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Einmal Handy-Reporterin und nie wieder

 

Die Erdbeben-Woche, die mein Leben einmal durchrüttelte, ist vorbei. Schlimm war es eigentlich nicht am Dienstag um kurz vor ein Uhr mittags, als der schwere Ruck durch Christchurch ging. Da trieb mich das Adrenalin voran. Schlimmer war es erst Stunden später, als ich es endlich auf Umwegen nach Hause geschafft hatte und auf unsere halb eingestürzte Küche blickte. Wo der Kaminofen war, klafft jetzt eine große Lücke, die mir schon nicht mehr auffällt. So schnell ändern sich Perspektive und Prioritäten.

Aber der Tiefpunkt, im Nachhinein, war genau zwölf Stunden nach dem Beben. Da versuchte ich mich erstmals auch filmisch als Handy-Reporterin. Seit dem frühen Abend, als man auf der anderen Seite der Erde gerade erwachte und die Nachricht aus Neuseeland erfuhr, machte ich pausenlos per Telefon Liveschaltungen für deutsche Nachrichtensendungen – aus dem Auto vor unserem Haus, wo ich Radio hören und mein Handy aufladen konnte. In der Innenstadt, in all dem Chaos, wäre es nicht möglich gewesen, bessere Informationen zu bekommen. Soweit, so gut – bis ich nach Mitternacht dann einen übereifrigen Kollegen vom Privatfernsehen am anderen Ende hatte, der sich mit dem gesprochenen Wort allein nicht zufrieden geben wollte. Ob ich mich nicht kurz filmen könne, vor meinem Haus? Ich erklärte ihm, dass meine einzige Kamera mein Handy und es überall stockfinster sei, da kein Strom weit und breit. Ich trug nur eine Stirnlampe, es gab wirklich nichts zu sehen – was brachte das? Zumal niemand da war, der mich für einen solch laienhaften Aufsager hätte filmen können. Mein Mann war erschöpft hinter mir auf der umgeklappten Rückbank eingeschlafen.

Ich gab dem Drängeln und Insistieren nach – der Stress der letzten Stunden vernebelte das Hirn – und stellte mich raus ins Dunkel, hielt mir mit der einen Hand die Taschenlampe aufs Gesicht und zielte von der anderen Seite mit der Linse des Handys. So entstand der absurdeste, nichtsagendste, unterbelichtetste Beitrag, der je um die Welt gegangen ist und den diese auch nicht braucht. Besser, um die Welt gehen sollte, denn ich mühte mich die kommende Stunde vergeblich ab, das 20-Sekunden-Filmchen per MMS zu verschicken, dafür meinen Mann drei Mal zu wecken und Unsummen mit dem Kölner Sender zu vertelefonieren. Dass das Vodafone-Netz von Christchurch kurz darauf kollabierte, war wahrscheinlich meinem Datenschrott zu verdanken.  

Dafür hatte ich dann am nächsten Tag einen deutschen Kollegen für die gleiche Nachrichtensendung vor der Tür stehen, der eine betroffene Deutsche filmen wollte. Nein, ich wollte ihm nicht vor der Kamera demonstrieren, wie wir den Garten als Toilette benutzen, und meine Familie sollte bitte auch nicht als ‚Opfer‘ ins Bild. Mein echtes Opfer war die Stunde, die ich damit verbrachte, als ‚Expertin‘ im Regen im bereits wieder nächtlichen Lyttelton zu stehen und vor der Kamera zu erklären, was dort geschehen war. Daraus wurden dann in den Mittagsnachrichten weniger als 20 Sekunden. Aber Hauptsache, authentisch und ‚live vor Ort‘.

Mein Wohnort Lyttelton, malerisch am Hafen gelegen, war das Epizentrum des verheerenden Bebens und ist schwer beschädigt. Aber die eigentliche Katastrophe spielt sich nach wie vor in der Innenstadt ab, wo unter den wie Kartenhäusern eingefallenen Hochhäusern noch über hundert Tote liegen. Das lässt sich im eigenen Viertel, durch einen Tunnel von dem Schauplatz des Infernos getrennt, schnell vergessen. In meiner Umgebung drehen sich die Sorgen vor allem darum, wer ein neues Zuhause braucht, wann die Kanalisation funktioniert und ob die Geschäfte, Schulen und Büros in absehbarer Zukunft aufmachen. Und dazwischen, zwischen Wischen, Wegräumen, Reparieren, Organisieren, erreichen uns die Berichte: Von der Freundin, die im Aufzug im 6. Stock steckte, ohne Handy, und nur Schreie hörte. Vom Besitzer des Szene-Cafés, der auf der Passstraße aus dem Auto sprang und es auf seinem Skateboard zwischen den herabfallenden Felsbrocken bis ins Tal schaffte. Vom Anästhesisten, der Stunde um Stunde neben verschütteten Opfern saß, die er nur noch bis zum Tode betäuben, aber nicht mehr befreien konnte. Einem Mann amputierte er mit der Säge beide Beine.

Was noch lange nicht vorbei ist, das sind die Nachbeben und die Langzeitfolgen.  Die ungewisse Zukunft, die trügerische Sicherheit. Wir spüren es nachts, wenn man wieder kurz aufwacht und nicht mehr einschläft, und an allen Fronten, logistisch, praktisch. Aber was anfangs so brutal einschneidend erschien, wird schnell zur Normalität. An kleinere Beben gewöhnt man sich und schaut auch nicht mehr sofort online nach, welche Stärke das nun gerade war – jeder hat im Moment andere Sorgen. Materielles lässt sich ersetzen oder abhaken. Jeder Tag ist eine graduelle Verbesserung: Strom wieder da, Wasser endlich auch, selbst der Kühlschrank ist voll, und im Baumarkt gibt es eine neue Ladung Schubkarren und Wasserkanister. Nur der Gleichgewichtssinn ist noch nicht im Lot. Die Psyche hoffentlich schon.

Das Beste sind die Menschen, die zusammenrücken, sich helfen, das Leben feiern. Da hilft die positive Mentalität der Kiwis, die ‚Wir packen das‘-Grundeinstellung, ungemein. Gestern war ich mit Söhnen und Mann (Nierenklempner, der zum Glück auch Wassertanks reparieren kann) den ganzen Tag auf einem spontanen Straßenfest mit Live-Musik, Picknick, Essen vom Marineschiff, unzähligen Gesprächen, Gelächter, Tränen, Euphorie – die perfekte Gruppentherapie nach all den Aufräumarbeiten und dem Schock. Ein Tag wie gestern macht Hoffnung, dass das Leben zumindest in Lyttelton weitergeht. Die schwarze Wolke aus Trümmern und Tragik, anfangs noch so verstörend und beängstigend, hat plötzlich einen silbernen Rand bekommen.

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