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Alle Jahre wieder

Das Leben im Norden Europas kann recht angenehm sein – die Natur ist sauber, das Meer selten weit und trotz der ein oder anderen Horrormeldung (hier ein Text meines ehemaligen Praktikanten) muss man nicht viel Angst vor Kriminalität haben. Auf der Negativliste stehen neben den trüben Monaten extrem hohe Lebenshaltungskosten und ebensolche Steuern. Dafür wird das ein oder andere geboten, wie beispielsweise kostenlose Ausbildung der Kinder, wenn man denn welche hat.

Ein weiteres nordisches Phänomen trübt die Lebensqualität in regelmäßigen Abständen erheblich ein: die Nichtexistenz eines klassischen Wohnungsmarktes. In Nordeuropa ist es üblich, Immobilien zu kaufen und der ein oder andere mietet auch. Doch wer denkt, dass diese Handel überwiegend auf einem gewöhnlichen, allen leicht zugänglichen Markt vorgehen, irrt.

Nehmen wir das Beispiel Kopenhagen. Ein großer Teil der Hauptstädter wohnt in einer so genannten Andelsbolig, am ehesten mit der deutschen Genossenschaftswohnung vergleichbar. Man kauft sich einen Anteil an der Gesellschaft, die das Haus besitzt und darf dann gegen eine relativ geringe Miete eine bestimmte Wohnung nutzen, eine Zweizimmerwohnung in zentraler Lage ist so durchaus für eine monatliche Belastung von unter 800 Euro zu haben. Doch die Genossenschaftsanteile werden üblicherweise nicht frei gehandelt, sondern sind einerseits preisreguliert und werden andererseits nur an jene verkauft, die schon jahrelang auf der Warteliste der Andelsboligselskab stehen. Klar, dass hier Neuzuzügler – ob aus dem Ausland oder anderen Teilen Dänemarks – das Nachsehen haben. Schließlich haben sie nicht zehn Jahre vor dem Umzug geahnt, dass sie einmal in Kopenhagen landen würden und sich dementsprechend nicht früh genug auf eine solche Liste gesetzt.

Mittlerweile gibt es zwar einige Anteile im offenen Angebot, doch die sind erheblich teurer und zudem gibt es sehr enge Vorschriften, die regeln inwieweit eine solche Wohnung im Falle eines Auslandsaufenthaltes untervermietet werden darf. Wer also wegzieht, riskiert, zu einem schlechten Zeitpunkt zum Verkauf gezwungen zu werden, weil er nicht länger untervermieten darf.

Bleibt also der Mietmarkt. Teilweise wirklich günstig sind die Angebote auf der Seite der größten Wohnungsgesellschaft: Im gutbürgerlichen Stadtteil Østerbro beispielsweise gibt es Dreizimmerwohnungen ab 400 Euro Kaltmiete. Doch Priorität hat, wer ohnehin schon in dem Haus wohnt. Also heißt es, erst einmal mit einer Einzimmerwohnung anfangen und hoffen, dass bald etwas Größeres frei wird. Die Einzimmerwohnungen kosten gerade einmal zwischen zwei- dreihundert Euro monatlich. Der Haken an der Sache: mal eben kurz in die Miniwohnung und dann in die große geht nicht. Alleine für die Einzimmerwohnung beträgt die Wartezeit ‘mere end 20 år’, mehr als zwanzig Jahre. Da fragt man sich, wer sich überhaupt auf eine solche Warteliste setzen lässt – mit 15 drauf, mit 35 in der 20 Quadratmeterwohnung in Hoffnung darauf, vielleicht sieben Jahre später in eine größere wechseln zu dürfen, vielleicht auch schon nach drei Jahren, vielleicht aber auch nie? Leider ist dieses Beispiel exemplarisch. Kurze Wartezeiten gibt es in erster Linie aus sozialen Gründen, dazu zählt auch, dass die klassische weiße Mittelklasse die Wartezeit verkürzt bekommt, wenn sie bereit ist, in Einwandererbezirke mit hoher Arbeitslosigkeit zu ziehen.

Standardlösung ist deshalb vor allem für Zugezogene sich von Untermiete zu Untermiete zu hangeln. Denn, wer einen Genossenschaftsanteil besitzt, vermietet diesen womöglich mal unter, z.B. wegen eines Auslandsaufenthalts (s.o.). Maximale Mietdauer ist in solchen Fällen aber zwei Jahre, Standard ein Jahr oder noch weniger. Deshalb heißt es für viele neu Kopenhagener wieder und wieder alle Jahre wieder: Wohnungssuche und Umzug. Die Kaste der Nichtseßhaften ist gefühlt so groß wie der Stimmanteil von Linkspartei und FDP zusammen bei der Bundestagswahl in diesem September.

Es gibt nur zwei Alternativen: eine klassische Eigentumswohnung oder eine klassische Mietwohnung. Immerhin, in jüngster Zeit wird beides angeboten, allerdings überwiegend in Betonburgen am Stadtrand. Die haben zwar hochklassige Architekten entworfen, doch es sind reine Schlafstädte, die vielleicht einen Supermarkt um die Ecke haben, aber weder Cafés, noch Gemüse- oder Blumenläden. Und die Preise? München, Innenstadtlage (mit Café, Gemüse- und Blumenladen um die Ecke) plus 30 Prozent.

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