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Kostbare Geschenke

Es war eine verheißungsvolle Aufschrift: „Gift of Music“, Musikgeschenk, stand auf dem Briefumschlag. Er kam vom Orchestra of St. Luke’s, einem New Yorker Klassikensemble. Ich kannte es, denn der beste Ehemann aller Zeiten hatte in der vergangenen Saison eine Konzertreihe von St. Luke’s gebucht. Offenbar wollten sich die Musiker für unsere Treue bedanken – und wie vornehm! Eine silbrige Klappkarte samt Pergamenteinlage lud zum Dinnerkonzert am 6. Mai im distinguierten Plaza Hotel ein. „Honorary Chairmen: Renée Fleming, Plácido Domingo“. Oha. Ich versuchte mich zu erinnern, was unsere Plätze gekostet hatten, dass wir so ein Dankeschön verdienten. Nun, warum nicht… ich sah mich im Zwiegespräch mit den Opernstars, die Vor- und Nachteile der Met erörternd… Dann entdeckte ich die Zahl. Ich machte die Augen zu und machte sie wieder auf. Die Zahl stand immer noch da: $75,000.

Wie hatte ich nur annehmen können, dass uns in New York jemand etwas schenken würde? Natürlich sollten wir etwas geben, zu Gunsten des Orchesters, das vor zwei Jahren eine eigene Spielstätte in Manhattan bezogen hat. Es handelte sich um einen klassischen Fundraiser: Damit das Spenden leichter fällt, ist es mit einer Gegenleistung verbunden, in diesem Fall ein Konzert in prominenter Gesellschaft. So etwas ist in den USA gang und gäbe und nicht nur eine sympathische, sondern auch eine notwendige Sitte, weil sich der Staat wenig an der Finanzierung von Kultur beteiligt. Die Großzügigkeit, mit der Amerikaner spenden, ist ziemlich ansteckend.

Ein „Chairman’s Challenge Table“ für 75 000 Dollar übersteigt überraschenderweise das Budget deutscher Journalisten, aber im Laufe der Jahre haben wir uns zu allerlei Mitgliedschaften und Dauerspenden verpflichtet. Unter anderem sind wir Freunde der Carnegie Hall, des Prospect Parks und des Brooklyn Botanical Gardens. Wir unterstützen den Klassikradiosender WQXR und das Museum of Modern Art, stiften Konserven für die Obdachlosenhilfe CHIPS und nehmen an der jährlichen „Thanks for Sharing“-Aktion von Macy’s teil. Vergangene Woche sind wir spontan dem Cinema Club des BAM beigetreten, einer unabhängigen Kultureinrichtung. Es war eine einmalige Gelegenheit, denn im Rahmen einer Sonderaktion wurden 13 Dollar, der Preis einer Kinokarte, von den 130 Dollar Jahresgebühr abgezogen. Wir haben also richtig gespart.

Gute Taten werden belohnt. Das Klassikradio sandte uns ein Poster, das zu „Beethoven Awareness“ aufruft. Der Prospect Park lädt zum Fledermausgucken ein und die Carnegie Hall zu einer kostenlosen Führung. Und man kriegt Restkarten zum Sonderpreis, was einen dazu verleitet, noch mehr Konzerte zu besuchen und sich der Institution noch stärker verbunden zu fühlen, so dass man vielleicht vom Friend (100 Dollar im Jahr) zum Fellow (150 Dollar) aufsteigen möchte oder sogar zum Associate (300) oder Sustainer (900).

In dieser Woche kam Post vom Orchestra Underground. Es vertont Komponisten der Gegenwart und feiert im Mai sein zehnjähriges Bestehen – natürlich mit einem Fundraiser. Die Veranstaltung war ordentlich als „Spring Benefit“ gekennzeichnet, Missverständnisse konnten nicht aufkommen. Das war mir sympathisch. Und ich dachte, dass es die Musiker mit den schrägen Stücken, die sie spielen, wahrscheinlich ziemlich schwer haben. Mitleidig fischte ich die Antwortkarte heraus. Ich studierte die Alternativen: „Leader Table at $10,000“, „Table at $5000“, „Tickets at $500“. Wie schön, dass zeitgenössische Tonkunst so potente Verehrer hat. Auf mich müssen die Musikanten diesmal verzichten.

Fotos (2): Richard Ten Dyke; Orchestra of St Luke’s

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