Wir berichten aus mehr als 160 Ländern –
aktuell, kontinuierlich und mit fundiertem Hintergrundwissen.
Journalistenpreise gibt es viele, Nobelpreise wenige. Und dann gibt es da noch den Alternativen Nobelpreis des Schweden Jakob von Uexküll, offiziell heißt die Ehrung Right Livelihood Award. In diesem Jahr wird damit unter anderem eine Journalistin ausgezeichnet: Adija Ismayilova aus Aserbaidschan. Das hat auch mit Deutschland zu tun.
Ismayilova erhält die Auszeichnung „für ihren Mut und ihre Hartnäckigkeit, Korruption auf höchster Regierungsebene durch herausragenden investigativen Journalismus aufzudecken“, wie es seitens des Right Livelihood Awards heißt. “Ich nehme die Auszeichnung im Namen aller Journalisten und Verteidiger der Menschenrechte in meinem Land an, die trotz schwierigster Bedingungen unermüdlich weiterarbeiten”, lässt sich Ismayilova zitieren. Als Weltreporter wissen wir, es braucht mehr dieser Journalisten. Überall.
Laut Right Livelihood Award ist “Khadija Ismayilova ist die bedeutendste investigative Journalistin Aserbaidschans. In den vergangenen zehn Jahren hat ihre Berichterstattung den Umfang der korrupten und lukrativen Geschäfte der herrschenden Elite Aserbaidschans dokumentiert, in die auch Familienmitglieder von Präsident Aliyev involviert sind.
Sie hat Beweise für Korruption auf höchster Regierungsebene gefunden, die auch multinationale Unternehmen wie TeliaSonera betrafen. Ihre Recherchen und Dokumentationen zeigen auf, wie der Reichtum der Nation geplündert und ins Ausland geschleust wird. Mit dem Geld werden zum Beispiel europäische Politiker beeinflusst, wie der aktuelle Fall der CDU-Bundestagsabgeordneten und Vorsitzenden der Deutsch-Südkaukasischen Parlamentariergruppe Karin Strenz zeigt: Die Politikerin äußerte sich gegen hohe Zahlungen aserbaidschanischer Lobbyfirmen positiv über das Regime, lobte im Gegensatz zur OSZE-Beobachtermission die Wahlen 2010 und stimmte als einzige deutsche Abgeordnete im Europarat gegen eine Resolution zur Freilassung politischer Häftlinge in Aserbaidschan. Gegenüber dem Deutschlandfunk sagte Ismayilova: “Solche Leute ermöglichen es dem Regime, unsere Freiheit zu unterdrücken und uns ins Gefängnis zu bringen.“
Wir berichten aus mehr als 160 Ländern –
aktuell, kontinuierlich und mit fundiertem Hintergrundwissen.
Vorvergangenen Freitag, 7. April 2017, wurde ein Anschlag in der Stockholmer Innenstadt verübt. Ähnlich wie in Berlin raste ein LKW durch die Fußgängerzone und der Fahrer ermordete so vier Menschen. Vier Menschen, die ihren Angehörigen entrissen wurden und deren Leben durch Terror gewaltsam beendet wurde. Eine schreckliche Tat, die dazu geführt hat, dass viele Schweden öffentlich ihr Mitgefühl ausgedrückt sowie der Polizei gedankt haben.
Über die Hintergründe des mutmaßlichen islamistischen Terroristen habe ich unter anderem für Zeit online (hier über die schwedischen Reaktionen und hier unmittelbar nach der Tat) berichtet und auch einen Kommentar für die Deutsche Welle geschrieben. Auf Artikel und Kommentar wurde wiederum mit einigen Leserkommentaren geantwortet. Die Debatten, die das Internet ermöglicht, sind eine hervorragende Möglichkeit, das Meinungsmonopol (wenn man es denn so nennen möchte) der Journalisten zu brechen.
Ziemlich häufig jedoch, geht es längst nicht um Debatten, sondern was in den Kommentarspalten zu lesen sind, sind Pauschalverurteilungen und Wutausbrüche. Als Antwort auf einige Kommentare unter meinem Kommentar für die Deutsche Welle habe ich selber eine Antwort verfasst. Denn Debatten sind es, die nötig sind, und nicht Pauschalvorwürfe. Hier also meine Antwort (die bei DW nicht mehr veröffentlicht werden konnte, da die Kommentarfunktion nur kurzzeitig offen ist):
“Vielen Dank für die zum großen Teil kritischen Kommentare, auf die ich gerne kurz antworten möchte. Die Angehörigen der Opfer dieser grausamen Tat verdienen unser aller Mitgefühl und denen, die in Stockholm getötet worden sind, gilt es zu gedenken. Das ist bei einer solchen Tat eine Selbstverständlichkeit und anders als manch Kommentator schreibt, meine ich nicht, dass „die Opfer und ihre Familien schnell vergessen werden müssen“. Derartiges steht in meinem Kommentar nicht. Das wird jedem, der diesen wirklich gelesen hat, klar sein.
Was ich in meinem Kommentar hingegen tue, ist auf die gesellschaftlichen Folgen einer derartigen Terrortat zu fokussieren. Das heißt ganz und gar nicht, die schrecklichen Folgen für die Familien in Abrede zu stellen. Dass manch ein Leser es so gelesen hat, gibt mir zu denken, manchmal kommt man nich umhin zu erwägen, ob es Leser gibt, die aus einem Text nur das herauslesen, dass sie lesen möchten. Für eine Familie ist es grausam, einen Angehörigen durch eine derartige Terrortat zu verlieren, diesen gilt unser Mitgefühl.
Im Text erwähne ich auch andere Taten und Unfälle, die in Teilen dem aktuellen Attentat ähneln. Immer wieder wird einem bei Vergleichen der Vorwurf gemacht, gleichzusetzen. Doch vergleichen und gleichsetzen sind verschiedene Dinge. Von daher wird in diesem Text Terror nicht mit einem Unfall gleichgesetzt. Verglichen werden kann, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten. Das mag manchmal schwieriger sein als einfach gleichzusetzen, doch es sind die differenzierten Betrachtungen, die Diskussionen ermöglichen, die Politik und Gesellschaft weiterbringen können. Wer die Terrorgefahr überhöht und andere Risiken verdrängt (so sind alleine im Januar auf Deutschlands Straßen 234 Menschen ums Leben gekommen – Tendenz glücklicherweise fallend), hat einen großen Wunsch der Terroristen womöglich schon erfüllt: panisch und irrational zu reagieren.
Zuletzt noch kurz zum Zitat des israelischen Historikers Yuval Noah Harari. Es handelt sich selbstverständlich um eine Art bildhaften Vergleich. Ihm geht es explizit darum, was derartiger Terror (die Fliege) mit Europa (der Porzellanladen) macht. Auch Harari spricht also von gesellschaftlichen Auswirkungen und nur weil er die schrecklichen Folgen für die einzelnen Familien nicht erwähnt, negiert er diese noch lange nicht. Es geht auch ihm um eine Betrachtung der möglichen gesellschaftlichen Bedrohung. Das gesamte Interview mit ihm ist im Spiegel 12/2017 erschienen und auch online zu lesen (derzeit jedoch nur gegen Bezahlung). Dass Terrorismus (die Fliege) bekämpft werden sollte, dafür würde sich sicherlich auch Harari aussprechen.
Dass Terror durch geschlossene Grenzen nicht verhindert wird, zeigen Beispiele der letzten Jahrzehnte wie NSU und RAF. Und: Nein, andere (rechts- wie linksxtremistische) Terrortaten zu erwähnen, ist weder Gleichsetzung noch Verharmlosung islamistischen Terrors, sondern lediglich ein differenzierter Beitrag zur Debatte.”
Wir berichten aus mehr als 160 Ländern –
aktuell, kontinuierlich und mit fundiertem Hintergrundwissen.
Das Programm des Weltreporter-Forums 2016 in Raiding/Burgenland steht:
Wir freuen uns mit unseren internationalen Gästen auf einen spannenden Sommer-Nachmittag auf dem Land. Und auf Sie!
Wir berichten aus mehr als 160 Ländern –
aktuell, kontinuierlich und mit fundiertem Hintergrundwissen.
Die Wallenbergs sind ohne Frage die einflussreichste Industriellenfamilie in Schweden. Banken, Maschinenbau, Ausbildung – kaum ein zentraler Sektor, in dem sie nicht mit die Fäden ziehen.
Jetzt ist Peter Wallenberg, für viele die Spitze der Dynastie, gestorben.
Der Clan aber wird überleben, schließlich sind die Cousins Jacob und Marcus Wallenberg schon lange bestens positioniert. Wie die Familie denkt und was sie lenkt steht in meinem Artikel, den ich für die Wirtschaftswoche geschrieben habe. Obwohl schon ein paar Jahre alt, eine gute EInführung in die Dynastie. Zum Lesen bitte hier entlang.
Wir berichten aus mehr als 160 Ländern –
aktuell, kontinuierlich und mit fundiertem Hintergrundwissen.
Selbstbespiegelung ist in den nordischen Ländern recht ausgeprägt, zumindest auf kollektivem Niveau. Wenn im Ausland über das eigene Land berichtet wird, ist das fast immer eine Schlagzeile wert. Schwedische Medien berichteten sogar in eigenen Artikeln, dass der Selbstmordattentäter vom Dezember in Stockholm international auf Interesse stieß – es schien als sei man stolz darauf.
Es muss wohl an einem gewissen Minderwertigkeitskomplex liegen, wenn jedes bisschen Aufmerksamkeit gleich zu einem Jauchzen führt. Aus einem großen Land mit (glücklicherweise) wenig Nationalstolz kommend, ist mir das ziemlich suspekt. Noch suspekter muss das wohl Chinesen sein. So wie Chinesen über Berlin oder München als Großstadt nur lächeln können, beschäftigen sie sich vermutlich auch nicht damit, dass ihr Land mal wieder irgendwo im Ausland in einer Zeitung steht.
Dänemark hat es mal wieder geschafft: ‘Anerkendt britisk avis laver hyldestguide til Danmark’ (etwa: ‘Anerkannte britische Zeitung bringt lobpreisenden Dänemark-Führer’) titelt die online Ausgabe der linksliberalen Tageszeitung Politiken und schreibt voller Selbstzufriedenheit, wie toll die britischen Reisejournalisten Dänemark fänden (wenngleich sie über Rassismus klagen, auch das bleibt nicht unerwähnt). The Guardian hatte die entsprechenden Texte veröffentlicht. Letztlich handelt es sich um nichts Weiteres als die klassische typische recht unkritische Reisetippberichterstattung. Aber so wie sich viele Schauspieler, die den Zenit überschritten haben oder jene, die nie die Spitzenliga erreicht haben, über jeden oberflächlichen positiven Artikel über sie freuen, mag er auch noch so substanzlos sein, so ist es wohl mit manch kleinen Ländern – Hauptsache man kann den Eindruck erwecken, wahrgenommen zu werden.
Manchmal ist so etwas – bei Staaten wie bei Schauspielern – tragisch zu nennen. Dabei haben die Länder hier oben wie viele andere auch doch so interessantes zu bieten, warum also jedes bisschen Aufmerksamkeit aufbauschen wie ein Profilneurotiker? Vor drei Jahren präsentierte das dänisch-norwegische Künstlerduo Elmgreen und Dragset auf der U-Turn Quadriennale (die dann doch ein Einmalereignis blieb) das Werk ‘When a country falls in Love with itself’ – sie stellten einen Spiegel vor dem dänischen Wahrzeichen Kleine Meerjungfrau auf.
Dies nicht aus Eitelkeit, sondern für diejenigen, die mehr lesen möchten:
Für die online Ausgabe von art schrieb ich damals einen Artikel über U-Turn – zu lesen hier, im Interview, das ich im Herbst 2010 mit Elmgreen und Dragset für The Art Newspaper führte, sprechen sie auch über die Selbstbezogenheit Nordeuropas (wobei, was Michael Elmgreen hier sagt auch für Deutschland gelten dürfte – weniger für die seriöse Presse, aber die Bevölkerung als solche, dazu ein aktueller Text von Claudius Seidl aus der FAZ am Sonntag) – komplett nur in der gedruckten Ausgabe, ein Ausschnitt deshalb direkt im Blog:
TAN: Your works When a Country Falls in Love with Itself and Han clearly refer to the Little Mermaid. Ai Weiwei has also been influenced by Copenhagen’s famous sculpture. Why is it so appealing to tourists and artists?
ME: National symbols are always fun to investigate and work with. They tell us about national identity.
TAN: In Sweden, the new right-wing political party in parliament—the Sweden Democrats—argues against supporting non-figurative art. How do you feel, as Scandinavians, hearing that?
ME: It is totally out of touch with reality—the most conservative non-progressive art may be abstract art. But I’m not part of that society anymore: I am an emigrant, I moved somewhere else. I don’t lose sleep about tendencies in Scandinavia. It worries me more that three million people are homeless because of the flooding in Pakistan.
Wir berichten aus mehr als 160 Ländern –
aktuell, kontinuierlich und mit fundiertem Hintergrundwissen.
„Wie sieht es bei dir im Altersheim aus? Quält dich dein Chef? Verprasst ihr als Beamte unsere Steuergelder?“: Mit einem Aufruf zur massenhaften Enthüllung startet Sveriges Radio heute seinen neuen Hörer-Service „Radioleaks“. Natürlich lehnt sich die Idee an das umstrittene Vorbild WikiLeaks an, sagt Jesper Lindau, Redakteur der Nachrichtenredaktion „Ekot“. Mit drei Kollegen wird er die einströmenden Hinweise und Dokumente sichten und bei gegebenem Anlass zur Publikation aufbereiten. Auf anonyme Quellen waren die Investigativ-Journalisten des öffentlich-rechtlichen Senders schon immer angewiesen. Das Neue ist die professionelle Betreuung der Informanten. Das fängt mit der Website an. Dort wird der interessierte Mitbürger ausführlich über seine Rechte informiert. Wie WikiLeaks-Chef Julian Assange bereits feststellte, zählt Schweden nämlich zu den Ländern, wo der Gesetzgeber den Informanten einen besonders weitgehenden Schutz einräumt. In einer präzisen Anleitung lässt sich sodann studieren, wie man Dokumente verschlüsselt und sicher auf die Plattform hochlädt. In gerade einmal sechs Wochen entwickelte die Redaktion das nötige technische Umfeld für Datenübermittlung und Verschlüsselung. Anders als im Fall des WikiLeaks-Informanten Bradley Mannings soll damit ausgeschlossen werden, dass sich die digitale Spur zum Tipp-Geber zurückverfolgen lässt. Ob der neue Service tatsächlich mehr Geheimnisträger zur Mitarbeit motiviert, muss die Praxis zeigen. Das erste Material sei bereits eingegangen, raunt Lindau. Sein Traum-Scoop, enthüllt der Radiojournalist, wäre eine zweckfremde Nutzung der königlichen Apanage.
Wir berichten aus mehr als 160 Ländern –
aktuell, kontinuierlich und mit fundiertem Hintergrundwissen.
Als kritischer Untertan frage ich mich gelegentlich, ob die schwedische Königsfamilie gut beraten ist. Das legendäre Pressegespräch des Königs im Wald von Trollhättan war zwar erfrischend ehrlich aber sicher kein Musterbeispiel für gelungene Krisenprävention. Auch seine leidensfähige Gattin Silvia gab keine Figur ab, als sie wenige Wochen vor der Hochzeit ihrer ältesten Tochter Victoria ein Team des Stockholmer Senders TV 4 zur Audienz empfing. Die Frage nach der NSDAP-Mitgliedschaft ihres verstorbenen Vaters Walther Sommerlath kam sicher nicht unerwartet. Gleichwohl druckste die 1943 in Heidelberg geborene Silvia herum. Ihr Vater sei der brasilianischen Auslandsorganisation der NSDAP in einem Überlauf der Gefühle beigetreten, aus Freude über die „Wiedergeburt des Vaterlandes“, das sich damals „aus der Asche erhob“.
Ein erster Proteststurm nach der Ausstrahlung im Mai ging alsbald im Taumel der Traumhochzeit unter. Doch Mats Deland ließ nicht locker. Im brasilianischen Domizil der Familie Sommerlath forschten der Historiker und seine Kollegen vom Politmagazin “Kalla fakta” den strammen Nazi-Kumpanen des Patriarchen nach. In Berliner Archiven stieß er auf die brisanteste Spur. Sie führt zum jüdischen Fabrikanten Efim Wechsler, der 1939 seinen lukrativen Betrieb für einen Spottpreis an Walther Sommerlath verkauft haben soll. Der Vater der Königin – ein Profiteur der „Arisierung“.
Im zweiten Teil der Dokumentation, der am Sonntag ausgestrahlt wurde, spürten die Autoren der Verwandtschaft Wechslers in Israel nach. Die Zwangslage ihres Onkels Efim habe sie sich nie richtig klar gemacht, sagte Daniella Wexler nun dem Boulevardblatt Expressen. Ihre Mutter habe stets von einem Tauschgeschäft gesprochen. Die Mutter sei der Königin sogar einmal auf einem Empfang begegnet, erinnert sich die pensionierte Richterin. Die Frauen hätten sich sehr nett unterhalten. Auch Wexler urteilt milde über die nunmehr schweigende Silvia: „Sie ist von diesen Enthüllungen vermutlich genauso überrascht wie ich.“
Wir berichten aus mehr als 160 Ländern –
aktuell, kontinuierlich und mit fundiertem Hintergrundwissen.
Noch eine Erfolgsmeldung aus der Reihe “Bücher, die sich verkaufen”: Nachdem der König bei seiner Elchjagd die neue Skandal-Biographie “Den motvillige monarken” zwar eigentlich nicht, dann aber doch (und erfrischend zweideutig) rezensierte, geht das Werk ab wie ein Zäpfchen. Das Autoren-Trio grub tief in der Unterwäsche der Bernadottes. Thomas Sjöberg ist der bekannteste der drei Sudelfinken. Seine unverlangt eingesandten Porträts sind Legende. Er hat Nationalheiligtümer wie den IKEA-Boss Ingvar Kamprad und die Regie-Legende Ingmar Bergman zur Strecke gebracht. Hat er diesmal einen kapitalen Zwölfender geschossen, wie Beobachter in Stockholm munkeln, oder doch nur einen Bock? Auf ein Wort dazu auf NDR und WDR.
Wir berichten aus mehr als 160 Ländern –
aktuell, kontinuierlich und mit fundiertem Hintergrundwissen.
Bis heute sieht sich das Nobelkomitee am Karolinska Institutet (KI) nicht in der Lage, auf meine Anfragen zum Skandal um die Bekanntgabe des diesjährigen Nobelpreises für Physiologie oder Medizin zu antworten. Gewöhnlich wird man unter der Woche mit gefühlten zwei Dutzend Pressemitteilungen aus der Stockholmer Uniklinik bombardiert. Doch diesmal schweigen die Gelehrten vielsagend. Das Leck in ihren Reihen ist einer der größten Skandale in der Geschichte der Preisvergabe. Bereits im Juni hatten sich die sechs Mitglieder des Nobelkomitees auf den Briten John Edwards als Preisträger geeinigt, die Abstimmung im Kollegium der Nobelversammlung am Morgen der Verkündung ist eine Formalität. Den Kreis der Insider schätzt Karin Bojs, erfahrene Wissenschaftsjournalistin der Zeitung Dagens Nyheter daher auf gerade einmal 10 Personen. Die Motive für den Verrat sieht sie in anhaltenden Konflikten an der Klinik, die dem Fachblatt Nature bereits im Sommer eine Geschichte wert waren. Während sich die Konkurrenz vom Svenska Dagbladet für den gelungen Scoop auf die Schulter klopft, fürchtet Bojs um den guten Ruf der Nobelstiftung. Selbst hätte sie keine Sekunde gezögert, das Geheimnis auszuplaudern, sagte sie mir. Sie legt aber Wert drauf, dass sie einen anderen Stil pflege. Kollegen bewundern sie für ihre Einsichten in die Forscherwelt. Mit ihren Spekulationen über die Preisträger hat sie immer wieder richtig gelegen. Keine Zauberei, versichert sie mir, sondern Früchte eines fleißigen Studiums offener Quellen. Sie liest die Publikationen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften und die Kommentare, lauscht den Symposien. Von Forschern lässt sie sich höchst ungern beeinflussen. Und Pressemitteilungen sind so launisch wie der Herbstregen in Schweden (s.o.).
Wir berichten aus mehr als 160 Ländern –
aktuell, kontinuierlich und mit fundiertem Hintergrundwissen.
Starker Andrang altbackener Medien auf WikiLeaks-Boss Julian Assange, der sich im Norden vom Verfolgungsdruck des Pentagons entspannt. Die Militärs hätten ihm statt der angefragten Hilfe bei der Sichtung der über 90.000 Dokumente des kürzlich veröffentlichten „Afghan War Diary“ eine Liste von Forderungen übersandt, klagt der Australier: Er möge das bereits munter zirkulierende Material löschen, auf künftige Publikationen von als geheim gestempelten Dokumenten verzichten und generell die Zusammenarbeit mit Informanten im Dienst der US-Streitkräfte einstellen.
Dass die Namen “unschuldig Beteiligter“ an die Öffentlichkeit gerieten, will Assange nicht ausschließen. Solche Fehler seien auch bei “vergleichbar voluminösen Projekten” wie etwa der “Aufarbeitung der Stasi-Akten” unterlaufen. Für die kritisierte Veröffentlichung von Klarnamen gäbe es allerdings auch gute Gründe, wehrt sich Assange. Wenn sich etwa örtliche Journalisten oder Offizielle vom US-Militär bestechen ließen, hätten die Afghanen ein Recht darauf, dies zu erfahren.
Die publizistische Sorgfaltspflicht nehme man durchaus ernst. Aus diesem Grund würden in Kürze auch 15.000 weitere Dokumente mit besonders sensiblen Hinweisen auf die Quellen nachgereicht. Dieses Material habe seine kleine, wenn auch rapide wachsende Organisation nämlich erst einmal Zeile um Zeile auf denkbare Gefährdungen abklopfen müssen.
Auch die Sicherheit der eigenen Informanten wird WikiLeaks nicht garantieren können, solange die Internetplattform einen Großteil ihres traffics über schwedische Server abwickelt, warnen indessen Rechtsexperten wie Anders Olsson. Um vom legendären Quellenschutz im selbst ernannten Musterland der Pressefreiheit zu profitieren, müsse die flüchtige Organisation nämlich erst einmal einen Verantwortlichen mit fester Adresse benennen.
Er sei bemüht, solche Zweifel auszuräumen, sagt Assange mit sanfter Stimme. Ohnehin sei man auf den Umgang mit Organisationen eingestellt, die sich von Recht und Gesetz traditionell kaum beeindrucken ließen. Man darf vermuten, dass ihm die Tunneldienste schwedischer Hacker-Kollegen mehr Vertrauen einflößen als Schwedens stolzes Presserecht aus dem Jahre 1766.
Wir berichten aus mehr als 160 Ländern –
aktuell, kontinuierlich und mit fundiertem Hintergrundwissen.
Als Ungedienter bleibt mir der komplizierte Kranichtanz des Garderegiments auf ewig rätselhaft. Vorige Woche bin ich aber doch zum Schloss gelaufen, um mir das Schauspiel anzutun. Denn die Bewachung der Königsfamilie war stets das edelste Privileg des Wehrpflichtigen. Und mit dieser stolzen Tradition ist es nun vorbei.
Genau 109 Jahre nach ihrer Einführung haben die Schweden die allgemeine Wehrpflicht ausgemustert. Stellvertretend für die vier Millionen Landsleute, die sich vor ihnen schon zu Lande, zu Wasser und in der Luft durch ihre „lumpen“ genannte Grundausbildung quälten, wurden Carl-Johan Grape, Mikael Löjdkvist und Kajsa Andersson mit Orden dekoriert. Logisch, dass die drei ausgesuchten Mustersoldaten den Streitkräften für´s Erste erhalten bleiben – als Logistikexpertin der Luftwaffe, Matrose auf einem U-Boot-Jäger und Scharfschütze in Afghanistan.
Teure Rüstung und starke Freiwilligenverbände waren für das neutrale Land lange Zeit selbstverständlich. Im Kalten Krieg standen bis zu 800 000 Mann unter Waffen. Mächtige Bunker wurden in die Felsen getrieben. Vielen Schweden unvergessen sind die Eskapaden des Fabian Bom. Der Komiker Nils Poppe spielte in den frühen Nachkriegsjahren den hyperaktiven Gefreiten, der seine Vorgesetzten mit Eigenmächtigkeiten zur Verzweiflung bringt.
In Zukunft will man hoch spezialisierte Berufssoldaten mit der Landesverteidigung sowie den bewaffneten Einsätzen im Ausland beauftragen. Ganz famos gehe es mit der Rekrutierung voran, versichert Oberbefehlshaber Sverker Göranson. Doch das ist eine höfliche Übertreibung. Bei der ungedienten Jugend nämlich hält sich das Interesse am Berufsbild des Soldaten in Grenzen.
Mit martialischen Kinospots sucht die Truppe daher nach Verbündeten im Kampf gegen das Böse. Die zum Teil in Südafrika inszenierten und an der Heimatfront ziemlich umstrittenen Streifen garantieren spannende Momente bei der Jagd auf Piraten und versprechen Schlaufüchsen eine Karriere mit Biss. Als strategischer Partner sind Johan Måns und seine Kollegen vom Rekrutierungszentrum der Streitkräfte natürlich auch auf der auf der Computerspielmesse „Dreamhack“ im südschwedischen Jonköping vertreten. Im Schlachtenlärm von „World of Warcraft“ und „Counter-Strike“ suchen die Offiziere nach dem Ego-Shooter von morgen. Wenn es der guten Sache dient, kennt Schwedens Militär keine Berührungsängste.
Wir berichten aus mehr als 160 Ländern –
aktuell, kontinuierlich und mit fundiertem Hintergrundwissen.
Per Edström am Wrack: Im letzten Herbst ist ihm seine „Pamela“ gekentert. „Schon seltsam, dass Boote schneller rosten als Menschen“, bemerkt der 81-jährige Theatermacher lakonisch. „Selbst bin ich noch nicht ganz so weit.“ In den guten alten Zeiten waren Edström und seine Kumpane von der „Republikanischen Segelvereinigung“ ein Schrecken der Meere. Sie hielten es schlicht für unwürdig, dass man im schwedischen Musterland den Posten des Staatsoberhaupts vererbt.
„Die Initiation bestand darin, im feinen Clubhaus der Königlichen Segelgesellschaft auf Sandhamn eine Mütze zu stehlen und das Wappen mit der Königskrone herauszuschneiden“, erinnert sich Edström. Bei republikanischen Regatten wurde so manche Königspuppe guillotiniert. Stets versank das edle Haupt unrettbar tief in dunklen Fluten.
Im Freihafen der Piraten auf der idyllischen lnsel Värmdö in den Stockholmer Schären stapeln sich Oldtimer, Skulpturen, ausgediente Kulissen und rostige Maschinenteile in byzantinischer Fülle. Doch nach einem halben Jahrhundert des vergeblichen Widerstands fühlen die Kämpen von einst kaum noch Wind in den Segeln. „Auch Republikaner können aussterben“, philosophiert Edström über den royalen Klimawandel. Fraglich, ob die gebrechliche Crew noch in der Lage ist, ihr Mutterschiff zu bergen. Dabei war „Pamela“ einst die Königin der Meere, behauptet der betagte Skipper. „Der norwegische Entdecker Fritjof Nansen schipperte mit ihr nach Grönland. Dann ging es einmal um die Welt, 20 Jahre lag sie vor Bali. Und kehrte dann in nordische Gewässer zurück, wo ich sie vor vielen Jahren gekauft habe. Leider habe ich dieses Erbe nicht besser verwaltet.“
Der Kiel schlug um, das Schiff lief voll. Und nun liegt es ein Fußbreit unter Wasser. Doch Edström hat noch Träume. Bis zur Hochzeit der Kronprinzessin Victoria mit ihrem Fitnesstrainer Daniel bleiben ein paar Tage. Seine “‘Pamela” will er heben. Und Kurs setzen auf das königliche Schloss und auf die Festgemeinde. „Ein wenig Pumpen, ein wenig Ziehen. Dann taucht sie wieder auf – mit unserer stolzen Flagge im Mast.“
Wir berichten aus mehr als 160 Ländern –
aktuell, kontinuierlich und mit fundiertem Hintergrundwissen.
Wenige Wochen vor der Traumhochzeit der schwedischen Kronprinzessin Victoria mit ihrem Fitnesstrainer Daniel Westling am 19. Juni wird das Königshaus von bösen Schlagzeilen erschüttert: Prinzessin Madeleine hat ihre Verlobung mit dem Anwalt Jonas Bergström aufgelöst. Die beiden hätten sich nach reiflicher Überlegung entschieden, künftig getrennte Wege zu gehen, teilte das Königshaus in dürren Worten auf seiner Webseite mit. Und sprach zugleich einen Tadel für die Medienzunft aus: Die „extreme Berichterstattung“ der letzten Tage sei alles andere als hilfreich gewesen.
Gerüchte von Untreue wucherten in den schwedischen Redaktionen seit geraumer Weile. Doch erst als im norwegischen Boulevardblatt Se og Hør eine junge Norwegerin ihre angebliche Affäre mit dem schneidigen Anwalt hinausposaunte, war auch in Schweden kein Halten mehr. Erst spekulierte das royale Sturmgeschütz Svensk Damtidning, ohnehin im Kreuzfeuer, weil man erst die geschützte Personalnummer der Kronprinzessin preisgab und dann auch noch die Königin an Alzheimer erkranken ließ. Später stiegen auch vergleichbar seriöse Blätter wie Expressen oder Aftonbladet in die „Madde-Afäre“ ein.
Der Medienanalytiker Olle Lidbom wundert sich im Medienmagazin Medierna über die ungewöhnlich grellen Schlagzeilen. Denn anders als etwa in Dänemark und Norwegen, wo viel Persönliches berichtet wird, hielten schwedische Blätter bislang vergleichbar höfliche Distanz zu den Bernadottes. „Für die Abendzeitungen war es ein bedeutsamer Schritt, mit so harten Bandagen gegen den Hof vorzugehen. Man warf einmal im Jahr pflichtschuldig die Frage auf, wohin die Apanage floss. Aber im Übrigen war man stets sehr untertänig. Dies hier ist ein echter Paradigmenwechsel.“
Auch Jan Helin griff zu. Mit Widerwillen, wie der Chefredakteur von Aftonbladet treuherzig versichert. Dafür aber seitenlang und in Farbe: „Unsere Berichte haben mir keine Freude bereitet. Aber die Geschichte hat eine Relevanz, schließlich geht es um die Thronfolge. Allerdings wurden hier auch Persönlichkeitsrechte berührt. Und da hat man die Grenze ganz klar verschoben. Schwer vorstellbar, dass es bei künftigen Geschichten aus der Königsfamilie mehr Zurückhaltung gibt.’
Nun ist die Prinzessin nach New York entfleucht, um Abstand zu gewinnen. Die Preise auf dem Bildmarkt steigen, die Papparazzi lauern. Und vor dem wuchtigen Schloss im Herzen Stockholms trauert Sten Hedman den guten alten Zeiten nach. Den erfahrenen Hofreporter kann in diesem Leben kaum noch etwas aus der Ruhe bringen: „Man wartet, bis die Norweger vorlegen. Dann hat man ein Alibi, um die Geschichte abzubrennen. Früher war das anders. Wir Älteren erinnern uns an die Liebesgeschichte von Prinz Bertil und seiner Liljan. Das wussten alle. Und haben doch still gehalten. Aus Loyalität zum Prinzen. Aber heute geht es doch in erster Linie ums Geschäft.“
Wir berichten aus mehr als 160 Ländern –
aktuell, kontinuierlich und mit fundiertem Hintergrundwissen.
Die Finnen sind anders. Sauna, Trockner und Heizung bullern im Winter auf Hochtouren. Unmengen Energie verschlingen auch Zellstoffabriken, Stahlhütten und Chemiewerke. Der benötigte Strom soll – allen technologischen und finanziellen Risiken zum Trotz – zukünftig verstärkt durch Kernspaltung entstehen. Nicht einmal die finnischen Grünen wagen es, deswegen auf die Barrikade zu gehen. Sie bringen das Kunststück fertig, an der Regierung beteiligt zu sein und zugleich den Atomkurs des Ministerpräsidenten Matti Vanhanen heftig zu kritisieren.
Menschenketten gegen den drohenden Atomtod wird es auch im Nachbarland Schweden sobald nicht wieder geben. Obwohl sich Solveig Ternström (72) und Eva Selin Lindgren (73) nichts sehnlicher wünschen. Vor drei Jahrzehnten malten die Schauspielerin und die Kernphysikerin Protestplakate und sammelten Unterschriften für den Atomausstieg. Heute sitzen die beiden für die Zentrumspartei im schwedischen Reichstag. Ausgerechnet das bäuerliche Zentrum, lange Jahre eine feste Bastion der Kernkraftgegner, ebnete im Vorjahr den Weg für den „Energiekompromiss“ der bürgerlichen Vier-Parteien-Koalition. Im Gegenzug für neue Atommeiler ließ sich die Zentrums-Chefin und Wirtschaftsministerin Maud Olofsson das Versprechen geben, künftig mehr Geld für erneuerbare Energien wie die Windkraft locker zu machen.
Ihre eigene Fraktion hatte die forsche Vorsitzende während einer Dienstreise in Straßburg regelrecht überrumpelt. In einer Telefonkonferenz wurde den Abgeordneten beschieden, sie müssten der Einigung im Interesse des Koalitionsfriedens ihren Segen geben. Dabei gärt es an der Basis gewaltig: Austritte häufen sich. Auch in der Wählergunst erlitt die Partei in Umfragen massive Einbußen, sie liegt nur knapp oberhalb der Vier-Prozent-Hürde. In hunderten Briefen, E-Mails und Telefonanrufen sprachen enttäuschte Zentrums-Anhänger den Revoluzzern Mut zu.
Die sollen noch vor der Sommerpause im Parlament fürt den Neubau von Atommeilern stimmen. Doch sie weigern sich. Nicht ausgeschlossen, dass sich weitere Abgeordnete ihrem Protest gegen den Atomkonsens anschließen. Vier Gegenstimmen aus dem bürgerlichen Lager würden theoretisch reichen, um das Gesetz zu kippen. Als Schauspielerin ist Solveig Ternström für jede dramaturgische Zuspitzung empfänglich: Sie werde mit Nein stimmen, versichert die Schwedin trotzig – selbst wenn sie dabei in den Lauf einer Pistole blicken müsste.
Wir berichten aus mehr als 160 Ländern –
aktuell, kontinuierlich und mit fundiertem Hintergrundwissen.
„Ein Zeitfenster!“, schnauft der schreibende Kollege im Nebenraum. Hektik bricht aus: In Windeseile wird mit dem Flughafen telefoniert, ein Taxi bestellt. Vorher noch schnell nach Hause und dort den Koffer mit Zahnbürste, festem Schuhwerk und Pullover bepackt: Die Aschewolke über Stockholm hat sich vorübergehend gelichtet, das Flugverbot am Luftkreuz Arlanda wurde für ein paar Stunden gelockert – am Nachmittag soll die erste Maschine seit Tagen nach Reykjavik gehen. Neidisch sehe ich den Kollegen enteilen – mich selbst halten andere Geschichten in Stockholm fest.
Wer es einrichten kann, macht sich spätestens jetzt auf dem Weg zum Vulkanschlot am Eyjafjallajökull. Ein Großteil der Maschinen bleibt auch heute am Boden. Niemand weiß, wie lange die Route nach Island noch offen bleibt. Und niemand hat Gewissheit, wie und wann er von der Insel wieder herunterkommt.
Wer sich erfolgreich durchgeschlagen hat, wie der schwedische TV-Reporter Per Anders Engler, dem gelingen eindrucksvolle Bilder aus der Schwefelwolke. Der Schafsbauer Runar Grimarsson aus dem Weiler Saudhusvöllor zu Füßen des Gletschers bleibt auch im Angesicht der Naturgewalten noch stoisch gelassen. Nur bei seinen Pferden ist kein Halten mehr als sich der Wind nach Süden dreht.
Wir berichten aus mehr als 160 Ländern –
aktuell, kontinuierlich und mit fundiertem Hintergrundwissen.
Für die einen sind sie ein Symbol trauter Eintracht, für die anderen nur ein ärgerliches Hindernis: Kronprinzessin Victoria und ihr auserkorener Prinzgemahl Daniel Westling, die sich im königlichen Park Haga im Norden Stockholms das Nest für künftige Familienfreuden bereiten. Der Park wurde von 1771 bis 1780 auf drei Inseln in Brunsviken nach eigenhändigen Skizzen des Künstlerkönigs Gustav III. zu einer idealen Naturlandschaft geformt und darauf kleine Brücken, Tempel, Pavillons und Kanäle verteilt. Doch bevor er die Pläne zu einem monumentalen Palast realisieren konnte, begegnete Gustav auf einem Maskenball 1792 seinem Mörder. Immerhin das bescheidene Schloss Haga wurde fertig. Hier wuchs König Carl XVI. Gustaf in den 40er Jahren vaterlos unter seinen Schwestern Margaretha, Birgitta, Desirée und Christina auf. Fortan wurde das Gemäuer als Gästehaus der Regierung genutzt. Wo einst allerhand illustre Würdenträgern ihre müden Häupter betteten, sollen nach der Traumhochzeit im Juni die Thronfolgerin und ihr Gemahl einziehen. Hundehalter und Flaneure ärgern sich schon jetzt über den pompösen Eisenzaun, der im Park emporwächst.
Unterdessen polieren sie im Stockholmer Dom die Wappen der Edlen und das hölzerne Standbild des tapferen Georg, zu dessen Füßen sich der dänische Drache windet. Das mediale Großereignis beschert Storkyrkan eine Generalüberholung für umgerechnet 1,4 Millionen Euro. Mit immer neuen Alarmmeldungen aus der Welt der Schneider, Juweliere und Kuchenbäcker fiebert Svensk Damtidning dem Mittsommer entgegen. Und auch Johan Lindwall, Hofberichterstatter des Boulevardblatts Expressen müht sich verzweifelt, dem recht drögen Fitnesstrainer Daniel skandalöse Seiten abzuringen. Derweil setzt das öffentlich-rechtliche SVT auf Dauerberieselung: Die recht blonde Ebba von Sydow konfrontiert das ermüdende Publikum an jedem Montag mit allerhand Kuriositäten nordischer Blaublüter.
Nur im schönen Ockelbo können sie ganz gelassen sein. Dort hat Viktoria im Juni letzten Jahres die Kälber „Embla“ und „Ask“ zur Welt gebracht. „Daniel weiß wirklich wie er die Damen zu nehmen hat“, schwärmt Lars Akesjö von seinem kapitalen Sechsender. In der nordschwedischen Heimat des Prinzgemahls betreibt der findige Schwede eine Elchfarm. Schon vor Jahren hat er den Rummel um die Hochzeit vorausgesehen und seine Jungelche nach dem Bernadotte-Spross und ihrem bürgerlichen Lover benannt.
Wir berichten aus mehr als 160 Ländern –
aktuell, kontinuierlich und mit fundiertem Hintergrundwissen.
Vor ziemlich genau einem Jahr machte ich mich zu einer Reise durch das lange Schweden auf. Ich wollte der jüngsten Wendung im Dauerstreit um die Atomkraft nachspüren. Die bürgerliche Regierung in Stockholm hatte gerade den Ausstieg aus dem Ausstieg beschlossen. Die alten Meiler sollten länger laufen dürfen, bei Bedarf sogar neue entstehen. Aus seinem Bürofenster im stillgelegten AKW Barsebäck betrachtete Leif Öst ein Spalier von Windmühlen im Sund vor Kopenhagen. Der scheidende Kraftwerkschef führte damals das Kommando über 200 Arbeiter und Ingenieure in einer absurd anmutenden Zwischenwelt – während sich die einen noch Gedanken über die Abwicklung machten, planten die Kollegen nebenan schon die Reaktoren von morgen.
Wie all ihren Besuchern, versicherte mir Jenny Rees von der Atomfirma SKB, das Problem mit der Endlagerung sei gelöst. Rund 10 000 Atomtouristen schleusen Jenny und ihre Kollegen alljährlich durch den Versuchsstollen unter einer idyllischen Halbinsel bei Oskarshamn . 450 Meter tief im Granitgestein soll der Strahlenmüll, eingehüllt in 25 Tonnen schweren Kupferkapseln, bis in alle Ewigkeit ruhen.
Auch in der Atomgemeinde Forsmark, die am Ende den Zuschlag für den Bau des Endlagers erhielt, strahlten sie einen überraschenden Optimismus aus. Ausländischen Fernsehteams wurden so oft die badenden Kinder im warmen Abflusskanal des Pannenreaktors vorgeführt, dass sich das Bild vom „Schwedischen Atomidyll“ zwangsläufig aufdrängte.
Dabei brodelte es schon damals gewaltig hinter den Kulissen. „Schweden ist furchtbar abhängig von der Atomkraft und das Zentrum hat ein Problem mit der Demokratie“. So brachte etwa Christer Jonsson aus Kalmar seine Enttäuschung über den drastischen Kurswechsel seiner Partei auf den Punkt. Wie so viele seiner Parteifreunde ist der einflussreiche Lokalpolitiker überzeugter Atomkraftgegner. Dass ausgerechnet das bäuerliche Zentrum, lange Jahre eine feste Bastion des Widerstands, den drei Jahrzehnte gültigen Volksentscheid kippte, können viele an der Basis nicht begreifen. Zumal sie nicht gefragt wurden. Den Kurswechsel habe die Vorsitzende Maud Olofsson an der Partei vorbei organisiert, monieren die Kritiker.
Die muss sich nun warm anziehen. Mindestens drei parteiinterne Widerständler im Parlament wollen bei der noch vor den Wahlen im September anstehenden Abstimmung über den Energiekompromiss ihre Stimme verweigern. Die Schauspielerin Solveig Ternström (Jahrgang 1937) erklärte, sie ließe sich selbt vor einer Pistolenmündung nicht umstimmen. Und ihre Parteifreundin Eva-Salin Lindgren geht noch einen Schritt weiter. Wie es denn sein könne, fragt die Kernphysikerin, dass mit der Entwicklung der Endlagermethode ausgerechnet die Atomfirma SKB betraut sei. In der Tat werden aus einem staatlich verwalteten Rücklagenfonds für die Atomendsorgung Projekte finanziert, die SKB in Auftrag gibt. „Wir brauchen mehr unabhängige Forschung“, fordert Lindgren.
Der Aufruhr gegen den Energiepakt könnte für das Zentrum böse Folgen haben. In jüngsten Umfragen kratzt die Partei gefährlich an der 4-Prozent-Hürde.
Wir berichten aus mehr als 160 Ländern –
aktuell, kontinuierlich und mit fundiertem Hintergrundwissen.
Im Kühlregal vom Supermarkt mache ich eine Entdeckung. Das neue Klimasiegel – ein grüner Baum und das Kürzel „CO2“ – ziert einen Yoghurt-Becher. Erstaunlich, denn die Kuh an und für sich steht nicht im Ruf, dem Klima gut zu tun. Das Rindvieh pupst Methan in die geplagte Atmosphäre. Wo es sein Gras rupft, wächst kein Regenwald. In Schweden haben sich die vermeintlichen Zeichen des Fortschritts und der Aufklärung rasant vermehrt. Sie prangen auf Lebensmitteln im Supermarkt und auf den Menükarten von Restaurants. Und in Zukunft wird dort genau aufgelistet sein, wieviel Treibhausgas eine Ware produziert, versprechen die Zertifizierungsfirmen Svenskt sigill und KRAV, die der Bauernkooperative nahe stehen.
Für mich als gemeinen Verbraucher wird die Lage nicht übersichtlicher. Allerhand Tabellen zu Kalorien, Fett und Zusatzstoffen gilt es zu studieren. Hinweise zur sozialen und politischen Verträglichkeit der Ware wollen beachtet sein. Und nun also soll ich auch noch den Planeten retten. Die allmächtige Lebensmittelbehörde empfiehlt mir, lieber Mohrrüben als Gurken und Tomaten zu essen, weil die in nördlichen Breiten in beheizten Gewächshäusern aufwachsen. Fisch ist zwar gesund, wird aber nur in Maßen beworben, weil die Fischgründe Europas leergeplündert sind.
Die Idee zum Klimasiegel geht auf eine Studie des Umweltrats zurück. Dessen Forscher hatten berechnet, dass sich in einem Industrieland wie Schweden rund ein Viertel der Kohlendioxid-Emissionen auf die Produktion und Transport von Nahrungsmitteln entfallen. Mit einem Ablass in Form von Pflanzungen im Regenwald wirbt in Schweden seither sogar eine Fastfood-Kette. Da erfährt man, dass uns der Burger mit drei Kilo Kohlendioxid belastet, das Truthahn-Sandwich wäre unter dem Aspekt, unser Überleben zu sichern, die bessere Wahl gewesen. „Die Telefone stehen nicht still. Ihre Kollegen rennen uns die Bude ein“, frohlockt ein Sprecher auf Anfrage.
Die Musterschweden haben es mal wieder geschafft: So kurz vor dem Gipfel in Kopenhagen ist ihr Klimasiegel in aller Munde. ARD, BBC, New York Times, alle stürzen sich auf die Geschichte. Da spielt es kaum noch eine Rolle, dass Umweltorganisationen wie der Naturschutzbund größte Zweifel hegen. Vergessen wird auch, dass die allermeisten Ökolabels in erster Linie das eine Ziel verfolgen: zweifelhafte Produkte auch in Zukunft unter die Leute zu bringen. So war es schon als uns die Schweden ihre hochtourigen und tonnenschweren Volvos und Saabs – Saurier des fossilen Zeitalters – urplötzlich als Zukunftsgefährte mit Biopower anpriesen. Getreu dem verlogenen Motto: „Pack die Wälder in den Tank!“
Ohnehin neigt der gemeine skandinavische Verbraucher im Winter kaum zum sparsamen Gebrauch von allerhand Trocknern, Saunen und elektrischen Heizlüftern. Die Lichter brennen die ganze Nacht. Der Pro-Kopf-Verbrauch der Schweden zählt zu den höchsten der Welt. Die Prasserei fällt nur deshalb in den Statistiken nicht auf, weil man über sprudelnde Wasserkraft, verlässlich desolate Atommeiler und Bäume in großer Zahl verfügt.
Wie man – ganz ohne Ökolabel – Verantwortung übernehmen kann, hat der britische Forscher Anthony Allan schon vor Jahr und Tag am Beispiel des Wassers aufgezeigt. Vegetarier begnügen sich im Alltag mit der Hälfte des benötigten Wassers, das vor allem in der Nahrung steckt. 2500 statt 5000 Liter Wasser pro Tag. Durch eine schlichte Änderung der Gewohnheiten, lässt sich die Hälfte sparen. Das gilt auch für die ganz privaten Emissionen.
Wir berichten aus mehr als 160 Ländern –
aktuell, kontinuierlich und mit fundiertem Hintergrundwissen.
Das ist jetzt kein Scherz: Hat jemand da draußen irgendwo einen Arzt übrig? In meiner geschätzten Tageszeitung, dem Sydney Morning Herald, hat heute die westaustralische Ärztekammer Kopfgeld auf GPs (General Practitioners = Allgemeinmediziner) ausgesetzt. Das ganze geht so: Ich finde den Arzt, der Arzt arbeitet für mindestens 12 Monate in Westaustralien, und ich bekomme 3000 Dollar, könnte ich grade gut gebrauchen. Und WA ist eine wirklich klasse Gegend!
Natürlich bin ich bereit zu teilen, logisch. Denn wir sind hier unten im doktorlosen Kontinent auf jede Hilfe angewiesen, koste es was es wolle. Also, Tipps aus folgenden Ländern immer gern an mich, (faires 50-50 ist Eherensache): Gefragt sind Weißkittel aus Kanada, USA, South Africa, von den Neuseeländischen Inseln ;-), aus Singapur, den Niederlanden, Schweden, Norwegen, Dänemark, Belgien, Irland und dem UK. Warum deutsche Ärtze nicht oben auf der ‘Wanted’ Liste stehen, ist mir nicht ganz klar, die müssen evtl. noch extra Beweise ihres Könnens einbringen. Aber wer Mediziner aus genannten Regionen kennt: Get them over here! Aber lasst es mich vorher wissen, danke.
Wir berichten aus mehr als 160 Ländern –
aktuell, kontinuierlich und mit fundiertem Hintergrundwissen.
Das Bücherschreiben gilt ja gemeinhin als brotlose Kunst. Allen darbenden Literaten sei zum Trost die folgende wundersame Geschichte der Isabella Lövin ans Herz gelegt: Die kernige Schwedin, Jahrgang 1963, schrieb in ihrem Journalistenleben für das Boulevardblatt Expressen über Umwelt und Naturschutz. In ihren Kolumnen im Feinschmecker-Magazin Allt om mat lässt sie sich über die fragwürdige Herkunft unserer Lebensmittel und das lasterhafte Verhalten des gemeinen Konsumenten aus.
Eine Pressemitteilung der schwedischen Fischereibehörde lässt sie 2005 aufhorchen: der Aal, ein von allerhand Mythen und Fabeln umranktes Urzeitwesen, Wanderer zwischen den Weltmeeren, Meister der Metamorphose, ist in Schweden und in den Ländern rund um die Ostsee akut vom Aussterben bedroht. Auch der Dorsch bzw. Kabeljau ist in Skagerrak und Kattegatt so gut wie ausgerottet, kaum besser sind die Aussichten für den liebsten Speisefisch der Schweden in der Ostsee und in der Irischen See. Die alarmierenden Zahlen sind Forschern und Funktionären seit Jahren bekannt, doch in den Debatten werden noch immer überwiegend diffuse Umweltgifte, Emissionswerte und Belastungen durch Stockstoff und Phosphor aus der Landwirtschaft für die Krise der Weltmeere verantwortlich gemacht.
Dabei liegt das Problem auf der Hand: Europas überdimensionale Fischereiflotte zieht alles Leben aus dem Wasser, ohne Rücksicht auf die Bestände. Mit immer schnelleren Trawlern rüsten die Fischer auf, mit Echolot und ausgeklügelten Kühlsystemen. Die EU subventioniert auch den Schiffsdiesel und garantiert die Abnahme der Quoten. Mit dem Beitritt zur Union verdreifachten sich in Schweden die Staatsausgaben für die bedrohte Spezies der Küstenfischer, zugleich zweifeln immer mehr Kapitäne am wirtschaftlichen Sinn ihrer Arbeit. Ein Großteil ihres angelandeten Fangs wird zu Tierfutter verarbeitet. Die sonst so umweltbewegten Schweden machen sich für Treibnetze stark und stimmen im Rat regelmäßig für weitaus höhere Quoten als von den Forschern der ICES empfohlen.
Lövin gräbt sich weiter durch die Statistiken. 2007 erscheint ihr überaus spannendes und faktenreiches J´Accuse. „Tyst hav“ (Das stille Meer) wird in Schweden völlig unerwartet zum Bestseller, Lövin tingelt durch die Talkshows, ein Preisregen geht auf sie nieder. Die schwedischen Grünen tragen ihr einen Listenplatz in der gutbürgerlichen Stockholmer Vorstadt Nacka an. Die Journalistin triumphiert in der Europawahl und zieht ins Europaparlament ein, wo sie sich fortan gegen die verheerende Förderpolitik und ausbeuterische Handelsabkommen sträuben will.
Mehr noch als die prestigevolle Ratspräsidentschaft führen Alltagshelden wie Lövin den Schweden vor Augen, wie verbandelt ihre nordische Heimat längst mit dem scheinbar so fernen „Kontinent“ ist. Unlängst haben sogar Schwedens Grüne – notorische Europa-Muffel – ihre traditionelle Forderung nach einem Austritt aus der Union kassiert. Auf ihre furchtlose Streiterin in Brüssel und Straßburg sind sie sogar ein wenig stolz.
Die so Gepriesene haut sich nach einer harten Sitzungswoche gern mal einen Fisch in die Pfanne. Vom Angeln nimmt die Naturfreundin Abstand. Sie findet das niederträchtig. Und womöglich fehlt ihr auch die Geduld.
Wir berichten aus mehr als 160 Ländern –
aktuell, kontinuierlich und mit fundiertem Hintergrundwissen.
Gemessen an der Einwohnerzahl gehört Schweden sicher zu den Ländern, die am meisten nationale Ikonen hervorgebracht haben: Abba, Ikea, H&M, Volvo und natürlich Absolut. Die Wodkamarke feiert in diesem Jahr ihren 30. . Wie kaum ein anderes Produkt ist Absolut in die Werbegeschichte eingegangen. Denn mit ungewöhnlichen Kampagnen schaffte es der damals noch staatliche schwedische Produzent sich im internationalen Geschäft für Alkoholika zu platzieren. Künstler wie Keith Haring und Andy Warhol haben Anzeigen für die Flasche mit dem klaren Inhalt entworfen und sie so zur Ikone gemacht (wie das alles geschah erzählt der Schwede Carl Hamilton in seiner Biographie einer Flasche).
Zwar ist die Kampagne mit den bekannten Künstlern als Gestalter seit 2007 eingestellt, doch will sich die Marke weiterhin kulturell positionieren, wie es so schön heißt. Deshalb wurde Ende Oktober in Stockholm der erste Absolut Art Award vergeben (Preisträger und mehr hier). Aus diesem Anlass ein kurzer Abriß der schwedischen Alkohol- und Privatisierungspolitik:
Seit vergangenem Jahr gehört Absolut wie der komplette Vin & Sprit-Konzern zu Pernod Ricard aus Frankreich. Zuvor war der schwedische Staat Jahrzehnte Eigner. Dank Alkoholproduktion in staatlicher Hand sollte der Konsum eingeschränkt werden, die gleiche Aufgabe haben übrigens die immer noch staatlichen Alkoholläden. Doch die 2006 angetretene liberal-konservative Regierung will privatisieren und hat Absolut verkauft und damit einmal mehr mit Alkohol tüchtig Geld verdient. Das staatliche Alkoholverkaufsmonopol aber? Bleibt vorerst. Und Vattenfall? Ebenfalls bis auf Weiteres in Regierungshand. Der Konzern, in Deutschland aktiv und berüchtigt vor allem wegen seiner vielen Probleme mit AKWs und als Betreiber von Kohlekraftwerken, soll in Schweden seinem Namen alle Ehre machen. Vattenfall bedeutet Wasserfall. Schwedische Doppelmoral? Absolutely.
Wir berichten aus mehr als 160 Ländern –
aktuell, kontinuierlich und mit fundiertem Hintergrundwissen.
Alles im Leben hat seinen Preis. Am liebsten vergeben ihn die Schweden. Weil sie so oft gelobt werden, neigen sie ihrerseits dazu, der bösen, rückständigen Welt Rezepte auszustellen. Zum Ritual gehört zwingend der Auftritt eines Blaublüters und eine Preissumme, die so schwindelnd hoch ist, dass ein Raunen durch die Menge geht. Die unbescheidene Summe von einer Million Dollar hat sich im Kreise der Selbstlosen als feste Größe etabliert. Soviel sollte einem die noble Sache schon wert sein.
Birgit Nilsson, schon zu Lebzeiten bekannt für theatralische Abgänge, hat das gewusst. Und hinterließ bei ihrem Tod 2005 ihre eigene wohl ausgestatte Stiftung und laut Selbstanpreisung den „biggest price in the history of classical music“. In einem versiegelten Kuvert erwählte die Diva den geschätzten Sangeskollegen Plácido Domingo zum ersten Jubilaren. Wozu der noch Ruhm und Geld braucht, weiß man auch beim Stiftungsrat um den ehemaligen VW-Finanzmanager Rutbert Reisch nicht so genau zu sagen. Immerhin sorge sich der Maestro um den musikalischen Nachwuchs.
Mit Pauken und Trompeten kämpft auch Abba-Manager Stig Anderson posthum gegen das Vergessen an. Ende der 80er Jahre hatte er ein paar seiner vielen Millionen in einen Musikpreis gesteckt, um sein Plattenimperium Polar in strahlenden Publicity-Glanz zu tauchen. Seither werden alternde Künstler wie Gilberto Gil, Bob Dyllan und Dietrich Fischer-Dieskau zur Preisvergabe nach Stockholm zitiert.
Lygia Bojunga, Maurice Sendak, Christine Nöstlinger – der im idyllischen Vimmerby verkündete Alma-Preis für Kinder- und Jugendliteratur schmückt sich mit großen Namen aus der Welt der kleinen Leute. Astrid Lindgren ging beim Nobelpreis zwar leer aus. Doch wenige Tage nach ihrem Tod im Januar 2002 schwang sich die damalige sozialdemokratische Regierung selbst zum Stifter auf, angeblich um das Andenken an die so schnöde übergangene Schwedin wach zu halten.
Solch Gezänk ist der ewige Club der Schwedischen Akademie gewöhnt. Am Donnerstag wird der erlauchte Zirkel wieder eine dem belesenen Normalbürger völlig unbekannte Geistesgröße zum vermeintlich unvergänglichen Literaten küren. Peter Englund, Novize im Amt des ständigen Sekretärs und eigentlich ein geselliger Typ, der leidenschaftlich gern blogt und in seiner Freizeit Rezensionen von Computerspielen schreibt, gibt sich in diesen Tagen schmallippig. Denn Kerstin Ekman, die 1984 im Protest auszog, weil die Akademie zum Todesurteil gegen Salman Rushdie keine Worte fand, stochert wieder in alten Wunden: Bis heute hätten die Sprachwächter keine rechte Traute, sich für die Meinungsfreiheit einzusetzen, so lässt sich die Kritik der zornigen alten Dame zusammenfassen.
Im norwegischen Oslo darf sich auch der Historiker Geir Lundestad, oberster Zeremonienmeister des Friedensnobelpreises, seit bald 20 Jahren die Vorwürfe von Neidern anhören, die seinem Findungskomitee abwechselnd eine falsche Auslegung des Testaments, die Hofierung mächtiger Institutionen oder den Kotau vor Supermächten ankreiden. Von einem „politischen Preis“ spricht Jakob von Uexkull. ,„Wir haben Wangari Maathai, Muhammad Yunus und Monika Hauser entdeckt“, rühmt sich der Philatelist im gleichen Atemzug. Seinen alternativen Right Livelihood Award will er als Protest an der Vergabepolitik des Komitees verstanden wissen.
Als Reporter im Norden nehm ich solche Eitelkeiten mit Gelassenheit. Ein wenig Glanz, so weiß ich doch, fällt auch auf die Journaille ab. Wann sonst darf man sich zur besten Sendezeit fachsimpelnd über die erfrischende Wirkung der Telomerase auslassen, über das musikalische Nachbeben der Formation Led Zeppelin oder die psychologischen Abgründe im Werk von Sonya Hartnett? Auch wir Reporter genießen die kleinen Fluchten aus dem oft so mausgrauen Alltag. Und fragen uns am Ende eines langen Preisreigens: Womit haben wir das verdient?
Wir berichten aus mehr als 160 Ländern –
aktuell, kontinuierlich und mit fundiertem Hintergrundwissen.
Der Hammer fällt, die Masse drängt. Eines der ersten Objekte, die am Nachmittag im Stockholmer Auktionshaus Bukowskis aufgerufen werden, ist ein 30 Jahre alter Plüschsessel in Moosgrün mit Schafsfellkissen. Ein bleicher Cineast im Strickpullover begehrt das Requisit. Zu seiner Verzweiflung sind 3000 Euro geboten. Für ein hölzernes Modell des Musentempels Dramaten wird wenig später gar der Rekordpreis von über 100 000 Euro gezahlt.
Ingmar Bergman gab sich im Leben unnahbar. Der Regisseur hauste zuletzt auf der einsamen Ostseeinsel Fårö. Mit seinem verbeulten Geländewagen fuhr er allabendlich hinüber in sein privates Kino, wo er sich vergessene Streifen ansah, aus den Zeiten als die Bilder laufen lernten. Penibler als jedes Bühnenstück wurde der Alltag inszeniert, mit handschriftlichen Regieanweisungen an die Haushälterin. Der Augenmensch umgab sich daheim mit gelber Auslegeware, roten Sofas und Kiefernholz. Seine Leibspeise waren Fleischklopse mit Preiselbeeren.
In seinem Haus starb der Filmemacher im Juli 2007 im Alter von 89 Jahren. Eigensinnig und rätselhaft bis zum Schluss hatte der Meister in seinem Testament verfügt, dass sein irdischer Nachlass und alle seine Besitzungen auf der Schafsinsel „an den Höchstbietenden“ zu verkaufen seien.
So bat man heute neben allerhand Hausrat auch Szenen-Skizzen, Reisekoffer und Pokale feil. Eine Standuhr aus dem 18. Jahrhundert schmückt den Fundus, ein seltener Munch und eine hübsche Laterna Magica. Kulturhistorisch wertvoll sind auch die Schachfiguren, mit denen Max von Sydow 1957 in „Das siebente Siegel“ gegen den Tod um das Leben spielt.
Als einziges von acht lebenden Bergman-Kindern müht sich die norwegische Schriftstellerin Linn Ullman, zumindest Wohnhaus und Kino vor dem Ausverkauf zu bewahren. Auch der frühere Ministerpräsident Ingvar Carlsson spricht sich für die Errichtung eines Künstlerzentrums auf Fårö aus. Doch auf Staatshilfe dürfen die Filmfans nicht hoffen. Wie schon bei Volvo und Saab hat die marktliberale Regierung kein Problem damit, das nationale Kleinod auf dem Basar zu verhökern. Man habe sich bereits bei der Digitalisierung alter Bergman-Streifen engagiert, betont Henrik Toremark vom Kultusministerium. „Wir können doch nicht mit Steuergeldern ein Haus kaufen und bei Auktionen mitbieten. Das ist nicht unsere Aufgabe.“
Wir berichten aus mehr als 160 Ländern –
aktuell, kontinuierlich und mit fundiertem Hintergrundwissen.
Mein Sohn Marius (4 Jahre) hat gerade seinen ersten Steuerbescheid bekommen! 4 Kronen (!) aus Zinserträgen vom Sparkonto. Die stehen der Gesellschaft zu, denn in der Abfuhr irdischer Besitztümer übt sich der Schwede früh. Die Verwaltung der Steuerschuld hat Väterchen Staat denkbar einfach gestaltet: Jedes Schwedenkind wird bei seiner Geburt mit einer zwölfstelligen Personenkennziffer ausgestattet, unter der alle nur denkbaren Informationen gespeichert sind. Jede Behörde hat Zugriff auf diese Daten. Ohne die personnummer geht auch in reiferen Lebensjahren nichts: Man kann kein Konto eröffnen, keine Wohnung mieten, keine Brille kaufen und nicht zum Arzt gehen. Hat man sie, ist alles ein Kinderspiel. Hat man sie nicht – wie gewisse Zugewanderte mit fragwürdigen Biographien – lohnt es kaum weiterzuleben.
Praktisch ist auch die auf eine Metallplatte gestanzte Erkennungsmarke mit Name und Nummer, die bei einer eventuellen Evakuierung des Kindes an einem Kettchen um den Hals baumelnd mitzuführen ist. Sie erinnert streng an die „Hundemarken“ amerikanischer Marinesoldaten und erleichtert die Identifizierung, sollte Marius einmal im Dienst für das Vaterland sein zartes Leben aushauchen oder einer Katastrophe zum Opfer fallen. Solche sind von Natur aus überwältigend und folglich auch von der ebenso fürsorglichen wie allmächtigen Kinderaufsichtsbehörde Barnavårdcentralen (BVC) kaum vorauszuplanen.
Manchmal ist die Sammelwut ihrer Behörden selbst den Schweden unheimlich. An der Stockholmer Uniklinik Karolinska werden die Blutproben sämtlicher Neugeborener seit 1975 im so genannten PKU-Register aufbewahrt. Noch hindert ein Gesetz Polizei und Versicherungen daran, ohne Bedenken auf die sensiblen Daten zuzugreifen. Der Versuch, eine solche systematische Erfassung aller Bürger einzuführen, würde in Deutschland unweigerlich zum Aufstand führen. Man möge sich nur an die westdeutsche Volkszählung von 1987 erinnern!
Doch solche revoluzzerhafte Gedanken, helfen zur Stunde nicht weiter. Ausnahmsweise bin ich am Sonntag ins Büro geeilt, mit der festen Absicht, noch emsiger in den Papieren zu rascheln, noch mehr Geschichten zu ersinnen, noch mehr Angebote rauszugeben. Die Steuern des Filius darf nämlich fürs Erste der Papa bezahlen.
Wir berichten aus mehr als 160 Ländern –
aktuell, kontinuierlich und mit fundiertem Hintergrundwissen.
Schwedens Piratenpartei ist stolze Siegerin der Europawahlen. Erstaunlich eigentlich, denn zu den meisten politischen Themen haben die Rebellen der Generation Internet keine Meinung. Dennoch holten sie aus dem Stand 7,1 Prozent der Stimmen. Unter großer Anteilnahme der jugendlichen Zielgruppe wollen die Freibeuter um Rick Falkvinge und Christian Engström nun auch auf dem Kontinent für Bürgerrechte und gegen immer neue Abhörgesetze, Spitzeltrojaner und Softwarepatente streiten. Die Partei entstand im Umfeld der Raubkopierer-Plattform „The Pirate Bay“ und hat allgemein ein Problem mit dem geistigen Eigentum. Beobachter in Schweden rätseln nun, ob es sich nur um einen kurzweiligen Erfolg oder vielmehr um eine nachhaltige Protestbewegung handelt.
Wir berichten aus mehr als 160 Ländern –
aktuell, kontinuierlich und mit fundiertem Hintergrundwissen.
Oh, diese Stille! Ein Morgen ohne Marsmenschen. Man glaubt es kaum. Vor ein paar Tagen waren sie in unser Quartier eingefallen. Stets beim ersten Hahnenschrei fand sich unter dem Schlafzimmerfenster die ganze Truppe ein. Den Kompressor auf den Rücken geschnallt, den Luftschlauch schwenkend, so ging es munter hinein in die Rabatten. Wie Antennen staksten oben die Ohrenschützer heraus.
An Schlaf ist nicht zu denken, wenn sich so ein Puste-Kommando zum Ostermarsch formiert. Im Visier der Krachmacher sind die winzigen Steinchen, die so lästig unter dem Schuhwerk knirschen. Im Winter verhütet das Granulat das Ausgleiten auf dem Eis. Nun liegt es überall nutzlos herum. Also wird mit Hochdruck die Platte geputzt. Solange bis der toxische Feinstaub alles Leben erstickt. Oder gesetzliche Feiertage dem unchristlichen Treiben endlich Einhalt gebieten.
Der schlaue Schwede ist ohnehin längst entfleucht, in die einsame Hütte am schweigenden See. Alle Nachbarn fort, niemand zu sprechen. Auch ich erwäge ernsthaft, in der Natur aufzugehen. Der Geistesarbeiter sollte das Rennrad satteln, die Straße ist frei, kein Geröll mehr im Wege. Über sanfte Hügel und durch dunkle Wälder zieht sich das schwarze Band bis hinaus in die Inselwelt der Schären. Training tut bitter Not: In einigen Wochen startet Vätternrundan , ein mörderisches Radrennen über 300 Kilometer einmal rund um den Vätternsee. Tausende radeln in rasender Fahrt, mit dicken Beinen und verzweifelter Hoffnung, im Gepäck reichlich Schokolode und warme Blaubeersuppe.
Über die Saison verteilt gibt es für unsere Helden weitere Prüfungen zu bestehen: Im Juli quälen sie sich durch die eisigen Wasser des Vanån und Västerdalälven, im September mischen sie sich unter die bis zu 30.000 Teilnehmer beim größten Crosslauf der Welt über die Stockholmer Insel Lidingö, dem Lidingöloppet . Wer alle Wettbewerbe im Laufe eines Jahres absolviert, hat den so genannten „Schwedischen Klassiker“ gemeistert und darf sich die Medaillen mit vollem Stolz über den Kamin hängen.
Keine Ahnung, warum sie in diesem Land immer alles gemeinsam tun. Jedenfalls naht unten im Hof schon das nächste Kollektiv: Kleine Osterhexen, sie schwenken ihre Kupferkanne. Ich greife zu den Schokoladeneiern und eile zur Tür. Alles hat eben seine Zeit.