Würde Morrison diese Einzigartigkeit anerkennen, dann müsste er sich mit dem Klimawandel auseinandersetzen. Er müsste darüber nachdenken, ob es nicht vielleicht doch einen Zusammenhang geben könnte zwischen den von Menschen gemachten Klimaveränderungen und den Ausmaßen der Feuer. Er müsste darüber nachdenken, ob das Land ausreichend vorbereitet ist für Katastrophen wie diese, und darüber, ob in der Energiepolitik der Klimaschutz eine größere Rolle spielen sollte, anstatt weiterhin den Kohleabbau zu unterstützen. Denn der scheint ihm fast heiliger zu sein als die Zehn Gebote. Immerhin ist Kohle nach Eisenerz Australiens zweitwichtigstes Exportgut. Vor allem die enorm gestiegene Nachfrage in Südostasien hat das Land damit zuletzt bedient.
„Wir werden nicht die Lebensgrundlagen der Australier zerstören, indem wir rücksichtslose Klimaziele annehmen, die die Strompreise in die Höhe treiben“, sagte Morrison am ersten Tag des Jahres. Man werde die traditionellen Industrien nicht vernachlässigen, die in den ländlichen Regionen besonders wichtig seien. Mit den traditionellen Industrien meint Morrison vor allem Kohle, die er und seine Parteifreunde gerne auch „sauber“ nennen, vor allem wenn sie teuer exportiert und in anderen Ländern verstromt wird. Aber auch zu Hause ist sie gern genommen: 74 Prozent des australischen Energiemixes machten 2018 noch Braun- und Steinkohle aus.
Sein Land werde weiterhin durch Investitionen in erneuerbare Energien gegen den Klimawandel aktiv sein, um die Emissionsziele aus dem Pariser Klimaabkommen für 2030 zu erreichen und zu übertreffen, sagte Morrison. Doch auch hier fehlt seinem Optimismus eine Grundlage. In Paris versprach Australien, die CO2-Emissionenswerte bis 2030 um bis zu 28 Prozent zu reduzieren – im Vergleich zum Wert aus dem Jahr 2005. Doch seit 2015 steigen die Emissionen kontinuierlich an. Auch der Internationale Währungsfonds hat berechnet, dass das Land die Ziele nicht erreichen kann. Selbst dann nicht, wenn es überraschend eine hohe CO2-Steuer verabschieden würde.
Morrison ist gut gelaunt
Ein Land erlebt eine Katastrophe von besonderem, viele sagen von nie da gewesenem Ausmaß, eine tiefe Krise. Doch Morrison ist gut gelaunt. „Es gibt auf der ganzen Welt keinen besseren Ort, um Kinder zu erziehen. Wir sind alle so dankbar, dass wir in diesem erstaunlichen Land leben können“, sagte er in seiner Neujahrsansprache. Zur gleichen Zeit ruderten vom viktorianischen Mallacoota aus Familien in Blechbooten aufs Meer, flohen vor Feuerwänden, die sich rasend schnell ausbreiteten. Urlauber kauerten unter nassen Handtüchern, um Rauch und 50 Grad Celsius irgendwie aushalten zu können.
Inzwischen hat sich aufgrund dieser Lage die Stimmung in der Bevölkerung aufgeladen, auch unter den Feuerwehrleuten, die fast ausschließlich ehrenamtlich tage- und wochenlang ihre Familien und Jobs verlassen, um zu löschen. Sie sind am Rande ihrer Kräfte angelangt. „Am Ende eines Feuerlöschschlauchs werden Sie keine Klimaskeptiker mehr finden.“ Diesen Satz sagte ein Feuerwehrchef in Viktoria schon im Jahr 2012. Seither wiederholen Einsatzkräfte die Worte, sobald Klimaskeptiker sagen, dass es Feuer schon immer gegeben habe. Es stimmt, dass Australier katastrophenerprobt sind durch Feuer, Überschwemmungen und Wirbelstürme. Sie lassen sich schwer unterkriegen, halten zusammen. Aber sie sind nicht kollektiv ignorant oder wissenschaftsfeindlich. Auch die stoischste Ruhe und australische Gelassenheit haben ihre Grenzen.
Diese Woche rafft sich Morrison schließlich zum ersten Mal auf, einige der Evakuierungszentren an der Südküste zu besuchen. Der Empfang ist nicht immer freundlich. In Cobargo, früher eine hübsche und historische, heute eine ausgebrannte Kleinstadt im Hinterland, weigern sich Anwohner und Feuerwehrleute dem Premierminister die Hand zu schütteln. Sie schimpfen über seine Untätigkeit und klagen über fehlende Unterstützung.
Auch viele politische Kommentatoren fragen inzwischen, wie lange sich das „Wunder“ der Morrison-Regierung noch hält. „Ich habe noch nie einen Premierminister gesehen, dessen Autorität so schnell versickert ist, jemanden, der so wenig auf der Wellenlänge seiner Bürger liegt“, sagt der politische Kommentator Hugh Riminton im ABC-Radio und teilt auf 10 Daily noch deutlicher aus: „Wir sind ein brennendes Land, das von Feiglingen regiert wird. Es wird Zeit, dass wir alle ein bisschen wütender darüber werden.“