Rezension | Christoph Drösser

Sag mir, wo die Demokraten sind!

2023-12-18

In ihrem neuen Buch machen sich die Politologen Ruy Teixeira und John B. Judis auf die Suche nach den Gründen für den Wählerschwund der Demokratischen Partei der USA.

Eine Rezension für „Andruck“ beim Deutschlandfunk

Moderation:

Im Jahr 2002 schrieben die beiden amerikanischen Politologen Ruy Teixeira [sprich „Rai Tejschera”] und John Judis ein viel beachtetes Buch mit dem Titel The Emerging Democratic Majority, „Die bevorstehende demokratische Mehrheit“. Aufgrund demografischer Veränderungen in den USA stünde der Demokratischen Partei eine solide und dauerhafte politische Mehrheit bevor. Es kam anders, wie wir alle wissen. Nach 21 Jahren haben die beiden ein neues Buch über die Partei herausgebracht: Where Have All The Democrats Gone, zu Deutsch vielleicht: „Sag mir, wo die Demokraten sind“. Christoph Drösser hat es gelesen.

Sprecher:

Natürlich müssen sich Teixeira und Judis immer wieder für ihre Fehlprognose von 2002 rechtfertigen. Dabei sah es zunächst ganz gut aus, erzählte John Judis kürzlich bei einer Lesung im Politics and Prose Bookstore in Washington.

O-Ton John Judis:
In 2006, when Democrats take back the Congress, and then in 2008, when Obama wins, we were heralded as prophets and seers …

Sprecher darüber:

Ab 2006 erzielen die Demokraten eindrucksvolle Wahlsiege, Obama zieht ins Weiße Haus ein, und die beiden werden als Propheten gefeiert. Aber schon bei den Kongresswahlen 2010 gab es einen herben Rückschlag.

O-Ton Judis:

… and then lo and behold, in 2010, doom! The Republicans take back the House, and it suddenly starts to become apparent to us that our majority was not as solid as we thought it was.

Sprecher: 

Die Autoren hatten vorhergesagt, dass neue, wachsende Wählerschichten – vor allem berufstätige Frauen, Schwarze und Latinos – für eine solide demokratische Mehrheit sorgen würden, solange etwa 40 Prozent der weißen Arbeiterschaft der Partei treu blieben. Aber diese Arbeiter, vor allem in den Staaten im mittleren Westen, liefen in Scharen zu den Republikanern über, was schließlich zur Präsidentschaft von Donald Trump führte.

Die Autoren verhehlen nicht, dass sie selbst links stehen, im Sinne einer sozialdemokratischen oder gewerkschaftlichen Tradition, und sie werfen den Demokraten zunächst einmal vor, dass sie sich zu sehr an die Eliten der Finanzwirtschaft herangeschmissen hätten, an Silicon Valley und Hollywood, an die Gewinner der Globalisierung – und dass sie dabei die Menschen in den ehemaligen Industriezentren aus dem Blick verloren hätten.

Zitator:

„Viele Menschen in den deindustrialisierten Städten und Kleinstädten in der Mitte Amerikas sind wesentlicher Elemente ihrer Identität beraubt worden. Früher hatten sie eine lebenslange Beschäftigung in einem großen Unternehmen, von dem sie erwarteten, dass auch ihre Kinder dort arbeiten könnten. Sie gingen nach der Arbeit in dieselben Bars und spielten an den Wochenenden in Softball- oder Bowling-Ligen, die oft mit ihren Jobs verbunden waren … Vieles von diesem gemeinsamen Leben ist verschwunden. Sie wurden auf die grundlegendsten Elemente ihrer Identität zurückgeworfen: Nation, Familie und Glaube, die Autos, die sie fahren, oder die Waffen, die sie besitzen und die ihr Heim und ihre Familie schützen.”

Sprecher:

Der schlimmste Ausdruck dieser Ignoranz, ja Verachtung gegenüber diesen Menschen sei Hillary Clintons Ausspruch bei einer Wahlveranstaltung 2016 gewesen, sagt Ruy Teixeira.

O-Ton Ruy Teixeira:
She refers to Trump supporters as a basket of deplorables, boy that was like, she was already in trouble with these voters, but that kind of sealed the deal.

Sprecher:

Die Hälfte von Trumps Wählern gehöre in einen „Korb der Bedauernswerten”, a basket of deplorables. Die seien rassistisch, sexistisch, homophob, xenophob und islamophob. Das besiegelte den Wahlsieg Donald Trumps.

Auch in anderen Ländern sind die Wähler von den etablierten Parteien weg in die Arme populistischer Parteien gelaufen. Aber die Autoren benennen eine US-amerikanische Besonderheit, die zur extremen politischen Spaltung des Landes geführt habe.

Zitator:

„Die amerikanischen politischen Parteien unterscheiden sich von den europäischen Parlamentsparteien. Sie haben keine Programme, die ihre Mitglieder binden. Sie werden auch von Spendern, Lobbyisten, Wirtschaftsverbänden, Stiftungen und Gewerkschaften, politischen Gruppen und Think Tanks, Aktivistenorganisationen, privaten und sozialen Medien und mächtigen Einzelpersonen beeinflusst. Wir nennen das die Schattenpartei.“

Sprecher:

Bis in die 90er Jahre war das eine übersichtliche Menge von Interessen- und Lobbygruppen, bei den Demokraten vor allem die Gewerkschaften. Nun aber bestehe die Schattenpartei vor allem aus Aktivistengruppen, die sich für Frauenrechte und sexuelle Minderheiten einsetzen, der Black-Lives-Matter-Bewegung, Klimaschutzinitiativen.

Die Autoren nehmen an keiner Stelle das Wort woke in den Mund, aber sie machen klar, wen sie für den Niedergang der Demokraten verantwortlich machen: die Eliten an den Küsten, gebildet und oft wohlhabend, die mit ihren Minderheitenthemen große Wählerschichten abstoßen.

Zitator:

„Die neue Bewegung und ihre Verbündeten haben die einfache Forderung nach Frauen- oder Homosexuellenrechten durch eine Buchstabensuppe sexueller Bezeichnungen wie LGBTQIA+ ersetzt. Für die meisten Amerikaner, einschließlich derer, die die Demokraten repräsentieren und anziehen sollten, sind diese Begriffe unverständlich und in einigen Fällen, wie etwa beim Begriff ‚schwangere Menschen‘, schlicht beleidigend.“

Sprecher:

Man könnte boshaft sagen: Hier ziehen zwei altlinke weiße Männer mal so richtig vom Leder gegen alles, was sie an der politischen Korrektheit der jüngeren Generation stört, die lieber über gendergerechte Sprache diskutiert, als Machtverhältnisse infrage zu stellen. Diese Minderheit mache sechs bis acht Prozent der US-Gesellschaft aus, habe aber die Demokratische Partei fest im Griff. Und bei den Republikanern sei es nicht viel anders: Beide Lager würden von ihren Schattenparteien ins linke und rechte Extrem gedrängt, während die meisten Wählerinnen und Wähler politisch in der Mitte stünden.

Daran habe auch der gemäßigte Präsident Joe Biden nichts ändern können.

Biden versucht sich – eigentlich im Sinn des Buchs – als Präsident für die einfachen Leute zu präsentieren, er will neue Industrien an die alten Standorte bringen und lässt sich mit streikenden Arbeitern fotografieren. Genützt hat das der Partei bisher wenig, Biden ist so unbeliebt wie selten ein Präsident zuvor.

Das Buch von Teixeira und Judis ist denn auch kein Rezeptbuch für die Demokratische Partei, das betonen sie selbst. Aber es analysiert den Zustand der Demokraten auf scharfsinnige und teilweise unterhaltsame Weise. Und einiges davon könnte auch Politiker europäischer Linksparteien nachdenklich stimmen.

 

via www.deutschlandfunk.de

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