Artikel | Julia Macher

Die Rebellion der Zimmermädchen

2016-03-22

Spaniens Tourismusbranche boomt, doch die Arbeitsbedingungen werden immer schlechter. Das bekommen vor allem die Zimmermädchen zu spüren. Sie machen jetzt gegen ihre Arbeitsbedingungen mobil.

Spaniens Tourismusbranche boomt, doch die Arbeitsbedingungen werden immer schlechter. Das bekommen vor allem die Zimmermädchen zu spüren. Sie machen jetzt gegen ihre Arbeitsbedingungen mobil.

Bevor Verónica Domínguez* morgens zur Arbeit geht,
frühstückt sie einen Milchkaffee und eine 800-mg-Tablette Ibuprofen.
Ohne Medikamente wäre schon das erste Drittel ihres Sieben-Stunden-Tages
unerträglich. Die Mittvierzigerin mit den langen dunklen Haaren
arbeitet seit 2002 als Zimmermädchen in einem Vier-Sterne-Hotel an der
Costa Daurada: Sieben Stunden Betten machen oder neu beziehen, Möbel
rücken, Boden wischen, Toilette, Waschbecken, Badewanne putzen,
Handtücher wechseln.

Vom Matratzenheben schmerzt der Rücken, die
Handgelenke sind chronisch entzündet, das linke Knie schwillt abends
auf Handballgrösse an. «Das kommt vom Badewannenputzen», sagt Verónica;
ihren 20 Kolleginnen geht es ähnlich. «Manche schleppen eine richtige
Apotheke mit sich herum und versorgen damit die anderen je nach Bedarf.»
Zum Arzt gehen? Sich krankschreiben lassen? «Dann heisst es gleich: Die
will bloss nicht arbeiten.» Verónica lacht sarkastisch.

Spaniens Urlaubsbranche boomt. Seit Mittelmeerländer wie die Türkei, Tunesien und Marokko als unsicher
gelten, bucht die sonnenhungrige Klientel wieder bevorzugt auf der
iberischen Halbinsel. Über 83 Prozent der Tourismusunternehmen
verbesserten 2015 ihr Jahresgeschäft. Doch Spaniens Zimmermädchen, etwa
100’000 sind es im ganzen Land, spüren nichts vom Aufschwung. Im
Gegenteil: Ihre Arbeitsbedingungen verschlechtern sich seit Jahren.

War
Verónica früher für 16 Zimmer verantwortlich, stehen heute bis zu 24
auf ihrer Liste. 15 bis 20 Minuten bleiben ihr pro Zimmer; ganz gleich,
ob dort am Abend vorher Partytouristen gewütet oder bloss
Geschäftsreisende ihren Laptop aufgeklappt haben. «Das schafft man nur,
wenn man von der ersten bis zur letzten Minute den Turbo anwirft», sagt
Verónica, während sie in ihren weissen Arbeitskittel schlüpft und die
Zimmerliste überfliegt, die ihr die Etagen-Gouvernante ausgehändigt hat.

Elf Gäste bleiben, neun reisen ab: Da müssen die Zimmer
besonders gründlich gereinigt, die Betten neu bezogen werden. Das
bedeutet mindestens eine Überstunde, unbezahlt natürlich. Neues Personal
stellen die Hotels kaum mehr ein. Um Kosten zu sparen, lagern immer
mehr Häuser die Arbeit auf Service-Agenturen und Zeitarbeitsfirmen aus.
Seit den Arbeitsrechtsreformen 2010 und 2012 sind diese nicht an die
tarifvertraglichen Löhne für Hotelfachkräfte gebunden.

 

Mit einem Kopfnicken begrüsst Verónica eine Kollegin, die einen der
160 Kilogramm schweren Wäschekarren über den Gang schiebt. Auch Manuela
arbeitet ganztags als Zimmermädchen. Weil sie aber über eine
Zeitarbeitsfirma angestellt ist, bekommt sie dafür bloss 700 Euro im
Monat, 300 Euro weniger als Verónica. Ihr Lohn ist an ein Zimmer-Minimum
gekoppelt. Schafft sie das Pensum nicht, bleibt sie länger; ein, zwei
Stunden am Tag. Planungssicherheit gibt es nicht.

«Ich hatte mir
für den Geburtstag meiner Tochter extra frei genommen – am Vorabend
rief mich die Chefin an und ich musste alles liegen lassen.»
Resigniertes Schulterzucken: «Andere Jobs gibt es nicht, mein Mann hat
früher auf dem Bau gearbeitet – jetzt muss ich das Geld für uns drei
alleine verdienen.»

«Der spanische Tourismussektor hat sich in den letzten Jahren massiv prekarisiert», sagt der Soziologe Ernest Canada.
«Das betrifft den Low-Cost-Bereich ebenso wie das Luxussegment. Der
Forscher, der für ein Buchprojekt Hotelarbeiterinnen aus ganz Spanien
befragt hat, sieht in den Externalisierungen den Hauptgrund für die
verschlechterten Arbeitsbedingungen. «Zimmermädchen machen zwanzig bis
vierzig Prozent des Personals aus. Sie tragen mit ihrer Arbeit ganz
wesentlich zum Charakter des Hotels bei. Es macht keinen Sinn, diesen
Kernbestand des Hotelwesens an Dritte auszulagern.» Langfristig
schade sich die Tourismusbranche damit selbst. «Irgendwann wird sich die
Lage in Nordafrika stabilisieren, die Touristen werden wieder dorthin
zurückströmen. In Spanien aber wird die Service-Qualität massiv
gesunken, der Sektor entprofessionalisiert sein – einfach, weil für
Professionalität keine Zeit mehr bleibt.»

 

Das Doppelbett in Zimmer 204 ist frisch bezogen; Verónica packt die
Schmutzwäsche auf den Wagen, fährt dann noch kurz mit dem Feudel rings
ums Bett. Um auch darunter und hinter dem Schreibtisch zu putzen, bleibt
keine Zeit. «Wenn die Kunden in die Ecken gucken würden, hielten sie
mich bestimmt für schlampig. Dabei habe ich meine Arbeit wirklich gerne
gemacht», sagt Verónica und erzählt, wie ihr früher noch Zeit blieb, die
Kleidung der Gäste ordentlich aufzuhängen oder die Handtücher hübsch
zusammenzufalten.

«Das habe ich während meiner Ausbildung
gelernt. Die Frauen, die wir heute anlernen, laufen einfach mit und
müssen manchmal schon vom ersten Tag an das gleiche Pensum schaffen wie
wir.» Sie seufzt. Ursprünglich sollte auch ihr Arbeitsplatz
externalisiert werden. Die Konditionen des neuen Arbeitgebers waren aber
so miserabel, dass sie über die Gewerkschaft klagte, dem Dienstleister
der Zuschlag gerichtlich aberkannt wurde und sie wieder zu alten
Bedingungen eingestellt wurde.

Zwar haben die grossen spanischen Gewerkschaften immer wieder auf die
eklatantesten Missstände aufmerksam gemacht. Spaniens Öffentlichkeit
hat von der Schattenseite des Urlaubsbusiness’ erst durch die Facebook-Gruppe Las Kellys Notiz genommen. In der 2014 von Eulàlia Corralero, einem Zimmermädchen
aus Lloret del Mar, gegründeten Gruppe tauschen sich Festangestellte und
Zeitarbeitskräfte über ihre Arbeitsbedingungen aus. Etwa 3000
Mitglieder hat die Gruppe derzeit; aus Angst vor Repression bleiben
viele anonym.

Die Frauen berichten von Praktikaverträgen, die
immer wieder verlängert werden; von Firmen, die ehemalige Häftlinge
einstellen, von Agenturen, die bei Ausschreibungen grosser Hotelketten
mit Zimmerpreisen von 2,50 Euro gegeneinander konkurrieren, inklusive
eines 50-prozentigen Rabatts für das erste Jahr: «Was da für das
Zimmermädchen übrig bleibt, kann man sich ja ausrechnen.» Auch Verónica
hat sich eine Zeit lang bei «Las Kellys» engagiert: «Es ist wichtig,
dass die Öffentlichkeit von unseren Arbeitsbedingungen erfährt.»

Inzwischen haben Spaniens rebellische Zimmermädchen über Parteien und
Gewerkschaften einige ihrer Forderungen auf die politische Tagesordnung
gebracht: Auf den Kanarischen Inseln werden die innerbetrieblichen
Tarifverträge von Hotelketten und Servicefirmen überprüft; auf den
Balearen will man künftig bei der Zertifizierung von Hotels auch die
Arbeitsbedingungen berücksichtigen. Auch die schärfere Definition des
Begriffs Berufskrankheiten und die Herabsetzung des Rentenalters auf 58
Jahre wird diskutiert.

Vielleicht, wünscht sich Verónica,
erreicht die Debatte auch irgendwann diejenigen, denen sie täglich das
Bett macht. «Ich träume von dem Tag, an dem ein Gast vor dem Buchen
nicht nur nach dem Pool, sondern auch nach unseren Arbeitsbedingungen
fragt.» Dann massiert sie sich kurz die Handgelenke und schiebt den
Wäschekarren weiter zur nächsten Tür.
(Die Namen der Zimmermädchen wurden von der Redaktion geändert.)

via tageswoche.ch

Newsletter

Es gibt Post!