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Plötzlich schmeißen die Römer sie einem hinterher. „Signore, Ihr S.“, ruft die Frau an der Kasse der Kaffeebar und winkt einen nochmal zur Theke, „Scusi, Sie haben Ihren S. vergessen, nehmen Sie ihn mit!“, sagt der ägyptische Gemüsehändler und selbst in der Mopedwerkstatt hörte ich vor wenigen Tagen Silvio, den Mechaniker, zum ersten Mal das Wort mit „S“ sagen: „Hier ist dein S.“, sagte er und wartete, bis ich ihn in den Geldbeutel gesteckt hatte: Ihn, den „S.“, den „Scontrino“, den Kassenzettel.
„Scontrino“. Dieses Wort in den Mund zu nehmen, löste bislang in Italien, zumal im Süden, ähnliche Reaktionen aus, wie wenn es jemand in den Harry-Potter-Büchern wagte, den Namen des Bösesten aller Bösen, von „Lord Voldemort“, auszusprechen: Zunächst sah ich aufgerissene Augen (Hat es das wirklich gesagt?), dann eine Art Schockstarre (Leugnung: Nein, kann er nicht gesagt haben), schließlich missmutiges Kopfschütteln (Einsicht: Der stronzo hat es wirklich gesagt) . In meinem Fall war die Reaktion stets noch potenziert, da man von offensichtlichen Ausländern die Tätigkeit als Steuermoralapostel noch weniger erwartet, als von Italienern. Kurzum: „Scontrino“ war ein böses, böses und unsagbares Wort. Wie unsagbar, sieht man in der bösen Süditalien-Komödie „Qualunquemente“: Ein ganzer Strandabschnitt verfällt in einen Schock, weil ein Kunde nach dem Essen eine Rechnung verlangt. Hier http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=B_NJktvgKn8 sieht man diese herrliche Szene.
Dass nun alles anders ist und Mechaniker wie Silvio plötzlich Kassenzettel ausdrucken und Rechnungen schreiben liegt am neuen Ministerpräsidenten Mario Monti, der den Italienern die Benutzung des S-Wortes dadurch beibringt, dass er die Beamten der Finanzpolizei im ganzen Land nach Steuerhinterziehern suchen lässt – selbst auf einer Skipiste im Aostatal, so lasen es die verängstigten Italiener, kontrollierten Finanzbeamte zuletzt, ob auf den Skihütten auch Kassenzettel ausgeben und die Einnahmen ordnungsgemäß versteuert werden. Natürlich werden die Finanzbeamten nicht in jeden kleinen Laden zwischen Bozen und Palermo kontrollieren. Aber allein die Berichte in den Medien sorgen dafür, dass mein Geldbeutel nun jeden Tag überquillt vor lauter „Scontrini“.
Doch in der Stunde des Triumphs der Finanzbehörden muss auch an die einsamen Helden erinnert werden, die es schon früher gewagt hatten, das S.-Wort auszusprechen. Erinnert werden soll deshalb an dieser Stelle an meinen ehemaligen Mitbewohner Gianmarco, der es sich schon vor Jahren zur Aufgabe gemacht hatte, überall und egal wo nach dem „Scontrino“ zu fragen und den Verkäufer so zur Versteuerung zu zwingen. Egal ob die „Baristi“ in den Kaffeebars von mal zu mal immer unfreundlicher zu ihm wurden, der Frisör ihm die Haare verschnitt oder das Moped plötzlich alle zwei Wochen zur Reparatur musste, Gianmarco erbat stets eisern den „Scontrino“. Ich kann mich nur an eine Abfuhr erinnern. Als Gianmarco in einer wummernden Diskothek den Barkeeper zur Herausgabe des Scontrino für seinen Gin Tonic bringen wollte. „Was willst Du?“ – „den Scontrino!“, sagte Gianmarco. Worauf der Barkeeper ein weiteres unsagbares Wort benutzte. „Vaffanculo!“. Das V-Wort. Fast so schlimm wie das S-Wort.