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The Power of the Shower

Eine meiner deutschen Freundinnen, nennen wir sie Monika, stellt, wenn sie mich anruft, immer die gleiche Frage: „Und? Was machst du heute?“ Dann sage ich zum Beispiel, dass ich einen Bericht über Gewerbeimmobilien schreibe oder das Porträt einer Managerin. Jedes Mal ist Monika enttäuscht. „Aber du bist doch in New York“, sagt sie vorwurfsvoll. So als verbinde sich mit dieser Tatsache die Verpflichtung, ständig etwas ganz Verrücktes zu erleben.

Im vergangenen Monat wäre Monika mit mir zufrieden gewesen. Ich erhielt eine Einladung zu einem Presse-Lunch, Thema: „Die besten Ideen beginnen unter der Dusche“.

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Dr. Scott Barry Kaufman, ein Psychologie-Professor an der New York University, und Richard Grohe, Sprößling einer bekannten Duschkopf-Unternehmer-Dynastie, würden über die Segnungen der Körperreinigung diskutieren. „Please join us as the two explore the power of the shower.“ Das Ganze in der „Houston Hall“, eine der düsteren Bierhallen, die in New York unverständlicherweise als typisch deutsch gelten und unglaublich angesagt sind.

The Power of the Shower, ein Psychologe und die Houston Hall – die Kombination war einfach unwiderstehlich. Ich trat also die von uns Brooklynern ungeliebte Reise ins ferne Manhattan an. Um es vorweg zu nehmen, es hat sich gelohnt. Es gab einen sehr anständigen Riesling, akzeptable Schweineschnitzel und Kekse in Form von Duschköpfen. Und eine Menge überraschender Erkenntnisse.

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Oder wussten Sie, dass 72 Prozent der Menschen unter der Dusche Ideen haben und dort Probleme lösen? Weitere 17 Prozent fühlen sich „inspiriert“. Das, so sagte Psychologe Scott, seien außergewöhnlich hohe Werte: „Die Leute sind unter der Dusche kreativer als bei der Arbeit.“ Er konnte auch erklären, warum: weil sich der Duschende von störenden Eindrücken der Außenwelt isoliert. „Es gibt keine Ablenkung, das Gehirn konzentriert sich auf die Innenwelt.“

Liebe produktivitätssteigernde Unternehmensberater: umgehend alle Großraumbüros auflösen und Firmenduschen installieren!

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Weitere Erkenntnisse waren, dass die optimale Duschtemperatur der Wärme entspricht, die Babys im Mutterleib wahrnehmen. Dass Japaner im Sitzen duschen und Amerikaner große Überkopf-Modelle lieben, während der Dynastiesprößling selbst eine Handdusche von Philippe Starck bevorzugt. Dass die Mitarbeiter von Hansgrohe in dem 800-Einwohner-Dorf Schiltach Zugang zu einem Unternehmens-Spa genießen und die Firma schon 68 Gerichtsverfahren gegen chinesische Markenpiraten gewonnen hat.

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Zum Abschluss gab Richard Grohe den Presseleuten ein Zitat von Atari-Gründer Nolan Bushnell mit auf den Weg: „Jeder hat gute Ideen unter der Dusche – alles hängt davon ab, was du damit anfängst, wenn du abgetrocknet bist.“

Das, da bin ich sicher, würde auch meiner Freundin Monika gefallen.

Fotos: Christine Mattauch

 

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Kompost eisgekühlt

In der New York Times stand, die Teilnahme sei freiwillig. Ich glaube, das war ein Missverständnis. Uns hat jedenfalls keiner gefragt. Eines schönen Frühlingsmorgens stand der kleine Henkelmann vor der Tür. Hellbrauner Plastikkörper mit schneeweißem Griff, überraschenderweise nicht in China gefertigt, sondern in Kanada.

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Ein paar Tage später kam der große Bruder, braun mit orangefarbenem Schnappverschluss, und der Aufschrift „NYC Organic Collection“.

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Sie ahnen es: New York probt den Einsatz der Biotonne.

Dass in den Pilotversuch mit 70 000 Haushalten unser Viertel Park Slope einbezogen wurde, könnte mit dem von mir bereits in einem früheren Blog erwähnten Umstand zu tun haben, dass Bill de Blasio in der Nachbarschaft wohnt, seit Januar Bürgermeister von New York City. Nach monatelangen Zögern ringt sich die Familie de Blasio jetzt allerdings doch zum Umzug nach Gracie Mansion durch, der traditionellen Bürgermeistervilla an der Upper East Side. Dass es dort besser sein soll als hier, können wir stolzen Brooklynites uns nun gar nicht vorstellen.

De Blasio zieht also weg und wir behalten die Biotonne. Ich finde, das ist kein schlechter Tausch. Es war zwar nicht ganz einfach, die empfohlenen kompostierbaren Beutel aufzutreiben, obwohl die Stadt dem Henkelmann vier Coupons unterschiedlicher Hersteller beigelegt hatte. Und es ist wohl auch noch wenig Preisdruck auf dem neuen Markt, denn 25 Beutelchen kosteten 5.49 Dollar. Trotzdem freue ich mich, dass meine Küchenabfälle nun eine sinnvolle Nutzung erfahren.

Mit meiner Zufriedenheit bin ich allerdings ziemlich allein. Die Nachbarn stört ein ganz banaler Umstand: Der Küchen-Kompost stinkt. Für etliche Großstädter ist dies offenbar eine neue Erkenntnis. Und so werden Tipps ausgetauscht, wie sich die Geruchsbelästigung verhindern lässt. Bei einer Umfrage der New York Times empfahlen die einen ein Duftspray der Marke Febreze, aber nur mit Zimtaroma – Vanille verschärfe das Problem. Ob die mit Chemieduft besprühten Abfälle wohl genauso gut rotten wie unbehandelte? Andere Mitbürger verstauen den Henkelmann in der Eistruhe – Kompost eisgekühlt. Bei allem Umweltbewusstsein, wir sind immer noch in Amerika.

Fotos: Christine Mattauch

 

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Einladung nach Texas

Das Ereignis der Woche war, natürlich, die Amtseinführung von Präsident Barack Obama. Die Einwohner von New York beschäftigte daneben ein weiteres Thema: ein Aufruf des texanischen Generalstaatsanwalts Greg Abbott, ihre Heimat zu verlassen und nach Texas zu ziehen. Eine Liebeserklärung an die sonst so verhassten Yankees? Nicht ganz: Angesprochen waren ausdrücklich nur “Law abiding gun owners” – gesetzestreue Bürger, die eine Waffe besitzen.

Abbott, ein im Rollstuhl sitzender Republikaner, hatte die Anzeigen online auf diversen Nachrichtenseiten schalten lassen. Sie erschienen insbesondere bei Nutzern auf dem Bildschirm, die ausweislich ihrer Postleitzahl in Manhattan oder in der Staatshauptstadt Albany leben. Nun ist man in den USA einiges von dem Cowboystaat gewohnt und nimmt ihn, anders als er sich selbst, nicht immer ganz ernst. In den vergangenen Monaten zum Beispiel wurden in Texas mehr als hunderttausend Unterschriften für eine Petition gesammelt, die es dem Bundesstaat ermöglichen sollte, sich vom Rest der Republik abzuspalten. Auch den Unterzeichnern war freilich klar, dass Washington den Antrag rundweg ablehnen würde.

Abbotts Abwerbungsversuche sind ein anderes Kaliber. Hintergrund sind die strengen Waffengesetze, die der Gesetzgeber des Staats New York auf Druck von Gouverneur Andrew Cuomo in Rekordzeit verabschiedet hat. Es war die Reaktion auf das Blutbad an der Sandy-Hook-Schule in Newtown, bei dem ein 20jähriger Selbstmordattentäter mit halbautomatischen Sturmgewehren 20 Kinder und sechs Lehrer niedergemäht hatte. Der Schock war so groß, dass selbst das als lahm und notorisch korrupt geltende Provinzparlament in Albany in Bewegung kam und damit nach Ansicht der meisten New Yorker Menschen das Richtige tat. Nicht jedoch nach Ansicht der Gun-Lobby, die in mehr statt weniger Waffen das Rezept gegen Massenmörder sieht – damit sich der gesetzestreue Bürger verteidigen kann. Mit dieser Position hat sie an der liberalen Ostküste allerdings einen schweren Stand, ganz anders als im waffenvernarrten Süden der USA.

Für Abbott war es somit ein günstiger Zeitpunkt, um auf sich aufmerksam zu machen. Der 55jährige wolle die Amerikaner “vor reflexartigen und skurrilen Reaktionen der politischen Elite” bewahren, erklärte sein Sprecher. Ganz nebenbei will er im kommenden Jahr auch Gouverneur von Texas werden und kann die Publicity gut brauchen, die ihm seine provokative Aktion verschafft. Klugerweise ließen sich bisher weder der New Yorker Gouverneur noch Bürgermeister Michael Bloomberg zu einer Antwort hinreißen. Die in Manhattan erscheinende Wochenzeitung Village Voice allerdings nahm den Fehdehandschuh auf. Sie warnte ihre Leser: “Abbott lügt. Texas will dich nicht. Selbst wenn Du ein durch und durch republikanischer, Waffen tragender New Yorker bist, könntest du glauben, dass Schwule und Frauen Menschen sind. Das kommt da unten gar nicht gut an.”

 

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Im Vermieterparadies

Argentinien ist ein Land mit eigenen Regeln: Hier fahren Krankenschwestern in der gleichen Kleidung, in der sie später in der Notaufnahme stehen, morgens im voll besetzten Bus zur Arbeit. Rechnungen (auch Gas, Strom, Wasser) haben einen Strichcode und man kann sie an der Supermarktkasse zahlen. Und um eine Wohnung zu mieten, muss man eigentlich schon eine haben.


Glücklich schlafen in Buenos Aires: Nur mit garantía!

In Argentinien braucht man eine garantía, um eine Mietwohnung zu bekommen. Eine garantía ist eine Bürgschaft in Form einer anderen Wohnung. Sollte der Mieter die Bude abfackeln oder Mietschulden haben, bekommt der Vermieter die Wohnung des Bürgen. Und das kann nicht irgendeine Wohnung sein: Der Wohnraum muss einen vergleichbaren Wert haben und in einer dem Vermieter genehmen Gegend liegen. Wenn dem die Immobilie des Bürgen nicht gefällt, wird der Vertrag nicht unterschrieben.

Wer also keine eigene (Erst-)Wohnung hat, braucht Freunde, die bereit sind, Haus und Hof zu verpfänden. Jemandem eine garantía zu geben ist der vielleicht grösste Freundschaftsbeweis, den ein Argentinier machen kann. Zum Grillen einladen kann man mehrere Großfamilien und das jeden Sonntag. Die Wohnung kann nur zweidrei Mal verbürgt werden.

Als Ausländer ohne garantía hat man drei Möglichkeiten: Zu meist absurd hohen Preisen zur Untermiete hausen (und wenn Besuch aus der Heimat kommt hat man Pech, denn in den möblierten Zimmern darf man oft keine Gäste haben). Eine gefälschte garantía auf dem Schwarzmarkt kaufen und hoffen, dass sie nicht auffliegt. Jemanden finden, der sein Haus für einen verpfändet.

Es wäre allerdings ungerecht, auf die Vermieter zu schimpfen, ohne die andere Seite zu sehen (1): Argentinische Mieter scheinen außer Rand und Band zu geraten, wenn sie irgendwann ausziehen. Als ich in meine jetzige Wohnung einzog, fehlte das Rohr vom Spülkasten zur Toilette und der Sicherungskasten war weg, die Stromkabel waren mit Klebeband direkt aneinander geklebt.

Inzwischen miete ich nun seit sechs Jahren die gleiche Wohnung. Ruhe habe ich aber immer noch nicht. Erstens kümmern sich Vermieter hier um nichts (immerhin – den neuen Durchlauferhitzer hat meiner zur Hälfte übernommen, weil der alte unkontrolliert Gas ausspuckte und eine echte Gefahr war). Und zweitens werden Mietverträge in Argentinien alle zwei Jahre erneuert. Dann kann sich nicht nur die Miete verdoppeln, sondern der Makler heimst jedes Mal neu zwei ganze Monatsmieten Provision ein. Eine Quittung gibt er mir dafür – natürlich! – nicht. Mieterrechte sind gesetzlich so gut wie nicht geregelt, sagte man mir übrigens beim Mieterschutzbund. Ich könne den Vermieter ja darauf hinweisen, dass das “gegen die guten Sitten verstoße”. Mach’ ich gleich morgen. Da wird er sicher nachts ins Kissen heulen.

(1) Liebe Vermieter mit Wohungseigentum in Argentinien. Bitte seht davon ab, mir Leserbriefe zu schreiben. Es tut mir sehr Leid für Euch, wenn Eure Mieter nicht auf Eure Wohnungen aufpassen. Gebt sie einfach mir! (allen, denen diese Fußnote absurd erscheint sei gesagt: Ist sie nicht! Ich habe tatsächlich schon böse Leserbriefe von Menschen bekommen, die in Argentinien Wohnungen vermieten und das System der garantía verteidigen. Dabei zweifele ich ja gar nicht daran, dass auch die Vermieter hier ein hartes Los treffen mag!)

Ein hilfreicher Link für wohnungssuchende Buenos Aires-Besucher: http://buenosaires.es.craigslist.org/

 

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8 qm Luxus

Ich bin umgezogen. Die alte Wohnung hatte zu viele Busse vor dem Fenster (Radioaufnahmen im Kleiderschrank), keinen Blick, lag in der falschen Gegend. Die neue Wohnung ist ruhig, mit Hongkong-Blick, liegt in einer schönen Gegend. Ein guter Tausch. Doch wie immer im Leben zahlt man für alles einen Preis: Die neue Wohnung ist nur noch halb so groß wie die alte. Deshalb brauche ich jetzt zusätzlich ein Büro, weil ich sonst zu Hause die Wände hochgehe oder in den schönen Ausblick hineinspringe.

Bürosuche in Hongkong ist kein schönes Unterfangen. Die Stadt kennt die teuersten Büromieten der Welt. Wenn ich die Preise sehe, quält mich wieder der Verdacht, dass Hongkong vielleicht doch kein guter Standort für einen freiberuflichen Journalisten ist.

 

 

Ein Schreibtisch in einem Gemeinschaftsbüro: 420 Euro im Monat

Ein 8qm-Raum ohne Fenster: 600 Euro

Ein 40qm-Raum, hell und schön: 2000 Euro

Es geht auch billiger. Doch die erschwinglichen Büros haben zu viele Busse vor dem Fenster, keinen Blick, liegen in der falschen Gegend. Hmm!

 

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Hauptsache feste Schuhe neben dem Bett – Erdbeben-Erfahrung aus Kalifornien

Das Erdbeben in Neuseeland und der Blog der heftig beben-geschüttelten Kollegin Anke Richter aus Christchurch haben mich daran erinnert, dass unsere Decken und das Notproviant für alle kalifornischen Bebenfälle mal wieder bei irgendeinem Campingtrip oder Ausflug zum Strand verschwunden sind, dass ich immernoch nicht das handbetriebene Radio gekauft habe, das es seit Wochen zum Sonderpreis im Supermarkt gibt und dass in dem Schrank, in dem eigentlich Wasser und Erste-Hilfe-Kiste sein sollten aus irgendeinem Grund seit Monaten leere Bierflaschen vor der Abgabe beim Recycling zwischengelagert sind.

Immerhin ist die Sicherheits-Lasche noch an der Schranktür. Die verhindert im Fall eines Bebens dass die Flaschen auf den Boden fallen. Das erinnert mich daran, wieder feste Schuhe neben das Bett zu stellen. Denn scheinbar gibt es vor allem nachts Erdbeben in Kalifornien, Fenster gehen kaputt, Bilderrahmen kommen von den Wänden und wenn man im verschreckten Halbschlaf barfuß aus dem Bett klettert hat man als erstes einen Glassplitter im Fuß und damit unnötig zusätzlich Probleme! Das habe ich jedenfalls bei der Recherche für zahlreiche Beiträge rund ums Phänomen Erdbeben gelernt. Kurz nach diesen Recherchen lege ich dann immer Vorräte an, stelle eine Erste-Hilfe-Kiste zusammen, deponiere Bargeld und Dokumente in einem Safe, schreibe wichtige Kontaktnummern auf, entwickle einen Fluchtplan, zwinge meinen Mann dazu, einen Treffpunkt zu vereinbaren, wo wir uns finden, falls uns das Beben getrennt voneinander erwischt und eine Telefonnummer zu vereinbaren, die wir beide erreichen, wenn unsere Handys ausfallen. Theoretisch bin ich inzwischen sehr gut in der Erdbebenvorbereitung – ein paar Wochen nach der Recherche sieht es in der Praxis aber nicht mehr so gut aus – siehe leere Bierflaschen im Erste-Hilfe-Schrank! 

 

Es gab ein paar mittel-heftige Beben in Los Angeles über die vergangenen Monate und Wissenschaftler grübeln nun ob das ein gutes Zeichen ist – heißt, dass sich Spannungen abbauen und deshalb größere Beben unwahrscheinlicher geworden sind – oder ob das kleine Ouvertüren sind für THE BIG ONE, das seit Jahren vorhergesagt wird mit mehreren tausend Toten und Milliarden an Sachschaden. Ich habe von den Beben nicht viel mitbekommen. Allerdings muss sich unser Haus innerhalb der letzten zwei Jahre bewegt haben. Und nicht wenig! Das hab ich entdeckt, als ich ein Bücherregal von einer Bürowand wegschob, die wir vor zwei Jahren frisch gestrichen hatten. Zwischen Staubwolken und Spinnweben klafft ein ziemlich heftiger Riss!

Kein Grund zur Beunruhigung! Häuser sind hier ja bevorzugt aus Holz gebaut, das hält sie flexibel und bebentauglich. Wir werden wohl nochmal streichen müssen. Oder das Regal wieder davor stellen.

Für die Kollegin Richter und ihre Familie, denen glücklicherweise allen nichts wirklich schlimmes passiert ist noch ein Tipp: hier raten alle Experten, sich möglichst NICHT in einen Türrahmen zu stellen wenn die Erde anfängt unruhig zu werden, eben weil Türen und andere Sachen da gut hinscheppern können. Sie empfehlen, sich unter eine solide Tischplatte zu begeben. Die einzige, die wir haben ist mein Schreibtisch und darunter ist wegen Kabelgewirr und Computer höchsten Platz für eine Person. Das bedeutet, mein lieber Mann muss im Fall des Falles vermutlich unter den Teak-Couchtisch kriechen. Hauptsache, er hat feste Schuhe an!  

 

 

 

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Mondpreise für Wohnungen

Da wir demnächst umziehen, sehe ich auf den Straßen Shanghais nur noch Immobilienmakler. Überall stehen sie, teilen an der Straße Broschüren an vorbeihastende Passanten aus. Oder geleiten junge Paare, Familien, Singles in Apartmentblöcke, alte Villen oder umzäunte, begrünte Wohnanlagen. Junge Typen meist, mit dunklem Anzug, Schlips und weißem Hemd, und einer Klemmmappe unterm Arm. Ich bilde mir ein, selbst bei jungen Männern auf einem Moped zu erkennen, wer ein Makler ist und wer nicht.

Tolle Sachen haben die Wohnungsmakler hier in Shanghai im Angebot. Alte Villen ausländischer Diplomaten oder einstiger Shanghaier Drogenbarone in verwunschenen Gärten zum Beispiel – die sind inzwischen gerne mal für sagenhafte 100 Millionen Yuan zu haben: Gut 10 Millionen Euro. Unrenoviert auch mal für 5 Millionen. Ein echtes Schnäppchen. Sanierte Reihenhäuser in den alten Gassen, Lilongs genannt, kosten mindestens eine halbe Million Euro. Dieses Hochpreissegment zieht auch ganz gewöhnliche Wohnungen in guten Lagen mit. Vier kleine Zimmer in einem weiß gekachelten, 15 Jahre alten Hochhausturm für 480.000 Euro? Gar kein Problem. Irgendwas in Innenstadtlage für 4 Personen, so für 200.000 Euro? Stirnrunzeln. Vielleicht in einem der alten grauen Arbeiterblöcke noch zu haben. Günstige Wohnungen – das war einmal. Wer vor acht Jahren gekauft hat, war klug und ist heute reich.

In vielen Städten Chinas sind die Wohnungspreise allein im vergangenen Jahr um 50 Prozent oder sogar mehr gestiegen. Eigentlich müsste das ein Fest für die Makler sein. Ist es aber nicht. Denn die Preise sind zwar hoch, aber kaum einer kauft.  Eine Maklerin schleust grade jede Woche 30 Interessenten durch ein saniertes Altstadthaus. Vergeblich.”Nur wer wirklich eine Wohnung braucht, kauft heute”, sagt ein Kollege und nestelt an seiner Krawatte. ” Alle anderen, Investoren zum Beispiel, warten ab.” Nur worauf warten sie? Dass die Preise einbrechen? Das erwartet nichtmal der junge Makler. “Zum Jahresende werden die Preise trotz allem noch etwas höher liegen”, ist er sich sicher.

Und wer kann das alles noch bezahlen? Für normale chinesische Mittelstandsfamilien wird der Wohnungskauf immer schwieriger. Ein Drama, für die von Wohneigentum besessenen Shanghaier. Junge Männer, die keine Wohnung besitzen, bekommen keine Frau. “Sie mögen noch das Mädchen rumkriegen, die Schwiegermutter aber auf keinen Fall!” sagt Cindy Su. Sie hat Glück. Sie hat eine Wohnung und einen Mann. Ein Freund von ihr hat aus Verzweiflung gerade eine Wohnung in Kunshan gekauft, einer staubigen Industriestadt vor den Toren Shanghais. Wohnen will er da nicht. Aber es ist billiger, 700 Euro kostet der Quadratmeter. Und er hat den begehrten Trumpf in der Hand: Eine eigene Wohnung, die er zumindest vermieten kann.

Schon geht unter Experten und Politikern die Angst um, dass Chinas Immobilienmarkt eine Blase ist, die bald platzt – so wie 2008 in den USA. In Peking stürzten die Kaufpreise im Frühjahr um 800 Euro pro Monat ab, nachdem die Zentralregierung zuvor Hypothekenkredite verteuert und andere Hindernisse für Wohnungskäufer eingeführt hatte – vor allem für Investoren, die zwei oder mehr Apartments besitzen. Ganz abwürgen will das Land den Sektor aber nicht. Es braucht ihn für die wirtschaftliche Erholung. Und der Bausektor schafft viele Arbeitsplätze. Aber er ist auch anfällig für Korruption. Gerade verbot daher die Kommunistische Partei ihren Kadern, sich “in Bauangelegenheiten einzumischen”.

Wir mieten unsere neue Wohnung, genau wie die alte. Wurden wir dafür früher belächelt, liegen wir dank der Mondkaufpreise heute zunehmend im Trend. Die Mieten immerhin waren in der Krise gesunken. Und auch wenn sie wieder steigen, liegt das Niveau bisher nicht höher als vor der Krise. Und so sind die vielen jungen Makler wohl heutzutage vor allem mit potenziellen Mietern statt Käufern unterwegs. Auch wenn das natürlich viel weniger Kommission bringt. Besser als nichts. “Ich bin doch nicht verrückt und kaufe eine Wohnung”, sagt Jia Kan und lacht sich kaputt. “Bei den jetzigen Preisen bekommt man da nie vernünftige Erträge. Und mit einer Mietwohnung hat man viel mehr Freiheit, wenn man mal umziehen will.”

Seine Freundin hat ihn trotzdem kürzlich geheiratet.

 

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What is Person 1’s race?

 

YOUR RESPONSE IS REQUIRED BY LAW! Das steht auf dem großen Umschlag, den ich Ende März im Briefkasten finde. Darin: Die Unterlagen zum „United States Census 2010“. Schon seit Wochen werben Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften und minutenlange Fernsehspots für die Teilnahme an Amerikas Volkszählung. Alle zehn Jahre wird sie durchgeführt – eine gewaltige Aktion, die 870 000 Aushilfskräfte beschäftigt. Kein Wunder, bei mehr als 300 Millionen Einwohnern.

Anders als in Deutschland gibt es in den USA kein Meldewesen und keinen Personalausweis. Sich bei einer Behörde zu registrieren, widerstrebt freiheitsliebenden Amerikanern. Auch wenn das im Alltag Schwierigkeiten mit sich bringt und man beim Handykauf zum Nachweis des Wohnortes die eigenartigsten Dokumente vorlegen muss. Zum Beispiel die Gasrechnung.

Grundlage der Bevölkerungsstatistik ist der Zensus, und Bundesregierung, Bundesstaaten und Städte machen Werbung dafür. Aber nicht nur, weil sie wissen wollen, wie viele Leute wo leben. Auf Basis der Zählergebnisse werden Subventionen für Straßen, Krankenhäuser und Schulen vergeben, und so hat jede Gebietskörperschaft ein Interesse daran, möglichst hohe Einwohnerzahlen zu präsentieren. Das aber ist gar nicht so einfach.

Während Indonesien durch Mehrfachzählungen offenbar eine statistische Bevölkerungsexplosion bevorsteht (siehe Blog vom 26. April), werden in den USA vor allem Großstädte systematisch unterzählt – weil dort überdurchschnittlich viele Einwanderer leben, legale und illegale. Die sind zwar ebenfalls zur Teilnahme verpflichtet. Viele verstehen aber nicht, wozu das gut sein soll. Und die Illegalen haben Angst, dass nach Ausfüllen des Fragebogens plötzlich die Polizei vor der Tür steht, auch wenn das Amt für Statistik schwört, es gebe die Angaben nicht weiter.

Die Beteiligung der Immigranten am Zensus ist in den US-Medien ein großes Thema. Worüber hingegen überhaupt nicht diskutiert wird, ist der Datenschutz. Das hat mich überrascht, denn ich kann mich noch gut erinnern, was 1987 bei der Volkszählung in Deutschland los war. Es gab Demonstrationen und Boykottaufrufe. Eine meiner Freundinnen weigerte sich so lange, den Bogen auszufüllen, bis ihr ein hohes Bußgeld angedroht wurde.

Der amerikanische Staat will aber auch nicht soviel wissen wie der deutsche. Nachdem ich den Brief geöffnet und das hellblaue Formular überflogen habe, stelle ich fest, dass ich – im Fragebogen „Person 1“ – nur acht Fragen beantworten muss, und von denen sind die meisten banal – Name, Familienstand, Geschlecht, Geburtsdatum. Nicht mal der Beruf interessiert, geschweige denn das Einkommen. Dafür aber – die Herkunft. „Is Person 1 of Hispanic, Latino, or Spanish origin?“ „What is Person 1’s race?“ Eine Flut von Alternativen wird angeboten: Asian Indian, Alaska Native, Chinese, Korean, Vietnamese, Native Hawaiian, Guamanian or Chamorro, Samoan, Other Pacific Islander… White natürlich auch. Und für den Fall, dass sich jemand nicht repräsentiert fühlt, gibt es „some other race“.

Man ahnt, dass einige Bezeichnungen Gegenstand langer Diskussionen gewesen sind. Die Rubrik für Schwarze etwa heißt „Black, African American or Negro“. Neger? Einige Zeitungen haben empört beim Statistikamt nachgefragt, weshalb ein so veralteter und rassistisch belasteter Begriff verwendet wird. Die Behörde rechtfertigte sich damit, dass viele ältere Schwarze sich selbst noch so bezeichnen würden. Das Unverständnis über diese Erklärung war so groß, dass der Begriff beim nächsten Zensus wohl endlich gestrichen wird. 

Auch der Präsident muss den Fragebogen ausfüllen. Da Obama einen schwarzen Vater und eine weiße Mutter hat und in Hawaii geboren ist, hat er bei der Herkunft mehrere Optionen, und es interessierte die Medien, wo er sein Kreuzchen macht. Bei ‘Black’, bestätigte schließlich ein Sprecher. 

Zum Schluss kommt die Frage, ob „Person 1“ vorübergehend abwesend sei. Unter den sieben vorgegebenen Gründen lautet einer „In jail or prison“, im Gefängnis. Ich muss erst schmunzeln. Dann aber fällt mir ein, dass jeder fünfte schwarze Mann ohne Collegeabschluss einen Teil seiner Jugend hinter Gittern verbringt. Überhaupt liegt der Anteil der Schwarzen im Gefängnis weit über ihrem Bevölkerungsanteil. Ob daran die Polizei, die Armut oder das Erbe der Sklaverei schuld ist, darüber wird seit Jahren diskutiert, ohne dass sich etwas ändert.

Als ich meinen Bogen ausgefüllt und zur Post getragen habe, komme ich mir sehr staatstragend vor. Obwohl ich kurz versucht bin, den Brief absichtlich zurückzuhalten. Es wurde nämlich angedroht, dass diejenigen, die sich nicht beteiligen, Besuch von Interviewern erhalten. Dann hätte ich noch mehr Material für den Blog gehabt. Aber vielleicht wäre auch keiner gekommen, und dann hätte die Stadt New York wegen der Weltreporter zuwenig Geld aus Washington bekommen. Das wollte ich dann doch nicht riskieren. 

Fotos: US Census Bureau, Pete Souza

 

 

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Volkszählung auf Indonesisch oder: Wie werden wir größter als die USA?

Gestern Mittag stand unser Blockwart (den gibt es in Indonesien tatsächlich noch) vor der Tür und stellte uns unseren Volkszähler vor, ein freiwilliger Helfer des Staates – vermutlich ein Student, der sein Taschengeld aufbessern will. Seit Wochen kündigen alle Medien im Land mit der viertgrößten Bevölkerung der Welt den großen Zensus an, der den ganzen Monat Mai lang stattfinden soll und appellieren dabei an Bürgerpflicht und das Nationalbewusstsein, um die Bevölkerung zur Beteiligung zu motivieren.

Also waren wir eigentlich darauf vorbereitet, dass auch wir gezählt werden sollen – allerdings nicht vor unserer Haustür. Denn so einfach, wie es sich die Volkszähler offensichtlich machen wollen, funktioniert das indonesische Meldesystem leider nicht. Als Ausländerin mit einer indonesischen Arbeitsgenehmigung muss ich im Büro meines offiziellen Arbeitgebers gemeldet sein und dieses befindet sich in Ostjakarta. Dass ich nicht im Büro übernachte und privat auch noch eine andere Adresse habe, müsste zwar eigentlich jedem Beamten klar sein, interessiert aber offiziell nicht. Also werde ich – bzw. die Kopie meiner indonesischen Meldebestätigung – unter der Büroadresse zum ersten Mal gezählt. Zum zweiten Mal  werde ich, wie es nun scheint, als Mitbewohnerin meines Ehemannes unter dessen Wohnadresse registriert. Damit aber noch nicht genug: Da mein Mann wie die meisten Indonesier nicht an seiner Wohnadresse, sondern in seinem Heimatdorf gemeldet ist, wird er dort noch einmal erfasst – sowie ich eventuell sogar ein drittes Mal als Mitglied der dort ansässigen Großfamilie.

Viele Indonesier lösen das nationale Meldedilemma, indem sie sich einfach an jeder Adresse einen Ausweis zulegen (mit so genanntem Zigarettengeld ist das meist kein größeres Problem), also werden diese wohl auch automatisch mehrmals gezählt. Auf der anderen Seite gibt es jede Menge Bewohner dieses Landes, die aus eben jenen Zigarettengeldgründen überhaupt keinen Ausweis oder offiziellen Wohnort besitzen – ob diese wohl auch von einem freiwilligen Studenten erfasst werden?

Wie auch immer: Indonesiens Bevölkerungszahl liegt bereits nicht mehr weit hinter den USA. Bei der momentanen Erfassungsmethode dürfte es trotz jahrzehntelanger Bemühungen der Familienplanungsbehörde nicht mehr lange dauern, bis die Indonesier zum drittgrößten Volk der Welt aufsteigen.

 

 

 

 

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Badische Backstub im Bom Bom Gym

Der lieben Bewegung wegen gehe ich seit kurzem manchmal in ein Sportstudio mit dem schrägen Namen Bom Bom Gym. Ich verlasse mein Bürogebäude durch den Hinterausgang und laufe zehn Minuten durch ein Armenviertel. An der Stelle, wo das Viertel langsam ins alte Kairoer Arbeiterviertel Boulaq Abul-Eila übergeht, befindet sich das Bom Bom Gym, nicht größer als zwei Wohnzimmer, mit ein paar einfachen Sportgeräten, die vielleicht in den dunklen Werkstätten des Armenviertels hergestellt wurden.

Natürlich gibt es keine Klimaanlage. Die Dusche ist auch nicht gerade ein Spa, und in der Toilette brennt kein Licht. Durch die Fenster zieht von der Straße der Dunst einer nahen Falafelbraterei. Alles sieht ein bisschen so aus, als würden im Bom Bom Gym die Kleinkriminellen der Nachbarschaft trainieren, für einen unschlagbaren Monatsbeitrag von umgerechnet acht Euro. Neulich hatte einer von ihnen ein gelbes T-Shirt mit dem deutschsprachigen Aufdruck »Badische Backstub – einfach besser…« an.

Er hatte es auf der Straße um die Ecke gekauft. In Boulaq gibt es Hunderte Straßenstände mit Billigklamotten á la Adidos und Wrengler und offensichtlich auch mit günstigen Werbe-T-Shirts. Vielleicht werden sie ja hier hergestellt. In dem Armenviertel gibt es Werkstätten aller Art, Druckereien, Bäckereien, Manufakturen für Plastikramsch etc. Neulich sah ich in solch einem Viertel, wie Halbwüchsige im Hinterhof eine selbstgebrühte braune Flüssigkeit in kleine Coca-Cola-Flaschen aus Glas abfüllten, die sie dann fachmännisch mit einem Kronkorken verschlossen. Seitdem bin ich vorsichtig, wenn ich beim Straßenhändler rasch eine Markenerfrischung kaufen möchte.

Diese Viertel sind ein Kosmos der Imitate und Täuschungen, in dem die Leute erfinderisch versuchen, ihre Welt mit jener in Übereinstimmung zu bringen, die ihnen das Satellitenfernsehen zeigt. Sie kriegen das ganz gut hin, wer will es ihnen verübeln.  Auf meinem Weg zurück vom Bom Bom Gym sehe ich, wie scharfkantig die Welten aufeinandertreffen. In der letzten langen Gasse des Armenviertels laufe ich auf mein Bürogebäude zu. Es ist Teil einer Hochhauszeile, hinter bzw. vor der das funkelnde Kairo beginnt. Auf der Vorderseite an der Nil-Promenade gibt es einen Radio-Shack-Laden mit modernster Heimelektronik, gleich südlich daneben das Hilton Ramses Cairo, 36 Stockwerke Luxus. In einem Kino kann man »Avatar« in 3D gucken. Das Ticket kostet so viel, wie ein Arbeiter in drei Tagen nicht verdient.

Ich laufe also – meistens nach Einbruch der Dunkelheit – direkt auf diese Hochhauszeile zu, zwischen den geduckten Katen des Armenviertels hindurch. Die Bürofenster in den Hochhäusern sind um diese Zeit alle dunkel. Die Gebäudezeile sieht aus wie eine riesige, trennende Kulissenwand. Nur am Lichtschein rund um die Rückseite der Neonreklametafeln auf den Dächern kann man erkennen, dass da vorn eine andere Welt existiert. Von hier hinten aus betrachtet erscheint einem die funkelnde Welt vorn wie eine künstliche Theaterdekoration, wie eine Täuschung, auch wenn es dort echte Produktoriginale gibt und keine Markenimitate, auch wenn die Welt dort einem vertraut vorkommt und nicht fremd, wie das Armenviertel hinter der Hochhauskulisse.

Denn drei von vier der 18 Millionen Kairoer, also die meisten, leben in einem jener ärmlichen Viertel – und nicht in dieser funkelnden Täuschung, die Kairo ja auch ist. Es kommt – wie immer – nur drauf an, von wo man guckt.

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HINTEN

 

 

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DER SCHRANK, DER RETTER

Der Hörfunkarbeiterin fern der Heimat fällt es besonders schwer einen guten Ton  zu zaubern, der die Arbeitgeber überzeugt. Denn das, was in Deutschland „über den Sender geht“, entsteht in Hausarbeit.

Die üppigen, gut gepolsterten, muckmäuschenstillen Studios des NDR und WDR, in denen die Radiotöne entstehen, gehören längst der Vergangenheit. Auch die Butzen von Radio Belgrad, die man hier Studio nennt, sind nicht mehr aktuell.  Denn: kein Schwein geht mehr ins Studio.

Der Radiomensch, vor allem wenn er in der Auslandspampa sitzt, macht heutzutage alles selbst. Der erste Schritt des entstehenden Radiobeitrags beginnt wie eh und je: die Person, die etwas zu sagen hat, wird interviewt. Doch ab hier ist alles anders, als es einmal war: kein Tontechniker steht bereit, der Toningenieur auch nicht. Und von einem Studio kann man nur noch  in den stillen Nächten träumen. Der Reporter macht sich an die Arbeit, speichert das Gespräch im Computer ab, wählt aus den Tönen aus, was in die Reportage eingebaut wird, schnippelt das Ganze mit einem entsprechenden Schnittprogramm ab, schreibt den dazugehörigen Text, druckt ihn aus.

Der Text soll nun gesprochen werden, möglichst, eben, in Studioqualität der Heimatsender.

Leichter gesagt, als getan.

Denn, die Aufnahme findet in den heimischen vier Wänden statt, zwischen Klo und Küche, je nachdem, welcher Raum die bessere Akustik vorzuweisen hat. Mein Belgrader Domizil hat große Atelierfenster und keine Gardinen, hohe Wände und keine „raumschluckenden“ Gegenstände. Am Schreibtisch surrt der Laptop, in Klo und Küche hallt es wie in den Alpen.

Was tun?

In den Schrank gehen. Das Mikrofon zwischen Wintermantel und Sommerhose placieren, Klemmlämpchen einschalten, loslegen und hoffen, dass die Katze nicht in diesem Moment in den Schrank will.

Geschafft.

Die Tonqualität wird gelobt, die Methode In-den-Schrank-gehen hat sich mittlerweile rumgesprochen. Die Kollegin vom Deutschlandradio lacht sich schlapp: „Nee, so was habe ich noch nicht gehört. Von Eierkartons war schon die Rede, von dicht zugezogenen Gardinen, aber diese Variante ist mir bis jetzt unbekannt gewesen“.

Ja, mir auch, aber Not macht eben erfinderisch.

 

 

 

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Capital of Cool

Neulich ist es schon wieder passiert. Ich saß in dem frisch renovierten Büro eines Chefredakteurs einer Berliner Zeitung und musste diesen mitleidigen Blick über mich ergehen lassen. Wie ich es ertrüge, statt in New York nun in Berlin zu leben, wollte er wissen. Diese Frage ist mir in den vergangenen Wochen gefühlte 500mal gestellt worden – und immer noch macht sie mich so fassungslos wie beim ersten Mal. Sie basiert auf so vielen falschen Annahmen, dass sie sich kaum beim Small talk beantworten lässt. Also brummle ich meistens etwas Belangloses und verabschiede mich mit dem festen Vorsatz, mir eine deftige Strafe auszudenken für den nächsten, der dasselbe wissen will.

Ein Arbeitsweg, der nur mit den G-Train zu bewältigen ist, wäre etwa ein schöner Anfang. Der G-Train verbindet Brooklyn mit Brooklyn und gehört garantiert zu den meist gehassten U-Bahnverbindung der Stadt, weil sie entweder super langsam ist oder gar nicht fährt. Noch schöner allerdings wäre es, die Fragesteller in den drei Wohnungen hausen zu lassen, für die ich in den vergangenen sieben Jahren knapp 140.000 Dollar Miete gezahlt habe. Am liebsten im Winter.

Da wäre dann zum Beispiel das WG-Zimmer, dessen Fenster ich mit Folie bekleben musste, um von November bis März die Innentemperatur auf einem erträglichen Maß zu halten. Beim Renovieren unseres zweiten Schlafzimmers beschwerten wir die Malerfolie notgedrungen mit Gewichten, weil der kalte Wind aus den Ritzen im Fußboden sie davon wehen wollte. In der dritten Wohnung konnte man im Winter seinen eigenen Atem sehen und wurde nachts davon wach, dass das Kondenswasser einem von der Decke direkt auf die Stirn tropfte.

Lehrreich wäre auch ein Gang zum Department of Motor Vehicles, von dem man nach zwei Stunden des Wartens mit der Erkenntnis nach Hause geschickt wird, dass man noch ein weiteres Papier und noch einen anderen Stempel braucht. Ohne wenigstens drei Anläufe ist es mir nie gelungen, beim DMV etwas zu erledigen. Gerne erinnere ich mich auch an meinen Versuch, die Brooklyn Bridge zu fotografieren, der mit einer halbstündigen Vernehmung durch das FBI endete. Die Akte, die dort inzwischen über mich existiert, würde ich gerne mal sehen. Wem also die Stasi fehlt, der sollte sich eine Weile in New York versuchen.

Die größte Strafe für Berliner wäre aber wahrscheinlich, wenn sie einem New Yorker erklären müssten, was ihre eigene Stadt eigentlich so liebenswert macht, dass sie in Amerika stets mit Verklärung in der Stimme von ihr sprechen. Und dabei sollen sie ohne den Artikel auskommen, in dem das „Time Magazine“ gerade die deutsche Hauptstadt als „Europe´s Capital of Cool“ anpreist.

Anyway, all das ging mir durch den Kopf, als ich in dem Zimmer des Chefredakteurs saß, das so weitläufig war, dass es in New York als Luxus-Studio durchgegangen wäre. Mit Zentralheizung, Isolierglasfenstern und einer mehr oder minder großzügigen Aussicht noch dazu. Natürlich.

 

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Kalt! Kalt! Kalt! Kalt! Kalt! Kalt! Und das in Rom!

So ähnlich stelle ich mir eine Nacht im Iglo vor: Unter dem Eisbärenfell ist es schön warm, nur die Luft ist eiskalt. Nur leider mache ich diese Erfahrung nicht auf einer Expedition durch die Arktis, sondern in meiner bescheidenen zwei Zimmer-Wohnung in Rom – einer Stadt, in der alle immer einmal leben wollen bis sie hier einmal gelebt haben. Dass ich nicht lache, “dolce vita”!

Denn jetzt kann ich wieder einen Monat frieren: Vor ein paar Tagen gab es einen Temperatursturz von fast 20 Grad, seitdem hält sich konstant eine Zimmertemperatur von 16,5 Grad in meiner Wohnung. Ändern daran kann ich nur etwas, wenn ich mich föhne oder den Radiator anstelle, der aber so viel Strom verbraucht, dass sich die Zahlen beim Stromzähler so schnell drehen, wie die Zapfanzeige an der Tankstelle.

Meine drei offiziellen, festinstallierten Heizkörper lehnen derweil nur dumm an der Wand: In Rom darf per Gesetz erst ab 15. November geheizt werden. Und: Auch dann darf nur maximal 12 Stunden geheizt werden. Übertreten kann man das Gesetz gar nicht, denn allein der Hausverwalter schaltet die Heizung an – und vor allem aus. Wirklich toll: Ich zahle zwar jeden Monat 50 Euro an die Hausverwaltung, aber dafür kann ich dann fünf Monate frieren. Übrigens: Das tolle Gesetz, welches regelt, wann in welcher Region Italiens geheizt werden darf, ist die „Legge 412/93″. In Kraft getreten ist es am 26.8.1993, an einem sicherlich heißen Sommertag.

Rückblickend muss ich sagen: Schade, dass die Römer die Karthager dann doch irgendwann besiegt haben. Denn hätte damals Hannibal Rom eingedampft, dann wäre Karthago die Herrin des Mittelmeers geworden. Dann wären Petrus und Paulus nach Karthago gegangen, dann wäre dort der Papst. Und dann würde ich dort leben –  im warmen Nordafrika. Stattdessen muss ich jetzt wieder den ganzen Winter frieren.

Unglaublich finde ich, dass die Römer es akzeptieren, im Winter zu bibbern. Es ist mir ein Rätsel, wie Menschen, die sich von März bis Oktober im T-Shirt bewegen, akzeptieren können, in den Monaten dazwischen zu frieren wie Schnittlauch im Gefrierfach. Einen gemütlichen Fernsehabend macht man im Moment bei etwa 15,5 Grad.

Nun werde ich den Winter mit meinem besten Freund überbrücken. Er ist schweigsam, sehr klein aber verbreitet stets ein wunderbares Klima. Es ist mein Heizlüfter, er heißt „Super Calor“, von mir liebevoll „Carlo“ genannt. Im Winter verbringen wir jeden Abend zusammen. Den Sommer über lebt er im Schrank mit meinen anderen besten Freunden: Der langen Unterhose, dem Thermo-T-Shirt und dem Flanellschlafanzug.

 

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Es lebe das Kollektiv!

Das Kollektiv lebt. Im Land der privatisierten Kibbutzim hat es die Idee vom geteilten Hab und Gut im Allgemeinen schwer. Aber dort, wo die Flächen knapp und Wohnraum atemberaubend teuer sind, im Zentrum von Tel Aviv, dort lebt das Kollektiv. Nicht das Betriebskapital und auch nicht die Mahlzeiten sind allen gemeinsam. Geteilt wird der optische Raum. Und der akustische.

Wenn ich morgens das Küchenfenster öffne und meinen Tee aufsetze, sehe ich, wie auch Fania den neuen Tag beginnt, die Milch aus dem Kühlschrank nimmt, sich einen Kaffee aufsetzt. Ich vermute, dass sie mich auch sieht. Dass sie hört, wie ich das Radio anmache, um die Nachrichten auf Reshet Bet zu hören.

Fania ist 72 und lebt im Haus nebenan, in einer Zwei-Zimmer-Wohnung im dritten Stock. Allein. Zwischen meinem Spülbecken und ihrem Kühlschrank liegen kaum mehr als fünf Meter Luftlinie. Aber in diesem intimen Moment der morgendlichen Rituale sehen wir uns nie direkt ins Gesicht, grüßen uns nicht.

Dann, um viertel vor sieben, zerreißt ein ohrenbetäubender Klingelton die noch frühmorgendliche Ruhe. Fania braucht eine Weile, um aus der Küche ins Wohnzimmer zu laufen, wo das Telefon steht.

Ich atme auf, wenn ich sie endlich „ken?“ krächzen höre. „Ja?“ Jeden Morgen aufs Neue nimmt Fania diesen ersten Anruf des Tages mit gespannter Neugier entgegen. So als wüsste sie nicht, dass – wie auch an jedem anderen der 364 übrigen Morgen im Jahr – ihre Tochter aus Netanja sich nach ihrem Befinden erkundigen will. Es entwickelt sich ein kurzes, morgenschweres Gespräch über das Wetter und darüber ob Fania ihre Tabletten schon genommen hat.

Einmal in der Woche empfängt Fania drei Freundinnen zum Bridge. Sie setzen sich dann auf den Balkon, trinken Kaffee und sprechen Ladino, die Sprache der sephardischen Juden. Manchmal sitze auch ich gerade auf dem Balkon und trinke Kaffee. Ich winke dann hinüber und Fania fragt „Wie geht es Dir, meine Süße?“. Ihre Freundinnen winken zurück und rufen „Shalom! Wie geht es Dir?“ und wir klagen gemeinsam über die Hitze.  

Über Fania, im vierten Stock des Nachbarhauses, wohnt ein älteres Männerpaar. Auch ihre Lebensgewohnheiten sind mir inzwischen wohl vertraut. Sie stehen später auf als Fania und ich. Dafür sind sie abends länger wach. Sie fangen erst gegen halb zehn an zu kochen. Lange und aufwändig. Dabei hören sie am liebsten Free Jazz. Neulich haben sie sich heftig gestritten. Ich hörte, wie Geschirr zerbrach. Ich wollte die Einzelheiten nicht verstehen. Und war erleichtert, als ich kurz darauf hörte und sah, wie sie wieder auf ihrer Terrasse saßen, eine Flasche Wein öffneten und lachten.

Ich habe eine Schwäche fürs unfreiwillige Kollektiv. In Deutschland war der Weg zu meinen Nachbarn oft weit, verbarg sich ihre Geschichte hinter nur schwer zu druchdringenden Fassaden. Hier, in Tel Aviv, wo die Häuser sich eng an einander schmiegen, es auch im späten Oktober nachts noch schwül ist und alle Fenster Tag und Nacht offen stehen, kommt mir das Leben meiner Nachbarn näher. Das Kollektiv lebt. Es lebe das Kollektiv! 

 

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Kein Klima für Wäscheleinen

Wäscheleinen führen zu Slumbildung. Und Trockner sind eine Supersache. Wussten Sie nicht? Im Land der fleißigsten CO2-Verursacher ist derlei sonnenklar.

Zwar war es ein Australier, der die Wäschespinne (Hills Hoist) erfunden hat, beliebt ist Open Air Wäsche im Südhalbkugelwind trotzdem nicht. In Gärten darf Buntes (noch) flattern. Auf Balkonien nicht, jedenfalls nicht in Neusüdwales, (hier wohnen die meisten Australier), auch im “Sunshinestate” Queensland und in Westaustralien ist derlei per Mietergesetz verboten. Wofür gibt es schließlich Wäschetrockner! Die sind umweltpolitisch etwas gestrig? Pah, ein neunseitiger Behördenreport hat hier unten gerade herausgefunden: Leute verbrauchen fast mehr Strom mit Standby-Fernsehern und ähnlichem Gerät als mit Trocknern. Fazit: Es ist völlig okay, Wäsche weiter im Trockner zu trocknen, und es auf Balkonen verbieten.

 

Was genau jene leinenfeindliche Australier nun gegen die Balkonwäsche haben, ist nicht sooo einfach zu erklären. Besagter Neunseitenreport hat ermittelt, dass es vor allem um Ängste geht: Furcht Nr. 1: Immobilienpreise wackeln (“Sieht ja hier aus wie bei Hempels in Neapel! Das senkt den Marktwert der Wohnung!”), um soziale Ängste (“erinnert an Slums in Hong Kong”) und um die Angst vor Entblößung: (“Wer will schon des Nachbarn G-String sehen?”). 
Ich habe übrigens noch nicht mal einen Balkon, meine Hinterhofleine stört offenbar das Immobilengefüge nicht, und ich könnte daher eigentlich die Klappe halten. Aber seit klar ist dass Australien die USA als größte CO2 Pro-Kopf-Verursacher überholt hat, fallen mir ständig derlei Absurditäten auf. 20,5 Tonnen Treibhausgase verursacht jeder Aussie im Jahr, doppelt so viel jeder Deutsche. Zwar heizt Sydney weniger als Stuttgart. Aber die Regierung liebt nun mal Kohlekraftwerke. Und sie hat Zeit für Gesetze, die Wäsche auf Balkonen verbieten. Halleluja.
Ich stimme Premierminister Rudd zu, der neulich in seinem Blog (ja, hier unten bloggt selbst der PM) meinte: ‘Viel mehr muss getan werden, wenn wir erfolgreiche Vereinbarungen bei der Konferenz in Kopenhagen erziehen wollen.’  Ich kanns kaum erwarten.

 

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Alle Jahre wieder

Das Leben im Norden Europas kann recht angenehm sein – die Natur ist sauber, das Meer selten weit und trotz der ein oder anderen Horrormeldung (hier ein Text meines ehemaligen Praktikanten) muss man nicht viel Angst vor Kriminalität haben. Auf der Negativliste stehen neben den trüben Monaten extrem hohe Lebenshaltungskosten und ebensolche Steuern. Dafür wird das ein oder andere geboten, wie beispielsweise kostenlose Ausbildung der Kinder, wenn man denn welche hat.

Ein weiteres nordisches Phänomen trübt die Lebensqualität in regelmäßigen Abständen erheblich ein: die Nichtexistenz eines klassischen Wohnungsmarktes. In Nordeuropa ist es üblich, Immobilien zu kaufen und der ein oder andere mietet auch. Doch wer denkt, dass diese Handel überwiegend auf einem gewöhnlichen, allen leicht zugänglichen Markt vorgehen, irrt.

Nehmen wir das Beispiel Kopenhagen. Ein großer Teil der Hauptstädter wohnt in einer so genannten Andelsbolig, am ehesten mit der deutschen Genossenschaftswohnung vergleichbar. Man kauft sich einen Anteil an der Gesellschaft, die das Haus besitzt und darf dann gegen eine relativ geringe Miete eine bestimmte Wohnung nutzen, eine Zweizimmerwohnung in zentraler Lage ist so durchaus für eine monatliche Belastung von unter 800 Euro zu haben. Doch die Genossenschaftsanteile werden üblicherweise nicht frei gehandelt, sondern sind einerseits preisreguliert und werden andererseits nur an jene verkauft, die schon jahrelang auf der Warteliste der Andelsboligselskab stehen. Klar, dass hier Neuzuzügler – ob aus dem Ausland oder anderen Teilen Dänemarks – das Nachsehen haben. Schließlich haben sie nicht zehn Jahre vor dem Umzug geahnt, dass sie einmal in Kopenhagen landen würden und sich dementsprechend nicht früh genug auf eine solche Liste gesetzt.

Mittlerweile gibt es zwar einige Anteile im offenen Angebot, doch die sind erheblich teurer und zudem gibt es sehr enge Vorschriften, die regeln inwieweit eine solche Wohnung im Falle eines Auslandsaufenthaltes untervermietet werden darf. Wer also wegzieht, riskiert, zu einem schlechten Zeitpunkt zum Verkauf gezwungen zu werden, weil er nicht länger untervermieten darf.

Bleibt also der Mietmarkt. Teilweise wirklich günstig sind die Angebote auf der Seite der größten Wohnungsgesellschaft: Im gutbürgerlichen Stadtteil Østerbro beispielsweise gibt es Dreizimmerwohnungen ab 400 Euro Kaltmiete. Doch Priorität hat, wer ohnehin schon in dem Haus wohnt. Also heißt es, erst einmal mit einer Einzimmerwohnung anfangen und hoffen, dass bald etwas Größeres frei wird. Die Einzimmerwohnungen kosten gerade einmal zwischen zwei- dreihundert Euro monatlich. Der Haken an der Sache: mal eben kurz in die Miniwohnung und dann in die große geht nicht. Alleine für die Einzimmerwohnung beträgt die Wartezeit ‘mere end 20 år’, mehr als zwanzig Jahre. Da fragt man sich, wer sich überhaupt auf eine solche Warteliste setzen lässt – mit 15 drauf, mit 35 in der 20 Quadratmeterwohnung in Hoffnung darauf, vielleicht sieben Jahre später in eine größere wechseln zu dürfen, vielleicht auch schon nach drei Jahren, vielleicht aber auch nie? Leider ist dieses Beispiel exemplarisch. Kurze Wartezeiten gibt es in erster Linie aus sozialen Gründen, dazu zählt auch, dass die klassische weiße Mittelklasse die Wartezeit verkürzt bekommt, wenn sie bereit ist, in Einwandererbezirke mit hoher Arbeitslosigkeit zu ziehen.

Standardlösung ist deshalb vor allem für Zugezogene sich von Untermiete zu Untermiete zu hangeln. Denn, wer einen Genossenschaftsanteil besitzt, vermietet diesen womöglich mal unter, z.B. wegen eines Auslandsaufenthalts (s.o.). Maximale Mietdauer ist in solchen Fällen aber zwei Jahre, Standard ein Jahr oder noch weniger. Deshalb heißt es für viele neu Kopenhagener wieder und wieder alle Jahre wieder: Wohnungssuche und Umzug. Die Kaste der Nichtseßhaften ist gefühlt so groß wie der Stimmanteil von Linkspartei und FDP zusammen bei der Bundestagswahl in diesem September.

Es gibt nur zwei Alternativen: eine klassische Eigentumswohnung oder eine klassische Mietwohnung. Immerhin, in jüngster Zeit wird beides angeboten, allerdings überwiegend in Betonburgen am Stadtrand. Die haben zwar hochklassige Architekten entworfen, doch es sind reine Schlafstädte, die vielleicht einen Supermarkt um die Ecke haben, aber weder Cafés, noch Gemüse- oder Blumenläden. Und die Preise? München, Innenstadtlage (mit Café, Gemüse- und Blumenladen um die Ecke) plus 30 Prozent.

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