Radio-Beitrag | Christoph Drösser

US-Inflation-Reduction-Act: Anschub für grünen H2 oder Etikettenschwindel?

2023-04-29

Die USA waren lange Zeit ein Bremser, was Maßnahmen zum Klimaschutz angeht. Nun aber hat Präsident Biden ein Milliardenprogramm zur Förderung einer klimafreundlichen Energiewirtschaft angestoßen, den Inflation Reduction Act, kurz IRA. Insbesondere soll die Produktion von Wasserstoff angekurbelt werden. Aber der Teufel steckt im Detail.

Wasserstoff soll in der emissionsfreien Energiewirtschaft der Zukunft eine zentrale Rolle spielen. Als Basis für neue Treibstoffe, aber auch als Energiespeicher.

Laut dem neuen Gesetz wird die Produktion von Wasserstoff mit drei Dollar pro Kilo subventioniert, wenn er zu 100 Prozent durch Elektrolyse mit Wind- und Sonnenenergie hergestellt wird. Der aus Erneuerbaren gewonnene Strom spaltet dabei Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff auf. Das klingt einfach, aber der Teufel steckt im Detail der Bestimmungen, die die US-Steuerbehörde noch ausarbeiten muss. Über diese Regeln tobt im Moment ein Streit. Sind sie zu restriktiv, könnte das den Ausbau der Wasserstoffwirtschaft behindern. Sind sie zu lax, könnte sogar mehr CO₂ ausgestoßen werden als mit konventionellen Methoden.

Die Grundrechnung ist einfach, erklärt Wilson Ricks von der Universität Princeton, der in einer Studie den Wasserstoffmarkt der Zukunft für den Westen der USA durchgerechnet hat:

“Für ein Kilo Wasserstoff bekommt man auf dem Markt zurzeit etwa einen Dollar. Wenn man den mit Strom herstellen und dabei Geld verdienen will, darf die Megawattstunde höchstens 20 Dollar kosten, und heute ist sie meistens teurer. Mit der Subvention könnte der Wasserstoffproduzent jedoch für den notwendigen Strom bis zu 80 Dollar pro Megawattstunde zahlen und immer noch Geld verdienen – die Subvention bietet also ein Anreiz, rund um die Uhr Strom zu verbrauchen.”

Das ist kein Problem, wenn der Strom tatsächlich komplett grün ist. Zum Beispiel wenn ein Wasserstoff-Elektrolyseur – so heißen die Produktionsanlagen – direkt von Windrädern oder Solarzellen gespeist wird, die nicht am Stromnetz hängen. Kommt der Strom dagegen aus der Leitung, ist es schwer zu sagen, ob die Elektronen gerade von einem Windrad, einem Kernkraftwerk oder einem Kohlekraftwerk stammen.

Ein Vorschlag für die neuen Regeln sieht vor, dass die Firmen nur eine jährliche Bilanz erstellen müssen. Das birgt die Gefahr, dass die Firmen ihre Stromquellen schönen, obwohl sie auch mit fossil erzeugter Energie arbeiten – zum Beispiel mit dem Kauf von preiswerten Energiezertifikaten, erklärt Wilson Ricks.

“Die Wasserstoff-Hersteller können dann Energiezertifikate von Produzenten erneuerbarer Energie kaufen. Weil schon so viel von diesen grünen Energien produziert wird, auch aufgrund des Inflation Reduction Act, sind diese Zertifikate sehr billig, weil es mehr Angebot als Nachfrage gibt.”

Das Ergebnis der Analyse der Princeton-Forscher: Die Wasserstoffproduktion mit Strom unter derart laxen Bedingungen ist noch schlechter für die Umwelt als die traditionelle Herstellung aus Erdgas. Deshalb fordern die Forschenden drei Bedingungen für Produzenten, die die Subvention bekommen wollen. Erstens: Der Strom muss nachweislich aus neu hinzugebauten regenerativen Quellen stammen. Zweitens: Der Beleg, dass der Strom grün erzeugt wurde, muss in stündlichen Bilanzen erbracht werden – die Technik dafür gibt es. Und drittens: Die Energie sollte aus lokalen oder regionalen Quellen kommen, die auch tatsächlich mit der Elektrolyse-Anlage verbunden sind.

Das Gegenargument, das auch in Europa immer wieder gebracht wird: Wir müssen jetzt möglichst schnell die Infrastruktur für die Wasserstoffwirtschaft aufbauen, auch wenn nicht vom ersten Tag an alles komplett grün ausfällt. Das sagt etwa der Sprecher von NextEra Energy, dem größten amerikanischen Erzeuger von regenerativen Energien, in einer E-Mail an den Deutschlandfunk: “Wir sind der Meinung, dass die Herstellung von grünem Wasserstoff bei zu strengen Vorschriften unwirtschaftlich ist und die ganze Sache eine Totgeburt wird.”

Der Princeton-Forscher Wilson Ricks hält das für maßlos übertrieben: “Ich habe Verständnis für das Argument, dass wir die Wasserstoffindustrie jetzt in Gang bringen müssen, wenn wir in den 2030er Jahren große Mengen Wasserstoff produzieren wollen. Aber das Argument, dass man unter strengen Bedingungen Wasserstoff nicht wirtschaftlich produzieren könnte, ist einfach falsch. In Gebieten mit viel Sonne und Wind, etwa in Texas, ginge das jetzt schon. Und wenn die Elektrolyseure billiger werden, wird das auch in anderen Gegenden profitabel.”

Das amerikanische Beispiel zeigt: Die Regeln für die Subventionen der neuen Energiewirtschaft müssen fein justiert werden, diesseits und jenseits des Atlantiks. Sind sie zu eng, kommt der grüne Wandel nicht schnell genug in Gang. Sind sie zu locker, zieht das nur Geschäftemacher an, die weniger die Umwelt im Sinn haben als ihren eigenen Profit.

via www.deutschlandfunk.de

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