ufer trat, brach man die Tipis ab und floh Richtung Norden. Ein erboster Jäger stellte die Nachricht ins Netz: „Kommt ihr Muppets zurück nach Bruce Bay und räumt die Schweinerei weg, die ihr hinterlassen habt?  Die Wildnis ist keine verfickte Müllhalde!“ Auch Raven war etwas desillusioniert, nicht nur von den „Spähern“, denen sie ihr Auto lieh und die es irgendwo ramponiert stehen ließen. Zur Halbzeit schloss sie sich den „Piraten“ an, die anfingen, aus Rebellion Fleisch zu kochen.

Ach, es gäbe noch so viel zu berichten. Gestern hörte ich von der Hochschwangeren aus Deutschland, die sich auf dem Festival vier Wochen nur im Matsch suhlte. Sie war nach Neuseeland gekommen, um im Meer mit den Delfinen zu entbinden. Er lebt noch, der alte Menschheitstraum, und wenn ich nicht gerade wieder Ski fahre, dann bin ich dabei.

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