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Architekt und Vagabund

Gestern beim Architekten Hiroshi Hara in Shibuya. Ich zwänge mich in das Studio des 73-jährigen wie in eins der altertümlichen Dörfer, die er seit dreissig Jahren auf allen Kontinenten durchforscht.  Eng wie die Strassen der Steinfestung von Hajjarah in Yemen ist der Eingangsschacht. Ruhe und Geborgenheit folgen, erinnern an die chinesische Erdfestung Tian Luo Keng. Hier hält sich  Hara einen Privatdschungel, eine kleine verwilderte Herzkammer, die er vor sich hinpumpen lässt, als wollte er der Natur all das zurückgeben, was er ihr über die Jahrzehnte in Japan amputiert und abgewürgt hatte – mit Wolkenkratzern, Sportstadien und Bahnstationen.

Hara sitzt am Schreibtisch. Zwischen uns ein Schlachtfeld aus Skizzen, Bleistiften und Büchern. Er zündet sich eine Zigarette an und der Rauch klettert seine weissen Haare hoch, verleiht ihm die Würde eines Jetztzeit-Schamanen – oder eines gut gereiften Hollywood Stars. An der Wand hängt eine kleine Arbeit von seinem Freund Christo. Der wollte ursprünglich was viel Grösseres verpacken: Haras Umeda Sky Building in Osaka, samt 40-stöckigen Zwillingstürmen. Das notwendige Geld liess sich nicht auftreiben, und so verschnürte Christo einfach Haras Telefon.

Ich zeige dem Japaner neue Fotos von Raiding im Burgenland, Geburtsort von Franz Liszt. Auch Hara will dort bis 2011 – zum 200. Geburtstag des Komponisten – einen kleinen experimentellen Bau gestalten. „Vielleicht nenne ich ihn Pollenhaus,“ sagt er und zeigt mir mikroskopische Ansichten von einem Blütenstaub, der Jahrhunderte überlebt hat. „Pollen treibt dahin, um die Welt, lässt sich nieder, wartet, und dann wird irgendwann was aus ihm, eine Form, eine Farbe, die wir vielleicht schon längst vergessen haben.“ Zusammen mit  Hara wollen sich auch andere japanische Architekten am Raiding Projekt beteiligen: Kengo Kuma zum Beispiel, Jun Aoki, Terunobu Fujimori und Kazuyo Sejima.

 Immer noch amüsiert sich Hara darüber, dass er – ein Kinder der 60er Jahre – in Japan gigantomanische Bauten verwirklichen durfte, die Kyoto Station zum Beispiel oder den Sapporo Dome. Aber ein Nomade, ein Dritte-Welt-Vagabund ist er trotzdem geblieben. Sein Herumreisen hat nur bestätigt, was er immer schon geahnt hat: wenn heutzutage eine Metropole versagt, dann deshalb, weil das Wissen um antike Dorfstrukturen ignoriert wurde. Und so tun ihm nun auch einige seiner eigenen Bauten leid. „Heute würde ich nicht mehr zulassen, dass die Kyoto Station die Stadt zerteilt!“ Über die Amerikaner kann der Schamane nur lachen. In den 50er Jahren, als ihre Spionagesatelliten die 700 Jahre alten Strukturen des Tian Luo Keng fotografierten, erkannte der CIA eindeutig chinesische Atomreaktoren.

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