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New Yorker Frühling

Flip-Flops im April? Das ist krass, selbst für New York. Aber nicht in diesem Jahr. Schon Ostern liefen hier viele Leute in Sommerkleidung herum – Shorts oder Minirock, kurzärmliges T-Shirt. Und zeigten eben Flip Flops, die hier so selbstverständlich auf der Straße getragen werden wie in Deutschland in der Badeanstalt. Okay, tatsächlich stand das Thermometer für ein oder zwei Tage auf 29 Grad. Ansonsten war es sonnig, aber kühl. Ich fand es kalt. Zog Übergangsjacke an und Lederstiefel.

Trotzdem ist der Frühling in diesem Jahr unzweifelhaft früh dran. Zu früh! Der Dogwood-Baum vor unserer Haustür blüht einen geschlagenen Monat eher als üblich. Ich traute meinen Augen kaum, als ich vergangene Woche Eastern Carpenter Bees im Hinterhof herumfliegen sah – Riesenbienen, die aussehen wie große Hummeln. Nach meiner Erinnerung lassen sie sich sonst frühestens Ende Mai blicken. Und als ich bei Facebook mein Profilbild austauschte, auf dem ich samt Pflanzen auf dem Treppenabsatz zu sehen bin, fragte ein deutscher Freund und Kollege entgeistert, ob ich wirklich schon den Oleander rausgestellt hätte. Ja, habe ich.

Bei den japanischstämmigen New Yorkern gerät der Terminplan aus dem Ruder, weil die Kirschblüte viel zu früh begonnen hat, mindestens zwei Wochen. Dabei ist Hanami, das Fest zur Feier der Kirschblüte, ein wichtiger Anlass. Man trifft sich mit Freunden und Verwandten im Brooklyn Botanical Garden und fotografiert sich gegenseitig vor den wunderschönen Blüten. Die Fotos auf dieser Seite entstanden bereits Mitte April, aber das offizielle Sakura Matsuri Festival ist auf Ende April terminiert. Da werden die meisten Bäume bereits verblüht sein.

Dieses Wochenende hat das Thermometer einen Satz nach unten gemacht. Es herrschen 11 bis 12 Grad Celsius und es regnet. Die Carpenter Bees haben sich verkrochen und unser Vermieter hat die Heizung aufgedreht. Allerdings tragen, wie man in der U-Bahn sieht, ein paar Hartgesottene weiterhin Flipflops. Sie haben einen unschlagbaren Vorteil: Sie sind billig. Und sehr viele New Yorker sind arm.

Fotos: Nikolaus Piper (1), Christine Mattauch (3)

 

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Vier First Ladies

„Verwitwet, geschieden, verheiratet und verlobt – unser Präsident ist all das gleichzeitig!“ twittert ein Südafrikaner. Selbst Hugh Hefner würde da vor Neid erblassen, schreibt ein Kolumnist. Jacob Zuma sei die Elisabeth Taylor unter den Staatspräsidenten. Doch angesichts der präsidialen Hochzeit Nr.6 an diesem Wochenende sind nicht alle am Kap der guten Hoffnung zum Scherzen aufgelegt. Polygamie ist in Südafrika zwar legal, doch langsam stößt die Nation an ihre Toleranzgrenze. Präsident Zuma heiratet zum dritten Mal in vier Jahren. Das Land hat nun also vier First Ladies. Getreu nach seinem Motto: „Viele Politiker haben Geliebte und tun nur so als seien sie monogam. Ich bin lieber offen. Ich liebe alle meine Frauen und Kinder.“

Es ist ein protokollarischer Alptraum: Zuma nimmt mal die eine, mal die andere mit zu Staatsbesuchen ins Ausland, zu offiziellen Veranstaltungen in seiner Heimat gern auch alle seine Ehefrauen. Viele Südafrikaner finden das einfach nur peinlich oder unmoralisch. Andere fragen sich, wer die ständig wachsende Präsidentenfamilie, denn zu den vier Frauen kommen noch mindestens 20 Kinder, finanzieren soll. Da hilft auch die Beschwichtigung des Präsidialamtes nicht, Zuma würde seine Hochzeit natürlich aus eigener Tasche bezahlen und seine Frauen wohnten allesamt in Privathäusern. Denn alle wissen: Der Steuerzahler muss trotzdem für Sekretariate, Sicherheitsleute und Reisen der First Ladies aufkommen.

Jacob Zuma selbst kratzt das alles nicht. Auf die Frage, ob dies denn nun seine letzte Hochzeit sei, antwortete er schmunzelnd: „Ja, wahrscheinlich.“ Skepsis ist angebracht, schließlich bleibt der polygame Präsident noch bis 2014 im Amt, Zeit für mindestens zwei weitere Hochzeiten wäre also noch. Verlobt ist er bereits, First Lady Nr.5 steht schon in den Startlöchern.

 

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Kriminalpolizisten und Möbelschreiner

Liebe Leser,

wenn Sie des Russischen kundig sind, empfehle ich Ihnen Jewgeni Roismans Blog http://roizman.livejournal.com/1353580.html

Roisman, Geschäftsmann und Bürgerrechtler, leitet in Jekaterinburg die Stiftung „Stadt ohne Drogen“, der Mann hat Courage, gute Informationen und ein literarisches Gefühl für die Wirklichkeit. Unten die Übersetzugn seines Blocks für alle, die kein Russisch können, aber mehr über die Regeln des russischen Behördenalltags erfahren möchten.

 

Polizei

Die Kriminalpolizei unserer Stadt hat einen neuen Chef. Einen Major, aus Moskau. Einen Mann der Tat, mit eisernem Griff. Als erstes fuhr er in sein neues Büro, schaute sich um, organisierte eine Schönheitsrenovierung. Und sagte zum Oberstleutnant, der ihm unterstellt ist, einen bekannten und verdienstvollen Ermittler: „Ich bräuchte noch ein Sofa, was Ordentliches.“

Wirklich, was ist ein Kripochef ohne Sofa? Das geht nicht! Wie soll der denn arbeiten? Versuchen Sie es mal ohne Sofa, dann will ich mal hören, was Sie sagen!…

Sein Oberstleutnant schlug vor: „Bestellen Sie doch eins. Bei Ikea gibt es welche.“

Aber der Mann aus Moskau senkte verschämt den Blick und sagte: „Nein, bestellen kann doch jeder!“

Und der Oberstleutnant antwortete: „Ach so, Sie brauchen eins als Geschenk!“

„Richtig!“, freute sich der Major.

An der Schefskaja gibt es eine Möbelwerkstatt, wo ein paar Männer in Handarbeit Sofas bauen. Und sie kennen den Oberstleutnant. Der gilt als ordentlicher Kerl, einer ohne Eigennutz, der vielen Leuten geholfen hat.

Er rief die Schreiner an: „Männer, könnt ihr mir helfen? Wir haben einen neuen Kripo-Chef. Er lebt sich gerade ein. Scheint ein ordentlicher Kerl zu sein. Wir bräuchten ein Sofa für sein Büro, etwas  Vernünftiges, bloß nicht zu teuer…“

„Kein Problem“, antworteten die Handwerker, „für den Kripochef machen wir das, ist doch Ehrensache. Erst recht, wenn er ein ordentlicher Kerl ist.“

Gesagt, getan. Der Oberstleutnant ging zu seinen Chef: „Das Sofa ist fertig, haben Sie jemand, der es abholt?“

Und Major Babakin, der Chef der Kriminalpolizei von Jekaterinburg, rief eine komische Figur herbei. Einen gewissen Maxim Abelbaum, den er aus Moskau mitgebracht und in seinem Haus an der Karl Marx-Strasse in der Nachbarwohnung einquartiert hatte: „Fahr da mal hin und hol den Diwan!“

Abelbaum fuhr hin. Holte das Sofa ab. Schaute sich die Werkstatt an. Bedankte sich bei den Männern. Und lieferte das Sofa bei seinem Chef ab. Dem Chef gefiel das Sofa. Und ihm kam der Gedanke, dass sich solche Möbel wohl gut verkaufen.

Abelbaum fuhr wieder in die Werkstatt an der Schefskaja. Die Männer begrüßten ihn erfreut: „Na, was hat dein Chef gesagt? Gefällt ihm der Diwan?“

„Mein Chef hat gesagt, wir sollen über Geld reden.“

„Mann, hör auf“, sagten die Schreiner, „das war doch ein Geschenk. Wir nehmen von euch kein Geld.“

„Ihr Deppen, ihr rafft es wohl nicht“, antwortete Abelbaum. „Wir wollen Geld von euch. Ihr werdet jeden Monat zahlen. Ich nehme das Geld persönlich in Empfang.“

Soweit diese Geschichte.

Wenn jemand Fakten braucht, es gibt Zeugen, die bereit sind, auszusagen. Und der Diwan steht im Polizeipräsidium von Jekaterinburg beim Chef der Kriminalpolizei. Zimmer 301.

Abelbaum ist übrigens ein Deckname. Den hat sein Besitzer offenbar noch von der Moskauer Polizei bekamen. In Wirklichkeit heißt er Maxim Walerewitsch Kakukin, geboren 1974, in Wolokolamsk. In Gangsterkreisen wird er „Monja“ genannt.

(Damit endet Roismans Blog.)

 

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“Ein Tag der Freude”

Der Holocaust Gedenktag sollte als “Tag der Freude” gefeiert werden, fordert Yoram Kaniuk, der Schriftsteller und Querdenker, am heutigen Yom haShoah in der Zeitung “Haaretz”. Und begründet diese Provokation damit, dass “zehntausende Menschen die Shoah überlebten, zum Leben zurückkehrten, Kinder und Enkel großzogen.” Kaniuk hier gedanklich zu folgen, tut weh. Weil er die Trauer über die millionenfachen Qualen und das unfassbare millionenfache Hingeschlachtet-Werden der europäischen Juden der Freude über das Überleben der wenigen Tausend nachordnen will. “Macht aus dem Holocaust Gedenktag einen Tag der Helden”, appelliert er. Nicht um den Preis der Trauer, die in jeder israelischen Familie mit europäischen Wurzeln lebe. Sondern, um dem Leben die Ehre zu geben, so wie es dem Judentum entspreche.

Anders dagegen klang, was Benjamin Netanjahu gestern Abend beim offiziellen Staatsakt zum Gedenken an die Opfer des Holocaust in Yad Vashem zu Protokoll gegeben hat: “Am Holocaust Gedenktag müssen wir unserer heiligsten Pflicht nachkommen”, sagte Netanjahu. “Und die besteht nicht nur in der Erinnerung an das Vergangene, sondern sie verpflichtet uns dazu, Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen und sie auf die Gegenwart anzuwenden, um die Zukunft unseres Volkes zu sichern.” Die Existenz Israels werde heute von einem atomwaffenfähigen Iran bedroht. Aber heute habe Israel eine Armee, fuhr Netanjahu fort. “Wir haben die Fähigkeit, Verpflichtung und Entschlossenheit, uns zu verteidigen.” Im Zweifel auch alleine gegen den Rest der Welt. So klang es zwischen den Zeilen aus der Rede Netanjahus.

Der israelische Ministerpräsident scheint gefangen in einer Gedankenwelt, die von der Angst beherrscht wird. Die nur den scharfen Kontrast zwischen dem “Wir” und den “Anderen” kennt. Seine Rhetorik stilisiert Israel und das jüdische Volk als Ganzes zu einer Entität, die mit nichts und niemandem wirklich und verlässlich verbunden ist. Auch1967 schon hätten die Israelis ihrem Feind alleine gegenübergestanden, sagte Netanjahu gestern. “Das israelische Volk ist nicht in Panik verfallen, sondern hat gemeinsam den Gefahren die Stirn geboten. Wir waren nicht von Furcht paralysiert, sondern haben getan, was notwendig war, um uns selbst zu verteidigen.”

Was bedeutet das, wenn wir es auf die Gegenwart übertragen? Netanjahu versuchte gestern seiner Hörerschaft zu insinuieren, dass Israel schon wieder und einmal mehr in seiner Geschichte einer existenziellen Bedrohung allein und verlassen von allen Freunden gegenübersteht. Aber diese Verlassenheit Israels und des jüdischen Volkes ist heute eine bloße Behauptung. Eine gefährliche noch dazu. Sie ist gewissermaßen eine Gegenwartsklitterung. Und sie hält der Wirklichkeit nicht stand. Glücklicherweise. Aber sie wird konstruiert, um den Unilateralismus der israelischen Politik zu legitimieren.

Vielleicht ist aber Eines aus Yoram Kaniuks Kommentar in der heutigen Ausgabe von “Haaretz” doch konsensfähig: Nämlich die eindringliche Warnung mit der er – die gestrige Rede Netanjahus gleichsam antizipierend – geradezu flehentlich ausruft: “Lasst nicht zu, dass der Holocaust als politische Waffe benutzt wird!”

Hier noch ein Video von der Dizengoff Straße in Tel Aviv im Moment der Sirene zum Gedenken an die Opfer der Shoah: http://www.youtube.com/watch?v=vEZjssVhRGA&feature=youtu.be

 

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Schiebt Harald Schmidt nach Neuseeland ab!

Letztens durfte ich den gerade 70 gewordenen Richard O’Brien interviewen. Für alle, die unter 30 sind: Er spielte einst den buckligen Butler Riff Raff in der Rocky Horror Picture Show – ein Film, den jeder, der bereits über 40 ist, im Laufe einer anständigen Jugend mindestens sechs mal gesehen haben musste. O’Brien ist ein feiner, kleiner Mann, der gerne Frauenkleider trägt und es nicht besonders schätzt, wenn man Reis auf seinen kahlen Schädel schmeißt. Denn das tut weh auf nackter Haut.
Der Schauspieler und Entertainer lebt auf seine alten, aber noch sehr agilen Tage zur Hälfte in Neuseeland. Was nicht im Interview stand, aber ihn mir so ans Herz wachsen ließ: Dieser kluge Geist mit spitzer Zunge lobte seine Zweitheimat, weil man dort nicht so brutal schlagfertig sein müsse wie andernorts, zum Beispiel in London oder L.A.. Neuseeland sei eine Oase für Menschen, die nicht immer gleich verbal punkten und andere runter machen wollen. Ein Auffangbecken für Anti-Sarkasten. Ein Pflasterstrand der Milde und Zurückhaltung. Und da machte es plötzlich alles Sinn: Harald Schmidt muss zu uns auswandern. Er braucht diese mentale Ruhe. Den Sanftmut.
Viel bekomme ich ja aus dem deutschen Show-Sumpf nicht mehr mit. Aber dass die einstige Lichtgestalt der Late-Night-Show beim Bällchensender nur noch Zoten statt Quoten bringt, hat sich sogar bis hier hin rumgesprochen. Wie gesagt, Zufälle gibt es nicht – es ist alles Teil eines großen Masterplans. Denn Neuseeland und Schmidt, das ist eine lange Geschichte. Vor ziemlich genau zehn Jahren versuchte Harald Schmidt sich in seiner Sendung am Neuseeland-Quiz. Zu gewinnen gab’s eine Flasche Schampus.
Manuel Andrack fragte, seit wann es in Neuseeland das Frauenwahlrecht gäbe. Helmut Zerlett tippte auf „seit 20 Jahren“, Harald Schmidt war präziser: „Seit 1985“. Andrack machte ein entsetztes Gesicht – als Redaktionsstreber wusste er natürlich, dass Neuseeland als erstes Land der Welt seit 1893 Frauen zur Urne lässt. Worauf Schmidt noch einen nachschob: „Na, das ist doch nicht so eine degenerierte Nation wie wir hier!“ Damit fing’s wohl an.
Zwei Jahre später gönnte sich der Talker eine lange Auszeit. Er setzte sich auf die ‚MS Europa‘ und kreuzte durch die Südsee, Zwischenstopp Aotearoa. Mit an Bord war Caroline Beil, aber das schien die Traumreise nicht zu schmälern. Der ‚Zeit‘ schwärmte Schmidt dann später vor: „Das ist für mich das Land der Zukunft!“ Sensationelle Landschaft, stellte er fest, tolle Restaurants, wenig Menschen, und der Direktflug von 23 Stunden dauert „im Grunde auch nicht länger als Köln-Gran Canaria mit Koffer weg“. Besonders schätzte er den „leichten, sympathischen Minderwertigkeitskomplex gegenüber Australien.“
Die ‚Zeit‘ hakte nach, ob er sich dort vielleicht ein Haus kaufen wolle, für den Alterssitz. „Ja, aber es wäre noch zu früh gewesen, um mich vollständig zu verabschieden.“ Ha! Das waren noch Zeiten. Jetzt ist es höchste Eisenbahn, sich zu verabschieden. Riff Raff wartet schon.

 

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Ohne Zeitmaschine zurück ins Hippie-Zeitalter

Ich bin noch nichtmal ganz im Restaurant, da begrüßt mich ein grauhaariger Lockenkopf in ausgewaschenem Sweatshirt und zerrissenen Jeans mit freundlichstem Lächeln und einer weit ausholenden Geste, die mir bedeutet, ich solle mich neben ihn an die Bar setzen. Aus den Lautsprechern klingt Carly Simons’ “You’re so vain”. Über den Tischen neben der Bar hängen bunte Kunstwerke, ein Surfbrett und eine US-Flagge mit Friedenszeichen über den blau-weißen Streifen. Zwischen den Tischen laufen wedelnd Hunde herum. Die Gäste begrüßen sich mit heftigen Umarmungen und großem Hallo als hätten sie sich Ewigkeiten nicht gesehen. Es stellt sich heraus, dass sie sich andauernd über den Weg laufen, sie sind alle Nachbarn in Topanga, einer Gemeinde nur wenige Kilometer entfernt von Los Angeles mitten in den Bergen. Hier ist die Zeit in den späten 60 ern stehen geblieben. Topanga Canyon war damals DER Ort für Musiker. Im Topanga Corral spielten Joni Mitchell, Bob Dylan, Jim Morrison und George Harrison. Canned Heat war die Houseband und Neil Young besass ein Haus am Fluß. Während ich meinen  Cafe au Lait trinke höre ich Geschichten von Nächten, in denen sich die Bewohner zugekifft in die Wiesen legten und UFOs beobachteten nur um später festzustellen, dass die Raumschiffe mit Außerirdischen über LAX kreisende Flugzeuge waren. Pat, der Besitzer des Restaurants empfiehlt, den Dichter zu besuchen, der mit Hilfe eines Joints noch immer sein 60 Strophen langes Topanga-Gedicht von 1970 aufsagen kann. Oder die Chakra-Expertin, die alles über magnetische Felder unter der Region weiß. Ich könnte mich auch auf die Suche nach Uschi Obermaier machen. Die Kommune-1-Ikone entwirft hier oben ihre Schmuckkollektion.

Alle Gespräche über Topanga führen irgendwann zu wortreichen Versuchen, den ‘Vibe’, die ‘Energie’, die ‘Community’ hier zu beschreiben. Karen ist vor einem Monat aus Los Angeles  in die Berge gezogen. Hier kann die Hauverwalterin besser meditieren, findet optimalen Zugang zu ihrer spirituellen Seite und atmet endlich wieder richtig durch. Der Sweatshirt-Träger, der mich so überschwänglich an die Bar gebeten hat, ist Filmproduzent. Philip kam zum ersten Mal 1969 nach Topanga und hat sich vor fünf Jahren endlich ein Haus hier gekauft mit traumhafter Ausicht auf Berge und Pazifik. “Ich bin mein Leben lang durch die Welt gereist und habe nach dem perfekten Ort zum Leben gesucht,” erzählt er. “Dabei war er direkt vor meiner Nase, nur zehn Kilometer entfernt von Downtown Los Angeles!”

Pat ist bis heute für die Warnung seiner Mutter dankbar. Kaum war die Familie 1964 in Los Angeles angekommen sagte die: “Geh blos nicht nach Topanga! Da sind lauter zugedröhnte Nichtsnutze mit langem Haar!” Pat war damals 16 Jahre alt und nahm diese Warnung zum Anlass so schnell wie möglich nach Topanga zu trampen. “Sie hatte Recht! Und ich passte perfekt dazu!” Pats langes Haar ist inzwischen dünn und grau geworden. Er bindet es mit einem bunten Gummi im Nacken zusammen. Natürlich ist alles auf seiner Speisekarte Öko – von den Kaffeebohnen über das Obst bis zu den Eiern von freilaufenden Hühnern. Nach einem langen Frühstück und kräftigen Abschiedsumarmungen spaziere ich durchs kleine Dorfzentrum. In den Schaufenstern liegen Kristalle, Räucherstäbchen und Batikhemden. Yogalehrer, Heiler und Trommlerinnen werben für ihre Künste. Bilder von kleinen Hütten am Fluss und Anwesen auf Hügelgipfeln hängen im Fenster des Immobilienladens. Unter 750 tausend Dollar ist kein Stück vom Hippie-Paradies zu bekommen. Die Anwesen oben auf den Bergkuppeln kosten mehrere Millionen. Ich fahre die Serpentinenstraße durch die Hügel zurück in die Stadt, schon jetzt wehmütig in Erinnerung an die hinter mir liegende gute alte Hippiewelt.

 

 

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Beleidigte Finnen

Was Finnland nicht alles hat! Wälder, Schnaps, lange Winter. Rentiere. Melancholie, Metal-Bands und Marimekko. Nur keine Atomwaffen – was ein Segen. Denn seit einer Woche bibbern wir in Neuseeland vor dem dritten Weltkrieg. Den hat unser dicker Erdbebenminister um ein Haar ausgelöst. Er hat das Volk der Elchjäger und Saunagänger aufs Gröbste beleidigt. Und wie jeder weiß, der Aki Kaurismäki und Konsorten kennt: Der Finne versteht keinen Spaß.
Der Eklat begann im neuseeländischen Parlament. Die Labour-Partei plädierte dafür, sich doch Finnland als soziales Vorbild zu nehmen. Darauf konterte Gerry Brownlee von der National Party, Finnland habe eine „schlechtere Arbeitslosenquote als wir, kann seine Bürger kaum ernähren, hat eine fürchterliche Mordrate, bildet seine Menschen nicht aus und respektiert seine Frauen nicht.“
Was kann man dazu sagen außer dem Trinkspruch „Hölkyn kölkyn“? Im diplomatischen Dienst wird Brownlee mit so viel landeskundlichem Sachverstand und Feingefühl nicht mehr landen. Und von der Pisa-Studie hat er auch noch nie gehört, in der die Finnen weltweit an der Spitze glänzen. Das Finnen-Bashing sprach sich bis zum Nuklear-Gipfel in Südkorea herum, wo Neuseelands Premierminister John Key dem finnischen Präsidenten Sauli Niinisto über den Weg lief. „Sehr entspannt“ habe das nordische Staatsoberhaupt auf den pazifischen Tiefschlag reagiert, behauptet Key. Und Minister Brownlee habe nun mal einen „ausgelassenen Humor“.
Entspannt? Von wegen. Die Finnen sind völlig von Sinnen. Helsinki ist kurz davor, die Leningrad Cowboys gen Wellington zu schicken. Wahrscheinlich drohen dem schwergewichtigen Brownlee Peitschenhiebe mit frischgeschälten Birkenreisern in der Sauna samt anschließender Abkühlung im zugefrorenen See. Als erste militärische Maßnahme wurde der finnische Komiker Tuomas Enbuske auf die Kiwis losgelassen. In einer Ansprache wandte der Moderator sich in seiner Fernsehsendung auf Englisch an den neuen Erzfeind im tiefen Süden: „Hi there, Minister Gerry Brownlee!“
„Ich weiß nicht, ob Sie gerade Ihr drittes Frühstück essen oder Ihr fünftes Abendessen, aber wenn ich mir die Bilder anschaue, die wir hier in Finnland von Ihnen haben, dann bin ich sicher, dass Sie irgendetwas essen.“ Es folgte eine Aufzählung der mannigfaltigen finnischen Erfindungen (SMS-Nachrichten, Geschirrabtropfschrank, zuckerfreies Kaugummi). Neuseeland habe dagegen das Spiel „Wie erschwindle ich Land von den Maori und fick sie ins Knie“ erfunden. Er zählte Formel-Eins-Rennfahrer, Architekten und Nobelpreisträger auf: „Wir haben Kimi Raikkonen“, so Enbuske, „Sie haben Schafe.Wir haben Alvar Aalto – Sie haben Schafe. Wir haben Martti Ahtisaari – Sie haben Schafe. Wir haben Nokia – Sie haben Schafe. Danke. Grüße aus Finnland.“
Entschuldigt hat sich Gerry Brownlee nicht, aber sein Urteil revidiert: „Wunderbares Land, sehr schlau, wir mögen vieles dort“, beteuert er jetzt. Und zeigt sein Nokia-Handy vor: „Ich trage immer ein kleines Stück Finnland mit mir herum.“

 

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Der Besuch der alten Dame mit dem Hirst

Während in der Londoner Tate die Damien Hirst Ausstellung anläuft, schlummert eines seiner Werke in Dänemark. Im vergangenen Jahr hat die Mäzenin Jytte Dresing dem Museum Arken vor den Toren Kopenhagens das bis dahin größte Spot-Painting der Erde vermacht. Die verhoffte Aufmerksamkeit blieb bislang aus. Nicht ganz zu unrecht, denn außer einem Superlativ in Quadratmeter hat das Bild so viel m.E. nicht zu bieten , die Formaldehyd-Hirsts davor sind da schon etwas anderes. (Gerechterweise sei aber gesagt, dass die Vorstellung der Werke so viel über den Kunstmarkt offenbarten, dass es ein Kapitel für Michel Houellebecqs “Karte und Gebiet” abgegeben hätte).

Statt das Erlebnis literarisch zu verwerten, schrieb ich eine Notiz dazu in The Art Newspaper und einen etwas längeren Beitrag für art, weiterlesen bitte hier.

 

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Hauptsache, es ist in der Tagesschau? Beispiel Taiwan.

Da für viele Deutsche eine Nachricht ja kaum stattfindet, wenn sie nicht in der Tagesschau verkündet wird, freue ich mich natürlich immer besonders, wenn Taiwan mal den Weg ins Allerheiligste der ARD schafft, die 20-Uhr-Ausgabe.

Die Präsidentenwahlen im Januar waren wieder so ein Anlass. In einer 25-Sekündigen NiF (Nachricht im Film) wurde die Wiederwahl des amtierenden Präsidenten gemeldet. Von dem Wahlkampf oder den unterschiedlichen Konzepten, die auf dem Spiel standen, konnte auch der treueste Tagesschau-Seher in den Wochen zuvor freilich nichts erfahren.

Hier lässt sich die Sendung online ansehen.

Und auch für diesen Kurzbeitrag ist kein ARD-Reporter nach Taiwan gekommen, hat kein deutscher Kameramann auch nur einen Finger rühren müssen. Sie wurde aus Feed-Material zusammengeschnitten, das allen Sender international zur Verfügung gestellt wird. Weder ARD noch ZDF waren vor Ort präsent, als die Menschen in der einzigen Demokratie der chinesisch-sprachigen Welt getan haben, was in China undenkbar ist: Ihre Regierung frei zu wählen. Bei den Wahlen vor vier Jahren war das anders, aber da hatten Unruhen in Tibet auch gerade für offene Brisanz gesorgt.

Weil sich in 25 Sekunden die Bedeutung dieser Wahlen nun mal nicht abhandeln lässt, habe ich kürzlich die Gelegenheit genutzt, bei einem Vortrag in Hamburg Taiwans Wahlkampf Revue passieren zu lassen, die bestimmenden Themen vorzustellen und einen Ausblick in die Zukunft zu wagen. So läuft etwa in Sachen Taiwan derzeit fast alles im Sinne der erklärten Politik des scheidenden chinesischen Präsidenten Hu Jintao.

Meine Vortrags-Folien samt Videos von Wahlkampf-Kundgebungen und der Stimmabgabe stehen drüben bei mir im Blog: Wahlen 2012 in Taiwan

Was macht Taiwan so besonders, und wie lebt es sich in der einzigen Demokratie, in der Chinesisch Landessprache ist? Über meinen ungewöhnlichen Alltag habe ich ein kleines Buch geschrieben und mit vielen Fotos garniert.

Buch von Klaus Bardenhagen: Tschüß Deutschland, Ni hao Taiwan

Sie können einen Blick in mein Buch über das Leben in Taiwan werfen und es bestellen – gedruckt oder als e-Book im EPUB-Format für weniger als vier Euro.
 
berichtet seit 2009 aus Taiwan. Erfahren Sie mehr unter taiwanreporter.de oder folgen Sie ihm per Facebook und Twitter.

 

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Moscheen zwischen Kirchen und Tempeln

Beim Fotografieren seiner Ausstellung „Moscheen in Deutschland“ hat der Stuttgarter Architektur-Fotografen Wilfried Dechau viel über die islamische Minderheit in seiner Heimat gelernt. Vor allem viele kleine Details, die man eben nur erfährt, wenn man den Alltag von Muslimen miterlebt. In der indonesischen Studentenstadt Jogjakarta, wo das Goethe-Institut seine Bilder im März im Wandelgang der Moschee der größten islamischen Universität ausgestellt hat, wollte er nun einen Umkehreffekt erreichen: Drei Tage lang ließ er Studenten im Rahmen eines Workshops Kirchen und Tempel fotografieren. Dabei ging es zwar natürlich hauptsächlich um Tricks und Kniffe der Architekturfotografie, aber nicht ganz nebensächlich auch um die Vermittlung der religiösen und kulturellen Vielfalt im Land mit der größten muslimischen Bevölkerung der Welt. Das Experiment funktionierte tatsächlich und die Studenten stießen in den Gebetshäusern der ihnen zum Teil unbekannten Religionen auf viele Details, die sie interessierten oder sogar berührten – und die sie in zum Teil beeindruckenden Bildern festhielten. Dennoch endeten die Exkursionen zu den Kirchen und Tempeln jedes Mal mit der Suche nach einer Moschee: Die Organisatoren hatten nicht bedacht, dass die muslimischen Teilnehmer bei aller interreligiösen Gruppenharmonie dennoch ihre Gebetszeiten einhalten wollen…

 

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Im Vermieterparadies

Argentinien ist ein Land mit eigenen Regeln: Hier fahren Krankenschwestern in der gleichen Kleidung, in der sie später in der Notaufnahme stehen, morgens im voll besetzten Bus zur Arbeit. Rechnungen (auch Gas, Strom, Wasser) haben einen Strichcode und man kann sie an der Supermarktkasse zahlen. Und um eine Wohnung zu mieten, muss man eigentlich schon eine haben.


Glücklich schlafen in Buenos Aires: Nur mit garantía!

In Argentinien braucht man eine garantía, um eine Mietwohnung zu bekommen. Eine garantía ist eine Bürgschaft in Form einer anderen Wohnung. Sollte der Mieter die Bude abfackeln oder Mietschulden haben, bekommt der Vermieter die Wohnung des Bürgen. Und das kann nicht irgendeine Wohnung sein: Der Wohnraum muss einen vergleichbaren Wert haben und in einer dem Vermieter genehmen Gegend liegen. Wenn dem die Immobilie des Bürgen nicht gefällt, wird der Vertrag nicht unterschrieben.

Wer also keine eigene (Erst-)Wohnung hat, braucht Freunde, die bereit sind, Haus und Hof zu verpfänden. Jemandem eine garantía zu geben ist der vielleicht grösste Freundschaftsbeweis, den ein Argentinier machen kann. Zum Grillen einladen kann man mehrere Großfamilien und das jeden Sonntag. Die Wohnung kann nur zweidrei Mal verbürgt werden.

Als Ausländer ohne garantía hat man drei Möglichkeiten: Zu meist absurd hohen Preisen zur Untermiete hausen (und wenn Besuch aus der Heimat kommt hat man Pech, denn in den möblierten Zimmern darf man oft keine Gäste haben). Eine gefälschte garantía auf dem Schwarzmarkt kaufen und hoffen, dass sie nicht auffliegt. Jemanden finden, der sein Haus für einen verpfändet.

Es wäre allerdings ungerecht, auf die Vermieter zu schimpfen, ohne die andere Seite zu sehen (1): Argentinische Mieter scheinen außer Rand und Band zu geraten, wenn sie irgendwann ausziehen. Als ich in meine jetzige Wohnung einzog, fehlte das Rohr vom Spülkasten zur Toilette und der Sicherungskasten war weg, die Stromkabel waren mit Klebeband direkt aneinander geklebt.

Inzwischen miete ich nun seit sechs Jahren die gleiche Wohnung. Ruhe habe ich aber immer noch nicht. Erstens kümmern sich Vermieter hier um nichts (immerhin – den neuen Durchlauferhitzer hat meiner zur Hälfte übernommen, weil der alte unkontrolliert Gas ausspuckte und eine echte Gefahr war). Und zweitens werden Mietverträge in Argentinien alle zwei Jahre erneuert. Dann kann sich nicht nur die Miete verdoppeln, sondern der Makler heimst jedes Mal neu zwei ganze Monatsmieten Provision ein. Eine Quittung gibt er mir dafür – natürlich! – nicht. Mieterrechte sind gesetzlich so gut wie nicht geregelt, sagte man mir übrigens beim Mieterschutzbund. Ich könne den Vermieter ja darauf hinweisen, dass das “gegen die guten Sitten verstoße”. Mach’ ich gleich morgen. Da wird er sicher nachts ins Kissen heulen.

(1) Liebe Vermieter mit Wohungseigentum in Argentinien. Bitte seht davon ab, mir Leserbriefe zu schreiben. Es tut mir sehr Leid für Euch, wenn Eure Mieter nicht auf Eure Wohnungen aufpassen. Gebt sie einfach mir! (allen, denen diese Fußnote absurd erscheint sei gesagt: Ist sie nicht! Ich habe tatsächlich schon böse Leserbriefe von Menschen bekommen, die in Argentinien Wohnungen vermieten und das System der garantía verteidigen. Dabei zweifele ich ja gar nicht daran, dass auch die Vermieter hier ein hartes Los treffen mag!)

Ein hilfreicher Link für wohnungssuchende Buenos Aires-Besucher: http://buenosaires.es.craigslist.org/

 

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Piraten in Schweden schon wieder unter FDP-Niveau

Bei der gestrigen Landtagswahl im Saarland hat die Piratenpartei erneut mehr als einen Achtunsgerfolg eingefahren. Das Wahlergebnis entspricht in etwa jenem der schwedischen Piraten bei der Europawahl 2009. Alle Piratenparteien sind in mehr oder weniger starker Anlehnung an die schwedische gegründet worden, die deshalb als Mutter aller Piratenparteien gilt. In Nordeuropa aber war der Wahlerfolg 2009 eine Ausnahme, seither haben Wähler und Mitglieder der Partei in Scharen den Rücken gekehrt.

Ich nehme das Wahlergebnis im Saarland zum Anlass ein paar meiner früheren Artikel über die schwedische Piratenpartei zusammenzustellen, hier ein Bericht für Die Welt, hier aus Das Parlament, Zeit online und Mediummagazin.

 

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Marmageddon

60.000 Menschen pilgerten in den letzten Wochen zu den Resten von Christchurchs Kathedrale, die nun endgültig abgerissen werden soll. Das ist für Neuseeland ungefährt so, als wenn das Rheinland den Kölner Dom verlöre. Der Zauberer von Christchurch protestiert seitdem öffentlich, damit zumindest die Ruine stehen bleibt. Der „Wizard“ war so etwas wie das Maskottchen der Stadt – ein erzkonservativer Wüterich, der sich gerne vor der Kathedrale über moderne Unsitten und Frauen aufregte. Dass ihn das Erdbeben vorübergehend zum Schweigen brachte, kann man als gnädigen Akt der Natur werten.
Was der Zauselbart am letzten Wochenende noch nicht wusste, sonst hätte er sich vielleicht noch bei lebendigem Leibe verbrannt: Wir verlieren nicht nur unser Gotteshaus. Auch das Marmite wird knapp. Schlimmer kann es ein Katastrophengebiet kaum noch treffen.
Marmite, auch als ‚tar in the jar‘ („Teer im Glas“) bezeichnet, ist das Kraftfutter der Angelsachsen: Ein salziger, schmierölähnlicher Brotaufstrich aus Bierhefe, einst von einem Deutschen namens Justus von Liebig entdeckt und für die kulinarisch eher unterverwöhnte Nation so unersätzlich, dass man ihn sogar den Soldaten im zweiten Weltkrieg in ihren Proviant steckte. Voller toller B-Vitamine, angeblich gesund –und scheußlich lecker. ‚Love it or hate it‘ hieß mal eine bekannte Marmite-Werbung. Längst gibt es Kopien.
Seit der Entdeckung des Südpazifiks tobt in Australien und Neuseeland der Krieg um die Hefepastenhoheit. Drüben beim Erzfeind am anderen Ufer der tasmanischen See wird das ähnlich tranige Vegemite hergestellt. Kein Vergleich, natürlich. Denn das neuseeländische Marmite, das in der gesamten Südsee verkauft wird, kommt längst nicht mehr aus England, sondern seit hundert Jahren aus einer Fabrik in Christchurch. Und die ist, wie die trauernde Bevölkerung gerade erfuhr, ebenfalls angeknackst. Der Kühlturm muss repariert oder abgerissen werden. 640 Tonnen Schmiere wurden hier pro Jahr herausgequetsch, doch jetzt ist erst mal bis Juli Schluss. Die Bestände werden knapp, die Supermärkte haben ihre letzten Lieferungen erhalten, und der Manager der Herstellerfirma appellierte ans Volk, keine Hamsterkäufe zu tätigen. Angesichts dieser Notlage meldete sich der Premierminister zu Wort: Auch er habe nur noch einen knappen Vorrat im Büro. Marmageddon!
In einem ‚New World‘-Supermarkt mitten in der Krisenzone verschwanden bereits am Dienstag die letzten gelbroten Marmite-Gläser vom Regal. Supermarkt-Chef Phillip Blackburn riet, die Reste daheim möglichst auf Toast zu essen, denn durch die Wärme ließe sich die Paste dünner verstreichen. Eine Kundin prophezeite Probleme: „Meine siebenjährige Tochter wird ausrasten. Sie isst mittags immer Marmite auf Knäckebrot.“ Auch die Stimmung der zweifachen Mutter war kurz vor dem Umkippen. „Es wird häßliche Szenen geben. Aber zum Glück habe ich daheim noch Sauvignon Blanc.“ Entwarnung an alle, die jetzt Care-Pakete schicken wollen: Unsere Weingüter stehen alle noch.

 

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Flensburger Verkehrssünder-Datei auf äthiopisch

Als ich noch in Deutschland wohnte, hatte die Flensburger Verkehrssünder-Datei für mich keinen guten Klang. Mittlerweile lebe ich in Äthiopien und die Verkehrssünder-Datei in Flensburg ist für mich der Inbegriff von Rechtsstaatlichkeit, Effizienz und Bürgerservice. Denn man kann Verkehrsdelikte – oder vermeintliche – auch anders ahnden. Nämlich so.

 

Vor ein paar Tagen fiel mir auf, dass an meinem Auto das hintere Kennzeichen abgeschraubt wurde. Zuerst dachte ich, jemand, der nichts Gutes im Schilde führe (was für ein billiges und dennoch hinweisbedürftiges Wortspiel) wolle meine autofahrerische Identität annehmen, aber das vordere Kennzeichen war dort, wo es hingehörte, und mit nur einem gestohlenen Kennzeichen wird wohl kaum jemand sein Fluchtfahrzeug bestücken.

 

Ein äthiopischer Freund sagte mir, dass das entwendete Kennzeichen wohl eher der Ahndung, denn der Vertuschung eines Vergehens dienen solle. Vermutlich hätte ich mir etwas zu Schulden kommen lassen, und die Polizei, mein Freund und Helfer, habe das Kennzeichen abgeschraubt, um mich zu maßregeln. Plötzlich machten all die Polizisten, die auf den Kreuzungen Addis Abebas lässig mit Nummernschildern unterm Arm herumstehen, Sinn. Der Polizist mit den meisten Blechen schien immer der wichtigste zu sein. Allerdings nicht der beliebteste.

 

 

Schon oft habe ich gesehen, wie Wachmänner sich – bewaffnet mit Schraubenzieher und Schraubenschlüssel – einem Wagen näherten. Meist versuchten die Autofahrer das irgendwie zu verhindern, meist zogen sie den Kürzeren. Aber immerhin konnten sie die schraubenden Polizisten fragen, wie sie wieder an ihr Schild kommen könnten.

 

Ich wusste es nicht. Also rief ich die Polizei an und schilderte mein Problem. Da ich nicht angehalten worden war, musste das Kennzeichen abmontiert worden sein, während das Auto stand. „Wo haben Sie in letzter Zeit geparkt“, fragte der Beamte. Da ich möglicherweise schon ein paar Tage ohne Nummerschild rumgefahren war ohne es zu bemerken, kamen viele Orte in der Millionen-Metropole Addis Abeba in Frage. Und somit sehr viele Wachen, bei denen die Polizisten abends ihre Tagesbeute abliefern.

 

Ich sagte für den nächsten Tag alle Termine ab, und wurde um 8 Uhr bei einer Polizeiwache in meiner Nachbarschaft vorstellig. Auf der Suche nach meinem Nummerschild schaute der Beamte einen dicken Folianten durch, in dem handschriftlich  die sicherstellte Nummernschilder vermerkt worden waren. Der Wälzer erinnerte mich an das Haushaltsbuch eines Klosters aus dem Museum. Doch weder in dem dicken Buch noch in einem mit Nummerschildern gefüllten Schrank tauchte mein Kennzeichen auf. „Wir haben es nicht. Eine zentrale Registrierung abgeschraubter Nummerschilder haben wir auch nicht. Versuchen Sie es mal in einem anderen Revier“, sagte der Beamte und wünschte mir viel Glück.

 

Ich hatte viel Glück. Ich weiß nicht, wie viele Polizeiwachen es in der äthiopischen Hauptstadt gibt. Dutzende? Mehr als Hundert? Eine Polizistin fand mein Schild in der zweiten Wache, die ich aufsuchte. Angeblich hatte ich im Halteverbot geparkt. 80 Birr, umrechnet 3,47 Euro, sollte mich das kosten. Allerdings konnte ich meine Schuld nicht an Ort und Stelle begleichen, um das Nummerschild auszulösen. Die Polizistin schickte mich zu einem Postamt, in der ich eine Bareinzahlung leisten und mit der Quittung zu ihr zurückkehren sollte. „Wir machen das nicht mehr“, sagte der Postbeamte als ich die 80 Birr entrichten wollte – und schickte mich zu einer anderen Filiale. Dort reichte die Schlange bis auf den Bürgersteig – und bewegte sich nicht. Das erste Mal in meinem Leben heuerte ich einen professionellen Schlangesteher an. Ich zahlte ihm mehr als ich dem äthiopischen Staat schuldig war. Für den Schlangesteher ein super Lohn und für mich bestens investiertes Geld, denn der gute Mann stand im kafaesken Postamt mehrere Stunden an, bevor er die 3,47 Euro zahlen durfte.

 

Mit der Quittung löste ich am nächsten Tag problemlos Kennzeichen und Führerschein aus. De facto erhöhte mein Bußgeld sich dabei noch auf 3,56 Cent, da der Polizist, der mein Nummerschild abgeschraubt hatte, leider auch die Muttern einkassiert hatte, ich deshalb zwei neue kaufen musste.

 

Auf dem Rückweg bin ich noch mal an der Stelle vorbeigefahren, an der mir das Nummernschild laut Polizei abgeschraubt wurde. Ein Parkverbotsschild ist dort weit und breit nicht zu sehen.

 

 

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“Arbeiten” in den Zeiten von Email …

Internet, höre ich oft, macht unsere Arbeit schneller und flexibler, vor allem erleichtert es die Kommunikation.
Wirklich? Nach einer Woche mit einem Duzend Gesprächen wie dem  Folgenden wage ich vorsichtig zu zweifeln:

– “Hi Cindy, für eine Reportage in Magazin Xy über TT würde ich gerne mit Dr Wz (Cindys Boss) sprechen. Wär das in den nächsten Tagen möglich?”
(Umrundet wird dieses Intro von dem in Australien üblichen Austausch über Wetter, Befinden der Gesprächspartner, deren letztes Wochenende, etc., die ich hier aus Gründen der Kürze weglasse).
– Was für eine großartige Idee! Wie war Ihr Name noch gleich?
– JJ
– Und wo sagten Sie noch…?
– bei XY… 
(jetzt liefere ich ein Exkurs zu Auflagenzahlen, Brillanz, Schlagkraft des besagten Objekts im Allgemeinen und der Glorie, die geplante Geschichte auch für Cindy und ihren Boss haben wird im Besonderen …  ps: das ist oft der Moment, in dem ich mich frage, ob ich wohl auch auf dem Isemarkt Allgäuer Bergkäse verkaufen könnte)
– How absolutely AMAZING!
(Cindy ist vor Glück überwältigt, es folgen diverse positive Ausrufe, die mein Anliegen ganz weit oben in die Kategorie “wunderbare Ereignisse der Woche” sortieren dürften)
–  Well, ja, ich denke auch das könnte interessant werden.

Jetzt hat Cindy eine Idee, die ihren Tag vergoldet:
–       Warum, liebe JJ, fassen Sie das alles nicht rasch für mich in einem E-mail zusammen und poppen es in meine Mailbox?
(Übersetzung: Cindy wird mein E-mail an Kylie in der Pressestelle weiterklicken, die mein E-mail in den Ordner “lästige Anfragen/zum Jahresende löschen” schiebt.)

– Warum, Cindy, kannst du uns nicht allen viel Zeit und Arbeit sparen und mich einfach zu Wz durchstellen, oder ihn bitten mich zurückzurufen. Er ist schließlich Regionalchef des Känguru-Schutz-Klubs und nicht der Kaiser von China. (Das sage ich natürlich nicht, sondern denke es nur, laut lüge ich:)– Kein Problem, das mache ich gerne, great talking to you, Cindy!

Zwei Tage später rufe ich Kylie in der Pressestelle an, wir werden ein ähnlich herzliches Gespräch führen. Zum Abschluss wird Kylie sagen:
– Warum fassen Sie das nicht rasch für mich in einem E-mail zusammen und werfen es in meine Mailbox …?

Ich lege auf. Dann denke ich dankbar darüber nach, wie Emails unsere Kommunikation erleichtern und beschleunigen, wie sie Alltag und Arbeit eigentlich überhaupt erst möglich machen… Und dann träume ich ganz kurz von jener altmodischen Epoche, in der Menschen noch miteinander telefonierten.

 

 

 

 

 

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Das Lied, das im amerikanischen Wahlkampf den Takt angibt

Im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf mag es vor Überraschungen nur so wimmeln. Eine Konstante aber lässt sich immerhin erkennen: Brooks & Dunn, das erfolgreichste Country-Duo der Musikgeschichte, stellt zum dritten Mal in Folge den beliebtesten Wahlkampfsong. Rick Santorum greift auf «Only in America» zurück. Newt Gingrich lässt das Lied in krachender Lautstärke abspielen. Und auch auf Romney-Veranstaltungen war es bereits zu hören. Das hat Tradition: George W. Bush und Dick Cheney liebten den Song, und während des Wahlkampfs 2004 waren Brooks & Dunn fast an jeder Veranstaltung der Republikaner zu hören. Aber auch der aktuelle Bewohner des Weißen Hauses besitzt ein Faible für das flotte Lied: Kaum hatte Barack Obama vor vier Jahren am Parteitag der Demokraten die Nomination zum Präsidentschaftskandidaten akzeptiert, plärrte «Only in America»durch die Lautsprecher. Und Zehntausende seiner Parteigänger schunkelten mit und sangen aus voller Kehle: «We all get a chance / Everybody gets to dance / Only in America.» Übersetzt heißt das, etwas holperig: Alle haben wir eine Chance, jeder kommt einmal zum Zuge, das gibt es nur in Amerika.

Wahlkampflieder gehören in den USA zu politischen Kampagnen wie die Ansteckknöpfe, die aggressiven Werbespots und die Nationalhymne. Nichts bringt das Blut der Anhänger schneller in Wallung als ein stampfender Song. Das außergewöhnliche an «Only in America» ist allerdings, dass das Lied (unsichtbare) politische Grenzen überschreitet. Denn Country-Musik, jedenfalls gemäß dem Stereotyp, das ist die Musik, die Republikaner sich anhören, diese fleischessenden, waffentragenden Cowboys. Demokraten hingegen sind urban, hip und immer am Puls des Zeitgeistes. Ein Klischee? Selbstverständlich. Ein Blick auf die offizielle Musikliste von Obama, die kürzlich durch dessen Wahlkampfstab veröffentlicht wurde, bestätigt aber, wie unterschiedlich die Geschmäcker sind. Unter den 29 Songs, die während Wahlkampfauftritten des Präsidenten gespielt werden, finden sich Lieder der Gruppen Arcade Fire («We used to wait»), die erste Singleauskoppelung von Bruce Springsteens neuem, poppigen Album («We take care of our own») und (programmatische) Klassiker wie Al Greens «Let’s stay together». Vergeblich sucht man allerdings nach einem Rap- oder Hip-Hop-Song; zu riskant, werden sich die Berater dem Präsidenten wohl gesagt haben. «Ausgeschlossen, dass diese Lieder zufällig gewählt werden», lautet der Kommentar des Musikprofessors Benjamin Schoening, der an der University of Wisconsin in Rice Lake lehrt.

Denn Wahlkampfsongs gleichen Minenfeldern. Ganz Washington zerriss sich jüngst das Maul darüber, dass der Skandal-Musiker Kid Rock, auch als Kurzzeit-Gatte von Pamela Anderson bekannt, nun den Obersaubermann Mitt Romney unterstützt. Der Song «Born Free» ist seither an jeder Veranstaltung des Präsidentschaftskandidaten zu hören. Die konservative Publikation «Daily Caller» machte sich deshalb einen Spaß daraus, den Text des Lieds «WCSR» zu zitieren, ein Duett von Kid Rock mit dem Rapper Snoop Dogg, das vor Obszönitäten nur so strotzt. Ein anderes Beispiel: Vor vier Jahren erkor die damalige Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton die Classic-Rock-Hymne «Takin’ care of business» zu ihrem offiziellen Wahlkampfsong, auch wegen des zupackenden Titels – dumm nur, dass sich Bachmann-Turner-Overdrive in dem Stück lustig über den arbeitenden Teil der Bevölkerung macht. Auch John Edwards, der einst Präsident hätte werden wollen, nun aber bald wegen einem angeblichen Verstoß gegen die Wahlfinanzierungsgesetze vor Gericht steht, griff 2008 daneben. Sein Lieblingssong – «Small Town» des linken Sängers John Mellencamp – enthält die Zeile: «All my friends are so small town», was übersetzt etwa heißt: Meine Freunde sind ach so provinziell.

Manchmal setzt ein erzürnter Musiker dem Treiben der Politiker auch ein Ende. So ließ sich Bruce Springsteen 1984 nicht durch Präsident Ronald Reagan vereinnahmen, als dieser plötzlich den Kracher «Born in the U.S.A.» für sich entdeckte. Und jüngst klagte Frankie Sullivan, der Komponist des Songs «Eye of the tiger», den Präsidentschaftskandidaten Newt Gingrich ein – weil Gingrich ihn nicht um Erlaubnis gefragt habe, als er die alte Rocky-Hymne verwendete. Brooks & Dunn hingegen stören sich nicht darüber, dass ihr Song «Only in America» von Linken und Rechten gespielt wird. «Das Lied ist weder demokratisch noch republikanisch», sagte Kix Brooks jüngst dem Sender CNN. «Ich glaube, dass dies Politiker beider Parteien verstehen.»

 

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Der 11. März 2011

Eigentlich hab‘ ich es nicht so mit Jahrestagen. Ich fand‘ immer, das hat so etwas Bemühtes. Aber den 11. März 2011, jenen Tag vor einem Jahr, den werde ich für den Rest meines Lebens nicht vergessen. Dieser Moment, als erst ein leichtes Zittern den Boden unter meinen Füßen in Bewegung versetzte, das dann in ein Rucken und Beben überging, das immer stärker wurde und gar nicht mehr aufzuhören schien. Es war der Moment, dem schlaflose Nächte und von Furcht geprägte Wochen folgten, der nicht nur meine Welt aus den Fugen geraten ließ.

Denn das Erdbeben, das uns in Tokio durchschüttelte, war ja nur der Beginn, nur der Auslöser viel größerer Katastrophen, die Japan heimsuchten. Zunächst schien das Beben schlimm genug. Jedem war sofort klar, das war es gewesen, „the big one“, vor dem schon lange gewarnt worden war. Keiner ahnte da, dass nur wenige Minuten später an der Küste im Norden 22.000 Menschen sterben würden, weggerissen und zermalmt von den Monsterwellen eines Tsunamis. Dass einige Stunden später die letzten Notstromaggregate im AKW Fukushima-Daiichi versagten und kein Mensch mehr den Gau verhindern konnte. Kein Drehbuchautor in Hollywood war bisher irre genug, sich eine solch zerstörerische Kettenreaktion vorzustellen.

Dies alles passierte an einem ganz normalen Arbeitstag, einem Freitag. Bestimmt hatten viele Menschen schon Pläne fürs Wochenende gehabt. Jetzt hieß es Notfallpläne schmieden, Taschen mit dem Nötigsten packen, die dauernden Nachbeben ertragen und die sich überschlagenden Nachrichten aus Fukushima einordnen.

Ein Jahr ist vergangen. Nein, ich habe nicht jeden Tag an die Dreifachkatastrophe gedacht. Glücklicherweise. Es geht ja weiter, das Leben. Zumal für uns, die wir inzwischen wieder auf den Philippinen leben. Die glimpflich aus Japans schwärzestem Tag davongekommen sind. Ich ärgere mich wieder über Belanglosigkeiten, rege mich über Bagatellen auf, freue mich über meine Kinder oder einen guten Auftrag. Alltag eben, nicht der Rede wert. Oder doch? Seit dem 11. März 2011 weiß ich: Normalität hat etwas sehr beruhigendes. Normalität – das ist wunderbarer, kostenloser Luxus.

 

 

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Die Römer sind noch Römer!

Kürzlich war ich mit Freunden aus Deutschland zum ersten Mal seit zwei Jahren auf dem Forum Romanum. Ich fühlte mich ziemlich schlecht: Gäste, die nur ein Wochenende in Rom sind, entdecken nämlich für gewöhnlich mehr von der Stadt und haben einen viel größeren Ehrgeiz, als ich in meinen bisher fünf Jahren. Am Eingang fragte ich eine Dame im Auftrag meiner Freunde, ob man bei den Audioguides zwischen den Sprachen wechseln könne. Sie schüttelte den Kopf und machte: „Aut-Aut“. Au-was?  War das ein Hilferuf? Sie seufzte angesichts meines Nichtverstehens, deutete nacheinander auf zwei Kopfhörer und sagte in hilfsbereitem Englisch: „Or this-e, or this-e“.

„Grazie“, sagte ich mürrisch, weil ich wieder mal für einen Touristen gehalten worden war und griff zum deutschsprachigen Audioguide und dachte nach: Was war das eben, dieses „aut-aut?“. Da fiel es mir ein! Natürlich, „aut-aut“, das ist Latein! In Gedanken kehrte ich zurück ins Gymansium und ging in Gedanken für einen Moment mit den Protagonisten meines Lateinbuchs, „Claudia et Marcus“ in den „Circus“. Was wohl heutige Römer noch mit den Bewohnern ihrer Stadt vor 2000 Jahren gemein haben? Wie viel Blut von „Marcus“ wird nach Barbareneinfällen und dem Niedergang Roms noch in einem „Marco“ von heute stecken? Aber wenn sogar eine Frau an der Kasse Latein spricht? Sind die Römer noch echte Römer?

Seit ich die Frau an der Kasse „Aut-Aut“ sagen hörte, fallen mir ständig Römer auf, die lateinische Vokabeln benutzen – und zwar ganz normale Leute, keine Professoren oder Priester. So belauschte ich ein Gespräch zweier römischer Männer im Bus, natürlich ging es ums Essen, so wie in Rom jeder Smalltalk ums Essen geführt wird. Der eine empfahl dem anderen ein Restaurant, vor allem das dortige Tiramisu. Der andere winkte ab, weil er offenbar keines mag. Worauf der erste meinte: „Das würde ich nicht a priori ausschließen“. Ich wiederhole, es ging um Tiramisu, welches nicht „von vorneherein“ ausgeschlossen werden sollte. Es ging nicht um wissenschaftliche Thesen! Und als ich bei „Ciccio“, dem Betreiber der Videothek im Viertel – er brennt die Filme die er ausleiht auf DVD – nach einem spannenden Film fragte, empfahl er mir den Film „2012“ bei dem sich, so Ciccio, die Menschheit „in extremis“ gerade noch rette – in letzter Sekunde. Auch „Ciccio“ ist kein Professor aber spricht Latein. Alles fällt mir jetzt auf: Zeitungen die vom „iter“, dem „Weg“ schreiben, den ein Gesetz im
Parlament noch machen müsse. Und plötzlich verstehe ich Emails von Pressestellen, in denen als Hinweis zur Terminverschiebung „errata corrige“ steht.

Den allergrößten Beweis, wie römisch aber die heutigen Römer noch sind, liefern sie immer am Ende eines Konzerts. Wenn der Künstler sich verbeugt und von der Bühne geht, rufen die Deutschen „Zu-ga-be“. Und die Römer? Nicht „sup-ple-men-to“, auch nicht „ag-giun-ta“, was eine wörtliche Übersetzung wäre. Sondern sie rufen: „Bis!“ – was auf Latein „zweimal“ heißt. Da neuen Römer rufen „bis!“ wenn sie im „Stadio Olimpico“ stehen und Rocker Vasco Rossi eine Zugabe spielen soll; und die alten Römer riefen wahrscheinlich ähnlich fordernd „bis!“ wenn sie einen weiteren Kampf im Kollosseum sehen wollten. Was die Frage nahelegt, was unsere germanischen Urahnen eigentlich riefen, wenn sie vor zweitausend Jahren eine Zugabe forderten.

 

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Ist das Kunst, verrückt oder einfach nur ein Riesenfels?

Manche Geschichten lassen mein Reporterinnenherz besonders hoch schlagen. Dazu gehört die vom gigantischen Granitbrocken, der derzeit auf dem Weg vom Steinbruch ins LACMA Museum in Los Angeles ist und dabei jede Menge Neugierige und wunderbare Kommentare anzieht.

Der Fels ist über zwei Stockwerke hoch und wiegt 340 Tonnen. Das ist so schwer wie eine Boeing 747, vollgeladen und vollgetankt. Über 160 Kilometer legt die wertvolle Fracht zurück – in Plastik verpackt und in einem extra dafür angefertigten Transporter mit fast 200 Rädern und 40 individuell steuerbaren Achsen hängend. Höchstgeschwindigkeit: acht Stundenkilometer. Der Konvoi kann aus verkehrstechnischen Gründen nur nachts unterwegs sein und aus gewichtstechnischen Gründen nur auf auserwählten Straßen fahren. Sonst müssten nicht nur Ampeln, Straßenschilder und Äste entfernt werden sondern auch Brücken und Autobahnauffahrten. Der Sinn des Ganzen? Der Granitbrocken ist entscheidender Bestandteil der Skulptur ‘Levitated Mass’ des Künstlers Michael Heizer. Der hatte 1968 die Vision einer Betonspalte, die sich in den Boden gräbt und auf deren Mitte ein Riesenfels scheinbar schwebend zum Liegen kommt. Erst vor sechs Jahren hat er den richtigen Fels gefunden – im Steinbruch östlich von Los Angeles. Das LACMA Museum ist begeistert von der Skulptur. Private Spender haben zehn Millionen Dollar gegeben und dank Meisterleistungen von Ingenieuren und Stadtplanern bewegt sich nun der Fels in Richtung Museum.

Eine wahre Reporter-Schatzgrupe sind all die Neugierigen, die sich rund um den Fels versammeln. Die Diskussionen, die der Transport auslöst sind natürlich gewaltig: vor allem geht es dabei darum ob ein Riesengranitbrocken auf einer Betonspalte Kunst ist und ob die zehn Millionen Dollar nicht sinnvoller ausgegeben werden könnten, zum Beispiel um Obdach- und Arbeitslosen zu helfen. Ganz nebenbei ist eine riesige Fangemeinde entstanden. Der Granitbrocken löst Heiratsanträge, Fotowettbewerbe, Facebook- und Twitterseiten aus. Ist er nachts unterwegs, folgen Hunderte der Transport-Meisterleistung. Ist er tagsüber geparkt, gibt es Rockfestivals und Kunstunterricht am Wegesrand.

Ein wenig erinnert mich das alles an die Stimmung am Reichstag in Berlin, als der von Christo und Jean Claude verhüllt wurde. Ob das alles Kunst ist wird für mich dabei komplett nebensächlich. Der Granitblock verbindet die Stadt wie es wenige Ereignisse können. Viele, die den Transport verfolgen werden zum Museum kommen, um in der Betonspalte unter dem Brocken zu stehen. Dem wird man dann all die Arbeit nicht mehr ansehen. 340 Tonnen schwebend unter wolkenlosem blauen Himmel. Großartig!

 

 

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Das böse Wort mit “S”

Plötzlich schmeißen die Römer sie einem hinterher. „Signore, Ihr S.“, ruft die Frau an der Kasse der Kaffeebar und winkt einen nochmal zur Theke, „Scusi, Sie haben Ihren S. vergessen, nehmen Sie ihn mit!“, sagt der ägyptische Gemüsehändler und  selbst in der Mopedwerkstatt hörte ich vor wenigen Tagen Silvio, den Mechaniker, zum ersten Mal das Wort mit „S“ sagen: „Hier ist dein S.“, sagte er und wartete, bis ich ihn in den Geldbeutel gesteckt hatte: Ihn, den „S.“, den „Scontrino“, den Kassenzettel.

„Scontrino“. Dieses Wort in den Mund zu nehmen, löste bislang in Italien, zumal im Süden, ähnliche Reaktionen aus, wie wenn es jemand in den Harry-Potter-Büchern wagte, den Namen des Bösesten aller Bösen, von „Lord Voldemort“, auszusprechen: Zunächst sah ich aufgerissene Augen (Hat es das wirklich gesagt?), dann eine Art Schockstarre (Leugnung: Nein, kann er nicht gesagt haben), schließlich missmutiges Kopfschütteln (Einsicht: Der stronzo hat es wirklich gesagt) . In meinem Fall war die Reaktion stets noch potenziert, da man von offensichtlichen Ausländern die Tätigkeit als Steuermoralapostel noch weniger erwartet, als von Italienern. Kurzum: „Scontrino“ war ein böses, böses und unsagbares Wort. Wie unsagbar, sieht man in der bösen Süditalien-Komödie „Qualunquemente“: Ein ganzer Strandabschnitt verfällt in einen Schock, weil ein Kunde nach dem Essen eine Rechnung verlangt. Hier http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=B_NJktvgKn8 sieht man diese herrliche Szene.

Dass nun alles anders ist und Mechaniker wie Silvio plötzlich Kassenzettel ausdrucken und Rechnungen schreiben liegt am neuen Ministerpräsidenten Mario Monti, der den Italienern die Benutzung des S-Wortes dadurch beibringt, dass er die Beamten der Finanzpolizei im ganzen Land nach Steuerhinterziehern suchen lässt – selbst auf einer Skipiste im Aostatal, so lasen es die verängstigten Italiener, kontrollierten Finanzbeamte zuletzt, ob auf den Skihütten auch Kassenzettel ausgeben und die Einnahmen ordnungsgemäß versteuert werden. Natürlich werden die Finanzbeamten nicht in jeden kleinen Laden zwischen Bozen und Palermo kontrollieren. Aber allein die Berichte in den Medien sorgen dafür, dass mein Geldbeutel nun jeden Tag überquillt vor lauter „Scontrini“.

Doch in der Stunde des Triumphs der Finanzbehörden muss auch an die einsamen Helden erinnert werden, die es schon früher gewagt hatten, das S.-Wort auszusprechen. Erinnert werden soll deshalb an dieser Stelle an meinen ehemaligen Mitbewohner Gianmarco, der es sich schon vor Jahren zur Aufgabe gemacht hatte, überall und egal wo nach dem „Scontrino“ zu fragen und den Verkäufer so zur Versteuerung zu zwingen. Egal ob die „Baristi“ in den Kaffeebars von mal zu mal immer unfreundlicher zu ihm wurden, der Frisör ihm die Haare verschnitt oder das Moped plötzlich alle zwei Wochen zur Reparatur musste, Gianmarco erbat stets eisern den „Scontrino“. Ich kann mich nur an eine Abfuhr erinnern. Als Gianmarco in einer wummernden Diskothek den Barkeeper zur Herausgabe des Scontrino für seinen Gin Tonic bringen wollte. „Was willst Du?“ – „den Scontrino!“, sagte Gianmarco. Worauf der Barkeeper ein weiteres unsagbares Wort benutzte. „Vaffanculo!“. Das V-Wort. Fast so schlimm wie das S-Wort.

 

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Nach New York – der nordeuropäischen Kunst wegen

Wer ein paar hundert Euro über hat, um nach New York zu reisen oder ein paar tausend zusätzlich, um sich dort Kunst zu kaufen, kann sich der Seele der Nordeuropäer mit dem Geldbeuteln nähern. Die diesjährige Ausgabe der Kunstmesse “The Armory Show” steltt nämlich die nordeuropäische Kunstszene in den Fokus. Neben Galerien sind auch erstaunlich viele “artist run spaces” vertreten. Einen Überblick gibt die Messe selber und zwar hier.

 

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Breites russisches Siegergrinsen Eine Laudatio auf den Wahlsieger Wladimir Putin

Stellen Sie sich einen deutschen Kanzlerkandidaten vor, der Waldemar Puting heißt. Er besitzt Amtsbonus und hat nach Meinungsumfragen schon eine satte Mehrheit der Wähler hinter sich. Aber er weigert sich stur, an Fernsehdebatten mit seinen Konkurrenten teilzunehmen. In Bundesländern, wo seine Partei regiert, halten Regionalbeamte Kindergärtner an, Elternversammlungen zu organisieren: Dort sollen sie den Leuten erklären, warum sie Puting wählen müssen.

Kritik der Medien an solchem Gebaren ignoriert Puting. Nur einmal beschwert er sich in einer Runde mit führenden Medienvertretern beim Intendanten des Südwestfunks, warum dessen Sender ihn seit Jahren täglich mit Jauche übergieße. Ein paar Tage später kriegt der Intendant eine Vorladung der Staatsanwaltschaft. Und die „Zeit“, die auch heftig an Puting herumnörgelt, kann ihren Redakteuren kein Gehalt mehr zahlen, weil das Finanzamt ihr Bankkonto wegen des Verdachts auf Steuerschulden vorübergehend gesperrt hat. Hunderttausende gehen aus Protest gegen Putings Methoden auf die Straßen, er beschimpft die Demonstranten als Affenbande und erklärt, sie würden mit ausländischem Geld bezahlt. Der Opposition wirft er vor, sie würde von chinesischen Konzernen gesteuert, die einen Machtwechsel in Deutschland anstreben, um führende deutschen Automobilhersteller zu übernehmen. Auf dem Höhepunkt seines Wahlkampfes aber lässt er Behörden und Betriebe aus den von seiner Partei regierten Bundesländern 130.000 Menschen ins berstende Berliner Olympiastadium karren, um ihnen eine Wahlrede zu halten. „Wir Deutschen“, ruft er, „sind ein Siegervolk, das liegt in unseren Genen.“ Das Publikum äußert seinen Beifall nur murmelnd, er aber beginnt ein Gedicht aufzusagen, dass ein Romantiker zur Erinnerung an den Sieg bei Groosbeeren 1813 gegen die Franzosen geschrieben hat: „Sterbt vor Berlin! Wie unsere Brüder starben.“

Vermutlich würde das Publikum jetzt vor Lachen sterben. Aber zum Glück gibt es Waldemar Puting nicht. Es gibt nur einen Wladimir Putin. Der aber springt in Russland mit Opposition, Medien und Wahlvolk tatsächlich so um, wie oben beschrieben. Und heute hat er sich mit für weitere 6 Jahre zum Präsidenten wählen lassen. Putin ist kein lupenreiner Demokrat, wie ein Bundeskanzler, inzwischen Gasprom-Grüßaugust, einst behauptet hat. Putin ist überhaupt kein Demokrat. Und nach 12 Jahren mit Putin als starkem Mann in Moskau ist es nur dumm, weiter zu hoffen, er könne doch der Mann des Übergangs sein. Russland wird kein vom Volk regierter Rechtsstaat, solange Putin dort das Sagen hat.

Aber davon sollten wir in Deutschland uns die Laune nicht verderben lassen. Putin wütete zwar in diesem Wahlkampf besonders heftig gegen den feindlichen Westen, namentlich aber nur gegen die USA. Und man muss ihm zugute halten, dass er bestimmt keinen Angriffskrieg gegen Europa führt will. Zumal sein Staatsapparat so korrupt geworden ist, dass bei der vaterländischen Rüstungsindustrie nur ein Bruchteil der Rubeltrillionen ankommt, die für die Runderneuerung der Streitkräfte eingeplant sind.

Wir können also in Ruhe weiter Gas aus Russland importieren. Und Pkw der Oberklasse für Putins Beamtenheer exportieren. Russland bleibt einfach wie zuvor ein fremdes Land. Und wenn Putin bei seinem ersten Gipfeltreffen mit Frau Merkel lächelnd das nächste Abkommen über die deutsch-russische Modernisierungspartnerschaft unterzeichnet, betrachten wir das als höfliches Lächeln. Auch wenn er selbst es als breites russisches Siegergrinsen gedacht hat.

 

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Verwechslungsgefahr mit echten Seeräubern? Keine Zulassung für Taiwans Piratenpartei

Statt an die Erfolge ihrer deutschen Schwesterpartei anzuknüpfen, sind Taiwans Piraten vorerst an der Bürokratie gescheitert. Das Innenministerium blockierte die Zulassung mit der Begründung, die Bezeichnung „Piratenpartei“ könne den Eindruck erwecken, die Mitglieder seien wirklich Seeräuber. Außerdem bemängelten die Beamten nach einem Bericht von Taiwans Nachrichtenagentur CNA, der Name widerspreche den genannten Zielen der Partei, und Piraterie werde strafgesetzlich verfolgt.

Ähnlich wie in Europa wollen Taiwans Piraten sich für eine Reform des Urheberrechts, mehr Freiheit im Internet und Transparenz in der Verwaltung einsetzen. Parteigründer Tai Cheh will sich noch nicht geschlagen geben. Er werde Beschwerde gegen die Entscheidung einlegen, sagte der Psychologie-Dozent. Die Regierung habe gar kein Recht, eine Parteigründung aufgrund des Namens abzulehnen. „Es geht hier um Redefreiheit. Die Regierung mischt sich ja auch nicht ein, wenn Eltern ihrem Kind einen Namen geben.“

Als wichtiger Standort der Computerindustrie könnte das fast komplett vernetzte Taiwan durchaus Wählerpotenzial für eine Piratenpartei bieten. Auch reagieren viele Taiwaner empfindlich auf mögliche Einschränkungen der Meinungsfreiheit, denn das Land war jahrzehntelang per Kriegsrecht regiert worden. Erst 1986 gründete sich die erste Oppositionspartei, freie Parlamentswahlen gibt es seit 1992.

Die Erfolgsaussichten von kleinen Parteien sind in Taiwan aber traditionell gering. Taiwans Grüne, die sich ebenfalls für gesellschaftliche Modernisierung einsetzen, haben im Zuge von Fukushima bei den Wahlen im Januar mit 1,7% zwar ihren Stimmanteil vervierfacht, aber erneut den Sprung ins Parlament verpasst.

Der Einzug der deutschen Piratenpartei ins Berliner Abgeordnetenhaus hatte auch in Taiwan Wellen geschlagen – zumindest bei den berüchtigten Animateuren von NMA.tv (Video):

Was macht Taiwan so besonders, und wie lebt es sich in der einzigen Demokratie, in der Chinesisch Landessprache ist? Über meinen ungewöhnlichen Alltag habe ich ein kleines Buch geschrieben und mit vielen Fotos garniert.

Buch von Klaus Bardenhagen: Tschüß Deutschland, Ni hao Taiwan

Sie können einen Blick in mein Buch über Taiwan werfen und es bestellen – gedruckt oder als eBook im EPUB-Format für weniger als vier Euro.
 
berichtet seit 2009 aus Taiwan. Erfahren Sie mehr unter taiwanreporter.de oder folgen Sie ihm per Facebook und Twitter.

 

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Echte Nationalisten und Slum-Tourismus

Willst Du das richtige Jakarta sehen? So lautete die Standardfrage von Ronny Poluan schon vor 14 Jahren. Er stellte sie immer, wenn er Ausländer traf, die es nach Jakarta verschlagen hatte – sei es um Geschäfte zu machen, als Künstler aufzutreten oder einfach, weil es keinen direkten Flug nach Bali mehr gab. Ich war damals Praktikantin beim Goethe-Institut Jakarta und platzte vor Entdeckungslust. Das einzige, was ich nicht wollte: eine typische Ausländerin sein. Also sagte ich natürlich sofort ja und der Theater- und Filmregisseur nahm mich auf unzählige Touren durch Jakarta mit, die in der Tat nichts mit den glitzernden Shopping Malls und riesigen Bürotürmen im Zentrum der Metropole zu tun hatten. Er führte mich zum ersten Mal in meinem Leben durch einen Slum, begleitete mich in ein Armenviertel am stinkenden Ciliwung- Fluss und brachte mich in Schulen für Straßenkinder. Er zeigte mir den Transvestitenstrich und stellte mich Müllsammlern vor, die in Löchern unter Autobahnbrücken hausten. Das Faszinierende war, dass all diese Leute in ihrer Armut immer offen und freundlich waren – niemals fühlte ich mich gefährdet oder unwillkommen. Diese Eindrücke waren Teil der Faszination, die dafür sorgten, dass ich vier Jahre später als freie Journalistin nach Indonesien zurückkam. Heute hat Ronny Poluan sein Hobby zum Beruf gemacht: Mit Jakarta Hidden Tours bietet er über das Internet Touren durch das „real Jakarta“ an, das nicht nur ausländische Geschäftsleute und Besucher selten zu Gesicht bekommen, sondern auch nur wenige besser gestellte Bewohner der indonesischen Hauptstadt. Den Erlös nutzt er, um die Schulausbildung der Kinder sowie die ärztliche Versorgung in einigen Armenvierteln zu unterstützen. Natürlich ist Slum-Tourismus immer ein kontroverses Unternehmen und seien die Ziele noch so wohltätig. Die Gegenargumente der Stadtregierung von Jakarta sorgen sich allerdings wenig um Voyeurismus oder das Zurschaustellen armer Leute – was sie stört: Ronny Poluan würde sein Land schlecht machen, indem er Ausländern immer nur die hässlichsten Orte Jakartas zeige. Ein guter Nationalist müsse Besuchern schöne Plätze präsentieren.

 

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Neue Deutsche Welle

Die Deutsche Welle strukturiert ihr Programm neu. Für Lateinamerika heißt das: 20 Stunden statt zwei auf spanisch am Tag.

5 Uhr 30, Caracas, der Blick aus dem 11. Stock zeigt das Häusermeer der venezolanischen Hauptstadt, irgendwo da unten kräht ein Hahn. Kühle Luft weht durch das vergitterte Fenster, aber natürlich kein Vergleich zu Europa. Im Fernsehen berichtet die Deutsche Welle (DW) von den Kältetoten. Auf Spanisch. Und das ist eine kleine Revolution, denn der Auslandssender, der Informationen aus Deutschland in die Welt schickt, orientiert sich neu.

Es ist eine Richtungsentscheidung. Auslandsdeutsche und Deutschlernende sind nicht mehr Zielpublikum, jetzt sind die Latinos dran. Bisher war die DW für sie ein Spartensender. Zwei Stunden spanischsprachiges Programm am Tag – wohl kein Lateinamerikaner stellte sich den Wecker, um die nicht zu verpassen. Nun greift der Sender an: Er steht mit seinem neuen Programm in Konkurrenz zu CNN en Español und auch zu vielen lateinamerikanischen Fernsehsendern. Deren Nachrichten sind oft so oberflächlich, effekthascherisch oder auch tendenziös, dass eine renovierte Deutsche Welle durchaus Chancen hat, sich positiv abzusetzen. Denn die News der DW sind angenehm klassisch aufgebaut, ohne wilde Schwenks, wirken seriös – in Deutschland wären sie Standardprogramm. Doch, damit mehr Latinos einschalten, muss der Sender zunächst Vorurteile bekämpfen.

„Deutsche Welle, ist das nicht der Propagandasender von der Merkel?“ Diese Frage beschreibt das bisherige Image der DW in Lateinamerika recht gut. Warum sollten sich die Latinos für einen Sender interessieren, dem es bisher in erster Linie wohl darum ging, Deutschland, seine Bewohner, seine Unternehmen in ein gutes Licht zu rücken? Nehmen wir die Woche vor der Programmreform am 6. Februar. Es war selbst für wohlwollende Zuschauer unfassbar langweilig, sich eine Dokumentation über ein Fünfsternehotel in Garmisch-Partenkirchen anzusehen, in dem die größte Sorge des Managements zu sein scheint, dass von den Servicedamen ein Staubkörnchen übersehen werden könnte.

Seit Anfang Februar ist fast alles anders. In den vergangenen Monaten hat die Deutsche Welle fast 100 Mitarbeiter für die spanischsprachige Redaktion angeworben, viele aus Lateinamerika. Vielleicht müssen sich einige Moderatoren noch ein bisschen eingrooven und lockerer werden. Doch zur Programmreform in Lateinamerika vor dem Fernseher saß, sah viel Interessantes im DW-Programm: das Beste aus der Bundesliga, wie Hightech Blinde wieder sehen lässt, Musikvideos. Und natürlich die Nachrichten, stündlich, in unterschiedlicher Länge – drei, 15, 28 Minuten.

Aber, allem voran sahen die Zuschauer viele schöne Frauen aus Lateinamerika. Die neuen Moderatorinnen und Anchor-Damen sind ungewöhnlich hübsch. Und auch deshalb in ihren Heimatländern beliebt oder sogar berühmt. Linda Guerrero etwa: In Kolumbien verabschiedete sich die Moderatorin, die bei der DW nun die Nachrichtensektion der Sendung „Euromaxx“ präsentiert, mit sanft-kitschigen Nacktfotos von ihren Fans, gedruckt in der Zeitschrift Soho mit dem Begleittext: „Jetzt ist es an Ihnen, lieber Leser, Ihre Träume in die gefühlvollen Bilder dieser spektakulären Frau zu projizieren. Auch wenn sie wohl nur schwer in Erfüllung gehen werden, denn sie ist verlobt und heiratet nächstes Jahr. Doch – egal. Entspannen Sie sich und genießen Sie.“ Bei der Deutschen Welle zu arbeiten, sei für sie wie für einen Fußballer, bei Real Madrid zu spielen, sagte die schöne Kolumbianerin der gleichen Zeitschrift.

Die vielleicht am besten gelungenen Sendungen des ersten Tages waren Todo Gol, die Fussballsendung, und Kultur.21: Optisch ansprechend umgesetzt, mit Lateinamerika-Bezug. Die venezolanische transsexuelle Sängerin Aerea Negrot war ein Porträt wert, ihre Berlin-Lobeshymne klang zwar fast schon einen Tick zu werblich, doch es ging ans Herz. Eine Venezolanerin, die sich erst in Deutschland wirklich als Venezolanerin fühlen kann, weil sie in der Heimat nicht anerkannt wird. Auch in der Sportsendung ging es um Venezuela: Tomás Rincón, Mittelfeldspieler beim HSV, beschrieb, wie er anfangs in Deutschland Strafzettel sammelte. Oder wie er sich an den schnelleren Fußball gewöhnen konnte. Solche Stücke sind wichtig, um die Zuschauer zu interessieren, denn für die meisten Latinos ist Deutschland vor allem eins: Weit, weit weg. Natürlich braucht man davon nicht 20 Stunden am Tag, das wäre auch gar nicht machbar, so viele Anknüpfungspunkte gibt es nun auch wieder nicht – aber es ist der richtige Weg.

 

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Am siebten Tage sollst du ruhen

Die New York Times hatte gestern auf der ersten Wirtschaftsseite eine Geschichte über Deutschland. Der Artikel begann so: „Torsten Emmel mag aussehen wie ein unschuldiger Florist, ein netter Typ mit Glatze und Schürze, der sorgfältig die Stiele seiner Freesien kürzt. Tatsächlich ist er ein Gesetzesbrecher. Sein Vergehen: Er setzte ein Schild auf den Gehsteig, auf dem er ankündigte, seinen Laden am Muttertag von 9 bis 16 Uhr zu öffnen.“ Das, erklärt die Times ihren Lesern, sei in Deutschland illegal – und ein Beleg für strukturelle Schwäche: „Es zeigt, dass die deutsche Wirtschaft unter der gleichen Überregulierung und Sklerose leidet, die typischerweise mit den Problem-Ländern Europas verbunden werden.“

Sonntagsruhe gleich verkalkte Strukturen gleich Griechenland – die Gleichsetzung ist kühn, vorsichtig ausgedrückt. Sicher enthält sie ein Körnchen Wahrheit über die deutsche Mentalität, doch sie sagt mindestens ebenso viel aus über die Amerikaner, beziehungsweise über den Stellenwert, den sie dem Konsum beimessen. Es ist in den USA unvorstellbar, am Sonntag nicht shoppen zu können. Der Tag ist für viele der wichtigste Einkaufstag – dann hat man endlich Zeit! Das Gleiche gilt für die wenigen Feiertage wie President’s Day oder Columbus Day, die 1968 per Gesetz auf einen Montag verlegt wurden. Wunderbar, ein langes Wochenende zum Einkaufen! Samstags- und Sonntagsausgabe der New York Times schwellen dank der vielen Reklamebeilagen auf das Doppelte, und ältere Semester wie ich erinnern sich wehmütig, dass so ein Umfang in der Hoch-Zeit der gedruckten Presse der Normale war.

Selbst in unserer Brooklyner Einkaufsstraße, für die die Bezeichnung Nebenzentrum eher hochtrabend wäre, haben sonntags nahezu sämtliche Läden geöffnet. Auch mein Zahnarzt macht Termine – nicht weiter erstaunlich: Da er Jude ist, ist sein Feiertag der Samstag. Doch auch mein Friseur hat sonntags geöffnet, und der ist aus Sizilien eingewandert und bekennender Katholik. Die einzigen, die aus irgendeinem Grund verlässlich geschlossen sind, sind Reinigungen.

In den ersten Monaten nach meiner Ankunft fand ich es irritierend, dass die Woche keinen natürlichen Rhythmus hat. Die äußere Uhr läuft einfach weiter und ich wurde nicht, wie in Deutschland, durch Stille beim Aufwachen an das Gebot erinnert „Am siebten Tage sollst du ruhen“. Inzwischen habe ich gelernt, mir meinen eigenen Rhythmus zu geben und eine Wochenendroutine zu entwickeln, indem ich zum Beispiel ausdrücklich am Samstag einkaufen gehe und nicht am Sonntag. Ob Amerikaner das verstehen würden?

Der Artikel in der New York Times enthält übrigens noch weitere interessante Breitseiten, etwa dass auch die Handwerksrolle die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands schwächt: „Jahre der Ausbildung sind erforderlich, um als Maler, Schornsteinfeger oder Fahrradtechniker zu arbeiten.“ Als Ökonomin, die an der liberalen Universität zu Köln studiert hat, hätte ich der Kritik vor meinem USA-Aufenthalt ohne weiteres zugestimmt. Inzwischen bin ich mir da nicht mehr so sicher. Die mit dicker weißer Farbe überstrichenen Lichtschalter und Türknäufe in unserer Altbauwohnung machen ebenso nachdenklich wie der verkehrt angeschraubte Überlauf in der Badewanne. Bizarr verlief unser Auftrag an einen Schreiner, der Umzugsschäden am Parkett beseitigen sollte und das Schleifen und Lackieren von zwei mexikanischen Tagelöhnern erledigen ließ, während er selbst den Lieferwagen um den Block fuhr, angeblich weil er keinen Parkplatz fand. Ein Freund aus London – auch dort ist das Handwerk liberalisiert – unterhielt monatelang eine ganze Facebook-Gemeinde mit der Horror-Story einer Dachreparatur.

Während ich dies schreibe, frage ich mich, was der Kollege der New York Times denken würde, wenn er meinen Blog lesen würde: „Ein typisch deutsches Lamento“? Vielleicht ist es an der Zeit, die kulturellen Unterschiede einfach zu akzeptieren und nicht in Schablonen zu packen. Zumal ich mir inzwischen in Deutschland zuweilen schon fast vorkomme wie eine Amerikanerin – ich vermisse Flexibilität und Improvisationstalent. Außerdem wäre es schön, den vergessenen Brokkoli auch am Sonntag noch schnell einkaufen zu können.

 

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Ewiger Rosenmontag

Diese Woche war innerdeutscher Schunkelstopp: Am Aschermittwoch ist alles vorbei. Pappnasen absetzen, Perücken einmotten, ein Jahr Ruhe. Für den Neuseeländer ist gar nichts vorbei. Es herrscht immerwährender Karneval, wohin ich auch gehe. Oder fliege. Ich habe jetzt vorsichthalber Konfetti im Handgepäck.
Als ich letztens nach Queenstown musste, sass mir am Flughafen eine Art Herzbub gegenüber: Keckes Hütchen, rot glitzernde Hotpants und enge Weste über nackter Brust. In anderen Städten hätte man auf einen Besucher des Christopher Street Days tippen können, aber nicht so in Christchurch. Der junge Mann feierte seinen Junggesellenabschied. Für die Stewardessen reine Routine. Kurz nach dem Start wurde der Fastverheiratete durch die Gangway geschickt und durfte Bonbons verteilen. Alle klatschten, der Countdown zum Traualtar hatte begonnen.
Ich war bereits initiiert, was solche Aufzüge angeht – saß ich doch erst wenige Wochen zuvor auf dem gleichen Flug, selber ein jeckes Käppi auf dem Kopf und Sekt im Bauch. Ich war Teil einer „Hen’s Party“, die den Ferienort Queenstown unsicher machen wollte. Der erste Akt der Junggesellinnenparty sah vor, dass wir alle mit bunter Kopfbedeckung reisen. „Ach, die ‚mad hatters‘“, begrüßte uns das Bodenpersonal, das damit offenbar Erfahrung hat und das alles nicht halb so peinlich fand wie ich.
Damit war der Kostümzwang noch lange nicht vorbei. Die angehende Braut wurde von der Hühnerschar hinterrücks zum Bungy-Sprung genötigt. Was musste sie vorher als Verkleidung anziehen? Ein altes Hochzeitskleid, für ein paar Doller im Internet ersteigert. Wie ein Engel flatterte sie weiß umflort durch die Luft, während wir Hühner uns wieder zuprosteten. Mit Verkleidung wird einfach alles schöner, auch ein Ausflug in die Abgründe der vorehelichen Riten. Eine Erfahrung eher ethnologischer Natur.
Vor ein paar Wochen flog ich nach Wellington. In der Hauptstadt liefen die „Sevens“, eine Mischung aus Fasching und Rugby. Die verkleideten Horden im Flugzeug waren nur der Vorgeschmack. Was auf den Straßen an mir vorbeiströmte, war Rosenmontag pur – Dirndl, Clowns, Scheiche, Sträflinge. Am Courtenay Place, der Ausgehmeile der Innenstadt, stand ein Schrein. Leere Schnapsflaschen, Blumen in Marmeladengläsern, handgeschriebene Gedichte, Kerzen und sentimentale Sprüche huldigten dem Mann, der hier tagein, tagaus elf Jahre lang in minimalistischer Verkleidung gesessen hatte. „Blanket Man“ war tot.
Der berühmteste Obdachlose Neuseelands hieß so, weil er sommers wie winters nur mit einer Decke und einem Lendenschurz bekleidet war. Jede Nachteule kannte ihn. Ben Hana war Anbeter eines Maori-Sonnengottes, Alkoholiker und Asphalt-Ikone – von vielen verachtet, von einigen verehrt, und so prominent, dass Lieder über ihn geschrieben wurden. Vor drei Jahren stand er vor Gericht und kam auf Kaution frei mit einer Auflage: Er müsse in der Öffentlichkeit Unterhosen tragen. Rest in peace. Alaaf forever.

 

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Reporter auf Bäumen

„Du musst schnell auf den Baum klettern!“ flüstert mir der Ranger zu. Seit mehreren Stunden bin ich bereits mit der Anti-Wilderer-Einheit auf Patrouille im Nationalpark. Und jetzt das. Ich soll klettern. „Ist das dein Ernst?“ flüstere ich sicherheitshalber zurück. Es ist sein voller Ernst. Meine Augen folgen seinem Zeigefinger: Aus einem Gebüsch, nur wenige Meter entfernt, schaut ein Spitzmaulnashorn in unsere Richtung, die Ohren gespitzt, die Nase in den Wind gereckt. Das ist natürlich ein guter Grund. Spitzmaulnashörner sind für ihre Unberechenbarkeit und Aggressivität berüchtigt. (Ein Foto habe ich leider nur von seinem freundlicheren Verwandten, dem Breitmaulnashorn…)

So leise und gleichzeitig so schnell wie möglich mache ich mich auf den Weg zum nächsten Baum. Wie lange ist es her, dass ich auf einem Baum geklettert bin? 20 Jahre vielleicht. Wäre ja peinlich, wenn ich es vermasseln würde. Nachdem es sowieso schon Monatelang gedauert hat, die Ranger davon zu überzeugen, mich mit auf eine ihrer Patrouillen zu nehmen. Auf die Begegnung mit Wilderern hatten sie mich vorbereitet, auf eine Kletterpartie nicht. Ich erreiche den Baum, stecke Mikrofon und Aufnahmegerät in meine Jackentasche, wünsche mir, größer als 1,62m zu sein. Den ersten, einigermaßen Vertrauenserweckenden Ast kann ich gerade so erreichen. Beherzt greife ich zu, stütze mich mit dem Fuß am Stamm ab und … schaffe es. Nicht elegant, aber innerhalb von Sekunden. Das weiß ich genau, denn mein Aufnahmegerät habe ich vor lauter Aufregung die ganze Zeit über mitlaufen lassen.

 

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Munch – zum Schreien teuer. Aber warum?

KOPENHAGEN. Das Auktionshaus Sotheby’s hat heute vermeldet, eine Version des Gemäldes “Der Schrei” von Edvard Munch (1863-1944) zu versteigern. Es ist das einzige handelbare Exemplar des bekanntesten Motivs von Munch – alle anderen Schrei-Gemälde sind im Besitz norwegischer Museen und die verkaufen bekanntlich nicht, Lithographien haben auch deutsche Museen.

Erste Schätzungen lauten deutlich über 50 Mio. Euro. “Der Schrei” ist auch deshalb so berühmt, weil er (in jeweils unterschiedlichen Versionen) gleich zweimal gestohlen und wieder aufgetaucht ist. Auch die Aufmerksamkeit, die das Werk durch diese Diebstähle bekommen hat, dürfte zum beträchtlichen Preisanstieg der Bilder Munchs beigetragen haben. Diese These wird bereits in diesem Text von mir für The Art Newspaper im Sommer 2008 vertreten.

 

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Will Hillary Clinton Präsidentin werden?

Ein beliebter Zeitvertrieb in Washington ist das Rätselraten über die nächsten Karriereschritte des politischen Spitzenpersonals. Es erstaunt deshalb nicht weiter, dass sich die halbe Hauptstadt derzeit den Kopf über die Zukunft von Außenministerin Hillary Clinton zerbricht. Der Auslöser: Robert Zoellick, Weltbank-Präsident seit gut fünf Jahren, gab bekannt, dass er sich nicht um eine zweite Amtszeit bewerben werde. Stattdessen tritt der Republikaner, inthronisiert durch den damaligen Präsidenten George W. Bush, auf Ende Juni zurück. Und Clinton gilt – zusammen mit Ex-Finanzminister Larry Summers – als heiße Anwärterin für den Posten, der traditionsgemäß durch das Weiße Haus vergeben wird. (Gemäß den ungeschriebenen Regeln ist Europa im Gegenzug zuständig für die Wahl des Direktors des Internationalen Währungsfonds, der Schwester-Organisation der Weltbank.) Bereits im Juni 2011 publizierte die Nachrichtenagentur Reuters einen Artikel, in dem behauptet wurde, dass Clinton «diesen Job» will. Mit diesen Worten jedenfalls wurde eine angeblich gut informierte Quelle zitiert. Angeblich unterstütze Präsident Barack Obama ihren Wunsch nach Veränderung.

Sowohl das Weiße Haus als auch das Außenministerium bezeichneten die Meldung aber als unzutreffend. Der Sprecher Obamas sagte vorige Woche: «Komplett falsch». Und die Sprecherin des State Departments verkündete: Clintons «Meinung hat sich nicht geändert», und ein Wechsel aus dem Außenministerium in die Weltbank – die beiden Gebäude sind in Washington eigentliche Nachbarn – stehe nicht an. Solch klare Worte sollten die Gerüchteküche eigentlich zum Verstummen bringen. Hinzu kommt, dass die 64-Jährige kein Geheimnis aus ihrem Wunsch gemacht hat, auf Ende Jahr in den Ruhestand zu treten. In der amerikanischen Hauptstadt allerdings werden Dementis selten zum Nennwert genommen. Denn die wenigsten Akteure können sich vorstellen, dass sich Clinton, die seit den Siebzigerjahren politisch aktiv ist, plötzlich zur Ruhe setzt – um darauf zu warten, dass ihre Tochter Chelsea ihr endlich ein Grosskind schenkt, wie Gatte Bill einmal scherzend sagte. Hillary, behauptete der Ex-Präsident, wünsche sich nichts sehnlicher als endlich Großmutter zu werden.

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