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2017: Das Reich der Feen – die Hebrideninsel Skye
In Schottland wird neben Englisch auch Gälisch esprochen. Die schottische Regierung will diese Sprache künftig mit einem Gesetz besser schützen.
Nicola de Paoli, Schottland-Magazin, 23. Juni 2017
Die Quelle ewiger Jugend und Schönheit liegt auf der Insel Skye. Wir stehen an einem regnerischen Nachmittag am Fluss Sligachan. Der Himmel über uns würde gerne ein paar Regentropfen loswerden. In einiger Entfernung sind die Gipfel der Cuillin Hills zu sehen. Sie geben der größten der Hebrideninseln an der schottischen Westküste eine dramatische Silhouette. Beim Blick auf den Uferrand fühle ich mich allerdings eher an eine Schlammpackung erinnert als an eine Schönheitskur. Aber man kann nie wissen…
Also balanciere ich auf nassen Steinen, gehe auf die Knie und achte darauf, dass meine Füße und Hosenbeine nicht allzu nass werden. Das Wasser ist genauso eiskalt wie es aussieht. Es prickelt auf der Haut. Dass die Dinge auf Skye etwas anders sind als auf dem schottischen Festland, haben wir schon immer gewusst. Warum soll das bei einer Beauty-Behandlung anders sein?
Der Grund für meinen Ausflug zum River Sligachan sind die Feen von Skye. Einst verliebte sich eine Fee unsterblich in einen Farmer. Doch die Liebesgeschichte fand kein Happyend, und seitdem weint sich die Ärmste am Fluss die Augen aus. Wir sollen unser Gesicht in die Feentränen halten. Fünf Sekunden reichen.
Die Unterschiede der Hebrideninseln zum schottischen Festland machen sich nicht nur in Sachen Kosmetik bemerkbar. Die Schriftstellerin Virginia Wolf war von der Andersartigkeit Skyes fasziniert. „Skye ist oft verregnet, aber auch schön; kaum körperlich; halb transparent; als lebe man im Inneren einer Qualle, die von grünem Licht durchleuchtet wird. Fern wie Samoa; verlassen; prähistorisch“, schreibt sie ihrer Schwester Vanessa Bell im Jahr 1938 in einem Brief.
Anders als im restlichen Land dürfen die Einwohner auf Skye auch heute noch für den Eigenbedarf Torf stechen und verfeuern. Die traditionelle Landwirtschaft, bei der sich schmale Streifen Ackerland mit breiten Entwässerungsgräben abwechseln, hat überall auf der Insel Narben im Gras hinterlassen. Der vielleicht augenfälligste Unterschied: Auf den Hebriden sind auf den Hinweisschildern am Straßenrand zwei Sprachen zu lesen, Englisch und Gälisch.
Laut der schottischen Regierung wird Gälisch von knapp 60.000 Menschen gesprochen, das sind rund 1,4 Prozent der Bevölkerung. Obwohl Gälisch eine Nationalsprache Schottlands ist, spielte sie jedoch lange Zeit kaum eine Rolle. In letzter Zeit gebe es allerdings ein verstärktes Interesse, hieß es in einem Bericht des schottischen Parlaments: „Die Zahl der Personen, die zumindest das eine oder andere gälische Wort kennen, hat sich von 15 Prozent auf 30 Prozent erhöht.“
Seit den 1980er Jahren wird die gälische Sprache im Unterricht an den Schulen, mit einem speziellen TV-Programm der BBC und einem Gesetz zum Schutz der Sprache gezielt gefördert. Ein weiterer Gesetzentwurf soll den Status der gälischen Sprache als offizielle Nationalsprache weiter festigen.
Die gälische Sprache hat auch zur eigenständigen Kultur der Westküte, in der Märchen und Sagen eine wichtige Rolle spielen. Sie haben auch bei den Ortsnamen der Insel Skye ihre Spuren hinterlassen. Am Fuß der Gebirgskette Black Cuillins nahe der Ortschaft Glenbrittle liegen die Fairy Pools. Das Wasser des River Brittle rinnt durch natürliche Wasserbecken und bildet kleine Wasserfälle. An diesem späten Nachmittag mit seinen tief hängenden Wolken wirken die umliegenden Bergketten wie drohende Wächter der malerischen Szene. Das Wasser in den natürlichen Becken schimmert geheimnisvoll türkisfarben.
Bei der Ortschaft Uig liegt „Fairy Glen“ – das Tal der Feen. Die Landschaft scheint geschrumpft zu sein: Die Besucher wandern über kegelförmige Hügel mit geriffelter Oberfläche. Die wenigen Bäumen sind klein und verwachsen. Viele Besucher lassen Geschenke wie Geldmünzen und Bänder für die Feen zurück. Auf dem grasbewachsenen Boden liegen sorgfältig gelegte Steinkreise. Das alles trägt zur besonderen Atmosphäre von Fairy Glen bei.
Die Feen haben zu dem boomende Tourismus auf der Insel beigetragen. Die Brücke, die vom schottischen Festland über den Loch Alsh nach Skye führt, macht die Anreise unkompliziert möglich. Dabei gab es nach Eröffnung der „Skye Bridge“ im Jahr 1995 erst einmal richtig Streit. Denn jeder, der Skye über die Brücke verlassen oder anreisen wollte, musste eine hohe Gebühr zahlen.
Die Touristenzahlen dümpelten vor sich hin. Die Einwohner fühlten sich wie eingesperrt auf ihrer Insel. „Es gab Massendemonstrationen, zahllose Festnahmen und sogar eine Protestbewegung, die SKAT (Skye and Kyle Against Tolls)“, erinnert sich Drew Miller, der im Verwaltungsrat von Skye sitzt und außerdem als Moderator für das Privatradio Cullin FM arbeitet.
Andy, der auf Skye lebt, machte sich ein Schlupfloch in den Bestimmungen der Brückenbetreiber zu Nutze. Viehtransporte waren von der Gebühr ausgenommen, und so lieh er sich ein Schaf für seine Spritztouren aus, erinnert er sich: „Wir sind mit einem Schaf im Auto zum Kneipenbummel nach Inverness gefahren.“ Andys Leihschaf verbrachte die Nacht im Vorgarten eines Freundes in Inverness. Am nächsten Morgen fuhr es auf dem Rücksitz wieder mit zurück nach Skye.
Die Proteste hatten letztlich Erfolg – mit weit reichenden Folgen. Heutzutage werden auf keiner großen Autobrücke in Schottland Gebühren für die Überquerung erhoben. Und auch die Schafe stehen wieder friedlich auf der Weide.
Die „Fairy Pools“ sind nur ein Highlight, das die Landschaft auf Skye bereithält. Ein weiteres ist der „Old Man of Storr“, der oft auf Postkarten und in Reiseführern zu sehen ist. Der „Old Man of Storr“ wird meist als Felsnadel beschrieben, doch eigentlich sieht er aus wie ein Hinkelstein, den der Gallier Obelix in der Landschaft stehen gelassen hat. Der Name der Felsformation weist auf den Einfluss der Wikinger auf Skye hin. Denn „Stor“ bedeutet nichts anderes als „groß“ in die Wikingersprache.
Im Jahr 1890 wurden beim „Old Man of Storr“ Silberstücke und Münzen aus der Wikingerzeit gefunden. Vielleicht vergruben die Wikinger den Schatz, weil sie hofften, ihn am Fuße der fast 50 Meter hohen „Old Man of Storr“ gut wiederzufinden.
Die Wikinger gaben auch einem weiteren Aussichtspunkt seinen Namen: Quiraing. In Serpentinen windet sich eine asphaltierte Straße durch das Bergmassiv. Sie gehört ohne Zweifel zu den spektakulärsten Streckenabschnitten, die Skye zu bieten hat.
Die Autorin Otta Swire zeichnet in ihrem Buch „Skye – The Island & Its Legend“ ein eher düsteres Bild von der Gegend. Es gebe über den Quiraing keine Sagen und Geschichten, schreibt Swire und spekuliert darüber, warum das so sei: „Es scheint, dass hier etwas so Grauenvolles und Böses geschah, dass die Überlebenden (so es welche gab) darüber nie ein Wort verloren. … Aber die Erinnerung lebt in der Erde und den Felsen weiter.“ Man muss diesen finsteren Eindruck vom Quiraing nicht teilen. Dennoch vermittelt die Beschreibung ein Bild von der dramatischen Einsamkeit der Bergkette.
Vom Quiraing ist es nicht weit zum Neist Point im Nordwesten. Die Klippen sehen aus wie eine lange Zunge, die ins Meer hinausragt. Auf der äußersten Zungenspitze steht ein weißer Leuchtturm, der 1909 in Betrieb genommen wurde. Am Fuß der Klippen schwappen die Wellen an einen Strand. Wir halten nach Robben Ausschau. Über uns kreisen Möwen.
Es ist inzwischen zu dunkel, um noch Fotos zu machen. Der Leuchtturm schickt alle fünf Sekunden sein weißes Signal hinaus auf den Atlantik. Die Luft ist satt von Feuchtigkeit. Das Licht um uns hat einen grünen Schimmer und macht aus den Klippen scharfkantige Schatten. Schafe stehen im gleichmäßigen Abstand am Wegesrand, leuchtend weiß im Halbdunkel und hintereinander aufgereiht wie eine Perlenkette. Es würde mich nicht wundern, wenn gleich eine Fee um die nächste Ecke biegt.