Reportage | Malte Seiwerth

Chiles Zukunft ist grün

2025-02-24

Der südamerikanische Staat ist zum Paradies für erneuerbare Energien geworden. Doch es gibt Zweifel an den sozialen und ökologischen Standards.

Luis Ignacio Diéguez und Paula Rivera stehen auf einem wackligen Dach im Stadtzentrum von Santiago de Chile. Stolz erklärt Diéguez das hier installierte System: Dank Solaranlagen auf dem Dach und ein paar Batterien sind die Gemeinschaftsbüros mehrerer Genossenschaften im Haus komplett autark. Für die beiden Mitglieder der kleinen Solargenossenschaft Red Genera ist das ein Erfolg und ein Beweis für ihre Vision, die dank Solartechnik möglich ist: Sie wollen möglichst schadstoffarm und lokal Energie produzieren. „Damit können endlich fossile Energieerzeuger abgeschaltet werden“, preist Diéguez an.

Chile ist ein weltweiter Vorreiter in der Energiewende. In nur etwas mehr als einem Jahrzehnt, von 2013 bis 2024, ist der Anteil erneuerbarer Energien am nationalen Strommix von 29 auf 68 Prozent gestiegen. Zu manchen Tageszeiten decken die erneuerbaren Energien sogar den gesamten Strombedarf Chiles ab. Das Land ist dabei, den Strommarkt schneller als ursprünglich geplant zu dekarbonisieren. Die Energiewende hat längst die großen Konzerne erreicht und verspricht satte Gewinne. Doch nicht alle sind mit der Form einverstanden.

Nur wenige Kilometer von den Energiepionieren entfernt, im „Manhattan“ der Hauptstadt, zwischen gläsernen Hochhäusern, liegt das Büro der Generadora Metropolitana – ein Konzern, der unter anderem der staatlichen Electricité de France gehört und in Chile mehrere Kraftwerke betreibt. Generaldirektor Diego Hollweck lehnt sich in seinem Sessel zurück und sagt: „Erst vor kurzem haben wir eines unserer ältesten Kraftwerke, das noch mit Diesel betrieben wurde, abgeschaltet.“ Und weiter: „Wir wollen Teil des Wandels sein.“

Noch vor wenigen Jahren erzeugte der Konzern Strom ausschließlich auf Basis fossiler Energieträger – die damals größte Anlage des Unternehmens war ein Öl- und Gaskraftwerk mitten in Santiago, das besonders im Winter große Mengen Schadstoffe ausstieß. Die beiden ältesten Anlagen innerhalb des Kraftwerks wurden nun abgeschaltet.

Jetzt betreibt Generadora den derzeit größten in Betrieb stehenden Solarpark Chiles. Auf einer Fläche so groß wie 609 Fußballfelder im Norden des Landes produziert das Unternehmen bis zu 480 Megawatt – etwa die Hälfte der Leistung eines kleineren Kernkraftwerks. Hollweck lächelt: „Chile hat ideale Bedingungen.“ In der Wüste im Norden des Landes scheint fast durchgehend die Sonne, und im Süden weht unaufhörlich starker Wind. „Erneuerbare Energien sind kostendeckend – ganz ohne Subventionen“, so Hollweck.

Das Land, in dem knapp 20 Millionen Menschen leben, ist trotz seines kleinen Marktes attraktiv für ausländische Unternehmen. Erst Anfang des Jahres listete das Beratungsunternehmen Ernst & Young Chile als das beste Land Lateinamerikas für Investitionen in erneuerbare Energien.

Positive und klare Marktbedingungen sowie eine Regierung, die sich bemüht, Probleme zu lösen und bürokratische Hürden zu senken, seien die Gründe für das gute Abschneiden, so das Unternehmen. International lag Chile in der Studie auf Platz 14, während Deutschland den zweiten Platz einnahm. Allein im vergangenem Jahr sollen in Chile ausländische Unternehmen mehr als 17 Milliarden Dollar in grüne Energieprojekte gesteckt haben, was etwa fünf Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausmacht.

Große Energiekonzerne und Umweltschützerinnen sind sich ausnahmsweise einig – zumindest wirkt es so in der Santiagoer Zweigstelle der Heinrich-Böll-Stiftung. Die den Grünen nahestehende Stiftung blickt positiv auf die Entwicklungen in Chile.

Gitte Cullman, Direktorin des Büros für Chile, Peru und Bolivien, sitzt im Konferenzraum einer Villa aus dem frühen 20. Jahrhundert, nur wenige Radminuten von der Generadora entfernt. Sie sagt: „In Chile herrscht ein Konsens in der Notwendigkeit, die Energiewende voranzutreiben. Das ist hier Staatspolitik und hängt nicht von der politischen Couleur der Regierung ab.“ Dieser Faktor werde gesellschaftlich unterschätzt, so Cullman.

via www.fr.de