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Generalstreik und Existenzkrise – für Vierjährige

Am Mittwoch war Generalstreik in Spanien. Vor meiner Haustür trug der Streik das Gesicht von Robert de Niro. Der warb auf einer Leuchtreklame mit zwei Schusswaffen in den Händen für den Film „Machete“. Weil ihm aber jemand „Vaga!“ (Streik auf katalanisch) über die Brust gesprüht hatte, sah er plötzlich aus wie ein strenger Gewerkschafter, der seine Ziele by all means necessary durchsetzt. Ich verbrachte einen Gutteil des Vormittags vor dem Bildschirm und verfolgte via Internet die Streiknachrichten. Gelegentlich tauchte auch mein gerade vier Jahre alt gewordener Sohn an der Seite des Computers auf. Der Kindergarten hatte allen Eltern nahegelegt, die Kinder am Streiktag besser zuhause zu lassen. Mein Sohn wollte mit mir spielen. Ich sagte: Geht jetzt nicht, ich muss arbeiten. Er fragte: „Was guckst Du da an?“ – Das hat alles mit dem Streik zu tun. – „Was ist ein Streik?“ – Wenn die Leute nicht zur Arbeit gehen. – Mein Sohn sagte eine kleine Weile gar nichts. Er warf noch einen Blick auf den Bildschirm. Dort wurde gerade eine Straßenumfrage gezeigt. Mein Sohn legte nach: „Die Leute gibt es wirklich?“ – Ja, die gibt es wirklich (das heißt für ihn: weder Walt Disney noch die Gebrüder Grimm oder andere haben sie sich ausgedacht). „Und die arbeiten alle nicht?“ – Nein, in ganz Spanien arbeiten die Leute heute nicht. – „Und warum arbeitest du dann?“ Mein Sohn hatte mich in die Ecke getrieben. Ich konnte nur noch sagen: Die Spanier arbeiten nicht – aber die Deutschen ja! Das klang irgendwie nach einem uralten Vorurteil. Ich hoffte gleich, der Satz würde nicht bei ihm hängen bleiben wie so mancher andere.

Am nächsten Tag, als der Generalstreik vorüber war und die Spanier wieder arbeiteten wie die Deutschen, merkte ich, dass mein Sohn an einer ganz anderen Frage hängengeblieben war. Nach gemeinsamer Ansicht eines alten Disney-Strips, in dem sich Donald und Dagobert als Weihnachtsmänner verkleiden und am Ende auch noch der echte Weihnachtsmann auftaucht, nach diesem im Grunde also komplexen Stück Fiktion in der Fiktion, sah mich mein Sohn ernst an und fragte: „Papa, wir sind aber nicht in einem Film, oder? Wir sind nicht ausgedacht…“

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