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Endlich darf gemeckert werden

Auf der linken Seite fahren? Das hat man als Tourist nach sieben Tagen raus. Nicht mehr meckern dürfen? Das habe ich als Einwanderin nach sieben Jahren noch nicht perfekt drauf. Aber ich arbeite daran. Es ist ein Kreuz mit der ewigen Nettigkeit. Ich schleppe es tapfer herum und beiße mir nur noch einmal täglich auf die Zunge. Die ist längst so vernarbt wie mein Rücken. Immigrantenwunden, die langsam heilen, zeugen von einem zähen Kampf: Unterdrück ihn, den Unmut! Bezwing sie, die Empörung!  Nieder mit dem Nörgeldrang!

Schreib keine Leserbriefe. Lobe alles und jeden, oder schweig. Sag nicht „Der Fisch war trocken, es hat eine Stunde gedauert, und das bei den Preisen“, wenn die Kellnerin dich fragt, ob’s geschmeckt hat. Sondern nicke und lächle. Ich habe es gelernt – mittlerweile so gut, dass ich es kaum ertragen kann, mit frisch eingeflogenen Landsleuten in einem Restaurant zu sitzen, da sie nach jeder Bestellung das Wörtchen „please“ vergessen und sich darüber auslassen, wie kalt doch das Wetter/verregnet die Fjorde/schlecht gekleidet die Frauen sind.

Da sind wir Deutschneuseeländer – kurz Schneuseeländer – empfindlich. Immerhin haben wir uns im Griff, auch wenn es bei manchen von uns länger gedauert hat. Nie würde ich mehr auf die Idee kommen, nach einem Film einfach meine kritische Meinung kundzutun. Selbst wenn man mich fragt, warte ich erst mal vorsichtig ab, wie weit sich jemand mit einem diplomatischen „Nun, es war vielleicht nicht so ganz mein Ding…“ oder zweideutigen „very interesting“ (was nicht unbedingt „interessant“ heißt) hervor wagt. Zu viele Fettnäpfchen säumen meinen Weg ins Auswandererparadies. Ich bin jetzt Kiwi und halte mich zurück.

Nur manchmal noch erlaube ich mir kleine Ausrutscher: Am Telefon gegenüber Behörden, Firmen und Versicherungen. Da werde ich dann pampig, fordernd, mäkelig, mache andere zur Schnecke, weiß alles besser, echauffiere mich. Immer in der Hoffnung, dass niemand meinen Namen und Akzent klar einordnen kann. Ich will das ramponierte Image der Deutschen nicht noch weiter ruinieren. Aber irgendwo muss sie ja ab und zu raus, die teutonische Galle. So habe ich mich arrangiert und durch die Jahre der Immigration gehangelt. Als Preis winkte die neuseeländische Staatsbürgerschaft.

Und jetzt soll all die Anstrengung für die Katz gewesen sein? Ich schlage die Beilage meiner Sonntagszeitung auf und bin fassungslos. Zwölf Autoren lassen sich darüber aus, was sie alles nicht mögen. Zwölf von vier Millionen dürfen ungestraft meckern – über den schlechten Service und die pappigen Muffins in Szene-Cafés, über Vordrängler in Schlangen, über ihren Chef, über Leute, die Leute verspotten, die das Apostroph nicht richtig setzen können. Ein ganz Mutiger pinkelt sogar gegen den heiligen Gral kiwianischer Freizeitkultur und spricht sich offen von der Seele, was er kaum erträgt: Kostümpartys, in all ihrer Schrecklichkeit. Ich lese seine Zeilen, grün vor Neid. Hätte ich das jemals gewagt – ich säße in Abschiebehaft.

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