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Stellen Sie sich einen deutschen Kanzlerkandidaten vor, der Waldemar Puting heißt. Er besitzt Amtsbonus und hat nach Meinungsumfragen schon eine satte Mehrheit der Wähler hinter sich. Aber er weigert sich stur, an Fernsehdebatten mit seinen Konkurrenten teilzunehmen. In Bundesländern, wo seine Partei regiert, halten Regionalbeamte Kindergärtner an, Elternversammlungen zu organisieren: Dort sollen sie den Leuten erklären, warum sie Puting wählen müssen.
Kritik der Medien an solchem Gebaren ignoriert Puting. Nur einmal beschwert er sich in einer Runde mit führenden Medienvertretern beim Intendanten des Südwestfunks, warum dessen Sender ihn seit Jahren täglich mit Jauche übergieße. Ein paar Tage später kriegt der Intendant eine Vorladung der Staatsanwaltschaft. Und die „Zeit“, die auch heftig an Puting herumnörgelt, kann ihren Redakteuren kein Gehalt mehr zahlen, weil das Finanzamt ihr Bankkonto wegen des Verdachts auf Steuerschulden vorübergehend gesperrt hat. Hunderttausende gehen aus Protest gegen Putings Methoden auf die Straßen, er beschimpft die Demonstranten als Affenbande und erklärt, sie würden mit ausländischem Geld bezahlt. Der Opposition wirft er vor, sie würde von chinesischen Konzernen gesteuert, die einen Machtwechsel in Deutschland anstreben, um führende deutschen Automobilhersteller zu übernehmen. Auf dem Höhepunkt seines Wahlkampfes aber lässt er Behörden und Betriebe aus den von seiner Partei regierten Bundesländern 130.000 Menschen ins berstende Berliner Olympiastadium karren, um ihnen eine Wahlrede zu halten. „Wir Deutschen“, ruft er, „sind ein Siegervolk, das liegt in unseren Genen.“ Das Publikum äußert seinen Beifall nur murmelnd, er aber beginnt ein Gedicht aufzusagen, dass ein Romantiker zur Erinnerung an den Sieg bei Groosbeeren 1813 gegen die Franzosen geschrieben hat: „Sterbt vor Berlin! Wie unsere Brüder starben.“
Vermutlich würde das Publikum jetzt vor Lachen sterben. Aber zum Glück gibt es Waldemar Puting nicht. Es gibt nur einen Wladimir Putin. Der aber springt in Russland mit Opposition, Medien und Wahlvolk tatsächlich so um, wie oben beschrieben. Und heute hat er sich mit für weitere 6 Jahre zum Präsidenten wählen lassen. Putin ist kein lupenreiner Demokrat, wie ein Bundeskanzler, inzwischen Gasprom-Grüßaugust, einst behauptet hat. Putin ist überhaupt kein Demokrat. Und nach 12 Jahren mit Putin als starkem Mann in Moskau ist es nur dumm, weiter zu hoffen, er könne doch der Mann des Übergangs sein. Russland wird kein vom Volk regierter Rechtsstaat, solange Putin dort das Sagen hat.
Aber davon sollten wir in Deutschland uns die Laune nicht verderben lassen. Putin wütete zwar in diesem Wahlkampf besonders heftig gegen den feindlichen Westen, namentlich aber nur gegen die USA. Und man muss ihm zugute halten, dass er bestimmt keinen Angriffskrieg gegen Europa führt will. Zumal sein Staatsapparat so korrupt geworden ist, dass bei der vaterländischen Rüstungsindustrie nur ein Bruchteil der Rubeltrillionen ankommt, die für die Runderneuerung der Streitkräfte eingeplant sind.
Wir können also in Ruhe weiter Gas aus Russland importieren. Und Pkw der Oberklasse für Putins Beamtenheer exportieren. Russland bleibt einfach wie zuvor ein fremdes Land. Und wenn Putin bei seinem ersten Gipfeltreffen mit Frau Merkel lächelnd das nächste Abkommen über die deutsch-russische Modernisierungspartnerschaft unterzeichnet, betrachten wir das als höfliches Lächeln. Auch wenn er selbst es als breites russisches Siegergrinsen gedacht hat.