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Der Rockstar aus dem Weltall

Musik und Geschichten aus dem Weltall – Chris Hadfield hat viel zu bieten. Der singende und tweetende kanadische Raumfahrer fasziniert sein Publikum. Auf dem Folk Festival in der kanadischen Hauptstadt Ottawa war er jetzt einer der Stars. Gebannt folgten die Zuhörer seinen Berichten, seinen Liedern und seinem Gitarrenspiel.

 

Der 54-jährige schnauzbärtige Kanadier ist zweifellos als einer der schillerndsten Astronauten in die Geschichte der Raumfahrt eingegangen. Er hat berühmtere Kollegen, die so manchen „ersten Schritt“ machten – als erste die Erde umkreisten, das Raumschiff verließen oder den Mond betraten. Aber in Zeiten, in denen Daueraufenthalte im All nur bei Start und Landungen und Problemen an Bord des Raumschiffs Meldungen produzieren, schaffte er es als Kommandant der Internationalen Raumstation ISS, Menschen in aller Welt mit Tweets, Fotos, Songs und Lehrstunden aus dem All zu begeistern. Seine Version von David Bowie´s „Space Oddity“, bei der er mit Gitarre durch die ISS schwebt, wurde auf YouTube mehr als 17 Millionen Mal angeklickt.

 

Daher war es nicht verwunderlich, dass sein als “Workshop” und “Interview” bezeichneter Auftritt beim Ottawa Folk Festival so starkes Interesse fand. Erwartet worden war eigentlich ein stärker wortbetonter Auftritt des Starastronauten. Umso erfreuter waren die Folk-Fans, dass Hadfield so oft zur Gitarre griff.

 

In einem Lied für seine Tochter, das er in der Internationalen Raumstation komponierte, singt Chris Hadfield: „Ich war zu lange weg. Ich komme nach Hause.“ Nun ist er zu Hause. Die kanadische Weltraumagentur hat er verlassen. Jetzt ist er der „Ex-Astronaut“. Raumfahrer, Ingenieur, Vortragsreisender, Rockstar – auf das Ottawa Folkfest kam er als der Rockstar. Seine Stimme ist noch weitaus beeindruckender als bei der Präsentation von „Space Oddity“. Zusammen mit seinem Bruder Dave und dem kanadischen Musiker Danny Michel trägt er seine Lieder vor, manche melancholisch-weich, andere rockig-hart.

 

„Space and Music“ – so war Hadfields Auftritt angekündigt worden. Vom ersten Moment hat Hadfield den Draht zum Publikum gefunden. Mit seinem Lächeln, seinem Humor und seiner Ungezwungenheit nimmt er die Menschen für sich ein. Die Zuhörer haben ohnehin das Gefühl, dass Hadfield einer der ihren ist. Sie kennen ihn ja genau. Auch das ist eine Folge seiner Präsenz in Social Media. Viele Kinder, die vor ihm auf der Wiese sitzen, haben über Monate seine Reise verfolgt.

 

Sie scheuen sich nicht, Fragen zu stellen. Ob er damit gerechnet habe, dass ihm so viele Millionen Menschen folgen werden, will ein Mädchen wissen, das sich aus Sympathie mit Hadfield einen Schnurrbart ins Gesicht geklebt hat. Neun Jahre alt sei er gewesen, als bei ihm der Wunsch wach wurde Astronaut zu werden, „und mein Schnurrbart war damals viel dünner als Deiner“, sagt er dem Mädchen lachend. Die erste Mondlandung, die er 1969 als Neunjähriger gesehen hatte, hatte ihn inspiriert. Er hat sich seinen Traum erfüllt, und nun ist er glücklich „diese Momente mit Menschen in aller Welt zu teilen“.

 

Sieht er die Erde nach seinen drei Weltraumreisen anders? 2300 Mal hat Hadfield auf seinem letzten Flug die Erde umkreist, 16 Mal pro Tag. „Das erste, was du machst, nachdem du dich übergeben hast, du gehst zum Fenster und schaust auf die Erde“, erzählt er. Er sah die kanadischen Städte, aber dann auch Städte, die er nicht kannte, und die aus dem All alle ähnlich aussehen. Dieses Muster zeige ihm, „dass überall wundervolle Menschen leben“ und „Menschen, die glücklich sein wollen“.

 

Zur Ausrüstung in der Raumstation gehört ein Gitarre – „dauerhaft“, sagt Hadfield, denn es gebe viele Astronauten, die gerne Gitarre spielen und singen. Musik und All, das ist für ihn kein Gegensatz. Vor einigen Jahren habe er die 15.000 Jahre alten Höhlenmalereien in Südfrankreich gesehen und gehört, dass Archäologen bei Ausgrabungen eine mehrere Zehntausend Jahre alte Flöte gefunden haben, die aus einem Knochen hergestellt wurde. „Musik ist etwas Grundlegendes für die Menschheit“, sagt Hadfield, und Musik auf die „nächste Stufe“, in die Raumstation zu bringen, nichts Ungewöhnliches, sondern eine Notwendigkeit.

 

Seine Raumfahrerkarriere hat Hadfield beendet. Ob er den Weltraum vermisst? Hadfield ist glücklich, dass er dreimal ins Mall fliegen durfte – 1995 zur russischen Raumstation Mir und 2001 und 2012 zur ISS – und zuletzt sogar Kommandant der ISS war. Er habe niemals Vergangenem nachgetrauert. „Rückwärts zu blicken ist nicht mein Ding“, sagt er. „Das Leben ist voller Möglichkeiten.“

 

Was er machen wird, darüber hüllt er sich in Schweigen. Vermutlich hat er mehr Einladungen, als Redner aufzutreten, als er annehmen kann. Ein Buch über seine Erfahrungen ist in Vorbereitung. Einer seiner Kollegen, Kanadas erster Astronaut Marc Garneau, ist in die Politik gegangen und ist für die Liberalen Mitglied des Bundesparlaments. Politiker, die Charme besitzen und Wärme ausstrahlen, sind auch in Kanada Mangelware. Vor allem aber ist Chris Hadfield Berufsoptimist. „Wenn man sich auf einer Rakete ins All schießen lässt, muss man Optimist sein“, sagt er, greift zur Gitarre und singt das Lied vom Ritt auf dem Feuerstrahl – „Ride the Lightning“.

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