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Soll keiner sagen, er hätte es nicht gewusst. Seit Jahren zanken sich die katalanische Regierung Generalitat und die Zentralregierung in Madrid um ein Referendum über die Unabhängigkeit der Region im Nordosten. Keine Seite wich von ihrer Maximalforderung zurück: Barcelona setzte auf „Referendum, si o si“; Madrid hielt am „Ist rechtlich nicht möglich“ fest und verweigerte politische Zugeständnisse jeder Art.
Vor dem Büro des katalanischen Vizepräsidenten demonstrieren Unabhängigkeitsbefürworter gegen Festnahmen
Jetzt spitzt sich die Lage von Tag zu Tag zu. Mit der Organisation des für den 1. Oktober angesetzten , umstrittenen Referendums beaufragte Beamte der katalanischen Regionalregierung wurden zeitweise verhaftet. Madrid sendet 5000 Beamte der Policia Nacional und der Militärpolizei Guardia Civil, an die viele noch ungute Erinnerungen aus der Franco-Zeit haben, in die renitente Region und stellte auch die autonome, katalanische Landespolizei Mossos d’Esquadra unter zentralstaatliches Kommando. Und auf den Straßen rufen die Menschen „Raus mit den Besatzungskräften“. Die Hafenarbeiter weigern sich, die auf zwei Kreuzfahrtschiffen untergebrachten spanischen Polizisten zu beliefern und veranstalten frühmorgendliche Hupkonzerte. Dass das umstrittene Referendum stattfindet, ist so gut wie ausgeschlossen: Die Wahlkommission hat sich aufgelöst, Wahlzettel und -listen wurden beschlagnahmt. Unter diesen Bedingungen ist höchstens irgendeine Art von Protestwahl möglich.
Das politische Klima aber wird auf Jahre vergiftet bleiben. Ich habe in den letzten Tagen mit vielen Menschen gesprochen, die mit dem Traum von einer unabhängigen katalanischen Republik eigentlich nicht viel am Hut hatten, jetzt aber wütend und empört über das Verhalten aus Madrid sind. Schlechter hätte die Regierung Mariano Rajoy die Katalonienfrage nicht lösen können.
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Vor dem Büro des katalanischen Vizepräsidenten demonstrieren Unabhängigkeitsbefürworter gegen Festnahmen
Soll keiner sagen, er hätte es nicht gewusst. Seit Jahren zanken sich die katalanische Regierung Generalitat und die Zentralregierung in Madrid um ein Referendum über die Unabhängigkeit der Region im Nordosten. Keine Seite wich von ihrer Maximalforderung zurück: Barcelona setzte auf „Referendum, si o si“; Madrid hielt am „Ist rechtlich nicht möglich“ fest und verweigerte politische Zugeständnisse jeder Art.
Jetzt spitzt sich die Lage von Tag zu Tag zu. Mit der Organisation des für den 1. Oktober angesetzten , umstrittenen Referendums beaufragte Beamte der katalanischen Regionalregierung wurden zeitweise verhaftet. Madrid sendet 5000 Beamte der Policia Nacional und der Militärpolizei Guardia Civil, an die viele noch ungute Erinnerungen aus der Franco-Zeit haben, in die renitente Region und stellte auch die autonome, katalanische Landespolizei Mossos d’Esquadra unter zentralstaatliches Kommando. Und auf den Straßen rufen die Menschen „Raus mit den Besatzungskräften“. Die Hafenarbeiter weigern sich, die auf zwei Kreuzfahrtschiffen untergebrachten spanischen Polizisten zu beliefern und veranstalten frühmorgendliche Hupkonzerte. Dass das umstrittene Referendum stattfindet, ist so gut wie ausgeschlossen: Die Wahlkommission hat sich aufgelöst, Wahlzettel und -listen wurden beschlagnahmt. Unter diesen Bedingungen ist höchstens irgendeine Art von Protestwahl möglich.
Das politische Klima aber wird auf Jahre vergiftet bleiben. Ich habe in den letzten Tagen mit vielen Menschen gesprochen, die mit dem Traum von einer unabhängigen katalanischen Republik eigentlich nicht viel am Hut hatten, jetzt aber wütend und empört über das Verhalten aus Madrid sind. Schlechter hätte die Regierung Mariano Rajoy die Katalonienfrage nicht lösen können.
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2017 ist Putin seit fünf Jahren wieder Präsident Russlands. In der Zeit hat sich viel verändert. Am schlimmsten ist, dass die Angst zurückgekehrt ist.
Wie das geht und welche Folgen das für Demokraten hat, erzählt das Feature anhand von vier Menschen, die ich seit dem Winter 2011/2012 immer wieder getroffen habe. www.russianangst.de
Die Sendung kann man hier hören:
http://nachmoskau.de/archives/2997
Und man kann das Buch lesen, das die “Russian Angst” beschreibt.
http://www.russianangst.de
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Ich bin ja jetzt schon eine ganze Weile in Kalifornien, angekommen 2003 als ARD-Radio-Korrespondentin und inzwischen als selbständige rasende Reporterin unterwegs mit allen Höhen und Tiefen, die das freischaffende Leben so mit sich bringt.
Zu den Höhen zählt eindeutig, dass es nun das erste Buch von mir gibt. Ein Jahr in Kalifornien!
Als der Herder-Verlag mich fragte, ob ich Lust auf das Projekt hatte, war ich sofort neugierig. Schon lange träumte ich davon, ein Buch zu schreiben. In der Grundschule habe ich das sogar schon mal gemacht. Selbst gebundene und illustrierte Abenteuer eines Mädchens, frei erfunden mit starken autobiographischen Zügen. Der Dackel meiner Freundin hat das Werk leider vernichtet bevor es zum Bestseller werden konnte.
Jetzt also ein neuer Versuch. “Ich finde das Jahr, in dem ich mich selbständig gemacht habe spannender als mein erstes Jahr in Kalifornien”, sagte ich beim Treffen mit dem Lektor. Der antwortete diplomatisch, das sei sicher auch sehr interessant, aber in der Serie gehe es mehr darum, wie das so ist, wenn man in einem neuen Land ankommt. “Die Bürokratie ist überwältigend, die Menschen sind fremd und das Wetter ganz anders.”
Ja, wie war das damals eigentlich? Ich versuchte mich zu erinnern und mir fiel einiges ein: wie meine Ikea-Möbel in Bubble-Wrap ewig auf einem Containerschiff durch den Panama-Kanal schipperten und ich deshalb auf der Luftmatratze schlief. Wie am roten Teppich die Prominenz einfach an mir vorbei ging, weil die internationale Radiojournaille in Hollywood nicht die Anerkennung bekommt, die sie verdient. Wie ich wegen zu großer Vorsicht durch die erste Führerscheinprüfung gefallen bin. Wie ich den ersten prall gefüllten Waffenschrank gesehen habe. Wie ich Wasserkanister in die Grenzwüste geschleppt habe. Wie ich staunend in der Gischt der Wasserfälle vom Yosemite-Nationalpark stand. Und natürlich wie wunderbar es nach 14 Jahren Berliner Winter war, dass so oft die Sonne scheint. Das ist übrigens immer noch wunderbar!
Jetzt ist es raus in der Welt, mein erstes Buch. Bei mir ist allerdings noch keins angekommen, obwohl der Verlag das Paket mit Belegexemplaren schon vor einer Weile abgeschickt hat. Auch das ist so eine kalifornische Erfahrung: transatlantische Post kostet zwar ein Vermögen, bewegt sich aber im Tempo der Postkutschen-Zeit.
Ob das ins nächste Buch passt? Eher nicht. Das wird eine erfundene Geschichte mit nur ein paar autobiographischen Zügen.
bestellen beim lokalen Buchhändler oder amazon
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Ich bin ja jetzt schon eine ganze Weile in Kalifornien, angekommen 2003 als ARD-Radio-Korrespondentin und inzwischen als selbständige rasende Reporterin unterwegs mit allen Höhen und Tiefen, die das freischaffende Leben so mit sich bringt.
Zu den Höhen zählt eindeutig, dass es nun das erste Buch von mir gibt. Ein Jahr in Kalifornien!
Als der Herder-Verlag mich fragte, ob ich Lust auf das Projekt hatte, war ich sofort neugierig. Schon lange träumte ich davon, ein Buch zu schreiben. In der Grundschule habe ich das sogar schon mal gemacht. Selbst gebundene und illustrierte Abenteuer eines Mädchens, frei erfunden mit starken autobiographischen Zügen. Der Dackel meiner Freundin hat das Werk leider vernichtet bevor es zum Bestseller werden konnte.
Jetzt also ein neuer Versuch. “Ich finde das Jahr, in dem ich mich selbständig gemacht habe spannender als mein erstes Jahr in Kalifornien”, sagte ich beim Treffen mit dem Lektor. Der antwortete diplomatisch, das sei sicher auch sehr interessant, aber in der Serie gehe es mehr darum, wie das so ist, wenn man in einem neuen Land ankommt. “Die Bürokratie ist überwältigend, die Menschen sind fremd und das Wetter ganz anders.”
Ja, wie war das damals eigentlich? Ich versuchte mich zu erinnern und mir fiel einiges ein: wie meine Ikea-Möbel in Bubble-Wrap ewig auf einem Containerschiff durch den Panama-Kanal schipperten und ich deshalb auf der Luftmatratze schlief. Wie am roten Teppich die Prominenz einfach an mir vorbei ging, weil die internationale Radiojournaille in Hollywood nicht die Anerkennung bekommt, die sie verdient. Wie ich wegen zu großer Vorsicht durch die erste Führerscheinprüfung gefallen bin. Wie ich den ersten prall gefüllten Waffenschrank gesehen habe. Wie ich Wasserkanister in die Grenzwüste geschleppt habe. Wie ich staunend in der Gischt der Wasserfälle vom Yosemite-Nationalpark stand. Und natürlich wie wunderbar es nach 14 Jahren Berliner Winter war, dass so oft die Sonne scheint. Das ist übrigens immer noch wunderbar!
Jetzt ist es raus in der Welt, mein erstes Buch. Bei mir ist allerdings noch keins angekommen, obwohl der Verlag das Paket mit Belegexemplaren schon vor einer Weile abgeschickt hat. Auch das ist so eine kalifornische Erfahrung: transatlantische Post kostet zwar ein Vermögen, bewegt sich aber im Tempo der Postkutschen-Zeit.
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Dieser Blogeintrag ist ein virtuelles Kopfschütteln – auf die Schnelle, am Laptop, an einem Fährterminal. Heute ist der argentinische Präsident Mauricio Macri bei Angela Merkel zu Besuch. Und was ist da zu lesen? Es gibt tatsächlich Autoren (die nicht in Argentinien wohnen), die sehen in Präsident Macri den Super-Reformer, der dabei ist, Argentinien zu alter neuer Größe zu verhelfen – was bisher nicht gelang, weil der Papst und Messi ihm das Leben vermiesten.
Jetzt mal ehrlich: Glaubt wirklich jemand, dass Argentinien ein so primitives Land ist, dass es sich vom angedrohten Rückzug eines Fussballstars aus der Nationalelf und einer unterkühlten Beziehung zwischen Präsident und Papst in eine Inflation mit 40% drängen lässt? Dass der Papst und Messi dafür verantwortlich sind, dass seit Amtsantritt von Macri je nach Statistik 1,4 bis vier Millionen Menschen in Argentinien arm geworden sind?
Macri war angetreten, um die Wirtschaft zu reformieren – die Argentinier haben viel von ihm erwartet. Dass die Inflation weiter ansteigt, gehörte nicht dazu.
Der neue Präsident hatte zudem versprochen, für Transparenz zu sorgen. Nun gibt es ein gigantisches Programm zur Geldwäsche, von dem beinahe die gesamte Regierungsriege profitiert. Macri erklärt sich zudem nicht (sie stammen seinen Angaben nach aus einem “früheren Leben“), was seine Offshore-Unternehmen betrifft. Die Interessenskonflikte vieler Regierungsvertreter (z.B. Ex-Shell-CEO, der auch als Energieminister nach wir vor Aktien in Millionenhöhe an seiner früheren Firma hält) liegen auf der Hand.
Natürlich ist zu hoffen, dass Macris Besuch bei Merkel neue Investitionen bringt. Es ist dringend nötig, das Blatt zu wenden: Die neue Armut ist auf der Straße sichtbar, wie schon nach der Krise 2001/02 ziehen immer mehr Menschen auf der Suche nach Müll durch die Hauptstadt Buenos Aires. Es gibt Massenproteste. An Feiertagen lässt die Regierung den Hauptplatz in Buenos Aires hermetisch abriegeln – aus Angst vor weiteren Demonstrationen (in den letzten Jahren war etwa der 25. Mai ein Volksfest mit Musik und Ständen mit Essen aus allen Regionen Argentiniens, in diesem Jahr war er weiträumig abgesperrt). Die enormen Tariferhöhungen für Gas, Strom, Wasser und Transport (zwischen 300 und 1000% je nach Region) sorgen dafür, dass besonders arme Familien weder ein noch aus wissen, dass Theater schliessen, Universitätsrektoren verzweifeln.
Die Abgaben auf den Bergbau hat die Regierung abgeschafft. Seit der Öffnung der Importe haben viele argentinische Fabriken geschlossen – etwa Puma, die Turnschuhe werden jetzt aus China und Brasilien nach Argentinien importiert, statt im Land hergestellt zu werden. Mindestens 150.000 Menschen haben ihre Arbeit verloren, seit Macri an die Regierung kam – und gegen ein vom Kongress verabschiedetes Gesetz zur Vermeidung von weiteren Entlassungen legte Macri ein präsidentiales Veto ein. Der Konsum ist erlahmt, weil der Geldwert ständig weiter sinkt.
Nach außen hin mag Macri sich gut präsentieren. Im Inland – besonders in den Armenvierteln und im Großraum Buenos Aires – ist die Stimmung dagegen wie in einem Dampfdrucktopf. Viele fragen sich: Wie lange wird die Schonfrist für den Präsidenten noch dauern?
Derzeit dominieren Korruptionsskandale der Kirchner-Regierung die Titelseiten der Tageszeitungen. Es ist richtig, dass die Justiz die Korruption der Vorgänger-Regierung aufklärt. Aber es ist wichtig, sich davon nicht blenden zu lassen und in der Rage über die Korruption der Vorgänger zu übersehen, was derzeit in Argentinien passiert. Dass das Antikorruptions-Büro unter der Leitung von Laura Alonso sich um die Korruption der Gegenwart nicht kümmern wird, ist bereits klar.
Dieser Blogeintrag ist ein Stimmungsbild aus Buenos Aires – keine umfassende Analyse. Aber, klar ist auf jeden Fall: Macri braucht schnelle Erfolge. Die Zeit läuft.
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Spanien kommt aus der Bluthochdruckzone gar nicht mehr raus. Ein Skandal jagt den anderen, Oberthema: Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Klingt schrecklich langweilig, ist aber ein echter Aufreger, zumindest wenn die Protagonisten ein Stierkämpfer und eine Podemos-Abgeordnete sind.
Fran Rivera, genannt Paquirri, hat ein Foto von sich und seiner jüngsten Tochter gepostet. Es zeigt ihn beim Training, in der heimischen Arena, mit einer Jungkuh, und zwar in dieser Pose:
Musische Früherziehung, Unterrichtseinheit Tradition
Daneben der Text: “Carmens Debüt – Sie gehört zur fünften Generation einer Stierkämpferfamilie. Mein Großvater zeigte das gleiche meinem Vater, mein Vater mir, ich meinen beiden Töchtern…”
Innerhalb weniger Stunden war die Debattennation zweigeteilt, in den Talkshows liefen die Mikrofone heiß, Verfechter (“Tradition”, “Weitergabe von Werten”) und Gegner (“Angeber”, “unverantwortlich”, “Tierquälerei”) warfen sich alle Nettigkeiten zwischen “Banause” und “Mörder” an den Kopf. Und natürlich wurde sogleich die Parallele zu diesem Skandal gezogen:
Politische Früherziehung, Unterrichtseinheit Eltern-Kind-Rechte
Podemos-Abgeordnete Carolina Bescansa hatte doch tatsächlich zur ersten Parlamentssitzung ihr Baby mitgebracht. Die Vize-Parlamentspräsidentin höchstpersönlich wies die Neue darauf hin, dass es auch eine KiTa im Parlament gäbe und ließ sich dann lang und breit in einer Talkshow darüber aus, ob ein “geschlossener Raum mit 400 Erwachsenen” tatsächlich das richtige Ambiente für einen Säugling wäre. Auch da verliefen tiefe Fronten zwischen Befürwortern (“Biologie, Mutter-Kind-Bindung”, “Zeichen setzen für arbeitende Eltern”) und Gegnern (“Populismus”, “unverantwortlich”). Man könnte jetzt lang und breit tatsächliche und mutmaßliche Gesundheitsrisiken für die jeweiligen Säuglinge in Plenarsaal/Arena analysieren, über die Ähnlichkeiten und Unterschiede beider Manegen sinnieren; interessant bei der Debatte ist vor allem, dass diejenigen, die sich über Bescansas Baby echauffierten Paquirris Baby beklatschen. Und umgekehrt natürlich. Die Argumente sind austauschbar, denn im Kern geht es nicht um die Kinder, Mütter, Väter, sondern um Politik: um die ungezogenen Neuen (Podemos und Co) gegen die überkommenen Alten (Toreros und Co).
Das zeigte sich auch am anderen großen Aufreger der letzten Wochen, Oberthema: angemessene Bekleidung/Haartracht. Die Vizepräsidentin des Parlaments kommentierte die Rasta-Locken eines Podemos-Abgeordneten mit einem “So lange da keine Läuse überspringen, ist mir das egal”, Podemos-Chef Pablo Iglesias revanchierte sich dafür, in dem er auf einer Pressekonferenz eine Journalistin für ihren “prächtigen Pelzmantel” lobte – das ist stilistisch eleganter, in der Sache aber genauso dämlich.
Es wird jedenfalls höchste Zeit, dass die Legislatur ins Rollen kommt und so vielleicht, vielleicht, ein bisschen mehr Inhalt in die Scheindebatten rutscht.
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Nein, sie wird es nicht – als Update zu meinem Blogeintrag kürzlich: Lange hat sie hoffen dürfen, aber Helle Thorning-Schmidt wird nicht UN-Flüchtlingskommissarin. Auch der Deutsche Achim Steiner geht leer aus. Die dänische Ministerpräsdentin und der Bürokrat unterlagen beide gegen den Italiener Filippo Grandi.
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Eigentlich wollte ich an dieser Stelle schon längst über die zum Quasi-Referendum erklärten, katalanischen Wahlen geschrieben haben, aber ich kam bisher nicht dazu, weil ich mit den Nachwehen eines zum Politikum gewordenen Interviews beschäftigt war. Ein ARD-Kollege und ich haben uns am Freitag vor der Wahl mit Oriol Amat, Wirtschaftsprofessor und Nummer 7 der separatistischen Junts pel Si-Liste getroffen. Ursprünglich sollte es um mögliche wirtschaftliche Konsequenzen einer Sezession gehen, das Interview mit dem Experten der Gegenseite war bereits geführt. Aber schon bald sprachen wir von möglichen Szenarien nach einem Regierungswechsel in Spanien. Als ein sehr wahrscheinliches Szenario schien Amat ein Madrider Angebot zu Verhandlungen um ein neues Autonomiestatut. Dass eine solche Offerte von den Katalanen angenommen würde, schien ihm nicht ausgeschlossen. Ich war überrascht: Seit Jahren demonstrieren regelmäßig Hunderttausende für einen „eigenen Staat“, die „In-, Inde-, Independencia“-Rufe sind fester Bestandteil der politischen Folklore und in jedem zweiten Interview beschwören Politiker, „es gebe keinen Weg zurück“. Zwei Tage vor der „plebiszitären“ Wahl ein Autonomiestatut als mögliche Lösung zu präsentieren, ist etwa so, als lasse man Sprinter monatelang im Hochland für Olympia trainieren, nur um sie dann zur Bushaltestelle joggen zu lassen. Ich fragte nach. Amat blieb dabei.
Was der Wirtschaftsprofessor da sagte, bestätigte, was viele langjährige Korrespondenten vermuten: dass es innerhalb der heterogenen Junts pel Si-Liste Differenzen über Weg und Ziel gibt, dass der Minimalkonsens nicht Unabhängigkeit um jeden Preis, sondern Verhandlungen mit Madrid und Brüssel sind. Vom Gezerre um Freigabe des Gesamtinterviews (einen Tweet hatte ich unmittelbar nach Interview abgesetzt), vom Druck und den widersprüchlichen Gedanken, die mir dabei durch den Kopf gingen, von der Unterstützung durch die Kollegen vor Ort und vom Círculo de Corresponsales, erzähle ich gern mal an anderer Stelle. Samstag Nachmittag packte ich jedenfalls einen Ausschnitt aus dem Interview auf Soundcloud, die Online-Zeitung Eldiario.es brachte die Geschichte, El País, La Vanguardia, Antena 3 und ein halbes Dutzend anderer Medien nahmen das Thema auf, die beiden Unabhängigkeitslisten veröffentlichten Kommuniqués. Natürlich schmeicheln solche 15 Minuten Ruhm dem journalistischen Ego, wesentlicher ist für mich eine andere Erkenntnis: Freie Korrespondenten haben einen Standortvorteil. Wir sind meist lange genug in einem Land, um auch die Zwischentöne einer Debatte zu verstehen. Botschaften und Sender wechseln ihre Mitarbeiter gerne aus, um einen “frischen Blick von außen” zu garantieren oder – weniger nett gesagt – “Verbuschung” zu vermeiden. Aber genau diese Expertise ist unser großes Kapital. Und unverzichtbar, wenn es um Analyse, Interpretation, um Hintergrund geht. Das hoffe ich zumindest.
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Überraschen konnte der erneute Anschlag mit islamistischem Hintergrund in Frankreich kaum. Das Land befand sich seit den Anschlägen in Paris im Januar in hoher Alarmbereitschaft. Hatte doch der Islamische Staat (IS) vor rund einem Jahr insbesondere zu Anschlägen gegen Franzosen aufgerufen. Im Hexagon herrscht dennoch Betroffenheit und Entsetzen, aber keine Panik. Die Medien sprechen vom „Schwarzen Freitag“ nach den Anschlägen in Saint-Quentin Fallavier, im tunesischen Sousse und auf eine schiitische Moschee in Kuwait.
Dass die Attentate direkt zusammenhängen ist eher unwahrscheinlich. In Tunesien und in Kuwait bekannten sich inzwischen unterschiedliche Franchisen des Islamischen Staates. Gemeinsam ist aber allen dreien die für den IS typische Barbarei. Sie mögen auch im Zusammenhang stehen mit dem Aufruf des IS, insbesonderer während des islamischen Fastenmonats Ramadan so genannte Märtyrer-Operationen gegen den Feind zu begehen, weil die in seiner verkorksten religiösen Lesart den Tätern noch mehr Punkte bringen soll als zu normalen Zeiten. Erwähnenswert ist sicher auch, dass am kommenden Montag der Jahrestag der Ausrufung des Kalifats des IS ansteht. All dies mag für dieses Timing der grausamen Bluttaten sprechen, auch wenn ihre Opfer ganz unterschiedliche waren.
In Frankreich sind die politischen Reaktionen abhängig vom ideologischen Standpunkt. Die einen fordern nun den totalen Krieg gegen die islamistischen Terroristen und darüber hinaus gegen alle extremen Muslime. Die anderen rufen zur Besonnenheit und zur nationalen Einheit sowie der Verteidigung der republikanischen Werte auf. Beides sind im Grunde leere Parolen. Militärisch beziehungsweise mit Polizei- und Geheimdienstmitteln alleine läßt sich diese Problematik nicht lösen. Die totale Sicherheit gibt es ohnehin nicht, das haben schon andere Staaten unter Aufgebot all ihrer Ressourcen vergeblich versucht. Und nationale Einheit?
Zwar können die Franzosen für einen Moment in beeindruckender Weise zusammenstehen, wenn es um die Verteidigung ihrer Gesellschaftsordung geht angesichts radikal-islamistischer Sabotageversuche. Das haben die großen Solidaritätsdemonstrationen im Januar gezeigt. Nur: Das starke gemeinsame symbolische Bekenntnis „Je suis Charlie“ reicht eben nicht, wenn es darum geht sich einer sehr komplexen Problematik zu stellen. Einer, bei der es weder eindimensionale Ursachen noch simple Lösungen gibt.
Ein erster Schritt wäre vielleicht, sich der Realität, in der wir leben – und das nicht nur in Frankreich – in all ihrem Facettenreichtum zu stellen. Verantwortung zu übernehmen, wo sie zu übernehmen ist. Zusammenhänge zu erkennen, wo sie existieren. Ratlosigkeit einzuräumen, wo wir an unsere Grenzen des Verständnisses gelangen. Und dann gemeinsam einen Weg suchen, um Konflikte zu entschärfen. Um so vielleicht gewaltbereiten Extremisten jeglicher Couleur das Wasser abzugraben. Eine riesige gesellschaftliche Herausforderung. Sind wir dazu bereit?
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Das letzte, was ich von ihm sah, war, wie er am Samstagnachmittag aus unserem Zug ausstieg: ein junger Mann Mitte 30, Mütze, Rucksack, eine Tüte mit zwei Orangen und meiner Mineralwasserflasche. Zum ersten Mal betrat der Mann Münchner, bayerischen, deutschen Boden. Stündlich schaue ich, ob er mir wie versprochen eine Email geschrieben hat – bisher nicht.
Unsere Schicksale kreuzten sich im Zug. Ich fuhr mit meiner zweijährigen Tochter aus dem Urlaub in Südtirol nach München, sie war müde und wollte getragen werden. So wurde ich Zeuge eines Gesprächs zwischen dem Schaffner und einem Schwarzafrikaner. Der Mann sagte, er wolle nach “Munich”, der Schaffner stellte ihm ein Ticket bis Innsbruck aus. Für mehr reichte das Geld nicht. Als der Schaffner weg war, meine Tochter hing schlafend über meinen Schultern, sprach ich den Mann an. Er flüsterte fast: Dass er sich vor zwei Jahren von Gambia aufgemacht habe und schließlich von Libyen mit dem Schiff nach Europa aufgebrochen sei. Sein Ziel: Munich.
Ich ging zurück zu meinem Platz, legte meine Tochter auf den Sitz und überlegte. Ich kannte den Mann seit fünf Minuten. Ich kannte Gambia überhaupt nicht. Aber ich wusste jetzt schon zuviel. Er war nicht mehr irgendein Flüchtling in einer Statistik. Es lag jetzt an mir, ob ein sympathisch wirkender junger Mann, der seit zwei Jahren durch die Welt irrt, an ein paar Euro scheitert. Ich ging wieder zu ihm und gab ihm etwas Geld. Als vor Kufstein der Schaffner kam, konnte er sein Ticket bis München zahlen. Drei unschwer als Polizisten erkennbare Männer stiegen zu. Wenn sie ihn jetzt befragen und zurückschicken, kann ich auch nichts machen. Aber immerhin hat er eine Fahrkarte. Die Männer gingen an ihm vorbei.
Kurz vor München ging ich nochmal zu dem afrikanischen Mann. Ich schrieb ihm die Adresse des Münchner Flüchtlingsrats auf, der Bahnhofsmission, der Caritas. Ich sagte, dass es sein könnte, dass er bald nach Italien zurückgeschickt werde. Er meinte, er käme jetzt zurecht.
Am Hauptbahnhof stiegen wir aus, Opa holte uns ab. Zuhause recherchierten wir über Gambia. Ein kleiner Staat zu beiden Seiten des Flusses „Gambia“. Eine Hauptstadt namens „Banjul“. Nie gehört. Auch den Namen des Mannes weiß ich nicht. Nennen wir ihn “Franz”. Vielleicht hilft das, sich vorzustellen, dass auch ein Flüchtling aus Afrika zum Münchner werden kann.
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Wer hätte das gedacht? Da werde ich am selben Tag zweimal an den Duft der DDR erinnert – und das mitten in Los Angeles! Einmal steigt er mir sogar direkt in die Nase!
Er kommt aus einem Kontrollhäuschen aus Ost-Berlin, das an einer Kreuzung in Los Angeles steht. Wenn man nah ran geht riecht man den Geruch der DDR, der aus allen Ritzen kriecht: die unverkennbare Mischung aus Reinigungsmitteln, Staub, verbrannter Kohle und deprimierender Unterdrückung.
ADN-Pförtnerhaus ist das Projekt von Künstler Christof Zwiener. Er hat das Haus vor der Metallpresse gerettet und in Berlin auf zwei Quadratmetern mehrere Installationen kuratiert.
Nach Los Angeles kam es durch Initiative des Wende Museums, das seit über zehn Jahren Strandgut aus den ehemaligen Ostblock-Staaten sammelt und archiviert. Christof erklärt: das Häuschen riecht selbst nach mehreren Installationen und einer Containerreise noch nach DDR weil es über 11 Jahre lang ungelüftet auf dem Parkplatz des ehemaligen ADN-Gebäudes stand. Da hatte der Geruch richtig schön Zeit, sich festzusetzen.
Am selben Tag, an dem ich diese unerwartete Dosis DDR einatme, erzählt mir der Komponist, Arrangeur und Dirigent Chris Walden aus Hamburg von genau diesem “Duft”. Walden ist seit 18 Jahren in Hollywood und arbeitet inzwischen mit den größten der Musikszene, von Barbra Streisand bis Michael Buble. Gerade hat er mit seiner eigenen Big Band eine CD herausgebracht ‘Full On!’. Gleichzeitig arrangiert er für Stevie Wonder und Josh Groban Songs, hat vor wenigen Wochen ein selbst komponiertes Arrangement für Neil Youngs erste Orchesterplatte dirigiert.
Und wieso hat Chris Walden auch noch diesen DDR-Geruch in der Nase?
In den 90er Jahren arrangierte und dirigierte er mit der RIAS Big Band. Sie arbeiteten immer in den Studios in West Berlin, bis der RIAS – Rundfunk im Amerikanischen Sektor – 1994 mit Ost-Funkstationen zusammen gelegt wude. Da ging es ab nach Karlshorst, in die Räume der Nalepastraße. Eine Geisterstadt, in der die Band zwischen Spinnweben, zerbrochenen Scheiben und eben diesem Duft ihre Stücke einspielte.
“Gespenstisch, surreal und urig,” erinnert sich Walden.
Am 8. November gibt es beim Wende Museum eine große Party zur Feier des Mauerfalls. Da steht dann auch das ADN-Pförtnerhaus im Hinterhof. Ich werde so viele wie möglich hinlocken und auffordern, mal ganz tief einzuatmen: Das war der Geruch der DDR.
Und hier noch ein link zu einer Geschichte über das Pförtnerhaus, die ich für das Deutschlandradio produziert habe
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Am Mittwoch, 24. September, stellen wir ab 17.30 mit dem Schauspieler Benno Fürmann in der GLS-Bank in Berlin-Mitte unseren Reportage-Band „Völlig utopisch“ vor. Marc Engelhardt, Philipp Hedemann, Julia Macher und Kerstin Zilm präsentieren das neue Weltreporter-Buch, Schauspieler Benno Fürmann (u.a. „Anatomie“, „Tom Sawyer“) liest.
„Für die Gestaltung der Zukunft ist Utopie die entscheidende Qualität“, schreibt Ilija Trojanow im Vorwort zum Reportage-Band. – Die Korrespondenten haben Orte und Menschen mit Zukunftspotential besucht: ein Dorf in Namibia, das sich seine eigene Währung geschaffen hat. Einen Ort in Äthiopien, der Karl Marx gefallen hätte. Eine Künstlersiedlung in der Colorado-Wüste. Eine Hacker-Community im katalonischen Hinterland.
Das Zeitmagazin fand: Ein Buch, das „heiter bis glücklich“ macht!
Die Veranstaltung ist gratis, unterhaltsam und garantiert spannend! Treffen Sie WELTREPORTER.NET – Menschen, die dort sind, wo die Nachrichten entstehen. Die Geschichten erzählen, die unter die Haut gehen – und durch die wir unsere Welt ein bisschen besser verstehen.
24. September, 17.30 Uhr, „Völlig Utopisch“
GLS-Bank Berlin, Schumannstraße 10, 10117 Berlin
Gratis, Anmeldung bitte unter berlin-aktuell@gls.de
WR danken der der GLS-Bank und der Buchhandlung Ocelot.
Foto von Benno Fürmann © Anja Limbrunner
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Ich wusste, dass es ein emotionsgeladener Termin werden würde: ein Treffen der Gemeinde mit Vertretern der Polizei wenige Tage nachdem in South Los Angeles ein unbewaffneter junger Afroamerikaner von Polizisten erschossen wurde.
Was ich nicht erwartet hatte ist, dass ich noch Wochen später an ein Zufallsinterview von diesem Abend denken würde.
Die Kirche füllte sich langsam bis kurz vor Beginn des Treffens die Bänke fast vollständig besetzt waren. Bilder von Polizeigewalt und Demonstrationen in Ferguson waren noch frisch im Gedächtnis und der Vergleich offensichtlich: ein junger schwarzer Mann, abends unterwegs in den Straßen seines Viertels, angehalten von der Polizei, was dann geschah unklar, Zeugenaussagen widersprüchlich, nur eins sicher: der junge Mann war unbewaffnet und ist nun tot.
Michael Brown in Ferguson. Ezell Ford in Los Angeles.
“Wir haben gelernt aus der Geschichte von Rodney King, dass Gewalt nichts bringt und wir friedfertig bleiben müssen,” erklärte mir ein Mann Mitte 40 auf die Frage, warum in Kalifornien nach dem Tod von Ezell Ford keine Unruhen ausbrachen. Er erzählte mir auch, dass er seinem Sohn beibringt, seine Hände nicht in den Hosentaschen zu vergraben und dass er sich unwohlt fühlt, wenn er abends auf der Treppe vor seinem Haus sitzt und die Polizei vorbeifährt. “Sie fahren langsam und schauen mich an, als hätte ich etwas verbrochen. Das ist mein Viertel! Da stimmt doch was nicht!”
“Wir haben lange versucht, friedfertig Veränderungen zu erreichen. Es wird noch immer auf uns geschossen.” sagten mir zwei Studentinnen. Sie hätten Angst um ihre Brüder und männlichen Freunde. Manche von ihnen seien athletisch gebaut, manche leicht zu provozieren. Sie schienen sicher: “Eine Revolution wird kommen.”
Ich beschloss, die letzten Minuten vor Beginn des Treffens mit einer Frau zu verbringen, die mich an Maya Angelou erinnerte: würdevoll, ernsthaft, elegante Kleidung und warmes Lächeln. Diantha Black wollte erst nicht interviewt werden. Als sie es sich anders überlegte, hielt ich den Atem an:
“Am 4. Juli 2006 wurde mein Sohn von Polizisten erschossen.”
Ein paar Sekunden Stille, in denen ich nichts anderes wahrnahm als Dianthas ernsthafte Augen und meine Unfähigkeit, eine angemessene Reaktion zu finden.
“Danach habe ich nichts als Lügen gehört. Mein Sohn hatte keine Waffe. Es tut noch immer weh.”
Sie sei gekommen, um der Familie von Ezell Ford Mitgefühl zu zeigen und sich für Nächstenliebe auszusprechen und für Gerechtigkeit. Was das für sie bedeute, fragte ich sie. Ihr Lächeln machte wieder Platz für Ernsthaftigkeit. Sie schaute mir direkt in die Augen und sagte, jedes Wort deutlich betonend:
“Lebenslänglich ins Gefängnis für die, die unschuldige Menschen töten. Sie müssen keine tödlichen Schüsse auf Unbewaffnete abgeben. Lebenslänglich. Das ist es, was andere Mörder bekommen. Warum nicht sie? Ich meine es ernst.”
Das Treffen begann bevor ich weiter fragen konnte.
Die meisten Redner am Mikrofon drückten Frust und Wut aus über Diskriminierung, Erniedrigung, Verschleierung und Rassismus. Als eine junge Frau fragte, wer im Raum einen Verwandten oder Freund durch Polizeigewalt verloren habe standen etwa ein Drittel der Anwesenden auf.
Der Polizeichef versprach transparente Untersuchungen und angemessene Konsequenzen. Seine Antworten wurden meist mit Buhs, später mit sarkastischem Lachen kommentiert.
Diantha Black hatte dem Polizeichef Respekt gezollt dafür, dass er sich Zeit nahm für dieses Treffen und dafür, dass er regelmäßig mit Vertretern ihrer Gemeinde spricht. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie mit seinen ausweichenden Antworten zufrieden war. Doch ich konnte sie nicht mehr fragen. Sie war verschwunden bevor das Treffen zu Ende war, hatte keine Frage gestellt, keinen Kommentar gemacht.
Bis heute habe ich weder ihr würdevolles Auftretten, ihr warmes Lächeln noch ihre ernsten Worte vergessen.
Sie erinnern mich daran, wie wichtig es ist Ungerechtigkeiten ins Auge zu sehen, sie anzusprechen und aufzuheben selbst wenn es viel Zeit, Nerven und Energie kostet.
Außerdem werde ich immer darauf achten, Fremden mit Offenheit und Freundlichkeit zu begegnen.
Man kann nie wissen, welche Geschichte sie zu erzählen haben.
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Fast täglich melden die Agenturen aus Donezk neue schwere Artilleriebeschüsse – und neue Todesopfer. Aber Nachrichten sind bekanntlich laut, der Alltag in der belagerten und bombardierten Stadt ist viel leiser. Donezk ist nicht Berlin im Bombenhagel des 2. Weltkrieges, Donezk ist nicht Verdun, nicht Stalingrad, kein Stahlgewitter. Stunden- ja nächtelang schweigen alle Geschütze, und dieses Schweigen hört sich fast drückender an, als die hastigen ferne Abschüsse und das krachende Echo der Einschläge bei einem Feuerüberfall.
Aus dem Himmel stürzende Bomben und Raketen haben etwas Übermenschlich-Schicksalhaftes, auch als Einzelstücke. Die Angst vor ihnen ist abstrakt, die Angst vor einem Volltreffer in der Lotterie des Todes, die Angst vor dem Blitzschlag bei einem Gewitter. Dieses Gewitter hängt wolkenlos über Donezk, es dauert schon Wochen, man gewöhnt sich an sein Donnern und hoffst, dass der Blitz nicht ausgerechnet einen selbst erwischt.
Das Gerücht, heute Nachmittag um 3 beginne ein fürchterlicher Beschuss, treibt einem mehr Panik-Adrenalin ins Blut. Auch wenn es meist ein Gerücht bleibt.
Ich habe die Panzerweste, die ich aus Moskau mitgebracht habe, nie angezogen. Sicher auch aus Bequemlichkeit, das Stück wiegt 18 Kilo, kein Vergnügen, es bei 38 Grad Hitze mit sich herum zu schleppen. Aber noch etwas anderes hat mich davon abgehalten, sie anzuziehen: Das Gefühl der Scham. Scham vor den alten Frauen, den kleinen Kindern, überhaupt vor den Menschen, die sich schutz- und wehrlos durch Donezk, durch Gorlowka oder Lugansk bewegen. Und das vielleicht noch Monate lang.
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Wenn diese Bücher sprechen könnten – oder erst das Geschirr auf dem Couchtisch!
Goldumrandete Teller, Tassen, Milchkännchen und Zuckerdose sind aus dem inzwischen abgerissenen Palast der Republik. Die Literatur stammt aus Erich Honeckers Nachlass.
Alle Objekte sind Teil einer Ausstellung über Utopien im Richard Neutra Museumshaus von Los Angeles. Sie stammen aus dem Archiv des Wende Museums, das mehr als 100 tausend Dokumente, Artefakte, Filme, Statuen, Brigadebücher und andere Hinterlassenschaften aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion katalogisiert, Künstlern und Wissenschaftlern als Inspiration und Forschungsgrundlage zur Verfügung stellt.
Das Haus hat der aus Österreich stammende Architekt Richard Neutra für sich und seine Familie entworfen. Viel Glas, klare Linien, Blick auf Palmen und einen unter kalifornischer Sonne glitzernden Stausee.
Derzeit findet hier die experimentelle Installation “Competing Utopias’ statt – konkurrierende Utopien von beiden Seiten des Eisernen Vorhangs. Das Erstaunliche: Methoden und Ästhetik, Form und Funktionalität beider Kulturen waren einander sehr ähnlich. Auf den ersten Blick ist kein Designbruch erkennbar. Grenzen zwischen Ost und West verschwimmen, scheinbar Bekanntes erscheint in neuem Licht.
Sarah Lorenzen, Architektur-Expertin und Direktorin des Neutra-Hauses nennt die Mischung von Vertrautheit und Verwirrung, die Besucher erfasst einen ‚Alice im Wunderland’-Effekt. “Es geht nahtlos ineinander über und so entsteht dieser besonders seltsame, fast surreale Effekt. Alle Teile passen perfekt ins Haus. Und das obwohl keines dieser Objekte jemals in diesem Haus hätte existieren können.”
Hollywood ist nicht weit entfernt und natürlich hat sich Kurator Patrick Mansfield vom Wende Museum ein ‘Drehbuch’ ausgedacht für die Ausstattung des Hauses. Bei der Auswahl der Objekte stellte er sich eine Familie aus der DDR vor: Vater, Mutter und Tochter, die nur für einen Moment das Haus verlassen haben. Handtücher und Sandalen liegen auf der Dachterrasse, Indianer und Cowboy-Figuren sind auf dem Wohnzimmerboden in Kampfstellung, eine Pilotenuniform liegt neben einem offenen Koffer auf dem Bett.
Mansfield beschreibt die Geschichte, die er sich für die Installation ausgedacht hat: Der Vater ist Interflug-Pilot – Deshalb kann er auch in Kalifornien sein! Er bereitet seinen Abflug nach Kuba vor: ein Spanischwörterbuch und ein Interflug-Ticket nach Kuba liegen auf dem Tisch. Im Gegensatz zu US-Bürgern kann er direkt nach Kuba fliegen! Tochter Hannelore lernt russisch und englisch und hat einen Wecker mit Kosmonaut Yuri Gagarin auf dem Zifferblatt. Sie liebt Western und hat die Szene im Wohnzimmer aufgebaut. Hannelore lässt natürlich anders als ihre kalifornischen Freundinnen die Indianer gewinnen.
Schaut man in den Kleiderschrank der Mutter, denkt man, sie ist eine joggende Haufrau mit Hang zu sexy Nachthemden. Der erste Eindruck täuscht! Mutti ist Stasi-Spionin und versteckt ihre Ausrüstung im Penthaus zwischen Kunstrasen und Cocktaillounge. Ein Bildschirm im Abstell-Kabuff zeigt Besucher, die ahnungslos in versteckte Kameras schauen.
Dieser Anblick erzeugt Gänsehaut und den Bezug zur Gegenwart. Denn niemand weiss, ob nicht von Häusern auf der anderen Seite des Sees oder vorüberfliegenden Polizeihubschraubern Kameras auf die Utopien gerichtet sind.
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“Auslandsreporter – Wo sind die Frauen?”
Kann man Mutter sein und in einem Krisengebiet arbeiten? Was können Frauen und können sie viel mehr als man ihnen zutraut? Darüber spricht Weltreporterin Susanne Knaul (Jerusalem) heute mit NDR Hörfunkdirektor Joachim Knuth, Reporterin Antonia Rados und Spiegel-Korrespondent Christoph Reuter. Moderation: Annette Bruhns, Pro Quote.
Heute, Freitag, 4. Juli, 15.30 Uhr, Netzwerk Recherche-Tagung Hamburg, NDR Lokstedt, Hugh-Greene-Weg.
Raum K 3 – bitte aktuelle Raumhinweise beachten!
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Birgit Svensson lebt und arbeitet seit Jahren in Bagdad. Als freie Journalistin an einem der aktuell gefährlichsten Orte schreibt und berichtet sie u.a. für DIE ZEIT, die WELT, den Deutschlandfunk, den Schweizer Rundfunk und die Deutsche Welle. Sie ist eine der ganz wenigen Frauen, die vor Ort das aktuelle Chaos , die dramatischen Veränderungen erleben. Noch im letzten Jahr musste sie um ihren Verbleib in Bagdad kämpfen, für viele Medien schien der Irak uninteressant. Jetzt sind sie alle wieder interessiert, wollen Berichte und Reportagen.
Wie Birgit Svensson das alles erlebt. wie sie mit dem Problem Sicherheit umgeht, wie dieser Bürgerkrieg auch sie verändert – darüber redet sie auf dieser Veranstaltung. Und stellt sich all den Fragen derer, die Bagdad und den Irak nur vom Fernseher oder den Zeitungen kennen.
Mit Christoph Reuter, Spiegel.
Heute, Freitag, 4. Juli, 14.15 Uhr Netzwerk Recherche-Tagung, NDR Gelände Lokstedt, Hugh-Greene-Weg.
BIRGIT SVENSSON noch einmal HEUTE um 15.30 Uhr: Lasst uns über Geld reden. Neue Modelle für Freie im Ausland. Moderation: Gemma Pörzgen, Freischreiber.
BITTE AKTUELLE RAUM-HINWEISE BEACHTEN!
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Ich kann’s noch immer kaum glauben – Sportfans in den USA sind Fußballfanatiker geworden. Public Viewing an jeder Ecke, alle Fernseher in den Sportsbars auf WM programmiert, jedes Spiel LIVE im Fernsehen, auf Spanisch und Englisch. US-Mannschaftstrikots ausverkauft. Twitter, facebook und Instagram leuchten auf mit Fußball-posts! Wir können uns aussuchen, wo wir Spiele anschauen und die Bars sind proppevoll mit Fans aus allen Ländern – inklusive denen aus den USA!
Den letzten Beweis, dass Fußball in den USA in Siebenmeilenstiefeln forangeschritten ist seit ich 2003 in Los Angeles angekommen bin liefert mir der Ehemann. Der kennt sämtliche Statistiken des anderen Football (der Sport mit dem Lederei und der martialischen Ausrüstung) auswendig und hat sich bisher nicht sehr für Fußball interessiert. Jetzt kommt er von der Arbeit nach Hause und fragt zuerst: “Wer hat heute gespielt und wie ist es ausgegangen?” Dann schaltet er den Fernseher ein, schaut sich Wiederholungen und Kommentare aus Brasilien an.
Vor acht Jahren war ich mit anderen Fußballfreunden wie eine kleine Untergrundorganisation auf der Suche nach legalen Zuschaumöglichkeiten. Meistens mussten wir zu Hause die hispanischen Kanäle einschalten, um Spiele in voller Länge live zu sehen. Das tun wir auch heute noch, aber freiwillig. Es ist einfach spaßiger, den leidenschaftlichen Kommentatoren zuzuhören, wie sie auf spanisch jubeln, fluchen und verzweifeln. Im US-Fernsehen hört sich Fußballkommentar meist an wie die Analyse eines Golftourniers. Schnarch!
Klinsi hat noch jede Menge Arbeit vor sich, wenn er das Team bis zur nächsten WM auf Weltklasseniveau etablieren will. Das ist seine Aufgabe, die ihm der Verband gegeben hat und das hat er versprochen. In seinen ersten Jahren als US-Nationaltrainer hatte er den Luxus, von der Öffentlichkeit vorwiegend ignoriert experimentieren zu können. Jetzt ist mehr Interesse da und damit auch mehr Druck. Hoffentlich! Es ist ein gutes Zeichen für die Zukunft von Fußball in den USA, wenn Trainer und Spieler kritisch unter die Lupe genommen werden.
2018 heißt der Sport dann vielleicht auch hier sogar endlich Football!
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Um es als Tier in deutsche Nachrichten zu schaffen, muss man sich als Giraffe im Zoo verfüttern lassen oder zumindest Knut und Eisbär sein. Entweder niedlich oder gefährlich – Hai geht auch. In Neuseeland ist das anders. Wir werden flächendeckend über den langweiligsten Vogel der Welt informiert, der nicht mal fliegen oder trällern kann, aber dicke Eier legt. Scheu ist er auch und nachtaktiv, daher bekommt man ihn außer auf Briefmarken und Souvenir-Tassen fast nie zu sehen. Für so viel Abwesenheit produziert der Kiwi aber verdammt viele Schlagzeilen.
Es vergeht keine Woche ohne brandheiße Vogel-Meldung. Ich trage aus meinem zoologischen Archiv zusammen: Die Kiwis im Willowbank-Park von Christchurch mussten auf Diät gesetzt werden, allen voran das 13jährige Weibchen Merekara. Tatsache. Zwei Kiwi-Eier wurden dort für ein neues Züchtungsprogramm angeliefert. Das war eine eigene Meldung. Darüber stand was über vier lästige Bergpapageien, die von einem Campingplatz flogen, weil sie die Gäste nervten. Dann der Hammer: Neun Kiwis starben im Zoo von Wellington, weil sie eine Wurmkur nicht vertrugen. Mannomann. Tierotier.
Investigatives gibt’s auch. Unsere Sonntagszeitung brachte einen Skandal über Plüsch-Kiwivögel, die in den Touristen-Läden der Naturschutzbehörde DOC verkauft werden. Sie kommen nicht mehr aus Rotorua, wo sie aus ökofreundlichem Possum-Fell hergestellt werden, sondern werden in China produziert. Aus Synthetik. Da tröstet doch die Nachricht, dass es seit kurzem ein Kiwi-App als Spiel fürs Smartphone gibt. Der gefeierte Wappenvogel liefert sich einen Kampf mit „Zombie-Possums“. Vierspaltiger Artikel. War aber auch der 2. Januar, da war die Nachrichtenlage eher dünn. Fast übersah ich später die Überschrift „naked Kiwi“, so vogelgesättigt war ich. Aber es handelte sich diesmal um „naked Kiwi woman surfer“, eine nacktsurfende Neuseeländerin in Australien. Schöne Abwechslung, wenn auch das Foto dazu deutlich kleiner war als das all der Tiere, wie Gott sie schuf.
Die letzten Wochen waren eine mediale Vogelschwemme. Eine Nachricht tragischer als die andere. Heather One, ein abgemagertes Kakapo-Küken, wurde von Auckland 1600 Kilometer gen Süden geflogen. Dort sollte es im Zuge der Genesung zwei Gefährten im Zoo von Invercargill treffen. Heather hatte Schlimmes durchgemacht: Erst einen Zyklon, dann eine Lungenentzündung. Ihr Schicksal wurde zwei Tage später von der halbseitigen Exklusiv-Geschichte über Sharkey, den „tapfersten Pinguin der Welt“, übertroffen. Die reinste Seifenoper: einem Hai entkommen, geschieden, dann verwitwet und um ein Haar verhungert, aber mit 17 noch immer „gut drauf“.
Unter die Haut ging die letzte Schlagzeile: „Hund killt jungen Kiwi“. Der Unglückliche hieß Otautahi, wie der Maori-Name Christchurchs, denn er wurde dort kurz nach dem schweren Erdbeben von vor drei Jahren geboren. „Hätte er sein ganzes Leben gelebt, hätte er 20 Junge zeugen können“, hieß es in seinem Nachruf. Piep piep piep, wir haben sie alle lieb.
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Spaniens König dankt ab – und kurz darauf kündigen acht spanische Karrikaturisten ihren Job. Nicht, weil ihnen ihr Lieblingssujet und somit die Inspiration abhanden gekommen ist, sondern aus Protest: Ihr Arbeitgeber, der Verlag RBA, hatte 60.000 frisch gedruckte Exemplare der Satire-Zeitschrift El Jueves einstampfen lassen, weil auf dem Cover der royale Rentner zu sehen war, wie er seinem Sohn eine ramponierte Krone überreicht.
Gemessen am Skandalpotenzial des Königshauses (Elefantenjagd, Corinna-Affäre, Steuerhinterziehung, Korruptionsverdacht und derzeitige Sympathie-Werte von 3,72 auf eine Skala von 1 bis 10) eigentlich ziemlich harmlos. Dem Verlag aber stank die Karrikatur gewaltig. “Setzt auf keinen Fall den König auf den Titel”, soll die Verlagsleitung die Redaktion angewiesen haben. Die leistete Folge – und fast alle Stammautoren des Blattes gingen.
Schon erstaunlich: Jeder journalistische Instinkt gebietet, das Top-Ereignis der Woche an herausragender Stelle zu würdigen. Dem Verlag RBA aber galt es als Faux-Pas. Und nicht nur dem. In Spaniens Medienlandschaft greift dieser Tage ein Reflex, der schon überwunden schien: Bloss nix Schlechtes über JuanCa, bloss nix gegens Könighaus…
Dass bereits am Abend der Abdankung in allen grösseren spanischen Städten Zehntausende Spanier die Abschaffung der Monarchie forderten, war den grossen (Print-)Tageszeitungen und staatlichen Rundfunkanstalten nur eine Randnotiz wert. Ein Königshaus-Experte hatte in einer der vielen Talkrunden schon einmal vorausschauend geurteilt, es gäbe jetzt bestimmt viele Bürger, die im Überschwang der Gefühle Dinge sagten (z. B. “España mañana será republicana” “Morgen ist Spanien republikanisch”) und täten (z. B. demonstrieren und oben genannten Sprechchor anstimmen), die sie eigentlich gar nicht dächten oder wollten. Wer so allwissende Analysten hat, braucht auch keinen Beichtvater mehr.
Ach ja, schon einmal war ein königliches El-Jueves-Cover zensiert worden. 2007 waren auf dem Titel Kronprinz Felipe und Letizia beim Zeugungsakt zu sehen, es ging um das frisch eingeführte (und längst wieder abgeschaffte) Kindergeld. Damals hatte ein Richter darin eine “Ehrverletzung” gesehen und die Auflage beschlagnahmen lassen. So viel Brimborium war diesmal gar nicht nötig. Selbstzensur ist ja so effektiv. Und dazu noch Kosten sparend.
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Diese Woche wurde unsere Straße geteert.
Sie fragen sich, wo da der Nachrichtenwert liegen soll? Dann waren Sie noch nie in New York.
Eine anständige New Yorker Straße hat ungefähr alle zwei Meter ein Schlagloch, einen Riss oder einen Buckel. Sie ist bereits 32mal notdürftig repariert worden, was man ihr auch ansieht. Diese Fotos habe ich gestern mal eben auf dem Weg zum Supermarkt gemacht.
Dabei lebe ich in einem respektablen Brooklyner Viertel namens Park Slope, in dem auch Bill de Blasio zuhause ist, seit Januar neuer Bürgermeister von New York. Es ist nicht ganz abwegig, einen Zusammenhang zwischen seiner Wahl und den plötzlichen intensiven Straßenreparaturarbeiten in Park Slope zu vermuten. Unser Viertel erfreut sich seit der Bürgermeisterwahl gesteigerter Aufmerksamkeit. Seit Januar ist Park Slope auf der Wetterkarte des populären Fernsehsenders NY1 verzeichnet. Auf den Avenuen wurden neue saubere Recycling-Eimer aufgestellt, und wir sind jetzt Pilotbezirk für die Biotonne.
Doch zurück zu den Schlaglöchern. David Letterman, Moderator der Kult-Fernsehsendung Late Night Show, witzelte mal, in New York seien die „potholes“ so tief, dass einige ihre eigenen Andenkenläden hätte. Warum die Straßen so schlecht sind, ist ein auf Stehempfängen gern diskutiertes Thema. Die Republikaner machen die Gewerkschaften verantwortlich und die Demokraten zu niedrige Steuern. In der deutschen Expat-Gemeinde herrscht wie stets die Ansicht vor, dass die Amerikaner „es“ einfach nicht können. Ich halte das schon deshalb für eine Unterstellung, weil ich beispielsweise im Mittleren Westen und sogar im Bergland von Montana ganz ausgezeichnete Straßen befahren habe.
Was immer die Ursache, die Konsequenzen sind eindrucksvoll. Im vergangenen Jahr zahlte New York City wegen schlaglochinduzierter Schäden 5,5 Millionen Dollar Schadenersatz an Autofahrer, enthüllte kürzlich die New York Times. Dafür könnte man eine ganze Menge Straßen reparieren. Tatsächlich sind die Schäden noch viel größer, denn die Stadt haftet erst, wenn sie von der Existenz eines Schlaglochs schriftlich unterrichtet wurde und nachgewiesenermaßen mehr als 15 Tage untätig blieb.
Der Bundesstaat New York vermeidet solche komplexen Statuten. Dort gilt ein Gesetz, das den Staat von der Haftung durch kaputte Landstraßen komplett freistellt, sofern sich Achsbrüche und Unterbodenschäden von Mitte November bis Ende April ereignen. Das ist sehr wirkungsvoll. 2013 zahlte der Staat New York lediglich 13 386 Dollar an Autofahrer.
Jetzt gibt es eine Initiative, das Gesetz abzuschaffen. Ergriffen hat sie Thomas Abinanti, ein demokratischer Abgeordneter aus Westchester County, einem Bezirk nördlich von New York City. Es ergab sich nämlich, dass Herr Abinanti im Januar auf dem Taconic State Parkway unterwegs war und derart über ein Schlagloch bretterte, dass ein Reifen ersetzt werden musste. Kurze Zeit später passierte ihm das gleiche auf der Interstate 95. Die beiden neuen Reifen kosteten ihn rund 700 Dollar. Das ärgert den Politiker. „Ich verstehe nicht, wie der Staat sich aus der Haftung stehlen kann“, findet er. „Das Gesetz ist unfair.“
Bis sich das notorisch zerstrittene und phlegmatische Parlament in Albany auf eine Revision geeinigt hat, werden aber vermutlich Jahre vergehen. Dann dürfte auch unsere Straße in Park Slope erneut reparaturbedürftig sein, denn der schöne neue Belag fängt an den Rändern bereits an auszufransen. Hoffen wir, dass Bill de Blasio dann noch Bürgermeister ist.
Fotos: Christine Mattauch
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Der längste zusammenhängende Mauerstreifen außerhalb von Deutschland ist – in Los Angeles, auf einer Wiese neben dem Wilshire Boulevard, einer Hauptverkehrsstrecke zwischen West und Ost, gegenüber vom Los Angeles County Museum of Art. Mittags parken hier ein halbes Dutzend Food Trucks, oft sind einer mit Bratwurst und die Currywurst-Konkurrenz dabei.
Die zehn Originalsegmente aus Berlin hat das Wende Museum zum 20. Jahrestag des Mauerfalls nach Los Angeles gebracht. Inzwischen gab es davor Demonstrationen und Picknicks, Konzerte und Hochzeiten.
Viele Fragmente der Berliner Mauer sind in Nordamerika gelandet. Zwei kanadische Künstler haben es sich zur Aufgabe gemacht, zumindest einen Teil von deren Geschichte aufzuspüren und zu dokumentieren. Ihr Projekt heißt Freedom Rocks. Letzte Woche haben Vid Ingelevics und Blake Fitzpatrick dafür Station im Goethe Institut von Los Angeles gemacht.
Vor schlichter Kulisse von Klappstuhl und Tisch mit schwarzer Decke stellten sie Kamera und Scheinwerfer auf. Dann kamen die Besitzer von Mauerfragmenten und erzählten ihre Geschichten.
Die Künstler stellen immer dieselben Fragen: Wie heißt Du? Wo wohnst Du? Woher hast Du die Mauerstücke? Wo bewahrst Du sie auf? Was bedeuten sie heute für Dich?
Sie filmen nur Hände, die die Fragmente halten und haben festgestellt, dass die meisten Geschichten weniger mit dem Kalten Krieg als mit persönlichen Erinnerungen zu tun haben.
In Los Angeles erzählt ein Deutschprofessor, wie er 1990 mit Studienkollegen in einer Regennacht Stücke selbst abklopfte. Ein Künstler berichtet, wie er einen Teil der Mauer in Kreuzberg 1987 bemalte, ganau zwei Jahre bevor die Grenze geöffnet wurde. Eine Teilnehmerin ist nicht sicher ob ihre Teile echt sind. Sie hat sie in einem Baumarkt für 20 Dollar gekauft. Einer Germanistin aus Dresden steigen Tränen in die Augen, als sie erzählt wie sie eine Woche nach dem Fall der Mauer zum ersten Mal im Leben durch das Brandenburger Tor ging und von dort Mauerstücke mit nach Los Angeles nahm.
“Solange die Fragmente in Bewegung ist wird sich ihre Geschichte verändern,” fassen die Künstler zusammen. “Wie wir uns an Geschichte erinnern und ihr Denkmale setzen bleibt nie gleich.”
Meine Geschichte für den Deutschlandfunk können Sie hier nachhören: Freedom Rocks
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Seit Juli 2011 ist Jürgen Klinsmann Coach der US-Nationalmannschaft. Sein Anfang war etwas holprig, voller Experimente und deshalb auch mit einigen schwachen Spielen. Doch im Gegensatz zum Rest der Welt, wo das zur Ruck-Zuck-Entlassung des Trainers geführt hätte, bekam in den USA kaum jemand was mit vom schwachen Start. Die Stadien waren halb leer, nur eine Handvoll Reporter – davon mehr als die Hälfte von hispanischen Medien – berichtete darüber und die raren Fernsehübertragungen der Spiele schaltete sowieso kaum jemand ein. Trotzdem gab es einen Spieleraufstand – die alteingesessenen Profis fühlten sich übergangen und US-Spieler insgesamt ungerecht benachteiligt gegenüber Neuzugängen mit doppelter Staatsbürgerschaft aus Zentralamerika und Europa.
Doch jetzt ist alles anders und viel besser im US-Fußball, der hier ‘soccer’ genannt wird. 16 Mal haben die USA während der WM-Qualifikation gewonnen, davon zwölf sogar in Serie am Stück. Das gab’s noch nie in der Verbandsgeschichte. Sie haben den Gold Cup gewonnen und sich frühzeitig für die WM qualifiziert. Halb leere Stadien gibt es nicht mehr. Dafür sorgen die ‘American Outlaws’ – eine Fanorganisation, die vor ein paar Jahren von 40 Fans in Nebraska gegründet wurde. Ländlicher als Nebraska geht’s eigentlich nicht mehr. Football mag man da und NASCAR-Autorennen. Fußball? Das ist was für Weicheier! Deshalb auch der Name ‘Outlaws’ – Außenseiter ja! Weicheier nein! Zu jedem Spiel der Nationalelf reisen sie, inzwischen zu Tausenden. Insgesamt haben sie über 17 tausend Mitglieder in rund 150 Ortsverbänden. Gemeinsam marschieren sie von der Vor-Party auf dem Parkplatz in die Stadien, singen stehend 90 Minuten lang patriotische Fußballsongs – und LIEBEN Jürgen Klinsmann.
https://soundcloud.com/soundslikerstin/we-want-j-rgen-us-soccer-coach
Beim ausverkauften Freundschaftsspiel gegen Süd Korea hab ich das selber miterlebt. Mehr Stimmung gibt’s auch in deutschen Stadien nicht. Von den Fans, die ich dort getroffen habe, werden mehr als 600 nach Brasilien reisen, um das Team bei der WM anzufeuern. Die Outlaws haben Flugzeuge gechartert und Hotelzimmer reserviert, um der Nationalelf gemeinsam zu folgen. Auch das ist eine absolute Neuheit für den US-Sport. Das gab’s noch nie im Fußball und gibt es in keiner anderen Disziplin. Football, Basketball, Baseball, Eishockey haben starke lokale Fanclubs. Bei Olympischen Spielen können Basketball und Eishockey Patriotismus wecken, aber rund ums Jahr einer Nationalmannschaft hinterherreisen? Das gibt’s sonst nirgendwo.
Dass es so gut aufwärts geht mit dem US-Fußball hat auch viel mit dem Trainer zu tun, da sind die Fans sicher. Klinsmann öffnet Türen – zu Spielen auf höchstem internationalem Niveau, zu Spielern im Ausland, die ins US-Nationalteam wollen und zu Veränderungen im System, die Nachwuchs fördern. Deshalb lieben sie ihn.
Am 26. Juni trifft Klinsmanns Elf auf die von seinem ehemaligen Ko-Trainer Joachim Löw. Klinsi sagt: er wird beide Hymnen singen aber danach ist für 90 Minuten Schluß mit der Freundschaft. Er will nichts lieber, als an dem Tag Deutschland besiegen.
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Ich fahre durch die Dunkelheit in ein schmales Tal in den Bergen südlich von Los Angeles: Silverado Canyon. Die Wegbeschreibung endete mit einem Hinweis auf eine große rote Scheune. Ohne Straßenbeleuchtung sind Größe und Farbe der wenigen Gebäude am Straßenrand kaum zu erkennen. Endlich finde ich die Scheune, im Haus gegenüber leuchtet hinter einem Fenster warmes Licht. Ich bin bei Sama Wareh angekommen: Künstlerin und Aktivistin, Kalifornierin mit Wurzeln in Syrien. Bis zum Kriegsausbruch hat sie regelmäßig Familie und Freunde in Damaskus besucht.
Der Krieg hat sie so beschäftigt, dass sie einmal auf eigene Faust an die türkische Grenze reiste, um Flüchtlingen mit Decken, Heizkörpern, Medizin und Mietzahlungen zu helfen. Ein Jahr später machte sie sich wieder auf den Weg, diesmal mit der Mission, ein nachhaltiges Projekt zu initiieren und dabei ihre Stärken zu nutzen: Kunst und Pädagogik. Sie entwickelte ein Curriculum: “Kunsttherapie für Kinder in Kriegsgebieten” und zog los. Vor ein paar Wochen kam sie zurück und erzählt mir nun, was sie erlebt hat.
“Möchtest Du Linsensuppe?” fragt sie mich zur Begrüßung. Die köchelt vor sich hin, füllt die kleine Wohnung mit Wärme und dem Duft einer starken Gewürzmischung. Wir setzen uns auf ein niedriges Sofa und Sama beginnt zu erzählen.
Im November reiste sie zu einer Schule im Libanon, nördlich von Tripolis. Dort hatte sie nach langer Recherche einen Direktor gefunden, der Schülern die selben Werte vermitteln wollte wie sie: Teamwork, Kreativität und Gleichberechtigung über Religion, Geschlecht, Herkunft, Alter und Rasse hinweg – ein Vorbild für die Zukunft Syriens. Die Schüler hatten den Namen der Schule selbst gewählt: Vögel der Hoffnung.
Sama kaufte von Spenden, die sie in Kalifornien gesammelt hatte und vom Einkommen aus dem Verkauf ihrer Bilder Material und begann ihr Kunstprogramm: Sie ließ die Kinder ihre Träume und Hoffnungen malen und gestaltete mit allen Schülern, Lehrern und dem Direktor ein Wandgemälde. Die steckten der kalifornischen Künstlerin jeden Morgen Briefe und Zeichnungen zu: Blumen und Herzen, Monster, Bomben, blutende Bäume und zerstörte Städte.
“In Kunst drücken Kinder aus, worüber sie nicht sprechen können,” erzählt Sama von ihrer Zeit mit den 350 ‘Vögeln der Hoffnung’. Ein Junge sang jeden Morgen vor Unterrichtsbeginn auf der Schultreppe ein Lied von der Schönheit Syriens und von Trauer um die Zerstörung des Landes. Der Abschied fiel ihr schwer, weinend ermutigte sie die Kinder, weiter zusammen zu arbeiten, zu reden und Konflikte ohne Gewalt zu lösen.
Die gesammelten Spenden finanzieren nun einen Kunstlehrer, der ihr Projekt fortführt. Er schickt ihr Videos von den Fortschritten. Sie zeigt mir eines auf dem Computer und holt aus ihrem Schlafzimmer Briefe und Zeichnungen der Kinder. Sie erinnern sie an traurige und glückliche Momente in der Schule. “Nichts kann mich mit so viel Glück und Freude füllen, wie das Lächeln der Flüchtlingskinder und die Konzentration und Ruhe auf ihren Gesichtern während sie zeichnen.”
Aus Videoaufnahmen ihres Abenteuers an der Schule produziert sie einen Dokumentarfilm. Einnahmen aus Vorführungen werden direkt zu den ‘Vögeln der Hoffnung’ geschickt. “Jeder kann etwas Positives bewirken in der Welt,” sagt sie während wir Linsensuppe löffeln. “Ich bin Künstlerin, ich hab nicht viel Geld aber jetzt haben die Kinder diese neue Freude im Leben, nur weil ich mich angestrengt habe. Das ist das beste Gefühl der Welt!”
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Es rieselt so leise wie Schnee und sieht in der ersten Morgendämmerung auch fast so aus, wenn die Blätter von Bananenstauden und Hibiskusbüschen schwer beladen unter einer hellgrauen Ascheschicht tief hinunterhängen. Leider hören da die Ähnlichkeiten auch schon auf. Schnee verteilt sich nicht bei jedem Luftzug in jeder Ritze des Hauses, zwischen Autositzen und auf dem Spielzeug meiner Kinder. Auch brennt Schnee nicht so in Nase und Augen wie die warme Vulkanasche, die uns heute über Nacht komplett zugedeckt hat. Dabei wohnen wir in der zentraljavanischen Stadt Yogyakarta 200 Kilometer entfernt vom wenig bekannten Vulkan Kelud, der gestern allerdings explodierte wie ein ganz Großer. Der Knall sei auch bis hierher zu hören gewesen, behaupten die Nachtwächter. Dem Dreck zu entkommen, ist gar nicht so einfach – alle Flüge sind bis auf Weiteres gecancelt, Zugtickets aus der Stadt waren am Mittag bereits ausgebucht und über Land fahren ist keine gute Idee: selbst im Schritttempo wirbelt jedes Fahrzeug so viel Staub auf, dass man nur noch wenige Meter weit sieht. Schule fiel heute aus, viele Büros waren geschlossen und die sonst so überfüllten Straßen beängstigend leer – Weltuntergangsstimmung. Bleibt zu hoffen, dass der Vulkan sich bald wieder beruhigt, der Wind dreht und ein großer Regen alles wieder sauber wäscht. Sonst müssen wir bald Animateure für unsere quengelnden Kinder engagieren, die sich momentan rund um die Uhr im klimatisierten Schlafzimmer verschanzen müssen. Noch ein Gegensatz zum Neuschnee, bei dem selbst jeder Stubenhocker hinausrennt.
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Es begann bei einer Party, erzählt mir Cornelia Funke bei einem Espresso im Büro von Thomas Gaehtgens, dem Leiter des Getty Research Centers. Einer Party, zu der sie eigentlich gar nicht gehen wollte, weil die super erfolgreiche Schriftstellerin gar nicht auf Hollywood-Partys steht. Aber sie ließ sich überreden.
“Und wen sehe ich als Erstes kaum komme ich zur Tür rein?” Der Ton legt nahe, dass es sich um ein dreiköpfiges, schielendes, sabberndes Monster am Buffet handeln muss. Wenn nicht schlimmer!
“Brad Pitt!”
“Aha!” denke ich, ich habe Cornelia missverstanden. Sie war dann doch froh, dass sie zur Party gegangen ist. “Nein!” widerspricht sie und verdreht die Augen. Dieser Anblick bestätigte nur dass es eine Feier genau der Sorte sein würde, der sie möglichst aus dem Weg geht. “Aber Brad Pitt sieht ja auch tatsächlich von Nahem sehr gut aus und ist auch sehr nett!” fügt sie dann noch hinzu.
Viel wichtiger war aber die Begegnung mit Gaehtgens. Mit dem sprach sie über ihre Bücher und deren Charaktere aus verschiedenen Jahrhunderten, über Projekte, Inspirationen und Schwierigkeiten beim Schreiben. Der Leiter des Research Institutes lud sie sofort ein, das Getty-Archiv zu nutzen. Das Institut ist offen für jede Form der Recherche.
Mehrere Notizbücher hat sie inzwischen gefüllt mit Fotos von Charakteren des Getty-Archivs: furchterregend, verführerisch, geheimnisvoll, bucklig, zart, klein, kostümiert, nackt… Sie alle erweckt sie in ihren Büchern zu neuem Leben. Wann immer Funke ins Institut kommt, liegen da schon neue Bücher bereit. Als Dank für Offenheit und Hilfe des Instituts erfand Cornelia Funke den Piraten William Dampier. Genauer gesagt: Dampier lebte tatsächlich von 1651 bis 1715. Dank Funke spukt er jetzt als Geist durch die weiße Getty-Festung über dem Pazifik. Sie hat eine Piraten-Geschichte erfunden rund um Landkarten, Sternenkarten, Silbermünzen, Muscheln und Mumien für die jungen Besucher der neusten Ausstellung des Instituts: ‘Connecting Seas – A Visual History of Discoveries and Encounters’. Die folgt Reisenden, Neugierigen, Abenteurern, Erfindern, Aufschneidern, Wissenschaftlern, Kolonialisten und Ausbeutern über die Weltmeere vom 17. Jahrhundert bis heute.
Mir gaben die beiden eine Tour durch die Ausstellung. Ziemlich beeindruckend! Nicht nur, was ich da zu sehen bekam sondern auch, wie die beiden ganz unkompliziert und unbürokratisch mit Hilfe von mehreren Kuratoren das Projekt auf die Beine gestellt haben.
Der Geist von Pirat Dampier soll auch in Zukunft durch Austellungen spuken und Kinder in den Bann von Forschung und Geschichte ziehen. Die Broschüre mit seiner Geschichte liegt kostenlos aus und auch Erwachsene nehmen sie gerne mit.
Die Show zur Erkundung des Globus über die Weltmeere ist noch bis zum 13. April offen.
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Wenn man zehn Jahre in den Tropen gelebt hat, kann einem der Winter nach einem Umzug in ein Land der nördlichen Hemisphäre zu schaffen machen. Zumal, wenn es ein Winter in Peking ist. Denn zu den wochenlangen, lausig kalten Temperaturen, kommen dann noch jene Tage, an denen der Horizont getrübt ist von dieser berüchtigten, grau-braunen Dunstschicht, die „dicke Luft“ bedeutet.
Glücklicherweise war es bisher aber, jedenfalls wird uns Neulingen das so erzählt, eher mild (also nur rund 30 Grad kälter als wir es um diese Jahreszeit in unserer alten Heimat, den Philippinen, hätten). Auch Tage mit richtig mieser Luft hat es noch nicht so viele gegeben wie vergangenes Jahr im Januar.
Es gibt also keinen Grund, sich im Haus zu verbarrikadieren. Ganz im Gegenteil, dank Väterchen Frost weitet sich der Kanon der möglichen Outdoor-Aktivitäten aus. Sehr populär sind beispielsweise Wanderungen auf bis zum Grund vereisten Flüssen.
Einheimische machen es sich auf zugefrorenen Seen beim Picknick gemütlich, oder nehmen eine Abkürzung quer über die Eisfläche nach Hause.
Und dann ist da natürlich der Klassiker: Schlittschuhlaufen. Am Stadtrand von Peking geht es ganz ohne Massenandrang, entspannt und stundenlang.
Das einzige, was zum Glück dann noch fehlt, ist eine Bude, an der es Glühwein gibt. Aber das könnte ja ein Projekt für den nächsten langen Winter sein.
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Im Kino gewesen. Auf der Leinwand gesehen wie Charlotte Gainsbourg sich auspeitschen lässt. In einer anderen Szene hat sie Sex mit Shia LaBeouf, der später mit Mia Goth schlafen wird – aber erst nachdem sie mit Gainsbourg im Bett war.
„Nymphomaniac“, der neue Film von Lars von Trier, hat jede Menge Sex-Szenen. Kaum ein Charakter, gespielt von oben genannten Schauspielern und anderen wie Stellan Skarsgård und Sophie Kennedy Clark, der mehr als ein paar Minuten auftaucht, hat nicht irgendwann in dem Vierstundenfilm Sex.
Eine ersten Blick habe ich für The Wall Street Journal‘s Speakeasy schon im Dezember auf „Nymphomaniac“ geworfen, der Kurztext (auf Englisch) steht hier, unten eine ausführlichere deutsche Fassung. In den vielen mehr oder weniger expliziten Szenen sind die Körper der internationalen Stars durch Double ersetzt, die ähnlich Stuntmen dort einspringen, wo die Berühmtheit nicht mag. Über Elvira Friis, das dänische Körperdouble von Stacy Martin und Charlotte Gainsbourg, gibt es hier meinen Text bei The Wall Street Journal (ebenfalls auf Englisch).
Monate-, wenn nicht jahrelang haben die Medien verrückt gespielt wenn es um den „Filmporno“, das „Sex-Epos“, den „Sexfilm“ oder das „Porno-Drama“ ging.
Allerdings, nach Besuch einer der ersten vorab Filmvorführungen in Kopenhagen, weiß man: „Nymphomaniac“ wegen der Sex-Szenen zum Porno zu küren wäre wie „On the road“ der Kategorie Action zu zuordnen, nur weil Autofahren ein essentieller Part ist.
Natürlich geht es in dem Film um Sex; unter anderem. Sex ist Teil der Handlung, aber nicht alles.
In einem klassischen Pornofilm gibt es die Handlung, die alle Szenen verbindet, vermutlich nur, um dem Zuschauer auch einmal eine Pause zu gönnen.
„Nymphomaniac“ dagegen zeigt, wie die Hauptperson Joe (in ihren jungen Jahren gespielt von Stacy Martin, im Alter von Charlotte Gainsbourg) versucht, zwischen dem ganzen Sex nicht zu lange Pausen zu haben.
Anfangs streunt die junge Joe zusammen mit ihrer Freundin B. (Sophie Kennedy Clark) in einem Zug umher und jagt die Männer in den Abteilen mit ihren Blicken. Die zwei Mädchen haben einen recht ausgefallenen Wettbewerb: Diejenige, die während der Zugfahrt am meisten Männer erlegt, gewinnt eine Tüte Schokoladenbonbons.
Es wird nur angedeutet oder in Soft-Porn-Versionen gezeigt, wie Joe ihre Männer niederstreckt, wie sie durch ein Fellatio gewinnt, ist hingegen komplett zu sehen. Allerdings recht kurz.
Den Zuschauer zu erregen ist die Kernidee eines traditionellen Pornofilmes, aber wie von Trier in „Nymphomaniac“ den Geschlechtsakt zeigt und in welcher Kürze, deutet darauf hin, dass er dem Zuschauer nicht einmal die Möglichkeit geben möchte, erregt zu werden.
Statt langsam und gefühlvoll oder zumindest mit erotischen Bildern sich dem Höhepunkt zu nähern, zeigt von Trier Sex als einen mechanischen Akt. In manchen Szenen sind Nummern eingeblendet, die zählen, wie oft der Mann auf der Leinwand Joe stößt – das unterstreicht wie wenige Emotionen involviert sind.
B. entdeckt kurz nach der Zugfahrt für sich, dass Liebe Sex noch genussreicher machte – und taucht dann nicht mehr in dem Film auf. Joe jagt weiter.
Sie kommt nie zur Ruhe. Während in einem klassischen Porno Sex zumindest dem Anschein nach, die Menschen glücklich macht, ist dies für die Nymphomanin nicht der Fall.
Joe wirkt nie glücklich, sondern stets einsam und auf beinahe romantische Art auf der Suche. Sex scheint sie nicht länger als für die Dauer des Aktes zu befriedigen.
Dreimal ist sie nah dran, ihren Wunsch erfüllt zu bekommen, aber jedes Mal entfaltet der Sex-Drang zerstörerische Kraft. In „Nymphomaniac“ sind Menschen nur glücklich und friedlich, wenn sie keine sexuellen Begierden haben – wie der Buch-Liebhaber Seligman, dem Joe ihre Geschichte erzählt, und vielleicht auch zeitweilig ihre Partner Jerome und Mia.
Von Trier zeigt, dass Sex-Lust menschlich ist, aber auch, dass sie dazu führen kann, dass die Menschen sich unmenschlich verhalten, ihr Kind verlassen und dessen Tod riskieren oder den einzigen wirklichen Freund verletzen. Traditionelle Porno-Filme klammern so etwas aus und fokussieren darauf, wie erfüllend Sex sein kann. Dunkle Seiten haben dann keine wirklichen negativen Auswirkungen, sondern sind nur luststeigernd.
Trotz allem, ist „Nymphomaniac“ einer der leichteren, unterhaltsameren, phasenweise lustigen Filme von Triers. So sollte das Ende auch nicht allzu düster gesehen werden, auch wenn wie in anderen Filmen des dänischen Regisseurs, „Antichrist“, „Dogville“ oder „The Kingdom“ etwa, alles gegen Ende hin immer schlimmer wird.
Die letzte „Nymphomaniac“-Szene ist eine radikale Version von Ibsens Schauspiel „Nora“.
Während Nora sich selbst befreit und mit dem Stigma ihre Ehe zerstört zu haben, gehen kann, ist der Preis den Joe zahlt, erheblich höher.
Nachdem die Lust sie jahrelang verfolgt hat, trägt sie eine andere Bürde und der Film endet mit einer Ambiguität, wie sie dem klassischen Porno-Genre unbekannt ist.
Bild: Elvira Friis – Foto: Lasse Egeberg
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Jedes Jahr am 31. Dezember wandere ich mit Freunden auf eine Hügelkuppe in den Bergen von Los Angeles. Von dort schauen wir beim Picknick vom glitzernden Pazifik im Westen über Wolkenkratzer von Downtown bis zu schneebedeckten Bergen im Osten. Es ist immer eine gute Gelegenheit, mich an Menschen und Orte zu erinnern, die ich im vergangenen Jahr getroffen und entdeckt habe. Wieviel ich selbst nach zehn Jahren in Los Angeles noch zu entdecken habe wurde mir bei meinem letzten Interview im Jahr 2013 mal wieder sehr bewusst. Für Reporter Corps, ein Projekt der USC Journalismus Schule ging ich mit einer Studentin durch das Viertel, in dem sie aufgewachsen ist: Watts. Im Süden der Wolkenkratzer gelegen, ist es vor allem bekannt für die Rassenunruhen, die dort 1965 ausbrachen, Bandenkriege und Schießereien über die die Abendnachrichten berichten. In alternativen Reiseführern werden außerdem die Watts Towers erwähnt, das Kunstwerk eines italienischen Einwanderers, der in jahrelanger Arbeit aus Fundstücken Türme schuf, die sich bis heute dem blauen Himmel entgegen strecken.
Shanice, die Studentin, zeigte mir ein anderes Watts: einen Park, in dem Pärchen auf Bänken sitzen, Mütter ihre Kinder auf Schaukeln und Rutschen beobachten und Teenager Baseball spielen; daneben eine Bibliothek und ein Beratungszentrum für Jugendliche, zwei Künstler, die eine Wand des Jugendzentrums mit bunten Symbolen für Freundschaft und Verständigung verschönern und ein stolzer hispanischer Vater, dessen Kinder in Watts aufgewachsen sind und ihren Uniabschluß gemacht haben.
“Ich lebe gerne in Watts” sagt die 22 jahre alte Shanice. “Hier ist immer etwas los, die Leute sind meistens freundlich und helfen einander. Viele hier haben es nicht leicht und erreichen trotzdem viel! Viele starke Menschen leben in Watts!”
Shanice über das Leben in Watts
Es gibt so viele Geschichten zu erzählen, die zeigen: Los Angeles hat unendlich mehr zu bieten als Hollywood. Ich freu mich schon auf die Entdeckungsreisen im neuen Jahr!
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Wir befinden uns bei Nelson Mandelas Gedenkfeier. Die ganze Welt trauert um den größten Held Afrikas. Die ganze? Nein. Ein von unbedeutenden Sübhalbkugelinsulanern bewohntes kleines Land leistet Widerstand. Oder hat es sich gedrückt? Falsch. Es fiel nur einfach niemandem auf, schon gar nicht der „New York Daily News“. Auf den Aufnahmen der Tageszeitung aus dem FNB-Stadion in Johannesburg ist Englands Premierminister David Cameron zu sehen, der bei der gewichtigen Veranstaltung – 91 Staatsoberhäupter! Bill Clinton! Bono! Wo war Naomi Campbell? – mit einem „nicht identifizierten Gast“ scherzte. So steht’s in der Bildunterschrift. Doch wir haben den unbekannten Nebenmann sofort entlarvt. Es war Neuseelands Premierminister John Key. Hoffentlich wusste zumindest Cameron, mit wem er da fröhlich plauderte.
Den Slogan „Unidentified Guest“ über dem Grinsefisch-Konterfei John Keys kann man sich seit gestern auch als T-Shirt drucken lassen. Die Häme hat er allemal verdient, wenn nicht gar einen Arschtritt. Denn seit Tagen gab es eine unschöne Rangelei darum, welchem Kiwi denn die Ehre gebühre, offiziell nach Südafrika reisen zu dürfen.
Was der Rest der Welt kaum weiß, da man ja nicht mal unseren Obersten in New York erkennt: 1981 flogen in Aotearoa wegen der Apartheid die Fetzen. Es ging um die Tournee der Springboks. Die weiße südafrikanische Rugby-Mannschaft stieß damals im bikulturellen Neuseeland auf heftigste Proteste. Das ganze Land, sonst eher im friedlichen Dauerschlaf, war plötzlich gespalten. Eine Hälfte ging auf die Barrikaden, warf Steine, brüllte in Megaphone. Die andere Hälfte wollte einfach nur in Ruhe Rugby gucken. Oder schwang Polizeiknüppel.
Eine historische Zäsur, so wie den Deutschen ihre 68. Jeder weiß bis heute, auf welcher Seite er oder sie stand – auch wenn man jetzt so tut, als sei man schon immer ANC-Unterstützer gewesen. John Key war damals 20jähriger Student, aber zu „Studentenprotesten“ kein bisschen aufgelegt. Als er danach gefragt wurde, was er 1981 vertrat, winkte er unwirsch ab: „Das interessiert mich jetzt nicht.“
Nelson Mandela interessierte es jedoch sehr. Er hat Neuseeland nie vergessen, dass es sich gegen die Apartheid in die Bresche warf. Das habe ihm im Gefängnis Kraft gegeben, sagte er, als er 1995 Aotearoa besuchte. Damals bedankte er sich persönlich bei den Anführern der Proteste. Besonders tatkräftig kämpfte John Minto, ein linker Aktivist, der auch zu Mugabes Untaten nie schwieg. Minto hätte in den Trauerzug nach Johannesburg gehört, weit vor John Key. Doch der stellte sich eine fünfköpfige Delegation zusammen, in der bis auf den Chef der Maori-Partei kein einziger der Aktivisten von 1981 dabei war.
Damit war das Trauerspiel noch nicht zu Ende. In Südafrika angekommen, hieß es plötzlich, dass der neuseeländische Besucher nur einen einzigen Gast mit zur Zeremonie nehmen dürfe. Welch eine Schmach. Kanada allein rückte mit 13 Leuten an. Am Ende gab’s dann doch Einlass für alle. Daher das Grinsen von John Key auf den Fotos.
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Der “Selfie” von Helle Thorning-Schmidt hat die danische Premierministerin im Ausland bekannt gemacht. Mittlerweile weiss sogar die AFP, wer die Frau zwischen Cameron und Obama ist. Dass sie daheim in ziemlichen Problemen steckt, ist hingegen womoglich noch nicht uberall angekommen (genauso wenig wie die Umlaute hier – Dank amerikanischer Tastatur/Systemsprache). Die Sozialdemokratin hat namlich gleich eine ganze Reihe Regierungsmitglieder durch Rucktritte verloren.
Heute nun prasentierte sie ihr neues Kabinett. Das, so Thorning-Schmidt, solle in dieser Konstellation bis zu den Wahlen bestehen bleiben. Entweder gibt sie sich selbstbewusst. Oder lasst durchblicken, dass weitere Fehltritte vorgezogene Neuwahl bedeuten.
Mehr zum politischen Chaos in Danemark und wie die Regierungschefin dem Herr zu werden versucht gibt es in zwei meinen Artikeln bei The Wall Street Journal zu lesen (gestern und heute und stets auf Englisch).
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Edward Snowdens Enthüllungen bringen auch im Asia-Pazifik-Raum so manch unangenehme Spitzelaktion ans Licht: Die Australier wollten offensichtlich den Amerikanern nacheifern und haben es sich nicht nehmen lassen, das Handy des indonesischen Präsidenten abhören zu lassen. Und – was viele Indonesier noch viel mehr empört – auch noch das seiner Frau. Während Angela Merkel sich den Amerikanern gegenüber lediglich etwas verschnupft zeigte, hat Präsident Susilo Bambang Yudhoyono nicht nur gleich nach dem Bekanntwerden der Affäre seinen Botschafter aus Canberra abziehen, sondern auch noch jede militärische und Teile der wirtschaftlichen Zusammenarbeit einstellen lassen. Diese Reaktion begründete er vor allem mit dem undiplomatischen Vorgehen des australischen Premierministers Tony Abbott, der das Ausspionieren seines nächsten Nachbarn quasi als selbstverständliche politische Handlung hinstellte.
Das mag ja tatsächlich so sein, darf aber so nicht ausgesprochen werden – schon gar nicht im harmoniesüchtigen Java. Yudhoyono verlangte also eine Entschuldigung. Der Mob in Jakarta verbrannte daraufhin australische Fahnen vor selbiger Botschaft und die indonesischen Medien machten mobil. Außenministerin Julie Bishop glättete die Wogen wenige Tage später wieder etwas mit einer indirekten Entschuldigung für das Abhören des Präsidententelefons, schob aber gleich hinterher, dass Australien aus Gründen des Selbstschutzes nicht aufhören könne zu spionieren.
Genau in diesen Tagen kam die Nachricht, dass Osttimor Australien vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen Spionage angeklagt hat – dabei geht es um einen milliardenschweren Vertrag um Förderrechte von Erdgasvorkommen in der timoresischen See. Die australische Regierung ließ darauf kurzerhand das Anwaltsbüro in Canberra durchsuchen, das den Fall für Osttimor vertritt, und beschlagnahmte auch gleich noch den Pass eines wichtigen Zeugen, einem pensionierten australischen Nachrichtendienstler, um dessen Aussage in Den Haag zu verhindern. Premierminister Tony Abbott verteidigte diesen Schritt wiederum mit dem Schutz der nationalen Sicherheit.
Wie gut, dass das Schwergewicht Indonesien zu viele andere Probleme hat, um für die – aus asiatischer Sicht – täglichen Fettnapflandungen der frisch gewählten australischen Regierung jedes Mal eine Entschuldigung zu erbitten. Bleibt allerdings abzuwarten, wie Den Haag die Spitzelaffäre in Osttimor bewerten wird: Dabei geht es nämlich um nichts weniger als die wirtschaftliche Zukunft des ärmsten Landes in Asien.
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Im Supermarkt habe ich neulich eine spanische Adaption des Adventskalender entdeckt. Der hilft wie das deutsche Pendant beim Überbrücken der Wartezeit, allerdings nicht auf Christkind respektive Weihnachtsmann, sondern auf die heiligen drei Könige, die in Spanien traditionell die Geschenke bringen – und hat folgedessen nur 12 Türchen: von Heiligabend bis zum 6. Januar.
Gefüllt ist er nicht mit Süssigkeiten, sondern – thematisch zu den morgenländischen Weihrauch- und Myrrhe-Überbringern passend – mit Parfümproben und “andere Überraschungen”. Jede Wette, dass die auch so augenschmerzend genderspezifisch ausfallen wie die Verpackungen. A propos: Nach was duftet eigentlich Hulk?
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Sich lächerlich machen können brasilianische Abgeordnete gut. Sei es, indem sie sich mit Geldschein-Päckchen in der Unterhose erwischen lassen, oder indem sie niedliche Freudentänze in der Parlamentssitzung aufführen, wenn ihnen wieder ein Korruptionsstück gut gelungen ist.
Als allerdings 1,3 Millionen einen echten Clown ins Parlament wählten, dessen Wahlversprechen hieß: “Wählt Tiririca, schlimmer als es ist, kann es nicht mehr werden!”, da wollten sich die Abgeordneten doch dringend abgrenzen. Politik sollte Politik und Clown sollte Clown bleiben. Sie suchten nach einem Weg, um ihn loszuwerden und fanden ein Gesetz, das Analphabeten verbietet, Politiker zu werden. Lesen und Schreiben sind in Brasilien so unwichtig, dass heute noch fast ein Drittel der Bevölkerung ohne auskommt.
Tiririca, erfolgreicher Geschäftsmann, verdiente als Clown besser als die meisten Abgeordneten, beschäftigte seine Ehefrau als Assistentin und diktierte ihr alles Wesentliche. Es wird gemunkelt, dass auch die krakeligen Zeilen zu Tiriricas Ehrenrettung aus ihrer Hand stammen sollen. Jedenfalls: der Clown blieb im Amt. Und die anderen Parteien wurden neidisch – weil die Wähler neben Tiririca drei weitere Parteigenossen ins Parlament hievten. “Tiririca-Effekt” heißt das inzwischen. Den hätten jetzt alle gerne. Aber weil es nicht genug gute Clowns im Land gibt treten nun reihenweise Schönheitschirurgen, Sänger, Schwimmer, Ex-Fußballtrainer oder Ex-Big-Brother-Teilnehmer politischen Parteien bei.
Klare Favoriten unter den neuen Promi-Kandidaten sind: Sula, Ex-Sängerin und Muse der Brummi-Fahrer, Bambam-Kleber, Muskelmann und Ex-Big-Brother-Sieger sowie Narcisa, Ex-Ex-Millionärsgattin. Mit Sula hat eine Partei in einem Land ohne nennenswerten Schienenverkehr Zigtausende Brummi-Fahrer auf ihrer Seite. Und seit die Frau im Cowboyhut sich zum Glauben bekannt hat, können die harten Jungs ihre CDs sogar zuhause bei Mama hören. Vielleicht wählt die gleich mit.
Bambam überzeugt mit Muskeln – und die Politik braucht starke Männer. Die Wirtschaft hingegen braucht Bambams inniges Verhältnis zum Konsum: diese Woche kauft er einen Mercedes, nächste Woche eine Honda – wenn sich genug Leute daran ein Beispiel nehmen, wird Brasilien zum Top-Standort für die Automobilindustrie.
Narcisa Tamborindeguy ist reich geboren, zweimal reich geschieden und erzählt gern von sich: etwa wie sie sich früher Drogen frei Haus liefern ließ oder sich heute mit ihrem neuen Lover vergnügt. Oder davon, dass sie in ihrer Freizeit Eier aus ihrem Wohnzimmerfenster wirft und Wasser auf Passanten an der Copacabana gießt.
Wahlprogramme haben solche Kandidaten nicht nötig. Slogans auch nicht. Narcisa hatte zwischendrin sogar vergessen, welcher Partei sie beitreten wollte. Hochoffiziell war sie Mitglied der PSD geworden. Bis man sie daran erinnerte, dass sie ursprünglich der PSDB zugesagt hatte. Kein Problem: Schnell wieder aus- und der anderen beigetreten. Es gibt schließlich kein Gesetz, dass Politiker denken müssen. Hauptsache, sie können lesen und schreiben.
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Die vorolympische Idee, in der Metro Fahrscheine gegen Kniebeugen auszugeben, wird die Fitness der Moskauer nicht nachhaltig steigern.
Sotschi wirft seine Schatten voraus. Keine 3 Monate vor dem Beginn der Winterspiele bietet die Moskauer U-Bahn ihren Fahrgästen neue sportliche Perspektiven. Gemeinsam mit dem Nationalen Olympischen Komitee stellte sie den ersten Zahlautomaten der Welt auf, an dem man sein Ticket mit Leibesübungen erwerben kann. Statt 30 Rubel (knapp 70 Cent) einzuwerfen, muss man vor einem Sichtfenster mit automatischer Kamera 30 Kniebeugen absolvieren, damit der Apparat einen Einzelfahrschein herausgibt. „Eine Geste der Gesundheit, die jeder Passagier vor der Olympiade in Sotschi zeigen kann“, sagt Jekaterina Beljajewa, die Pressesprecherin der Moskauer Metro. Die Kniebeugen-Tickets gehören zum Projekt „Olympische Veränderungen“, das den Alltag der Russen durch neue sportliche Elemente bereichern soll.
Kunstturnolympiasiegerin Jelena Samolodtschikowa weihte die unterirdische Trimm-Dich-Station am 8. November ein, danach standen vor allem Mädchen und junge Frauen Schlange, um in maximal 2 Minuten ihre Kniegelenke 30 mal zu beugen und zu strecken. Auch die Partielöwin und Ex-Primaballerina des Bolschoi Theaters Anastasija Wolotschkowa tauchte auf, legte vor laufenden TV-Kameras 30 saubere Grand Plie hin, verschwand danach freilich nicht in der U-Bahn, sondern im eigenem Lexus.
Der kritische Radiosender Echo Moskwy aber veranstaltete eine Zuhörerdebatte, ob 30 Kniebeugen für ein U-Bahnticket keine menschenrechtswidrige Demütigung darstelle. Vor allem für arme Moskauer, die aus Sparsamkeit öffentlich in die Hocke gehen müssen.
Solche Befürchtungen bewahrheiteten sich nicht. Denn es wurde nur ein einziger „olympischer“ Zahlautomat aufgestellt, in der Station „Wystawotschnaja“. Die liegt unweit des neuen Wolkenkratzerviertels Moskwa-City, wird von vergleichsweise wenigen Fahrgästen frequentiert, meist gut betuchten Yuppies, die den Apparat glatt ignorieren. „Wozu soll ich Kniebeugen machen?“, fragt die Personalmanagerin Olga Kriwoschlykowa, 29, unsere Zeitung. „Das ist eher was für Schulmädchen.“
Zudem soll der Automat, der von 9 bis 20 Uhr arbeitet, und neben dem ständig Wachmänner und ein Sanitäter Dienst tun, am 4 Dezember wieder abgebaut werden. Dann bleibt Moskauern, die sich das U-Bahn-Ticket sparen wollen, nur altbewährte sportliche Frechheit: Mit einer sauberen Flanke über die Drehkreuze an den U-Bahn-Eingängen springen und das ohnmächtige Trillergepfeife der betagten Wächterinnen ignorieren.
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Vor einem Monat hatten wir Aucklands Bürgermeister mit heruntergelassenenHosen – gesegnete Zeiten! Die haben sich rasant geändert. Keiner spricht mehr von Len Browns Affäre. Alle reden von den „Roast Busters“. Ja, die klingen lustig, wie ein Filmtitel. Zeigen sich auch in spaßigen Posen, samt Basecaps und Pickeln. Sie sind aber Vergewaltiger.
Immer öfter tauchen in Neuseeland Facebook-Seiten auf, die „root and rate“ oder „Goon Rigs and Scrags“ heißen: Junge Männer bewerten aufs Übelste Frauen, mit denen sie Sex hatten – mit Namen und Fotos. Dafür gibt es dann schon mal tausend „Likes“– und etliche zutiefst gedemütigte Internet-Opfer. Doch das ist alles Kinderkram im Vergleich zu den „Roast Busters“. Ein „roast“ ist laut „Urban Dictionary“ eine Frau, die von zwei Männern penetriert wird und damit einem Braten am Spieß ähnelt. Weiß ich auch erst seit kurzem und würde es gerne wieder vergessen. Soviel zur Linguistik.
Die „Roast Buster“ sind eine Gruppe 17- bis 18jähriger aus Auckland, zwei davon mittlerweile namentlich bekannt. Sie prahlten auf Facebook mit ihren „Eroberungen“. In Wirklichkeit waren das Gruppenvergewaltigungen von jungen Mädchen, die auf Parties schwerst betrunken waren. Sie wurden gefilmt, die Videos ins Netz gestellt. Eines ihrer Opfer, eine 13jährige, ging danach zur Polizei. Ihre Anzeige vor zwei Jahren, sagte sie jetzt, sei jedoch schlimmer gewesen, als von den „Roast Busters“ entjungfert worden zu sein. Seitdem dümpelte der Fall vor sich hin. Was vielleicht daran liegt, dass einer der Täter der Sohn eines Polizisten ist.
Nur zögerlich melden sich jetzt weitere Opfer. Eine Freundin von ihnen wurde von zwei Radiomoderatoren so sexistisch befragt, dass die anschließenden Proteste die Herren bis auf Weiteres vom Sender vertrieben. Gut so. Aotearoa – Speerspitze der Frauenrechte und angeblich heile Welt – hat damit nicht nur einen Skandal, sondern ein Problem. Gewalt gegen Frauen ist das eine, das Internet das andere, Porno sowieso. Das ganze Land sorgt sich um die Moral seiner Teenager. Vielleicht sollte es sich parallel auch über seine Polizei Gedanken machen.
1954 gab es einen ähnlichen Aufschrei. Damals waren es die „Milk Bar Cowboys“, die sich in einer Milchbar in Lower Hutt mit Gleichaltrigen trafen, um sich in die Büsche zu schlagen. Es folte eine offizielle Untersuchung. Sie enthüllte „einen schockierender Grad unmoralischen Betragens, das sich zu sexuellen Orgien ausweitet“. Verrottete Jugend, schon damals – oh heilige Unschuld.
Dass die Welt hier unten doch noch in Ordnung ist, haben uns dann am Samstag Jill Jeffries und James Dobinson gezeigt. Das junge Paar aus Lyttelton, beide mit Down-Syndrom und seit fünf Jahren liiert, haben als erste in der neuen Papp-Kathedrale von Christchurch geheiratet. Der ganze Hafenort half bei der Hochzeit, brachte Essen und Blumen, lieh einen Bentley, vergoss Freudentränen. Monatelang hatten Jill und James auf dem Wochenmarkt getanzt, um Geld für ihr Fest zu sammeln. Es lebe die Liebe.
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Es wartete eine große Überraschung auf mich in der Los Angeles Sports Arena. Diese war für ein paar Tage verwandelt in ein improvisiertes Krankenhaus mit Zahnarzttischen auf dem Basketballfeld und Augentests in den Katakomben. Die Ärzte behandelten mehr als 4000 Patienten innerhalb von vier Tagen. Ich wollte herausfinden, warum sie mehrere Stunden – oft über Nacht – Schlange gestanden hatten, um Zahnfüllungen zu bekommen oder eine Brille. Für mich schien das Prozedere entwürdigend und ich war sicher: die Mehrheit dieser Patienten konnte es nicht erwarten, sich für ‘Obamacare’ einzuschreiben.
Weit gefehlt! Die meisten, mit denen ich sprach hatten noch nicht einmal angefangen, sich über das neue Gesundheitsgesetz zu informieren. Sie trauen dem System aus improvisierten kostenlosen Behandlungen und Notaufnahmen mehr als Regierungsprogrammen. Eine alleinerziehende Mutter, die mit Zug und Bus zur Klinik gekommen war, erzählte: die staatliche Krankenversicherung habe ihrem asthmakranken Sohn jahrelang nicht die richtige Behandlung gegeben und sie endlos für ein Inhalationsgerät kämpfen lassen. Außerdem: “Präsident Obama hat doch nicht alles unter Kontrolle, mal ehrlich! Das hier ist besser als Obamacare!”
Kriegsveteran Cornel berichtete von schlechten Erfahrungen mit seiner staatlichen Krankenversicherung nach Ausscheiden aus dem Militärdienst: “Ewiges Warten, Tonnen Papierkram und endlose Hürden bevor es Service gibt”
Cornel spricht über Regierungsprogramme
Der Hausmeister bekommt Basis-Versorgung vom Staat, dazu gehören aber weder Zahnbehandlungen noch Augenuntersuchungen. Er war in die Sporthalle gekommen, weil ihm beim Basketballspielen zwei Backenzähne ausgeschlagen wurden. Der Zahnarzt wollte 5000 Dollar für eine Brücke. Cornel zahlt jetzt noch an den 1200 Dollar dafür, dass er ihm die abgebrochenen Zähne zog. In der kostenlosen Klinik bekam er nicht die erhoffte Brücke. Der Zahnarzt versorgte ihn stattdessen mit Füllungen, Zahnreinigung und einer Liste von Ärzten, die Zahnersatz zu niedrigen Kosten anbieten. Cornel wird auch für die nächste kostenlose Behandlung wieder über Nacht Schlange stehen. Er braucht eine Brille. Den Klapptisch mit Informationen über Gesundheitsreform würdigte er keines Blickes.
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Kiwis haben gerade den totalen Sex-Flash, und das ganz ohne Schafe. Die 17jährige Lorde ist mit „Royal“ an der Spitze der YouTube-Charts; nicht lange davor war die wunderhübsche Kimbra schwer im Rennen. Musikalisch was drauf, genug Sex-Appeal, um Miley Cyrus locker von ihrer Kanonenkugel zu schubsen UND aus Neuseeland – wann gab’s jemals sowas? Wir können es selber noch nicht ganz fassen. Wir haben Hormonschübe, wir reißen uns vor Exstase fast die Kleider vom Leibe, und als größtes Aphrodisiakum haben wir jetzt auch noch ein waschechtes Polit-Luder, das Aucklands Bürgermeister zu Fall brachte. Voll Hollwyood!
Aber erst mal Kiwis und Stars: Einen Russell Brand können wir nicht bieten, nicht mal eine Fehlpressung von One Direction oder Justin Bieber. Okay, Fat Freddie’s Drop touren gerade durch Deutschland, und ihr Sound ist vom Feinsten. Aber sexy? Nee, sorry, abwink, so sind wir nicht. Aber dann plötzlich: Lorde! Oh my fucking god.
Das gleiche Phänomen bei den Dichtern und Denkern. Wer gewinnt den elitären Man-Booker-Preis? Eleanor Catton. Nicht nur 26 und hochbegabt, sondern auch noch so hübsch, was natürlich gar keine Rolle zu spielen hat, aber natürlich bemerkt wird. Das kannten wir bislang nicht. Denn Kerri Hulme, die bis dato einzige Booker-Preisträgerin aus dem literarischen Kiwi-Kanon, ist eine sperrige Gestalt. Nicht nur charakterlich, auch leiblich. Ihr öffentliches Auftreten jenseits von Angelstellen ist eher deftig: Saufen, fluchen, Pfeife rauchen. So gar nicht Pin-Up.
Auch unsere Politiker, mal abgesehen von der transsexuellen Schönheit Georgina Beyer, sind eher von der unglamourösen Sorte. Ganz besonders Len Brown, Bürgermeister von Auckland. Wer hätte daher gedacht, dass ausgerechnet dieser brave Schlipssträger mit Halbglatze in den größten Schmuddelskandal gerät, den das Land je gesehen hat. Man müsste sich mit ihm schämen, wenn man sich nicht so wunderbar daran aufgeilen könnte.
Brown, verheiratet mit drei Töchtern , hat zwei Jahre lang eine Affäre mit einer jungen Chinesin gehabt, die angeblich auf einen Posten im Stadtrat scharf war. Heiß für ihn, lauwarm für sie, denn der schnelle Len – das wissen wir jetzt alles im Detail – kam immer schon nach wenigen Minuten. Bevan Chuang, nur halb so alt und nebenbei mit einem Mitarbeiter von Browns politischem Gegner liiert, wurde von ihrem Sugardaddy wie eine Prostituierte behandelt, „nur ohne Bezahlung“. Telefonsex im Amtszimmer – ja, mit Hose runter – und Wham-Bam-Thank-You-Ma‘am in den würdigen Hallen, wo die Maori-Ältesten tagten. Ein Pförtner überraschte sie dort in flagranti. Der schwieg, Miss Chuang jedoch nicht, und so kommt es, das wir jetzt ihre intimen SMS-Nachrichten kennen und man ihr Rollen in Pornos anbietet, weil ihre Karriere vorerst zuende ist. Len Browns noch nicht, denn Bill Clinton hat das mit Monica Lewinsky damals ja auch hingebogen. Ausdenken kann man sich das alles nicht. Nur wundern, wohin es noch führen soll. Sodom und Aotearorrha! Und jetzt: kalt duschen.
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Gerade habe ich im Radio gehört, dass weltweit kein großes Interesse am schlechten Schauspiel der Haushaltsblockade von Washington besteht. Kein Wunder. Ich kann auch kaum noch die Stimmen der üblichen Verdächtigen ertragen, die sich gegenseitig die Schuld zu schieben. Die müssen doch mindestens genausoviele Geschichten von Betroffenen gehört haben wie ich!
Ich habe Touristen am Flughafen von Los Angeles getroffen, die ihren gesamten Ferienplan umstellen mussten weil sie nicht in Nationalparks kommen. Eine Rentnerin war auf dem Weg zum Trip ihres Lebens mit Schulfreundinnen – Wildwasserrafting im Grand Canyon. Aus der Traum!
Ich traf einen Vater, der die Hypothek für sein Haus und Studiengebühren für seine Töchter nicht bezahlen kann, weil er im Zwangsurlaub ist. Irgendwann soll er sein Gehalt bekommen. Bis dahin stapeln sich unbezahlte Rechnungen und Verzugsgebühren. Er schläft nicht gut.
Am meisten beeindruckt aber hat mich die Geschichte von Shanice, einer Studentin aus dem nicht gerade idyllischen Viertel Watts in Los Angeles. Das ist berühmt vor allem für Rassenunruhen in den 60ern und für die Türme aus Recycle-Material. “Ich weiss nicht, was derzeit unser größtes Problem ist – Gangs oder Teen-Mütter,” erzählte sie mir. Shanice will den Kreislauf durchbrechen und hat ein Studium angefangen. Sie schrieb sich ein für Soziologie und Kommunikation an einem relativ preiswerten College. 1000 Dollar zahlt sie im Jahr für Studium und Studienmaterial. Das stieß bei Freundinnen auf großes Unverständnis. “Warum wirst du nicht einfach schwanger, dann bekommst Du Geld für Essen und Wohnung?” haben die gefragt.
Die 21 jährige lebt bei ihrer Großmutter. Sie hat sechs Geschwister. Die leben bei der Mutter. Der Vater hat sich nie um sie gekümmert. Shanice bekommt etwa 10 tausend Dollar im Jahr aus verschiedenen Töpfen des Bundeshaushalts. Mir ist es ein Rätsel, wie man mit so wenig Geld in Los Angeles leben und studieren kann! “Ich bin total von finanzieller Hilfe abhängig. Ich zahle alles davon – das Busticket, die Bücher, mein Essen, die Gebühren, meine Kleidung, Zuschuss zur Miete.” erzählte sie mir. Und das ist die Verbindung zur Haushaltsblockade.
Vor gut acht Wochen wäre eine Zahlung an Shanice fällig gewesen, etwa 1500 Dollar. Wegen Kürzungen an den Unis noch vor der Blockade hat sich die Zahlung verzögert. Wegen der Streits in Washington wurden nun zusätzlich Stellen am College gestrichen und Shanice fürchtet, dass sie das Geld gar nicht mehr bekommt. Bei der Beratungsstelle sind die Schlangen endlos. Dort arbeiteten einmal drei Angestellte, nur eine Stelle ist geblieben. “Wenn ich am Ende des Monats keine Überweisung bekomme, kann ich mir den Bus nicht mehr leisten. Wenn ich nicht zur Schule komme, kriege ich schlechte Noten. Mit schlechten Noten bekomme ich keine finanzielle Förderung mehr.” Shanice will ein Vorbild sein, ihren Geschwistern zeigen, dass auch Kinder aus Watts einen Collegeabschluss machen können. Momentan fürchtet sie, dass die Schulfreundinnen recht behalten und es einfacher ist, eine Teen-Mutter zu sein als zu studieren.
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In Spanien über Handwerker zu schimpfen ist ungefähr so originell wie sich in Deutschland über die Verspätungen der Bahn zu echauffieren. Zeit also für eine Ehrenrettung: Spanischen Handwerkern verdanke ich wesentliche Erkenntnisse über Sprache und Weltanschauung.
Die Sachlage: Wir haben seit einem Jahr ein Zimmer mit einer feuchten Wand. Seit genau so langer Zeit bemühen wir uns, unsere Vermieterin zur Lösung dieses Problems zu bewegen. Neulich tropfte es auch im Supermarkt unter uns auf die Kasse. Und so hatten wir innerhalb weniger Wochen das Vergnügen mit gleich vier (4!) Handwerkern.
Die ersten schickte die Vermieterin. “Son de confianza”, Vertrauensleute also. Ich interpretierte das als “Denen kannst du vertrauen”. Meine Vermieterin wollte damit aber lediglich zu erkennen geben, dass es ihre Vertrauten waren: vermutlich Kumpel ihres erwachsenen Sohnes, die sich ein Zubrot verdienen wollten. Hochmotiviert klopften die beiden im Bad Kacheln ab, wickelten etwas um die tropfende Kupferleitung und begannen am gleichen Nachmittag im Nebenzimmer Gips auf die feuchte Wand zu spachteln und dann darüber zu pinseln.
Auf mein schüchtern hervorgebrachtes “Sollte das nicht zuerst trocknen? Und was ist mit der Grundierung?” entgegnete man mir, die “Señora” solle sich keine Sorgen machen, man werde das Zimmer “to’ guapo, to’ guapo” hinterlassen (was mit “tip-top” nur unzureichend übersetzt ist). Tatsächlich hatte ich am nächsten Tag eine originell gestaltete Wand, reliefartig weissgelb, hellbraun gesprengelt. Glatt weiss ist für Spiesser!
Da das Wandrelief in den nächsten Wochen wieder in Bewegung geriet und sich schliesslich auf Rohrhöhe auflöste, riefen wir wieder an, diesmal nicht bei der Vermieterin, sondern bei der Hausverwaltung, die uns den “offiziellen Handwerker des Gebäudes” schickte. Der machte uns mit einem der schönsten Worte der spanischen Sprache bekannt: “Esto es una chapuza”. Das heisst so viel Schlamperei, Murks, Pfusch, ist aber weniger negativ behaftet, da “chapuza” streng genommen nichts weiter ist als eine zwangsläufige Transformation von “arreglo” (so viel wie “schnelle Reparatur”), und einen “arreglo” hatte der erste Handwerker gemacht. Da half jetzt nur eine gründliche Reparatur, und die kostete ihre Zeit. Wir lebten tagelang in einer offenen WG mit Handwerkern, die Farbe abspachtelten, Kacheln abklopfen, Rohre verschweissten. Manchmal sang ich leise “cha-pu-za, cha-pu-za” vor mich hin – das Wort tröstete mich als melodiöser Ohrenschmeichler über den Dreck und das zu Unzeiten abgestellte Wasser hinweg.
Diesmal wurde auch nicht sofort gestrichen, da aber auch nichts trocknete, kam drei Wochen später ein anderer, von Hausverwaltung und Vermieterin gemeinsam bestellter Handwerker vorbei. Er sei der Chef, wurde uns gesagt. Der Chef ging ins Bad, klopfte drei Mal melancholisch gegen die Kacheln, ging in das Zimmer mit der feuchten Wand, seufzte tief, ging dann in den Innenhof, wo er den Kopf in den Nacken legte und den Blick das Rohrgewirr im Lichschacht emporwandern liess. Dann schüttelte er den Kopf und sagte: “Esto es un universo” – “Das ist ein Universum!”. Er packte seinen Werkzeugkoffer zusammen, drückte uns die Hand und ging. Für immer.
Ich war erschüttert: Ein Universum im Abflussrohr! Die Welt als Rohrsystem! Auf so eine Metapher muss man erst einmal kommen. Und dann dieser Abgang! Würdevoller kann man vor der Ausweglosigkeit des Lebens nicht kapitulieren.Spanische Handwerker sind die letzten grossen Poeten der Post-Postmoderne.
Ach ja, das Problem mit der tropfenden Wasserleitung haben dann keine spanischen Handwerker, sondern “manitas”, wörtlich “Händchen”, gelöst: zwei Ecuadorianer ohne “offiziellen Titel”, die das defekte Rohrstück durch ein neues ersetzten. Prosaisch, aber effizient.
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Aus dem Schlaf gerissen, verstand Alice Munro zunächst nicht die Nachricht, die ihr ihre Tochter telefonisch übermittelte: „Mama, Du hast gewonnen.“ Es war heute morgen, kurz nach 4 Uhr in Victoria in Kanadas Pazifikprovinz British Columbia. Dann aber dämmerte es ihr: Sie, die 82 Jahre alte Grand Old Lady der kanadischen Literatur, war für ihr Lebenswerk mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet worden.
Als sie wenige Minuten später die ersten Interviews gab, hatte sie immer noch Mühe, die richtigen Worte zu finden. „Es ist mitten in der Nacht hier“, sagte sie fast entschuldigend in einem Gespräch mit dem kanadischen Rundfunk CBC. „ich kann es nicht beschreiben. Was soll ich sagen?“ antwortet sie auf die Frage, wie sie die Nachricht aufnahm. „Meine Tochter weckte mich und zunächst verstand ich nicht warum“, erzählt die „Meisterin der zeitgenössischen Kurzgeschichte“, wie das Nobelkomitee in Stockholm sie bezeichnet. Erst „kürzlich“ sei sie darauf aufmerksam gemacht worden, dass sie wieder eine Kandidatin für den Nobelpreis sei. „Ich hatte daran nicht gedacht. Ich bin hier für Familienangelegenheiten.“ Ja, sie weiss, dass sie schon öfter als Kandidatin im Gespräch war. Aber den Nobelpreis zu erhalten, das sei „eines dieser Hirngespinste, die passieren könnten, aber wahrscheinlich doch nicht“.
Nun hat sie ihn doch bekommen. Alice Munro, die erste Kanadierin, die mit Literaturnobelpreis ausgezeichnet wird, die 110. in der langen Reihe der Geehrten, aber erst die dreizehnte Frau. Als sie damit konfrontiert wird, reagiert sie schlagfertig. Es sei „haarsträubend“, dass erst dreizehn Frauen den Preis erhalten haben. Ob sie auch der erste kanadische Preisträger in Literatur ist, ist eine Frage der Definition: Kanadische Medien verweisen darauf, dass der in Kanada geborene, aber in den USA aufgewachsene Saul Bellow den Preis 1976 erhielt.
Alice Munro, die grauhaarige Dame, ist in Kanada hoch angesehen. Ihre nicht minder bekannte kanadische Kollegin Margret Atwood nennt sie eine „internationale Literatur-Heiligkeit“. “Hurra, Alice Munro erhält den Literaturnobelpreis”, gab sie ihrer Freude auf Twitter Ausdruck. Die US-amerikanische Schriftstellerin Cynthia Ozick nannte Munro Kanadas „Tschechov“ und verglich sie damit mit dem russischen Schriftsteller Anton Tschechov. Ihr langjähriger Publizist Doug Gibson nennt die Preisverleihung „eine wunderbare Nachricht für uns alle. Kanada hat den Literatzurnobelpreis gewonnen.“ Er sei über die Auszeichnung für Munro „nicht überrascht. Sie verdient es. Es ist an der Zeit.“
Ihr Ansehen in Kanada wird durch mehrere Preise unterstrichen. Für ihr Debutwerk „Dance of the Happy Shades“ (Tanz der seligen geister) erhielt sie den Literaturpreis des kanadischen Generalgouverneurs, ebenso für ihre 1978 erschienene Sammlung „Who Do You Think You Are?“ (Das Bettlermädchen). Für „The Love of a Good Woman“ (Die Liebe einer Frau) und „Runaway“ (Tricks) wurde sie mit dem Giller-Preis ausgezeichnet, und 2009 gewann sie den renommierten Man Booker International Prize für ihr Lebenswerk.
Alice Laidlaw, am 10. Juli 1931 in Wingham in Ontario geboren, wuchs auf der elterlichen Farm auf, studierte an der University of Western Ontario in London Journalismus, brach das Studium aber aus Geldmangel ab. Sie heiratete James Munro, mit dem sie drei Töchter hat. Die Ehe wurde 1972 geschieden und sie heiratete den Geografen Gerold Fremlin, der vor wenigen Monaten starb. Einige Jahre lebte sie in British Columbia, jetzt lebt sie zeitweise in Ontario und in British Columbia, wo sie am Donnerstag die Nachricht vom Nobelpreis erreichte.
Im vergangenen Jahr veröffentlichte Alice Munro ihre Sammlung „Dear Life“, für die sie ihren dritten Trillium Book Award erhielt, den Literaturpreis ihrer Heimatprovinz Ontario. Erst vor wenigen Wochen hatte sie in einem Interview mit der kanadischen Zeitung National Post erklärt, dass sie „wahrscheinlich nicht mehr schreiben wird“. Jetzt gefragt, ob sie diese Aussage nach dem Nobelpreis revidieren wolle, meinte sie lachend, dass sie das nicht glaube. „Ich werde ziemlich alt.“
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Ausgerechnet im sauberen Deutschland hat sich mein Sohn Würmer eingefangen. Im Sandkasten, auf dem Spielplatz oder im Kindergarten, keiner weiß es so genau. Es fing an mit einem leichten Jucken am Popo und endete mit einem mehrwöchigen Drama durchwachter Nächte, wiederholtem Waschen sämtlicher Bettwäsche, Schlafanzüge, Unterhosen und Stofftiere sowie diversen Kinderarztbesuchen. Durchaus auch in gemäßigten Breitengraden nichts Ungewöhnliches, wie ich während der Prozedur gelernt habe, meist durch Übertragung von Tieren. Zwar hatte im Kindergarten angeblich sonst niemand Würmer, praktisch gesehen allerdings ein Ding der Unmöglichkeit bei der hohen Übertragbarkeit. Aber über so etwas reden Eltern – zumindest in Deutschland – wohl lieber nicht. So ähnlich wie bei Läusen: Während in Frankreich die bewährten Läusemittel in der Apotheke gleich vorne im Regal stehen, muss man sie sich in Deutschland mit gesenkter Stimme aus den Tiefen des Lagers holen lassen.
Wie auch immer: Bei der dritten Behandlung hat die verabreichte Wurmkur endlich gewirkt und der Spuk war mit einem Schlag beendet. Bei den ersten beiden Versuchen musste der dreijährige Patient ein widerlich riechendes, giftrotes Medikament hinunterwürgen, das ihm zwei Stunden später (also bereits nach Wirkungseintritt) wieder hochkam. Leider bekämpfte das Zeug nur den gemeinen Madenwurm und hat die Viecher im Darm meines Sohnes offensichtlich nicht beeindruckt. Erst beim dritten Wurmalarm bekamen wir ein Rezept für das verschreibungspflichtige Medikament Helmex, das gegen diverses Gewürm wirkt. Besonders lecker roch die schleimige Suspension ebenfalls nicht. Um Wiederansteckung vorzubeugen, hat die ganze Familie inklusive Oma mitgeschluckt. Und musste selbst bezahlen: 24 Euro pro Person.
Als wir wenig später wieder nach Indonesien reisten und der Kinderpopo dort schon wieder juckte, rannte ich sofort panisch in die nächste Apotheke. Mitten im Raum, nicht zu übersehen, stand in allen möglichen Packungsgrößten und Verabreichungsformen das Medikament Combantrin. Jedes Kind in Indonesien kennt die kleinen Plastikfläschchen, die idealerweise alle halbe Jahr vorbeugend verabreicht werden sollten. Der Sirup schmeckt in etwa wie flüssige Gummibärchen und kaum ein Kind weigert sich, dies zu trinken. Kosten für eine Erwachsenendosis: umgerechnet 70 Cent. Für die gleiche Menge desselben Wirkstoffs wie bei den in Deutschland verkauften Medikamenten.
Die vermeintliche, erneute Wurmattacke stellte sich glücklicherweise als Fehlalarm heraus. Stattdessen habe ich mich nun vor der nächsten Heimreise mit billigen, rezeptfreiem Wurmmittel eingedeckt.
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Russland rätselt über chronisches Sauwetter
Wettermäßig ist Russland verwöhnt. Im Sommer strahlt der Himmel monatelang wolkenlos, Weihnachten ist garantiert weiß, die trockenen Winterfröste fühlen sich milder als das scheußliche norditalienische Nieselwetter dieser Jahreszeit. Der vergangene Sommer aber war auch in Kontinentalrussland nasskalt, nach Dauerregen mit 700 Millimetern Niederschlag versank die ostsibirische Amurregion über einen Monat in Hochwasser. In Komsomolsk am Amur ist das Grundwasser so gestiegen, dass es aus den Brunnenschächten schwappt. Jetzt ist Moskau dran, binnen eineinhalb Wochen ergoss sich über der Hauptstadtregion das Vierfache der Regennorm für den ganzen September, dann kippten die Temperaturen Richtung November, seit Tagen gibt es Schneeschauer. Wolkenbrüche haben auch die Olympiastadt Sotschi überschwemmt, schon witzeln die Einwohner, die Taxifahrer sollten sich zu den Winterspielen im Februar Gondeln kaufen.
Vaterländische Meteorologen erklären das Sauwetter mit einem massiven Antizyklon. Der orthodoxe Blogger Dimitri Enteo sieht das anders: Der Herrgott warne mit den Wolkenbrüchen über Sotschi vor dem Entzünden des olympischen Feuers, einem Kult zur Ehren von heidnischen Götzen wie Apoll oder Zeus.
Die Russen, bei denen Glaube und Aberglaube oft fusionieren, erfühlen hinter Naturkatastrophen gern Gottes strafende Hand. Der Geistliche Sergi Karamyschew erklärte die Überschwemmung des südrussischen Städtchens Krymsk im Juli 2012 mit der „Sauferei und Hurerei“ der Badegäste an der nahen Schwarzmeerküste. Und nicht ohne Häme verkündete Filmregisseur Nikita Michalkow anlässlich der Erdbeben und Zunami, die Japan 2011 heimsuchten, Gott bestrafe damit Nippons Hochmut.
Jetzt aber hat der nationalpopulistische Duma-Altstar Wladimir Schirinowski ganz andere Verursacher ausgemacht. Er sagte Radio RSN, die USA hätten klimatische Geheimwaffen gegen Russland eingesetzt, um seine Investitionen im Amurgebiet zu vernichten und die Olympiade in Sotschi platzen zu lassen. Offenbar habe man aus einem Zentrum zur angeblichen Erforschung der Jonosphäre in Alaska das Magnetfeld über Russland unter Beschuss genommen. Laut Schirinowski besitzt Russland ähnliche Waffensysteme, vor dessen Einsatz es bisher abgesehen habe. „Aber wir sind jederzeit in der Lage, klimatisch zurückzuschlagen“, sagte er. „Sobald der Befehl kommt, können wir Erdbeben und Sturmfluten provozieren.“ Die Einwohner der Nato-Staaten sollten sich schon einmal auf einen sibirischen Winter einstellen.
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”Wellington stirbt“, hat unser Premierminister letztens getönt. Oh, das saß. Das wollte dort niemand hören. Bis auf Peter Jacksons Filmstudios sähe es wirtschaflich mau aus in der Kapitale, so John Key. Der Finanzsektor habe seinen Hauptsitz längst in Auckland. Im lauten, vulgären, verstopften Auckland, wohlbemerkt. Schön für die Menschen dort. Die haben ganz viel davon, wenn sie nett ausgehen oder Besuchern was Tolles zeigen wollen, dass da ein paar Firmenlogos mehr vom Skytower blinken. Das zeugt von Vitalität.
Für einen wie Key bemisst sich Lebenswertes nach Dollarzeichen. Wellington, das nur Kunst und Kultur statt Kommerz und Casino zu bieten hat, zeigte nach der Beleidigung, dass in ihm noch Saft steckt. Es bebte, und wie. Menschen flohen aus der Stadt, es rüttelte über Tage und Wochen, die Nächte wurden kurz – aber niemand starb. Und der Wind blies weiter, der gemeine und berüchtigte Wind Wellingtons. Schlechteres kann man über die kleine, feine Hauptstadt nicht sagen, die man schon deshalb mögen muss, weil sie sich gegen den aufgeblasenen Bruder im Norden behaupten muss.
Auckland hat zwar wärmeres Klima und schöne Strände, aber an sowas will man bei uns in Christchurch lieber gar nicht denken, während man um diese Jahreszeit durch Pfützen und Baustellen stapft. Irgendwo müssen die teuer erarbeiteten Spray-Tans, Wadentattoos und nachgearbeiteten Brüste da oben in den Subtropen ja auch zur Geltung kommen. Es kann sich doch nicht nur alles ums Dichten und Denken drehen. Oder ums Renovieren.
Andere Städte haben andere Sorgen. Palmerston North zum Beispiel will sich in Manawatu City umbenennen. Denn Lord Palmerston selig, nach dem das Großkaff einst benannt wurde, hat es nie von England bis dorthin geschafft. Monty-Python-Star John Cleese hatte zudem eine „zutiefst miserable Zeit“ im unspektakulären ‚Palmy‘ verlebt. Da gilt es einiges wettzumachen. Und dann gibt es da noch ein fast unbekanntes Palmerston auf der Südinsel, das ständig mit dem nördlichen verwechselt wird. Manawatu bedeutet jedoch „Das Herz steht still“, was in der Debatte um Leben und Sterben der Städte problematisch sein könnte.
Überhaupt, diese Ortsnamen! Die schöne Gegend namens Poverty Bay („Bucht der Armut“) nahe Gisborne wollen Lokalpolitiker lieber in Oneroa oder Long Bay umtaufen. Ein PR-Desaster sei der jetzige Zustand, denn der Blick auf die Landkarte suggeriere Not und Elend. Das haben sie in der hübsch klingenden Golden Bay besser hingekriegt. Der Norden der Südinsel hieß anfangs „Murderers Bay“, weil Entdecker Abel Tasman sich dort 1642 ein kleines Gemetzel mit den Maori lieferte. Kaum vorzustellen, wie verheerend sich die Mord-Bucht heute auf das Backpacker-Geschäft auswirken würde.
Wenn wir schon bei Worten sind, die kleine Städte in Verruf bringen können, dann sollte man unbedingt über Städteslogans reden. Also die peinlichen. Aber die sind ein Kapitel für sich. Das dann ein anderes Mal, wenn ich bis dahin nicht an Standortschwäche gestorben bin.
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Musik und Geschichten aus dem Weltall – Chris Hadfield hat viel zu bieten. Der singende und tweetende kanadische Raumfahrer fasziniert sein Publikum. Auf dem Folk Festival in der kanadischen Hauptstadt Ottawa war er jetzt einer der Stars. Gebannt folgten die Zuhörer seinen Berichten, seinen Liedern und seinem Gitarrenspiel.
Der 54-jährige schnauzbärtige Kanadier ist zweifellos als einer der schillerndsten Astronauten in die Geschichte der Raumfahrt eingegangen. Er hat berühmtere Kollegen, die so manchen „ersten Schritt“ machten – als erste die Erde umkreisten, das Raumschiff verließen oder den Mond betraten. Aber in Zeiten, in denen Daueraufenthalte im All nur bei Start und Landungen und Problemen an Bord des Raumschiffs Meldungen produzieren, schaffte er es als Kommandant der Internationalen Raumstation ISS, Menschen in aller Welt mit Tweets, Fotos, Songs und Lehrstunden aus dem All zu begeistern. Seine Version von David Bowie´s „Space Oddity“, bei der er mit Gitarre durch die ISS schwebt, wurde auf YouTube mehr als 17 Millionen Mal angeklickt.
Daher war es nicht verwunderlich, dass sein als “Workshop” und “Interview” bezeichneter Auftritt beim Ottawa Folk Festival so starkes Interesse fand. Erwartet worden war eigentlich ein stärker wortbetonter Auftritt des Starastronauten. Umso erfreuter waren die Folk-Fans, dass Hadfield so oft zur Gitarre griff.
In einem Lied für seine Tochter, das er in der Internationalen Raumstation komponierte, singt Chris Hadfield: „Ich war zu lange weg. Ich komme nach Hause.“ Nun ist er zu Hause. Die kanadische Weltraumagentur hat er verlassen. Jetzt ist er der „Ex-Astronaut“. Raumfahrer, Ingenieur, Vortragsreisender, Rockstar – auf das Ottawa Folkfest kam er als der Rockstar. Seine Stimme ist noch weitaus beeindruckender als bei der Präsentation von „Space Oddity“. Zusammen mit seinem Bruder Dave und dem kanadischen Musiker Danny Michel trägt er seine Lieder vor, manche melancholisch-weich, andere rockig-hart.
„Space and Music“ – so war Hadfields Auftritt angekündigt worden. Vom ersten Moment hat Hadfield den Draht zum Publikum gefunden. Mit seinem Lächeln, seinem Humor und seiner Ungezwungenheit nimmt er die Menschen für sich ein. Die Zuhörer haben ohnehin das Gefühl, dass Hadfield einer der ihren ist. Sie kennen ihn ja genau. Auch das ist eine Folge seiner Präsenz in Social Media. Viele Kinder, die vor ihm auf der Wiese sitzen, haben über Monate seine Reise verfolgt.
Sie scheuen sich nicht, Fragen zu stellen. Ob er damit gerechnet habe, dass ihm so viele Millionen Menschen folgen werden, will ein Mädchen wissen, das sich aus Sympathie mit Hadfield einen Schnurrbart ins Gesicht geklebt hat. Neun Jahre alt sei er gewesen, als bei ihm der Wunsch wach wurde Astronaut zu werden, „und mein Schnurrbart war damals viel dünner als Deiner“, sagt er dem Mädchen lachend. Die erste Mondlandung, die er 1969 als Neunjähriger gesehen hatte, hatte ihn inspiriert. Er hat sich seinen Traum erfüllt, und nun ist er glücklich „diese Momente mit Menschen in aller Welt zu teilen“.
Sieht er die Erde nach seinen drei Weltraumreisen anders? 2300 Mal hat Hadfield auf seinem letzten Flug die Erde umkreist, 16 Mal pro Tag. „Das erste, was du machst, nachdem du dich übergeben hast, du gehst zum Fenster und schaust auf die Erde“, erzählt er. Er sah die kanadischen Städte, aber dann auch Städte, die er nicht kannte, und die aus dem All alle ähnlich aussehen. Dieses Muster zeige ihm, „dass überall wundervolle Menschen leben“ und „Menschen, die glücklich sein wollen“.
Zur Ausrüstung in der Raumstation gehört ein Gitarre – „dauerhaft“, sagt Hadfield, denn es gebe viele Astronauten, die gerne Gitarre spielen und singen. Musik und All, das ist für ihn kein Gegensatz. Vor einigen Jahren habe er die 15.000 Jahre alten Höhlenmalereien in Südfrankreich gesehen und gehört, dass Archäologen bei Ausgrabungen eine mehrere Zehntausend Jahre alte Flöte gefunden haben, die aus einem Knochen hergestellt wurde. „Musik ist etwas Grundlegendes für die Menschheit“, sagt Hadfield, und Musik auf die „nächste Stufe“, in die Raumstation zu bringen, nichts Ungewöhnliches, sondern eine Notwendigkeit.
Seine Raumfahrerkarriere hat Hadfield beendet. Ob er den Weltraum vermisst? Hadfield ist glücklich, dass er dreimal ins Mall fliegen durfte – 1995 zur russischen Raumstation Mir und 2001 und 2012 zur ISS – und zuletzt sogar Kommandant der ISS war. Er habe niemals Vergangenem nachgetrauert. „Rückwärts zu blicken ist nicht mein Ding“, sagt er. „Das Leben ist voller Möglichkeiten.“
Was er machen wird, darüber hüllt er sich in Schweigen. Vermutlich hat er mehr Einladungen, als Redner aufzutreten, als er annehmen kann. Ein Buch über seine Erfahrungen ist in Vorbereitung. Einer seiner Kollegen, Kanadas erster Astronaut Marc Garneau, ist in die Politik gegangen und ist für die Liberalen Mitglied des Bundesparlaments. Politiker, die Charme besitzen und Wärme ausstrahlen, sind auch in Kanada Mangelware. Vor allem aber ist Chris Hadfield Berufsoptimist. „Wenn man sich auf einer Rakete ins All schießen lässt, muss man Optimist sein“, sagt er, greift zur Gitarre und singt das Lied vom Ritt auf dem Feuerstrahl – „Ride the Lightning“.
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Die Wegbeschreibung von Sama Wareh hörte sich nach einem wunderbaren Abenteuer an. Schon die Adresse klang verlockend: Silverado Canyon. Ich sollte über eine kleine Brücke fahren, vorbei an einem Fels mit vier Streifen und schließlich gegenüber einer großen rotgestrichenen Scheune parken. Ich verfuhr mich nur einmal auf dem Weg gen Süden von Los Angeles und wurde am Ziel mit einer warmherzigen Umarmung und einem wunderbaren Frühstück empfangen: Sama hatte einen Tomaten-Bohnensalat, Knoblauchkäse mit Minze und Olivenöl, Pitabrot und andere Leckereien zu einem kleinen Festmahl im Schatten einer großen Eiche ausgebreitet. Dazu servierte sie gesüßten Tee aus Glastassen. Die in Kalifornien geborene Tochter von syrischen Einwanderern erklärte mir, warum es so wichtig ist, den Tee zu sehen, das gehöre zum Genuss dazu. Ich konnte mich nicht gut konzentrieren: Samas brauner Cowboyhut über einem locker um Kopf und Hals gebundenen lila Palästinenserschal mit angehängter Feder und Perlen, ihre hohen Schnürstiefel über engen lila Jeans entsprachen nicht den Erwartungen, mit denen ich zu diesem Interview einer Künstlerin mit Familie in Damaskus gefahren war. Bis ich Sama sah war mir nicht einmal bewusst, dass ich Erwartungen hatte. Ich wusste nur, dass sie auf eigene Faust mit Rucksack, Erspartem und Erlösen aus dem Verkauf ihres Motorrads und ihrer Kunst in die Türkei geflogen war um dort Flüchtlingen aus Syrien zu helfen. Tränen treten der 30 Jahre alten Künstlerin in die Augen, wenn sie von den Begegnungen erzählt: vom Leben der Familien ohne Möbel und Heizung in Kellern ohne Fenster und von Gastfreundschaft unter ärmsten Umständen. Am stärksten ist ihr ein Fahrer in Erinnerung, der sie in ein Lager an der Grenze brachte. “Er hat seine tote Tochter aus den Ruinen seines Hauses geholt und pendelt nun zwischen Syrien und der Türkei, um Verletzte und Obdachlose über die Grenze zu bringen.” Das Foto seiner Tochter ist auf dem Handy immer dabei.
Samas Kunst beschäftigte sich bis zur Reise an die Grenze nicht mit Politik. Sie findet Gemeinsamkeiten zwischen alten Kulturen, zum Beispiel in ihrer Serie “Beduine trifft Indianer”. Jetzt ruft sie in Gemälden zu Frieden, Menschlichkeit und Vergebung auf. In Nachrichten auf facebook warnt sie Freunde und Verwandte in Syrien davor, in Hass, Rachelust und Animosität gegenüber anderen Sekten, Religionen oder Kulturen zu verfallen. Sie weiß, dass das aus der Entfernung leichter gesagt als vor Ort getan ist. Die aktuelle Politik macht sie ratlos und misstrauisch. Deshalb wird sie sich im November wieder selbständig auf den Weg machen, den Cowboyhut über dem Kopftuch, mit Rucksack und hohen Stiefeln. Um Spenden für die Reise zu sammeln wird sie im Gemeindehaus ihres Canyondorfes bei syrischem Frühstück ihre Kunst verkaufen. “Ich möchte den Flüchtlingen zeigen, dass sie nicht vergessen sind.”
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Gerade letzte Woche habe ich sie wieder bekommen, die SMS: Lieber Kunde, leider haben Sie auch dieses Mal wieder nicht in der Lotterie gewonnen. Schade. Zwar gehts nicht um entgagene Millionen – sondern nur um ein entgagenes Nummernschild. Doch ohne Nummernschild gibts kein Auto in Peking. Seit einem Jahr landet mein Name jeden Monat mit Hunderttausenden anderer Führerscheinbesitzer der Hauptstadt in einem Topf, und nur 20.000 werden gezogen. Unbestreitbar eine nötige Maßnahme, auch wenn ich dadurch statistisch gesehen wohl noch ein paar Jahre warten muss. Mehr als fünf Milliionen Autos schieben sich durch Peking, es herrscht seit Jahren Dauerstau. Von der Luft ganz zu schweigen. Und das Los ist zumindest von der Idee her demokratisch. In Shanghai dagegen werden Nummernschilder versteigert und kosten mittlerweile umgerechnet 100.000 Euro. Mehr als viele Automobilmodelle.
Dass man aber auch in Peking Geld mit Nummernschildern verdienen konnte, zeigte “Tante Wang”, deren illegales Geschäft vor ein paar Tagen aufflog: Wang Xiuxia vermietete mehr als 1000 Nummernschilder, die sie allesamt vor Einführung der Nummernschild-Lotterie Ende 2010 erworben hatte. Offenbar hatte sie sie jahrelang gehortet. Die Dame aus Pekings Nachbarstadt Tianjin hatte schon 2005 zugeschlagen, nachdem ein Verbot für Nicht-Pekinger aufgehoben wurde, Autos in Peking zu registrieren. Die Schilder kosteten nichts, sondern waren wie in Deutschland mit der Anmeldung verbunden, und man zahlte dann eben Kfz-Steuer. Wie Frau Wang N 1000 Schilder kam, ist noch unbekannt. Aber als die Lotterie startete, witterte sie das große Geld. Und alles ging gut. Bis einer ihrer “Mieter” mit dem auf ihren Namen laufenden Fahrzeug einen Unfall verursachte und Fahrerflucht beging. Offenbar hatte aber der Geschädigte das Nummernschild aufgeschrieben. Clever – und Pech für Frau Wang, die angeblich bis dahin eine MIllion Euro mit dem Schilderbusiness verdient hatte. “Ich habe für 10.000 Yuan auf Lebenszeit ein Nummernschild gemietet”, erklärte ein namenloser Fahrer lokalen Medien (wo auch immer diese den Mann aufgetrieben haben).
Nun also ist Schluss mit lustig. Die Verkehrsbehörde erklärte alle 1000 Nummernschilder für ungültig. Parallel dazu gab die Stadtregierung diese Woche bekannt, weitere Restriktionen zu erlassen: Ein neuer Plan zur Luftreinhaltung für 2013-2017 sieht vor, ab 2017 eine Art “Verstopfungs-Abgabe” einzuführen. Außerdem will sie bis dahin die Parkgebühren deutlich anheben und mehr Gebiete für Fahrzeuge außerhalb Pekings sperren.
Erstmals ging Peking im Kampf gegen den Dreck diese Woche sogar gegen große Staatsfirmen vor: Das Umweltministerium stoppte je ein Projekt der Ölriesen SInopec und CNPC, da diese ihre Auflagen zur Emissionsreduktion nicht erfüllt hatten. Das ist mal eine gute Nachricht. Unter Druck stehen dieselben Firmen, da sie minderwertiges Benzin produzieren – auch die schlechte Qualität des Treibstoffs ist ein Grund für die urbane Luftverschmutzung. Es gibt viel zu tun.
Und 1000 Ex-Schilder-Mieter von Frau Wang müssen jetzt mit mir in den Lotterietopf. Viel Glück!
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Steve Wambolt liebt, was man hier „gadgets“ nennt. Mit „technisches Spielzeug“ kann man das übersetzen. Eines seiner „gadgets“ ist ein kleiner ferngesteuerter Hubschrauber. Ich treffe Steve am Sandstrand von Petrie Island, einer Insel im Ottawa-Fluss in der kanadischen Hauptstadt. Hier lässt er seinen kleinen Hubschrauber steigen.
Was wie ein Freizeitspaß aussieht, ist für Steve Wambolt tatsächlich aber Arbeit. Der Hubschrauber fliegt im Auftrag der Stadt Ottawa. Denn diese startete vor ein paar Wochen ein Pilotprojekt: Mit Steve Wambolts Hubschrauber, einer Art Drohne, werden die Kanadagänse vom Strand von Petrie Island vertrieben. Kanadagänse haben sich in Ottawa zu einer Plage entwickelt. Mit ihren Fäkalien verschmutzen sie Strandbäder und Parks. Der Hubschraubereinsatz zeitigt bereits Erfolge: Die Zahl der Gänse, die sich dort niederlassen, ist drastisch gesunken.
Steve Wambolt stellt seinen „Hexacopter“ auf den Sand. Mit seinem Mitarbeiter David Dutrisac checkt er Batterien und MP3-Player, der an dem etwa 70 bis 80 Zentimeter großen ferngesteuerten Fluggerät angebracht ist. Mit einem Knopfdruck am Steuergerät setzt er die Rotorblätter in Gang. Dann steigt die Drohne auf. Mit dem Steuerknüppelt dirigiert der 50-jährige Technikfreak sein unbemanntes Flugobjekt, das die Grundform eines Sechsecks hat und einer Kombination von „fliegender Untertasse“, Mondlandegerät und Hubschrauber ähnelt, zum Strand von Petrie Island. Eine Schar von etwa 20 Kanadagänsen hat sich dort niedergelassen. Mit einem Geräusch, das dem eines großen Bienenschwarms ähnelt, fliegt der Hubschrauber auf die Gänse zu, wenige Meter über dem Strand. Erst recken die Gänse verwundert ihren Kopf, dann nehmen sie mit Geschrei und Flügelschlag Reissaus. Sie stürzen Richtung Wasser, erheben sich in die Luft. Draußen auf dem Fluss lassen sie sich wieder nieder.
Der Gänsejäger ist zufrieden. Seit vier Wochen hat er den Vertrag mit der Stadt Ottawa. „Früher hatten wir ständig etwa 150 Kanadagänse auf der Petrie-Insel. Jetzt sind es vielleicht noch zwei Dutzend, die sich hier niederlassen“, sagt Steve Wambolt. Die „Drohnenschläge gegen Gänse“, wie in den Zeitungen Ottawas das Pilotprojekt martialisch genannt wird, sind offenbar erfolgreich.
Die bis zu sechs Kilogramm schwere Kanadagans (Branta Canadensis) ist mit ihrem schwarzen Kopf und Hals und dem weißen Band am Hals ein schöner Vogel. Und mit einer Flügelspannweite von rund eineinhalb Metern eine der größten Gänsearten. Auch in Europa brüten diese Tiere seit einigen Jahrzehnten. In Ottawa sind Tausende Kanadagänse, die sich in Parks und Strandbädern am Ottawa-, Rideau- und Gatineaufluss tummeln, eine Plage geworden. Sie fressen mehrere Pfund Gras pro Tag und lassen eine entsprechende Menge Fäkalien zurück. Der Vogelschiss führt öfter dazu, dass Liegewiesen, Bäder und Volleyballfelder wegen der davon ausgehenden Gesundheitsgefahren gesperrt werden müssen. Alle bisherigen Maßnahmen, durch Änderung der Vegetation oder dem Errichten von Zäunen, durch Licht, Geräusche oder Hunde der Plage Herr zu werden, förderten bisher allenfalls bescheidene Erfolge zu Tage. Auf rabiatere Vorschläge, etwa mehrere Jahre lang eine große Zahl von Gänsen zu erlegen und an Bedürftige zu verteilen, geht die Stadt nicht ein.
Im Mai trat IT-Techniker Wambolt mit seinem Hubschrauber an Stadtratsmitglied Bob Monette heran. Eigentlich mit einer ganz anderen Intention: Er bemühte sich für sein neu gegründetes Unternehmen Aerial Perspective um Verträge für Luftaufnahmen von Parks, um nach Unwettern die Schäden begutachten zu können. Monette hörte sich den Vortrag an, dann fragte er: „Kann man damit Gänse verscheuchen?“ Jedes Jahr wird er mit dem Gänseproblem auf Petrie Island konfrontiert, das zu seinem Wahlkreis gehört. Wambolt zögerte. „Eigentlich will man mit Fluggeräten Gänsen fern bleiben. Sie können ja sogar Flugzeuge zum Absturz bringen. Aber ich sagte mir: Warum soll ich das nicht mal probieren?“ Das Gerät wurde modifiziert. Auf dem MP3-Player wurden die Geräusche der natürlichen Feinde der Gänse gespeichert, von Raben, Falken, Wölfen und Eulen.
Aber schon allein das Brummen des kleinen Hubschraubers entfaltet seine Wirkung. Die Gänse fliehen, wenn das Geräte über ihnen auftaucht. „Sie lernen schnell, dass Petrie Island ein unwirtlicher Ort ist“, beschreibt Wambolt den Erfolg seiner Arbeit. Seit er im Einsatz ist, musste der Strand nicht geschlossen werden. Wichtig ist, Einsatzzeit und Geräusche der Drohne ständig zu variieren, damit sich die Vögel nicht daran gewöhnen können. Einmal verscheucht, kehrt ein Gänseschwarm viele Stunden lang nicht zur Insel zurück. Manchmal beginnt Wambolt seinen Einsatz am frühen Morgen bei Anbruch der Dämmerung. Bis zu sechs Stunden sind er und seine beiden Mitarbeiter an der Arbeit.
Der Vertrag, der die Stadt 30.000 Dollar kostet, läuft bis in den Herbst. Dann soll Bilanz gezogen werden. Das Geld sei gut investiert, wenn dafür ein stark frequentierter Park sicherer und für die Besucher angenehmer gemacht werden kann, meint Stadtratsmitglied Monette. Wambolt hofft, dass er sein Spielzeug, die Drohne gegen Kanadagänse, im nächsten Jahr auch an anderen Stränden einsetzen kann. Ein Patentverfahren für Fluggerät und Idee hat er bereits gestartet.
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50 Jahre ist es her, dass Martin Luther King in Washington vor Hunderttausenden von (weißen und schwarzen) Zuhörern über seinen Traum von der Versöhnung zwischen den Rassen sprach. «I have a dream» wurde die Rede später getauft, die der junge Geistliche am 28. August 1963 an einer Demonstration «für Arbeitsplätze und Freiheit» hielt. Weniger bekannt ist es, dass King den Schluss seiner Ansprache weitgehend improvisierte – die Traum-Passage war im Manuskript nicht enthalten. Zeitgenossen des Bürgerrechtlers sagten später, dass es die legendäre Gospel-Sängerin Mahalia Jackson gewesen sei, die King zu dieser spontanen Einlage angespornt habe. Jackson, die auf der Tribüne mit den Ehrengästen saß, soll King zugerufen haben: «Martin, erzähl‘ ihnen über den Traum!»
Interessant an dieser Anekdote ist, dass niemand mit letzter Sicherheit zu wissen scheint, ob King diese Aufforderung zu Ohren bekommen hatte. Er sagte später, er habe instinktiv gefühlt, dass er den Schluss seiner Rede improvisieren müsse. Nicht bekannt ist zudem, wann Jackson genau intervenierte: Auf der überlieferten Aufnahme der Rede ist ihre Stimme nicht zu hören. Deshalb kursieren nun mehrere Versionen dieses Vorfalls. Der renommierte Historiker Robert Dallek behauptete in seiner Kennedy-Biographie (auf Deutsch: «John F. Kennedy: Ein unvollendetes Leben»), Jackson habe ihren Zwischenruf fünf Minuten nach Beginn der Rede angebracht. Das stimmt wohl nicht: King liest mindestens zehn Minuten seiner Rede von Blatt ab, wie der untenstehende Film zeigt. Eine andere Version brachte der verstorbene Senator Ted Kennedy in Umlauf. In seinen posthum erschienen Memoiren (im Original: «True Compass») berichtete er detailliert, wie King seine Rede bereits beendet hatte, und absitzen wollte, als Mahalia Jackson interveniert habe. Dies habe er, Kennedy, vor dem Fernsehgerät sitzend ausgemacht, obwohl er doch auch einräumt, dass er Jackson weder gesehen noch gehört habe. Weil ein Senator bekanntlich stets die Wahrheit sagt, wurde diese Anekdote dann auch von Weggenossen von Martin Luther King aufgegriffen — als Beweis dafür, dass Jackson in der Tat ein Stück Weltgeschichte geschrieben habe.
Wie dem auch sei. Schauen Sie sich die Rede Kings doch selbst an, um das kleine Rätsel zu lösen…
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Vor zwölf Jahren lebte ich für eine Weile auf einem abgelegenen Südseeatoll. Das Internet kannten auf Tokelau nur wenige, kaum jemand besaß einen Computer. Einer der Gebildetsten dort, ein Lehrer namens Keli Kalolo, sammelte über Wochen Geld im Dorf, um nach London reisen zu können. Ein teures Unterfangen in offizieller Mission. Kalolo war per E-Mail von einer afrikanischen Prinzessin kontaktiert worden, die ihm ein Vermögen für seine kleine Insel versprach, wenn er ihr aus der Patsche helfe. Er müsse nur persönlich mit einer Anzahlung nach Europa kommen.
Absolut glaubwürdig für jeden, der seit 15 Jahren nicht in seinen Spam-Ordner geschaut hat. Doch Keli Kalolo, tief gläubiger Polynesier und weitab vom westlichen Mediengeschehen, konnte sich nichts Böses hinter dem Fleh-Brief vorstellen. Er flog tatsächlich nach London. Was dort passierte, ob ihn die nigerianischen Hintermänner der notleidenden Prinzessin ausnahmen und ihm auch noch den Pass stahlen – ich weiß es leider nicht. Doch die Schande bei der Rückkehr nach Tokelau kann ich mir vorstellen.
Wir spulen vor ins Jahr 2013. Streng genommen befinden wir uns noch immer auf einer Südseeinsel, oder zweien, namens Aotearoa. Die Menschen skypen, sie chatten, sie wollen Sex im Netz. Aber auch die Schande existiert wie eh und je. Die Dummheit sowieso. Und was passiert? Kiwis lassen sich erpressen wie nicht gescheit, ganz ohne Prinzessin und Erbschaft.
Die Organisation NetSafe, die auch gegen Cybermobbing vorgeht, ist in Neuseeland auf eine neue Art der Internetkriminalität gestoßen. Die
Opfer: notgeile Chatter. Sie lassen sich auf ein Skype-Geplänkel vor der Webcam ein, bei dem die Hüllen fallen. Das lässt sich auch prima als Video von der Gegenseite aufzeichnen. Danach wird gedroht, die kleine Wichsvorlage Freunden und Kollegen zukommen zu lassen. Oder die Hosenlosen auf YouTube zu zeigen.
Bis zu 500 Dollar hätten die Spontan-Stripper jeweils in ihrer Panik an die Erpresser gezahlt. “Danach kommen immer neue Geldforderungen”, so NetSafe-Chef Martin Cocker. Die Internetadressen der Täter befinden sich teils auf den Philippinen oder in Marokko. Umgerechnet über zwei Millionen Euro hat dieser innovative Geschäftszweig schon erwirtschaftet.
Damit ist mein kleines Land mal wieder richtig weit vorn. Neuseeland hatte auch den ersten Cyber-Mord zu vermelden. Im Februar erstach ein Programmierer in Auckland im Affekt einen Freund, der ein paar Straßen weiter wohnte. Sie hatten sich zuvor virtuell in dem nervenaufreibenden Computerspiel “Guild Wars” bekriegt. Der IT-Mensch – laut Kollegen “ruhig, aber sehr, sehr schlau” – steigerte sich in seine martialische Cyber-Rolle hinein, rastete aus, fuhr zum Haus des Gegenspielers und setzte das Gemetzel analog mit einem Messer fort.
Vielleicht sollte NetSafe künftig warnen: MMORPG (massively multiplayer online role-playing games) nur mit weit entfernten Menschen spielen! Am besten Philippinos und Marokkanern.
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Aus aktuellem Anlass ein paar Worte zur »gelben Gefahr«, weil mir vorhin auf Facebook jemand Folgendes schrieb:
»Ich frage mich, warum der gelbe Hintergrund in Ihrem Facebook-Profilfoto, der aktuell als Kennzeichen der Muslimbrüder-Sympathisanten angesehen wird? Ich erwarte Neutralität von Journalistinnen und Journalisten!«
Nun, ähemm, das Foto steht so, wie es aussieht, seit April 2011 auf meiner Facebook-Seite, weil ich damals dachte, dass rot und gelb zusammen so’ne schöne Signalwirkung entfalten. Hat mir einfach gut gefallen. Dass es die Farbe der Muslimbrüder sein soll, ist mir unbekannt (seit GESTERN verwenden sie allerdings einen gelben Hintergrund in einem ihrer Protestlogos). Man könnte über den Vorwurf an mich lachen, wenn er nicht ein Beispiel dafür wäre, wie so manchem Ägypter (und Deutschen in Ägypten und Deutschen in Deutschland, der sich für Ägypten interessiert) in dieser Atmosphäre der Hysterie die Nerven durchgehen.
Ich richte ja nie meine Berichterstattung an den Stimmungswogen der Leute aus. Eine der Hauptfragen, die ich mir beim Recherchieren und Schreiben selber stelle, lautet: »Ist das, was ich sehe, jetzt wirklich das, was ich denke, was es ist…?« Will sagen: Es gibt ziemlich viele Gründe dafür, immer und überall kritisch unter die Oberfläche zu gucken. Was Ägypten betrifft, gilt das nicht nur für die Islamisten, auch für Militär, Sicherheitskräfte, Opposition usw. usf. Alles andere wäre journalistisch falsch (und außerdem sterbenslangweilig).
Ich weiß, dass das schwierig für jene ist, die nach einfachen ›Wahrheiten‹ dürsten, nach solchen, die am besten auch noch ihren Stimmungen und Erwartungen entsprechen. Ich verstehe das ja, aber es ist journalistisch nicht machbar. Ich erhalte auch Post, in denen Unterstellungen stehen wie: »Sie haben doch die Muslimbruderschaft immer geschont und die Gefahr verharmlost!« — Wahlweise steht statt Sie auch gern Ihr für »Ihr Journalisten«…
Wen es interessiert, ich verlinke hier mal ein paar meiner Beiträge, die ich eben auf die Schnelle rausgesucht habe. Das soll keine Rechtfertigungsein (dazu gibt es keinen Grund), sondern eine Ermunterung dazu, mal ein bisschen genauer in die deutschen Medien hineinzugucken oder hineinzuhören. Da gibt es bei meinen Kollegen (auch von WELTREPORTER.NET) ne ganze Menge zu entdecken, zum Beispiel in den Tageszeitungen und auf den öffentlich-rechtlichen Radiosendern (sehr empfehlenswert!) und zum Beispiel besonders auch bei Karim El-Gawhary.
Hier Links zu ARD-Hörfunkbeiträgen von mir aus dem Frühjahr und Winter:
Das folgende Stück hier wurde knapp drei Monate vor der Entmachtung Mursis gesendet, ich lasse einen ägyptischen Gesprächspartner erklären, warum er die Ideologie der Muslimbruderschaft für gefährlich & faschistisch hält :
http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2013/04/12/drk_20130412_2248_aeceaafc.mp3
Hier zu Menschenrechtsverletzungen unter Mursi (April 2013):
http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2013/02/11/drk_20130211_1214_7d7da371.mp3
Hier genau zur Hälfte der Amtszeit Mursis (Januar 2013), ebenfalls über Menschenrechtsverletzungen und repressive Politik:
http://www.tagesschau.de/ausland/aegypten1410.html
Hier die ersten Massenproteste gegen Mursi & Muslimbruderschaft im Dezember 2012:
http://www.tagesschau.de/ausland/aegypten-proteste110.html
Das sind einige von vielen Beispielen. Auf den Text-Webseiten gibt es jeweils immer auch ein Audio-Logo, auf das man klicken kann, um sich das jeweilige Stück anzuhören.
Mal auch ganz spannend für mich, in der Rückschau zu gucken, wie die eigene Berichterstattung damals aussah. ■
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Da Barcelona ja immer noch der Ruf als stilprägende Metropole vorauseilt, fragen mich meine Redaktionen gerne nach neuen Trends. Bitte, hier kommt einer: Die katalanische Trendsportart des Sommers heisst Ringelpietz mit Anfassen.
Für den 11. September, den katalanischen Nationalfeiertag plant die Bürgerbewegung Assamblea Nacional Catalana eine 400 Kilometer lange Menschenkette entlang der Via Augusta. Mit der “Via Catalana” soll ein Zeichen gesetzt werden, für die Unabhängigkeit Kataloniens, natürlich. Die Organisation läuft auf Hochtouren. In Sportreportermanier werden triumphierend die letzten zu füllenden Meter getwittert, Exil-Katalanen posten Fotos von Soli-Ketten aus Rom und Wien und seit ein paar Tagen gibt es jetzt auch ein offizielles Lied, den Via-Catalana-Road-Song quasi.
Wer etwas auf sich hält, kleidet sich zum Ringelreigen ganz mit nationalen Emblemen ein: Die gelb-rot gestreifte katalanische Fahne wird als eine Art Superman-Umhang über die Schulter geworfen, dazu gibt es passend die Unterhose für Freiheit liebende Geschlechter und Sandalen, mit denen man dann in Riesenschritten Richtung Unabhängigkeit schlappen kann. Die Merchandising-Industrie boomt, von wegen Krise.
An diesem Wochenende wird landesweit geprobt. Also, liebe Touristen, wundern Sie sich nicht, wenn Sie auf Ihrem Weg von den Pyrenäen ans Mittelmeer von glücklich strahlenden, sich an den Händen haltenden Menschen im gelb-roten Dress begrüsst werden. Es handelt sich nicht um einen PR-Gag eines verzweifelt um Besucher buhlenden Tourismusamtes, sondern um den Testlauf für eine politische Demonstration.
P.S: Und bevor ich jetzt wieder bitterböse E-Mails bekomme, in der mir mangelndes Verständnis für katalanische Befindlichkeiten oder gar bezahlte Maulwurftätigkeiten für die Zentralregierung in Madrid unterstellt werden: Ich masse es mir nicht an, in irgendeiner Art und Weise ein Urteil über Sinn oder Legitimität der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung zu fällen… aber, déu n’hi do, so ein ganz klein bisschen karnevalesk ist dieser Sommerreigen doch schon…
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Als ich vor zehn Jahren als ARD-Radiokorrespondentin nach Kalifornien kam war ich sicher: ich gehe jeden Tag ins Meer. Ich lerne surfen. In ein paar Monaten stehe ich sicher auf einem Surfbrett. Denkste Puppe! wie Freunde in Berlin sagen würden. Erstens hatte ich gar nicht genug Zeit, jeden Tag zum Meer zu gehen und zweitens – war es viel zu kalt! Kälter als verregnete Urlaube in der Nordsee! Ich bin im März in Kalifornien angekommen: weitgehend sonnig, angenehme Lufttemperaturen – und gefühlte Pazifiktemperatur von höchstens 15 Grad. War also erstmal nichts mit jeden Tag Schwimmen und Eroberung der Surfwelt. Doch es bestand Hoffnung: es wurde wärmer, draußen und im Meer. Im Juli versuchte ich es wieder. Ich hatte komplett die Unterströmungen, die Wellen und überhaupt die Gewalt des Wassers unterschätzt. Das war anders als Urlaub am Mittelmeer oder Konfrontation der dunklen Nordsee an Vaters Hand.
Es ist nie was geworden mit mir und dem Surfen obwohl ich es noch mehrmals versucht habe. Ich geh zum Schwimmen ins öffentliche Schwimmbad, zum Rumspielen, abkühlen und boogieboarden ins Meer. Die kleinen Boogie Boards sind perfekt für mich. Im Geschwindigkeitsrausch düse ich in der Gischt zum Strand.
Ein Interview hat jetzt allerdings wieder Surf-Sehnsüchte geweckt – vielleicht sollte ich mich doch mehr anstrengen. Norman Ollestad saß mir gegenüber, erzählte aus dem Leben mit seinem Vater, der ihn permanent und vorsätzlich in Extremsituationen brachte beim Surfen und beim Skifahren. Schon als Baby musste Norman auf den Rücken des Vaters geschnallt mit aufs Surfbrett. Als Vierjähriger sauste er eisige Pisten in Sankt Anton hinunter. Als er elf Jahre alt war stürzte Norman in einem kleinen Flugzeug in den vereisten Bergen bei Los Angeles ab. Sein Vater starb bei dem Absturz. Norman musste allein von der Bergspitze runter ins Dorf kommen, in einem Schneesturm, bei Minustemperaturen, ohne Handschuhe und Mütze, in Stoffturnschuhen. Er hat es geschafft weil er Extremsituationen kannte. Während Norman sich an all das erinnerte, erzählte er auch von einem Erlebnis mit seinem Vater an der Küste von Mexiko – als er zum ersten Mal in einer Welle surfte, wie sich dieser Tunnel vor ihm öffnete, wie er gleichzeitig Frieden und eine ungeheuerliche Kraft fühlte in der Mitte von gezähmter Energie. Er beschrieb es so eindrücklich, dass ich plötzlich wieder surfen lernen wollte. Wieder zu Hause wurde mir schnell klar: ich bin zu verweichlicht, um durch all den “shit” zu gehen, der laut Norman notwendig ist, um diese wahren goldenen Momente zu erleben. Ich wollte doch unbedingt diese garndiose Beschreibung der Magie des Surfens in einer Welle zu Gehör bringen für alle die, die wissen wollen, wie sich das anfühlt und vielleicht gerade noch einen Schubs brauchen, es selbst zu versuchen:
Norman Ollestad erzählt von der transformierenden Kraft des Wellentunnels
Normans Erlebnisse werden übrigens derzeit von Sean Penn verfilmt.
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Obwohl ich nun schon seit ein paar Jahren in Dænemark lebe (und wie man sieht derzeit auf einer lokalen Tastatur schreibe), bin ich erst dieses Jahr das erste Mal zum Roskilde Festival gefahren. Das Festival hat æhnlich viele Szenen wie es Tage dauert und uber 100 000 Besucher (davon tausende von Freiwillige). Mit dabei waren dies Jahr auch Rihanna (mit einer schwachen Performance) und Ingrid feat. Lykke Li (kaum besser). Erheblich mehr Kraft hingegen hatten EL-P und da sie auf einer kleineren Szene spielten war es ohnehin das groessere Erlebnis. Das Festival ruft schon wieder, deshalb ausser dem nuchternen Intro schnell ein Link zu meinem Artikel fur The Wall Street Journal’s Speakeasy.
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In Tiflis im Taxi 1
Ein Taxi reiht sich ans andere.
Flugplatz.
Ein Schild: „Die Fahrt in die Stadt kostet 25 Lari.“
Kurze Kontrollfrage.
Bei ihm koste es 35. Das Schild sei nicht für ihn. Sein Auto sei besser, deshalb teurer.
Also alles wieder ausladen, es geht ja irgendwie auch ums Prinzip.
Der nächste Fahrer (gleicher Autotyp). Ja. 25 Lari.
Ich freue mich. Ein ehrlicher Taxifahrer! Ich werde ihm 5 Lari Trinkgeld geben.
15 Minuten später im Zentrum. Er sagt: 30 Lari. 25 koste es nur bis da vorn. Hierher sei etwas anderes.
In Tiflis im Taxi 2
Sonntag Morgen. 8 Uhr. „Die Fahrt zum Flugplatz kostet 25 Lari.“ Feststellung vor Fahrtantritt! Der Fahrer schweigt irgendwie apathisch.
Ich steige hinten ein.
Wir fahren.
Er ist unsympathisch.
Er fährt langsam. Ein bisschen.
Das ist sympathisch.
Wenn die Ampeln bald umspringen, bremst er ab. Anfahren etwas verzögert.
Die Straßen sind leer. Klar, Sonntag Morgen.
Aber ist das ein Tifliser Taxifahrer?
Er fährt über eine unwichtige rote Ampel. Ja, er ist ein Tifliser Taxifahrer.
Wir schweigen weiter.
Ab und zu schlingert das Auto ein wenig. Ganz normal bei Tifliser Taxifahrern.
Die Schnellstraße. Es geht geradeaus. 3 Spuren. Er fährt zwischen zweien. Ganz normal bei Tifliser Taxifahrern. Es ist ja Sonntag Morgen und nichts los. Dann fährt er in der Mitte. 60 Km/h, 50, 40…
Hier fahren die Autos 100, Taxis 120. Und es ist Sonntag Morgen.
Ich sehe in den Spiegel.
Seine Augen.
Sind zu.
Sie bleiben zu.
Hallo!
Die Augen sind auf.
Fallen zu.
Ich stoße ihn an.
Augen auf.
Fallen zu.
Ich stoße ihn an.
Augen halb auf, fallen zu. Ich stoße ihn an. Auf, zu. Soll ich fahren?
Keine Reaktion, offene Augen.
Der Abzweig zum Flugplatz.
Seine Augen sind weit offen. Er pfeift was.
Ich schaue in den Spiegel, permanent. Beobachte seine Augen. Es kann nicht mehr weit sein.
Warum sitze ich hinten, vorn hätte ich mehr Einfluss.
Endlich, der Flugplatz.
Er gibt kein Wechselgeld. Bei ihm kostet die Fahrt in die Stadt 30 Lari.
In Tiflis im Taxi 3
Wieder Flugplatz. Ankunft. Die Schilder sind weg: „Die Fahrt in die Stadt kostet 25 Lari.“
Wo wollen Sie hin?
Ins Zentrum.
Wo dort?
Das ist die falsche Frage. Was kostet es?
Wieder: Wo dort?
Nein, das ist die falsche Frage. Die Frage ist: Was kostet die Fahrt mit Ihnen in die Stadt?
Wo wollen Sie hin?
Das ist die falsche Frage: Was kostet es?
Gewonnen: „Die Fahrt in die Stadt kostet 25 Lari.“
Dafür fährt er 140.
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Für einen Augenblick wird mir flau, als ich mich dem Gebäude des griechischen Staatsrundfunks, ERT, nähere. Vor dem Haupteingang steigt eine dicke Rauchsäule auf. Von Krawallen hatte ich nichts gehört, ich hatte auch keine erwartet. Es dauert etwas, bis ich mehr sehen kann – der Verkehr auf der Mesogeion-Straße geht schon seit Stunden nur noch stockend voran. Dann Erleichterung: Die griechische Welt ist noch in Ordnung. In Windeseile sind nicht nur Tausende Bürger zum Funkhaus geströmt, sondern auch die obligatorischen Souvlaki-Bratbudenbesitzer. Keine Demonstration in Griechenland ohne Souvlaki. Trotz des Schreckens, der in die Menschen gefahren ist, als ihre Bildschirme plötzlich schwarz wurden, geht es auf dem Gelände der ERT zu wie bei einem Festival. Nicht einmal die Junta habe die ERT abgeschaltet, das sei in ihrer 75-jährigen Geschichte nur einmal vorgekommen, nämlich als die Nazis in Athen einmarschiert sind, schimpft ein Demonstrant. Und die Misswirtschaft bei der ERT, die es doch zweifelsohne gegeben hat? Das bringt die Demonstranten erst recht zum Rasen. Die gleichen Politiker, die nun das Fanal der Transparenz hochhalten, seien doch die, die jahrzehntelang ihnen gewogene „Berater“ bei der ERT eingestellt haben. Berater, die am Ende des Monats, dicke Gehaltsschecks bezogen. Politische Günstlinge gebe es hier außerdem in allen Betrieben der öffentlichen Hand, sagt ein anderer. Wolle man nun auch die Strombehörde, die Krankenhäuser etc. schließen? Und so reihen die Menschen, die sich hier eingefunden haben, die Schließung des Staatsrundfunks ein in eine Serie von Angriffen auf alles, was staatlich oder öffentlich ist. Auf dem Podium wechseln sich Sprecher und Musiker ab, ein großer Bildschirm überträgt das Fernsehprogramm, das drinnen produziertg und nunmehr über Internet verbreitet wird. Es ist absurd: das griechische Staatsfernsehen ist als Piratensender on air. Noch absurder ist das, was manche Demonstranten sagen: „Endlich hat auch Griechenland einen öffentlichen Rundfunk“, denn allen ist klar, dass die ERT, deren Direktoren von der jeweiligen Regierung eingesetzt wurden, nur bedingt unabhängig sein konnte. Dennoch wurde hier auch ausgezeichnetes Programm gemacht, informative Hintergrundsendungen mit herausragenden Gesprächspartnern, gesellschaftspolitische Analysen und engagierte Dokumentationen. In den vergangenen Jahren konnte man außerdem beobachten, wie sich die Journalisten zunehmend von der politischen Führung emanzipierten. Trotz aller Mängel war die ERT ein Lichtblick in der griechischen Medienlandschaft. Das wird diese Tage von der Bevölkerung honoriert. Auf der Rückfahrt zappen wir uns durch die Radioprogramme, eine Sendung ist nervtötender als die andere. Schalt die ERT ein, sage ich zu meinem Beifahrer in einem alten Reflex.
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Letztere fielen einigen Menschen aus dem Mund, als sie morgens die Zeitung aufschlugen und sahen, was Al Nisbet diesmal verbrochen hat. Nisbet ist Karikaturist der ‚Press‘ in Christchurch und schaut „dem Volk aufs Maul“. Hübsch ist das selten. Manchmal ähnelt es eher einer Darmspiegelung.
Was war passiert? Die regierende National Partei hat mit viel Lärm ein Programm namens „Kick Start“ gekickstartet, das in einkommensschwachen Gegenden ein kostenloses Schulfrühstück serviert. Schlappe zwei Millionen Dollar für Milch und Weetbix wandern in die Münder der armen Kleinen, und nebenbei gibt’s wunderbare PR für den umstrittenen Milchmogul Fonterra, der unsere Flüsse vergüllt – voll sozial für einen Premierminister, der da, wo andere Hirn und Herz haben, Firmenlogos sitzen hat.
Bei den Kinder, die nicht richtig lernen, weil sie hungrig in die Schule kommen, herrschen oft auch desolate Zustände zuhause: Eltern im Knast, auf Drogen oder Stütze. Und diese wiederrum sind überproportional häufig Maori und Samoaner. Ob man die mit Weizenpampe vor den Spätfolgen der Kolonialisierung rettet oder sie und ihre Brut mit so viel Wohltätigkeit erst recht in die Gosse treibt, war das Tagesthema zwischen Links und Rechts. Womit wir wieder bei Al Nisbet sind.
Der signiert seine Werke so, dass das „S“ in seinem Namen wie das der „SS“-Runen anmutet – was natürlich reiner Zufall ist. Genauso, wie es Zufall ist, dass die dicken, dunkelhaarigen Figuren mit runden Augen und breiten Nasen, die letzte Woche aus Nisbets Stift flossen, aufgrund ihrer Physiognomie für Polynesier oder Maori gehalten werden könnten. In der umstrittenen Karikatur wandern diese asozialen Prototypen – Fluppe, nackter Hängebauch, Tattoos – Richtung Schule, mit einem Ranzen auf dem Rücken und einem Schälchen in der Hand. „Psst – wenn wir damit durchkommen, haben wir mehr Kohle für Alkohol, Kippen und Spielautomaten!“ raunen sich die Essenerschleicher in der Sprechblase zu.
Am nächsten Tag legte Nisbet in einer anderen Zeitung nach: Eine ähnlich derbe Truppe sitzt rülpsend und rauchend um einen Tisch voller Tippscheine, Aschenbecher und Bierdosen und lobt das kostenlose Staatsfrühstück: „Es lindert unsere Armut und ernährt die Kinder!“ Da half auch nicht mehr, dass in diesem Unterschicht-Idyll ein paar der fetten Gören mit helleren Haaren ausgestattet waren. Das waren die Alibi-Weißen. Die Botschaft war klar und der Aufschrei der Leser entsprechend. Sich über soziales Elend zu mokieren ist keine Ironie, und Maori zu verspotten ein Tabu. Der Chefredakteur musste sich rechtfertigen. Bei der Menschenrechtskommission gingen Rassismus-Beschwerden ein. Doch niemand denkt bei all dem Streit an die wahren Opfer von „Kick Start“: laktoseintolerante Kinder mit Glutenallergie.
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„Bereiten Sie Ihr Haus für die Wirbelsturmsaison 2013 vor“, lautet die Überschrift über der Pressemitteilung. Darunter steht der Hinweis auf eine „National Hurricane Preparedness Week“ vom 26. Mai bis 1. Juni. So etwas liest man als Journalist, zumal nach dem Tornado in Oklahoma am vorvergangenen Wochenende, der 24 Menschen tötete und mehr als 12 000 Häuser zerstörte.
Es fängt ganz interessant an. Eine Metereologin namens Jill Hasling vom Weather Research Center in Houstin (Texas) prognostiziert für dieses Jahr eine 70prozentige Chance für einen großen tropischen Sturm an der Küste zwischen Lousiana und Alabama. In der Region von Georgia und North Carolina beträgt die Wahrscheinlichkeit immerhin noch 60 Prozent. „Unser Rat an Hausbesitzer ist, sich während der National Hurricane Preparedness Week Zeit zu nehmen um ihr Haus sturmfest zu machen“, ist Frau Halsing zitiert.
Wie das geschehen kann, darüber informiert anschließend Mark Clement, Moderator einer Radiosendung mit dem denkwürdigen Titel „MyFixitUpLife“. Ich lese, dass es sich bei Herrn Clement um einen professionellen Handwerker handelt. Und zwar um einen mit ausgeprägten Produktvorlieben, wie sofort klar wird. In den nächsten zehn Absätzen der Pressemitteilung preist er das Kunststoffschieferdach Da Vinci Roofscapes, das er für sein eigenes Haus verwendet habe, Fensterglas der Firma Simonton („extrem energieeffizient“) und Eingangstüren von Therma-Tru („ein hervorragender Schutz“). Spätestens jetzt ist klar: Die fürsorglich warnende Pressemitteilung ist in Wirklichkeit eine Gemeinschaftswerbung, geschickt zusammengerührt von einer PR-Dame namens Kathy Ziprik. Ein Foto hat sie auch beigefügt, es sieht so aus:
Ob das Wetterinstitut, der Handwerker-Moderator oder eine der Firmen es zur Verfügung gestellt haben, bleibt unklar.
Es interessiert mich, ob es Medien gibt, die auf diesen dreisten PR-Trick hereingefallen sind, und ich google ein paar Schlüsselbegriffe aus dem Presseinfo. Beruhigenderweise wird nur ein Blog der Fensterfirma Simonton ausgeworfen, die an dem Projekt selbst beteiligt ist. Scheint so, als hielte sich der Nutzen für die Werbepartner in Grenzen. Frau Ziprik freilich wird sich ihre Dienstleistung mit einem schönen Honorar vergütet haben lassen.
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Es war Ende April und schlimmer konnte man es sich nicht vorstellen: keine italienische Mannschaft im Halbfinale der Champions-League, und dazu auch noch zwei deutsche! Nicht nur, dass damit die Euro-Krisen-Oberlehrer nun auch noch als Fußball-Oberlehrer herumstrebten; vor allem hatte man an vier Spielen mit Wortmonstern wie “Vaidenfellere” und “Emullere” zu kämpfen. Ganz zu schweigen von Obermonster „Esvainstaigere“.
Und doch, es geht noch schlimmer. Die Steigerung erleben wir am heutigen Abend. 90 Minuten ein Spiel mit der maximal denkbaren Anzahl von deutschen Nachnamen auf dem Platz und drumherum! Ein Albtraum. Die Folge: Ich bekomme seit Tagen Anrufe von Sportjournalisten. Denn früher gab es die Radio- und Fernsehübertragung in der „RAI“ und später auf „SKY“. Heute gibt es unzählige Wettanbieter und Regionalradios, die vom Fernsehbild aus das Spiel kommentieren. Meistens kommen die Kollegen ohne Umschweife rasch zur Sache:”Come cazzo si pronuncia questi nomi?”, etwas geglättet übersetzt mit: „wie zum Teufel spricht man diese Namen aus?” „Allora“, „also“, sage ich dann und stelle mich auf eine gute halbe Stunde Deutschkurs ein, ich baue von Zeit zu Zeit Eselsbrücken: „Neuer“, spreche man aus wie „Noia“, „Langeweile“, sage ich dann. Die Eselsbrücke? Neuer sei im Vergleich zur Bestie Oliver Kahn vergleichsweise langweilig. Konstruiert? Wirksam! Beim Dortmunder „Weidenfeller“ muss das Lautbild „Vaidenfellere“ dagegen buchstabiert werden: „V“ wie „Venezia“, „A“ wie „Ancona“, „I“ wie „Imola“, „D“ wie „Domodossola“, „E“ wie Empoli, „N“ wie „Napoli“….und so weiter. Jedesmal eine kleine Italienreise. Ein kleiner Urlaub, allein durch die Wörter.
Doch die Kollegen denken nicht weit genug: Denn beim Champions-League-Finale geht es ja nur zum Teil um diesen silbernen Pokal. Es geht ja auch um das „sich präsentieren“: Jeder, der in den 90 Minuten des Finales zu sehen ist, und sei es der Vize-Masseur auf der Trainerbank, muss damit rechnen, vom Fleck weg von einem Groß-Club verpflichtet zu werden. Steht nach den „Legionären“ von Lothar Matthäus bis Thomas Doll jetzt die nächste Wanderung über die Alpen an? Um nicht zu weiterer Verunsicherung bei den geschätzten Radiokollegen zu sorgen, habe ich dieses Szenario bisher nicht erwähnt. Sollen sie erst einmal den Samstagabend ohne Zungenkollaps überleben! Die Fans sind da schon deutlich weiter. Auf einem Fan-Blog von „Lazio Rom“ findet sich der schöne Eintrag eines gewissen „Lucio“: „Thomas Hitzelsberger ist 2010 gegangen und ich weiß immer noch nicht, wie man ihn schreibt oder ausspricht. Wenn irgendwann einmal Schweinsteiger kommen sollte, buona notte, gute Nacht.“
Um den Kollegen ein positives Gefühl zu geben, nenne ich zum Schluß immer den Namen des bayerischen Abwehrspielers „Dante“. Auf die Wirkung ist stets Verlass: „Dante Alghieri! Göttliche Komödie!“, kommt dann sofort und ein Kollege aus Palermo fing sogar an, einen Vers aufzusagen: “Nel mezzo del cammin di nostra vita…“ Und schon ist man als Italiener wieder obenauf. Weltgeschichtlich bleibt auf lange Sicht von Italien einfach die Kultur. Von den Deutschen nur die Wortmonster.
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Ginger Harold hat in den 70 er Jahren mit Freundinnen vor dem Rathaus Büstenhalter geschwenkt und für Gleichberechtigung demonstriert. Sie hat eine Tochter verloren, Erdbeben und eine schwere Krebserkrankung überlebt. Wenig kann sie noch beeindrucken – und bestimmt nicht die dicken weißen Ascheflocken, die vom Buschfeuer am Berg hinter ihrem Haus auf sie niederregnen oder das gespenstisch gelb-rote Leuchten der Flammen, das durch eine dicke graue Rauchwolke scheint. Die 74 Jahre alte Naturliebhaberin wird diesen Berg hinaufsteigen sobald Asche und Rauch, die ihn jetzt komplett verdecken verschwunden sind. Bestehende Evakuierungspläne hält sie für einen Witz, für völlig veraltet. Sollten die Flammen doch den Mini-Bunglow erreichen, in dem sie alleine wohnt oder Funken die ausgetrocknete Eiche erfassen, deren Äste über sein Dach hängen, wirft sie sich eine Plane über und springt in den Pool. Das ist ihr Plan. Gepackt hat Ginger nichts für den Ernstfall. “Ich wüsste nicht was ich packen sollte. Nichts ist wichtig und alles ist wichtig,” sagt sie, zuckt mit den Achseln, lacht und rückt die Atemmaske über Mund und Nase zurecht.
Ginger ist der Typ, den Feuerwehr und Polizei in Kalifornien fürchten und dem sie allzu oft begegnen: sture Senioren, die ihre Häuser trotz Evkuierungsaufforderungen nicht verlassen. Müssen sie gerettet werden, bringen sie andere in Gefahr und stehen möglicherweise vor der gewaltigen Aufgabe, ohne Hab und Gut ganz von vorne anfangen zu müssen. Eine Prognose, die Ginger nicht erschreckt. Sie ist sicher: die Flammen werden ihr Häuschen nicht erreichen. Warum? Oben auf den Hügeln wohnen die Superreichen auf riesigen Anwesen mit Pferdekoppeln und privaten Wanderwegen. “Sie rufen den Gouverneur an und schon bald werden hier so viele Wasserflugzeuge am Himmel sein, dass sie den Flugverkehr regeln müssen.” Sie lacht wieder. “Das ist wahr. Ich hab es schon oft erlebt. Und Gott sei Dank dafür!”
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Das Timeing ist nicht ganz optimal, aber wenn es um Alkohol geht, ist das vielleicht gar nicht so wichtig. Jedenfalls ist es gerade ein Woche her, dass das Kopenhagener Restaurant Noma von der Position 1 der vielzitierten Liste der besten Restaurants der Welt verschwunden (und auf Nummer 2 geworden) ist, da wird publik, dass das von Noma Chefkoch Rene Redzepi initiierte Nordic Food Lab Carlsberg helfen will, Bier zu brauen. Die Zutaten sollen aus der nordischen Natur stammen – Seetang zum Beispiel. Aber vielleicht sogar Bienenlarven? Immerhin hat das Nordic Food Lab mit diesen schon Granola hergestellt. Klingt nicht nach dem besten Bier der Welt, aber vielleicht wird es ja wie das Noma das zweitbeste. Nur um die Medienaufmerksamkeit hingegen geht es Carlsberg wohl nicht, dagegen spricht, dass das Bier nur in der Heimat lanciert wird und der Markt ist mit 5.5 Millionen Einwohnern doch arg klein.
Details zu Carlsberg und Nordic Food Lab habe ich hier bei The Wall Street Journal beschrieben.
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„Ist es okay, wenn ich giesse?“ „Ja.“
Ich giesse.
„Was ist das für ein Akzent?“ – „Ich bin Deutscher.“
„Ah, ein deutscher Spion.“ – „Klar. Was sonst.“
95° Celsius.
„Ich bin ein deutscher Spion und Sie ein russischer“, sage ich.
Ironiefrei.
Er denkt.
Er sagt: „Das ist paradox. Ich ein russischer Spion in Russland.“
„In Russland ist nichts paradox.“
© thomas franke, nachmoskau.de
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“Überfahren” – “Überrollt”- “Exekutiert” … von der sonst der spanischen Sportpresse eigenen Kreativität, wenn es um Schlagzeilen geht, war nach den haushohen Niederlagen des FC Barcelona in München und des Real Madrid in Dortmund kaum etwas übrig. Auch der Titel “Palizowski” – übersetzt so etwas wie “Prügelowski” – unter dem Bild des vierfachen Torschützen der Borussen wirkte mehr als gezwungen. Der Schock saß wohl einfach zu tief, um spät in der Nacht noch gute Aufmacher zu gestalten. Jahrelang daran gewöhnt, Europa im Clubfußball und zuletzt selbst mit der Nationalmannschaft zu beherrschen, kam das Debakel wie ein heftiger Schlag aus heiterem Himmel.
Krise, Kürzungen, Kanzlerin und jetzt auch noch das … die Depression war am Donnerstag in den Bars und Kneipen Madrids zu spüren. Nach Jahren der Siegermentalität war sie wieder da, die alte spanische Weisheit, nach der Fußball ein Spiel von elf gegen elf ist, und am Ende immer Deutschland gewinnt. “Merkel nimmt uns einfach alles weg”, lautete das Urteil an so manchem Tresen.
Waren es die kleinen Freuden der Europameisterschaft, die drakonische Sparmaßnahmen der Regierung des Konservativen Mariano Rajoy zumindest für ein paar Tage vergessen machten, scheinen die Spanier nach dem Debakel von Deutschland endgültig in der Krise und der Depression angekommen zu sein. Dass Europa auseinaderfällt und Spanien nicht einmal mehr im Fußball dazu gehört, wurde plötzlich traurige Realität. Dass im Radio seit Tagen von einem neuen Sparpaket und selbst von einer Anhebung des Rentenalter auf über 67 Jahre die Rede ist, verschärft die Diskussionen noch. “Und da erzählt Rajoy, im Bankenrettungspaket gebe es kein Kleingedrucktes”, lautete einer der Tausende von enttäuschten Nachrichten auf Twitter kurz nach dem Abpfiff.
Es ist von jeher eine Mischung aus Bewunderung, Neid und Ablehnung, wenn es um die Deutschen – die Quadratschädel – aus der Mitte Europas geht. Jetzt wo jährlich Zehntausende junge Menschen aus der Arbeitslosigkeit von 27 Prozent Richtung Deutschland fliehen, verschärft sich diese Hassliebe. Merkel-Hitler-Vergleiche werden wohlwollend kommentiert. Die deutschen Touristenmassen, die sich Wochenende für Wochenende dank Billigflieger und guter Konjunktur zu Huase durch Madrids Innstadt wälzen, werden längst wieder misstrauisch und mit Ablehnung beäugt, wie einst in den 1980er Jahren vor dem Boom, der Spanien wirtschaftlich “in die Champions League” brachte, wie das Rajoys Vorgänger der Sozialist José Luis Rodríguez Zapatero gerne ausdrückte. Es schmerzt einfach Kneipen zu sehen, in denen fast nur noch Besucher aus Nordeuropa sitzen.
Fußball war bis Anfang dieser Woche so etwas wie die Rache des kleinen Mannes. Das Bild wie Merkel völlig ungehemmt den Sieg gegen Griechenland feierte machte in Spanien die Runde. Der Titelgewinn der Roja war die ausgleichende Gerechtigkeit. Es war die Lektion der PIGS für die Berliner Lehrmeisterin, die in Karikaturen immer wieder als gestrenge Domina in Lederkluft und mit Peitsche dargestellt wird.
Die Deutsche Welle auf Spanisch verbreitete vergangenes Wochenende ein Zitat der Kanzlerin aus einem Interview. Sie schwärmte von einem rein deutschen Champions-League-Finale. Die Presse auf der Ibersischen Halbinsel griff dies auf. Doch da waren sich in Madrid noch die meisten sicher, dass vielleicht der FC Barcelona gegen die Bayern ausscheiden werde, aber Real gegen Dortmund … undenkbar. Jetzt ist dies fast schon Gewissheit, auch wenn die Sportzeitung AS mit dem Mut der Verzweifelten zur “Operation 3:0″ beim Rückspiel im Bernabéu trommelt.
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Ich verstehe ja, dass sich Los Angeles auf den ersten Blick schwer verstehen lässt. Als ich das erste Mal am Flughafen ankam erschien mir auch alles chaotisch und abgesehen von Palmen am Wegesrand wenig attraktiv.
Inzwischen hat sich das natürlich geändert – und das nicht nur weil das Wetter deutlich besser ist als in Berlin. Los Angeles ist ein großartiges Feld zum Austoben aller Abenteuerlust auf Geschichten und Begegnungen, das jedes Reporterinnenherz höher schlagen lässt.
Vor wenigen Tagen traf ich bei einer meiner Entdeckungsreisen auf unerwartet enthusiastische Unterstützung für meine Liebe zur Metropole am Pazifik: Professor Thomas Gaehtgens, Direktor des Getty Forschungsinstituts erklärt einfach, anschaulich und bodenständig was Europäer so sagen wenn sie zum ersten Mal herkommen und was sie verpassen, wenn sie nicht genauer hinschauen.
Ein Ausschnitt aus meinem Interview zur neuen Kunstinitiative des Getty: Pacific Standard Time Presents gibt es hier: Modern Architecture in Los Angeles
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Wenn die Krise in Spanien eines lehrt, dann: Nichts bleibt, wie es war. Das gilt nicht nur für Sozialleistungen, Löhne, Schulbildung und Gesundheitssystem. Das gilt auch für die Fernsehgewohnheiten der Spanier.
Vorbei sind die Zeiten, als die ganze Woche über – neben der Liga versteht sich – die letzte Ausgabe des Programms Salsa Rosa – Rosa Soße – die Gespräche am Arbeitsplatz und an der Theke bestimmten. Die Sendung, in der Stars und Sternchen, sowie allerlei von Berlusconis spanischem Telecinco selbstkreierte TV-Monster ihre Streitigkeiten, ihre Anschuldigungen und ihre peinlichsten Seiten zum Besten gaben, musste El Gran Debate – Der Großen Debatte – weichen. Plötzlich hat Spanien neue Themen und neue Stars, am Arbeitsplatz am Tresen und in den sozialen Netzwerken.
Es sind Menschen wie der Kellner Alberto, der beherzt Demonstranten in Schutz nahm, als diese vor einem völlig überzogenen Polizeieinsatz Zuflucht in seiner Kneipe suchten. Er kam zusammen mit einem Rentner zu Wort, dem die Polizei einen Arm brach, als er an eben jenem Tag verhaftet wurde. Es ist der ehemalige Vorsitzender der Vereinigten Linken, der ganz offen gegen die Monarchie und für eine Dritte Republik eintritt. Oder es sind Menschen wie Ada Colau, die Aktivistin der Vereinigung der Zwangsräumungen betroffenen Kreditschuldner. “Banker sind Kriminelle”, gibt sie zum Besten und fast ganz Spanien stimmt zu und kommentierte dies die ganze Woche über.
Auch Liveschaltungen zu den großen Demonstrationen, die oft zeitgleich zum Programm die Straßen Madrids und vieler Provinzhauptstädte füllen, dürfen nicht fehlen. Selbst in den allmorgendlichen Hausfrauenprogrammen hat es sich ausgetratscht. Als der Gerichtshof der Europäischen Union kürzlich die Praxis der Zwangsräumungen von Wohnungen teilweise für unrechtmäßig erklärte, feierten die Aktivisten den Richterspruch live im Studio.
Immer öfter geht es um Korruption oder werden Krisenopfer zur Talkshow geladen. Besonders tragische Fälle werden in Kurzreportagen vorgestellt. Und wenn es um eines der Lieblingsthemen der Morgenprogramme, um das spanische Königshaus, geht, sind es keine Promo-Reportagen mehr. Die Rede ist dann von Jagdunfällen des Monarchen, von seinen Liebschaften und Geschäften , sowie um die Machenschaften seines Schwiegersohnes, gegen den ermittelt wird.
Die Realität hat das was in Spanien Telebasura – Müllfernsehen – hieß, abgelöst, ohne dass die Einschaltquoten darunter leiden würden. Bei 6 Millionen Arbeitslosen und rund 400.000 zwangsgeräumten Wohnungen ist die Krise in einem Land, wo die Glotze ständig läuft, im Herzen der Gesellschaft – und damit des Fernsehpublikums – angekommen.
Eine internationale koffeinhaltige Brause und die Tratschpostille Pronto gehen gar noch einen Schritt weiter. Sie nutzen die Empörung der Bevölkerung für ihre Marketingkampagnen. Der Getränkehersteller installierte an öffentlichen Plätzen verblüffend echt aussehende Geldautomaten, die auf Knopfdruck 100-Euro-Scheine verschenkten, nachdem der Empfänger bestätigt, das Geld für not leidende Nachbarn einzusetzen. Die so Bedachten wurden dann gefilmt, wie sie Windeln, Lebensmittel oder Spielsachen an arbeitslose Nachbarn verschenken. Und die Zeitschrift Pronto legte jüngst einer Ausgabe Aufkleber gegen Zwangsräumungen bei, die mittlerweile in so manchem Treppenhaus kleben.
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“Rund 5000 Kinder leben in den USA ohne Eltern, weil die ohne Papiere ins Land gekommen sind und abgeschoben wurden.” Dieser Satz eines Aktivisten für Immigrationsrechte veranlasste mich, eine Familie zu suchen, auf die diese Beschreibung zutrifft. Sie zu finden war schwieriger als erwartet. Niemand wollte reden.
Der Pressesprecher einer Bürgerrechtsorganisation schlug mir schließlich vor, Norma und ihre Tochter Jessica zu treffen. Die Familie passe zwar nicht ganz in mein Konzept, Norma sei legal im Land, doch ihr Mann Jose seit mehr als einem Jahr im Gefängnis. Die drohende Abschiebung reisse die Familie auseinander, besonders die Tochter leide darunter, dass sie ihren Vater nur noch im Gefängnis sehen kann, umziehen musste und auf eine neue Schule geht. “Der Fall ist nicht einfach, nicht schwarz und weiß,” erklärte mir der Sprecher. Jose habe eine Drogenstrafe von früher und sei schonmal abgeschoben worden. Aber: Jessica und ihre Mutter seien bestimmt gute Interviewpartner und hätten eine eindrückliche Geschichte zu erzählen.
Er hatte Recht. Ich traf Jessica und Norma in ihrem neuen zu Hause – sie leben jetzt in einem kleinen Zimmer bei den Eltern von Norma. Zum Gespräch kam auch Joses Mutter dazu. Als der von den Immigrationsbeamten abgeholt wurde war es sechs Uhr morgens. Norma wollte ihn gerade zur Arbeit fahren. “Vier Streifenwagen haben uns eingekreist, Polizisten mit gezogenen Waffen sind auf uns zugerast, haben gebrüllt und auf die Windschutzscheibe geschlagen. Jose war angeschnallt, sie haben ihn aus dem Wagen gezerrt, ihm Handschellen angelegt und weggefahren”, erzählt sie. Jessica hat alles aus dem Fenster ihres Kinderzimmers beobachtet. Wenn sie davon erzählt, steigen ihr Tränen in die Augen. Sie vermisst es, mit ihrem Vater ans Meer zu gehen, zum See zu radeln, Pizza zu essen und am meisten, dass sie ihn nicht umarmen kann. Wenn sie ihn besuchen, ist eine Glasscheibe zwischen Jose und den Frauen. Norma und Jessica wissen, dass Jose vielleicht wieder abgeschoben wird. Zum ersten Mal geschah das 1994 nachdem er mit Drogen erwischt wurde, sagt Norma. Damals sei er noch am selben Tag zurück gekommen. Es sei leicht gewesen, die Grenze zu überqueren. 2010 wurde Jose bei der Arbeit aufgegriffen und abgeschoben. Diesmal war es schwieriger, zurück zu kommen, doch er schaffte es – und wurde ein paar Monate später wieder verhaftet. Jessica versteht bis heute nicht, warum ihr Vater nicht wie sie und ihre Mutter einen Pass bekommen und bei ihr bleiben kann.
Meine Nachfrage bei der Einwanderungsbehörde ergibt eine nüchterne Antwort: Die Behörde sei dazu da, illegale Einwanderer wie Jose so schnell wie möglich aus dem Land zu weisen. Mit Drogendelikt und mehrfacher illegaler Einreise sei er eine Priorität auf der Abschiebeliste. Ohne Erlaubnis ins Land einzureisen könne mit einer Haftstrafe von bis zu zwanzig Jahren bestraft werden.
Ich gebe diese Email nicht an Norma und Jessica weiter. Die Geschichte ist tatsächlich sehr kompliziert. Im Moment weiß ich noch nicht, wie ich sie am besten erzählen kann.
Hören Sie hier, wie die beiden beschrieben, wie Jose abgeholt wurde, was sie an ihm mögen und was sie für die Zukunft hoffen: Norma and Jessica
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Diesen verwunderten Blick der Kassiererin, ich werde ihn nie vergessen. Wir lebten gerade eine Woche in Brooklyn, und es hatte sich die Frage gestellt, wo wir unsere Pfandflaschen abgeben. Wie viele andere amerikanische Bundesstaaten, so erhebt auch New York ein „Deposit“ von fünf Cent auf Coladosen, Limonaden- und Bierflaschen. Einen Rückgabeautomat wie in Deutschland hatte ich in unserem Lebensmittelladen allerdings nie gesehen. Eine Verkäuferin hatte mich an die Kasse verwiesen. Dort stand ich nun, mit meinem prall gefüllten Flaschenbeutel. Und hatte das klare Gefühl, etwas falsch zu machen.
„Stimmt irgendwas nicht?“ fragte ich die Kassiererin. „Nein, nein, alles in Ordnung“, beeilte sie sich mit typisch amerikanischer Höflichkeit zu versichern. Und rief nach dem Manager. Der nahm meinen Beutel in Augenschein, addierte leise vor sich hinmurmelnd das Pfand und sagte dann der Kassiererin, was sie vom Bon abziehen sollte. Was für ein antiquiertes, zeitraubendes Verfahren, dachte ich. Es sollte sich im Laufe der nächsten Wochen wiederholen. Mehr und mehr wurde mir allerdings bewusst, dass ich aus der Reihe tanzte, denn niemals sah ich andere Kunden Pfandflaschen abgeben.
Und dann wusste ich warum. Denn dann sah ich ihn. Den Mann im Parka, der die Recyclingtonne durchforstete, in der wir Altglas und Plastikflaschen sammeln – die ohne Pfand, hatte ich bisher gedacht. Aber nun sah ich die riesigen Plastikbeutel, die der Mann hinter sich her zog, voll mit Pfandflaschen. Und in einer blitzartigen Erleuchtung wurde mir klar, dass das Leergut der gesamten Nachbarschaft – vermutlich der ganzen Stadt – auf diese Weise abtransportiert wird. Die Rückgabe erfolgt, wie ich heute weiß, an Sammelstellen in Industrievierteln oder an der Rückfront großer Supermärkte.
„Canner“ oder „Gleaner“ werden diese Sammler genannt, und wenn heute abend in Hollywood die Oscars verliehen werden, dann ist in der Kategorie Dokumentar-Kurzfilm eine Reportage über sie nominiert. „Redemption“ (Rückzahlung) heißt der Film von Jon Alpert und Matthew O’Neill, den sie über zweieinhalb Jahre hinweg in New York gedreht haben. Während es früher hauptsächlich Obdachlose waren, die mit Pfandflaschen ein minimales Einkommen verdienten, sind es heute auch Mütter mit Kindern, Großväter deren Rente nicht reicht und junge Leute die keinen Job finden. Sie transportieren ihre Beute in Kinderkarren, in Einkaufswagen, in Beuteln über der Schulter oder an Schulterstangen. „Wir werden immer mehr“, beklagt im Film ein muskulöser Typ mit grüner Baseballmütze. Ein anderer sagt lakonisch: „Man tut, was man kann, um zu überleben.“
Es ist ein bedrückendes und eindrucksvolles 35-Minuten-Porträt einer Szene, die in New York und anderen Großstädten ebenso alltäglich wie abgeschirmt ist – die meisten Passanten schauen weg, wenn ihnen ein „Canner“ begegnet. Ob der Film einen Oscar verdient hat? Hier finden Sie Ausschnitte und die Regisseure erzählen, wie sie von der Nominierung erfuhren:
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Da ist er wieder. Der weiße Laster des Syndicat des Eaux, der seit ein paar Tagen die Wiese auf der gegenüberliegenden Straßenseite unseres Hauses in eine Mondlandschaft verwandelt. Schlimmer noch, er wirft jüngst einen Stein- und Lehmhaufen von einer Höhe auf, die mich dazu zwingen könnte, nur noch auf der Rückseite des Hauses aus dem Fenster zu sehen. Es handelt sich um den Abraum, der beim Buddeln tiefer Löcher entlang Bellocs einziger Straße entsteht.
Jeden Morgen gegen 9:30 Uhr rattern sie über diese einzige Straße unseres Weilers, die beiden Helden des Wasserwerkes von Saint Lizier. Einer mit dem Laster, der andere mit einem gelben Bagger. Nach mehr als sechs Monaten Pause haben sie sich dem monatelangen Drängen von Robert, im Gemeinderat für die Wasserversorgung zuständig, gebeugt. Den ganzen Sommer über gab es angeblich Wichtigeres in anderen Gemeinden zu tun. Denn die unterirdischen Wasserrohre stammen nicht nur bei uns aus den 50er Jahren. Wenn eine bricht, muss das Syndicat des Eaux ran. Leider hält man dort offenbar keine dem Zustand des Versorgungsnetzes angemessene Reparaturmannschaft vor. Die Wirtschaftskrise fordert ihren Preis.
Dabei wird allgemein immer die moderne französische Infrastruktur als einer der ausgewiesenen Standortvorteile dieses Landes gelobt. Wer immer diese Losung ausgibt, war mit Sicherheit noch nicht im Département Ariège. Zugegeben, es ist eines der ärmsten in Frankreich. Hat dafür sehr viel Charme und sehr schöne Landschaften. Immerhin funktioniert das Internet. Meistens. Wenn nicht gerade ein Sturm einen der Telefonleitungsmasten umgeblasen hat. Oder ein Baum auf die Überlandleitung gekippt ist. In dem Fall gibt es auch keine Telefonverbindung mehr. Nach Unwettern fällt zudem der Strom gerne mal aus. Das hat zur Folge, dass selbst das Mobiltelefon tot ist, weil der nächste Sendemast am gleichen Netz hängt. Durchschnittlich 75 Minuten Stromausfall pro Kunden in 2012 verzeichnet die ERDF, die französische Netzagentur. In Deutschland waren es 2011 nach Angaben der Bundesnetzagentur rund 15 Minuten pro Abnehmer.
Aber gut, dafür hat Frankreich den viel gelobten TGV. Der fährt zwar Defizite ein, aber das wissen im Ausland nicht so viele. Auch von den häufigen Verspätungen, welche die französischen Pendler an den Rand des Wahnsinns treiben, berichtet kaum jemand. Wenn der TGV keine Panne hat, schießt er wie ein Pfeil durch die Landschaft. Das ist beeindruckend und sieht auf Werbefilmen überzeugend aus. In diesen Fällen sind die Reisenden sehr schnell am Ziel. Man sollte auch nicht so viel meckern.
„Du darfst sie nicht unterbrechen“, sagte vor Jahrzehnten mein Freund Bruno zu mir angesichts eines Straßenkehrers, der einen Bürgersteig in Toulouse fegte. Im Südwesten gelte: Wer einmal angefangen habe zu arbeiten, der werde besser nicht abgelenkt, sonst wisse man nie, wann er wieder anfange. Die Weisheit dieser Worte aus der Studentenzeit wird mir es heute so richtig bewußt.
Nach einer ersten zweimonatigen Bauphase im vergangenen Frühjahr kehrte nämlich wieder Stille in Belloc ein. Der gelbe Bagger und der weiße Laster wurden nicht mehr gesehen. In den mit rot-weißen Absperrungen verzierten, offenen Baugruben am Straßenrand, wuchsen bereits Blümchen. Bald, so erwartete ich, würden sich Brombeerranken oder Efeu der Metallgitter bemächtigen. Die Natur holt sich hier besonders schnell zurück, was der Mensch vernachlässigt. Und im Winter, wenn der Frost Einzug hält, würde uns eben dank der immer noch offenen Gruben der Wasserzufluss einfrieren. Die meisten Bellocois waren sich sicher, dass das Syndicat des Eaux sich erst im kommenden Sommer erneut die Ehre gäbe.
Aber schließlich, zu Jahresbeginn, überraschten sie uns. Von wegen unser Dorf soll schöner werden. Voller Elan verwandelten die beiden Wasserwerker Belloc in eine große Matschlache. „Was für eine Idee, die Bauarbeiten in den kältesten und nassesten Monaten des Winters wieder aufzunehmen,“ schimpft Jerome. Er versucht immer noch, sein graues Kleinauto durch ständiges Waschen präsentabel zu halten. Das habe ich längst aufgegeben. Erwartungsgemäß werden die Arbeiten immer wieder durch Frost und Schnee behindert. Sprich: Unterbrochen. Was die bedauerliche Matsche in Belloc zu einem nunmehr lang anhaltenden Vergnügen macht. Die beiden Männer vom Syndicat des Eaux können trotz all ihrer Freundlichkeit nicht all zu viele neue Bewunderer in Belloc gewinnen.
Die Bewohner unseres kleinen Dorfes wünschen sich inzwischen nur noch, dass dieser Wasserrohr-Albtraum schnell zu Ende gehen möge. Dass den neuen blauen Rohren ein sehr langes, pannenfreies Leben beschert werde. Obwohl – und das sollte an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben – ihnen jetzt schon eine neue Gefährdung innewohnt: Sie werden nämlich oberhalb der alten Rohre verlegt. Mit anderen Worten, sie liegen noch knapper unter der Erdoberfläche als die alten und sind damit noch leichter von hartem Frost außer Betrieb zu setzen. Aber, pssst! Das sagen wir lieber nicht zu laut, sonst bleibt die zwei vom Syndicat des Eaux mit ihren Kies- und Abraumbergen am Straßenrand sowie den fröhlichen rot-weißen Absperrungen womöglich noch ein weiteres Jahr zu Gast in Belloc. Das könnte selbst unter den 35 friedliebenden Bellocois zur Revolte führen.
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Angela Thompson erzählt gerne aus ihrem Leben und aus dem ihrer Mutter. Über die hat sie sogar ein Buch geschrieben: “Bleib immer neben mir”. Es ist die Geschichte eines Frauenlebens im 20. Jahrhunderts mit eindrücklichsten Schilderungen unter anderen von der Bombardierung Dresdens, von überraschend wertvollen Päckchen die die in den Westen geflüchtete Familie von der in Dresden zurück gebliebenen Omi bekam, von im Rückblick verrückt erscheinenden Entscheidungen der Mutter, schwer zu ertragendem Verhalten des zurück kehrenden Vaters und Andeutungen des neuen Freiheitsgefühls der Autorin, als sie in Kalifornien ankommt und studieren kann.
In Deutschland haben viele längst genug von diesen Geschichten und ich dachte ich gehöre zu dieser Gruppe, die nichts mehr hören mag vom Krieg, von Flucht, von Hitler, von Bomben und dem Kampf ums Überleben. Bis ich Angela traf und sie mir mit Gefühl, Humor und Wissen aus ihrem Leben und dem ihrer Mutter erzählte. Besonders wichtig ist ihr dabei, dass US-Bürger diese Geschichten hören und lesen, um zu verstehen, was in den Menschen vorging, auf die die Bomben ihrer Helden fielen. Sie selbst hat sich in den 70er Jahren von Los Angeles aus für politische Gefangene in der DDR eingesetzt, unter anderen mit dem damaligen Gouverneur Ronald Reagan als Verbündeten. Sie fuhr mit dem Auto quer durchs Land um in Washington mit Kongressabgeordneten und Senatoren über Unterdrückung im Osten Deutschlands zu sprechen und machte heimliche Besuche bei den Familien der Gefangenen.
Für Radio/Audio-Enthusiasten-Truppe ‘Listen Up Los Angeles’ hat Angela einen Teil dieses interessanten Lebens erzählt. Weil heute der Jahrestag der Bombadierung von Dresden ist hier der entsprechende Ausschnitt aus meinem Interview.
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Das Ereignis der Woche war, natürlich, die Amtseinführung von Präsident Barack Obama. Die Einwohner von New York beschäftigte daneben ein weiteres Thema: ein Aufruf des texanischen Generalstaatsanwalts Greg Abbott, ihre Heimat zu verlassen und nach Texas zu ziehen. Eine Liebeserklärung an die sonst so verhassten Yankees? Nicht ganz: Angesprochen waren ausdrücklich nur “Law abiding gun owners” – gesetzestreue Bürger, die eine Waffe besitzen.
Abbott, ein im Rollstuhl sitzender Republikaner, hatte die Anzeigen online auf diversen Nachrichtenseiten schalten lassen. Sie erschienen insbesondere bei Nutzern auf dem Bildschirm, die ausweislich ihrer Postleitzahl in Manhattan oder in der Staatshauptstadt Albany leben. Nun ist man in den USA einiges von dem Cowboystaat gewohnt und nimmt ihn, anders als er sich selbst, nicht immer ganz ernst. In den vergangenen Monaten zum Beispiel wurden in Texas mehr als hunderttausend Unterschriften für eine Petition gesammelt, die es dem Bundesstaat ermöglichen sollte, sich vom Rest der Republik abzuspalten. Auch den Unterzeichnern war freilich klar, dass Washington den Antrag rundweg ablehnen würde.
Abbotts Abwerbungsversuche sind ein anderes Kaliber. Hintergrund sind die strengen Waffengesetze, die der Gesetzgeber des Staats New York auf Druck von Gouverneur Andrew Cuomo in Rekordzeit verabschiedet hat. Es war die Reaktion auf das Blutbad an der Sandy-Hook-Schule in Newtown, bei dem ein 20jähriger Selbstmordattentäter mit halbautomatischen Sturmgewehren 20 Kinder und sechs Lehrer niedergemäht hatte. Der Schock war so groß, dass selbst das als lahm und notorisch korrupt geltende Provinzparlament in Albany in Bewegung kam und damit nach Ansicht der meisten New Yorker Menschen das Richtige tat. Nicht jedoch nach Ansicht der Gun-Lobby, die in mehr statt weniger Waffen das Rezept gegen Massenmörder sieht – damit sich der gesetzestreue Bürger verteidigen kann. Mit dieser Position hat sie an der liberalen Ostküste allerdings einen schweren Stand, ganz anders als im waffenvernarrten Süden der USA.
Für Abbott war es somit ein günstiger Zeitpunkt, um auf sich aufmerksam zu machen. Der 55jährige wolle die Amerikaner “vor reflexartigen und skurrilen Reaktionen der politischen Elite” bewahren, erklärte sein Sprecher. Ganz nebenbei will er im kommenden Jahr auch Gouverneur von Texas werden und kann die Publicity gut brauchen, die ihm seine provokative Aktion verschafft. Klugerweise ließen sich bisher weder der New Yorker Gouverneur noch Bürgermeister Michael Bloomberg zu einer Antwort hinreißen. Die in Manhattan erscheinende Wochenzeitung Village Voice allerdings nahm den Fehdehandschuh auf. Sie warnte ihre Leser: “Abbott lügt. Texas will dich nicht. Selbst wenn Du ein durch und durch republikanischer, Waffen tragender New Yorker bist, könntest du glauben, dass Schwule und Frauen Menschen sind. Das kommt da unten gar nicht gut an.”
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Überlebensgrosse Portraits von Menschen, die kurz vor dem Verlust ihrer Wohnung stehen, Trillerpfeifenkonzerte und eine Postkartenaktion, bei der sich jeder Passant persönlich für einen “Hypothekengeschädigten” einsetzen konnte: So haben letzte Woche in Barcelona Hunderte gegen Zwangsräumungen und die schuldnerfeindliche Bankengesetze protestiert, hier vor der Zentrale der Sparkasse Caixa Catalunya.
Spanien hält einen traurigen Rekord: Über 126.000 Zwangsvollstreckungen wegen nicht bedienter Kredite wurden im letzten Jahr verhängt. Und wer aus seiner Wohnung geworfen wird, ist deswegen noch lange nicht schuldenfrei. Im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern wird die Schuld in Spanien nicht dadurch getilgt, dass die Wohnung an die Bank zurückfällt. Nachdem im letzten Jahr eine Reihe von Selbstmorden die Öffentlichkeit erschütterte, hat die Regierung Rajoy Zwangsräumungen in besonders prekären Fällen zwar gestoppt, an der Situation an sich hat sich allerdings kaum etwas geändert.
Die landesweiten “Plattformen der Hypothekengeschädigten” (P.A.H., Plataforma de Afectados por la hipteca) haben daher für kommende Woche zu Protesten aufgerufen. Am 24. Januar wollen Vertreter dem Parlament 750.000 Unterschriften für eine Gesetzesänderung übergeben, für den 16. Februar sind Grossdemonstrationen geplant.
Zumindest die Plakataktionen scheinen ihr Ziel zu erreichen: Nachdem vor einer anderen Filiale wochenlang das Portrait eines Schuldners prankte und Aktivisten unter den Passanten Postkarten mit der Kurzfassung seines Falls verteilten, rückte die Bank von der Zwangsvollstreckung ab und hat die Rahmenbedingugnen des Kredits geändert. Die Plakatkampagne ist eine Initiative des Künstlerkollektivs Enmedio, über dessen Arbeit ich am Sonntag im Neonlicht von Deutschlandradio Kultur berichte.
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Für das Buch “Echt Wahr! Wie Journalisten Wirklichkeit erzählen” haben Studenten der Hamburg Media School (inzwischen sind sie Absolventen!) auch Interviews mit Korrespondenten des Weltreporter-Netzwerks geführt. In diesem Werkstattgespräch erzählte Janis Vougioukas Christina Lachnitt von seiner – manchmal ganz schön schwierigen – Arbeit in China.
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Keine Transparente, keine Sprechchöre. Eine kleine Demonstration, kaum als solche erkennbar. Nur ein paar Dutzend Menschen, die im Regen stehen. Selbst das ist zu viel: Die Journalisten auf dem Platz, darunter Janis Vougioukas, werden von der Polizei „eingesammelt“, wie der Korrespondent es später ausdrückt. „Das zeigt, wie nervös das Regime ist.“ Vougioukas lebt seit 2002 in Shanghai, berichtet aus Südostasien für den Stern. Mit Christina Lachnitt sprach er über die schwierigen Arbeitsbedingungen für ausländische Korrespondenten, mutige chinesische Kollegen – und warum er trotz allem gerne aus China berichtet: „Probleme machen die Arbeit für mich erst interessant.“
Herr Vougioukas, Sie sind im März 2011 in Shanghai bei einer Demonstration festgenommen worden. Was war da los?
Wenn Sie die Szene als Passant gesehen hätten, würden Sie vielleicht sagen: nichts. Vor einem Kaufhaus hatten sich etwa 50 Menschen versammelt, ohne Transparente. Sie gingen in dem Trubel auf der Straße fast unter, es war eine getarnte Demonstration. Dazu aufgerufen hatte eine Handvoll Aktivisten, die die Proteste aus der arabischen Welt nach China bringen wollten. Sie nannten das Jasminrevolution.
Wie sind Sie auf eine so dezente Meinungsäußerung aufmerksam geworden?
Die Polizei hatte alle ausländischen Journalisten angerufen und davor gewarnt, an dem betreffenden Wochenende in die Innenstadt zu gehen. Ich habe mit Kollegen gesprochen: Eigentlich war diese winzige Demonstration kein Thema für uns, wir wollten gar nicht berichten. Aber wenn die Polizei uns extra anruft, ist es unsere journalistische Pflicht, hinzugehen und aufzuschreiben, was passiert.
Der große Bruder hat Sie also selbst darauf gestoßen?
Die Reaktionen auf die Jasminrevolution waren absurd. Die Polizei ging zu Tee- und Blumenhändlern und sagte: Ihr dürft keinen Jasmintee, keine Jasminsträucher verkaufen! Es war wie bei Orwell: Die Regierung versuchte das Wort Jasmin zu eliminieren, um den Menschen ihr revolutionäres Gedankengut auszutreiben. Schon lange kursierte im Internet ein lustiges Video von Premierminister Wen Jiabao, aufgenommen bei einer Afrikareise. Er sang ein Lied, in dem eine Jasminblume vorkam. Das wollte die Regierung dann löschen.
Wo haben die Polizisten Sie hingebracht?
In einen unterirdischen Bunker, der vermutlich extra für diesen Zweck eingerichtet wurde. Aber, in China festgenommen zu werden ist für uns Korrespondenten nicht so schlimm, wie es klingt. Mir wurden nicht mal Handschellen angelegt, ich bin auch noch nie gefoltert worden. Die Festnahme hatte auch keine spürbaren Konsequenzen. Ich kannte ja die meisten der Polizisten und mit mir wurden ein Dutzend andere Journalisten festgenommen.
Und die Demonstranten?
Einige sind zu langen Haftstrafen verurteilt worden. Darunter auch ein Anfang 20-Jähriger, der mit Twitter-Posts zu dieser Demonstration aufgerufen hatte.
Das ist hart.
Die harsche Reaktion zeigt, wie überrascht und besorgt die Regierung war. Kurz zuvor war ein Bloomberg-Kameramann krankenhausreif geschlagen worden. Vermieter wurden gedrängt, keine Journalisten mehr einzuquartieren. Die Familie der Freundin eines Kollegen wurde unter Druck gesetzt, damit er nicht über diese Demonstration berichtet. Das sind doch schon Gestapo-Methoden. Es gibt zwar auch sonst immer wieder Demonstrationen, aber sie richten sich gegen ein Chemiewerk oder einen korrupten Beamten. Nie gegen das System generell, das hat es seit dem Massaker auf dem Tian’anmen-Platz nicht mehr gegeben.
In Ihrem Pass steht auf Chinesisch „Journalist“ – gelten Sie dadurch als Staatsfeind?
Nein, nicht automatisch. Aber jedes Hotel, in das man eincheckt, muss das Visum kopieren und an die Sicherheitsbehörden faxen. Wir müssen sogar den Pass vorzeigen, um ein Zugticket zu kaufen. Man kann kaum unentdeckt reisen, fällt überall sofort auf. Ausländische Fernsehteams schicken deshalb oft Chinesen mit Kameras los.
Trotzdem gibt es immer wieder Festnahmen.
Ja, das passiert regelmäßig. Aber uns Korrespondenten kann ja nicht viel passieren. Die größte Gefahr besteht für unsere chinesischen Interviewpartner. Um die muss man sich am meisten sorgen.
Wie schützen Sie Ihre Interviewpartner?
Viele ahnen gar nicht, in welcher Gefahr sie sich befinden, wenn sie mit ausländischen Journalisten sprechen. Bauern oder Enteignete, zum Beispiel. Da ändern wir die Namen. Wenn man aber Ai Weiwei spricht, ist das natürlich etwas anderes.
Bekommen Sie Auflagen vom Staat? Oder gibt es ungeschriebene Gesetze?
Es gibt geschriebene und ungeschriebene Gesetze, die sich mit der Zeit geändert haben. Früher mussten wir jede Inlandsreise genehmigen lassen. Das war absurd. Einmal wollte ich nach Südchina in einen Freizeitpark fahren, für eine Geschichte mit dem Arbeitstitel „Die Chinesen entdecken den Urlaub“. Nach zwei Wochen hatte ich noch immer keine Genehmigung. Damals habe ich beschlossen, diese Regel zu ignorieren. Doch genau das ist die Idee dahinter: Wer gegen Regeln verstößt, gegen den kann die Regierung jederzeit vorgehen. Seit den Olympischen Spielen brauchen wir für Inlandsreisen keine Zustimmung der Regierung mehr und auch keine Begleiter. Das ist allerdings die einzige Regel, die sich gebessert hat. Sonst ist vieles immer komplizierter geworden.
Was zum Beispiel?
Unsere chinesischen Mitarbeiter werden stärker unter Druck gesetzt, öfter als früher von der Geheimpolizei zu Gesprächen eingeladen. Wenn sie gegen Regeln verstoßen, kommen sie auf eine schwarze Liste und werden es schwer haben, einen anderen Job im Mediensektor zu finden. Und das Internet ist ohne Tricks für Recherchen eigentlich nicht mehr zu gebrauchen. Ohne Virtuelle Privatnetzwerke, sogenannte VPNs, mit denen man Firewalls umgehen kann, läuft gar nichts. Ausländische Webseiten wie Google oder Facebook hat China längst ausgehebelt, indem chinesische Plagiate gegründet wurden. Die haben eine moderne Webseite, zensieren sich aber selbst und stehen unter der Fuchtel der Regierung.
Werden Sie abgehört?
Manchmal bekommt man durch Zufall mit, wie viel die Sicherheitsbehörden über einen wissen. Ich bin vor ein paar Jahren in Shanghai umgezogen und habe deshalb mit zwei, drei Maklern gesprochen. Dann bekam ich einen Anruf von dem Herrn, der sonst mein Visum verlängert. Er sagte mir: „Ich nehme an Sie wissen, dass Sie uns das melden müssen, wenn Sie umziehen.“ Um das zu wissen, muss er meine Telefonate mitgehört haben.
Haben Sie denn das Gefühl, in einer Diktatur zu leben?
China ist das anarchistischste Land überhaupt. Ein Kollege hat mal geschrieben: „Es gibt in China nicht einen Diktator, sondern Zehntausende!“ Das beschreibt die Situation ganz gut. Denn jeder Straßenpolizist, jeder Dorfbürgermeister, jeder kleine Beamte hat eine ganz eigene Vorstellung von Gesetzen und Vorschriften. Viele denken vor allem an die eigene Tasche, nicht an das Wohl des Staates. Es gibt keine Rechtssicherheit. Man kann sich auf keine Vorschrift, auf kein Gesetz verlassen. Das hat wirklich anarchische Züge. Viele Europäer haben da ein ganz falsches Bild.
Sie beschreiben in Ihrem Buch „Wenn Mao das wüsste“ das neue China. Was darf Mao nicht wissen?
China ist aggressiver im Kapitalismus und in der Verfolgung von materiellen Zielen als die meisten anderen Länder der Welt. Mao wäre davon schockiert. Wobei er das wahre China ohnehin nicht kannte: Weil er Flugangst hatte, fuhr er mit dem Zug. Die Behörden sorgten dann gerne dafür, dass wohlgenährte Bauern und Bäuerinnen mit Ährenbüscheln neben den Gleisen standen. So wie wir es von Propagandapostern kennen.
Wenn Sie Berichte über China in Deutschland lesen: Wird die Wirklichkeit so abgebildet, wie Sie sie erleben?
Ich glaube nicht, dass es die Aufgabe des Journalismus ist, die Wirklichkeit abzubilden. Nachrichten sind Abweichungen vom Alltag. Wenn ein Flugzeug abstürzt und wir berichten darüber, ist das nur ein Ausschnitt der Realität. Die meisten Flugzeuge kommen heil an. Als 2010 die Unruhen in Bangkok waren, haben wir über die Straßen berichtet, in denen geschossen wurde, in denen Menschen in ihrem Blut lagen. Gleichzeitig konnte man an 99 Prozent der thailändischen Strände völlig unbehelligt Urlaub machen. Den Lesern ist oft nicht klar, dass sie nur einen Ausschnitt betrachten. Das gilt auch für China.
Inwiefern?
Es stimmt, dass viele Menschen in China unzufrieden sind. Sie ärgern sich vielleicht über Korruption, teure Lebensmittel oder Inflation. Aber die meisten wollen keine andere Regierung. Nur wenige träumen von einem Systemwechsel, von so etwas wie Montagsdemonstrationen. Sie wollen keine Demokratie, sondern einfach nur Verbesserungen in der Partei. Sie haben Angst vor Unordnung. Die Partei ist für viele noch immer ein Garant für Stabilität. Nicht planen zu können, das ist für viele Chinesen eine Horrorvorstellung. Für mich ist aber wichtig, wie die Regierung die Menschen behandelt, die sich gegen sie stellen. Es die Aufgabe der Journalisten, auf diese ein oder zwei Prozent der Bevölkerung zu schauen.
China steht auf Platz 171 des Pressefreiheits-Index der Organisation Reporter ohne Grenzen. Noch schlechter werden nur sieben Länder eingestuft, unter anderem Nordkorea und Iran. Wie kommen Sie denn an Ihre Informationen?
Das ist oft unglaublich schwierig, selbst wenn es nur darum geht, wie viele T-Shirts oder Feuerwerkskörper in China hergestellt werden. Man muss immer noch Faxe schicken. Diese Beantragungsfaxe sind oft länger als der Text, der am Ende gedruckt wird. Es gibt meist keine Pressesprecher. Und wenn es sie gibt, sehen sie ihre Rolle nicht darin zu kommunizieren, sondern zu verhindern. Ich habe mich bewusst für Shanghai als Wohnort entschieden, obwohl die Stadt nicht das politische Zentrum Chinas ist. Aber das ist letztlich egal, weil man in Peking genauso weit von der Politik entfernt ist. Das ist wie früher die Kreml-Astrologie in Moskau. Wir könnten auch den Kaffee- oder in China vermutlich besser den Teesatz lesen und uns überlegen, was die Regierung entscheidet. Immerhin denken inzwischen nicht mehr alle Chinesen: Oh, ein ausländischer Journalist, der ist sicher ein Spion! Sie haben sich ein bisschen an Korrespondenten gewöhnt.
Worüber würden Sie gerne berichten, bekommen aber keinen Einblick?
Kein Journalist hat je einen echten Einblick in das chinesische Weltraumprogramm bekommen. Genauso ist es völlig unmöglich, eine Hintergrundgeschichte zur Volksbefreiungsarmee zu machen. Da kommt man einfach nicht weiter. Man merkt bei der journalistischen Arbeit, dass China noch ein Entwicklungsland ist. Das sehen viele deutsche Firmen oft nicht, die hierher kommen.
Wie ist die Lage für chinesische Journalisten?
Sie sind angehalten, positiv zu berichten. Das macht die Medien hier ziemlich langweilig, die Fernsehnachrichten sind unerträglich. Mir tun die Leute leid, die diesen Job machen müssen. Doch auch die chinesischen Medien müssen Gewinne erwirtschaften – und das geht nur mit gutem Journalismus. Es wird langsam besser.
Das heißt, die Kollegen trauen sich inzwischen mehr?
Es gibt immer mehr mutige Journalisten, die die Grenzen des Systems ausreizen, so weit es geht. Da gelten viele ungeschriebene Gesetze. Eins der wichtigsten ist: Wenn du einen Skandal aufdeckst, überlege gut, wen du angreifst. Je näher eine Person an der Zentralregierung ist, desto schwieriger wird es, über einen Skandal zu berichten. Ein echtes Problem ist auch der vorauseilende Gehorsam vieler Medien, die Selbstzensur. Weil die Regeln nicht klar sind, versuchen sie, vorwegzunehmen: Was könnte zensiert werden?
Gilt das für alle Themen – oder nur für die Politik?
Vor zwei Jahren hat in Shanghai ein Hochhaus gebrannt, Dutzende von Menschen starben. Ich dachte wirklich, dass über ein solches Thema offen berichtet werden kann. Doch dann kamen viele Missstände ans Licht: Die Feuerwehr hat, obwohl die Innenstadt hier längst aussieht wie ein Bambuswald aus Hochhäusern, keine Pumpen, mit denen sie über den 5. oder 6. Stock hinauskommt. Dann ist bekannt geworden, dass die ursprünglich vom Bauherrn beauftragte Firma den Auftrag an einen Subunternehmer weitergegeben hatte. Der wiederum an einen anderen. Das Ganze ist sechs Mal passiert. Viele der Firmen waren mit dem Staat verbandelt. Deshalb hat die Regierung das Thema dann strikt kontrolliert.
Trotz allem scheinen Sie gerne aus China zu berichten. Sie leben dort seit mehr als zehn Jahren. Warum?
Bevor ich nach China kam, habe ich in der politischen Berichterstattung in Bayern gearbeitet, das war oft frustrierend – und das genaue Gegenteil. Allein dieses Gefühl, an einem Ort zu sein, an dem Weltgeschichte geschrieben wird! Ich konnte in den letzten Jahren das größte Privatisierungsprogramm der Welt beobachten. Dabei zusehen, wie 250 Millionen Menschen aus der Armut gehoben wurden. Wie ein ganzes Land nach vorne drängt, an die Weltspitze. Und dabei versucht, seine Probleme in den Griff zu bekommen. Mir gefällt das dynamische Chaos in China und Probleme machen die Arbeit ja auch interessant. Ich habe mich hier noch keinen einzigen Tag gelangweilt.
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Am Donnerstag ist es mal wieder so weit – in Hollywood gehen zu unchristlicher Zeit Lichter und Fernseher an, weil die Oscar-Akademie um halb sechs morgens bekannt gibt, wer in diesem Jahr für die goldenen Männchen nominiert ist. Warum tut sie das um diese frühe Zeit, wenn selbst in Kalifornien noch nicht die Sonne scheint? Damit die Live-Übertragung auch zur besten Sendezeit im Frühstücksfernsehen an der Ostküste (der Westküste drei Stunden voraus) für hohe Einschaltquoten sorgen kann.
Daniel Day-Lewis braucht nicht den Fernseher einzuschalten. Er hat eine Nominierung sicher für seine Lincoln-Darstellung in Steven Spielbergs Bürgerkriegs- und Sklaverei-Geschichtsschinken. Michael Haneke für sein ‘Amour’ genauso. Spannender ist, ob die Akademiemitglieder auch Quentin Tarantinos Version der Sklavengeschichte ‘Django Unchained’ mit Nominierungen ehrt. Humor und Gewalt des blutigen Spaghetti-Western mit Oscar-Gewinner Christoph Waltz in einer Hauptrolle neben Jamie Fox, Kerry Washington und Leonardo DiCaprio dürfte für manche schwer verdaulich sein.
Auch spannend: ob die einzige Frau, die jemals einen Regie-Oscar gewonnen hat wieder eine Chance bekommt. Kathryn Bigelow löst nach ‘Hurt Locker’ mit ihrer Leinwandversion Osama bin Laden-Jagd ‘Zero Dark Thirty’ Kontroversen um Medienkooperation des CIA sowie um Sinn und Zweck von Folter aus. Ich wette, sie bekommt eine Nominierung.
Scheinbar ist auch sicher, dass das Kino-Musical ‘Les Miserables’ von den Akademiemitgliedern mit Nominierungen geehrt wird. Ich habe das Kostüm- und Gesangspektakel noch nicht gesehen. Singende Schauspieler sind einfach nicht meine Sache. Angeblich hat es das Zeug, den Erfolg von ‘Chicago’ von vor zehn Jahren zu wiederholen.
Heftig die Daumen drücke ich neben Christoph Waltz Quvenzhane Wallis. Die neunjährige Hushpuppy stiehlt in der wunderbren Mischung aus Realität und traumartigen Sequenzen ‘Southern Beasts of the Wild’ allen die Schow. Bekommt Quvenzhane eine Nominierung wird sie eindeutig der Liebling auf und um jeden roten Teppich.
Leider werde ich am Tag der Oscar-Verleihung, dem angeblichen Höhepunkt des Hollywood-Kalenders am 24. Februar, dank der zahllosen Nominierungen, Preisverleihungen und Ehrungen wie jedes Jahr komplett erschöpft und vor allem froh sein, wenn der letzte Oscar für den besten Film vergeben ist.
Neugierig wer gewinnt, bin ich trotzdem. Noch.
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Gestern war ein fantastischer Tag zum Geschenke kaufen. In kurzer Zeit hatte ich eine Liste abgearbeitet, die mich sonst im höllischen Weihnachtsirrsinn Manilas locker zwei Tage gekostet hätte. Aber gestern hätte man auf den sonst notorisch verstopften Straßen Autorennen veranstalten können. In den Geschäften bewegten sich nur die automatischen Santa-Claus-Figuren, und die sonst so hartnäckigen Verkäufer, die einem immer auf Schritt und Tritt folgen, glänzten durch Abwesenheit. Einfach großartig. Da kann ich nur sagen: „Danke, Manny Pacquiao!“ Denn wegen des Mannes aus Mindanao, der sich von ganz unten zu Ruhm und Reichtum durchgeschlagen hat, waren philippinische Städte gestern komplett leergefegt. Ungefähr so, als ob Deutschland im Finale einer Fußball-WM gegen Holland spielen würde. Fußball ist den Filipinos nicht so wichtig, aber Boxen ist es. Wegen Manny ist das so. Die klein gewachsene Kampfmaschine ist seit Jahren das größte Sportidol des Landes. Als Boxer hat er in mehreren Gewichtsklassen Weltmeistertitel eingeheimst und gestern wollte er in Las Vegas noch mal so richtig zuschlagen. Seit Wochen wurden in Manila Tickets gehandelt für Kinos, die den Kampf live übertrugen. Restaurants und Sportbars mit Pay-TV machten Reibach. Politiker, die im nächsten Jahr gewählt werden wollen, luden zum Public Viewing.
Wenn Manny boxt, hockt die Nation vor der Glotze. Offenbar auch Diebe und Dealer, denn die Kriminalstatistik ist an diesen Tagen so niedrig wie sonst nie. Leider ging die Sache gestern schief für Manny – in der letzten Sekunde der 6. Runde knallte ihm sein mexikanischer Gegner dermaßen eine aufs Kinn, dass das philippinische Boxidol erstmals in seiner Karriere K.O. zu Boden ging. Die Reaktionen hierzulande? Ach, schweigen wir. Eben so wie es Deutschland wäre, wenn unsere Fußballjungs das WM-Finale gegen Holland verlieren würde. Nur ich war vermutlich happy gestern wegen meines erfolgreichen Weihnachts-Beutezuges. Aber das traue ich mich nicht, irgendjemand hier zu erzählen.
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Ich wusste, dass die Deutsche Bank mir bei der Suche nach der Wahrheit im verworrenen Geflecht um Zwangsausweisungen nicht wirklich helfen wollte, als ich die Mail des Bank-Sprechers aus New York öffnete. Er hatte mir versprochen, der Text werde alles erklären, was ich wissen wollte. Er ist zwölf Seiten lang, hat reichlich Fußnoten und beginnt mit der Geschichte des US-Eisenbahnbaus im 19. Jahrhundert.
Ich konnte mir nun sehr gut vorstellen, welche Erfahrungen die kaum englisch sprechende Margarita Lucero gemacht hatte, als sie aus ihrem Haus geworfen wurde, erfuhr, dass die Deutsche Bank ihr Haus laut Besitzurkunde besitzt und der Sache auf den Grund gehen wollte. Bis dahin hatte Margarita nie etwas mit der Deutschen Bank zu tun gehabt. Jetzt wollte sie eine Erklärung und den neuen Hypothekenvertrag, den man ihr versprochen hatte. Sie erfuhr über Umwege, dass Deutsche Bank als Treuhänder Investoren vertritt aber nicht für Zwangsausweisungen zuständig ist. Diese unerfreuliche Arbeit erledigt Dienstleister Carrington Mortgage Service für das Geldinstitut.
Margarita Lucero hat 15 Jahre ihre Hypothekenraten pünktlich bezahlt. Vor zwei Jahren bat sie um niedrigere Raten. Sie bekam über Carrington Mortgages zweimal einen Übergangsvertrag mit dem Versprechen, wenn sie die Raten dafür pünktlich zahle würde sie eine neue Hypothek bekommen. Der zweite Übergangsvertrag lief aus. Eine neue Vereinbarung gab es nicht. Die Sheriffs kamen und warfen die Familie aus dem Haus. Margarita Lucero erfuhr, dass die Deutsche Bank ihr Haus besitzt – und dass niemand mehr mit ihr verhandeln will.
Sie wandte sich an die Occupy-Bewegung. Die prüfte den Fall und schaltete sich ein. Seit acht Wochen besetzen sie mit Mama Lucero Grundstück und Haus. Ihre Kinder, Bruder und Schwägerin sind bei Freunden und Verwandten untergebracht. Die Besetzer fordern von der Bank, dass sie der Familie Lucero, die nichts geschenkt haben will, ihr Haus mit einem fairen Vertrag zurück gibt. Sie demonstrieren, schreiben Briefe, rufen Politiker, Staatsanwälte, Banken und Konsulate an. Bisher haben sie keine Antwort bekommen. Jetzt bereiten sie eine Sammelklage gegen die Deutsche Bank vor. Familie Lucero ist nur einer von vielen ähnlichen Fällen in den USA.
Ich fragte die Deutschen Bank, ob die Familie Lucero lügt, wenn sie behauptet, dass die Bank ihre Zwangsausweisung veranlasst habe. Der Sprecher wich mit ausschweifenden Formulierungen voller Fachwörter aus. Dasselbe passierte auf die Frage, ob die Bank die Zwangsausweisung stoppen könnten. Danach bekam ich die Mail, die alles erklären sollte. Beides sind Fragen, die mit einem einfachen Ja oder Nein zu beantworten sind. Kein Wunder dass Mama Lucero ihre Hoffnung auf ein Weihnachten zu Hause mit ihrer Familie in die Hände der Besetzer legt, die mit Schlafsäcken, Zelten und Sofas in ihrem Garten leben.
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Aus irgendeinem Grunde ist Weihnachten zur Zeit des Überflusses geworden, es wird geschenkt, was das Zeug hält und gegessen bis es nicht mehr geht – nicht überall im so genannten Westen, doch auffallend häufig. Das große Fressen nicht nur zur Weihnachtszeit führt dazu, dass die Menschen immer dicker werden, wie internationale Statistiken über den BMI (Body Mass Index, aber das weiß mittlerweile wohl jeder). Zwar ist es da um Dänemark noch nicht so schlimm bestellt, aber es geht aufwärts. Vor allem aber haben die Dänen eine vergleichsweise niedrige Lebenserwartung – in Europa ist diese nur im Osten noch geringer.
Also, so dachte man sich in guter sozialdemokratischer Manier (auch wenn der Vorschlag von der eigentlich liberalen Partei Venstre kam), lasst und über Steuern steuern und fettes = ungesundes Essen teurer machen.
Im Herbst 2011 wurde deshalb eine Fettsteuer eingeführt (hier ein Text, den ich darüber mit Selina Marx für Die Gesundheitswirtschaft schrieb). Die aber war inskonsequent und nicht hoch genug, um wirklich das Konsumverhalten zu ändern und erfüllte letztlich nur einen Zweck: Haushaltslächer zu stopfen. Das widerum passte nach einigen Monaten und einer Wahl niemanden mehr. Auch nicht den Unternehmen, die meinten es sei zu viel Aufwand, die Steuer zu berechnen und außerdem würden die Kunden nun vermehrt in Schweden oder Deutschland einkaufen. Also beschloss die nunmehr sozialdemokratisch gelenkte Regierung vor kurzem die Steuer wieder abzuschaffen. Ein paar mehr Informationen dazu auch in meinem Artikel für das Wall Street Journal, den es hier im Original gibt und hier in deutscher Übersetzung.
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Heute der Generalstreik, nächste Woche die Parlamentswahlen: Katalonien steht zur Zeit etwas mehr im Interesse der Weltöffentlichkeit als normalerweise. Und das goutiert man sehr. Denn für fast nichts interessiert man sich hier so sehr wie über die veröffentliche Weltmeinung. Artikel in der Financial Times oder der New York Times werden breit rezipiert und intensiv diskutiert und das gute Dutzend internationaler Korrespondenten mit Sitz in Barcelona wird immer vors Mikro gebeten und auf Tertulias, diese ausufernden und lautstarken Diskussionsrunden, eingeladen. Allein in der letzten Woche hatte ich drei Interviewanfragen und eine Einladung auf eine Podiumsdiskussion. Die Fragen sind immer die gleichen: Was halten die Deutschen/Franzosen/Engländer von Kataloniens Unabhängigkeitsbestrebungen? Wie sehen sie uns als Volk? Glauben sie, dass wir auch als eigenständige Nation in der EU bleiben werden? Die Antworten sind natürlich bestenfalls spekulativ. Und da ich finde, dass meine persönliche Meinung über Unabhängigkeitsbestrebungen nichts zur Sache tut, sage ich immer häufiger ab, Ego-Schmeichelei hin, Ego-Schmeichelei her.
Auf der anderen Seite dagegen scheint unser Korrespondentenblick überhaupt nicht zu interessieren. Seit Wochen bemühen sich die hier ansässigen internationalen Journalisten um einen Termin mit Artur Mas, dem katalanischen Ministerpräsidenten. Zu voller Terminkalender, keine Chance.
Umso ärgerlicher dann zu lesen, dass die katalanische Regionalregierung Pressereisen für in Deutschland ansässige Journalisten organisiert, zu denen natürlich auf Gespräche mit dem Ministerpräsidenten gehören. In Madrid, so erzählten mir Kollegen, verfährt man ähnlich: Auch dort bemühen sich die Korrespondenten seit Wochen, gar Monaten um Interviewtermine mit diversen Ministern, auch dort lädt die Regierung lieber nach Gutdünken in Deutschland ansässige Politik- und Wirtschaftsredakteure zu Pressereisen und persönlichen Gesprächen ein.
Man muss keine Verschwörungstheoretikerin sein, um dahinter System zu wittern: Verspricht sich die katalanische/spanische Regierung davon, ihre Version der Dinge ungefiltert publiziert zu bekommen? Ohne den von Jahren Landeserfahrung “verstellten” Korrespondentenblick sozusagen? Ich zweifle nicht an der Kompetenz der deutschen Kollegen, solche Manöver zu durchschauen und objektiv zu berichten. Aber es ärgert mich, als Kollektiv so übergangen zu werden.
Vielleicht sollte man solche Manöver als indirektes Kompliment an unsere unbestechliche, kritische Arbeit werden. Ein schwacher Trost.