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So tickt(e) die mögliche neue Regierungschefin Islands

Kathrin Jakobsdóttir, damals isländische Kultusministerin, im Interview mit think:act

Katrin Jakobsdóttir, damals isländische Kultusministerin, im Interview mit think:act

Zwei Frauen dürften in Island nach der gestrigen Parlamentswahl künftig eine stärkere Rolle spielen: die Piratin Birgitta Jónsdóttir und die Linksgrüne Katrín Jakobsdóttir. Erstere hat zwar bisher vor allem im Ausland mehr Medienaufmerksamkeit genossen, doch letztere steht der Partei mit den zweitmeisten Stimmen vor (hier Links zu meinem Vorbericht zur Wahl am 29.10.) und hat bereits Regierungserfahrung. Jakobsdóttir hat also bessere Aussichten in einer neuen Koalition links der Mitte Regierungschefin zu werden. Vor einiger Zeit hatten die Piraten zudem gesagt, dass sie selbst wenn sie der größere Koalitionspartner sind, lieber eine Linksgrüne Premierministerin hätten.

Grund genug, sich Jakobsdóttir einmal genauer zu widmen. Ich habe sie mehrfach in Island und andernorts getroffen und publiziere hier gerne die deutschsprachige Version eines Interviews, das ich im Herbst 2012 am Rande der Buchmesse in Göteborg mit ihr für think:act, das Magazin von Roland Berger, führte.

„Was wir jetzt in Island erleben, ist die positive Seite der Krise“

Clemens Bomsdorf: Die europäische Banken- und Finanzkrise begann in Island. Nach dem Kollaps der isländischen Wirtschaft folgte der Einbruch in Europa. Solche Krisen kennen wir aus Filmen und Büchern, aber nicht aus dem echten Leben. Wo sehen Sie als Literaturwissenschaftlerin, die die isländische Wirtschaftskrise hautnah miterlebt hat, die Unterschiede zwischen Fiktion und Realität?

Katrín Jakobsdóttir: In der Literatur haben Krisen etwas Romantisches. Doch die Krise in Island war überhaupt nicht romantisch. Es kam alles sehr plötzlich: Wir waren vielleicht das erste Land, das abstürzte. Wir hatten dieses riesige Bankensystem, zwölfmal so groß wie unser BIP, und es brach einfach zusammen. Die Krise war in Island sehr ernst. Jetzt sehen wir die Gegenwart und die Zukunft positiver. Vielleicht werden uns diese Ereignisse eines Tages wie ein Roman vorkommen.

CB: Kurz bevor die isländischen Banken nach dem Crash nationalisiert wurden, schloss der damalige Premierminister Geir Haarde eine Ansprache mit „Gott rette Island“. Das klang wie ein Stoßgebet. Was dachten Sie, als Sie diese Worte hörten?

Kathrin Jakobsdóttir, damals isländische Kultusministerin, im Interview mit think:act

Katrín Jakobsdóttir, damals isländische Kultusministerin, im Interview mit think:act

KJ: Wir waren alle sehr überrascht. Natürlich hatten sich die Geschehnisse abgezeichnet. Meine Partei hatte schon einige Zeit Schwächen des Finanzsystems aufgezeigt. Doch niemand hatte mit diesen Worten gerechnet. Dieser Moment fühlte sich surreal an, wie aus einem Film. Island hat nur knapp über 300.000 Einwohner, und wir alle erlebten diesen Moment. Alle sahen die Rede – selbst Isländer im Ausland, die sich noch als Teil unserer winzigen Nation fühlten. Jeder weiß noch, wo er war, als er diese Worte hörte.

CB: Würden Sie jetzt, vier Jahre später, sagen, dass Gott Island tatsächlich gerettet hat? Was ist mit dem Land und seinen Menschen seitdem passiert?

KJ: [lacht] Nun, wir sind immer noch da. Vielleicht hat sich das isländische Volk seitdem nicht sehr verändert. Vieles, was Island ausmacht, seine Menschen und die Gesellschaft, gibt es immer noch. Ich weiß nicht, ob Gott Island gerettet hat, aber die Dinge haben sich definitiv nicht ganz so schlecht entwickelt wie erwartet.

CB: Ihre Partei ist schon immer dagegen, dass Island der EU beitritt. Trotz aller Probleme in der Euro-Zone – hätten eine Mitgliedschaft und eine gemeinsame Währung nicht geholfen, die isländische Krise zu verhindern?

KJ: Als Politikerin weiß ich, dass man keine hypothetischen Fragen beantworten sollte! Doch die beste Antwort auf diese Frage ist wahrscheinlich Irland. Leider gab es in Irland trotz seiner Mitgliedschaft eine ähnliche Krise wie bei uns. Beide Länder hatten gemeinsam, dass sie in den letzten zwei Jahrzehnten neoliberale Politiken umgesetzt hatten. Meines Erachtens ist das der Hauptgrund für die Krise.

CB: Als die Krise ausbrach, gab es in Island Demonstrationen, die aber im Vergleich zu denen in Spanien und Griechenland kleiner und gewaltlos waren. Warum reagieren Isländer so anders als Südeuropäer?

KJ: Wenn man bedenkt, wie wenig Einwohner Island hat, dann waren die Demonstrationen gar nicht so klein. Sie zogen 15-20.000 Menschen an, also 5-7 % unserer Bevölkerung – das entspräche in Spanien 3 Millionen Menschen und 700.000 in Griechenland. In meinem Land haben Proteste keine lange Tradition. Die einzigen richtigen Demonstrationen, die es vor der Krise gegeben hatte, fanden 1949 statt, als Island der NATO beitrat.

CB: Versuchen die Isländer – statt sich zu beschweren oder zu demonstrieren – lieber, mit den Dingen klarzukommen und das zu verändern, was sie können?

KJ: Da ist vielleicht was dran. Isländer arbeiten gern an den Dingen, statt nur gegen sie zu protestieren. In der Krise ist viel Positives passiert. Ich denke da an die Nationalversammlung, wo 1.800 zufällig ausgewählte Isländer in einem Stadion zusammenkamen und über die Werte für unsere Zukunft diskutierten. So steht z. B. Vertrauen hoch im Kurs.

CB: Oft heißt es, Island könne man aufgrund seiner Größe nicht mit anderen Ländern vergleichen. Stimmt das wirklich, oder ist das nur eine Ausrede, um eine Politik wie in Island nirgendwo anders umzusetzen?

KJ: Natürlich ist es ein kleines Land, und das hilft, wenn es um demokratische Teilhabe geht. Was wir jetzt in Island erleben, ist die positive Seite der Krise. Die Menschen sind sich ihrer Rollen und Möglichkeiten besser bewusst. Das ist die wichtigste Lektion, die uns die Krise erteilt hat: Dass wir alle für unsere Gesellschaft verantwortlich sind. Jeder kann etwas tun. Ich glaube, das gilt auch für größere Länder, obwohl manche Dinge in kleineren Ländern wahrscheinlich schneller gehen.

CB: Ihre politische Karriere ist durch die Krise erst richtig in Schwung gekommen. Die Neuwahlen brachten Ihre Partei in die Regierung. Wie hat die Krise Sie noch beeinflusst? Ohne zu persönlich zu werden: Hat sich die Krise auf Ihr Konto ausgewirkt?

KJ: Fast jeder in Island war von der Krise betroffen. Als der Crash kam, sanken die Hauspreise dramatisch, und die Hypothekenrückzahlungen stiegen, da sie inflations- oder an ausländische Währungen gebunden waren. Eine Freundin meinte neulich, es sei komisch, dass ich als Regierungsmitglied denselben Ärger mit meinen Hypothekenzahlungen habe wie sie. Aber das gilt für viele isländische Politiker. Dadurch können wir die Probleme der Isländer besser verstehen. Wie wir in Island sagen: Wir bzw. die meisten von uns sitzen in derselben Suppenschüssel.

CB: Welche politischen Entscheidungen haben Ihr Ministerium und andere getroffen, um die Krise zu bewältigen?

KJ: Wir mussten drastische Haushaltskürzungen vornehmen. Wir zahlen jetzt große Summen, um unsere Schulden zu tilgen. Wir wollten das Gesundheitssystem, die Schulen und das Wohlfahrtssystem verschonen. Doch wir haben auch dort gekürzt – bis zu 10 % in drei Jahren. Die öffentlichen Ausgaben in anderen Bereichen wurden in drei Jahren um 20 % gekürzt. In meinem Ministerium haben wir bei staatlichen Einrichtungen wie Museen und Bibliotheken gekürzt. Für mich war es wichtig, die Schulen zu verschonen, nicht nur als Bildungsstätten, sondern weil dort Menschen zusammenkommen. Wenn man seinen Job verliert, ist es wichtig, nicht allein zu sein. Durch den Ausbruch der Krise haben die Menschen das Vertrauen in das Finanzsystem und die Politiker verloren, aber sie glaubten immer noch an das Bildungssystem. Alle, ganz gleich welcher Herkunft, gehen zur Schule. Bildung ist kostenlos, und Schulen schaffen demokratisches Bewusstsein und Gleichheit.

CB: Island hat vom Internationalen Währungsfond (IWF), der von einigen für seine neoliberale Politik kritisiert wird, einen Kredit bekommen. Es heißt, die von Ihrer Regierung ergriffenen Maßnahmen entsprächen nicht den vom IWF in der Regel geforderten Reformen. Stimmt das?

KJ: Nun, wir sind noch nicht mit allen Maßnahmen fertig. Aber alles in allem haben Sie Recht. Die Beantragung des IWF-Kredits war m. E. ein verzweifelter Akt. Ich hatte gesehen, was der IWF von afrikanischen Ländern verlangt – drastische Haushaltskürzungen, Privatisierung etc. Wir haben Haushaltskürzungen vorgenommen, aber wir haben nicht viel von dem umgesetzt, was der IWF i.d.R. empfiehlt. Privatisierung stand nach der Krise nicht auf dem Plan, nur vorher, als wir eine rechte Regierung hatten. Aber die Menschen stehen diesem Prozess mittlerweile kritisch gegenüber, da sie merken, dass sie weniger Macht haben, wenn man Dienstleistungen privatisiert, und dass Abgeordnete nichts mehr zu sagen haben. Ich denke, Island hat die Krise ganz gut überstanden.

CB: Island hat Kapitalkontrollen eingeführt, um die Wirtschaft besser zu lenken. Momentan sind die Wechselkurse künstlich. Es sieht aus, als gehe es Island relativ gut. Aber ist das nicht eine weitere Blase – eine, die platzen könnte, wenn die Kapitalkontrollen gelockert werden?

KJ: Die Lockerung der Kontrollen wird sich auf jeden Fall auswirken. Wie das aussehen sollte, darüber gehen die Meinungen auseinander. Eine sehr schnelle Lockerung, wie sie einige wollen, würde der Wirtschaft definitiv einen Schlag versetzen. Die jetzige Regierung findet, man solle die Dinge langsam angehen.

CB: Um zur Literatur zurückzukommen: Bücher fordern manchmal unsere Ansichten und Gedanken heraus, indem sie uns neue Dinge erleben lassen. Die Isländer lesen mehr als andere Nationen. Hat ihnen die Literatur durch die Krise geholfen?

KJ: Ich glaube, schon. Isländische Autoren haben die Krise als Hintergrund für ihre Bücher genommen. Ich habe meine Magisterarbeit über isländische Kriminalliteratur geschrieben: Viele Krimis aus den Jahren 2008 und 2009 handeln von unehrlichen Bankern oder Politikern, die ermordet wurden. Also ja, ich glaube, wir haben die Literatur – Kriminalromane, aber auch ernstere Stoffe – therapeutisch genutzt.

 

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Island weg von Panama, hin zu Europa?

Auf dem Flughafen (fernab sowohl von Panama als auch von Island) sitzend, wird dies nur ein kurzer Blog-Post vor allem mit Hinweisen zu meinen Artikeln in Die Zeit online und Das Parlament.

Auf Island wird es sich nach dem kommenden Wochenende (Samstag, 29.10.) zeigen, wie es weitergeht. Nachdem das offshore-Konto seiner Frau (hier dazu mein Text für Zeit online) den Premier Sigmundur David Gunnlaugsson von der Fortschrittspartei im April zu Fall gebracht hat, steht der andere – und kaum weniger skandalöse – Koalitionspartner Unabhängigkeitspartei in Umfragen erstaunlich gut da. Doch zu einer Neuauflage der konservativen Zweierregierung dürfte es kaum reichen.

Also Zeit für die Opposition, die erheblich EU freundlicher ist. Oder es wird die neue liberal-konservative Partei “Reform” mit ins Bündnis aufgenommen. Auch das geht kaum, ohne wieder mit der EU über einen möglichen Beitritt zu sprechen. So ist unabhängig vom Wahlausgang die isländische EU-Annäherung ziemlich wahrscheinlich. Dazu und dazu wieso die Piratenpartei auf Island anders als in Deutschland und Schweden weiter gut da steht, mehr in meinem heutigen Artikel für Das Parlament, den es hier online zu lesen gibt.

 

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Weltreporter-Forum 2016 – hier ist das Programm!

Das Programm des Weltreporter-Forums 2016 in Raiding/Burgenland steht:

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Wir freuen uns mit unseren internationalen Gästen auf einen spannenden Sommer-Nachmittag auf dem Land. Und auf Sie!

 

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Die heftigen Folgen der Panama Papers auf Island

Wieder einmal ist Island im Zentrum eines Finanzskandals. Schon während der Finanzkrise im Jahr 2008 war der kleine Inselstaat besonders stark betroffen. Nun geht es auf Island derzeit wieder Knall auf Fall.

Der Knall:

Das offshore-Konto des Premierministers, mittlerweile komplett auf seine Frau überschrieben, wird erst auf Island bekannt, dann auch international. Durch die weltweite Aufmerksamkeit und die Details zu den versteckten Millionen, die der internationale Rechercheverbund ans Licht gebracht hat, gerät Sigmundur Davíd Gunnlaugsson in arge Bedrängnis.

Der Fall:

Erst demonstrieren gestern tausende von Isländern gegen ihn, dann will er heute erst das Parlament auflösen, was ihm der Präsident verweigert, schließlich lässt ihn die eigene Partei fallen und will den Agrarminister zum neuen Regierungschef machen. Hintergründe in meinem Artikel für Zeit online, der ein paar Stunden vor den Meldungen über den möglichen Wechsel an der Spitze der Regierung veröffentlicht wurde.

 

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The volcano nobody can pronounce

Mit Gewitterblitzen, Magmaklumpen und Rauchfontänen kommt der isländische Vulkan Eyjafjallajökull zu seinem pyroklastischen Höhepunkt. Am Tage malerisch eingerahmt von den kreisenden Hubschraubern der Networks, in der Nacht von Polarlichtern aus dem Sonnenwind. Die Asche, so berichten die leidgeprüften Insulaner, macht zunehmend Mensch und Tier zu schaffen: Der feinkörnige toxische Staub liegt auf Wiesen und Äckern, dringt durch Ritzen und Spalten in die Häuser ein, bedeckt die Möbel, reizt Augen und Atemwege.  Nachdem sich überraschend der Wind drehte, wurde am Freitag der Flughafen Kevlavik geschlossen – ohne übertriebene Vorwarnung ausreisewilliger Besucher.

Meine Kollegen von Print, Funk und Fernsehen sind dennoch mit viel Glück von der Insel gekommen. Sie erzählen haarsträubende Geschichten von amerikanischen Kollegen, die sich wagemutig auf den feurigen Gletscher absetzen lassen, wo sie sich heldenhaft neben dem  Höllenschlund in Szene setzen. Derweil geht die Sprachverwirrung weiter. Die meisten angelsächsischen Kollegen, so lässt CNN verlauten, haben das Bemühen aufgegeben, den isländischen Namen des Vulkans korrekt auszusprechen. Zugegeben, ein schlimmer Zungenbrecher. Nun ist meist nur noch vom „Vulkan“ die Rede. Denkbar wäre auch die sybillinische Abkürzung: TVNCP (siehe oben).

 

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Globalisierung (Fortsetzung)

Der Gerechtigkeit wegen sei erzaehlt, dass Globalisierung nicht nur muerrisch (siehe Teil 1), sondern auch Spass machen kann. Naemlich dann, wenn die 23jaehrige Shari Chopra aus Duesseldorf nach einer Zwischenstation in Namibia im aegyptischen El Gouna am Roten Meer das kleine Restaurant ‘Le Garage – Gourmet Burger’ eroeffnet und mir heute dort den besten Burger meines Lebens servierte. Blauschimmelkaese, Walnuesse und Weintrauben auf einem Fleisch, das offensichtlich im Hamburger-Himmel gegrillt wurde. Dabei sind Burger ueberhaupt nicht mein Ding!

Das alles nebst Salat und French Fries war jeden einzelnen Piaster der umgerechnet 11 Euro wert. Leute, fuer die Hamburger ein Statussymbol sind, finden auf der Karte ‘The Golden One’ fuer umgerechnet 40 Euro: Wagyu-Rindfleisch, Foie Gras, Carpaccio aus schwarzen Sommertrueffeln plus obendrauf essbares 22-karaetiges Blattgold. Fuer den dekadenten Gesamteindruck bietet sich der Blick an auf die Luxusjachten im Hafenbecken zehn Meter vor den Tischen. Kellner, Koeche wie Chefin des ‘Le Garage’ tragen schwarze bzw. blaue Automechaniker-Overalls.

Vom Hafen zum Ortskern fuhr ich mit einem jener original pakistanischen Busse, die in El Gouna wegen ihres schrillen Bollywood-Designs angeschafft wurden, vorbei an einer Aussenstelle der Technischen Universitaet Berlin.

Nachtrag zu den Vulkan-Gestrandeten: Gestern auf der Promenade in Hurghada eine Szene der Verzweifelung. Ein deutsches Touristenpaar fuehlt sich von den aegyptischen Souvenirverkaeufern genervt, die einen dort auf Schritt & Tritt anquatschen. Ploetzlich schreit die Frau einem von ihnen auf deutsch ins Gesicht: ‘Wir warten hier nur auf unser Flugzeug! Wir wollen NICHTS … MEHR… KAUFEN!’ Offensichtlich gibt es Orte, die findet man nur ganz nett, solange man zu jeder Zeit auch weg koennte. (Liebe Esther, vielen Dank fuer den wunderbaren Thomas-Mann-Vergleich, zu hoeren auf RBB radioeins hier ab Sekunde 37.)

 

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Gestrandet in Beirut

Wenn man als Tourist seinen Beirutaufenthalt zwangsweise verlängern muss, dann denkt in Deutschland gleich jeder: Da ist wieder eine Bombe hochgegangen, der Bürgerkrieg ausgebrochen oder die Israelis haben sich an der Hisbollah gerächt. Doch weit gefehlt! Meine Freunde aus Deutschland, die mich für eine Woche besuchen wollten, verbringen nun schon den vierten Tag unfreuwillig im Zedernstaat und lernen ihn besser kennen, als sie gehofft hatten.

Neue Museen werden aufgetan, im Strandclub frischen sie nun schon den zweiten Tag lang ihre Bräune auf – und natürlich genießen sie die libanesische Küche. Nur die 85jährige Mutter in Deutschland, die sehnlich auf die Rückkehr ihrer beiden Töchter wartet und sich Sorgen macht, weil Beirut ja schließlich grundsätzlich so ein gefährliches Pflaster ist, kann es nicht begreifen: Es ist der Vulkanausbruch auf Island, der an allem Schuld ist. Und einmal nicht die chaotischen Araber oder moslemischen Terroristen, wie das Vorurteil im Westen nahe legen würde. Hier geht das Leben seinen gewohnten Gang und meine lieben Freunde erfahren von den gastfreundlichen Libanesen eine besonders aufmerksame Behandlung – sind sie doch schließlich Opfer einer unverschuldeten Notlage. Und mit so was kennen sich die Libanesen aus!

 

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Auf zum Vulkan

„Ein Zeitfenster!“, schnauft der schreibende Kollege im Nebenraum. Hektik bricht aus: In Windeseile wird mit dem Flughafen telefoniert, ein Taxi bestellt. Vorher noch schnell nach Hause und dort den Koffer mit Zahnbürste, festem Schuhwerk und Pullover bepackt: Die Aschewolke über Stockholm hat sich vorübergehend gelichtet, das Flugverbot am Luftkreuz Arlanda wurde für ein paar Stunden gelockert  – am Nachmittag soll die erste Maschine seit Tagen nach Reykjavik gehen. Neidisch sehe ich den Kollegen enteilen – mich selbst halten andere Geschichten in Stockholm fest.

Wer es einrichten kann, macht sich spätestens jetzt auf dem Weg zum Vulkanschlot am Eyjafjallajökull. Ein Großteil der Maschinen bleibt auch heute am Boden. Niemand weiß, wie lange die Route nach Island noch offen bleibt.  Und niemand hat Gewissheit, wie und wann er von der Insel wieder herunterkommt.

Wer sich erfolgreich durchgeschlagen hat, wie der schwedische TV-Reporter Per Anders Engler, dem gelingen eindrucksvolle Bilder aus der Schwefelwolke. Der Schafsbauer Runar Grimarsson aus dem Weiler Saudhusvöllor zu Füßen des Gletschers bleibt auch im Angesicht der Naturgewalten noch stoisch gelassen. Nur bei seinen Pferden ist kein Halten mehr als sich der Wind nach Süden dreht.

 

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Vulkan in Nahbildern

Island kommt nicht aus den Schlagzeilen. Erst Bankenkollaps und Wirtschaftskrise, nun Vulkanausbruch. Ich war bis Anfang April auf der Insel und flog eine gute Woche vor dem zweiten Ausbruch wieder weg. Daher gibt es jetzt hier keine Live-Berichte, aber das können die Experten aus Island ja visuell besorgen. Dort startete der örtliche metereologische Dienst einen Überwachungsflug und brachte ein paar Bilder von der Aschewolke mit, die auf der Website des Dienstes zu sehen sind.

Meine isländischen Bekannten aus Reykjavík berichten, dass das tägliche Leben in der Hauptstadt trotz allem seinen gewohnten Gang ginge. Wer sich vom Bankenkollaps nicht aus der Ruhe bringen lässt, der kommt auch wegen eines Vulkanausbruchs nicht aus dem Tritt. Aber natürlich sei der Ausbruch ein großes Thema und auch in Reykjavík zu spüren: die Benzinpreise seien gestiegen.

 

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Papa, was ist eigentlich Globalisation?

Nun, mein Junge, es heisst Globalisierung, und Globalisierung ist, wenn in Island ein Vulkan ausbricht, und ich hier in Afrika kein Hotelzimmer finde, weil massenweise Urlauber nicht in ihre Heimatlaender reisen koennen. Deren Rueckfluege wurden naemlich gestrichen.

Die Hotelbetreiber in Hurghada, wo ich heute zwangsweise eintraf, weil ich was recherchieren muss, also diese Hotelbetreiber in dieser Pauschaltouristenhoelle sagen ihren Gaesten, sie sollten nun selber sehen, wo sie bleiben, weil man den Touristen, die aus Russland jetzt ankommen, ihre gebuchten Zimmer nicht verweigern koenne. Deren Fluege wurden ja nicht gestrichen.

So fuehrt der Vulkanausbruch auf Island zu einem Touristenstau in Afrika. Und zu einer Preisexplosion bei den Zimmerpreisen, denn dieselben Hotelbetreiber haben angesichts der zwangsgestiegenen Nachfrage flugs die Raten um schaetzungsweise 30 Prozent erhoeht, gepriesen seien die Naturgewalten. Man kann also sagen, dass mein Geldbeutel in Afrika duenner wird, wenn auf Island ein Vulkan ausbricht. Das ist Globalisierung – oder besser die noch etwas unausgereifte Beta-Version davon.

Ganz zu schweigen davon, dass ich diesen Blogeintrag hier im Internetcafe nahezu blind auf einem kyrillischen Keyboard schreibe.

 

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Pfannkuchen versüßen die Krise

Sich schnell auf geänderte Situationen einstellen zu können, ist eine der großen Qualitäten der Menschen auf Island. Früher, als noch fast jeder Fischer war (und das ist gar nicht so lange her), galt es schnell zu handeln, wenn das Wetter gerade richtig war, um auf Fang zu fahren. Daher rühre die Flexibilität, heißt es.

Etliche Isländer haben aufgrund der Krise ihr Konsumverhalten anpassen müssen. Die weiterhin stets gut gefüllten Bars erwecken nicht den Eindruck, als habe das beim Verzehr von Alkohol wirklich geklappt. Bei etlichen Dingen sieht es aber anders aus. Wegen des Verfalls der Krone werden Importe wo möglich durch auf Island produziertes ersetzt – Islandpullover kommen plötzlich auch außerhalb linksalternativ angehauchter deutscher Pädagogenkreise wieder in Mode und statt Basmatireis gibt es nicht nur auf Bauernhöfen Kartoffeln. Sparen muss ja nicht heißen, dass es sich wirklich schlecht lebt.

In den Cafés ist derzeit der Pfannkuchen wieder hoch im Kurs – ein Gebäck, dass es außerhalb des Kindergeburtstages in der jüngeren Vergangenheit nur selten zu sehen gab. Doch der Pfannkuchen ist leicht produziert und entsprechend preiswert: nur 100 Isländische Kronen pro Stück – keine 60 Cent! So lässt sich mit einfachen Mitteln die Krise versüßen. Warum auf Cantuccini zurück greifen? Weniger ausgeben, muss eben nicht immer heißen, wirklich verzichten zu müssen.

 

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In größter Not

Wer einmal am eisigen Mahlstrom des Dettifoss oder am kalbenden Gletscher Vatnajökull stand, der weiß, was Naturgewalten sind.  Die Isländer sind es gewohnt, den Elementen hilflos ausgeliefert zu sein. Doch ihr Tanz auf dem Vulkan fand mit dem Finanzbeben im Herbst 2008 ein jähes Ende.  Sturmfluten wurden ausgelöst, die nun über die 320 000 Insulaner hinweg rollen.  Die roten Brandfackeln der Demonstranten vor dem Amtssitz ihres Präsidenten  Ólafur Ragnar Grimson sind Zeichen der größten Not. Viele verloren Arbeit und Altersgelder, müssen um Haus und Auto bangen, weil sie hoffnungslos überschuldet sind.

Das Volk möge nun entscheiden, ob der vom Parlament beschlossene Plan zur Entschädigung ausländischer Kunden der Internetbank Icesave Bestand haben soll. Eines steht fest: Islands Banken – und notfalls die Regierung – müssen für die Pleite haften. Und die Gläubiger haben alle Trümpfe in der Hand. Verweigern sich die Isländer der Rückzahlung, stehen weitere Teilzahlungen des Hilfspakets in Frage. Und auch der Beitritt des Landes zur Europäischen Union.

Wenn nun der Souverän über den künftigen Kurs bestimmen soll, dann ist das auch eine Bankrotterklärung der Politik. Konservative und Fortschrittspartei hätten den Rückzahlungsplan um ein Haar schon im Parlament zu Fall gebracht. Ausgerechnet jene schüren jetzt die Massenproteste, die Island an den Rand des Abgrunds brachten. Indem sie junge Banker einfach machen ließen, mit denen sie einst die Schulbank teilten.  Vetternwirtschaft, Korruption und Mauschelei zwischen Politik und Hochfinanz sind das eigentliche Übel. Mit dem Plan, die rot-grüne Regierung zu stürzen, ist wohl auch die Hoffnung verbunden, von der Aufklärung dieser Machenschaften verschont zu bleiben. 

Regierungschefin Johanna Sigurdadottir betont, Island werde sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Ihr muss es nun gelingen, das revoltierende Volk bis zum 20. Februar von den bitteren Notwendigkeiten zu überzeugen. Gelingt es ihr, steht sie stärker da als je zuvor. Die Abrechnung in Island könnte endlich beginnen.

 

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Kaupthing lässt Journalisten jetzt in Ruhe recherchieren

Seit dem Ausbruch der Finanzkrise auf Island oder soll man besser sagen seit dem Zusammenbruch der Banken dort, tauchen ständig neue Gerüchte darüber auf, wie die Banker ihre Stellung systematisch ausgenutzt haben und so zum Absturz beigetragen haben. Schon lange heißt es, die Finanzinstitute hätten ihre größten Eigner mit sehr vorteilhaften und risikobehafteten Krediten bedient. Ende vergangener Woche (also Ende Juli) tauchte dann ein internes Dokument der Kaupthing Bank auf, dass genau dies bestätigte. Erst kursierte es auf Island, von wo aus auch ich es zugesteckt bekam (siehe den Bericht in der FTD). Für jedermann ist es auf der Seite von Wikileaks zugängig. Das war der mittlerweile verstaatlichten Kaupthing zu viel. Sie schrieb an Wikileaks und forderte, dass das Dokument entfernt werde. Doch das gelang nicht. Auch an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk RUV, der in der Abendsendung berichten wollte, wandte man sich. Hier ließ Kaupthing eine Verfügung zustellen und untersagte den Bericht, schließlich gehe es um das Bankgeheimnis.
Die auch für die Medien zuständige Kultusministerin Katrin Jakobsdóttir forderte daraufhin eine Gesetzesänderungen, damit die Journalisten nicht in ihrer Arbeit behindert werden. Schließlich wollen sie die Isländer darüber aufklären, was in ihren Banken geschehen ist und wie diese den Crash in dem Land mit verursacht haben.
Genau deshalb protestierten die Isländer im Netz und in Gesprächen gegen die Blockadepraxis von Kaupthing. Mit Erfolg. Die Bank will fortan nicht mehr gegen die Veröffentlichung des Dokuments vorgehen.

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