Fadi Kattan will die palästinensische Küche in die Welt tragen. In seinem Restaurant in Bethlehem hat er auch Jamie Oliver bekocht, mit dem er gern verglichen wird.
Die knisternden Blättchen, das muss das Luf sein, das wir am Morgen als grüne Lappen vom Markt in Bethlehems Altstadt geholt haben. »Ein Liliengewächs«, hatte der Koch erklärt: »Roh ist es giftig.« Wie versprochen bitzelt es auch frittiert noch auf der Zunge. Die weißen Tupfen dazwischen schmecken zart ziegig nach Labaneh, dem tuchgeschüttelten Käse der Beduinen. Und irgendwo hat er doch noch Makdous aufgetrieben: winzige eingelegte Auberginen, gefüllt mit Walnüssen und Knoblauch. Dem Kollegen Jamie Oliver, hatte er erzählt, sei das Öl nur so übers Kinn getropft, als der bei einem Besuch davon kostete. Der frisch-säuerliche Abgang erklärt sich von selbst: Purpurrotes Sumach-Gewürz sprenkelt die gesamte Vorspeise – Palästina in Pulverform. Nach einem Tag mit dem Koch Fadi Kattan liest sich ein Salat von ihm wie ein Manifest.
Fadi Kattan will die palästinensische Küche in die Welt tragen, bevor sie vergessen wird – oder noch schmerzlicher: bevor sie aufgeht in der israelischen Küche, die derzeit überall gefeiert wird, dabei aber selten ihre Wurzeln benennt. Er hat es nicht nur geschafft, Jamie Oliver hinter den acht Meter hohen Sperrwall ins Westjordanland zu locken, als der Fernsehkoch 2019 in Israel drehte. Der 44-jährige Kattan wird in internationalen Medien auch mit dem Briten verglichen: angetreten als Rebell mit dem Kochlöffel, der traditionelle Zutaten neu abmischt. »Fawda«, »Chaos«, hat Kattan sein Restaurant getauft, in dem mir der Kellner gerade die Vorspeise serviert hat.
Kattan selbst steht wahrscheinlich gerade oben rauchend auf der Dachterrasse, zwischen den Kirchtürmen der Katholiken und der Assyrer und dem Minarett der Omar-Moschee. Mit Blick auf seine sesamfarbene Heimatstadt. Sein Restaurant samt Gästehaus ist in einem Familienanwesen, Baujahr 1738, untergebracht, gleich hinter dem Krippenplatz – mittendrin und doch so verborgen, dass sich seine letzten Gäste aus Deutschland zum Sonnen auszogen; die Kellnerin war ziemlich entsetzt.
Als das Fawda 2016 eröffnet wurde, galt es Reisenden schnell als Geheimtipp hinter der Geburtskirche. Kattans Podcast Sabah Al Yasmine, für den er Gesprächspartner wie den italienischen Starkoch Massimo Bottura gewinnen konnte, hatte bald Zuhörer auf der ganzen Welt: In bisher 77 Folgen seziert er darin eine Esskultur, die viele nur mit Falafel-Buden und Hummus in Verbindung bringen. Und jeden Tag postet er auf Instagram ein perfekt komponiertes quadratisches Bildchen – einen kulinarischen Gruß aus der kleinen Stadt im Westjordanland. Einer, der Kattans Rezepte nachkocht, taggt und teilt, ist etwa der Hollywood-Traumhaus-Bauherr Mohamed Hadid, Vater der Models Gigi und Bella.
Auch heute hat Kattan jeden Gang penibel angerichtet, das Porzellan noch schnell polieren lassen. Nur die frischen Blumen fehlen. Und die Tischdecken sind bereits seit gut zwei Jahren gestärkt: Seit dem ersten Lockdown haben es kaum Touristen in die Stadt geschafft, sodass sein Restaurant noch immer geschlossen ist. Ich sitze allein in dem alten Gemäuer. Ein paar antike Lederkoffer stehen als Deko herum; ansonsten ist die Ausstattung ein Mix aus Orientteppichen und Pariser Bistro. An der Wand über meinem Kopf hängt ein bunter Druck mit dem Titel Liberté, j’écris ton nom und dem zugehörigen Gedicht von Paul Éluard. Eine Freundin habe ihm das nach dem Attentat auf Charlie Hebdo geschickt, hat Kattan erzählt.
Frankreich, wo er in verschiedenen Etablissements seine Ausbildung zum Koch und Hotelier absolvierte – das war für ihn bis dahin die Idealvorstellung einer freien Demokratie gewesen. Und doch war immer klar, dass er sein eigenes Restaurant in Bethlehem eröffnen wollte, in der ummauerten Stadt im umstrittenen Land: wo der Glauben diktiert, welche Rechte man hat, und die Einheimischen schimpfen, wenn er die Weinblätter nicht wie gewohnt mit Reis füllt oder wenn er sie gar komplett dekonstruiert. »Früher war Bethlehem viel liberaler«, hat Kattan mir erzählt. »Unsere Kultur ist bedroht, und als Reaktion darauf wird die Gesellschaft immer konservativer.«
Als Kattan 1994 nach Paris aufbrach, gab es keine Mauer, keine Checkpoints. »Keine 17-jährigen Soldaten, die dich in schlechtem Arabisch anbrüllen.« Der Ausflug ins nahe Jerusalem, wo er im Lycée Français mit jüdischen Israelis die Schulbank gedrückt hatte, war damals noch ein Katzensprung. Als der frischgebackene Koch im Jahr 2000 aus Frankreich zurückkehrte, wucherte auf dem Hügel vor der Stadt anstatt des Waldes eine israelische Siedlung.
Nicht verändert hat sich die Altstadt rund um den Sahat al-Mahd, den Krippenplatz, mit Kattans »happy place« – so nennt er den Markt, weil er dort alle Zutaten findet. Es hat etwas von einem witternden Bären, wie er morgens durch die Gassen dorthin trabt, schwer und doch behände. Das Haar sorglos frisiert, die Augen hinter der Brille ständig in Bewegung. Vorbei an türkisen Eisentüren, unter Lichterketten und Sternenschweifen hindurch. In Bethlehem ist immer ein bisschen Weihnachten, selbst in diesem Frühjahr, in dem die Stadt allein den Palästinensern gehört: keine Pilger vor der Grotte in der Geburtskirche, deren Eingang sonst stets mit dem Hintern eines Knienden verstopft ist. Keine Tagestouristen, die den Sperrwall nach einem Originalgraffito von Banksy absuchen.
Stattdessen auf dem Markt das heisere Geträller der Händler; die grünen Kirschen mit Salz; ja selbst das pink gefärbte Kokosnuss-Dessert, das ihm nicht schmeckt: All das verbindet Kattan mit seiner Kindheit – und die war geprägt von seiner »Teta«. Großmutter Julia war es, in deren Küche er lernte, dass ein wenig Sumach selbst ein Spiegelei zum Festmahl macht.
Frische Kaktusfeigen, für den kleinen Fadi geschält, Auberginen aus Battir, bittere Orangen aus Jericho: Bevor die Bauern ihre Waren auf den Markt brachten, kamen sie erst zu seiner Teta Julia, einer Institution in der Stadt – damit die sich das Beste aussuchen konnte.
»Kif halak, Fadi?« – »Al hamdallah!« Die Markthändler sind es heute gewohnt, dass er durch Hintertüren tritt, unter Theken herumkruschtelt und sich generell selbst bedient. Im Gegenzug schlürft er einen Höflichkeits-Mokka nach dem anderen. Beim Gewürzhändler führt er mich zu den Regalen mit Piment, Kardamom und Kurkuma. Daneben wilder Thymian, den man in Europa höchstens als Gewürzmischung kennt. Und natürlich das fruchtige Pulver der Sumach-Beere, das vielleicht typischste der palästinensischen Gewürze. Großzügig färbt es das Hühnchen tiefrot, das als Mussachan mit Zwiebeln und viel Öl auf Brot aus dem Tabun-Ofen serviert wird. Ein Gericht, das Kattan mit der Olivenernte verbindet. Im Fawda hat er sich allerdings erlaubt, Zwiebeln und Sumach zu Marmelade einzukochen und das Brathuhn durch Pastete zu ersetzen.
Beim Metzger bewundert Kattan die 600 Kilo Rind, die gerade für eine Hochzeit geordert wurden, und rupft schnell ein Büschel Koriander, das zur Deko zwischen Lamm-hälften hängt, damit es samt Fleisch durch den Wolf gedreht werden kann. Dann verschlingt er das Scheibchen rohe Lammleber, das ihm der Metzger reicht: »Weil man so Vertrauen in die Hygiene zeigt«, sagt Kattan. »Aber vor allem, weil es schmeckt.«
Teta Julia habe ihm nicht nur die Liebe zum Essen vererbt, sondern auch die Verantwortung, die damit einhergehe, erklärt Kattan. Ihr Geist schwirrt noch heute durch die Gassen der Altstadt. Immer noch bereitet ihr Frauenverein traditionelle Leckereien zu, um die Bedürftigen zu versorgen: der Verein, den sie 1947 als erstes Hilfszentrum für die Flüchtlinge aus dem Palästina-Krieg gegründet hat. Der Verein, der in Bethlehem die erste Bücherei eröffnete, die erste Kunstschule, das erste Museum Palästinas: »Die Großmütter hielten uns als Volk zusammen.«
Während der Pandemie sei ihm bewusst geworden, wie machtvoll traditionelles Essen ist, sagt Kattan. Als er mit seinem Podcast begann, schrieben ihm Palästinenser, verstreut auf der ganzen Welt, von den Gerüchen ihrer Kindheit, schickten Fotos von Gerichten. Da wurde ihm auch klar, wie unterschiedlich die Erinnerungen an die palästinensische Küche sind: In Gaza am Mittelmeer löffelt man Shrimps-Suppe, im windigen Jerusalem findet man das beste Hummus, Nablus gilt als Mekka der Süßmäuler, und wer warmes Gemüse aus wilden Malvenblättern zu seinem Pita essen will, sollte im Winter in die Wüstenoase Jericho reisen. Es ist eine Welt, die sich in ihrer Fülle nur entdecken lässt, wenn man ihre Hüterinnen kennenlernt. Deshalb begann Kattan im November 2020 seine YouTube-Koch- show Teta’s Kitchen, für die er seitdem durchs zersplitterte Land tourt und in die Töpfe anderer Großmütter guckt.
Als Koch sieht er sich in ihrer Nachfolge. Und er will nicht nur die alten Zutaten und Rezepte bewahren, sondern zeigt in den Folgen immer wieder auch ein städtisches Palästina, das in den Nachrichten gern vergessen wird, wenn es um den Konflikt um Land und Olivenbäume geht. Das heute in Israel liegende Jaffa war einst kulturelles Zentrum des Nahen Ostens, Nablus schon immer ein kulinarischer Hotspot. Und Bethlehem? »Ein kosmopolitisches Dorf!«, sagt Kattan. Klein, aber welt- gewandt, und dementsprechend allerlei kulturellen Einflüssen ausgesetzt.
Sein Urgroßvater beispielsweise war Stoff-händler und schickte die Söhne in alle Himmelsrichtungen – Kattans Großvater nach Japan wegen der Seide. Als die Amerikaner Kobe zerbombten, zog der nach Mumbai weiter, wo Kattans Vater geboren wurde. Großmutter Emilys Curry gehört nach wie vor zum Familienfundus: »Nur die indischen Okraschoten haben wir durch die einheimische Sorte ersetzt.«
Wieder auf der Hauptstraße, stattet Fadi Kattan noch dem Laden seines Freundes Samer einen Besuch ab. Sein Blick schweift über offene Fässchen und Plastikeimer, in denen allerhand Eingelegtes schwimmt: pinke Blumenkohlröschen, Pfefferschoten, Oliven in jeder Form und Farbe. Nur eine Spezialität fehlt. »Und wieso ist dein Makdous aus?«, triezt Kattan Samer. »Weil sich alle darauf stürzen, seit ich Jamie hergebracht habe!« Seit damals, als Kattan den Fernsehkoch aufforderte, sich der Fairness halber nicht nur die israelische, sondern auch die palästinensische Seite anzuschauen: Zu Kattans Überraschung spielte Jamie Oliver gerne mit, besuchte mit ihm den Markt und ließ sich in seiner Küche verschiedene Gerichte zeigen.
Auf dem Rückweg passieren wir Um Nabil, seit 40 Jahren kommt sie jeden Tag aus dem Dorf Artas in die Stadt. In Decken gehüllt sitzt sie auch heute auf den Stufen zum Gemüsemarkt. Vor ihr stehen Kisten mit Brokkoli, Radieschen und den Luf-Blättern, die später in meiner Vorspeise landen sollen. Viele wild gepflückte Zutaten hat Kattan erst durch die Marktfrau kennengelernt: das Luf etwa, das eher im Norden gegessen werde. Was hippe Köche heute “foraging” nennen, betreibt man im Westjordanland seit je mit Passion. Allerdings ist das Sammeln von Wildpflanzen in Zeiten von Besatzung und Siedlungspolitik nicht mehr ganz so frei und ungefährlich.
Das Angebot von Um Nabil bestimmt, was abends auf den Tisch kommt. Genau das bedeute “fawda” für ihn: kreatives Chaos. Das beginnt, zurück in seiner Küche, mit einem Händereiben. Gebeugt tänzelt er durch den Raum, als ob er jede Zutat erst aus nächster Nähe begutachten müsse, um ihren wahren Zweck zu erkennen. Noch habe er keine Ahnung, was das wird, gibt er zu. Aber dann geht es schnell, zerfällt das Luf in der Pfanne, werden Lammrippchen in Za’atar und Joghurt einmassiert und dünne Shrak-Fladen mit Hackfleisch gefüllt, wird der Dillsamen aus Gaza über den Brokkoli gestäubt.
Vier Gänge. Alle Zutaten sind im Land gewachsen und werden seit Jahrhunderten hier verwendet. Nur eben noch nie so. Aus Frankreich hat er neben den Tischtüchern und den eleganten Portionen die rauen Küchensitten importiert. An der Decke zeugt ein Fleck davon: Sesammus mit Roter Bete war das – ein Helfer hat die Schüssel nicht schnell genug im Kühlschrank gefunden, da hat Kattan sie an die Decke geworfen.
Sein zweites Restaurant, das im Sommer im Londoner Hipster-Viertel Notting Hill eröffnet, will Kattan aus der Ferne führen. »Akub« soll es heißen. Nach der seltsamen Pflanze, die nur im späten Winter plötzlich auf den palästinensischen Märkten auftaucht. Manche glauben, dass ihre Stacheln in Jesu Dornenkrone ein- geflochten waren. Sie wird in den Hügeln um Nablus wild gepflückt. Kultiviert verliere sie ihr Aroma, behauptet Kattan. Für die Palästinenser ist die Akub mehr als eine Delikatesse. Seitdem Israel sie unter Naturschutz gestellt hat, schmeckt sie nicht mehr nur nach Artischocke und Spargel, sondern auch ein bisschen nach Widerstand. Kattan tunkt sie gern in Schokolade.