Radio-Beitrag | Julia Macher

Kampf um Kunstfreiheit im Katalonienkonflikt

2018-02-25

Der Katalonienkonflikt spaltet nicht nur die Gesellschaft, sondern prägt auch das kulturelle Klima. Auf der Kunstmesse ARCO hat eine Galerie die Portraitserie "Zeitgenössische politische Häftlinge" von Santiago Sierra abgehängt. Zu sehen waren inhaftierte katalanische Politiker und Unabhängigkeitsbefürworter.

Die Kunstmesse ARCO neigt sich ihrem Ende zu – und Santiago Sierras
geschasstes Werk hat längst einen neuen Besitzer. Für 80.000 Euro
erstand ein katalanischer Medienunternehmer die 24-teilige
Portrait-Serie. Er will sie jedem zu Verfügung zu stellen, der
“Zeitgenössische politische Häftlinge” zeigen möchte.

Die ersten
Interessenten haben sich gemeldet: Alle aus Katalonien. Das ist kein
Zufall. Denn in der Region im Nordosten Spaniens hat man den Streit um
das Werk besonders intensiv verfolgt.

 

Es
ist nicht gut bestellt um die Beziehungen zwischen Barcelona und
Madrid. Der jüngste ARCO-Skandal gießt noch mehr Öl ins Feuer: Den
Rückzug des Werkes interpretierten viele als einen Akt des
vorauseilenden Gehorsam – auch angesichts der Welle von Strafanzeigen,
die es seit des verbotenen Unabhängigkeitsreferendums gab.

Gegen
Satiriker wie Eduard Biosca zum Beispiel. In einer Radioshow verglich
dessen Kunstfigur “Sr. Bohiguas” die während des verbotenen
Unabhängigkeitsreferendum auf einem Schiff stationierten Polizisten mit
den dort aufgefundenen Ratten.

 

“In Spanien ist man besessen
von der Idee der Einheit, das überdeckt alles: Themen wie soziale
Gerechtigkeit sind zweitrangig. In einer Demokratie bekommt man Ärger,
wenn man über die Schwachen herzieht. In Diktaturen oder defizienten
Demokratien wie der unseren dagegen, wenn man die Mächtigen kritisiert.”

Das
Verfahren gegen ihn wurde inzwischen eingestellt, Dutzende andere sind
noch offen. Die Satire-Zeitschrift El Jueves etwa erhielt Strafanzeige
wegen eines Witzes über den möglichen Kokainkonsum von Polizisten. Seit
dem Hickhack ums verbotene Unabhängigkeitsreferendum herrsche in Spanien
ein Klima der Verfolgung, sagt Chefredakteur Guillermo Martínez-Vela:

 

“Die
Polizei, der spanische Staat wurden für ihr Vorgehen hart kritisiert:
Vor der Weltöffentlichkeit waren sie die Bösen. Diese Anzeigen sind ein
Versuch das Image aufzupolieren oder zumindest die Deutungshoheit über
den Diskurs wieder zu erlangen. Dazu hat der spanische Innenminister ja
auch ermutigt, als er sagte ‘keine Beleidigung wird unverfolgt bleiben’.
Es ist eine Art Gegenkampagne.”

 

Die juristischen Fundamente
sind das 2015 verschärfte Strafrecht mit dem ausgeweiteten Strafbestand
“Verherrlichung des Terrorismus” und sogenannte Hassdelikte.

Sie
wurden nicht nur im Fall der wüst aggressiven Texte des zu 3,5 Jahren
Haft verurteilten Rappers Valtonyc herangezogen, sondern auch bei eher
anekdotischen Episoden – etwa der um einen katalanischen Stadtrates, der
sich während einer Demo mit Clownsnase neben einen Polizisten stellte.
Fast obsessiv durchforste die Polizei inzwischen das Netz nach
sogenannten Hassdelikten, kritisiert der Philosoph Josep Ramoneda.

 

“Diese
Entwicklung ist Ergebnis eines politischen Konflikts, der zu einem
alles dominierenden Kampf zwischen zwei Nationalismen geworden ist, dem
katalanischen und dem spanischen Nationalismus. Der Kampf gegen die
Unabhängigkeitsbewegung ist für viele Bürger inzwischen der einzige
Mobilisierungsgrund. Für ihn nimmt man auch Einbußen in Sachen Meinungs-
und Kunstfreiheit hin.”

Der
1978 gegründeten, noch relativ jungen spanischen Demokratie fehle es an
Selbstbewusstsein, um souverän mit dem Katalonienkonflikt umzugehen,
sagt Ramoneda. Das wirkt tief in das kulturelle Schaffen: Etwa, wenn
Satiriker wie Biosca offen gestehen, ihre Kritik inzwischen lieber
zwischen die Zeilen zu legen. Oder wenn renommierte Galerien auf
Spaniens Vorzeigemesse freiwillig Selbstzensur üben.

 

“Beim
ARCO-Skandal hat ein Anruf an eine Galerie gereicht, um ein Werk
zurückzuziehen. Das ist eine sehr bedenkliche autoritäre Entwicklung:
Auf der einen Seite Institutionen, die alles tun, um der Regierung zu
gefallen, auf der anderen eine Kunstszene, die darauf fast gar nicht
reagiert hat – weil sie wirtschaftliche Interessen über das der Freiheit
der Kunst stellt.”

 

Aus Angst, nicht mehr eingeladen zu
werden, schweige man lieber. Das ist laut Ramoneda zwar kein spezifisch
spanisches Phänomen, aber in Folge des Katalonienkonflikts ist es dort
besonders sichtbar geworden.

 

(Foto: Galeria Helga de Alvear)

http://www.deutschlandfunkkultur.de/nach-skandal-um-santiago-sierra-kampf-um-kunstfreiheit-im.1013.de.html?dram:article_id=411655

via www.deutschlandfunkkultur.de

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