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Der Igel als Bauchmensch

Der Igel als Bauchmensch

Gut gefrühstückt? Schön, gratuliere! Ich? Naja. Dienstagmorgens eine Semmel vom Samstag, das ist nicht gerade das, was landläufig als Schlemmer-Frühstück gilt. Aber es war auch heute wieder
unausweichlich.

Zum Bäcker geht der Papa.  Samstags ist das ein Gesetz, nicht nur in meiner Familie, sondern in unserem ganzen Stadtviertel. Kaum verlasse ich müde und unrasiert das Haus, meist mit meiner Tochter an der Hand, sehe ich andere Väter, müde und unrasiert, ihre Häuser verlassen und mit ihren Kindern Richtung Bäcker ziehen. Alle Männer tun so, als handle es sich um einen Liebesbeweis gegenüber der Ehefrau, die Semmeln zu besorgen. In Wirklichkeit genießen wir alle diesen ersten – und für manche Männer einzigen – Moment der Freiheit an diesem Tag.
Die Morgensonne strahlt. So klare Luft. Man steht am Zeitungskasten und liest die Überschriften. Wochenende. Einfach schön.

Wäre da nicht das Kerngeschäft dieses Morgens. Die Semmeln zu kaufen. Denn je länger die Schlange, desto unsicherer werde ich. Man hatte geplant, drei normale Semmeln, drei Brezn und eine heftige “Käse-Mohn-Semmel” zu kaufen; doch dann hört man die anderen Väter “Nusszöpfe”, ganze “Semmelringe” und “Dinkelsemmeln” bestellen. Hhm. Sollte ich auch auf Vollkorn umsteigen? Uns was gönnen? Warum kauft der soviel? Sollen wir morgen vielleicht mit Freunden frühstücken? Inmitten dieser Überlegungen bin ich dann plötzlich an der Reihe. “Äh ich hätte gern….” und völlig verwirrt kaufe ich viel zu viel. Die Semmeln reichen bis Dienstag. Jede Woche.

IMG_0950Was ich mir wünschte, wäre der Instinkt eines Igels. Der weiß aus sich selbst heraus immer, was er will, zum Beispiel im Winter einen warmen, geschützten Schlafplatz. Das weiß ich, weil auf Wunsch meiner Tochter unser ganzes Bestreben darauf ausgelegt ist, Winterquartiere für Igel zu bauen. Kein Buch, kein Igelfilm ist vor uns sicher. Was ich gelernt habe? Vor allem, dass der Igel ein Bauchmensch ist. Und wenn selbst ein Igel mal nicht weiß, was er will, dann schnüffelt er. Erst der linke Apfel, dann der in der Mitte, dann der rechte. Und wenn er sich entschieden hat, schmatzt er drauflos.

Ich werde am nächsten Samstag beim Bäcker fragen, ob ich einmal an einer Dinkelsemmel schnüffeln darf. Von Igeln kann man so viel lernen. Als nächstes dann den Winterschlaf.

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