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Standortvorteil “Verbuschung”

Eigentlich wollte ich an dieser Stelle schon längst über die katalanischen Wahlen geschrieben haben, aber ich kam bisher nicht dazu, weil ich mit den Nachwehen eines zum Politikum gewordenen Interviews beschäftigt war. Ein ARD-Kollege und ich haben uns am Freitag vor der Wahl mit Oriol Amat, Wirtschaftsprofessor und Nummer 7 der separatistischen Junts pel Si-Liste getroffen. Ursprünglich sollte es um mögliche wirtschaftliche Konsequenzen einer Sezession gehen, das Interview mit dem Experten der Gegenseite war bereits geführt. Aber schon bald sprachen wir von möglichen Szenarien nach einem Regierungswechsel in Spanien. Als ein sehr wahrscheinliches Szenario schien Amat ein Madrider Angebot zu Verhandlungen um ein neues Autonomiestatut. Dass eine solche Offerte von den Katalanen angenommen würde, schien ihm nicht ausgeschlossen. Ich war überrascht: Seit Jahren demonstrieren regelmäßig Hunderttausende für einen „eigenen Staat“, die „In-, Inde-, Independencia“-Rufe sind fester Bestandteil der politischen Folklore und in jedem zweiten Interview beschwören Politiker, „es gebe keinen Weg zurück“. Zwei Tage vor der „plebiszitären“ Wahl ein Autonomiestatut als mögliche Lösung zu präsentieren (immer als Gedankenspiel und unter der Prämisse, diese von den Katalanen noch einmal ratifizieren zu lassen) ist etwa so, als lasse man Sprinter monatelang im Hochland für Olympia trainieren, nur um sie dann zur Bushaltestelle rennen zu lassen. Ich fragte nach. Zwei, drei Mal. Amat blieb dabei.

Was der Wirtschaftsprofessor da sagte, bestätigte, was viele internationale Beobachter vermuten: dass es innerhalb der heterogenen Junts pel Si-Liste Differenzen über Weg und Ziel gibt, dass der Minimalkonsens nicht Unabhängigkeit um jeden Preis, sondern Verhandlungen mit Madrid und Brüssel sind. Vom Gezerre um Freigabe des Gesamtinterviews (einen Tweet hatte ich unmittelbar nach Interview abgesetzt), vom Druck und den widersprüchlichen Gedanken, die mir dabei durch den Kopf gingen, von der Unterstützung durch die Kollegen vor Ort und vom Círculo de Corresponsales www.corresponsales.org, erzähle ich gern mal an anderer Stelle. Samstag Nachmittag packte ich einen Ausschnitt aus dem Interview auf Soundcloud, die Online-Zeitung Eldiario.es brachte die Geschichte, El País, La Vanguardia, Antena 3 und ein gefühltes halbes Dutzend anderer Medien nahmen das Thema auf, die beiden Unabhängigkeitslisten veröffentlichten Kommuniqués. Natürlich schmeicheln solche 15 Minuten Ruhm dem journalistischen Ego, wesentlicher ist für mich eine andere Erkenntnis: Freie Korrespondenten haben einen Standortvorteil. Wir sind meist lange genug in einem Land, um auch die Zwischentöne einer Debatte zu verstehen. Auch wenn sich die Relevanz davon dem mit dem gesamten Weltgeschehen beschäftigten Redakteur am Newsdesk nicht sofort erschließt, ist das unser großes Kapital. Und unverzichtbar, wenn es um Analyse, Interpretation, um Hintergrund geht. Das hoffe ich zumindest.

 

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Katalanischer Sommerreigen

Da Barcelona ja immer noch der Ruf als stilprägende Metropole vorauseilt, fragen mich meine Redaktionen gerne nach neuen Trends. Bitte, hier kommt einer: Die katalanische Trendsportart des Sommers heisst Ringelpietz mit Anfassen.

Für den 11. September, den katalanischen Nationalfeiertag plant die Bürgerbewegung Assamblea Nacional Catalana eine 400 Kilometer lange Menschenkette entlang der Via Augusta. Mit der “Via Catalana” soll ein Zeichen gesetzt werden, für die Unabhängigkeit Kataloniens, natürlich. Die Organisation läuft auf Hochtouren. In Sportreportermanier werden triumphierend die letzten zu füllenden Meter getwittert, Exil-Katalanen posten Fotos von Soli-Ketten aus Rom und Wien und seit ein paar Tagen gibt es jetzt auch ein offizielles Lied, den Via-Catalana-Road-Song quasi.

Wer etwas auf sich hält, kleidet sich zum Ringelreigen ganz mit nationalen Emblemen ein: Die gelb-rot gestreifte katalanische Fahne wird als eine Art Superman-Umhang über die Schulter geworfen, dazu gibt es passend die Unterhose für Freiheit liebende Geschlechter und Sandalen, mit denen man dann in Riesenschritten Richtung Unabhängigkeit schlappen kann. Die Merchandising-Industrie boomt, von wegen Krise.

An diesem Wochenende wird landesweit geprobt. Also, liebe Touristen, wundern Sie sich nicht, wenn Sie auf Ihrem Weg von den Pyrenäen ans Mittelmeer von glücklich strahlenden, sich an den Händen haltenden Menschen im gelb-roten Dress begrüsst werden. Es handelt sich nicht um einen PR-Gag eines verzweifelt um Besucher buhlenden Tourismusamtes, sondern um den Testlauf für eine politische Demonstration.

 

P.S: Und bevor ich jetzt wieder bitterböse E-Mails bekomme, in der mir mangelndes Verständnis für katalanische Befindlichkeiten oder gar bezahlte Maulwurftätigkeiten für die Zentralregierung in Madrid unterstellt werden: Ich masse es mir nicht an, in irgendeiner Art und Weise ein Urteil über Sinn oder Legitimität der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung zu fällen… aber, déu n’hi do, so ein ganz klein bisschen karnevalesk ist dieser Sommerreigen doch schon…

 

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Vorsicht Korrespondenten – bitte nicht füttern!

Heute der Generalstreik, nächste Woche die Parlamentswahlen: Katalonien steht zur Zeit etwas mehr im Interesse der Weltöffentlichkeit als normalerweise. Und das goutiert man sehr. Denn für fast nichts interessiert man sich hier so sehr wie über die veröffentliche Weltmeinung. Artikel in der Financial Times oder der New York Times werden breit rezipiert und intensiv diskutiert und das gute Dutzend internationaler Korrespondenten mit Sitz in Barcelona wird immer vors Mikro gebeten und auf Tertulias, diese ausufernden und lautstarken Diskussionsrunden, eingeladen. Allein in der letzten Woche hatte ich drei Interviewanfragen und eine Einladung auf eine Podiumsdiskussion. Die Fragen sind immer die gleichen: Was halten die Deutschen/Franzosen/Engländer von Kataloniens Unabhängigkeitsbestrebungen? Wie sehen sie uns als Volk? Glauben sie, dass wir auch als eigenständige Nation in der EU bleiben werden? Die Antworten sind natürlich bestenfalls spekulativ. Und da ich finde, dass meine persönliche Meinung über Unabhängigkeitsbestrebungen nichts zur Sache tut, sage ich immer häufiger ab, Ego-Schmeichelei hin, Ego-Schmeichelei her.
Auf der anderen Seite dagegen scheint unser Korrespondentenblick überhaupt nicht zu interessieren. Seit Wochen bemühen sich die hier ansässigen internationalen Journalisten um einen Termin mit Artur Mas, dem katalanischen Ministerpräsidenten. Zu voller Terminkalender, keine Chance.
Umso ärgerlicher dann zu lesen, dass die katalanische Regionalregierung Pressereisen für in Deutschland ansässige Journalisten organisiert, zu denen natürlich auf Gespräche mit dem Ministerpräsidenten gehören. In Madrid, so erzählten mir Kollegen, verfährt man ähnlich: Auch dort bemühen sich die Korrespondenten seit Wochen, gar Monaten um Interviewtermine mit diversen Ministern, auch dort lädt die Regierung lieber nach Gutdünken in Deutschland ansässige Politik- und Wirtschaftsredakteure zu Pressereisen und persönlichen Gesprächen ein.
Man muss keine Verschwörungstheoretikerin sein, um dahinter System zu wittern: Verspricht sich die katalanische/spanische Regierung davon, ihre Version der Dinge ungefiltert publiziert zu bekommen? Ohne den von Jahren Landeserfahrung “verstellten” Korrespondentenblick sozusagen? Ich zweifle nicht an der Kompetenz der deutschen Kollegen, solche Manöver zu durchschauen und objektiv zu berichten. Aber es ärgert mich, als Kollektiv so übergangen zu werden.
Vielleicht sollte man solche Manöver als indirektes Kompliment an unsere unbestechliche, kritische Arbeit werden. Ein schwacher Trost.

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