Wenn der Rhythmus unwiderstehlich ist – Die Rolle des Groove in der Musik

Mit „Groove” bezeichnet man vor allem in der Pop- und Jazzmusik das rhythmische Gefühl oder die Energie eines Stücks. Wenn Menschen spontan mit dem Kopf nicken oder dem Fuß wippen, dann erleben sie diesen Groove. Aber kann man ihn messen, wissenschaftlich definieren? Darüber habe ich mit Musikforschenden gesprochen, aber auch mit dem Bassisten Hellmut Hattler.
Musik 1: Stevie Wonder – Superstition (Intro in Schleife, Gesang kommt allenfalls zwischen O-Tönen hoch)
O-Ton Reinhard Kopiez:
Groove ist die Erfahrung von Musik, unmittelbar und unwillentlich eine körperliche Mitbewegung zu evozieren. Das scheint doch ein besonderer Knopf zu sein, der in der Evolution eingebaut wurde.
O-Ton Helmut Hattler:
Und dann spürst du eigentlich, dass du dich wohlfühlst und deinen Körper in Schwingung versetzt, also nicht nur bums-bums machst, sondern die Hüfte, der Oberkörper, die Knie, der Arsch, alles geht irgendwie in so einen Move rein, und dann weißt du … Es ist ein bisschen wie die Liebe halt, ne?
O-Ton Fernando Benadon:
To me that has to do with something that’s repetitive and that has a signature to it, especially in terms of how the notes are articulated. And oftentimes it’s in the eye of the beholder, right.
Voice-Over:
Für mich hat es damit zu tun, dass sich eine Struktur wiederholt, dass es eine Art Signatur gibt, insbesondere was die Artikulation der Noten angeht. Und oft ist es einfach Geschmackssache.
Sprecherin:
Wenn der Rhythmus unwiderstehlich ist – Die Rolle des Groove in der Musik. Eine Sendung von Christoph Drösser.
Sprecher:
Groove ist ein schillernder Begriff, wie wir gerade gehört haben. Jeder, der Pop-, Jazz- oder Soulmusik hört oder gar selbst macht, hat ein Gefühl dafür, was das Wort bedeutet. Aber kann man es mit wissenschaftlicher Exaktheit definieren? Musikpsychologinnen und -psychologen haben vor etwa 20 Jahren damit begonnen, das Phänomen intensiv zu erforschen. Schauen wir, wie weit sie dabei gekommen sind!
Bevor wir aber mit dem Groove anfangen, ist ein anderer Begriff interessant, den es auch nur als englisches Fremdwort gibt: Entrainment. Reinhard Kopiez, Musikpsychologe an der Musikhochschule Hannover, erklärt, was man darunter versteht.
O-Ton Reinhard Kopiez:
Bei der Begegnung von Mensch und Musik haben wir schon sehr früh die Beobachtung gemacht, dass es eine unmittelbare, direkte Verbindung gibt zwischen der Musik und ihrer metrischen Struktur und dem Menschen, also so eine Art unmittelbares Erleben, das auch gar keine Vorübung benötigt. Bei den meisten Menschen jedenfalls. Das können wir einfach so, die Erfahrung, uns zu einem externen Pulsgeber mitzubewegen.
Sprecher:
Musik kann uns also unmittelbar in die Glieder fahren. Das geht so weit, dass es in manchen Kulturen gar keine unterschiedlichen Wörter für Musik und Tanz gibt. In der westlichen Kunstmusik haben wir diesen Bewegungsdrang weitgehend eingegrenzt, aber auch klassische Musik kann grooven, dazu später mehr.
Diese unmittelbare körperliche Wirkung von Musik funktioniert am besten, wenn sie ein Tempo zwischen 100 und 120 Grundschlägen pro Minute hat.
O-Ton Kopiez:
Tony Marshall ist zum Beispiel so jemand, der sich immer in diesem Bereich aufgehalten hat.
Musik 2: Ein paar Takte Musik: Tony Marshall – “Komm gib mir deine Hand”
O-Ton Kopiez:
“Heute hauen wir auf die Pauke”. Ein Riesenhit, genau in diesem Bereich von ungefähr Tempo 120 anzusiedeln. Man stellt sich wirklich vor, dass im Gehirn so etwas wie eine neuronale Schaukel vorhanden ist, die durch ihre Länge der Seile besonders stark anspricht beim Anstupsen mit dieser Bewegungsfrequenz.
Sprecher:
Aber die wenigsten würden wohl sagen, dass deutsche Schlager einen wirklichen Groove haben. Die besten Beispiele kommen aus anderen Genres.
Atmo: Besuch bei Petr Janata
Sprecher:
Besuch bei dem Musikpsychologen Petr Janata an der University of California in Davis. Janata ist tschechischer Abstammung und spricht Deutsch mit uns. Er hat im Jahr 2012 die erste Studie veröffentlicht, bei der Probandinnen und Probanden den Groove einer ganzen Liste von Musikstücken bewerten sollten. Sind das jetzt die groovigsten Stücke aller Zeiten? Natürlich nicht, die Vorauswahl war eine subjektive Liste der Forscher, und sie hätten fast ein ganzes Genre vergessen.
O-Ton Petr Janata:
Das war ein Projekt eines Doktoranden. Er hat verschiedene Musikstücke aus verschiedenen Genres gesucht. Und witzig dabei war, dass er also in der erste Runde gar keine Funk und R’n’B hat. Und ich hab die Liste angeschaut und ich hab gesagt: Na also, von den wichtigsten Musikstilen, da ist nichts dabei.
Sprecher:
Das wurde repariert. Und auf den ersten Plätzen landeten ausnahmslos Songs aus dem Bereich Soul oder Funk. Ganz oben: Superstition, ein Hit von Stevie Wonder aus dem Jahr 1972, das in vielen Umfragen ganz vorn landet. Reinhard Kopiez erklärt, was dieses Stück, bei dem Stevie Wonder alle Instrumente selbst eingespielt hat, so unwiderstehlich macht.
Musik 3: Stevie Wonder – Superstition
O-Ton Kopiez:
Das beginnt ja mit so einem Clavichord, klingt wie ein Cembalo, und der hat, das ist mir auch erst viel später aufgefallen, der hat zwischen den Hauptnoten noch sehr leise kleine andere Noten. Wir nennen die ghost notes.
Musik 4: Superstition, nur Clavinet
O-Ton Kopiez: Das sind die geisterhaften Noten, die fast nicht auffallen. Und sind im Soul und auch in bestimmten Jazz/Rock-Genres spielen die eine ganz große Rolle. Und wenn man nicht genau hinhört, merkt man die auch gar nicht bewusst. Aber die scheinen eine wichtige Funktion zu haben in dieser Grooveanregung.
Sprecher:
Ich habe jeden meiner Interviewpartner gebeten, mir ein Stück Musik zu nennen, das sie besonders groovig finden. Für Reinhard Kopiez ist das September von Earth, Wind and Fire.
Musik 4: Earth, Wind & Fire – September
Sprecher:
Petr Janata ging es in seiner Studie aber weniger um eine Analyse der Musik, sondern um das, was sie bei Hörerinnen und Hörern auslöst. Er legte ihnen einen großen Fragebogen vor und fand vor allem drei Elemente, die das Groove-Gefühl hervorrufen.
O-Ton Janata:
Also dass das ein angenehmes Gefühl ist und dass Leute gern Musik zuhören, die Groove hat. Dass dieser Drang zur Bewegung auch dabei ist. Und dann das dritte war dieses Gefühl der Einheit. Ja, das ist einfach so ein nebulöses Begriff. Ja, das ist spirituell, das ist eigentlich etwas, was der normal kognitive Psychologe – für ihn ist das wirklich etwas nicht Wissenschaftliches.
Musik 5: Kraan – Andy Nogger
Sprecher:
Dieses Gefühl der Einheit mit der Musik und mit anderen Menschen empfinden natürlich vor allem aktive Musikerinnen und Musiker. Ich rufe Hellmut Hattler an – er gilt seit den 70er Jahren als einer der groovigsten deutschen Rockbassisten. Damals spielte er bei der Gruppe Kraan.
O-Ton Hellmut Hattler:
Ich habe das auch erst spät kapiert, mir haben da öfters irgendwelche Radioleute gesagt: Ihr seid die einzige Band, die swingt. Und ich sag: Ja hör’n Sie, wir machen doch keinen Swing. Oder ihr groovt oder so. Also ich habe das das erste Mal so richtig vermisst, als wir uns aufgelöst haben mit Kraan und ich andere Musiker gesucht habe. Und festgestellt habe, dass wir gar nicht richtig zusammen schwingen.
Musik 6: Hattler – aktuelles Stück
Sprecher:
Hellmut Hattler macht heute nur noch Soloprojekte, immer in der Hoffnung, die Menschen zu finden, die mit ihm grooven.
Petr Janata hat dieses zusammen Schwingen, die rhythmische Koordination in einem Experiment untersucht, natürlich wissenschaftlich stark vereinfacht, um gute Messungen machen zu können. Zwei Menschen klicken nach der Vorgabe eines Metronoms mit dem Zeigefinger auf einen Sensor und versuchen, zusammen diesen Rhythmus zu halten. Das Besondere dabei: Das Metronom ist adaptiv, es kommt den Menschen entgegen, wenn sie leicht daneben liegen – und das führt zu einer erstaunlich guten Koordination. Wir probieren das zusammen.
Atmo: Klick-Experiment
Autor: Wir haben es ganz gut geschafft.
Janata: Ja, ja, wir haben es gut geschafft. Wir können eine Musikgruppe zusammen gründen.
Sprecher:
Janata machte bei diesen Experimenten eine interessante Entdeckung:
O-Ton Janata:
You can do a personality assessment of people that has nothing to do with music whatsoever, b ut it characterizes people as either followers or leaders, different personality types. And it turns out the leaders are much better at maintaining a strict tempo when the metronome is in this regime where it’s just following along whereas if followers are trying to tap along with the metronome, that’s when you really get into these big tempo changes and much worse synchronisation.
Voice-Over (Sprecher):
Man kann aus der Klopftechnik sogar Rückschlüsse auf die Persönlichkeit der Klopfer ziehen, sagt Janata. Führungspersönlichkeiten können besser ein striktes Tempo einhalten. Menschen, die anderen folgen, versuchen, sich nach dem Metronom zu richten, und wenn sich das an sie anpasst, gibt es plötzlich große Temposchwankungen.
Sprecher:
Petr Janatas momentanes Lieblings-Groove-Stück: Sneakin’ Sally Through The Alley von Robert Palmer
Musik 7: Robert Palmer – Sneakin’ Sally Through The Alley von Robert Palmer
Sprecher:
Olivier Senn forscht an der Hochschule Luzern über Groove. Auch der Schweizer Musikwissenschaftler ist überzeugt, dass man allein mit musikalischen Kriterien dem Phänomen nicht beikommt.
O-Ton Oliver Senn:
Es zeigte sich, dass es nicht die Musik alleine ist, die das ausmacht. Auch nicht die Hörerinnen und Hörer alleine. Aber die Interaktion zwischen den beiden, also dass es um Themen plötzlich ging wie der musikalische Geschmack, der eine riesige Bedeutung hatte, dass es um die Hörbiografie in einem gewissen Sinne geht. Was kennt man, was hat man in seiner Jugend gehört, dass diese Aspekte wichtig wu rden, dass situative Aspekte wichtig werden. Also in welcher Situation hört man Musik? Das beeinflusst ganz stark natürlich, wie man auf die Musik reagiert.
Sprecher:
Senn und seine Mitarbeiter haben gerade eine große Studie veröffentlicht, in der sie die psychologischen Faktoren untersuchen, die zum Groove-Empfinden beitragen. Was passiert in Hörern, die einem Musiktitel ausgesetzt sind? Wie kommt es dazu, dass sie tatsächlich anfangen, sich zu bewegen? Die Arbeit ist eine komplexe statistische Auswertung von Hörexperimenten, bei denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Ausschnitte aus 16 Musikstücken hörten, vom unstrittig groovigen Superstition bis hin zu Free Jazz von Peter Brötzmann und zur dritten Symphonie von Mahler. Dazu füllten sie einen Fragebogen aus, auf dem sie insbesondere angeben sollten, wie stark die Musik sie zur Bewegung anregt.
O-Ton Senn:
Und da hat sich gezeigt, mit dieser Methodologie können wir eigentlich die Hypothesen alle auf einmal testen, um dann auch, wenn wir gewisse Faktoren in der Musik variieren, vergleichen zu können mit dem, was wir schon haben, mit dem, was von den Personen her kommt, von ihrer Situation, um zu schauen, welche Wichtigkeit dieser Effekt im Kontext tatsächlich hat. Das war so das Hauptziel.
Sprecher:
Die Forschenden konnten damit Hypothesen bestätigen wie: Ein regelmäßiges Tempo regt zur Bewegung an. Was man gerne hört, dazu bewegt man sich lieber.
Wenn die Musik erregend ist, findet man sie eher groovy. Aber wussten wir das nicht eigentlich schon vorher?
O-Ton Senn:
Das habe ich auch schon ein paarmal gehört, dass Leute sagen ja, aber das ist ja auch klar. Aber was ist alles klar? Und vielen Leuten sind ganz unterschiedliche Dinge klar, das ist auch noch interessant. Dass wir einen sehr, sehr fokussierten Blick haben auf Faktoren, die wir jetzt ganz persönlich wichtig finden. Und dass aber im Umfeld so unglaublich viel stattfindet, über das man einfach auch reden muss und das man zur Kenntnis nehmen muss.
Sprecher:
Olivier Senn hat auch eine Datenbank eingerichtet, in der die Rhythmen von 250 Songs, die allgemein als sehr groovig gelten, isoliert werden, sodass Musikwissenschaftler aus aller Welt damit Forschungen betreiben können.
Musik 8: The Meters – The Look-Ka Py Py, dann der isolierte Rhythmus
O-Ton Oliver Senn:
Es zeigte sich, dass die Musikpsychologen einen enormen Bedarf haben an ökologisch validen Stimuli, das heißt an Hörbeispielen, die tatsächlich Musik sind.
Sprecher:
Übrigens war das kein automatisierter Prozess.
O-Ton Senn:
Das sind drei Musikerinnen und Musiker, die das transkribieren, die mit einer Software vermessen, wann genau die Töne kommen. Das ist noch
gutes alemannisches Handwerk dahinter.
Sprecher:
Olivier Senn hört im Moment besonders gern den japanischen Gitarristen Kent Nishimura, der virtuose Coverversionen von bekannten Popsongs eingespielt hat.
Musik 9: Kent-Nishimura – I.G.Y.
Sprecher:
Aber ist es „ökologisch valide“, um den Fachbegriff aufzugreifen, wenn man einen groovigen Song auf seinen Rhythmus reduziert? Oder anders gefragt: Kann ein Schlagzeugrhythmus für sich schon grooven? Der Hamburger Journalist und Perkussionist Rüdiger Braun ist davon überzeugt, er hat in einem von der Freien Universität Berlin unterstützten Internet-Projekt das sogenannte Groove-Lab entwickelt, mit dem Nutzerinnen und Nutzer spannende Rhythmen selbst zusammenbauen können.
O-Ton Rüdiger Braun:
Ich habe mich erstens mal viel in Afrika herumgetrieben während meiner Studienzeit, habe da viel afrikanische Musik live erlebt, teilweise auch mitgemacht, seit vielen Jahren spiele ich eben selbst auch Percussion, und dann wollte ich irgendwann wissen, was macht eigentlich den Groove aus, und irgendwann kam dann die Idee auf, so was wie ein Groove Lab zu machen.
Sprecher:
Das Groove-Lab, das Rüdiger Braun zusammen mit dem Mathematiker Jürgen Richter-Gebert und dem Musikdidaktiker Heinrich Klingmann entwickelt hat, ist eine Browser-App. Ihr grafisches Design ähnelt einem indischen Mandala, sehr bunt, mit vielen konzentrischen gezackten Kreisen.
Tonbeispiel Groove-Lab
O-Ton Rüdiger Braun:
Wir haben da eine Auswahl von insgesamt über 40 unterschiedlichen Perkussionsinstrumenten, die man spielen kann, angefangen von unterschiedlichen Glocken bis hin zur Marimba. Klassische Instrumente dabei wie Djembe oder dann auch ein vollständiges Schlagzeug. Also man hat ganz viele Möglichkeiten und wir haben versucht, das Ganze zu visualisieren, in Form von einer Art Zahnräder. Und jeder Zacken auf dem Zahnrad ist praktisch ein Schlag und man kann dann unterschiedliche dieser Zahnräder miteinander kombinieren. Und en passant erfährt man bei diesem Groove Lab ganz viel über wie Groove entsteht, wie die Geheimnisse sind, wie die Rezepte sind, einen vernünftigen Groove hinzubekommen. Und ja, es ist einfach ein Spielzeug, mit dem man eigentlich richtiggehend Musik machen kann.
Sprecher:
Aber wir haben ja schon am Beispiel von Stevie Wonders Superstition gesehen, dass der Grundbeat alleine nicht den Groove ausmacht. Ein ganz großer Faktor ist zum Beispiel auch die menschliche Stimme, sagt Hellmut Hattler, der Bassist.
O-Ton Hellmut Hattler:
Also es gibt ja auch tolle Sänger, ich sag jetzt mal Michael Jackson, wie auch immer, du hast einfach nur Bum, zack, zack …
Musik 10: Michael Jackson – Intro Billie Jean
O-Ton Hellmut Hattler:
… der Groove, der drunter liegt, macht gar nichts, aber er macht mit seiner Stimme und Phrasierungen, dass das ganze Ding plötzlich schwingt.
Musik 10: Gesang setzt ein
O-Ton Hellmut Hattler:
Und das ist egal, wo es herkommt, es muss nicht im Schlagzeug sein oder im Bass.
Sprecher:
Die größte Kontroverse in der Groove-Forschung ist heute die um das sogenannte Microtiming, oder sagen wir ruhig auf Deutsch: Mikrotiming. Der amerikanische Musikforscher Charles Keil behauptete im Jahr 1987: Musik beeindruckt uns so stark und regt uns auch zur Bewegung an, weil sie eben nicht perfekt ist. Menschen können schon rein physiologisch nicht alle Noten präzise auf die korrekte Taktzeit spielen, und es sind diese kleinen Abweichungen, die Musik menschlich machen und eine emotionale Wirkung entfalten.
Aber nicht nur die Techno-Musik, die gerade Wert auf mechanische Exaktheit legt, ist ein Gegenbeispiel dafür. Die Forschungen der letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass es erstaunlich schwer ist, den angeblichen Effekt dieses Mikrotimings nachzuweisen. Reinhard Kopiez hat in Hannover selbst Versuche dazu gemacht.
O-Ton Kopiez:
Und als wir unsere Untersuchungen gemacht haben, mit einem einfachen Schlagzeugpattern und den manipulierten Verschiebungen von Bassdrum und Snare, gingen wir erst mal davon aus, was in der Literatur auch verhandelt wird, nämlich diese kleinen Verschiebungen, das macht hinterher dieses körperliche Mitempfinden als Anregung aus, haben wir auch geglaubt. Aber die Ergebnisse sprachen eine andere Sprache. Nämlich dass, wenn es genau exakt ist – wir nennen das quantisierte Musik, und diese Quantisierung hat überhaupt keine Microtiming-Abweichungen, hat aber das Gefühl der stärksten Anregung produziert. Wir haben es deshalb die Exaktheits-Hypothese genannt. Und nach und nach hat sich dann bestätigt, auch bei anderen Forschenden, dass selbst im Jazz und natürlich auch in der Rockmusik diese exactitude offensichtlich jetzt ein Musikkonzept ist, das sich durchgesetzt hat. Und meine Gespräche mit zum Beispiel Musikproduzentinnen haben bestätigt, dass selbst Genres wie Max Raabe, der ja nun überhaupt nichts mit Rockgroove zu tun hat, mittlerweile auf quantisierte Aufnahmen setzen.
Sprecher:
Doch Vorsicht, hier muss man unterscheiden: Das Mikrotiming, von dem Reinhard Kopiez hier spricht, ist die zufällige Abweichung der Noten, die mal ein paar Millisekunden früher, dann wieder ein bisschen später kommen, als das metronomische Raster es vorgibt Etwas anderes ist es mit gewollten und systematischen Verschiebungen, die durchaus den Groove-Charakter eines Musikstücks verändern können.
Und auch da gibt es unterschiedliche Geschmacksrichungen des Timings, wenn wir das Präfix “Mikro” mal weglassen, denn die Effekte sind teilweise gewaltig.
Die erste Sorte hat zu tun mit einem Begriff, der oft im Zusammenhang mit Groove fällt, jedenfalls wenn es um Jazz geht: Swing.
Musik 11: Oscar Peterson – Night Train
Sprecher:
Rüdiger Braun demonstriert uns das Prinzip des Swing im Groove-Lab.
O-Ton und Musikbeispiel Rüdiger Braun:
Aber wenn man dann die erste Achtel ein bisschen länger macht als die zweite, dann kommt so eine Art Triolen-Feeling auf, das was Federndes, was Hopsendes hat. Und das hören wir uns jetzt mal an mit einem Beispiel. Ein Swing auf dem Groove-Lab, gespielt als Trommelsequenz. Man spürt dieses Leichte, Federnde, das Hopsende hier ganz gut. Und jetzt nehmen wir mal einfach diese leichten Verzögerungen raus und lassen das ganz straight durchspielen. Und dann klingt es gleich komplett anders. Also langweilig.
Sprecher:
Oft wird gesagt, die Swing-Achtel werden wie Triolen gespielt, wobei die mittlere Note entfällt, aber das stimmt so nicht. Die swing ratio, so nennt man das Verhältnis zwischen dem ersten und dem zweiten Achtel, kann stufenlos variieren zwischen 1:1 und 2:1, oft sogar noch größer sein. Dieses Swing-Feeling legen Bass und Schlagzeug fest, die anderen Instrumente richten sich meist danach.
Eine Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen hat untersucht, ob über diese Swing-Verschiebung hinaus zufälliges Mikrotiming eine Rolle dabei spielt, wie groovig und swingend wir ein Jazz-Stück empfinden. Ein Jazzpianist bekam mathematisch exakt triolisch swingende Rhythmus-Tracks von zwölf Jazz-Standards und spielte dazu. Annika Ziereis war an der Studie beteiligt.
O-Ton Annika Ziereis:
Wir haben drei verschiedene Versionen noch zusätzlich zu der originalen Version, die der Pianist eingespielt hat, erstellt: eine quantisierte Version, wo wir alle Abweichungen, die unsystematisch waren, rausgenommen haben. Eine Version, in der wir alle Abweichungen verdoppelt haben, also größer gemacht haben, und eine Version, wo wir die invertiert haben. Das heißt, wenn der Pianist zu spät gespielt hat oder später als normal, hat er dann in der invertierten Version quasi ein bisschen früher gespielt. Und dann haben wir das Musikerinnen und Musikern zum Hören gegeben und die bewerten lassen.
Sprecher:
Hören Sie selbst: Das ist die echte, menschliche Version …
Musik
Sprecher:
… und das hier ist die quantisierte Version, also ohne die zufälligen Schwankungen.
Musik
Sprecher:
Was swingt am besten? Haben Sie überhaupt einen Unterschied gehört? Wenn nicht, macht das nichts – die Abweichungen sind klein, und die meisten hören sie
nur mit Kopfhörern unter Laborbedingungen. Aber das Urteil der Probandinnen und Probanden war eindeutig.
O-Ton Annika Ziereis:
Also was unsere Ergebnisse gezeigt haben, war, dass tatsächlich über die zwölf Stücke hinweg die quantisierte Version am meisten geswingt hat, also die höchsten Swing-Ratings bekommen hat. Also die Version, in der eben keine zufälligen Abweichungen mehr vorhanden waren. Und am wenigsten hat die Version geswingt, bei denen wir die Abweichungen sogar noch vergrößert haben.
Sprecher:
Nun hat der Pianist in diesem Experiment keine Soli gespielt, er war gebeten worden, die Melodien ohne großartige Verzierungen zu reproduzieren. Aber das Ergebnis zeigt: Insbesondere bei einem Grund-Groove, von dem sich Solisten dann absetzen können, legen Hörerinnen und Hörer Wert auf ein möglichst enges Zusammenspiel der Rhyhtmusgruppe. Dann swingt es wirklich – und es groovt. Annika Ziereis’ groovigstes Lieblingsstück ist keine Swingnummer, sondern ein Soul-Song von Gil Scott-Heron, Lady Day and John Coltrane.
Musik: Gil Scott-Heron – Lady Day and John Coltrane
Sprecher:
Aber zurück zum Swing. Jazz- und Rockmusiker, hier die Band Jethro Tull, haben schon häufiger Stücke aus dem klassischen Kanon, vor allem aus der Barockmusik, verswingt, indem sie die Achtel in den Melodien ungleich lang gespielt haben.
Musik: Jethro Tull – Bourée
Sprecher:
Darüber mag mancher Klassik-Purist die Augen verdrehen – aber in der Barockzeit wurde das tatsächlich ähnlich praktiziert, wenn auch nicht so extrem. Man nannte das notes inégales, ungleiche Noten. François Lazarevitch, Leiter des französischen Barockensembles Les Musiciens de Saint-Julien, demonstriert das an der Traversflöte mit einer Sonate von Domenico Scarlatti.
O-Ton François Lazarevitch:
Et jusqu’aux notes les plus brèves, les notes les plus bref se joue inégales, c’est à dire la première un peu plus longue, la deuxième un peu plus courte, bien qu’elles soient écrites égales. Voilà, par exemple …
Voice-Over:
Ich spiele auch die kurzen Sechzehntel ungleich, also das erste länger als das zweite …
Musik: Lazarevitch spielt Stück mit notes inégales O-Ton François Lazarevitch:
Là, on distingue la structure grâce aux notes inégales. Et on la distingue pas si tout est joué égal.
Voice-Over:
Die ungleichen Noten verdeutlichen die Struktur der Melodie. Die erkennt man nicht, wenn alles gleich gespielt wird.
Musik: Lazarevitch spielt Stück mit geraden Noten
O-Ton Fernando Benadon:
People argued for for decades, if not centuries about exactly how the notes inégales should be played. You know, how long should the long note be and how short should the short note be and do you play it in scales or in when the melody goes up or down?
Voice-Over:
Die Leute haben jahrhundertelang darüber gestritten, wie genau die notes inégales gespielt werden sollten. Wie lang sollte die lange Note sein und wie kurz die kurze, wie spielt man, wenn die Melodie auf- oder absteigt?
Sprecher:
Das ist Fernando Benadon, Musikwissenschaftler an der American University in Washington. Auf ihn bin ich gestoßen, weil er einer der wenigen ist, die das Wort „Groove“ im Zusammenhang mit klassischer Musik verwenden. Wenn auch mit Vorsicht.
O-Ton Fernando Benadon:
So the notes inegales, you know, I don’t think they were trying to groove necessarily. They were trying to make the music sound good. And they figured out that if you played the rhythms a certain way, they felt a little bit more interesting and more musical, if you will. So, again, the whole notion that you need some kind of unevenness in the rhythm to achieve groove – we have to be careful with that.
Voice-Over:
Ich glaube nicht, dass sie mit den notes inégales unbedingt einen Groove erzeugen wollten. Die Musik sollte gut klingen. Und wenn man auf diese Weise mit diesem Rhythmus spielte, klang es interessanter und musikalischer. Die Idee, dass eine gewisse Ungleichmäßigkeit im Rhythmus nötig ist, um Groove zu erzeugen – damit müssen wir vorsichtig sein.
Sprecher:
Benadon hat Daten darüber gesammelt, wie 48 verschiedene Pianistinnen und Cembalisten die Noten des C-Dur-Präludiums aus Bachs Wohltemperiertem Klavier anschlagen.
O-Ton Fernando Benadon:
In the paper, we basically try to disentangle two dimensions of rhythm that are usually kept separate. One is rubato, which is everybody knows what that is, right? It’s when the tempo of the music kind of wavers, it fluctuates. So what if you take that away, and you look at timing signatures, repetition in the timing of the pattern, and we started to find some tendencies in different performers that differed from each other.
Voice-Over:
Wir haben versucht, zwei Dimensionen des Rhythmus zu unterscheiden. Die eine ist Rubato, das kennt jeder, oder? So nennt man es, wenn das Tempo der Musik irgendwie schwankt, fluktuiert. Wenn man das rausnimmt und sich die Timing- Signaturen ansieht, Regelmäßigkeiten in der Artikulation – da haben wir einige Muster gefunden, die sich von Interpret zu Interpret unterscheiden.
Sprecher:
Insbesondere auf dem Cembalo haben Musiker wenige Möglichkeiten zur individuellen Gestaltung ihres Ausdrucks. Die gezupften Noten sind alle gleich lang und gleich laut. Die einzigen Variationsmöglichkeiten sind das Tempo – und der Einsatz jeder Note, ob sie exakt auf die Taktzeit kommt oder etwas früher oder etwas später.
O-Ton Benadon:
Imagine, you know, if you play every note with the same duration, like a metronome, that’s kind of like a flat profile.
Voice-Over:
Wenn man so regelmäßig wie ein Metronom spielt, dann klingt es irgendwie flach. Musik: C-Dur-Präludium “flach” vom Computer gespielt
O-Ton Benadon:
If you slow down at the end of the measure, in every measure, then you can imagine like a little deceleration ramp, right, the notes get longer at the end of the measure. But then there are more interesting shapes, right, perhaps the player starts out a little bit slowly at the beginning of the measure, speeds up a little bit, then slows down somewhat, then speeds up again and then slows down even more at the end, making like a double u shape.
Voice- Over:
Wenn man am Ende jedes Taktes langsamer wird, dann ist das eine Art „Bremsrampe“. Aber es gibt auch interessantere Formen, zum Beispiel wenn der Pianist langsam anfängt, dann schneller wird, wieder abbremst, wieder beschleunigt und am Ende noch langsamer wird als am Anfang, so dass eine Art umgekehrtes W entsteht.
Musik: C-Dur-Präludium, gespielt von Richard Egarr
O-Ton Benadon:
And you can hear that. And so there are some players who had that signature, and because it’s so repetitive and you get to hear it measure after measure, we thought, well this is kind of like groove. Of course the term is not being used in the sense that people use it with funk or or pop music. In terms of making you want to move, we’re not taking that step with that paper and saying that those performances have more groove in that sense. We just use the term because frankly, we didn’t really have any other term to replace it with.
Voice-Over:
Und das hört man. Weil diese Signaturen in jedem Takt wieder auftreten, dachten wir, das ist so etwas wie ein Groove. Natürlich wird der Begriff in der Klassik nicht verwendet wie bei Funk- oder Popmusik. Wir behaupten nicht, dass man sich unbedingt zu dieser Musik bewegen möchte. Ehrlich gesagt hatten wir einfach keinen anderen Begriff, um das Phänomen zu beschreiben.
Sprecher:
Aber auch klassische Musiker haben manchmal keine Hemmungen, Bach swingen zu lassen.
O-Ton Benadon:
Have you heard Pablo Casals? His version of the cello suite by Bach? Musik: Pablo Casals – Cello-Suite Nr. 1 in G-Dur
O-Ton Benadon:
And you know, he really swings all over that thing. And it’s super interesting. And it sounds amazing. Again, does it groove more than a straight up rendition? Probably not. But, it does give it a character. That is, you know, that is really unique.
Voice-Over:
Er swingt wirklich durch das ganze Stück. Das ist super interessant! Und es klingt toll. Groovt es mehr als eine gerade Spielweise? Wahrscheinlich nicht. Aber es gibt dem Stück Charakter. Das ist wirklich einzigartig.
Sprecher:
Fernando Benadon selbst fühlt sich übrigens eher von sperrigen Jazz- und Funk- Kompositionen zur Bewegung animiert. Hier das Stück Opus Pocus von Jaco Pastorius.
Musik: Jaco Pastorius – Opus Pocus
Sprecher:
In der klassischen Musik gab es früher auch eine Spielweise, die im Jazz sehr üblich ist. Die die Begleitstimmen spielen einen konstanten Rhythmus, die Solostimme nimmt sich viele Freiheiten. “Gebundenes Rubato” nennt sich das, heute ist es nicht mehr sehr üblich. Hier ist die Notenrollen-Aufnahme einer
Beethoven-Sonate durch den Komponisten Camille Saint-Saëns aus dem Jahr 1905:
Musik: Saint-Saens spielt Beethoven
Sprecher:
Das ist sehr expressiv – aber groovt es? Kann klassische Musik auch denselben Bewegungsdrang auslösen wie Soul oder Funk? Olivier Senn aus Luzern ist davon überzeugt.
O-Ton Olivier Senn:
Aber ich denke, es gibt nichts Groovigeres als den Wiener Walzer. Je nachdem, wer man ist. Das ist eine Musik, die fast schon unwiderstehlich zum Tanzen anregt.
Musik: Johann Strauß – An der schönen blauen Donau
Sprecher:
Und ähnlich wie im Jazz funktioniert der Drang zur Bewegung beim Wiener Walzer über eine Verschiebung der Taktzeiten. Die drei Viertel des Dreivierteltakts werden nicht exakt gespielt, sondern das zweite Viertel kommt sozusagen zu früh.
Auch Reinhard Kopiez ist überzeugt, dass westliche Kunstmusik durchaus grooven kann.
O-Ton Kopiez:
Ich habe mal überlegt, welche Stücke mich aus der klassischen Musik eigentlich immer schon stark angesprochen haben, auch in Richtung einer körperlichen Anregung. Und für mich sind zwei, die ganz oben rangieren würden. Das eine ist Bruckners neunte Sinfonie, zweiter Satz, und da rockt das ganze Orchester synchron. Und zwar gar keine Melodie, sondern nur Rhythmus.
Musik: Bruckner, 9. Sinfonie
O-Ton Kopiez:
Ich finde das eine unglaubliche, faszinierende Konzeption, die auch modern ist natürlich. Und das zweite ist Sacre du printemps von Strawinsky. Im zweiten Teil, da rockt auch das Orchester, aber nicht mehr in vorhersehbaren Takten, sondern in ungeraden Takten. Es sind mal drei, mal zwei, mal fünf, mal sieben. Und trotzdem, dieses synchrone Orchester hat eine enorme Wirkung, weil diese Individualisierung der Instrumente dann entfällt.
Musik: Strawinsky – Sacre du Printemps
Sprecher:
Diese Musik mag Bewegungsdrang auslösen – aber im klassischen Konzertsaal ist jede Bewegung des Publikums verpönt. Das war noch vor 200 Jahren anders – da wurde in Konzerten gegessen, man ging ständig hinein und heraus. Erst das Bürgertum hat die Musik aufs intellektuelle Podest gehoben, damit aber auch die Verbindung zwischen Kopf und Restkörper gekappt.
O-Ton Reinhard Kopiez:
Ich muss ja einen ziemlichen Aufwand betreiben mit der Inhibition, also mit der Hemmung von meinen Bewegungsanregungen dabei. Und da vermute ich, es wird transformiert in ästhetische Gefühle, dass ich nicht körperlich mitvollziehe, sondern dass ich einen inneren Vorstellungsprozess damit durchlaufe, der mich anders anregt und anders anspricht als dieses Unmittelbare dabei. Aber das sind sehr, sehr westliche Musikkonzepte der fehlenden körperlichen-musikalischen Einheit, die da aufgehoben wird.
O-Ton Olivier Senn:
Konzertsäle werden dazu ausgerichtet. Man kann da nicht gut aufstehen und mitmachen, aber das hat mit der Musik ja nichts zu tun. Auch wenn wir den Begriff der klassischen Musik weit fassen und zurückgehen in die Barockzeit und davor, dann war diese Musik da zum Tanzen, fürs Ballett, für Hoftänze. Da gibt es ja ganze Gattungen, die nichts anderes sind als als Tänze.
O-Ton Fernando Benadon:
Well, yeah, but then, you know, Bach suites, all those movements are based on dances, are we supposed to feel like we need to get up and dance? I mean, I don’t think so. You know, you listen to the gavotte, I don’t feel the urge to get off my chair and start busting my gavotte moves.
If I’m going to go hear a Wagner opera, I don’t want to find groove in there, I’m perfectly content to sit quietly and not clap, except maybe key moments, and, and enjoy other elements of the music, the drama and the melodies and the harmonic progressions, and the pacing and all of that.
Voice-Over:
Die Sätze der Bach-Suiten beruhen alle auf Tänzen. Aber sollen wir deshalb aufspringen und tanzen? Wenn ich eine Gavotte höre, verspüre ich nicht den Drang, aufzustehen und meine Gavotte-Moves zu zeigen.
Wenn ich mir eine Wagner-Oper anhöre, suche ich nicht den Groove darin. Es reicht mir völlig, still da zu sitzen, nicht zu klatschen, außer wo es üblich ist, und andere Elemente der Musik zu genießen: das Drama, die Melodien, die harmonischen und rhythmischen Verläufe.
O-Ton Petr Janata:
Also man kann immer die Augen zumachen und da beim Konzert sitzen und das akustisch genießen, aber es ist auch ein Teil davon, im Konzert zu sein, also die verschiedenen Musiker zu beobachten usw., und dann möchte man nicht sehen, dass da jemand dabei tanzt, das irgendwie zerstört die Reinigkeit des Ganzen. Obwohl, oft ist es schwer mit dem Kopf nicht zu. How do you say nod? Nicken. Nicken. Oft ist es schwer, mit dem Kopf nicht zu nicken.
Sprecher:
Jetzt haben wir viel Theoretisches über den Groove gehört. Sind wir dem Phänomen damit näher gekommen, oder zerrinnt es uns zwischen den Fingern,
wenn wir es festzuhalten versuchen? Können wir aus den Studien vielleicht ein Rezept für groovige Musik ableiten?
O-Ton Petr Janata:
Nein, das wurde schon erfunden, das haben gute Musiker, gute Produzenten, die haben das schon lange geschafft. Als Wissenschaftler möchte ich einfach verstehen, warum ist das? Aber auch für mich selbst dann das erzeugen zu können in den Gruppen, mit denen ich spiele, weil ja, dann ist es das schönste Erlebnis dann.
O-Ton Rüdiger Braun:
Also ich habe das für mich selbst jetzt festgestellt, bestimmte Rezepte, wie Groove entsteht, kann man ableiten. Also ich gehe da auch in dem Groove Lab-drauf ein. Da gibt es vieles, was auch mathematisch gut belegt ist und was von der Wahrnehmungspsychologie auch bestätigt ist. Aber vieles entsteht wirklich aus dem Moment und hängt davon ab, wie man als Musiker miteinander spielt. Also sich gegenseitig zuhören, inspirieren lassen. Das kann man natürlich mit der Wissenschaft nur schwer erfassen.
Sprecher:
Rüdiger Braun selbst groovt im Moment gerne zu dem Song Music von Leela James.
Musik: Leela James – Music
Sprecher:
Ist es ein von vornherein zum Scheitern verurteilter Versuch, das Phänomen Groove mit wissenschaftlichen Instrumenten, mit Messungen und statistischen Korrelationen festnageln zu wollen? Olivier Senn hat in seiner aktuellen Studie viele dieser Korrelationen hergestellt – aber er hat damit auch seine Hypothese Nr. 5 widerlegt, nämlich dass die von ihm gefundenen Größen das Phänomen bereits vollständig beschreiben könnten.
O-Ton Olivier Senn:
Und solange wir diese Hypothese 5 widerlegen können, können wir sagen: Okay, wir brauchen weiter Geld vom Schweizerischen Nationalfonds, um dieses Thema zu untersuchen, weil es gibt da offenbar Faktoren, an die wir noch nicht gedacht haben. Und in diesem Sinne ist das Modell eigentlich nicht ein Abschluss von etwas. Da geht es nicht darum, so, okay, wir machen jetzt da Brief und Siegel drauf und das war’s dann zum Thema Grooveforschung. Sondern im Gegenteil, das ist mal ein Werkzeug, das wir haben.
O-Ton Reinhard Kopiez:
Und wir werden an der Stelle auch mit Musikern und Musikerinnen zusammenarbeiten, die uns immer wieder Hinweise geben, worauf sie achten, damit diese Qualität auch entsteht. Und dann generieren wir neue Messinstrumente. Ich würde sagen, wenn wir eine Unterschiedserklärung von 50 %
haben, dann haben wir ein tolles Ergebnis erreicht und die 50 anderen Prozent werden dann im Datenrauschen, in individuellen Unterschieden und in Dingen, deren Einflüsse wir gar nicht kennen, irgendwie verschwinden. Aber das ist in der sozialwissenschaftlichen Forschung ein super Ergebnis.
Sprecher:
Vielleicht haben Sie es geahnt, aber manche Musiker rümpfen angesichts dieser analytischen, reduktionistischen Sichtweise auf ein nach ihrer Ansicht völlig irrationales Phänomen die Nase. Der Bassist Hellmut Hattler zum Beispiel.
O-Ton Hellmut Hattler:
Also ich glaub, es hat wirklich was Metaphysisches, es ist nicht so ganz klar mit Mathematik zu erklären. Ich habe ganz viel mit studierten Musikern zusammengearbeitet, die aus Berklee oder aus der Popakademie kommen. Und muss immer feststellen: Die wissen zu viel. Und ich glaube, es ist wie in der Liebe – du triffst irgendjemand, mit dem du groovst, also als Musiker, und du weißt genau, das ist die Band.
O-Ton Olivier Senn:
Ich glaube nicht zwingend daran, dass Wissenschaft bis ins letzte Detail erklären wird, was diese Phänomene sind. Aber sie sind für mich eine faszinierende Methode, um mich damit auseinanderzusetzen. Und ich glaube, wir kommen damit weiter als mit Statements „Groove ist Liebe“. Wenn ich etwas, was ich nicht verstehe, definiere mit etwas anderem, das ich auch nicht verstehe, habe ich nicht viel gewonnen.
Musik: Stevie Wonder – Superstition
When you believe in things that you don’t understand, Then you suffer,
Superstition ain’t the way.
Sprecherin:
Das war: Wenn der Rhythmus unwiderstehlich ist – Die Rolle des Groove in der Musik. Eine Musikszene von Christoph Drösser.
Diese Sendung finden Sie auch unter deutschlandfunk.de und in unserer Dlf Audiothek.
Hören Sie zum Abschluss noch das Stück Acid Blues No.1 aus der CD Sundae von Hattler.
Ende