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Kalifornien – Spitze des Trump-Widerstands

In der Nacht, in der Donald Trump über Hillary Clinton triumphierte, konnten viele Menschen nicht einschlafen.

Ich war so ein Mensch.

Auch die Sprecher des kalifornischen Kongresses waren lange wach. Senatssprecher Kevin de Léon und Kollege Anthony Rendon aus dem Abgeordnetenhaus telefonierten hin und her. Am Morgen gaben sie eine gemeinsame Erklärung heraus, die mich aufatmen ließ. Ehrlich gesagt, machte sie mich mal wieder richtig froh, in diesem Bundesstaat zu leben. Und diesmal nicht wegen des Wetters.

Sie schrieben:

“Heute morgen sind wir mit dem Gefühl aufgewacht, Fremde im eigenen Land zu sein. Denn gestern haben US-Bürger Ansichten über eine pluralistische und demokratische Gesellschaft ausgedrückt, die absolut unvereinbar mit den Werten der Kalifornier sind. … Wir sind stolzer als je zuvor, Kalifornier zu sein. Donald Trump mag die Wahl gewonnen haben, aber er hat unsere Werte nicht verändert. Wir werden den Widerstand gegen jeglichen Versuch, unser gesellschaftliches Gefüge oder unsere Verfassung zu zerstören, anführen. Kalifornien war nicht Teil dieses Landes als seine Geschichte begann, aber offenkundig sind wir heute der Wächter über seine Zukunft.”

Nur etwas mehr als 30 Prozent der kalifornischen Wähler hatten Donald Trump ihre Stimme gegeben. In Los Angeles waren es kaum mehr als zwanzig Prozent und in San Francisco sogar weniger als zehn Prozent.

Deshalb ist es nur folgerichtig, dass Kalifornien seit einem Jahr den Widerstand gegen die Politik von der anderen Seite des Landes anführt – in Sachen Immigrations-, Bildungs-, Gesundheits- und Klimapolitik. Kaliforniens Justizminister Xavier Becerra reichte mehrere Dutzend Klagen gegen Trump-Erlasse ein. Gouverneur Jerry Brown bezeichnete die Entscheidung von Präsident Trump, aus dem Pariser Klimaabkommen auszusteigen als “verrückt”. Er reist durch das ganze Land und die Welt um Klima-Allianzen zu schmieden. Trump poltert gegen die Kritik von der Westküste, revanchiert sich mit verbalen Tiefschlägen und Erlassen, die Kalifornien besonders negativ treffen. In einem Interview mit seinem Lieblingssender FOX sagte der US-Präsident Kalifornien sei “seit langem außer Kontrolle, wie man ja wisse”.

Kaliforniens Gouverneur beschäftigt sich glücklicherweise nicht lange mit Tiraden und Attacken aus Washington. Lieber schafft er Tatsachen im bevölkerungsreichsten und wirtschaftlich stärksten US-Bundesstaat. Gerade tourt er durch Deutschland und Europa, um weitere Verbündete zu finden im Kampf gegen die Erderwärmung. Für nächstes Jahr lädt er die Welt zum Klima Aktions Gipfel nach San Francisco ein.

Es tut gut, buchstäblich auf der anderen Seite der USA zu leben. Nicht nur wegen des Wetters.

Mehr zum Widerstand aus Kalifornien in meiner Sendung für SWR2 Wissen

 

 

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Dänische Alternativen für Deutschland

Rechtspopulistische Parteien sind keine Neuheit in nationalen Parlamenten. In Dänemark sitzt die Dansk Folkeparti (DF), die Dänische Volkspartei, schon seit fast 20 Jahren im Folketinget.

Das muss man erstmal schaffen: Parteigründung 1995, erstmals ins Parlament eingezogen 1998 – und in der Opposition de facto Regierungsmacht 2001 bis 2011 sowie seit 2015. Die Dänische Volkspartei ist seit langem ein bedeutender Faktor in der dänischen Politik – sehr zum Schaden vor allem der Sozialdemokraten. „Die DF hat ihnen Themen weggenommen. Seit sie aber bereit sind, auch strammere Integrations- und Flüchtlingspolitik zu diskutieren, stabilisiert sich die Lage der Sozialdemokraten“, urteilt Kasper Hansen, Professor für Politikwissenschaft an der Uni Kopenhagen.

Die DF ist auch so stark geworden, weil die klassischen Parteien lange nicht über Herausforderungen der Migration reden wollten und es versäumt haben, ihre eigenen Lösungsvorschläge zu präsentieren. Nun treibt die Partei Sozialdemokraten wie Konservative vor sich her.

Aus dem Erfolg der Rechten in Dänemark kann gelernt werden. Vor allem, dass Wähler nicht technokratisch von oben herab behandelt werden wollen, dass sie und nicht nur die Politik Agenda setting betreiben wollen und dass es nicht viel nutzt, irgendwann auf einmal die harte Linie der Rechten quasi zu kopieren. Was der langanhaltende und fast stetig größer werdende Erfolg der Dänischen Volkspartei über den Umgang mit der AfD und deren Wählerpotenzial lehren kann, habe ich in einem längeren Beitrag für “Internationale Politik und Gesellschaft” erläutert. Online hier zu lesen.

 

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Nach Stockholm: Ein Beitrag zur Debatte um Terror und Journalismus

Vorvergangenen Freitag, 7. April 2017, wurde ein Anschlag in der Stockholmer Innenstadt verübt. Ähnlich wie in Berlin raste ein LKW durch die Fußgängerzone und der Fahrer ermordete so vier Menschen. Vier Menschen, die ihren Angehörigen entrissen wurden und deren Leben durch Terror gewaltsam beendet wurde. Eine schreckliche Tat, die dazu geführt hat, dass viele Schweden öffentlich ihr Mitgefühl ausgedrückt sowie der Polizei gedankt haben.

Kommentare zu meinem DW-Kommentar

Kommentare zu meinem DW-Kommentar (Screenshot)

Über die Hintergründe des mutmaßlichen islamistischen Terroristen habe ich unter anderem für Zeit online (hier über die schwedischen Reaktionen und hier unmittelbar nach der Tat) berichtet und auch einen Kommentar für die Deutsche Welle geschrieben. Auf Artikel und Kommentar wurde wiederum mit einigen Leserkommentaren geantwortet. Die Debatten, die das Internet ermöglicht, sind eine hervorragende Möglichkeit, das Meinungsmonopol (wenn man es denn so nennen möchte) der Journalisten zu brechen.

Ziemlich häufig jedoch, geht es längst nicht um Debatten, sondern was in den Kommentarspalten zu lesen sind, sind Pauschalverurteilungen und Wutausbrüche. Als Antwort auf einige Kommentare unter meinem Kommentar für die Deutsche Welle habe ich selber eine Antwort verfasst. Denn Debatten sind es, die nötig sind, und nicht Pauschalvorwürfe. Hier also meine Antwort (die bei DW nicht mehr veröffentlicht werden konnte, da die Kommentarfunktion nur kurzzeitig offen ist):

“Vielen Dank für die zum großen Teil kritischen Kommentare, auf die ich gerne kurz antworten möchte. Die Angehörigen der Opfer dieser grausamen Tat verdienen unser aller Mitgefühl und denen, die in Stockholm getötet worden sind, gilt es zu gedenken. Das ist bei einer solchen Tat eine Selbstverständlichkeit und anders als manch Kommentator schreibt, meine ich nicht, dass „die Opfer und ihre Familien schnell vergessen werden müssen“. Derartiges steht in meinem Kommentar nicht. Das wird jedem, der diesen wirklich gelesen hat, klar sein.

Was ich in meinem Kommentar hingegen tue, ist auf die gesellschaftlichen Folgen einer derartigen Terrortat zu fokussieren. Das heißt ganz und gar nicht, die schrecklichen Folgen für die Familien in Abrede zu stellen. Dass manch ein Leser es so gelesen hat, gibt mir zu denken, manchmal kommt man nich umhin zu erwägen, ob es Leser gibt, die aus einem Text nur das herauslesen, dass sie lesen möchten. Für eine Familie ist es grausam, einen Angehörigen durch eine derartige Terrortat zu verlieren, diesen gilt unser Mitgefühl.

Im Text erwähne ich auch andere Taten und Unfälle, die in Teilen dem aktuellen Attentat ähneln. Immer wieder wird einem bei Vergleichen der Vorwurf gemacht, gleichzusetzen. Doch vergleichen und gleichsetzen sind verschiedene Dinge. Von daher wird in diesem Text Terror nicht mit einem Unfall gleichgesetzt. Verglichen werden kann, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten. Das mag manchmal schwieriger sein als einfach gleichzusetzen, doch es sind die differenzierten Betrachtungen, die Diskussionen ermöglichen, die Politik und Gesellschaft weiterbringen können. Wer die Terrorgefahr überhöht und andere Risiken verdrängt (so sind alleine im Januar auf Deutschlands Straßen 234 Menschen ums Leben gekommen – Tendenz glücklicherweise fallend), hat einen großen Wunsch der Terroristen womöglich schon erfüllt: panisch und irrational zu reagieren.

Zuletzt noch kurz zum Zitat des israelischen Historikers Yuval Noah Harari. Es handelt sich selbstverständlich um eine Art bildhaften Vergleich. Ihm geht es explizit darum, was derartiger Terror (die Fliege) mit Europa (der Porzellanladen) macht. Auch Harari spricht also von gesellschaftlichen Auswirkungen und nur weil er die schrecklichen Folgen für die einzelnen Familien nicht erwähnt, negiert er diese noch lange nicht. Es geht auch ihm um eine Betrachtung der möglichen gesellschaftlichen Bedrohung. Das gesamte Interview mit ihm ist im Spiegel 12/2017 erschienen und auch online zu lesen (derzeit jedoch nur gegen Bezahlung). Dass Terrorismus (die Fliege) bekämpft werden sollte, dafür würde sich sicherlich auch Harari aussprechen.

Dass Terror durch geschlossene Grenzen nicht verhindert wird, zeigen Beispiele der letzten Jahrzehnte wie NSU und RAF. Und: Nein, andere (rechts- wie linksxtremistische) Terrortaten zu erwähnen, ist weder Gleichsetzung noch Verharmlosung islamistischen Terrors, sondern lediglich ein differenzierter Beitrag zur Debatte.”

 

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Aufgerüttelt – Die Bewegung für soziale Gerechtigkeit unter Trump

Ich weiß nicht, ob ich mich jemals daran gewöhnen werde diese Worte zu schreiben: US-Präsident Donald Trump. Egal, in wenigen Tagen ist es soweit. Und es gibt viele Gründe, sich große Sorgen nicht nur um die USA zu machen.

Ich erlebe die direkten Konsequenzen unter anderem, wenn ich in einer Schule jungen Autoren als Tutorin helfe und wir einen Großteil unserer Zeit damit verbringen, auf Ängste von Jugendlichen einzugehen. Sie befürchten, dass sie selbst oder ihre Eltern bald abgeschoben werden, weil sie keine Papiere haben. Diese Ängste sind hervorragendes Material für Geschichten, die Mitgefühl, Wut und Verständnis auslösen. Sie sind keine gute Grundlage für konzentriertes Lernen und produktive Pläne.

Was mir Mut macht: Kalifornien wird ein Bollwerk gegen eine Regierung sein, die Umweltschutz-Regulierungen und universelle Krankenversicherung abschaffen will, die ankündigt, Millionen von Menschen abzuschieben, auszugrenzen und eine Mauer zu bauen.

Zwei Geschichten, die ich in den vergangenen Wochen innerhalb und außerhalb des Westküstenstaates recherchierte, haben außerdem meinen Optimismus geschürt.

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Da war zuerst mein Besuch im Standing Rock Camp von North Dakota. Aus einer kleinen Ansammlung von Zelten und Tipis wurde ein Lager, in dem zeitweise mehr als 7000 Menschen friedlich gegen die Dakota Access Pipeline demonstrierten. Bis heute kommen an der Flussmündung von Missouri und Cannonball River Jung und Alt zu Gebeten, Zeremonien und Gesängen zusammen. Hier haben erstmals US-Kriegsveteranen die ersten Völker der USA um Vergebung für Zerstörung ihrer heiligen Stätte und ihrer Kultur.

Der Chef der Pipeline Firma Energy Transfer Partners hat angekündigt, weiter zu bauen. Er rechnet damit, dass er die Genehmigung zur Vollendung seines Projekts bekommt, sobald Trump das Amt übernimmt.  Gegendemonstranten bezeichnet Kelcy Warren lachend als naiv. Der Milliardär aus Texas hat mehr als 100 tausend Dollar in Trumps Wahlkampf investiert, der will die Förderung von fossilen Brennstoffen verstärken, der ehemalige Exxon-Chef wird vermutlich Außenminister und Rick Perry, ehemaliger Gouverneur von Texas, wird Energieminister. Perry ist im Vorstand von Energy Transfer Partners.

Und warum genau macht mich das optimistisch?

Weil trotz alledem – oder genauer gesagt: gerade deshalb – die Bewegung zusammenhält, weiter Zulauf bekommt, die Unterstützung für das Standing Rock Camp nicht nachlässt und weil Menschen aus aller Welt in das eiskalte North Dakota kommen, auch um von dem Vorbild für gewaltlosen Widerstand zu lernen. Mir sagte einer der Älteren, Lakota Johnnie Aseron, dass wir alle Gesprächskreise gründen sollten, um gemeinsam zu überlegen, wie wir am besten mit verschwindenden Rohstoffen und wachsender Bevölkerung umgehen. Ich habe viele junge Leute getroffen, die genau das tun wollen, die füreinander einstehen, über gemeinsame Werte diskutieren und nach ihnen handeln. Sie sind entschlossen, die Veränderungen herbeizuführen, die ihnen keine Wahl und keine der bestehenden Parteien gebracht hat. Das macht mich optimistisch.

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Dann kam vergangenes Wochenende: nicht nur protestierten im ganzen Land Tausende gegen die Abschaffung der Krankenversicherung und gegen Diskriminierung, für soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz und Pressefreiheit. Ich interviewte eine Woche vor der Amtseinführung von Donald Trump Drehbuchautor, Regisseur, Schauspieler und Theaterdirektor Tim Robbins über die Aufgabe von Kunst in Zeiten von tiefer gesellschaftlicher Spaltung und einem Präsident Trump. Der Bernie-Sanders-Anhänger startete an seinem Theater eine Serie von Foren zur Stärkung zivilen Diskurses. Robbins plädiert für Bescheidenheit und dafür, nicht anderen die Schuld am Ausgang der Wahl zu geben. “Etwas hat nicht gestimmt, etwas war krank in unserer Gesellschaft und die Antwort auf die Frage, was das war, liegt bei uns.” Für den Umgang mit dem neuen Präsidenten warnt er vor Provokationen. Er vergleicht die Situation mit der Konfrontation einer Klapperschlange: wenn man sie provoziert, beißt sie zurück, wird noch größer und strahlt mehr Macht aus. “Wir brauchen einen Dialog, eine Bewegung, die diese Klapperschlange umgeht und nicht die provoziert, mit denen wir nicht einer Meinung sind.”

Dieser Dialog ist noch sehr chaotisch. Aber er findet statt auf vielen Ebenen und die Wahl von Donald Trump hat ihn paradoxerweise gestärkt. Und das macht mich sehr optimistisch.

 

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Die nicht so schöne Wahrheit – Obdachlos in Los Angeles

Verstörende Bilder und Töne vom Erschießen eines Obdachlosen mitten in Los Angeles erinnern mich an die Stunden, die ich erst vor Kurzem dort verbracht habe – bei der alle zwei Jahre stattfindenden Obdachlosenzählung.
Auf dem Weg vom Parkplatz zu der Unterkunft, an der der Zählung beginnen sollte fielen mir natürlich die Zelte, die aus Planen und Tüchern improvisierten Lager, der Müll und der Gestank auf. Marihuanaschwaden waren eine willkommene Abwechslung zu Wolken aus Urin und saurem Schweiß. Bilder, die mich bis heute verfolgen sind die von Kleiderbündeln, die ich auf der Straße sah und nicht wusste, ob darin ein Mensch verborgen ist, plötzliche Schreie, die scharfe Warnung eines Vorbeigehenden, vorsichtig zu sein, der fast zahnlose Mann, der aus einer zerrissenen Plastiktüte Socken verkaufen wollte und die vielen mutlosen, verzweifelten und leeren Augen.
Die Gruppe, die ich bei der Zählung begleitete, begann mit der Befragung von S., einer 49 jahre alten Frau, die sich im Wartesaal der Unterkunft ausruhte.

Obdachlos, 49 Jahre alt, Schlafplatz Busbank

Obdachlos, 49 Jahre alt, Schlafplatz Busbank


Sie erzählte, dass sie seit 20 Jahren mehr oder weniger obdachlos ist, in einem Kreislauf aus Arbeitslosigkeit und Wohnungssuche steckt, der sie zur Verzweiflung bringt. Das Leben auf Skid Row, wie dieser Teil von Los Angeles heisst, macht sie wortwörtlich krank. Ihm zu entfliehen scheint eine unerreichbare Vision.
Skid Row ist wie eine andere Welt mitten in der Stadt. Kein Small Talk, keine blank geputzten Limousinen, keine vorgetäuschte Freundlichkeit, kein Wellness oder Botox, keine Hipster und keine Promis (außer an Thanksgiving und Weihnachten), keine Meeresbrise und keine Poolparties. Wer es nicht sehen will, fährt auf der Stadtautobahn weiträumig am Viertel vorbei.
Allerdings: Downtown LA boomt und Skid Row ist nur wenige hundert Meter von den neuen Restaurants, Bars und Lofts entfernt. Der Bürgermeister verspricht, das Obdachlosenproblem zu lösen, nicht nur an einen anderen Ort zu verlegen.
S., bekam für das Beantworten der Fragen einen Fünf-Dollar-Gutschein für ein Fast Food Restaurant. Bevor sie mit ihrem kleinen Rollkoffer loszog zu ihrem Schlafplatz – einer Bushaltestelle – sagte sie:”Ich hoffe, die Zählung bringt Veränderungen,”
Ich wünschte, sie könnte sich darauf verlassen.

Hier können Sie nachhören, was S. gesagt hat.

 

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Soccermania – USA fußballverrückt

Ich kann’s noch immer kaum glauben – Sportfans in den USA sind Fußballfanatiker geworden. Public Viewing an jeder Ecke, alle Fernseher in den Sportsbars auf WM programmiert, jedes Spiel LIVE im Fernsehen, auf Spanisch und Englisch. US-Mannschaftstrikots ausverkauft. Twitter, facebook und Instagram leuchten auf mit Fußball-posts! Wir können uns aussuchen, wo wir Spiele anschauen und die Bars sind proppevoll mit Fans aus allen Ländern – inklusive denen aus den USA!

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Den letzten Beweis, dass Fußball in den USA in Siebenmeilenstiefeln forangeschritten ist seit ich 2003 in Los Angeles angekommen bin liefert mir der Ehemann. Der kennt sämtliche Statistiken des anderen Football (der Sport mit dem Lederei und der martialischen Ausrüstung) auswendig und hat sich bisher nicht sehr für Fußball interessiert. Jetzt kommt er von der Arbeit nach Hause und fragt zuerst: “Wer hat heute gespielt und wie ist es ausgegangen?” Dann schaltet er den Fernseher ein, schaut sich Wiederholungen und Kommentare aus Brasilien an.

Vor acht Jahren war ich mit anderen Fußballfreunden wie eine kleine Untergrundorganisation auf der Suche nach legalen Zuschaumöglichkeiten. Meistens mussten wir zu Hause die hispanischen Kanäle einschalten, um Spiele in voller Länge live zu sehen. Das tun wir auch heute noch, aber freiwillig. Es ist einfach spaßiger, den leidenschaftlichen Kommentatoren zuzuhören, wie sie auf spanisch jubeln, fluchen und verzweifeln. Im US-Fernsehen hört sich Fußballkommentar meist an wie die Analyse eines Golftourniers. Schnarch!

Klinsi hat noch jede Menge Arbeit vor sich, wenn er das Team bis zur nächsten WM auf Weltklasseniveau etablieren will. Das ist seine Aufgabe, die ihm der Verband gegeben hat und das hat er versprochen. In seinen ersten Jahren als US-Nationaltrainer hatte er den Luxus, von der Öffentlichkeit vorwiegend ignoriert experimentieren zu können. Jetzt ist mehr Interesse da und damit auch mehr Druck. Hoffentlich! Es ist ein gutes Zeichen für die Zukunft von Fußball in den USA, wenn Trainer und Spieler kritisch unter die Lupe genommen werden.

2018 heißt der Sport dann vielleicht auch hier sogar endlich Football!

 

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Sama Wareh – Hoffnung und Kunst für syrische Kinder

Sama liest Brief der Flüchtlingskinder

Sama liest Brief der Flüchtlingskinder

Ich fahre durch die Dunkelheit in ein schmales Tal in den Bergen südlich von Los Angeles: Silverado Canyon. Die Wegbeschreibung endete mit einem Hinweis auf eine große rote Scheune. Ohne Straßenbeleuchtung sind Größe und Farbe der wenigen Gebäude am Straßenrand kaum zu erkennen. Endlich finde ich die Scheune, im Haus gegenüber leuchtet hinter einem Fenster warmes Licht. Ich bin bei Sama Wareh angekommen: Künstlerin und Aktivistin, Kalifornierin mit Wurzeln in Syrien. Bis zum Kriegsausbruch hat sie regelmäßig Familie und Freunde in Damaskus besucht.
Der Krieg hat sie so beschäftigt, dass sie einmal auf eigene Faust an die türkische Grenze reiste, um Flüchtlingen mit Decken, Heizkörpern, Medizin und Mietzahlungen zu helfen. Ein Jahr später machte sie sich wieder auf den Weg, diesmal mit der Mission, ein nachhaltiges Projekt zu initiieren und dabei ihre Stärken zu nutzen: Kunst und Pädagogik. Sie entwickelte ein Curriculum: “Kunsttherapie für Kinder in Kriegsgebieten” und zog los. Vor ein paar Wochen kam sie zurück und erzählt mir nun, was sie erlebt hat.

“Möchtest Du Linsensuppe?” fragt sie mich zur Begrüßung. Die köchelt vor sich hin, füllt die kleine Wohnung mit Wärme und dem Duft einer starken Gewürzmischung. Wir setzen uns auf ein niedriges Sofa und Sama beginnt zu erzählen.
Im November reiste sie zu einer Schule im Libanon, nördlich von Tripolis. Dort hatte sie nach langer Recherche einen Direktor gefunden, der Schülern die selben Werte vermitteln wollte wie sie: Teamwork, Kreativität und Gleichberechtigung über Religion, Geschlecht, Herkunft, Alter und Rasse hinweg – ein Vorbild für die Zukunft Syriens. Die Schüler hatten den Namen der Schule selbst gewählt: Vögel der Hoffnung.
Sama kaufte von Spenden, die sie in Kalifornien gesammelt hatte und vom Einkommen aus dem Verkauf ihrer Bilder Material und begann ihr Kunstprogramm: Sie ließ die Kinder ihre Träume und Hoffnungen malen und gestaltete mit allen Schülern, Lehrern und dem Direktor ein Wandgemälde. Die steckten der kalifornischen Künstlerin jeden Morgen Briefe und Zeichnungen zu: Blumen und Herzen, Monster, Bomben, blutende Bäume und zerstörte Städte.
“In Kunst drücken Kinder aus, worüber sie nicht sprechen können,” erzählt Sama von ihrer Zeit mit den 350 ‘Vögeln der Hoffnung’. Ein Junge sang jeden Morgen vor Unterrichtsbeginn auf der Schultreppe ein Lied von der Schönheit Syriens und von Trauer um die Zerstörung des Landes. Der Abschied fiel ihr schwer, weinend ermutigte sie die Kinder, weiter zusammen zu arbeiten, zu reden und Konflikte ohne Gewalt zu lösen.
Die gesammelten Spenden finanzieren nun einen Kunstlehrer, der ihr Projekt fortführt. Er schickt ihr Videos von den Fortschritten. Sie zeigt mir eines auf dem Computer und holt aus ihrem Schlafzimmer Briefe und Zeichnungen der Kinder. Sie erinnern sie an traurige und glückliche Momente in der Schule. “Nichts kann mich mit so viel Glück und Freude füllen, wie das Lächeln der Flüchtlingskinder und die Konzentration und Ruhe auf ihren Gesichtern während sie zeichnen.”
Aus Videoaufnahmen ihres Abenteuers an der Schule produziert sie einen Dokumentarfilm. Einnahmen aus Vorführungen werden direkt zu den ‘Vögeln der Hoffnung’ geschickt. “Jeder kann etwas Positives bewirken in der Welt,” sagt sie während wir Linsensuppe löffeln. “Ich bin Künstlerin, ich hab nicht viel Geld aber jetzt haben die Kinder diese neue Freude im Leben, nur weil ich mich angestrengt habe. Das ist das beste Gefühl der Welt!”

 

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Willkommen bei McAufruhr

Da mag Barack Obama eine große Rede zur Abhörpraxis der NSA halten und Yahoo-Chefin Marissa Mayer ihren Vizechef feuern – Tagesgespräch in New York ist eine kleine McDonalds-Filiale im Stadtteil Queens. Genauer gesagt in Flushing, einem Viertel mit vielen Einwanderern aus Korea. Über die Jahre hat er sich zum Treffpunkt von Senioren entwickelt. Die ersten kommen schon am frühen Morgen. Sie kaufen einen Kaffee für 1,09 Dollar, setzen sich und klönen. Neuankömmlinge werden freudig begrüßt. Das geht so bis zum Abend.

McCafe-Premium-Roast-Coffee

Was in dem Cafè eines Altenheims ein liebenswertes Ritual wäre, hat sich für McDonalds-Filialbetreiber Jack Bert zu einem echten Problem entwickelt. Denn die netten alten Herren verzehren nicht nur wenig, sondern blockieren die Tische angeblich in solcher Zahl, dass andere Burger-Fans oft keine Plätze finden. „Sie können sich wohl vorstellen, dass es für jedes Unternehmen eine schwierige Situation wäre, wenn einige Kunden andere behindern“, sagt Bert. Er hat versucht, sich zu wehren – bat die Herren zu gehen, erst höflich, dann harsch. Er hängte Schilder auf, wonach eine Mahlzeit innerhalb von 20 Minuten verzehrt sein muss. Als alles nichts half, wählte er die Notrufnummer 911. Und dann kam die Polizei.

Die richtete zwar auch nicht viel aus gegen den Stammtisch. Die Senioren verließen das Lokal, drehten eine Runde um den Block und kehrten in den McDonalds zurück, sobald die Luft rein war. Aber Angehörige und Nachbarn reagierten empört: Wie konnte es der Filialchef wagen, die Großväter mit Staatshilfe zu vertreiben? „Ältere Bürger sollten nicht wie Kriminelle behandelt werden“, sagt Christine Colligan von der Korean Parents Association von New York.

Der Konflikt ist auch ein Kampf der Kulturen: Für die meisten Amerikaner ist die aushäusige Nahrungsaufnahme eine kurze und zweckgebundene Angelegenheit. Nach dem Essen gemütlich sitzen zu bleiben, ist selbst in normalen Restaurants nicht üblich – die Rechnung wird nicht selten schon während des Essens gebracht. Das hat seitens der Gäste mit Effizienzdenken zu tun – weshalb sitzen blieben, wenn die Mahlzeit beendet ist – und seitens der Restaurantbetreiber mit hohen Mieten, die es erfordern, die Tische möglichst schnell wieder zu besetzen.

In Korea geht es, wie Einwanderer erzählen, wesentlich entspannter zu beim Essen. Vor allem aber ist, wie in allen asiatischen Kulturen, die Achtung vor dem Alter stark ausgeprägt. Es ist eine Selbstverständlichkeit – mehr noch: eine Pflicht –, Senioren respektvoll und freundlich zu behandeln. Die Polizei zu holen, weil einer seinen Kaffee nicht schnell genug austrinkt – undenkbar. Christine Colligan und ihre Freunde haben deshalb zum Boykott von McDonalds aufgerufen – weltweit.

Dem Fast-Food-Konzern droht Imageschaden. Nachdem zunächst nur koreanische Zeitungen über das gestörte Sit-In berichteten, brachte diese Woche auch die New York Times eine große Geschichte, und jetzt hat die Boulevardpresse das Thema entdeckt. „This is McMayhem“, schrieb die Daily News, was sich ungefähr mit „Willkommen bei McAufruhr“ übersetzen lässt. Ein Lokalpolitiker namens Ron Kim hat sich eingeschaltet und versucht zu vermitteln. Spätestens im Frühling allerdings dürfte sich die Situation von selbst beruhigen. Der Margaret Carman Park mit vielen Bänken ist gleich um die Ecke. Und weitaus schöner als ein steriles Fast-Food-Restaurant.

Foto: McDonalds

 

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Der Tag, als sie Daddy abgeholt haben

“Rund 5000 Kinder leben in den USA ohne Eltern, weil die ohne Papiere ins Land gekommen sind und abgeschoben wurden.” Dieser Satz eines Aktivisten für Immigrationsrechte veranlasste mich, eine Familie zu suchen, auf die diese Beschreibung zutrifft. Sie zu finden war schwieriger als erwartet. Niemand wollte reden.

Der Pressesprecher einer Bürgerrechtsorganisation schlug mir schließlich vor, Norma und ihre Tochter Jessica zu treffen. Die Familie passe zwar nicht ganz in mein Konzept, Norma sei legal im Land, doch ihr Mann Jose seit mehr als einem Jahr im Gefängnis. Die drohende Abschiebung reisse die Familie auseinander, besonders die Tochter leide darunter, dass sie ihren Vater nur noch im Gefängnis sehen kann, umziehen musste und auf eine neue Schule geht. “Der Fall ist nicht einfach, nicht schwarz und weiß,” erklärte mir der Sprecher. Jose habe eine Drogenstrafe von früher und sei schonmal abgeschoben worden. Aber: Jessica und ihre Mutter seien bestimmt gute Interviewpartner und hätten eine eindrückliche Geschichte zu erzählen.

Er hatte Recht. Ich traf Jessica und Norma in ihrem neuen zu Hause – sie leben jetzt in einem kleinen Zimmer bei den Eltern von Norma. Zum Gespräch kam auch Joses Mutter dazu. Als der von den Immigrationsbeamten abgeholt wurde war es sechs Uhr morgens. Norma wollte ihn gerade zur Arbeit fahren. “Vier Streifenwagen haben uns eingekreist, Polizisten mit gezogenen Waffen sind auf uns zugerast, haben gebrüllt und auf die Windschutzscheibe geschlagen. Jose war angeschnallt, sie haben ihn aus dem Wagen gezerrt, ihm Handschellen angelegt und weggefahren”, erzählt sie. Jessica hat alles aus dem Fenster ihres Kinderzimmers beobachtet. Wenn sie davon erzählt, steigen ihr Tränen in die Augen. Sie vermisst es, mit ihrem Vater ans Meer zu gehen, zum See zu radeln, Pizza zu essen und am meisten, dass sie ihn nicht umarmen kann. Wenn sie ihn besuchen, ist eine Glasscheibe zwischen Jose und den Frauen. Norma und Jessica wissen, dass Jose vielleicht wieder abgeschoben wird. Zum ersten Mal geschah das 1994 nachdem er mit Drogen erwischt wurde, sagt Norma. Damals sei er noch am selben Tag zurück gekommen. Es sei leicht gewesen, die Grenze zu überqueren. 2010 wurde Jose bei der Arbeit aufgegriffen und abgeschoben. Diesmal war es schwieriger, zurück zu kommen, doch er schaffte es – und wurde ein paar Monate später wieder verhaftet. Jessica versteht bis heute nicht, warum ihr Vater nicht wie sie und ihre Mutter einen Pass bekommen und bei ihr bleiben kann.

Meine Nachfrage bei der Einwanderungsbehörde ergibt eine nüchterne Antwort: Die Behörde sei dazu da, illegale Einwanderer wie Jose so schnell wie möglich aus dem Land zu weisen. Mit Drogendelikt und mehrfacher illegaler Einreise sei er eine Priorität auf der Abschiebeliste. Ohne Erlaubnis ins Land einzureisen könne mit einer Haftstrafe von bis zu zwanzig Jahren bestraft werden.

Ich gebe diese Email nicht an Norma und Jessica weiter. Die Geschichte ist tatsächlich sehr kompliziert. Im Moment weiß ich noch nicht, wie ich sie am besten erzählen kann.

Hören Sie hier, wie die beiden beschrieben, wie Jose abgeholt wurde, was sie an ihm mögen und was sie für die Zukunft hoffen: Norma and Jessica

 

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Rap und Kürbis-Eis – schöne Überraschungen zwischen US-Nichtwählern

Über 40 Grad, kläffende und knurrende hyper-muskulöse Wachhunde, kritische Blicke durch verschlossene Stahltüren und vergitterte Fenster – nicht die besten Bedingungen für eine Tour mit Obama-Anhängern auf Wählermobilisierung. Sie verteilen Registrierungs-Formulare und fragen, ob ihnen jemand beim Kampf für die Wiederwahl des US-Präsidenten helfen möchte. Ehrenamtlich natürlich. Im Viertel leben vor allem Latinos und Schwarze. Arbeitslosigkeit und Kriminalität sind hoch, Einkommen niedrig. Interesse an der Wahl zwischen Obama und Romney zeigen wenig. “Ich hab zu viele andere Sorgen, um mich um den Zirkus auch noch zu kümmern.” “Macht haben sowieso nur die, die auch Geld haben!” “Ob ich wähle oder nicht ändert auch nichts an der Lage.” So oder ähnlich reagieren die meisten auf die Aufforderung, am sechsten November ihre Stimme abzugeben. Wenn sie überhaupt die Tür aufmachen.

Mehr als 200 Millionen Bürger der USA sind alt genug um zu wählen. Achtzig Millionen davon haben vor vier Jahren nicht gewählt und dieses Jahr sollen es noch mehr werden. Beide Parteien verstärken ihre Bemühungen, die Basis zu mobilisieren.

Ich mache mich nach dem Gang durchs Viertel mit den ehrenamtlichen Helfern alleine auf den Weg und frage genauer nach. Dabei erlebe ich mehr Frustration aber auch zwei wunderbare Überraschungen: Im Friseursalon will ein 18 jähriger deutsch lernen und spendiert mir für die Übersetzung von “Ich heiße Terry” und “Du hast einen schönen Ausschnitt” einen Freestyle-Rap über das Ghetto, die Wahl und deutsches Radio.

Durchgeschwitzt und erschöpft raffe ich mich zu einem letzten Interview mit einer Frau um die 40 auf, die an einer Ampel steht. Sie ist auf dem Weg zur Arbeit, macht Nachspeisen in einem Restaurant. Ihre neuste Erfindung: Kürbis-Schwarzbier-Eis. Das Restaurant ist geschlossen. Sie lässt mich durch die Hintertür in die Küche und reicht mir eine riesige Kugel Eis im Becher zum Mitnehmen. Super-lecker und das perfekte Ende für diesen Tag.

Beide – der rappende Friseur und die großzügige Nachspeisen-Expertin wollen übrigens im November wählen.

 

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Moscheen zwischen Kirchen und Tempeln

Beim Fotografieren seiner Ausstellung „Moscheen in Deutschland“ hat der Stuttgarter Architektur-Fotografen Wilfried Dechau viel über die islamische Minderheit in seiner Heimat gelernt. Vor allem viele kleine Details, die man eben nur erfährt, wenn man den Alltag von Muslimen miterlebt. In der indonesischen Studentenstadt Jogjakarta, wo das Goethe-Institut seine Bilder im März im Wandelgang der Moschee der größten islamischen Universität ausgestellt hat, wollte er nun einen Umkehreffekt erreichen: Drei Tage lang ließ er Studenten im Rahmen eines Workshops Kirchen und Tempel fotografieren. Dabei ging es zwar natürlich hauptsächlich um Tricks und Kniffe der Architekturfotografie, aber nicht ganz nebensächlich auch um die Vermittlung der religiösen und kulturellen Vielfalt im Land mit der größten muslimischen Bevölkerung der Welt. Das Experiment funktionierte tatsächlich und die Studenten stießen in den Gebetshäusern der ihnen zum Teil unbekannten Religionen auf viele Details, die sie interessierten oder sogar berührten – und die sie in zum Teil beeindruckenden Bildern festhielten. Dennoch endeten die Exkursionen zu den Kirchen und Tempeln jedes Mal mit der Suche nach einer Moschee: Die Organisatoren hatten nicht bedacht, dass die muslimischen Teilnehmer bei aller interreligiösen Gruppenharmonie dennoch ihre Gebetszeiten einhalten wollen…

 

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Gay und glücklich

In der Food Coop, in der ich immer einkaufen gehe, habe ich einen Lieblingskassierer. Er trägt sein Haar lang und offen und lackiert seine Fingernägel mal rot, mal gold – viel schöner, als ich das jemals könnte. Vergangenen Montag fiel mir auf, dass er ungeheuer müde aussah. „Die Hitze…?“ fragte ich, denn übers Wochenende hatte das Thermometer mit 42 Grad einen Rekordstand erreicht. Er lächelte nachsichtig und sagte: „Viel geschlafen habe ich jedenfalls nicht.“ Ich realisierte, dass ich irgendwas nicht mitbekommen hatte.

 Als ich rausging, fiel es mir ein. Natürlich – während ich übers Wochenende ins kühle Vermont geflohen war, hatte halb New York die Nächte durchgefeiert. Denn hunderte Schwule und Lesben dürften endlich heiraten, nachdem der Senat des Bundesstaates New York im Juni die „Gay Marriage“ legalisiert hatte. Es war ein langer Kampf gewesen. Doch am Ende hatten alle Demokraten dafür gestimmt, mit Ausnahme des 68jährigen Ruben Diaz Senior aus der Bronx, der sagte, das gehe gegen seine religiöse Überzeugung. Obwohl seine Enkelin Erica eine bekennende Lesbe ist und deshalb sogar vom Militär ausgeschlossen wurde.

Doch der ganz überwiegende Teil der Metropole, in der die Schwulenbewegung nach einer brutalen Polizeiaktion in der Christopher Street 1969 ihren Ausgang nahm, ist in Sachen Homosexualität heute selbstverständlich tolerant. An einer der meistbesuchten Sehenswürdigkeiten der Stadt, der High Line, wirbt die Lagerfirma Manhattan Mini Storage mit einem riesigen Plakat, das diese Einstellung auf den Punkt bringt: „Wenn du gegen die Schwulenehe bist, dann heirate eben keinen Schwulen.“ So linksliberal-lakonisch ist, außer vielleicht noch San Francisco, wohl kaum eine Stadt in den USA. Ein anderer Werbespruch der Firma lautet denn auch: „Remember, If You Leave the City, You’ll Have to Live in America“ – Denk dran, wenn du diese Stadt verlässt, musst du in Amerika leben.

Auch vier Republikaner waren von der Parteilinie abgewichen und hatten für das Gesetz gestimmt. Dass dies geschah, ist der umsichtigen Verhandlung des neuen Gouverneurs Andrew Cuomo zu verdanken – sowie hohen Geldspenden für die Abweichler. Unter den Gebern: New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg, ein engagierter Verfechter der Schwulen-Ehe. Er bedachte jeden der vier Republikaner mit 10 300 Dollar, dem zulässigen Höchstbetrag für eine Spende. Das sei Bestechung, denken Sie? In den USA, wo Politiker Wahlkämpfe überwiegend auf Spendenbasis bestreiten und die Einflussnahme von Gebern zum System gehört, wird das anders gesehen: Da klar ist, dass die Senatoren in ländlichen konservativen Gebieten des Bundesstaates Stimmeinbußen bei den nächsten Wahlen zu befürchten haben, erhalten sie Geld, um zum Ausgleich besser Werbung für sich machen zu können. So einfach kann die Welt sein.

Als ich nun gerade auf den Anfang dieses Blog zurückblickte, fragte ich mich übrigens, ob ich meinem Lieblingskassierer furchtbar unrecht getan habe, indem ich ihn wegen seiner mädchenhaften Erscheinung kurzerhand dem Umfeld der Schwulen- und Lesbenszene zugerechnet habe. Womöglich ist der Mann stockkonservativ, oder er wäre beleidigt, weil ich ihn als Mann bezeichnet habe. Als Hetera befürchte ich bei solchen Fragen ständig, ins Fettnäpfchen zu treten, zumal den USA, wo jedwede Diskriminierung tabu ist. Aber das ist ein Thema für einen anderen Blog. 

Foto: Christine Mattauch

 

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»Der Islam ist beendet!« – Sarrazin und Schlingensief

Die Sarrazin-Debatte ist in full swing. Es ist weder möglich, noch nötig, dem Ganzen einen Aspekt hinzuzufügen. Die Debatte ist da, wenn ich morgens das Radio anschalte, sie ist immer noch da, wenn ich am Nachmittag zur Zeitung greife, und sie hat nicht aufgehört, wenn ich abends in die Röhre gucke, sollte das mal vorkommen.

Ich bin mir nicht sicher, ob Sarrazin ein Rassist ist. Ich halte ihn für einen Demagogen mit faschistoiden Gedankenansätzen. Oder wie soll man es sonst nennen, wenn ganze Bevölkerungsgruppen – unabhängig von dem, was der oder die Einzelne tut oder lässt – in die Tonne getreten werden?

Das Gute an der Debatte: Die politische und mediale Öffentlichkeit weist, quer durch alle Weltanschauungen, Sarrazins Sündenbockthesen entschieden zurück. Das hat was mit dem Immunsystem einer Gesellschaft zu tun und stimmt leicht optimistisch, vielleicht sind wir Brandstiftern ja gar nicht hilflos ausgeliefert. Die wenigen namhaften Befürworter, die ihm zur Seite springen, verteidigen ihn ähnlich schrill.

Dennoch wird das Phänomen Sarrazin nicht mehr verschwinden. Die Debatte findet in jenem Schatten statt, den zukünftige Verteilungskämpfe bereits jetzt auf uns werfen. Oder besser formuliert:

»Es werden ganze Klassen, Schichten und Weltanschauungen ausgesondert und abgewertet: Die Muslime. Die 68er. Die Arbeitslosen. Die armen Familien. Die Alleinerziehenden. Man hackt mit ein paar Phrasen unterhalb, seitlich und über der vom Abstieg bedrohten Mittelschicht die nicht genehmen Gruppen weg. Übrig bleibt letztlich der spiessige Kleinbürger voller Angst, man könnte ihm auch seinen kleinen Status wegnehmen und zu solchen Gruppen rechnen. Gruppen des sozialen Prestigeverlustes, Gruppen, vor denen er sich fürchtet, weil sie nicht seiner und der Herrschenden Norm entsprechen. Gruppen, mit denen man den Mittelstand dazu bringt, die Herrschaft der Spalter von Oben zu lieben.«

Den kompletten Text von Don Alphonso aus seinem F.A.Z.-Blog »Stützen der Gesellschaft« gibt es hier! Er schrieb ihn, mit ausdrücklichem Bezug zu Sarrazin, bereits vor fast einem Jahr.

Den besten Kommentar zur Debatte hat, wie ich finde, Christoph Schlingensief gegeben, zweieinhalb Monate vor seinem Tod und fast drei Monate vor dem Eintreffen des aktuellen Debatten-Tsunamis. Sarrazins Phantasien, konsequenter und absurder als bei Sarrazin selber, so gespenstisch, verstörend, beklemmend, wie das nur Kunst hinkriegt. Zu Schlingensiefs kurzem Video hier entlang!

 

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Allah macht hart

Das »journalistische Desaster«, wie Jörg Lau von der ZEIT es in einem Gastvortrag nannte, begann am 5. Juni und nahm in den Wochen danach seinen ungebremsten Lauf. Es ist einer jener Wahrnehmungsunfälle, die im Stimmengewirr unserer postmodernen Medienwelt inzwischen leider all zu oft die Normalität sind. Den Anfang macht eine kurze, zweiseitige Zusammenfassung einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN). Ihr widmen sich an jenem 5. Juni zuerst die Süddeutsche Zeitung und dann die Nachrichtenagenturen.

In der KFN-Studie geht es auch und unter anderem um den Zusammenhang zwischen der Religiosität junger Muslime in Deutschland und ihrer Bereitschaft zu Gewalt. Die zweiseitige Zusammenfassung behauptet: »Für junge Muslime geht … die zunehmende Bindung an ihre Religion mit einem Anstieg der Gewalt einher.«

Wenn das keine Schlagzeile ist! »Die Faust zum Gebet«, überschreibt die Süddeutsche Zeitung ihren Beitrag, gefolgt vom Chor anderer Boulevard- und Qualitätszeitungen: »Allah macht hart«, »Jung, muslimisch, brutal«, »Junge Muslime, je gläubiger, desto brutaler« usw. usf. Im Artikel der Süddeutschen behauptet Christian Pfeiffer, Direktor des KFN, zwischen muslimischer Religiosität und Gewaltbereitschaft gebe es einen »signifikanten Zusammenhang«.

Es ist das Verdienst von bildblog.de, den kompletten Text der Studie einfach mal ganz gelesen zu haben. Dort findet sich nämlich dieser »signifikante Zusammenhang« von muslimischer Religiosität und Gewalt gar nicht. Er ist allenfalls sehr klein, und die Studie begründet ihn mit allem möglichen, nur nicht mit Religion. Im Gegenteil: Sie belegt, »dass diese (leicht – J. S.) erhöhte Gewaltbereitschaft weitestgehend auf andere Belastungsfaktoren zurückzuführen ist.« Es sei, heißt es in der Studie weiter, »bei isla­mischen Jugendlichen von keinem unmittelbaren Zusammenhang … zwischen der Religiosität und der Gewaltdelinquenz auszugehen.«

Bildblog.de weist auf diesen Widerspruch am 13. Juni hin und lässt sich von Pfeiffer erklären, er sei falsch zitiert worden. Zu spät, die Schlagzeilenmaschine lief da bereits seit einer Woche rund, siehe oben. Schwer zu sagen, woran diese mediale Entgleisung nun genau lag, ob zum Beispiel Pfeiffer so sehr nach Publicity für sein Institut giert, dass es ihm »offenbar lieber ist, falsch zitiert zu werden als gar nicht« (Jörg Lau). Darüber kann nur spekuliert werden. Sicher ist: Die deutsche (Medien-) Öffentlichkeit scheint auf den Kurzschluss »junge Muslime gleich Gewalt« nur gewartet zu haben. Wer muss da schon ganze Studien lesen.

Soweit ich weiß, haben sich die meisten Blätter später nicht nur nicht korrigiert, sondern basteln auch weiterhin an diesem Stigma, noch Wochen danach, wie etwa der Wiesbadener Kurier oder Spiegel Online. Eine Ausnahme bildet die österreichische Zeitung Die Presse, die sich für den Beitrag »Gewissenloses Islam-Bashing« die Mühe macht, auch mal in den ersten Teil der KFN-Studie aus dem Jahre 2009 zu gucken. Dort werde belegt, dass muslimische Migranten gar nicht gewalttätiger seien als Migranten aus anderen Kulturkreisen.

Aber solch eine Schlagzeile wäre leider längst nicht so sexy wie »Gläubige Muslime sind deutlich gewaltbereiter«.

 

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Der Wahlkampf der Vorurteile

Irgendwie ist die Geschichte in ihrer Tragik beinahe entlarvend.

Endlich, dachte ich, kommt es in der Slowakei zu einem Aufstand der Anständigen, wie ich ihn in meinen Jahren in dieser Gegend noch nicht erlebt habe.

 

 

Hintergrund: Auf einem Wahlplakat sitzt ein beleibter junger Mann, der erkennbar zur Roma-Minderheit gehört. Den Oberkörper tätowiert, um den Hals eine dicke Goldkette. „Damit wir nicht die füttern, die nicht arbeiten wollen“, steht in großer Schrift darunter, dazu das Logo der berüchtigten Slowakischen Nationalpartei. Diese Rechts-Außen-Kraft, muss man wissen, sitzt seit vier Jahren mit einem linkspopulisten Premierminister in einer bizarren Regierungskoalition und profiliert sich vor allem mit Kampagnen gegen Minderheiten.

Es dauerte einen halben Tag, bis die Wellen der Empörung schwappten. Menschenrechtler protestierten, Politiker verwahrten sich gegen den Rassismus, Journalisten bombardierten die Parteizentrale mit kritischen Anfragen und die Plakat-Firma überklebte auf eigene Kosten sämtliche der aufgehängten Fotos.

Der einzige, der sich nicht aufregt, ist der Mann auf dem Bild. Rasch machten die slowakischen Kollegen ihn ausfindig. Er habe Geld gebraucht, also habe er dem Fotoshooting zugestimmt, erzählt er ihnen. Einen tätowierten Rom habe die Partei gesucht. Die Goldkette und ein paar zusätzliche Tatoos hat schließlich der Grafiker noch am PC mit auf das Bild montiert, fertig war die Kampagne.

Sein Kommentar zu dem Vorfall: Er habe nur 75 Euro Honorar bekommen für das Bild, und jetzt werde es überall groß plakatiert. Wenn die Nationalpartei noch einmal nachzahle, wolle er allerdings gerne über alles andere hinwegsehen.

 

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Ohne Papiere, ohne Job – Tagelöhner in Los Angeles träumen vom besseren Leben

 

 

 

 

Ich war kurz vorm Nervenzusammenbruch – hatte viel zu tun bei der Arbeit, dazu Besuch der herumgefahren werden wollte und ich plante eine Reise nach Deutschland, die wegen der weit verstreuten Familie und Freunde eine logistische Höchstleistung erforderte. Weil ich mal wieder mehrere Sachen gleichzeitig erledigen wollte, schüttete ich mir dann auch noch Milchkaffee über den Laptop, der sofort seltsame Geräusche machte und sich bald weigerte, bestimmte Befehle auszuführen. Bevor ich komplett in Verzweiflung und Selbstmitleid versinken konnte, kam genau die richtige Geschichte, um mein Leid zu relativieren…

Für einen Bericht über illegale Einwanderer in den USA stellte ich mich morgens um sechs mit Tagelöhnern an eine Straßenecke in Los Angeles und fragte sie nach ihren Geschichten. Heraclio aus Mexiko berichtete von der Razzia, bei der er vor zwei Jahren verhaftet wurde. Seither kämpft er gegen seine Abschiebung. Seine Anwältin hat ihm geraten, nicht  zu arbeiten solange der Prozeß läuft, aber er weiß nicht, wie er ohne Arbeit seine Frau und zwei Töchter ernähren und das Zimmer bezahlen soll, dass sie sich mit einem Bruder teilen. Seine Kinder sind in den USA geboren und haben deshalb die US-Staatsbürgerschaft. Heraclio und seine Frau hoffen, dass sie eine gute Ausbildung und gut bezahlte Arbeit bekommen. Sie haben Angst, zurück in ihr Dorf in Mexiko geschickt zu werden. Candido aus Honduras erzählte mir, dass er vor drei Jahren seine Frau und drei Kinder zu Hause zurück gelassen hat und einem Schmuggler 6000 Dollar zahlte, um die Grenze zu überqueren. Auch er träumte von einem besseren Leben in Kalifornien. Doch statt wie gehofft, regelmässig Geld nach Hause zu schicken, kann der 31jährige selbst kaum überleben. Jeden Morgen steht er ab sechs Uhr in Malermontur an der selben Straßenecke, seit drei Wochen hat er keine Arbeit bekommen. Für einen Job, an dem er vier Tage arbeitete, hat er nie Geld gesehen. Der Auftraggeber versprach, den Lohn vorbeizubringen, ist aber nie wieder aufgetaucht. Candido hat Sehnsucht nach seiner Familie, sieht aber keine Möglichkeit, sie bald zu sehen. In seiner Heimat gibt es noch weniger und schlechter bezahlte Arbeit als in den USA und wenn er nur zu Besuch fahren wollte, müsste er wieder einem Schmuggler viel Geld bezahlen, um zurück nach Kalifornien zu kommen. 

Während wir redeten, hielt ein Auto am Straßenrand. Der Mann am Steuer wurde mit großen Jubelrufen empfangen, obwohl er keine Arbeit zu vergeben hatte. Wie jeden Tag brachte er um 9 Uhr 30 einen grossen Karton voller Donuts zu den Tagelöhnern. Die bestanden darauf, dass ich mir auch einen frischen zuckerbestreuten Teigkringel nehme, obwohl viele von ihnen nicht wussten, wovon sie sich und ihren Familien das nächste Essen bezahlen würden.

Die Tagelöhner hoffen auf eine Reform der Immigrationspolitik, auf Arbeitsgenehmigungen, die ihnen ermöglichen zwischen den USA und ihrer Heimat zu reisen. Von Präsident Obama sind sie enttäuscht, weil er im Wahlkampf versprach, sich für die Rechte der Einwanderer ohne Papiere einzusetzen und ihnen einen Weg zur Staatsbürgerschaft zu ermöglichen. Bisher gab es aber keine Entscheidung der US-Regierungen, die diese Versprechungen in die Realität umsetzen würde.

Zurück am Schreibtisch war ich ziemlich dankbar, dass ich Arbeit habe, Freunde aus Deutschland mich jederzeit besuchen können, ich die Reparatur meines Laptops bezahlen und – auch wenn es logistische Höchstleistungen erfordert – wann immer ich will zu meiner Familie nach Hause fliegen kann. 

 

 

 

 

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Feiern am Rande der Erde

Die norwegische Kleinstadt Kirkenes liegt am äußersten nordöstlichen Rande des norwegischen Festlandes – von Oslo in etwa so viele Kilometer entfernt, wie Oslo auch von Rom entfernt ist. Seit einigen Jahren findet hier jährlich das Barentsspekatekel statt, ein Festival mit Theater, Musik, Kunst und Literatur. Vor allem die Beziehungen zum (oder besser: zu den) russischen Nachbarn – die Grenze ist 40 Kilometer entfernt – soll(en) durch das Festival auf dem nicht-politischen Wege verbessert werden. Scharenweise wurden russische Journalisten nack Kirkenes geladen, ebenso Künstler. Der hohe Norden (Highnorth oder Nordomradene) ist für Norwegen eine der wichtigsten Gegenden, schießlich gibt es hier einen Grenzkonflikt mit Russland (die Ziehung der Wassergrenze ist seit Jahrzehnten ungeklärt), in der Barentssee (dem russischen und norwegeischen Teil) werden umfangreiche Rohstoffvorkommen vermutet und der Klimawandel eröffnet die Nordostpassage, die an Kirkenes vorbeiführt. Die Stadt dürfte also Zukunft haben. Kulturell erlebt sie dieser Tage Anfang Februar einen kleinen Boom – am Eröffnungsabend bewiesen Musiker der nördlichen Naturvölker in Schweden, Finnland, Russland, Norwegen und Amerika, dass sie Musik machen können, die mit dem Klischee der Folklore nichts am Hut hat, sondern was den Stimmeneinsatz angeht sich eher mit Blixa Bargeld oder Gry Bagoien messen lassen muss. Allein für diese Auftritte hat sich die weite Anreise schon gelohnt, haben die letzten zwei Festivaltage noch gar nicht begonnen.

 

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Unschuldige Sprengstoffkuriere

 Das muss erstmal jemand der slowakischen Polizei nachmachen: Bei einer Sicherheitskontrolle am Flughafen schmuggelten Beamte den nichts ahnenden Passagieren kleine Sprengstoffpakete ins Gepäck, um mit ihren Spürhunden zu üben. Sieben von den acht Paketen fanden die Hunde. Nummer acht reiste unentdeckt im Linienflugzeug nach Irland. Als die Slowaken ihre Panne kurz darauf meldeten, sperrte die irische Polizei den ganzen Wohnblock um das Appartment des vermeintlichen Sprengstoff-Kuriers, riegelte Straßen ab und nahm sich den Verdächtigen drei Stunden lang in einem Verhör vor.

Es ist zum ersten Mal seit längerer Zeit, dass die Slowaken international in die Schlagzeilen geraten sind. Dass es ausgerechnet eine solche Tragikomödie ist, verwundert ebenso wenig wie die Hauptrolle der Polizei: Seit Jahren gibt es einen Skandal nach dem anderen in den Reihen der Polizei – vom örtlichen Polizeichef, der nach einem Streit angeblich den Ehemann seiner Geliebten von einem Sondereinsatzkommando abführen ließ bis zu den Streifenbeamten, die Romakinder zwangen, sich gegenseitig zu schlagen und auszuziehen. Ans Licht gekommen ist der Skandal nur wegen eines Videos, das die Beamten dabei zu ihrer eigenen Belustigung drehten.

Die Politik zieht aus der Häufung solcher Fälle keine Konsequenzen. Der Innenminister verkündet, es handele sich um menschliches Versagen, für das er keine Verantwortung trage. Seine Partei, die linkspopulistische Gruppierung Smer (die in einer bizarren Koalition mit der slowakischen Rechtsaußen-Partei regiert), dürfte bei den Wahlen im Sommer mit großem Abstand gewinnen.

 

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Schwarzer Peter im Glashaus

Als ich am Morgen des 6. Juli, einem Montag, ins ARD-Hörfunkstudio Kairo kam, fragte mich eine ägyptische Mitarbeiterin, ob ich von dem Mord an Marwa El-Sherbini im Dresdner Landgericht gehört hätte und warum die deutschen Medien und deutsche Politiker die Tat immer noch verschweigen würden. Tun sie sicher nicht, erwiderte ich und schaute später in den Archiven nach. Ich wollte der Kollegin das Gegenteil zu beweisen. Es gelang mir nicht, sie hatte recht. In den fünf Tagen nach dem Mord an der Ägypterin, der am Mittwoch zuvor stattfand, waren Meldungen außerhalb der Vermischtes-Seiten oder des Polizeireports die Ausnahme, vom Tathintergrund ganz zu schweigen.

Noch am selben Tag produzierte ich einen Hörfunkbericht mit O-Tönen, der die Reaktionen in ägyptischen Talkshows, Zeitungen und von Passanten auf Kairos Straßen zusammenfasste. Eine knappe Woche nach der Tat meldete sich dann endlich auch die Bundesregierung in Gestalt des Regierungssprechers zu Wort, mit enttäuschend hinhaltender Rhetorik: Sollte es sich herausstellen…, so werde man… aufs Schärfste verurteilen… usw… Andrea Dernbach fragte im Berliner »Tagesspiegel«: »Warum ist der Tod einer Kopftuchträgerin, die nicht Opfer eines Ehrenmords wurde, eine Woche lang nur eine kurze Meldung in den Nachrichtenagenturen und für die politischen Institutionen kein Grund, auch nur zu zucken?«

Ebenso Stephan J. Kramer, Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland, der bestürzt wissen wollte, warum es keine »Solidaritätsadressen von Vertretern der deutschen Mehrheitsgesellschaft« gegeben habe. Immerhin sei der Mord »ganz offensichtlich das Ergebnis der beinahe ungehinderten Hasspropaganda gegen Muslime von den extremistischen Rändern der Gesellschaft bis hin in deren Mitte«. Sind etwa die Protestnoten deutscher Politiker nach antisemitischen Straftaten, so könnte Kramer sich weiter gefragt haben, womöglich nichts anderes als ein hohles, pflichtbewusstes Routineritual?

Der Täter ist inzwischen zu lebenslanger Haft verurteilt worden, am Ende eines Prozesses, den der »Spiegel« zu Recht als Sternstunde des deutschen Rechtsstaates bezeichnet, ein Prozess, der die besondere Schwere der Schuld feststellte und auch in ägyptischen Medien gelobt wurde. Leider zu selten wurde allerdings die Frage gestellt, ob der Mord an Marwa El-Sherbini nicht Ausdruck einer Atmosphäre des Islamhasses ist, der bis in die Mitte der deutschen Gesellschaft reicht. Auch scheint es kaum jemanden zu beunruhigen, dass die deutsche Öffentlichkeit in diesem Fall reagiert hat, wie ich es normalerweise von der ägyptischen gewohnt bin.

Da waren zum einen die späten deutschen Reaktionen, die von der arabischen Presse als Todschweigen oder, schlimmer noch, gelegentlich als heimliche Komplizenschaft gedeutet wurden. Wenn Ihr nicht alle Terroristen seid, fragt der Westen seit 9/11 die muslimische Welt (zu Recht), wo sind dann Eure kritischen und gemäßigten Stimmen? Nun mussten sich dieselbe Frage die Deutschen gefallen lassen: Wenn Ihr nicht alle Rassisten seid, wo blieben dann Eure Verurteilungen und Solidaritätsnoten?

Wie in der arabischen Welt nach Terrorattentaten, so suchte man auch in Deutschland die Schuld bei anderen. Warum soll die Tat für uns relevant sein, wo Alex W. doch erst 2003 aus Russland nach Deutschland kam? Nicht ungelegen kamen offenbar die emotionalen Reaktionen in der muslimischen Welt, die Proteste und Drohungen. Brennen bald deutsche Botschaften, fragte ZEIT Online. Dass in Ägypten Protestaktionen die Ausnahme waren, spielte keine Rolle. 2000 Ägypter beim Trauerzug in Alexandria hinter Marwas Sarg, bei dem einige Hitzköpfe »Nieder mit Deutschland« grölten, drei Dutzend stumme Transparenteträger vor der Deutschen Botschaft in Kairo, ein Mordaufruf im Internet, der dort allerdings von Durchschnittsusern kaum gefunden werden konnte und von einem Wirrkopf stammte. All das reichte aus, um die anderen schlecht, fanatisch oder, besser noch, als Täter dastehen zu lassen.

Wie praktisch auch, dass es unter Muslimen (aber nicht nur unter ihnen) Ehrenmorde gibt. Diese Retourkutsche ließ man sich nicht entgehen. Laut Bundeskriminalamt wurden zwischen 1996 und 2005 pro Jahr im Schnitt fünf Frauen Opfer eines Ehrenmordes in Deutschland – jeder einzelne eine grausame Tragödie. Dennoch ist es an Geschmacklosigkeit kaum zu überbieten, angesichts der Proteste gegen den Mord an Marwa El-Sherbini zu fragen, wo denn die Proteste gegen Ehrenmorde bleiben? So geschehen in Kommentaren und Berichten in den letzten Monaten. Das erinnert mich daran, wie man in arabischen Ländern den Schwarzen Peter zurückgibt, indem nach Terrorattentaten gern auf Guantanamo, den Krieg gegen den Irak, die zivilen Opfer in Afghanistan oder den Palästinensergebieten verweist.

Besonders nervös wiesen die Deutschen in der Berichterstattung zum Marwa-Mord, in Leserbriefen und in Kommentarspalten den Generalverdacht von sich, dem man sich ausgesetzt sah. DIE Deutschen sind natürlich keine Rassisten, auch wenn das manche ägyptischen und arabischen Medien in den Wochen und Monaten nach dem Mord suggerierten. Aber ist der Generalverdacht nicht ein Instrument, das weiten Teilen der deutschen Öffentlichkeit bekannt vorkommen müsste, weil sie es jahrelang auf Muslime angewandt haben?

Unterm Strich war zu erleben, dass die deutschen Reaktionen auf den Mord in Dresden zu oft aus Verdrängen, Verharmlosen, Relativieren und Dämonisieren bestanden. Im Grunde haben sich weite Teile der deutschen Öffentlichkeit verhalten wie die arabischen Gesellschaften in spiegelgleichen Situationen. Und das sollte, angesichts der Tatsache, dass wir in einer demokratischen Zivilgesellschaft leben, nun wirklich beunruhigen.

 

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Ist ein Arzt an Bord?

Das ist jetzt kein Scherz: Hat jemand da draußen irgendwo einen Arzt übrig? In meiner geschätzten Tageszeitung, dem Sydney Morning Herald, hat heute die westaustralische Ärztekammer Kopfgeld auf GPs (General Practitioners = Allgemeinmediziner) ausgesetzt. Das ganze geht so: Ich finde den Arzt, der Arzt arbeitet für mindestens 12 Monate in Westaustralien, und ich bekomme 3000 Dollar, könnte ich grade gut gebrauchen. Und WA ist eine wirklich klasse Gegend!

 

Natürlich bin ich bereit zu teilen, logisch. Denn wir sind hier unten im doktorlosen Kontinent auf jede Hilfe angewiesen, koste es was es wolle. Also, Tipps aus folgenden Ländern immer gern an mich, (faires 50-50 ist Eherensache): Gefragt sind Weißkittel aus Kanada, USA, South Africa, von den Neuseeländischen Inseln ;-), aus Singapur, den Niederlanden, Schweden, Norwegen, Dänemark, Belgien, Irland und dem UK. Warum deutsche Ärtze nicht oben auf der ‘Wanted’ Liste stehen, ist mir nicht ganz klar, die müssen evtl. noch extra Beweise ihres Könnens einbringen. Aber wer Mediziner aus genannten Regionen kennt: Get them over here! Aber lasst  es mich vorher wissen, danke. 

 

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Ich will nicht deine Facebook-Freundin sein

“Nein, danke, ich will nicht deine Gesichtsbuchfreundin sein.” Bislang hat das einigermaßen geklappt. Okay, zwischen 6 Millionen australischen Nutzern dieser “sozialen Plattform” vereinsame ich natürlich langsam. Facebook-Feind zu sein, ist hier derzeit etwa so sozial kompatibel wie wenn man zu schimmligem Kürbiseintopf einlädt. Ebenso gut könnte ich sagen: Bugger off, ich will nie wieder in Gesellschaft Kaffee trinken, Geburtstag feiern, ins Kino, auf Parties, Politik diskutieren…

Da mir diese www-Seite aber aus etwa 20 bis 30 Gründen (die u.a. mit Privatsphäre zu tun haben und mit denen ich jetzt niemanden langweilen will) total suspekt ist, bleibe ich standhaft. Und freu mich insgeheim an den Vorteilen meiner gesichtslosen Existenz:  Mensch ohne ‘Profil’ zu sein, arm an twinkels und events, hat nämlich viele schöne Seiten: Ich muss weder die Fotos meiner Nachbarin beim Poledancing kommentieren, bleibe vor Unmengen von Blablabla verschont, und gestern habe ich die Einladung zum vierten “Baby-Shower” in diesem Jahr verpasst.

Noch kenne ich auch eine handvoll Leute, die Emails schreiben. Manche greifen sogar, wie in grauer Vorzeit, zum Telefonhörer wenn sie wissen / erzählen wollen wie’s so geht (statt zu signalisieren, man könne ja die “Facebook-Pinnwand” besuchen). Wie gesagt, mein Exil ist gut erträglich. Anders lautenden Warnungen zum Trotz habe ich auch nach wie vor Jobs. Neulich machte mir sogar ein NY Times Artikel Hoffnung, der unkte: der penetranten Seite gehen allmählich die Fans aus. Wow.

Allerdings geht meine plumpe Strategie (“Ich will da nicht rein”) nicht auf. Selbst als profillose und stadtbekannte FB-Hasserin spaziere ich durch das “soziale Netzwerk”, als sei ich Fan Nr 1: Party-Schnappschüsse, von denen ich nicht mal gemerkt habe, das sie gemacht wurden, Bilder beim Lifesaven am Strand, vom Pool, von Vorträgen, bei denen ich mich für die einzige mit Kamera gehalten hatte – ich bin bildreich präsent.

“Habe dich grade auf Facebook gesehen…”  ist Albtraumsatz meiner Montagnachmittage. Dann ruft mich Freundin Ch. an und berichtet die Ergebnisse ihrer büroalltäglichen, zweistündigen FB-Lektüre.

Die Krux ist: als nicht FB-Nutzer, kann man solche peinlichen Fotos weder löschen noch um deren Löschung bitten (sign on to be Andi’s Facebook friend first…) Wahrscheinlich werde ich mir bei Gelegenheit ein ‘Profil’ zulegen… nur um mich dann anderswo löschen zu können.

 

 

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