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Seitdem ich in Rom arbeite, stehe ich morgens auf, wie zu Schulzeiten: Spätestens um halb sieben Uhr. Der Grund: Alles, was zumindest ein gutes Dutzend Gehirnzellen in Anspruch nimmt, muss dringend erledigt sein, bevor der Pranzo und dessen Folgen mich bis in den Abend hinein in einen Dämmerzustand versetzen.
Der Pranzo ist das ganz normale römische Mittagessen, ein mehrgängiges Mahl mit garantieren Risiken und Nebenwirkungen: Nach seinem Genuß folgt der Verlust aller Konzentrationsfähigkeit, dann Müdigkeit und Schläfrigkeit, schließlich die sichere Frage: „Was mach ich hier?“ die dann mit „es geht nicht mehr“ und einem sofortigen Mittagsschlaf auf dem Schreibtisch oder auf dem Bürosofa beantwortet werden muss.
Erst vor einigen Tagen suchte ich Rat bei einem italienischen Kollegen, man hätte das gut am Telefon besprechen können. Natürlich schlug er vor: „Morgen Pranzo?“. Ich seufzte. In Rom kann man nichts besprechen ohne eine Tasse oder einen Teller vor der Nase. Ich sagte zu. Um halb zwei trafen wir uns in einer Trattoria „Enoteca Corsi“ im römischen Zentrum. „Zu trinken?“ fragte der Ober, der Kollege kam mir zuvor: „Einen halben Liter Weißen.“ (In Rom trinkt man zu jedem Essen außer dem Frühstück Wein). Der Wein verringerte die Gegenwehr gegen alle weiteren Vorschläge des Kellners. Antipasti? „Si!“, „Primo?“ „Si!“. Bei „Secondo?“ schüttelte ich zunächst den Kopf („Ne echt, ich muss noch arbeiten“), ließ mich aber dann doch überreden. Das Tiramisu wehrte ich aber tapfer ab, ich wollte mir zumindest noch geringe Chancen auf erfolgreiche Nachmittagsarbeit erhalten. So bestellte ich auch noch einen doppelten Espresso. Doch ich ahnte: Was werden die vielleicht zwei Dutzend vom Espresso aufgeputschten Körperzellen ausrichten können, gegen Millionen andere, die „wir wollen schlafen!“ skandieren?
Genau nichts. Zurück vom Pranzo am Schreibtisch tat ich zunächst ganz munter, stützte dann den Kopf auf, der Arm rutsche weg, bald lag mein Kopf dösend auf der Platte. Es gibt keinen sichereren Beleg dafür, wie wenig die Römer von heute mit den Römern der Antike zu tun haben, als die heutige, konsequente Missachtung des altrömischen Satzes „Plenus venter non studet libenter“, „Voller Bauch studiert nicht gern.“
Natürlich liegt der Vorschlag nahe, einfach weniger zu essen, wenn man zum Pranzo verabredet ist.
Aber er ist schrecklich unrealistisch.
Wer würde schon lange den Kopf schütteln können, wenn der Kellner im römischen Sing-Sang auflistet: „Also was haben wir denn Schönes….wir haben Saltimbocca alla Romana, Lasagne al forno, Mini-Schweieschnitzel mit Zitronensoße……frische Dorade vom Grill……Rinderfilet mit grünem Pfeffer….“
Eben.
Dann doch lieber morgens früher Aufstehen. Und mittags schlafen.