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EUROPA UND DIE 20 GRANDEN

Ein Abend mit den Weltreportern in Hamburg am Freitag, 30. Juni 2017, 19 Uhr 

Putin, Erdogan, Merkel, Trump, Juncker und all die anderen Mächtigen an einem Tisch: Probleme gäbe es für die Staats- und Regierungschefs der G20-Staaten Anfang Juli genug zu lösen. Beispiele gefällig? Klimaschutz: Den hat der US-Präsident gerade aufgegeben. Ein Ende von Krieg und Chaos: Nicht nur Saudi-Arabien heizt die Lage global weiter auf. Der Kampf gegen Ungleichheit und Armut: Doch die Europäer wollen nur, dass die Armen bleiben, wo sie schon immer waren. Vor dem G20-Gipfel in Hamburg gibt es nichts als Fragezeichen.
Eine Woche vor dem Spitzentreffen laden deshalb die Korrespondenten des Netzwerks Weltreporter zu einer Runde Ausrufezeichen ein: Was denken die Menschen in Russland, der Türkei oder Ägypten über diese 20 Granden, um die sich die Welt vermeintlich dreht? Was sind in den G20-Staaten und darüberhinaus die wirklichen Probleme? Und wer führt künftig die freie Welt an: Macron? Xi Jinping? Oder etwa das Volk?
Kommen Sie und sprechen Sie mit uns: Wir laden Sie ein zu kurzen, knackigen Live-Berichten von Korrespondenten aus der ganze Welt, die (nicht nur) dort leben, wo die G20 regieren. Wir freuen uns auf eine spannende Diskussion mit Ihnen und eine Abstimmung zum Schluss.
Weltreporter.net ist das größte Netzwerk deutschsprachiger Auslandskorrespondenten und berichtet insgesamt aus 160 Ländern weltweit. www.weltreporter.net 
Europa und die 20 Granden
Freitag, 30. Juni, 19 Uhr
Thalia Nachtasyl
Alstertor 1
20095 Hamburg
Eintritt: 7 Euro
Karten bekommen Sie auf der Webseite des Thalia-Theaters

 

 

 

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Nach Stockholm: Ein Beitrag zur Debatte um Terror und Journalismus

Vorvergangenen Freitag, 7. April 2017, wurde ein Anschlag in der Stockholmer Innenstadt verübt. Ähnlich wie in Berlin raste ein LKW durch die Fußgängerzone und der Fahrer ermordete so vier Menschen. Vier Menschen, die ihren Angehörigen entrissen wurden und deren Leben durch Terror gewaltsam beendet wurde. Eine schreckliche Tat, die dazu geführt hat, dass viele Schweden öffentlich ihr Mitgefühl ausgedrückt sowie der Polizei gedankt haben.

Kommentare zu meinem DW-Kommentar

Kommentare zu meinem DW-Kommentar (Screenshot)

Über die Hintergründe des mutmaßlichen islamistischen Terroristen habe ich unter anderem für Zeit online (hier über die schwedischen Reaktionen und hier unmittelbar nach der Tat) berichtet und auch einen Kommentar für die Deutsche Welle geschrieben. Auf Artikel und Kommentar wurde wiederum mit einigen Leserkommentaren geantwortet. Die Debatten, die das Internet ermöglicht, sind eine hervorragende Möglichkeit, das Meinungsmonopol (wenn man es denn so nennen möchte) der Journalisten zu brechen.

Ziemlich häufig jedoch, geht es längst nicht um Debatten, sondern was in den Kommentarspalten zu lesen sind, sind Pauschalverurteilungen und Wutausbrüche. Als Antwort auf einige Kommentare unter meinem Kommentar für die Deutsche Welle habe ich selber eine Antwort verfasst. Denn Debatten sind es, die nötig sind, und nicht Pauschalvorwürfe. Hier also meine Antwort (die bei DW nicht mehr veröffentlicht werden konnte, da die Kommentarfunktion nur kurzzeitig offen ist):

“Vielen Dank für die zum großen Teil kritischen Kommentare, auf die ich gerne kurz antworten möchte. Die Angehörigen der Opfer dieser grausamen Tat verdienen unser aller Mitgefühl und denen, die in Stockholm getötet worden sind, gilt es zu gedenken. Das ist bei einer solchen Tat eine Selbstverständlichkeit und anders als manch Kommentator schreibt, meine ich nicht, dass „die Opfer und ihre Familien schnell vergessen werden müssen“. Derartiges steht in meinem Kommentar nicht. Das wird jedem, der diesen wirklich gelesen hat, klar sein.

Was ich in meinem Kommentar hingegen tue, ist auf die gesellschaftlichen Folgen einer derartigen Terrortat zu fokussieren. Das heißt ganz und gar nicht, die schrecklichen Folgen für die Familien in Abrede zu stellen. Dass manch ein Leser es so gelesen hat, gibt mir zu denken, manchmal kommt man nich umhin zu erwägen, ob es Leser gibt, die aus einem Text nur das herauslesen, dass sie lesen möchten. Für eine Familie ist es grausam, einen Angehörigen durch eine derartige Terrortat zu verlieren, diesen gilt unser Mitgefühl.

Im Text erwähne ich auch andere Taten und Unfälle, die in Teilen dem aktuellen Attentat ähneln. Immer wieder wird einem bei Vergleichen der Vorwurf gemacht, gleichzusetzen. Doch vergleichen und gleichsetzen sind verschiedene Dinge. Von daher wird in diesem Text Terror nicht mit einem Unfall gleichgesetzt. Verglichen werden kann, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten. Das mag manchmal schwieriger sein als einfach gleichzusetzen, doch es sind die differenzierten Betrachtungen, die Diskussionen ermöglichen, die Politik und Gesellschaft weiterbringen können. Wer die Terrorgefahr überhöht und andere Risiken verdrängt (so sind alleine im Januar auf Deutschlands Straßen 234 Menschen ums Leben gekommen – Tendenz glücklicherweise fallend), hat einen großen Wunsch der Terroristen womöglich schon erfüllt: panisch und irrational zu reagieren.

Zuletzt noch kurz zum Zitat des israelischen Historikers Yuval Noah Harari. Es handelt sich selbstverständlich um eine Art bildhaften Vergleich. Ihm geht es explizit darum, was derartiger Terror (die Fliege) mit Europa (der Porzellanladen) macht. Auch Harari spricht also von gesellschaftlichen Auswirkungen und nur weil er die schrecklichen Folgen für die einzelnen Familien nicht erwähnt, negiert er diese noch lange nicht. Es geht auch ihm um eine Betrachtung der möglichen gesellschaftlichen Bedrohung. Das gesamte Interview mit ihm ist im Spiegel 12/2017 erschienen und auch online zu lesen (derzeit jedoch nur gegen Bezahlung). Dass Terrorismus (die Fliege) bekämpft werden sollte, dafür würde sich sicherlich auch Harari aussprechen.

Dass Terror durch geschlossene Grenzen nicht verhindert wird, zeigen Beispiele der letzten Jahrzehnte wie NSU und RAF. Und: Nein, andere (rechts- wie linksxtremistische) Terrortaten zu erwähnen, ist weder Gleichsetzung noch Verharmlosung islamistischen Terrors, sondern lediglich ein differenzierter Beitrag zur Debatte.”

 

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Weltreporter-Forum 2016 – hier ist das Programm!

Das Programm des Weltreporter-Forums 2016 in Raiding/Burgenland steht:

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Wir freuen uns mit unseren internationalen Gästen auf einen spannenden Sommer-Nachmittag auf dem Land. Und auf Sie!

 

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WELTREPORTER-FORUM
»Die Welt in Bewegung«
Samstag, 23. Juli in Raiding bei Wien

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Noch nie schien die Welt so instabil und aus den Fugen geraten wie jetzt – zumindest aus europäischer Sicht. Globalisierung, Terror, Kriege und blutige Konflikte. Migranten, Flüchtlinge und Finanzströme: Die Ratlosigkeit ist bei Wählern wie Politikern gleichermaßen groß.

Transparenz herzustellen und Zusammenhänge aufzuweisen gehört zu den Hauptaufgaben von Journalisten im Allgemeinen und Auslandskorrespondenten im Besonderen. Denn sie sind die Experten vor Ort, sie erleben die Wirklichkeit jenseits der Grenzen hautnah. Lösen lassen sich die Probleme der Welt an einem Nachmittag nicht. Aber gemeinsam einen Blick hinter die Kulissen werfen, das können wir:

Beim WELTREPORTER-FORUM am 23. Juli berichten die Weltreporter und ihre Gäste von dem, was in ihren Welten gerade in Bewegung ist.

WELTREPORTER-FORUM
»Welt in Bewegung«

Keynotes, Kurzvorträge im Pecha-Kucha-Format + eine Podiumsdiskussion

mit Alexandra Föderl-Schmid (Chefredakteurin Der Standard), Karim El Gawhary (Weltreporter + ORF-Korrespondent), Hasnain Kazim (Spiegel), Florian Klenk (Chefredakteur Falter), Wieland Schneider (stellv. Auslandschef Die Presse), Cornelia Vospernik (Moderatorin ORF), Autor & Bruno-Kreisky-Preisträger Najem Wali & Weltreportern von allen Kontinenten

Samstag, 23. Juli 2016
14:00 – 18.30 Uhr
Franz Liszt-Konzerthaus
A-7321 Raiding

Eintritt frei

ANFAHRT:

Für Interessenten steht ein Bus-Service von Wien nach Raiding zur Verfügung:

Abfahrt Wien am Karlsplatz am 23. Juli ist um 12:00  hinter dem Musikverein, Bösendorferstr. 12
Abfahrt Raiding zurück nach Wien um 20:00.
Kosten: 12 Euro

Anmeldung unter raiding@weltreporter.net

 

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Nummer 355 – Massaker in Kalifornien

14 Tote, 21 Verletzte. 65 Schüsse in der Behinderteneinrichtung, 76 Schüsse auf Polizisten, 380 Schüsse von Polizisten. Ein Dutzend Rohrbomben. Tausende von Pistolen- und Gewehrkugeln. Zwei Verdächtige, zwei tote Verdächtige.

Mit Zahlen versuchen wir das, was am Mittwoch in San Bernardino geschah, zu begreifen.

Wir ergänzen sie mit Hintergrundinformationen: ein Streit auf einer Weihnachtsfeier. Eine Stadt in Armut. Tägliche Gebete in einer Moschee. Lücken in den Waffengesetzen.

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Wir sehen Leid, Ärger, Angst, Entschlossenheit und Mitgefühl.

Wir haben das alles schon viel zu oft gesehen: Sondereinsatzkommandos, weinende Menschen, klagende Menschen, Mahnwachen, Gottesdienste, Kerzen, Blumen, Teddybären.

Die Medien reagieren routiniert – auf dem Boden, aus der Luft, in Social Media.

Polizei, FBI, Krankenhäuser und selbst Angehörige der Opfer informieren uns professionell mit regelmäßigen updates, mehr Zahlen und emotionalen Statements.

Ein Imam erzählt von hasserfüllten Nachrichten auf dem Anrufbeantworter im Büro seiner Moschee. #MuslimKillers wird zum Twitter-Trend. Im Kongress werden die üblichen Verdächtigen befragt und geben ihre üblichen Antworten: “Mehr Waffenkontrollen!” sagen die einen “Mehr Waffen!” die anderen, und wer sich raushalten will sagt “Unsere Gedanken und Gebete sind bei den Opfern.”

Dies war die 355. Massenschießerei in den USA in diesem Jahr. Das Kriterium für diese Zählung: mehr als vier Menschen werden getötet oder verletzt. Die Täter kamen aus unterschiedlichsten Milieus, gehörten unterschiedlichsten Religionen an, waren alt und jung, Einzelgänger und Familienväter.

Ich schreibe das alles auf, lese, höre, schaue und versuche, zu verstehen: warum?

Unmöglich!

Kalifornien hat die strengsten Waffenkontrollen der USA. Trotzdem bekamen die Täter Gewehre, Pistolen, Bomben und kistenweise Munition. Mehr Gesetze reichen nicht. Irgendwas läuft grundsätzlich schief in diesem Land. Um das zu verstehen muss man mehr als Zahlen und erste Berichte sehen. Muss nachhaken, zuhören, genau hinschauen.

Doch bevor dafür Zeit ist, zieht die Medienkarawane schon weiter. Zur nächsten Massenschießerei.

Ich nehme mir vor, zu bleiben.

 

 

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Nous sommes Paris – Birgit Kaspar kommentiert aus Toulouse

„Der Horror“, „Massaker“, „Wir sind Paris“ – so lauten die Schlagzeilen in Frankreich heute morgen. Wer nicht schon mit dem Wissen um das beinahe Unfaßbare gestern abend schlafen ging und erst am Morgen das Radio einschaltete, schüttelte vermutlich wie ich selbst den Kopf und mußte sich kneifen. Dies ist kein Alptraum, dies ist die Realität:

Mehr als 120 Tote, zahlreich Verletzte nach offensichtlich koordinierten Attentaten an verschiedenen Orten in Paris. Es ist die schlimmste Attacke in Frankreich seit dem Algerienkrieg.
Das Land befand sich seit den Anschlägen auf die Redaktion von Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt in Paris im Januar in hoher Alarmstufe. Die radikal-islamistische Bedrohung war und ist kein Geheimnis, nicht zuletzt weil der französische Militäreinsatz gegen Ziele des Islamischen Staates in Syrien und im Irak das Land in den Augen radikaler Islamisten zunehmend exponiert hat.

Dass die gestrigen Anschläge in Paris von Terroristen aus diesem Milieu verübt wurden, darüber gibt es kaum Zweifel. Wiewohl über die Attentäter bislang offiziell noch nicht viel bekannt ist. Einige von ihnen haben „Allah ist groß“ gerufen, andere sollen Augenzeugenberichten zufolge den Zusammenhang zu Syrien hergestellt haben. Terrorexperten in Frankreich hatten weitere Anschläge erwartet. Das Ausmaß der Koordination und das konkrete Vorgehen in Paris schockiert dennoch alle.
Ob nun tatsächlich der „Islamische Staat“ oder eine Al-Kaida-Franchise hinter den Anschlägen steckt ist unklar. Die Botschaft jedoch scheint klar: Wenn ihr uns attackiert, schlagen wir zurück. Und wir können euch treffen, egal wer ihr seid und wo ihr seid.

Denn die Pariser Anschläge sind nicht nur isoliert zu betrachten. Sie müssen meiner Meinung nach auch in einem Zusammenhang gesehen werden mit dem Terroranschlag in Beirut vorgestern, bei dem libanesische Schiiten und vor allem die radikal-schiitische Hisbollah das Ziel waren. Denn die Hisbollah kämpft an der Seite des syrischen Präsidenten Assad gegen radikal-sunnitische Regimegegner, unter ihnen Al-Kaida-nahe Milizen und der „Islamische Staat“. Aber auch mit dem Angriff auf das russische Charterflugzeug Ende Oktober, das Touristen vom ägyptischen Scharm-el-Scheikh nach Sankt Petersburg bringen sollte, könnte ein Zusammenhang bestehen. Denn Moskau hat in den letzten Wochen seinen militärischen Einsatz an der Seite der syrischen Regierungstruppen gegen radikal-sunnitische Regimegegner verstärkt.
Die Welt ist nicht nur im Nahen Osten aus den Fugen geraten sondern jetzt auch bei uns – im Herzen der Stadt, die für westliche Lebensart und Glamour steht: Paris.

 

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Am Morgen danach: Michael Neubauer aus Paris

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Die Schaufensterscheibe des Le Petit Cambodge hat ein großes Loch. Splitter liegen auf dem Gehsteig. Die Attentäter haben anscheinend mehrmals auf das beliebte asiatische Restaurant geschossen. Es liegt ganz in der Nähe des Canal Saint-Martin. Ein quirliges Ausgehviertel.

Immer wieder zeigten am Freitagabend die Nachrichtensender dieses Foto mit der zerschossenen Schaufensterscheibe. Dahinter ein Tresen, an dem man normalerweise essen und zugleich auf die belebte Kreuzung schauen kann. Ich muss schlucken. Vor wenigen Tagen saß ich genau dort, wo jetzt das große Loch im Schaufenster ist. Aß eine Suppe mit Rindfleisch, Nudeln, Sprossen und Kräutern.

Der Terror ist wieder zurück. Anders als im Januar haben die Terroristen sich nicht eine bestimmte Zielgruppe ausgesucht: damals waren es Karikaturisten, Juden, Polizisten. Am Freitag haben sie wahllos auf alle geschossen. Auf Menschen, die Musik hören, ausgehen, Spaß haben und  ihren Hunger stillen wollten.

„Der Krieg mitten in Paris“, „Der Horror“, „Blutbad in Paris“, „Dieses Mal ist es Krieg“ titeln die Tageszeitungen. Das Leben heute in Paris wird mehr oder minder stillgelegt sein. Schulen, Universitäten, Bibliotheken, Sporthallen, Lebensmittelmärkte, Museen bleiben geschlossen.

„Und jetzt?“, fragt der Zeitungsverkäufer. „Wir müssen doch weiterleben, dürfen uns nicht zu Hause verstecken. Dann hätten sie gewonnen.“

 

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Nous sommes Paris

„Der Horror“, „Massaker“, „Wir sind Paris“ – so lauten die Schlagzeilen in Frankreich heute morgen. Wer nicht schon mit dem Wissen um das beinahe Unfaßbare gestern abend schlafen ging und erst am Morgen das Radio einschaltete, schüttelte vermutlich wie ich selbst den Kopf und mußte sich kneifen. Dies ist kein Alptraum, dies ist die Realität:

Mehr als 120 Tote, zahlreich Verletzte nach offensichtlich koordinierten Attentaten an verschiedenen Orten in Paris. Es ist die schlimmste Attacke in Frankreich seit dem Algerienkrieg.
Das Land befand sich seit den Anschlägen auf die Redaktion von Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt in Paris im Januar in hoher Alarmstufe. Die radikal-islamistische Bedrohung war und ist kein Geheimnis, nicht zuletzt weil der französische Militäreinsatz gegen Ziele des Islamischen Staates in Syrien und im Irak das Land in den Augen radikaler Islamisten zunehmend exponiert hat.

Dass die gestrigen Anschläge in Paris von Terroristen aus diesem Milieu verübt wurden, darüber gibt es kaum Zweifel. Wiewohl über die Attentäter bislang offiziell noch nicht viel bekannt ist. Einige von ihnen haben „Allah ist groß“ gerufen, andere sollen Augenzeugenberichten zufolge den Zusammenhang zu Syrien hergestellt haben. Terrorexperten in Frankreich hatten weitere Anschläge erwartet. Das Ausmaß der Koordination und das konkrete Vorgehen in Paris schockiert dennoch alle.
Ob nun tatsächlich der „Islamische Staat“ oder eine Al-Kaida-Franchise hinter den Anschlägen steckt ist unklar. Die Botschaft jedoch scheint klar: Wenn ihr uns attackiert, schlagen wir zurück. Und wir können euch treffen, egal wer ihr seid und wo ihr seid.

Denn die Pariser Anschläge sind nicht nur isoliert zu betrachten. Sie müssen meiner Meinung nach auch in einem Zusammenhang gesehen werden mit dem Terroranschlag in Beirut vorgestern, bei dem libanesische Schiiten und vor allem die radikal-schiitische Hisbollah das Ziel waren. Denn die Hisbollah kämpft an der Seite des syrischen Präsidenten Assad gegen radikal-sunnitische Regimegegner, unter ihnen Al-Kaida-nahe Milizen und der „Islamische Staat“. Aber auch mit dem Angriff auf das russische Charterflugzeug Ende Oktober, das Touristen vom ägyptischen Scharm-el-Scheikh nach Sankt Petersburg bringen sollte, könnte ein Zusammenhang bestehen. Denn Moskau hat in den letzten Wochen seinen militärischen Einsatz an der Seite der syrischen Regierungstruppen gegen radikal-sunnitische Regimegegner verstärkt.
Die Welt ist nicht nur im Nahen Osten aus den Fugen geraten sondern jetzt auch bei uns – im Herzen der Stadt, die für westliche Lebensart und Glamour steht: Paris.

 

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Die Stille nach den Schüssen

Es ist leider so: wirklich überrascht hat das Attentat in Kopenhagen nur wenige. Lange war bekannt, dass die dänische Hauptstadt Anschlagsziel islamischer Terroristen ist.

Es ist das zweite Mal binnen nicht einmal vier Jahren, dass ich Terror in Nordeuropa hautnah miterleben muss.

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Trauernde vor der Hauptsynagoge von Kopenhagen (Foto: Bomsdorf)

Oslo, 22. Juli 2011 und nun Kopenhagen, 14. Februar 2015.

Die Anschläge in Norwegen haben die dortige Gesellschaft viel stärker getroffen. Das liegt natürlich daran, dass so viel mehr Menschen ermordet wurden, aber sicher auch daran, dass der Attentäter noch mehr aus der so genannten Mitte der Gesellschaft kam.

Anders Behring Breivik war norwegischer Christ und ein Islamhasser. Der Muslim Omar Abdel Hamid El-Hussein (die Polizei hat soeben seine Identität bestätigt) war als Sohn palästinensicher Eltern in Dänemark geboren und aufgewachsen, er war Judenhasser.

Dänemark ist durch den Anschlag kein anderes Land geworden, der 16. Februar, erster Wochentag nach den Anschlägen, war nicht so anders vom Freitag vor dem Terror.

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Unter Polizeischutz auf dem Weg zur Gedenkveranstaltung (Foto: Bomsdorf)

In den vergangenen Tagen habe ich für diverse Medien über die Attentate und die Lage im Lande berichtet. Ich hoffe, dass vor allem die einordnenden Stücke auch später noch lesens- und hörenswert sind.  Die ersten Nachrichten gab es bei Die Welt, wie die Dänen reagiert haben beschrieb ich ebenfalls für Die Welt, ausführlicher dann über die dänische Gelassenheit in einem Beitrag für Zeit Online und einer Kolumne für stern. Schließlich von der Gedenkveranstaltung und den Trauernden vor der Synagoge für FAZ.net.

Dem Künstler Lars Vilks, dem der Anschlag wohl gegolten hatte, habe ich mich in Gesprächen mit SRF aus der Schweiz und BR2 sowie Deutschlandradio Kultur gewidmet.

Bleibt zu hoffen, dass der Terrorismus in Europa nicht zunimmt. Doch zu befürchten ist, dass es weitere Anschläge geben wird.

 

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Eindrücke vom Demonstrationstag in Paris

Die größte Demonstration in der Geschichte Frankreichs: 1,5 Mio. gingen in Paris auf die Straßen, in ganz Frankreich 4,5 Mio. Menschen. In Paris ging rund um den Place de la République nichts mehr. Dass man nicht voran kam, tat der Stimmung keinen Abbruch.

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Die Bilder zeigen die Situation auf den Grand Boulevards (Blvd. Bonne Nouvelle, St. Denis, St. Martin) und die Einfallsstraßen. Sowie die Rue Turbigo. Alle Straßen laufen sternförmig auf den Place de la République zu.

Hier noch ein Video

[youtube http://www.youtube.com/watch?v=1OA-LtfOrOU?list=UU6q2nZglXRyB8tYcNTrZKlw]

Fotos, Videos. Barbara Markert

 

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Unser 11. September

Der Angriff auf “Charlie Hebdo” war nicht das schlimmste Attentat in Europa. Doch die Reaktion in Paris und ganz Europa zeigt, dass dies ein Wendepunkt war wie der 11. September in New York. Was folgt daraus?

Madrid, London, Toulouse, Brüssel – seit dem 11. September hat es in Europa schon viele schlimme Attentate gegeben, die auf radikale Islamisten zurückgehen.

Doch noch nie zielten Terroristen so direkt und so brutal auf einen Grundpfeiler der europäischen Kultur: Die Meinungs- und Pressefreiheit.

Und noch nie war die Reaktion von Politik und Gesellschaft so eindeutig und entschieden wie in Paris, wo am Sonntag mehr als eine Million Menschen auf die Straße gegangen sind.

Sogar Präsident Hollande war dabei, obwohl französische Staatschefs sonst (fast) nie demonstrieren. Auch viele EU-Politiker kamen, darunter Kommissionschef Juncker und Kanzlerin Merkel.

Die richtigen Lehren ziehen

Es ist gut und wichtig, dass die Europäer ein Zeichen setzen gegen Terror, Fremdenhass, Antisemitismus und einen Gewaltkult, der ans finsterste Mittelalter erinnert.

Doch was kommt danach? Werden die EUropäer endlich die Lehren aus dem 11. September 2001 ziehen – und ihre Fehler im Irak, in Syrien und in Nahost korrigieren?

Das sind die Brandherde, die derzeit tausende junge Europäer anziehen und zu Terroristen machen. Man darf gespannt sein, was unsere EU-Außenpolitiker dazu sagen, vor allem die “neuen Europäer”.

Völlig falsche Prioritäten

Bisher setzen sie falsche Prioritäten – und verteufeln Putin, statt den wahren Gefahren für die “europäische Friedensordnung” ins Auge zu sehen, die übrigens auch in der Türkei lauern.

Mindestens genauso wichtig ist aber die Reaktion nach innen. Natürlich müssen jetzt die Sicherheits-Maßnahmen überprüft und ggf. verschärft werden.

Klar ist aber auch, dass neue Passagierdaten-Abkommen, wie sie etwa EU-Ratspräsdient Tusk fordert, im Fall “Charlie Hebdo” nichts gebracht hätten.

Bedrohung aus dem Homeland

Gegen die Bedrohung von innen – aus dem “Homeland”, wie es neudeutsch heißt – nutzen die meisten aktuellen Antiterror-Maßnahmen nichts; das ist offensichtlich.

Viel wichtiger wäre daher, endlich das leere Versprechen einzulösen, etwas gegen Jugendarbeitslosigkeit und Ausgrenzung in den Problemvierteln von Paris, London oder Hamburg zu tun.

Dazu müsste sich allerdings auch die Wirtschafts- und Sozialpolitik insgesamt ändern. Ich habe Zweifel, ob Tusk, Merkel & Co. dazu bereit sind…

Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog “Lost in EUrope”

photo credit: OlivierdeBrest via photopin cc

 

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Karikaturisten leben gefährlich – weltweit

Natürlich trifft Dänemark der Anschlag in Paris ganz besonders. Schließlich waren die berühmt-berüchtigten Mohammed-Karikaturen zuerst in einer dänischen Zeitung erschienen: am 30. September 2005 wurde diese in “Jyllands-Posten” veröffentlicht. Seither gab es Debatten, Demonstrationen und Tote – zuletzt in Paris.

Bladtegnere i et globalt minefelt Gyldendal Verlag

Bladtegnere i et globalt minefelt Gyldendal Verlag

Ein Beitrag zur Meinungsfreiheits-Debatte, der ohne die Karikaturen wohl nicht entstanden wäre, ist das Buch “Karikaturisten im globalen Minenfeld” des dänischen Journalisten Anders Jerichow, Redakteur bei “Politiken”, der linksliberalen Zeitung, die im selben Verlag erscheint wie “Jyllands-Posten”.

Das Buch, 2012 auf Dänisch erschienen, gibt weltweite Beispiele von der gefährdeten Meinungsfreiheit der Karikaturisten. Neben der Karikaturen-Krisegeht es ebenso um ältere und aktuellere Fälle aus Südafrika, Dänemark, den USA, Indonesien und diversen anderen Ländern (Deutschland fehlt übrigens). In Frankreich war Jerichow bei Plantu, der für Le Monde zeichnet.

Für “Die Welt” besuchte ich Jerichow nach Erscheinen des Buches in seinem Kopenhagener Büro. Alleine das Sicherheitsniveau, das dort herrschte und immer noch herrscht, zeigt als wie real die Anschlagsgefahr gesehen wurde und wird. Pläne den Verlag anzugreifen hat es gegeben – glücklicherweise hat die Polizei in Dänemark bisher Terror verhindern können. Hier der zugehörige Artikel in der Online-Version.

Über die Zeichnungen sprach ich vor einigen Jahren auch mit der aus dem Iran stammenden Künstlerin Shirin Neshat, die mir erläuterte, warum auch sie, in New York lebende Weltenbürgerin, sich durch die Zeichnungen gekränkt fühlte. Online zu lesen bei art.

 

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Die Nationen trauern vereint

Der Anschlag auf die Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo in Paris, kaum mehr als drei Zugstunden von Genf entfernt, hat im Völkerbundpalast Trauer und Entsetzen ausgelöst. Krisen, Krieg und Gewalt gehören für die UN und für die Korrespondenten hier zum Arbeitsalltag. Und trotzdem trifft das Attentat von Paris die Organisation, die UN-Menschenrechtskommissar Zeid al-Hussein bei einem Gedenken am Freitag als globale Familie bezeichnet, ins Herz.

Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Zeid al-Hussein, bei einer Schweigeminute am 9.1.15 im Genfer Palais des Nations

Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Zeid al-Hussein, bei einer Schweigeminute am 9.1.15 im Genfer Palais des Nations

Das liegt daran, dass nicht nur die Journalisten im Palais das Recht auf freie Meinungsäußerung für eines der unveräußerlichsten Menschenrechte überhaupt halten. “Dieses Recht muss deshalb vehement verteidigt werden, vor allem von den Vereinten Nationen, von mir wie von uns allen”, sagt al-Hussein.

Der gebürtige Jordanier mahnt nach dem Anschlag dazu, innezuhalten anstatt über Rache nachzusinnen. “Es wird noch viel Gewalt geben, und zwar bald, wenn wir uns jetzt nicht klar und menschlich verhalten”, sagt er. “Weder der Islam noch die Multikulturalität Europas sind für den blutigen Überfall vor zwei Tagen verantwortlich, wie es verschiedene rechte Politiker bereits behauptet haben”, betont er.

Al-Hussein, selbst Muslim, geht differenziert auf die umstrittenen Cartoons von Charlie Hebdo ein. “Als Muslim empfinde ich viele der Cartoons, die heute überall wiederveröffentlicht werden, als beleidigend, so wie alle Muslime in diesem Gebäude und überall auf der Welt, alle 1,6 Milliarden”, sagt er. “Aber die Antwort ist natürlich nicht, jemanden zu ermorden oder zu verletzen. Stattdessen müssen wir das gleiche Recht nutzen, dass die getöteten Redakteure von Charlie Hebdo so meisterlich genutzt haben: das Recht, frei zu schreiben, zu sprechen und zu zeichnen.”

Für den Menschenrechtskommissar ist längst erwiesen, dass das Wort mächtiger ist als das Schwert oder eine andere Waffe. “Wir müssen über die Notwendigkeit sprechen, mehr zu lieben, uns mehr zu kümmern, gütig zu sein, mehr Menschen zu intergrieren und besser integriert zu sein: Wenn wir irgendeine Lehre aus diesen teuflischen Morden ziehen können, dann ist es diese.”

Die UN kranken oft daran, keine klaren Positionen beziehen zu können. Wer 193 Staaten repräsentiert, spricht oft verklausuliert. Nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo haben die UN klare Worte gesprochen, in Genf und in New York. Das lässt hoffen, dass sie im Kampf gegen Terror und Extremismus auf allen Seiten in den kommenden Wochen ihr ganzes Gewicht in die Wagschaale werfen wird.

 

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“Nichts kann die Recherche vor Ort ersetzen”: Ein medialer Frontbericht aus Bagdad

Birgit Svensson lebt und arbeitet seit Jahren in Bagdad. Als freie Journalistin an einem der aktuell gefährlichsten Orte schreibt und berichtet sie u.a. für Die Zeit, Die Welt, den Deutschlandfunk, den Schweizer Rundfunk und die Deutsche Welle. Sie ist eine der ganz wenigen Frauen, die vor Ort das aktuelle Chaos, die dramatischen Veränderungen erleben. Noch im letzten Jahr musste sie um ihren Verbleib in Bagdad kämpfen, für viele Medien schien der Irak uninteressant. Jetzt sind sie alle wieder interessiert, wollen Berichte und Reportagen.

Wie Birgit Svensson das alles erlebt, wie sie  mit dem Problem Sicherheit umgeht, wie dieser Bürgerkrieg auch sie verändert – darüber redet sie nur selten. Sie sagt: “Die Iraker sind die Helden – nicht ich.”

Tikrit Saddam

Im Saddam-Mausoleum in Tikrit, nun zerstört durch den IS

Schon gibt es die erste deutsche Tageszeitung, die ohne Journalisten produziert wird. Synergieeffekte, Zentralisierung, Konzentration auf die Kernbereiche nennt sich dieses betriebswirtschaftliche Projekt ohne Inhalte. Geldsparen ist wichtiger als kritischer und unabhängiger Journalismus. Die Zeitungen schaffen sich selbst ab.

Dabei sind Journalisten im Zeitalter der grenzenlosen Beliebigkeit und Informationsüberfüllung notwendiger denn je. Denn nichts kann die Recherche vor Ort ersetzen und die Einordnung, die diese mit sich bringt. Es ist Erfahrung und Professionalität von Journalisten, die Quellen zusammenführen und daraus Schlüsse ziehen. Es ist die Fülle von Kontakten, die ein Gesamtbild erlaubt. Der Mikrokosmos eines Dorfes oder eines Stadtviertels lässt Rückschlüsse auf das große Ganze zu. Keine Internetrecherche kann dies leisten.

Die Stille vor der Explosion einer Bombe in Bagdad, das Anwachsen der Spannung bei den Demonstrationen in Kairo, die Angst in den Gesichtern der Bewohner von Damaskus kann nur der nachvollziehen, der sich mittendrin befindet, der mit leidet, mit fühlt und trotzdem eine gewisse Distanz zu dem Geschehen bewahrt. Das ist der Spagat, den ich und andere professionelle Journalisten vor Ort täglich leisten: den Austritt aus der Beliebigkeit.

“Die Kämpfe um Kobane erhalten eine Wichtigkeit, die keiner qualitativen Prüfung standhält.”

Im Mittleren Osten wird dies derzeit besonders deutlich. Vom größten Krisenherd der Welt erleben wir eine Überflutung mit Nachrichten, Bildern und Propaganda. Die Kämpfe um Kobane erhalten eine Wichtigkeit, die keiner qualitativen Prüfung standhält. Nur weil der Krieg um diese eine Stadt buchstäblich vor unseren Augen ausgetragen und in die Wohnzimmer der Fernsehzuschauer hineingetragen wird, ist über Wochen von nichts anderem die Rede.

Kerbela

Auf Pilgerfahrt in Kerala

Dabei spielen sich anderswo in der Region weit wichtigere Schlachten ab, die allerdings weniger Propagandamaterial im Internet aufweisen und von Fallschirmjournalisten komplexe Erklärungsmuster fordern würden, die sie nicht leisten können. Wer nur mal eben schnell von einem Krisenherd zum anderen fliegt, erfasst kaum Zusammenhänge, sondern liefert Spotlights. Doch die immer komplizierter werdenden Entwicklungen im Nahen und Mittleren Osten erfordern zumindest Scheinwerfer, um sie verstehen zu können. Ein Zerrbild der Wirklichkeit ist die Folge.

Natürlich ist es bequemer am Schreibtisch zu sitzen und die Welt per Internet in die Redaktionsstube zu holen, als sich draußen abzuducken, wenn Steine fliegen oder eine Bombe explodiert. Kostengünstiger ist es allemal. Wer wie ich jahrelang vor Ort recherchiert und um eine authentische Berichterstattung bemüht war, fühlt sich derzeit mehr als Fossil als auf der Höhe der Zeit. Die Fehler im Netz zu korrigieren, ist äußerst schwierig. Das Internet hat keine Randspalte wie die Zeitung, auf der unten rechts die „Anmerkungen der Redaktion“ Korrektur verheißen.

“Eine Bankrotterklärung an den Qualitätsjournalismus.”

Der kritiklosen Gläubigkeit der Internet-Nachrichten sitzen jedoch nicht nur Yellow Press und Krawallblätter auf, weil sie keine Leute vor Ort haben, die die Angaben auf ihre Richtigkeit überprüfen. Auch seriöse Medien mit bis dato hohem journalistischem Anspruch meinen, immer mehr auf  Rechercheure vor Ort verzichten zu können und übernehmen, was ihnen das Internet vorkaut. Um einen Hauch von Seriosität zu bewahren wird erwähnt, dass „die Richtigkeit der Angaben nicht zuverlässig überprüft“ werden könne. Tatsächlich ist dies aber eine Bankrotterklärung an den Qualitätsjournalismus und eine willkommene Ausrede sich aus der Verantwortung zu stehlen.

Ich hoffe trotzdem, dass sich auf kurz oder lang Qualität wieder durchsetzen wird, auch wenn ich mit dieser Position im Moment noch wie eine Ruferin in der Wüste klinge.

 

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Aus Jerusalem zur NR-Tagung: Susanne Knaul über Frauen im Ausland

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“Auslandsreporter – Wo sind die Frauen?”

Kann man Mutter sein und in einem Krisengebiet arbeiten? Was können Frauen und können sie viel mehr als man ihnen zutraut? Darüber spricht Weltreporterin Susanne Knaul (Jerusalem) heute  mit NDR Hörfunkdirektor Joachim Knuth, Reporterin Antonia Rados und Spiegel-Korrespondent Christoph Reuter. Moderation: Annette Bruhns, Pro Quote.

 

Heute, Freitag, 4. Juli, 15.30 Uhr, Netzwerk Recherche-Tagung Hamburg, NDR Lokstedt, Hugh-Greene-Weg.

Raum K 3  – bitte aktuelle Raumhinweise beachten!

 

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Gestern Bagdad, heute Hamburg: Birgit Svensson bei Netzwerk Recherche

BirgitSvenssonWelteporterinBagdad

 

Birgit Svensson lebt und arbeitet seit Jahren in Bagdad. Als freie Journalistin an einem der aktuell gefährlichsten Orte schreibt  und berichtet sie u.a. für DIE ZEIT, die WELT, den Deutschlandfunk, den Schweizer Rundfunk und die Deutsche Welle. Sie ist eine der ganz wenigen Frauen, die vor Ort das aktuelle Chaos , die dramatischen Veränderungen erleben. Noch im letzten Jahr musste sie um ihren Verbleib in Bagdad kämpfen, für viele Medien schien der Irak uninteressant. Jetzt sind sie alle  wieder interessiert, wollen Berichte und Reportagen.

 

Wie Birgit Svensson das alles erlebt. wie sie  mit dem Problem Sicherheit umgeht, wie dieser Bürgerkrieg auch sie verändert – darüber redet sie auf dieser Veranstaltung. Und stellt sich all den Fragen derer, die Bagdad und den Irak nur vom Fernseher oder den Zeitungen kennen.

Mit Christoph Reuter, Spiegel.

Heute, Freitag, 4. Juli, 14.15 Uhr Netzwerk Recherche-Tagung, NDR Gelände Lokstedt, Hugh-Greene-Weg.

 

BIRGIT SVENSSON noch einmal HEUTE um 15.30 Uhr: Lasst uns über Geld reden. Neue Modelle für Freie im Ausland. Moderation: Gemma Pörzgen, Freischreiber.

BITTE AKTUELLE RAUM-HINWEISE BEACHTEN!

 

 

 

 

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Ägypten – das Reich der Phantasie

Dass die Wahrheit in Konflikten auf der Strecke bleibt, ist eine Binsenweisheit, ebenso wie die Tatsache, dass mit Informationen Politik gemacht wird. Geschenkt. Es gibt nichts, das ein Journalist nicht kritisch abklopfen muss.

 

Am 26. Januar 2011, dem zweiten Tag des ägyptischen Volksaufstandes gegen Mubarak, bin ich tagsüber zu drei Orten in der Nähe des ARD-Studios gegangen, für die Regimegegner Demos mit mehreren Tausend Menschen über Twitter und auf Facebook vermeldet hatten. An nicht einem der drei Orte traf ich auch nur einen einzigen Demonstranten an.

 

Bei Opferzahlen sieht’s nicht anders aus. Wem hohe Zahlen nutzen, der vermeldet hohe Zahlen, wem nicht, der nicht. Fotos von Kindern, die das ägyptische Militär angeblich bei ihren brutalen Angriffen gegen Mursi-Anhänger in Kairo tötete, erwiesen sich später als Bilder von Kinderleichen aus Syrien.

 

Diese Bilder waren auf Webseiten aufgetaucht, die der Muslimbruderschaft nahestehen. Andere Webseiten fanden die Quelle und stellten die Screenshots der ägyptischen sowie der syrischen Webseite nebeneinander –beide zeigen dasselbe Massakerfoto, nur mit einer anderen Bildunterschrift.

 

Ich habe aber auch schon Webseiten mit solchen Gegenüberstellungen gesehen, bei denen der »Beweis«, also der Screenshot von der Webseite mit dem angeblichen Originalfoto, eine Fälschung war – und das angeblich »entlarvte« Foto aber echt. Alles ziemlich verworren.

 

Gestern tauchten in Ägypten Fotos von Männern in Zivil auf, die mit Maschinengewehren bewaffnet am Rande von Demonstrationen durch Kairos Straßen liefen. Angeblich soll es sich um bewaffnete Mursi-Anhänger gehandelt haben. Das kann stimmen, ich habe selber in den letzten Wochen Mursi-Anhänger mit Waffen gesehen. Die Behauptung kann aber auch falsch sein. Andere Fotos von gestern zeigen Männer in Zivil und mit Maschinengewehren, die mit Polizisten in der Sonne stehen, plaudern und ganz offensichtlich zu ihnen gehören.

 

Zu welcher ‘Seite’ gehören Männer in Zivil, die in der Nähe von Protesten mit Waffen rumlaufen? Das Publikum entscheidet sich für die Antwort, die es hören will. Das ist der Hauptpunkt. Nur wenige der vielen Falschinformationen und Behauptungen dienen noch dazu, einen Beweis zu suggerieren. Sie sollen einfach nur Stimmungen beeinflussen, bei Leuten, die ohnehin schon in einer bestimmten Weise gestimmt sind.

 

Es ist inzwischen völlig egal, wie plausibel diese Behauptungen sind. Sie tauchen auf, sie putschen auf. Sie sind ein paar Stunden später schon wieder aus der Wahrnehmung verschwunden und haben ihren Zweck erfüllt. Im Zeitalter von Social Media und von Fernsehbildschirmen, die rund um die Uhr flimmern, erwartet niemand mehr, das irgendwas von dieser Informationsflut später dementiert oder entlarvt wird. Es guckt sich alles einfach so weg.

 

Seit Mittwoch wurden in Ägypten landesweit mehrere Dutzend Kirchen gestürmt, verwüstet und/oder in Brand gesteckt. Ich habe in Videoaufnahmen Täter gesehen, bei denen es sich mit ziemlicher Sicherheit um Sympathisanten von Mursi und der Muslimbruderschaft handelte – zur ‘Rache’ womöglich angefeuert durch die Reden, die wochenlang von der Protestcamp-Bühne an der Rabaa-al-Adawiyya-Moschee hallten und in denen aufs Übelste immer wieder auch gegen Christen gehetzt wurde.

 

Auf Aufnahmen von anderen der attackierten Kirchen sah ich Angreifer, die mit Pick-up-Trucks kamen und bei denen es sich unverkennbar um Baltagiyya-Schlägertrupps handelte, um jene meist jungen, verrohten Männer aus Armenvierteln, die seit Jahrzehnten für Funktionäre der Mubarak-Nomenklatura die Drecksarbeit machen, nicht selten vollgepumpt mit Bango (Marihuana), und die ein paar ägyptische Pfund für ihren Einsatz erhalten.

 

Eine ägyptische Koptin aus Beni Suef (die ich nicht kenne und für deren Äußerungen ich nicht bürgen kann) schrieb auf ihrer Facebook-Seite (mehrere Tausend Abonnenten): »Glaubt mir! Die, die bei uns im Ort die Kirchen anzündeten, waren Geheimdienstleute in Zivil und Männer von der NDP (Mubaraks 2011 aufgelöster Regierungspartei).« In einem Fernsehinterview an jenem Mittwoch erzählt ein koptischer Kirchenfunktionär aus Al-Minya, dass die Angriffe auf alle Kirchen im Ort exakt zur selben Zeit nach demselben Muster abliefen und vor allem in jenem Moment im Morgengrauen stattfanden, als in Kairo die brutale Räumung der Protestcamps der Mursi-Anhänger gerade begonnen hatte. Die Kopten riefen die Polizei an und baten um Schutz und Hilfe, aber bei keiner der überfallenen Kirchen habe sich die Polizei blicken lassen, bis zum Schluss nicht.

 

Es bleibt einem nichts weiter übrig, als sich auf all das irgendwie selber einen Reim zu machen – indem man so aufwändig und so kritisch wie möglich recherchiert und indem man die eigenen, Jahre langen Erfahrungen bei der Beurteilung hinzuzieht. Nach dem, was ich von den Überfällen auf die Kirchen gesehen habe, würde ich sagen: sowohl radikale, aufgehetzte Mursi-Sympathisanten als auch koordiniert agierende Angreifer, die Überfälle orchestrierten, die den Islamisten in die Schuhe geschoben werden können.

 

Vorfälle dieser und ähnlicher Art müssten von offizieller Seite untersucht werden. Nach jedem Blutbad der letzten zweieinhalb Jahre wurde schonungslose Aufklärung versprochen, aber ich kann mich an keinen einzigen Untersuchungsbericht erinnern. Und wenn es Pressekonferenzen gab, auf denen »Untersuchungsergebnisse« präsentiert wurden, waren sie keine einzige der Minuten wert, die man für sie opferte.

 

Im Oktober 2011 habe ich sechs Stunden lang aus nächster Nähe mit ansehen müssen (ich konnte den Ort nicht verlassen), wie das ägyptische Militär vor dem TV-Gebäude Maspero ein Massaker unter Teilnehmern einer Christendemonstration verübte. Ich sah Soldaten, die auf Menschen schossen (die dann getroffen zusammensackten), ich sah, wie gepanzerte Militärfahrzeuge über Demonstranten fuhren. Am Ende waren mindestens 27 Menschen tot.

 

Ein paar Tage später gaben Armeeoffiziere auf einer Pressekonferenz die offizielle Version der Militärs bekannt. Fast alles, was sie sagten, war praktisch das Gegenteil von dem, was ich selber gesehen hatte. Ähnliche Erfahrungen macht man immer wieder auch mit Erklärungen anderer Behörden. Es ist leider so, dass die Informationen offizieller Stellen in Ägypten keinen Wert haben. Sie können stimmen (und tun das womöglich hin und wieder auch), aber sie können ebenso gut auch komplett dem Reich der Phantasie entstammen. Man könnte sie eigentlich ignorieren. Sie helfen einem bei der Suche nach dem Hergang der Ereignisse keinen einzigen Millimeter weiter. ■

 

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Vor Wahlen wird Islam zum Land …

Zu wenig dringt vom australischen Wahlkampf in den Rest der Welt vor. Was schade ist, denn wenn die nächsten 4 Wochen bis zur Wahl nur ansatzweise so skurril weitergehen, wie sie angefangen haben, wird’s zum Schreien. Kostprobe gefällig? Gern! Gestern zb gab eine junge Kandidatin der “One Nation” Partei (so eine Art australische Le-Pen- oder Sarah-Palin-Truppe) ein Interview und erklärte : Sie sei jetzt nicht generell gegen Islam als Land, aber deren Gesetze sollten lieber nicht in Australien gelten. Okay, ich verstehe, Sie brennen darauf, den Namen dieser politischen Wunderwaffe kennen zu lernen: Verständlich, denn Stephanie Banister, mit 27 Jahren das jüngste “poster girl” ihrer politischen Vereinigung, hat noch weitere Weisheiten in Sachen Religion parat. Da Skepsis in diesen schnellmedialen Zeiten angebracht ist, hören Sie sich den Beweis aus Australiens öffentlichem Fernsehen auf Youtube an. Es lohnt! Sarah, sorry Stephanie weiß auch: Nur 2 Prozent aller Australier etwa folgten dem Haram (sie meinte Koran, haram ist ein muslimischer Terminus für etwas das verboten ist )

http://www.youtube.com/watch?v=6_1SFf8t-ko

Dann belehrte sie noch: Juden hätten andere Diätvorschriften (nicht haram sondern kosher und steuerfrei), aber Juden hätten ja eh ihre “eigene Religion, welche nämlich Jesus Christus folge”. Autsch, ich glaube Stephanie muss wirklich muss noch mal zurück in Jahrgang 10, wo’s um “Religionen dieser Welt” ging. Denn Glaube und Gott sind ihr Lieblingsthema (sagt sie). Kaum nötig zu erwähnen, dass die aufstrebende Politikerin sich am nächsten Tag beschwerte und falsch zitiert fühlte… Die Beweise waren allerdings etwas zu erdrückend.

Mit etwas Glück bleibt Australien mehr Banister-Intelligenz eventuell erspart: im Moment wird gerichtlich gegen sie ermittelt weil sie angeblich Aufkleber verteilt hatte: “halal funds terrorism” brüllten die weiß auf rot, und ihre Anhänger hatten sie in Brisbanes Supermärkten auf Fleischwaren und andere Produkte geklebt. Das Verfahren steht noch aus, aber mit Vorstrafe darf sie nicht ins Parlament. phhhh.

halalfood

 

Dies waren Stephanie Banisters Aufkleber. Dank derer könnte Australien von ihr verschont werden.

 

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Die Sehnsucht ist geweckt

Die westlichen Demokratien haben sich bei der tunesischen wie der ägyptischen Revolution gründlich blamiert. Sie hinkten hinter den Ereignissen her, wanden sich in Schmerzen mit vorsichtigen Statements. Ging es doch schließlich darum, den Diktatoren und Unterdrückern die Unterstützung zu entziehen, die sie seit Jahrzehnten in ihren Palästen gehalten hatte. Völlig ungeachtet der Tatsache, dass man in politischen Sonntagsreden immer mehr Demokratie im Nahen Osten forderte. Aber das versteht sich von selbst.

Als es gar nicht mehr anders ging, forderten US-Präsident Barack Obama und seine europäischen Mitläufer einen schnellen aber geordneten Übergang zu einer wirklich demokratischen Regierungsform. Aha. Damit behalten sie sich vor, darüber zu urteilen., was ‘wirklich demokratisch’ ist. Und im gleichen Atemzug drängt man auf die Einhaltung internationaler Verträge und Verpflichtungen. Da nämlich liegt, wenn es um den Nahen Osten geht, für die meisten westlichen Politiker der Hase im Pfeffer: Fast alles darf passieren, aber die beiden Friedensverträge mit Israel (mit Ägypten und Jordanien) dürfen nicht angetastet werden. Außerdem dürfen keine Islamisten an die Macht kommen, wobei am liebsten alle islamistischen Gruppierungen in einen großen Topf geworfen werden. Wie man es in Washington, Berlin und Paris damit hält, wenn demokratische Wahlen Islamisten an die Macht bringen, das haben wir beim Urnengang in den Palästinensergebieten 2006 gesehen. Als die Hamas den Sieg davon trug, brach man schlicht die Beziehungen mit der von ihr geführten Regierung ab.

Die westlichen Regierungen – nicht nur die amerikanische – haben in der arabischen Welt schon längst ihre Glaubwürdigkeit eingebüßt. Die Menschen in der Region verstehen, dass es nicht um Werte wie Demokratie, Selbstbestimmung und Freiheit geht sondern um politische Interessen. Vornehmlich um solche, die sich mit israelischen Interessen decken. Auch wenn man in vielen Fällen trefflich darüber diskutieren kann, ob sich diese Interessen tatsächlich decken. Oder ob wir uns nicht selbst ins Knie schießen, gerade weil wir dazu tendieren, die Region ausschließlich durch die israelische Brille betrachten.

Auch deshalb können die Ägypter auf gute Ratschläge aus dem Westen derzeit verzichten. Ihnen ist nicht entgangen, dass Washingtons Lieblingskandidat für die Nachfolge Mubaraks sein Geheimdienstchef Suleiman war. Also jemand, der mit Leib und Seele für das alte System stand und steht. Die Armee ist nun die zweitbeste Wahl, arbeitet ihre Führung doch sehr eng mit amerikanischen Militärs zusammen, die eine Finanzhilfe von 1,3 Milliarden US-Dollar jährlich beisteuern. In dem Preis dürfte inbegriffen sein, dass keine Politik erlaubt wird, die den ohnehin kalten Frieden mit Israel einfrieren könnte.

Interessant wird es, wenn eine wirklich demokratische zivile Regierung in Kairo an der Macht ist. Ihr werden vermutlich die ägyptischen Moslembrüder angehören, auch wenn die Menschen auf dem Tahrir-Platz deutlich gemacht haben, dass die Islamisten keine Mehrheit im Land haben.Ein weiterer Schleier ist gefallen: Die Alternative zu autokratischen oder diktatorischen Systemen im Nahen Osten heißt nicht automatisch Chaos und Islamismus. Es dürfte den Regierenden in Washington und Berlin in Zukunft schwer fallen, mit dieser Gleichung zu argumentieren, wenn es um die Unterstützung repressiver Regime in der Region geht, die Menschenrechte verachten aber Stabilität und Kampf gegen Terrorismus versprechen.

Unsere westlichen politischen Moralapostel stehen plötzlich ohne Kleider da. Sieht ganz so aus, als stünden sie auf der Verliererseite nach den erfolgreichen Volksaufständen in Tunis und Kairo. Gemeinsam übrigens mit ihren Erz-Feinden, den islamischen Extremisten aus der Al Qaeda-Ecke. Denn der Sieg der friedfertigen Menschen gegen ein brutales, vom Westen unterstütztes System, nimmt diesen Terroristen den Wind aus den Segeln. Die Jugendlichen, die auf dem Tahrir-Platz in Kairo den Sturz Mubaraks gefeiert haben, haben es nicht mehr nötig, sich solchen Bewegungen aus Protest oder dem Gefühl der Ohnmacht anzuschließen. Sie haben sich selbst befreit und ermächtigt, sie haben ihren Stolz und ihre Menschenwürde zurück erobert.

Nachdem ich mehr 15 Jahre lang dem politischen Stillstand, der Demütigung und der Entmündigung der Menschen in der Region zugesehen habe, habe ich nun wieder Hoffnung. Auch wenn wir alle wissen, dass die Revolutionen noch nicht gewonnen oder vollendet sind. Aber es wäre schön, noch mehr solch befreite, lachende oder vor Freude weinende Gesichter in Arabien zu sehen. Die Sehnsucht ist geweckt, hoffentlich wird sie nicht in Blutvergießen ertränkt.

 

 

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Unschuldige Sprengstoffkuriere

 Das muss erstmal jemand der slowakischen Polizei nachmachen: Bei einer Sicherheitskontrolle am Flughafen schmuggelten Beamte den nichts ahnenden Passagieren kleine Sprengstoffpakete ins Gepäck, um mit ihren Spürhunden zu üben. Sieben von den acht Paketen fanden die Hunde. Nummer acht reiste unentdeckt im Linienflugzeug nach Irland. Als die Slowaken ihre Panne kurz darauf meldeten, sperrte die irische Polizei den ganzen Wohnblock um das Appartment des vermeintlichen Sprengstoff-Kuriers, riegelte Straßen ab und nahm sich den Verdächtigen drei Stunden lang in einem Verhör vor.

Es ist zum ersten Mal seit längerer Zeit, dass die Slowaken international in die Schlagzeilen geraten sind. Dass es ausgerechnet eine solche Tragikomödie ist, verwundert ebenso wenig wie die Hauptrolle der Polizei: Seit Jahren gibt es einen Skandal nach dem anderen in den Reihen der Polizei – vom örtlichen Polizeichef, der nach einem Streit angeblich den Ehemann seiner Geliebten von einem Sondereinsatzkommando abführen ließ bis zu den Streifenbeamten, die Romakinder zwangen, sich gegenseitig zu schlagen und auszuziehen. Ans Licht gekommen ist der Skandal nur wegen eines Videos, das die Beamten dabei zu ihrer eigenen Belustigung drehten.

Die Politik zieht aus der Häufung solcher Fälle keine Konsequenzen. Der Innenminister verkündet, es handele sich um menschliches Versagen, für das er keine Verantwortung trage. Seine Partei, die linkspopulistische Gruppierung Smer (die in einer bizarren Koalition mit der slowakischen Rechtsaußen-Partei regiert), dürfte bei den Wahlen im Sommer mit großem Abstand gewinnen.

 

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Schwarzer Peter im Glashaus

Als ich am Morgen des 6. Juli, einem Montag, ins ARD-Hörfunkstudio Kairo kam, fragte mich eine ägyptische Mitarbeiterin, ob ich von dem Mord an Marwa El-Sherbini im Dresdner Landgericht gehört hätte und warum die deutschen Medien und deutsche Politiker die Tat immer noch verschweigen würden. Tun sie sicher nicht, erwiderte ich und schaute später in den Archiven nach. Ich wollte der Kollegin das Gegenteil zu beweisen. Es gelang mir nicht, sie hatte recht. In den fünf Tagen nach dem Mord an der Ägypterin, der am Mittwoch zuvor stattfand, waren Meldungen außerhalb der Vermischtes-Seiten oder des Polizeireports die Ausnahme, vom Tathintergrund ganz zu schweigen.

Noch am selben Tag produzierte ich einen Hörfunkbericht mit O-Tönen, der die Reaktionen in ägyptischen Talkshows, Zeitungen und von Passanten auf Kairos Straßen zusammenfasste. Eine knappe Woche nach der Tat meldete sich dann endlich auch die Bundesregierung in Gestalt des Regierungssprechers zu Wort, mit enttäuschend hinhaltender Rhetorik: Sollte es sich herausstellen…, so werde man… aufs Schärfste verurteilen… usw… Andrea Dernbach fragte im Berliner »Tagesspiegel«: »Warum ist der Tod einer Kopftuchträgerin, die nicht Opfer eines Ehrenmords wurde, eine Woche lang nur eine kurze Meldung in den Nachrichtenagenturen und für die politischen Institutionen kein Grund, auch nur zu zucken?«

Ebenso Stephan J. Kramer, Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland, der bestürzt wissen wollte, warum es keine »Solidaritätsadressen von Vertretern der deutschen Mehrheitsgesellschaft« gegeben habe. Immerhin sei der Mord »ganz offensichtlich das Ergebnis der beinahe ungehinderten Hasspropaganda gegen Muslime von den extremistischen Rändern der Gesellschaft bis hin in deren Mitte«. Sind etwa die Protestnoten deutscher Politiker nach antisemitischen Straftaten, so könnte Kramer sich weiter gefragt haben, womöglich nichts anderes als ein hohles, pflichtbewusstes Routineritual?

Der Täter ist inzwischen zu lebenslanger Haft verurteilt worden, am Ende eines Prozesses, den der »Spiegel« zu Recht als Sternstunde des deutschen Rechtsstaates bezeichnet, ein Prozess, der die besondere Schwere der Schuld feststellte und auch in ägyptischen Medien gelobt wurde. Leider zu selten wurde allerdings die Frage gestellt, ob der Mord an Marwa El-Sherbini nicht Ausdruck einer Atmosphäre des Islamhasses ist, der bis in die Mitte der deutschen Gesellschaft reicht. Auch scheint es kaum jemanden zu beunruhigen, dass die deutsche Öffentlichkeit in diesem Fall reagiert hat, wie ich es normalerweise von der ägyptischen gewohnt bin.

Da waren zum einen die späten deutschen Reaktionen, die von der arabischen Presse als Todschweigen oder, schlimmer noch, gelegentlich als heimliche Komplizenschaft gedeutet wurden. Wenn Ihr nicht alle Terroristen seid, fragt der Westen seit 9/11 die muslimische Welt (zu Recht), wo sind dann Eure kritischen und gemäßigten Stimmen? Nun mussten sich dieselbe Frage die Deutschen gefallen lassen: Wenn Ihr nicht alle Rassisten seid, wo blieben dann Eure Verurteilungen und Solidaritätsnoten?

Wie in der arabischen Welt nach Terrorattentaten, so suchte man auch in Deutschland die Schuld bei anderen. Warum soll die Tat für uns relevant sein, wo Alex W. doch erst 2003 aus Russland nach Deutschland kam? Nicht ungelegen kamen offenbar die emotionalen Reaktionen in der muslimischen Welt, die Proteste und Drohungen. Brennen bald deutsche Botschaften, fragte ZEIT Online. Dass in Ägypten Protestaktionen die Ausnahme waren, spielte keine Rolle. 2000 Ägypter beim Trauerzug in Alexandria hinter Marwas Sarg, bei dem einige Hitzköpfe »Nieder mit Deutschland« grölten, drei Dutzend stumme Transparenteträger vor der Deutschen Botschaft in Kairo, ein Mordaufruf im Internet, der dort allerdings von Durchschnittsusern kaum gefunden werden konnte und von einem Wirrkopf stammte. All das reichte aus, um die anderen schlecht, fanatisch oder, besser noch, als Täter dastehen zu lassen.

Wie praktisch auch, dass es unter Muslimen (aber nicht nur unter ihnen) Ehrenmorde gibt. Diese Retourkutsche ließ man sich nicht entgehen. Laut Bundeskriminalamt wurden zwischen 1996 und 2005 pro Jahr im Schnitt fünf Frauen Opfer eines Ehrenmordes in Deutschland – jeder einzelne eine grausame Tragödie. Dennoch ist es an Geschmacklosigkeit kaum zu überbieten, angesichts der Proteste gegen den Mord an Marwa El-Sherbini zu fragen, wo denn die Proteste gegen Ehrenmorde bleiben? So geschehen in Kommentaren und Berichten in den letzten Monaten. Das erinnert mich daran, wie man in arabischen Ländern den Schwarzen Peter zurückgibt, indem nach Terrorattentaten gern auf Guantanamo, den Krieg gegen den Irak, die zivilen Opfer in Afghanistan oder den Palästinensergebieten verweist.

Besonders nervös wiesen die Deutschen in der Berichterstattung zum Marwa-Mord, in Leserbriefen und in Kommentarspalten den Generalverdacht von sich, dem man sich ausgesetzt sah. DIE Deutschen sind natürlich keine Rassisten, auch wenn das manche ägyptischen und arabischen Medien in den Wochen und Monaten nach dem Mord suggerierten. Aber ist der Generalverdacht nicht ein Instrument, das weiten Teilen der deutschen Öffentlichkeit bekannt vorkommen müsste, weil sie es jahrelang auf Muslime angewandt haben?

Unterm Strich war zu erleben, dass die deutschen Reaktionen auf den Mord in Dresden zu oft aus Verdrängen, Verharmlosen, Relativieren und Dämonisieren bestanden. Im Grunde haben sich weite Teile der deutschen Öffentlichkeit verhalten wie die arabischen Gesellschaften in spiegelgleichen Situationen. Und das sollte, angesichts der Tatsache, dass wir in einer demokratischen Zivilgesellschaft leben, nun wirklich beunruhigen.

 

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Brennende Barrikaden

Pakistan hat ja ein schlechtes Image. Terroristen, Taliban und so. Dabei steht der üble Leumund im seltsamen Kontrast zu dem was die meisten Leute denken, die das Land kennen. Weibliche Korrespondenten in Delhi schwärmen sehr zum Ärger der indischen Freunde regelmäßig von der Höflichkeit der pakistanischen Männer, männliche Besucher schätzen die gute Luft in Islamabad und die fleischreiche Küche. Selbst die Mullahs sind gar nicht so übel.

Aber seit gestern weiß ich wie es zu diesem Kontrast kommt. Ich will gar nicht den Medien die Schuld geben. Als ich mich von meinem Guesthouse in Islamabad auf den Weg zum “Jinnah Super Market” – einer Art offener Shopping Mall – machte, um mir eine neue Telefonkarte zu kaufen und etwas essen zu gehen, hörte ich auf einmal Geschrei. Als ich mich dem Ort des Geschehen näherte sah ich auch schon einen Haufen Männer, der Parolen skandierte und die vierspurige Straße mit Barrikaden blockiert hatte. “Sieht nach Ärger aus”, dachte ich und fürchtete bereits auf Telefonate und Abendessen verzichten zu müssen.

Doch dann fiel mein Blick auf einen Verkehrspolizisten, der seine Hauptaufgabe offenbar darin sah den herannahenden Autofahrern zu erklären, dass sie wieder umdrehen müssten. “Sie sehen ja”, so konnte man seine ausladende Handbewegung auf die brennenden Barrikaden deuten, “es geht hier nicht weiter”. Dass da Demonstranten gegen die Straßenverkehrsordnung verstießen und vermutlich auch gegen das Demonstrationsrecht und die Umweltschutzverordnung, indem sie unermüdlich neue Äste von den Bäumen rissen und diese anzündeten, schien ihn nicht weiter zu stören.

“Ist ja lässig dieser pakistanische Ordnungshüter”, dachte ich mir, “dann kann es ja wohl nicht so schlimm sein” und überquerte die Straße. Der Besitzer des Telefonkarten-Ladens versicherte mir, dass die Demo ganz harmlos sei. Der Manager des Bazaars sei aus unbekannten Gründen ins Gefängnis gekommen und die Ladenbesitzer solidarisierten sich mit einem Streik.

Streik? Nachdem ich eine Telefonkarte gekauft hatte ging ich in mein Lieblingsgeschäft, in dem ich mich immer mit gefakten DVDs eindecke. Ich kaufte zehn Stück für umgerechnet zehn Euro. Der Einkauf dauerte etwas länger, weil der Besitzer zwischendurch immer wieder das Licht abschaltete, damit man von außen nicht sehen konnte dass sein Laden voller Kunden war.

Merke: In Pakistan wird nichts so heiß gegessen wie es gekocht wird. Aber darüber schreibt ja nie einer.

 

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Australische Zeitverschiebung

Ab 31. März gibt es auch in Australien Terroristen. Nee, Unsinn, also nochmal: Ab 31. März kommen auch aus Australien keine Terroristen mehr raus. Oder wenn es dann welche gibt, finden wir sie am Flughafen. (“Äh, hallo, worum genau geht’s hier, genau?”) Ja, sorry, also es geht ums Fliegen mit Flüssigem. Darum, dass man ja seit dem vereitelten Anschlag in London im August fast nirgends mehr im Handgepäck haben darf außer organisches Felsquellwasser oder Wimperntusche. Das ist eben ab April auch down under Gesetz.

Wir haben eben spekuliert, wieso das in Känguruland etwas länger als anderswo gedauert hat. Mein Lieblings-Bayswim-Partner meint: “Unsere Terroristen hier sind eben nicht so clever, die hätten das gar nicht so schnell rausbekommen mit den Flüssigbomben.” Meine Nachbarin hat was von Zeitverschiebung gemurmelt. Mein Verdacht ist, es liegt an der Gründlichkeit, mit der die zuständige Behörde sich der Sache angenommen hat: Die Regierung musste nämlich erstmal Aufklärungs-Broschüren (“Was darf rein?”) drucken, und zwar 14 Millionen Stück (Australien hat knapp 21 Mio Einwohner). Und die mussten wiederum in fünf Sprachen verfasst werden: englisch, chinesisch, japanisch, koreanisch und malayisch. Das dauert dann vielleicht eben schon mal sieben Monate.

 

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Wahrheit und Klischee: Film über Bali-Bomben

Am 12. Oktober 2002 sprengten sich auf der Touristeninsel Bali vor einem überfüllten Nachtclub zwei Selbstmordattentäter mit einem Kleinbus voller Sprengstoff in die Luft. 202 Menschen starben in dem Inferno. Der Traum vom friedlichen Zusammenleben im Ferien-Paradies war zerstört. Der internationale Terrorismus war nach Indonesien gekommen.

Nun gibt es den Film zur Bombe. Zum ersten Mal wagte sich ein indonesisches Produktionsteam an die Aufarbeitung des schwierigen Themas – und griff mitten ins Wespennest. „Hier wird der Islam schlecht gemacht,“ schreien die einen und: „Ihr vermenschlicht die Terroristen,“ die anderen. Zugegeben, die Charaktere in „Long Road To Heaven" sind fast alle überzeichnet und die Erzählstruktur mit ihren ständigen Zeitsprüngen unausgereift. Auch kann der Film – schon allein aus Kostengründen – nicht mit der perfekten Technik eines Hollywoodprodukts mithalten. Dennoch gelang es Regisseur Enison Sinaro und Produzentin Nia Dinata, die Ereignisse von allen Seiten aus verschiedenen Sichtweisen zu beleuchten und einen neue Diskussion anzustoßen: Es gibt die sensiblen, die fiesen und die ganz normalen Touristen, die toleranten und fanatischen Muslime – und selbst bei den Terroristen tauchen Zweifel auf.

Auf die Kritik einer amerikanischen Zuschauerin, der Film sei zu klischeehaft, antwortete ein einheimischer Premierenbesucher daher: „Seien Sie bloß froh, dass es nicht ihre Leute waren, die diesen Film gedreht haben.“

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