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Capital of Cool

Neulich ist es schon wieder passiert. Ich saß in dem frisch renovierten Büro eines Chefredakteurs einer Berliner Zeitung und musste diesen mitleidigen Blick über mich ergehen lassen. Wie ich es ertrüge, statt in New York nun in Berlin zu leben, wollte er wissen. Diese Frage ist mir in den vergangenen Wochen gefühlte 500mal gestellt worden – und immer noch macht sie mich so fassungslos wie beim ersten Mal. Sie basiert auf so vielen falschen Annahmen, dass sie sich kaum beim Small talk beantworten lässt. Also brummle ich meistens etwas Belangloses und verabschiede mich mit dem festen Vorsatz, mir eine deftige Strafe auszudenken für den nächsten, der dasselbe wissen will.

Ein Arbeitsweg, der nur mit den G-Train zu bewältigen ist, wäre etwa ein schöner Anfang. Der G-Train verbindet Brooklyn mit Brooklyn und gehört garantiert zu den meist gehassten U-Bahnverbindung der Stadt, weil sie entweder super langsam ist oder gar nicht fährt. Noch schöner allerdings wäre es, die Fragesteller in den drei Wohnungen hausen zu lassen, für die ich in den vergangenen sieben Jahren knapp 140.000 Dollar Miete gezahlt habe. Am liebsten im Winter.

Da wäre dann zum Beispiel das WG-Zimmer, dessen Fenster ich mit Folie bekleben musste, um von November bis März die Innentemperatur auf einem erträglichen Maß zu halten. Beim Renovieren unseres zweiten Schlafzimmers beschwerten wir die Malerfolie notgedrungen mit Gewichten, weil der kalte Wind aus den Ritzen im Fußboden sie davon wehen wollte. In der dritten Wohnung konnte man im Winter seinen eigenen Atem sehen und wurde nachts davon wach, dass das Kondenswasser einem von der Decke direkt auf die Stirn tropfte.

Lehrreich wäre auch ein Gang zum Department of Motor Vehicles, von dem man nach zwei Stunden des Wartens mit der Erkenntnis nach Hause geschickt wird, dass man noch ein weiteres Papier und noch einen anderen Stempel braucht. Ohne wenigstens drei Anläufe ist es mir nie gelungen, beim DMV etwas zu erledigen. Gerne erinnere ich mich auch an meinen Versuch, die Brooklyn Bridge zu fotografieren, der mit einer halbstündigen Vernehmung durch das FBI endete. Die Akte, die dort inzwischen über mich existiert, würde ich gerne mal sehen. Wem also die Stasi fehlt, der sollte sich eine Weile in New York versuchen.

Die größte Strafe für Berliner wäre aber wahrscheinlich, wenn sie einem New Yorker erklären müssten, was ihre eigene Stadt eigentlich so liebenswert macht, dass sie in Amerika stets mit Verklärung in der Stimme von ihr sprechen. Und dabei sollen sie ohne den Artikel auskommen, in dem das „Time Magazine“ gerade die deutsche Hauptstadt als „Europe´s Capital of Cool“ anpreist.

Anyway, all das ging mir durch den Kopf, als ich in dem Zimmer des Chefredakteurs saß, das so weitläufig war, dass es in New York als Luxus-Studio durchgegangen wäre. Mit Zentralheizung, Isolierglasfenstern und einer mehr oder minder großzügigen Aussicht noch dazu. Natürlich.

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